W&F 1996/3

Wozu noch UN – Wir haben doch die USA

von Andreas Buro

Am Golf roch es nach Entspannung. Der Irak sollte nach UN-Beschluß bald wieder in begrenztem Maße Öl verkaufen dürfen, um Schadensersatzzahlungen zu leisten, aber auch um für die eigene Bevölkerung Lebensmittel und Medikamente einkaufen zu können. Ein guter Gedanke, nachdem Saddam und die Weltgemeinschaft hunderttausende irakischer Kinder hatten an Hunger und Krankheit sterben lassen.

Doch der Hauch von Frieden lockte die Kriegsherren. Die nördliche, sogenannte Schutzzone für irakische Kurden war dem Diktator schon lange ein Dorn im Auge und er wußte sehr wohl, weder die Nachbarländer noch die USA sind an kurdischer Selbständigkeit interessiert. Die Nachbarländer Syrien, Türkei und Iran haben selbst kurdische Bevölkerungsteile, deren Freiheitsbestrebungen sie bekämpfen. Die USA, die den Diktator Saddam lange Zeit zur Bekämpfung der »Fundamentalisten« in Teheran in jeder Hinsicht unterstützten und erst später wegen Öl bekämpften und so im Golf-Krieg die in Kuwait nicht vorhandene Demokratie retteten, sind letztlich mehr an der Erhaltung der Einheit des Iraks interessiert, als an der kurdischen Freiheit. So war die Schutzzone im nördlichen Irak niemals eine wirkliche Zone des Schutzes, deren Lebens- und Entwicklungsfähigkeit von den Golf-Akteuren gewollt wurde.

Dem amerikanischen Präsidenten und seinem CIA fiel dann auch noch ein, die Schutzzone zu nutzten, um von dort aus die Herrschaft Saddams zu unterminieren. Ziel: die Person zu beseitigen ohne den Zwangsstaat selbst zu gefährden. Dieser ist schließlich – geopolitisch kalkuliert – noch immer ein potentielles Bollwerk des »freien Westens« gegen die »Terroristen« in Teheran.

Bagdad deutete also die Zeichen der Zeit, erhörte einen Hilferuf der DKP-Kurden, die in verzweifeltem Kampf gegen die PUK-Kurden um die Aneignung der lukrativsten Zölle standen und ließ die Panzer, die Elitetruppen und seine Geheimagenten von der Kette, um den kurdischen Norden des Irak wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Dabei verstieß der Diktator nicht einmal gegen die internationalen Auflagen, denn die Ermordung von Untertanen in diesem Gebiet ist ihm ja nicht verboten worden. In den internationalen Auflagen stand auch nicht, er dürfe nicht gegen CIA-Verschwörungen kämpfen, die sich gegen ihn richten.

Trotzdem war der Panzervorstoß provokativ für einen US-Präsidenten mitten im Wahlkampf. Der konnte sich doch nicht einfach von dem personifizierten Teufel die Initiative wegnehmen lassen. Es galt die einfache Lehre zu beherzigen: Im Wahlkampf darf kein Präsident zögern – vor allem kein Präsident der einzigen verbliebenen Weltmacht, der Herrin über die Neue Weltordnung. Dabei vergaß er, verständlich wegen der Dringlichkeit der bevorstehenden Wahlen, sich auf mühsame Verhandlungen im Weltsicherheitsrat einzulassen. In guter Western-Tradition entschied er sich, spontan zu handeln – komme, was da kommen mag.

Doch Spott beiseite, der Fall ist bitter ernst. Der Präsident der USA wischt die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat wie eine quantité negligable beiseite und damit das erreichte Maß an internationaler Rechtsordnung. Er mißbraucht seine enorme Machtfülle im internationalen Bereich, um sich die Macht im Heimatland zu sichern, als habe die einzige Weltmacht keine Verantwortung für die Verrechtlichung des internationalen Systems, als ginge es nur um die Willkür der Starken!

An diesem Fall amerikanischer Intervention zeigt sich die wirkliche Bedeutung des Begriffes Neue Weltordnung, der fälschlicherweise von manchen nur als PR-Formel verkannt wurde. Die neue Weltordnung beinhaltet – um es formelhaft zu sagen – die Strategie der Globalisierung des kapitalistischen Systems im Korsett der militärischen Potentiale der USA in Kooperation mit den Streikräften der G 7. Weltherrschaft, wie es sie in diesem Ausmaß bislang noch nicht gegeben hat!

Die NATO, längst vom Verteidigungsbündnis zur euro-asiatisch-afrikanischen Ordnungsmacht gemausert, hüllt ihre Aktivitäten zwar immer noch in den Schleier der humanitären Intervention. Doch wer scharf hinsieht, erkennt die Absicht: Die reichen Industrieländer wollen gewappnet sein, um notfalls ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen auch militärisch durchzusetzen. Dem dient auch der Aufbau der schnellen Eingreiftruppen, die in Deutschland halb ideologisch, halb realistisch als Krisenreaktionskräfte bezeichnet werden.

Die Bundesrepublik ist mittlerweile fest in diese »Out-of-area-Weltordnung« eingebunden. Es verwundert deshalb nicht, wenn der Bundeskanzler – Fellowtraveller in Leadership – die völkerrechtswidrige US-Intervention sogleich abnickte. Freilich fragt man sich da, warum die Bundesregierung so eifrig einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat anstrebt. Wäre es nicht sinnvoller, sich um einen Sitz im US-Senat zu bewerben?

Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie e. V.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/3 Leben und Überleben, Seite