W&F 2012/4

Zivil-militärische Sicherheitsforschung

von Eric Töpfer

Mit einem großen Paukenschlag starteten Ende März 2007 gleich zwei Programme für die Sicherheitsforschung: Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft orchestrierten auf der zweiten europäischen »Security Research Conference« Bundesforschungsministerin Annette Schavan und der EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie, Günther Verheugen, den Auftakt des europäischen Sicherheitsforschungsprogramms und lancierten bei dieser Gelegenheit auch gleich die ersten Ausschreibungen für das deutsche »Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit«. Der folgende Artikel setzt sich kritisch mit diesen beiden Programmen auseinander.

Die Planungen für das EU-Sicherheitsforschungsprogramm gehen zurück auf das Jahr 2003, als die EU-Kommissare für Forschung und Informationsgesellschaft eine »Gruppe von Persönlichkeiten« zu dessen Vorbereitung zusammenriefen. Mit dabei waren acht große Technologiekonzerne mit starken Rüstungssparten, fünf große Forschungseinrichtungen und zwei nationale Verteidigungsministerien, des Weiteren vier Europaparlamentarier, zwei EU-Kommissare als »Beobachter«, Ratssekretär Javier Solana sowie Repräsentanten der Westeuropäischen Rüstungsorganisation WEAO, der Organisation für gemeinsame Rüstungszusammenarbeit OCCAR und der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Von Anfang an gedacht als Brücke zwischen ziviler Forschung und Wehrforschung, soll das EU-Sicherheitsforschungsprogramm „die Vorteile nutzen, die sich aus der Dualität von Technologien und der wachsenden Überschneidung zwischen [militärischen und nicht-militärischen] Sicherheitsaufgaben ergeben“, um die Lücke zwischen beiden Forschungssektoren zu schließen (Group of Personalities 2004, S.7). Entsprechend wird in diversen Projekten der Transfer von Technologien und Systemen der »Revolution of Military Affairs« in den zivilen Bereich geprobt. Andererseits wird gezielt Forschung in Bereichen gefördert, die auch und insbesondere von militärischem Interesse sind.

Ausgestattet mit 1,4 Mrd. Euro wurden im EU-Sicherheitsforschungsprogramm bislang mehr als 200 Projekte bewilligt. Am bekanntesten und wohl auch umstrittensten ist dabei INDECT, ein Projekt zur Entwicklung eines „intelligenten Informationssystems zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit der Bürger in einer städtischen Umgebung“. Weniger bekannt sind andere Megaprojekte des Programms wie PERSEUS, TALOS, IMSK, SECUR-ED, PROTECTRAIL, BRIDGE, TASS, SEABILLA oder EULER. Mit Budgets zwischen 15 und 45 Mio. Euro zielen die Projekte auf die Entwicklung großtechnischer Lösungen zur Kontrolle der EU-Außengrenzen, zum Schutz von politischen und Sport-Großereignissen und zur Sicherung von Bahnhöfen, Schienennetzen oder Flughäfen. Dabei geht es u.a. um den Ausbau und die Integration nationaler Grenzüberwachungssysteme, die Nutzung von semiautonomen Landrobotern und Drohnen für die Migrationsabwehr, Hightech-Detektoren zum Aufspürung von ABC-Gefahrstoffen, Systemlösungen für Sensornetzwerke und algorithmische Überwachung sowie interoperable Plattformen für die »Full Spectrum«-Lagebilderfassung in Echtzeit und die vernetzte Führung heterogener Einsatzkräfte.

Dominiert werden die gewaltigen Projektkonsortien von großen rüstungserfahrenen Systemintegratoren wie EADS, Thales, Finmeccanica, Indra, BAE Systems, Saab und Safran. Sie entwickeln im Verbund mit kleineren Technologiepartnern, »Endnutzern« wie nationalen Küstenwachen und Polizeien, Infrastrukturbetreibern wie der Deutschen Bahn sowie – häufig militärnahen – Einrichtungen der anwendungsorientierten Forschung wie der niederländischen TNO, dem schwedischen FOI oder den deutschen Fraunhofer-Instituten »Lösungen« für die mutmaßlichen Sicherheitsprobleme von morgen. Kaum anders sieht es in vielen kleineren Projekten aus, auch wenn dort mehr mittelständische Unternehmen und Forschungseinrichtungen anderer Couleur vertreten sind. Insgesamt sind die o.g. Rüstungskonzerne an mehr als 60 Projekten der EU-Sicherheitsforschung beteiligt, Institute der Fraunhofer-Gesellschaft an knapp 50 und TNO an 34 Projekten. (European Commission 2011; Töpfer 2011)

Deutsche Variation: das Forschungsprogramm des BMBF

Eng verflochten mit der EU-Sicherheitsforschung, aber etwas anders strukturiert, ist das deutsche Sicherheitsforschungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Den Durchbruch für die deutsche Sicherheitsforschung brachte der Wahlsieg Angela Merkels im Herbst 2005. Die »rot-grüne« Forschungsministerin Edelgard Bulmahn hatte eine gezielte Förderung von Sicherheitsforschung noch abgelehnt und mit ihrem partizipativ angelegten Futur-Dialog für eine zukünftige Forschungspolitik allenfalls das Thema IT-Sicherheit und Biometrie adressiert (BMBF 2003. S 34ff.). Ihre konservative Nachfolgerin, die ehemalige baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan, hingegen setzte im BMBF neue Prioritäten. Zwar hieß es im schwarz-roten Koalitionsvertrag unter der Rubrik „Forschungsförderung für die Nachhaltigkeit“ zurückhaltend, die Bundesregierung fördere „Umweltschutztechnik, Erdbeobachtung und regenerative Energietechnologien sowie Sicherheits- und Fusionsforschung“ (Koalitionsvertrag 2005, S.47f.), aber bereits wenige Wochen später kündigte Schavan im Bundestag einen Schwerpunkt »Sicherheitsforschung« im Rahmen ihrer sechs Mrd. Euro schweren »Hightech-Strategie« an.

Von April bis Juni 2006 wurden im Rahmen eines „»Agendaprozesses« drei Workshops mit etwa 250 „Experten aus allen für die Sicherheitsforschung relevanten Bereichen“ durchgeführt (BMBF 2007, S.20) – berichtet wurde vage von Repräsentanten der Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr, Wirtschaft und Forschung –, um Themen zu setzen und Förderstrategien zu entwickeln. Damit hatte das BMBF, gut beraten vom den Ministerien für Inneres und Verteidigung, „in Rekordzeit bundesweit die Fachszene formiert“, wie der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel meldete (Rachel 2006).

Am 4. Juli 2006 kündigte Schavan schließlich das deutsche Sicherheitsforschungsprogramm offiziell an. Ihre Bühne war das »Future Security«-Symposium, als »1. Sicherheitsforschungskonferenz« organisiert vom Fraunhofer-Verbund für Verteidigungs- und Sicherheitsforschung (VVS) in Karlsruhe. Und obwohl im 30-köpfigen Programmausschuss der Tagung neben den Chefs der fünf Gründungsinstitute des VVS auch zwei Beamte des Bundesverteidigungsministeriums sowie Vertreter der Rüstungsschmieden EADS, Diehl, Rheinmetall und der Europäischen Verteidigungsagentur saßen, wurde die Forschungsministerin nicht müde zu betonen, dass das neue Programm ausschließlich zivilen Anwendungsfeldern diene. (Töpfer 2009, S.22)

Von 2007 bis 2010 wurden zwei Programmlinien gefördert: Erstens zielte eine »szenarienorientierte Sicherheitsforschung« auf »Systemlösungen«, z.B. für den Schutz und die Kontrolle von Großveranstaltungen, Verkehrssystemen und anderen »kritischen« Infrastrukturen oder für die Sicherung von Warenketten. Zweitens sollten in »Technologieverbünden« szenarienübergreifende »Querschnittstechnologien« entwickelt werden, z.B. Systeme zur Detektion von Gefahrstoffen oder zum Schutz von Rettungskräften sowie Techniken zur Mustererkennung oder Personenidentifikation. In der Summe geht es um die weiträumige und automatisierte Überwachung durch Kamera- oder Sensornetzwerke, biometrische Zugangssysteme, den Einsatz von Robotern und Drohnen, bombensichere Gebäude, Hightech-Einsatz- und Lagezentren, die Vernetzung der Einsatzkräfte und das informatisierte Management von Menschenmengen, aber auch um die Öffentlichkeitsarbeit in Krisensituationen und die Mobilisierung der Bürger für die Prävention. (BMBF 2007)

Nach Abschluss der mit 123 Mio. Euro dotierten ersten Förderperiode ging das Sicherheitsforschungsprogramm im Jahr 2012 bereits in die zweite Fünf-Jahres-Runde; diesmal mit einem deutlich erhöhten Budget von 222 Mio. Euro. Im Gegensatz zur EU-Forschung spielen im deutschen Programm Hochschulen eine deutlich stärkere Rolle. Bis Ende 2011 ging etwa ein Drittel der Fördermittel insbesondere an die technischen Fakultäten deutscher Universitäten und Fachhochschulen. Und trotz der Beteiligung wehrtechnischer Unternehmen wie Rohde & Schwarz, EADS, Thales Defence oder Diehl an verschiedenen Projekten, sind Rüstungsschmieden diesmal nicht so dominant. Gleichwohl fließt ein Großteil der Gelder auch hier an wenige große Player. Weit vor Universitäten aus Freiburg, Berlin, Siegen und Karlsruhe sowie Konzernen wie SAP, Siemens und Bosch ist der Hauptgewinner die Fraunhofer-Gesellschaft, insbesondere die Institute des Fraunhofer-Verbundes für Verteidigungs- und Sicherheitsforschung. Die VVS-Institute erhielten mehr als fünf Prozent der bis Ende 2011 bewilligten Mittel; und sie waren es auch, die maßgeblich an der Genese des Forschungsprogramms beteiligt waren.1

Die Wehrforschungsinstitute der Fraunhofer-Gesellschaft

Gegründet im November 2002, bündelt der VVS die wehrtechnischen Institute der Fraunhofer-Gesellschaft. Anfangs gehörten ihm fünf Institute an, 2009 wurden zusätzlich die drei Wehrforschungsinstitute der ehemaligen Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaft (FGAN) in den Verbund integriert. „Obgleich das Leistungsspektrum dieser acht Institute ein sehr breites Themenfeld bedient“, schreibt VVS-Sprecher Klaus Thoma, „bleibt das verbindende Element die wehrtechnische Forschung, gefördert und unterstützt durch das Bundesministerium der Verteidigung“ (Fraunhofer VVS 2009, S.4). Thoma selbst war Leiter einer wehrtechnischen Entwicklungsabteilung bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm (heute EADS) und Professor an der Bundeswehr-Universität in München, bevor er 1996 an das Fraunhofer Ernst-Mach-Institut (EMI) in Freiburg wechselte. Er gilt als »Architekt« des deutschen Sicherheitsforschungsprogramms. Heute ist er Mitglied des Forschungs- und Technologiebeirates des Verteidigungsministeriums und Vorsitzender des 18-köpfigen Wissenschaftlichen Programmausschusses, der die BMBF-Sicherheitsforschung „begleitet und steuert“ (BMBF 2007, S.47).

Obwohl die fünf VVS-Gründungsinstitute von 2000 bis 2007 mit 130 Mio. Euro vom Verteidigungsministerium gefördert wurden (Deutscher Bundestag 2008), galt die Wehrforschung innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft seit Ende des Kalten Krieges als »Problemfall« und »Rückzugsgebiet«, da sie sich mit einen deutlichen Rückgang staatlicher Investitionen und personeller Überalterung konfrontiert sah (Trischler 2009, S.97). War bereits die Gründung des VVS als Verbund für Verteidigungsforschung und Wehrtechnik – die Umbenennung folgte erst 2003 – eine erste Antwort auf die Krise, öffneten sich mit den institutionellen Veränderungen in der bundesrepublikanischen »Sicherheitsarchitektur« und den wachsenden Schnittstellen zivil-militärischer Zusammenarbeit im Gefolge des 11. September 2001 ganz neue Möglichkeiten.

Seit 9/11 diskutierten verschiedene Gremien des Zivilschutzes den technologischen Forschungsbedarf für die Detektion von Gefahrstoffen und Erregern. Der »Zweite Gefahrenbericht« der Schutzkommission2 nannte explizit die „Weiterentwicklung und Optimierung der Messtechnik, die im militärischen Bereich bereits zur Kampfstoffdetektion eingesetzt wird“ (Schutzkommission 2001, S.25). Schon damals war Klaus Thoma – in den Fußstapfen früherer EMI-Direktoren – ein Ko-Autor des Berichts.

Gut drei Jahre später präsentierten seine VVS-Kollegen vom Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT) in Bonn die Ergebnisse einer Studie, die das Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben hatte. Thema: »Die technologischen Aspekten asymmetrischer und terroristischer Bedrohungen«. Anschließend diskutierten Vertreter der Bundeswehr aus dem Bereich ABC-Schutz und der Schutzkommission im neu gegründeten Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Bedeutung der Studie für die Fortschreibung des »Zweiten Gefahrenberichts«. Ein Teilnehmer lobte die „vielversprechende[n] Ansätze zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit“ (Engelhard 2005, S.8), und das INT vermerkte: „Die Mitarbeit in der Schutzkommission des BMI hat die Möglichkeiten einer Beurteilung der zivilen Aktivitäten in Deutschland stark erweitert und die Unterstützung bei der Entwicklung einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit ermöglicht.“ (INT 2006, S.24)

Ob das INT als Spürhund oder eher im Windschatten des Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr agierte, um der Wehrforschung über die zivil-militärischen Schnittstellen beim »Bevölkerungsschutz« Kontakte zu Innenbehörden zu erschließen, ist letztlich irrelevant. Was zählt ist das Ergebnis: Bereits ein Jahr später beriet das INT nicht nur die Schutzkommission, sondern auch das BBK, das Bundeskriminalamt und den Bundesnachrichtendienst. (INT 2007, S.4f.)

Parallel dazu intensivierten die VVS-Institute ihre Kontakte zur zivilen Forschung: Im August 2005 formalisierte das VVS-Institut für Informations- und Datenverarbeitung seine „seit vielen Jahren bestehende fruchtbare Zusammenarbeit mit der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft“ durch einen Kooperationsvertrag (IITB 2006, S.3), und im November organisierte das INT den Workshop »Neue Technologien – Ausblick in eine wehrtechnische Zukunft«, um „Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen mit den Streitkräften und dem Rüstungsbereich in einem Forum zusammen[zu]bringen“ (INT 2006, S.65).

Ebenfalls 2005 wurde VVS-Sprecher Thoma in das European Security Research Advisory Board (ESRAB) berufen, wo er zusammen mit BKA-Vize Jürgen Stock und Managern von EADS, Diehl und Siemens die deutschen Positionen bei der Ausgestaltung des EU-Sicherheitsprogramms vertrat. Parallel dazu wirkten Vertreter des INT in ESRAB-Unterarbeitsgruppen und loteten gleichzeitig in „Vorausschau zukünftiger europäischer Forschungsprojekte im Bereich Sicherheit […] Synergiepotenziale zur aktuellen wehrtechnischen FuT im Verantwortungsbereich des BMVg/BWB“ aus (INT 2006, S.24). Doch »Synergiepotenziale« haben die VVS-Institute dem Militär nicht nur auf europäischer, sondern – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz – auch auf nationaler Ebene erschlossen.

Dual-use-Forschung im Zeichen »vernetzter Sicherheit«

Auch wenn das BMBF-Programm in weitaus stärkerem Maße als die EU-Sicherheitsforschung Bereiche des »Bevölkerungsschutzes« adressiert und Feuerwehren, Kräfte des Katastrophenschutzes oder der Seuchenbekämpfung involviert, ist der Dual-use-Charakter in zahlreichen der mehr als 100 Projekte doch nicht zu übersehen. Einige Beispiele: Im Projekt AIR SHIELD wird mit Mikrodrohnen, die ursprünglich die Firma Diehl fürs Militär entwickelt hatte, am Einsatz vernetzter Drohnenschwärme für den Katastrophenschutz geforscht (BMBF 2009a, S.20f.). Wenn das Projekt SAFE robuste und sensorische Schutzkleidung unter Beteiligung des Wehrwissenschaftlichen Institutes für Schutztechnologien der Bundeswehr entwickelt, liegt der Gedanke nahe, dass hier nicht nur an Innovationen für die Feuerwehr, sondern auch für den Infanteristen des 21. Jahrhunderts gearbeitet wird (BMBF 2009a, S.10f.). Offenkundig sind die Querverbindungen auch dann, wenn im Projekt AISIS das Ernst-Mach-Institut zum Schutz von Tunneln oder Brücken an „fühlenden robusten Wänden“ forscht, die mit Funksensoren ausgestattet sind (BMBF 2009b, S.8f.), und gleichzeitig im »Jahresbericht Wehrwissenschaftliche Forschung 2010« über die Arbeit des Instituts an „Schadensvorhersagen durch sensierende Wände“ für Auslandseinsätze der Bundeswehr berichtet wird (BMVg 2011a, S.16f.).

Im Vorfeld der Verlängerung des Forschungsprogramms warnte der Wissenschaftliche Programmausschuss 2010 angesichts einer zunehmenden Einbeziehung außenpolitischer Aspekte in die Themenstellung vor einer „undefinierte[n] Vermischung zwischen zivilen Tätigkeiten […] und militärischen Zuständigkeiten“ und sprach sich für eine „pragmatische Abgrenzung“ gegenüber der Wehrforschung aus. Gleichzeitig will man aber »Synergieeffekte« nutzen und notiert: „Das in der militärischen Forschung erworbene Know-how muss auch im Bereich der zivilen Sicherheitsforschung verfügbar sein und umgekehrt. […] Am Beispiel der Auslandseinsätze von Polizei und THW zeigt sich, dass eine klare und dauerhafte Trennung von militärischer und ziviler Sicherheitsforschung nur schwer stringent durchzuhalten ist.“ (EMI 2010, S.7) Entsprechend erklärt das Verteidigungsministerium in seinem aktuellen Ressortforschungsplan: „Wehrwissenschaftliche Forschung setzt grundsätzlich auf den Erkenntnissen der zivilen Forschung auf (»Add-on-Prinzip«), wenn nationale Sicherheitsinteressen und das angestrebte Fähigkeitsprofil der Bundeswehr es erfordern. Sind entsprechende Ergebnisse anderer Ressorts bzw. der zivilen Forschung nicht verfügbar, müssen sie im Rahmen der Ressortforschungsaktivitäten erarbeitet werden. Konzepte und entsprechende Technologien, die sowohl für die wehrwissenschaftliche Forschung als auch für die zivile Sicherheitsforschung relevant sind, bilden die Schnittstellen für das BMVg zur zivilen Sicherheitsforschung (»Dual-use-Prinzip«).“ (BMVg 2011b, S.6)

Dennoch werden die Dual-use-Problematik, das Verteidigungsministerium oder die Bundeswehr im neuen Rahmenprogramm »Forschung für die zivile Sicherheit 2012-2017« mit keinem Wort erwähnt (BMBF 2012). Dabei dürften sie insbesondere im neuen Themenfeld »Urbane Sicherheit« eine entscheidende Rolle spielen. Haben sich doch in Baden-Württemberg mit dem Innovationscluster »Future Urban Security« Schlüsseleinrichtungen der deutschen Sicherheitsforschung – koordiniert von VVS-Sprecher Thoma – längst in Stellung gebracht.

Während das deutsche Forschungsprogramm inzwischen in die zweite Runde gegangen ist, wird auf EU-Ebene noch über die Zukunft der Sicherheitsforschung verhandelt. Im Herbst 2011 legte die Kommission ihre Vorschläge für das kommende Forschungsrahmenprogramm »Horizont 2020« vor. Unter der Überschrift „Sichere Gesellschaften“ soll die bisherige Sicherheitsforschung fortgesetzt werden: Unterstützen soll sie die „Unionsstrategien für die interne und externe Sicherheit und die Verteidigung“. Wie zuvor geht es um „innovative Technologien, Lösungen, Prognoseinstrumente und Erkenntnisse“ zur Vermeidung und Bekämpfung von Kriminalität, Terrorismus, Massennotfällen und Bedrohungen aus dem Cyberspace. „Die Forschung ist an der Sicherheit der Bürger ausgerichtet und soll aktiv mit der Tätigkeit der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) koordiniert werden, um die Zusammenarbeit mit dieser auszubauen, insbesondere über die bereits bestehenden Rahmenvereinbarungen für Zusammenarbeit, wobei anerkannt wird, dass es Technologien gibt, die sowohl für zivile als auch für militärische Anwendungen relevant sind.“ (Europäische Kommission 2011a, S.93ff.)

Damit findet die Kommission deutlich klarere Worte zur Bedeutung der »zivilen« Sicherheitsforschung für den Auf- und Ausbau militärischer Kapazitäten als das BMBF. Auch wenn bislang nicht bekannt ist, wie hoch das Budget der zukünftigen EU-Sicherheitsforschung sein wird – Gerüchten zufolge ist mit einer deutlichen Erhöhung um 600 Mio. Euro zu rechnen –, fest stehen dürfte bereits heute, dass deutsche Forschungseinrichtungen und Unternehmen wieder zur »Spitzengruppe« der Profiteure gehören dürften, nachdem sie bereits in der ersten Runde an zwei Dritteln der Projekte beteiligt waren (BMBF 2011, S.40).

Literatur

BMBF (2003): Eine erste Bilanz – Futur: Der deutsche Forschungsdialog. Bonn.

BMBF (2007): Forschung für die zivile Sicherheit. Programm der Bundesregierung. Bonn/Berlin.

BMBF (2009a): Schutzsysteme für Rettungskräfte. Bonn.

BMBF (2009b): Schutz von Verkehrsinfrastrukturen. Bonn.

BMBF (2012): Forschung für die zivile Sicherheit 2012-2017. Rahmenprogramm der Bundesregierung. Bonn.

BMVg (2011a): Wehrwissenschaftliche Forschung. Jahresbericht 2010. Bonn.

BMVg (2011b): Ressortforschungsplan des Bundesministeriums der Verteidigung für 2011 ff. Bonn.

Deutscher Bundestag (2008): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion »Öffentlich geförderte wehrtechnische und bundeswehrrelevante Forschung«, BT-Drucksache 16/10156 vom 21.8.2008.

EMI (Hrsg.) (2010): Positionspapier des Wissenschaftlichen Programmausschusses zum nationalen Sicherheitsforschungsprogramm. Freiburg.

Engelhard, Norbert (2005): Bericht über die Ergebnisse der Konsultationsrunde mit dem BMVg. Vortrag gehalten auf der 54. Jahrestagung der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern am 5. Mai 2005 in Berlin.

European Commission (2011): Investing into Security Research for the Benefits of European Citizens. Security Research Projects under the 7th Framework Programme for Research. Luxemburg.

Europäische Kommission (2011): Vorschlag für Beschluss des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation »Horizont 2020« (2014-2020), KOM (2011) 811 endgültig vom 30.11.2011. Brüssel.

Fraunhofer VVS (2009): Sicherheit und Verteidigung im Fokus aktueller Forschung. Freiburg.

Group of Personalities (2004): Research for a Secure Europe. Report of the Group of Personalities in the Field of Security Research. Luxemburg.

INT (2006): Jahresbericht 2005. Euskirchen

Koalitionsvertrag (2005): Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11.11.2005.

Rachel, Thomas: Sicherheit – eine Frage der Technologie? Rede vom 10.10.2006.

Töpfer, Eric (2009): Entwicklungsauftrag »Zivile Sicherheit«. Metamorphosen und Symbiosen deutscher Wehrforschung. Bürgerrechte & Polizei/CILIP, Heft 94 (3/2009), S.21-27.

Töpfer, Eric (2011): Die Großen Brüder von INDECT. Telepolis, 28.11.2011.

Trischler, Helmuth (2009): Die Fraunhofer-Gesellschaft im deutschen Innovationssystem. Eine zeithistorische Perspektive. In: Jahresbericht 2008 der Fraunhofer-Gesellschaft. München: Fraunhofer-Gesellschaft, S.88-99.

Anmerkungen

1) Eigene Berechnungen des Autors auf Grundlage der Daten im Förderkatalog des Bundes zu »Referat 522«, zuständig im BMBF für die Sicherheitsforschung; foerderportal.bund.de/ foekat/ (Stand Oktober 2011).

2) Die Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern ist ein Gremium von Wissenschaftlern, das Bundesregierung und Innenministerkonferenz der Länder ehrenamtlich zu wissenschaftlichen und technischen Fragen des Zivilschutzes berät; schutzkommission.de.

Eric Töpfer arbeitet am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin. Der Aufsatz gibt die persönliche Sichtweise des Autors wieder.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/4 Rüstung – Forschung und Industrie, Seite 16–19