W&F 2010/3

Zivil, selbstbestimmt und politisch Handeln

NGOs im Kontext der Militarisierung des Humanitären

von Thomas Gebauer

Hauptziel der Entwickklungszusammenarbeit ist entsprechend dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU (Artikel 208) die Bekämpfung der Armut und auf längere Sicht deren Beseitigung. Der für dieses Gebiet zuständige deutsche Minister, Dirk Niebel, setzt offensichtlich andere Schwerpunkte. Er möchte die Entwicklungszusammenarbeit auf die Wahrung deutscher Interessen und die Zuarbeit zum Militär verpflichten. Anfang Mai stellte er im BMZ die neue NGO-Fazilität für Afghanistan vor. In dem Fördertopf sind 10 Millionen Euro enthalten, die nur an Organisationen gehen sollen, die sich zur Kooperation mit dem Militär bereit erklärt haben. Unser Autor geht ein auf die Gefahren, denen die zivilen Helfer an der Seite des Militärs ausgesetzt werden. Zivil-militärische Zusammenarbeit hat für ihn nicht die Zivilisierung eines militärischen Einsatzes zum Ziel, sondern die Steigerung dessen Wirksamkeit. Er fordert ein Recht auf Unabhängigkeit für die Hilfsorganisationen.

Zu den Merkmalen heutiger Kriege zählt die Unklarheit über den Status von Gewaltakteuren. Ob jemand als Soldat, protestierender Oppositioneller oder ziviler Sympathisant von Aufständen und feindlichen Einheiten anzusehen ist, das beschäftigt heute nicht nur Armeeführungen, sondern auch Völkerrechtler und Institutionen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Die Sorge ist groß, dass mit der Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden auch die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten immer schwerer fällt. Wie sollen Interventionskräfte Zivilpersonen begegnen, wenn diese gleichzeitig als potentielle Verbündete gelten, deren »hearts and minds« man erobern möchte, und als Sicherheitsrisiken, die es zu bekämpfen gilt? Der junge Mann an der Straßenecke, die Insassen des auf einen Checkpoint zufahrenden Autos, die Gruppen von Bauern auf dem Feld – immer bleibt Unsicherheit. Das gilt gerade auch für das Geschehen in Afghanistan, wo Umfragen nahelegen, dass eine Mehrheit der Menschen die Präsenz der ausländischen Truppen begrüßt, aber offenbar auch die Zahl derer wächst, die sich aktiv am Widerstand gegen die Internationalen Schutztruppen beteiligen (Henze 2010).

Solche Unsicherheiten sind nicht neu. Schon in früheren Kriegen haben Militärs in Zivilisten nicht einfach nur Unbeteiligte gesehen, sondern immer auch Akteure, die zumindest mittelbar in die Kampfhandlungen verwickelt sein können. Spätestens in den anti-kolonialen Guerilla-Kriegen ist die Zivilbevölkerung ins Visier von Militärs geraten. Der Auftrag der Truppen lautete Aufstandsbekämpfung, was neue Formen der Kriegsführung notwendig machte. Wie diese aussahen, das kann dem Bericht einer Tagung entnommen werden, die 1962 von der Rand Cooperation, einer Denkfabrik der US-Militärs, veranstaltet wurde. Bemerkenswert ist das Kapitel »Psychological Warfare and Civic Action«, das bereits alle Elemente heutiger Hearts and Minds-Strategien beschreibt: die Bedeutung von psychologischer Kriegsführung, die Notwendigkeit, auf die sozialen Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung zu antworten, das Bemühen, über den Bau von Gesundheitsstationen und Schulen die Unterstützung der Menschen zu gewinnen, die Rolle von Medien in der Propagandaarbeit sowie die Vorteile, die sich ergeben, wenn Civic Action Programme nicht von Zivilisten, sondern von Militärs gesteuert werden (Hosmer 1963).

Die neue Strategie Counterinsurgency entstand u.a. auf den Erfahrungen Großbritanniens in Malaysia (1948-1960), Frankreichs in Algerien (1954-1962) und der USA in Laos bzw. Vietnam. Sie wurde in den 60er Jahren erstmals systematisiert und später in militärische Direktiven und Planungsmanuale überführt. Erwähnt sei der »Counterinsurgency Planning Guide« der US Army Special Warfare School, Fort Bragg, an dem sich die Strategie für die US-Interventionen in Mittelamerika der 80er Jahre ausrichtete. Auch in Afghanistan ist die Kriegsführung der US-Truppen deutlich von Counterinsurgency geprägt. Sie wird ergänzt durch eine taktische Doktrin, durch Civil-Military-Cooperation, abgekürzt CIMIC.

Von Counterinsurgency zu CIMIC

CIMIC ist seit Mitte der 90er Jahre in der Diskussion. Mit den »Militärpolitische Leitlinien zur zivil-militärischen Zusammenarbeit« (CIMIC), MC 411/1 vom Juli 2001, erweitert in der »Allied Joint Publication« 9 (AJP-9) vom Juni 2003 lässt die NATO keinen Zweifel, dass CIMIC nicht die Zivilisierung eines militärischen Einsatzes zum Ziel hat, sondern die Steigerung dessen Wirksamkeit. CIMIC ist „die der Unterstützung des Auftrags dienende Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen dem NATO-Befehlshaber und den zivilen Akteuren, die Bevölkerung vor Ort ebenso eingeschlossen wie kommunale Behörden und nationale, internationale und Nichtregierungsorganisationen und Einrichtungen“ (NATO 2002).

Explizit werden Absicht und Funktion von CIMIC militärisch begründet. Es geht um die Unterstützung militärischer Missionen durch Zivilisten und nicht um die Konversion von Soldaten zu Aufbauhelfern. Drei Ziele sind dabei auszumachen:

die Vergrößerung des Aktionsradius von entsandten Truppen durch das Aufpolieren ihres Ansehens in der lokalen Bevölkerung,

der Aufbau von Beziehungen zu zivilen Akteuren, um leichter an Informationen für Lageberichte zu kommen und

der Schutz der Truppen vor Übergriffen, militärisch: Force Protection.

Auch wenn es der Öffentlichkeit immer wieder anders nahegelegt wurde, spielen entwicklungspolitische Überlegungen in CIMIC-Aktivitäten keine oder nur einen nachgelagerte Rolle. Es geht nicht um die Interessen der lokalen Bevölkerung, sondern um die Unterstützung der entsandten Truppen durch Schaffung bestmöglicher Einsatzbedingungen. Allein das ist der Grund, warum die ISAF-Truppen in Afghanistan Schulen gebaut haben. Von den Militärs durchgeführte soziale Projekte sollten die Akzeptanz der Soldaten in der Bevölkerung fördern und so die Gefahr, selbst Opfer von Anschlägen zu werden, reduzieren.

Eine besondere Form von zivil-militärischer Kooperation stellen in Afghanistan die »Provincial Reconstruction Teams« (PRTs) dar. In ihnen arbeiten Truppenverbände mit zivilen, zumeist staatlichen Entwicklungsexperten und diplomatischem Personal in festen Strukturen zusammen. Ursprünglich von der US-Armee initiiert, haben auch andere der in Afghanistan engagierten Länder das PRT-Konzept übernommen. 26 PRTs gab es Ende 2009. Deutschland ist für zwei verantwortlich: eines in Kundus, ein weiteres in Faizabad. PRTs leisten sowohl CIMIC-Aktivitäten mit der Funktion der Schaffung eines sicheren Umfeldes, koordinieren aber auch staatlich finanzierte Entwicklungsprogramme. Die deutschen PRTs, in denen Mitarbeiter der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit systematisch mit militärischen Kräften kooperieren, werden von einer Doppelspitze geführt, die aus einem Kommandeur der Bundeswehr und einen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes gebildet wird.

Aus humanitärer und entwicklungspolitischer Perspektive entpuppen sich beide, die PRTs wie CIMIC-Aktvitäten als höchst problematisch. Sie sind nicht nur teuer und wenig effizient (Oxfam 2010), sondern widersprechen auch fundamentalen entwicklungspolitischen Grundsätzen.

Die Entsendung und Unterstützung eines US Soldaten kostet ca. 1 Mio. Dollar pro Jahr, schätzt der »Congressional Research Service« in 2009. Das gilt auch für die Kräfte, die mit CIMIC-Aufgaben betraut werden. Im Vergleich dazu belief sich die Summe, die in den zurückliegenden Jahren in Afghanistan pro Kopf und Jahr für Entwicklungshilfe aufgewendet wurde, auf gerade mal 93 Dollar (Belasco 2009). Und obwohl die USA bislang über 1 Mrd. Dollar für Hearts and Minds Projekte ausgegeben haben, ist deren Wirkung nie ausreichend evaluiert worden. In den Worten eines Clanchefs aus der Provinz Paktia: „Es ist besser, weniger von einer nachhaltigen Quelle zu haben, als viel auf einmal zu bekommen […] wir brauchen niemanden, der uns Kekse gibt und wir brauchen auch keine Aufbauprojekte, die nach einem Jahr wieder in sich zusammenfallen.“ (Oxfam 2010, S.2).

Und das ist das eigentliche Problem: Um das Ansehen der entsandten Truppen in der lokalen Bevölkerung zu erhöhen, müssen CIMIC-Maßnahmen rasche Erfolge bringen. Es fehlt die Zeit, Hilfsprojekte in gemeinsamer Verantwortung mit der Bevölkerung zu planen und umzusetzen. Notwendig ist der »Quick Impact«, auch wenn darunter die Nachhaltigkeit von Hilfsprojekten leidet. Statt sich von partizipativen Prozessen und damit Ownership leiten zu lassen, setzen Militärs auf jenen Top-Down-Ansatz, der ihnen aus soldatisch eingeübten Hierarchien und Abläufen bekannt ist. Quick-Impact-Projekte tendieren dazu, von außen übergestülpt zu werden und dabei jene Eigenständigkeit zu gefährden, die entwicklungspolitisch beabsichtigt ist. Insbesondere die PRTs stehen in der Kritik, fragwürdige Parallelstrukturen zu fördern und so dem politischen Ziel, in Afghanistan das State Building zu fördern, zuwiderzulaufen.

Es sind nicht persönliche Defizite, sondern strukturelle Unverträglichkeiten, die aus Soldaten schlechte Aufbauhelfer machen. Wenn beispielsweise die Bundeswehr in Afghanistan Brunnen bohrt, um den eigenen Schutz zu erhöhen, dann bohrt sie Brunnen vor allem entlang ihrer Patrouillerouten und nicht in den abseits gelegenen Dörfern. Das schafft regionale Disparitäten und erzeugt Neid und Begehrlichkeiten bei denen, die nicht begünstigt wurden. Tatsächlich ist es vorgekommen, dass Brunnenanlagen bei Nacht und Nebel von denen geklaut wurden, die keine bekommen hatten. Statt die Lage zu befrieden, haben Soldaten so Zwist gesät. Zwist, der schließlich ausgerechnet jenen Warlords in die Hände spielte, deren Einfluss im Rahmen des State Building eigentlich gebrochen werden sollte. Die nämlich konnten sich dann als Schlichter in Szene setzen und ihre Macht stabilisieren.

Bedrohte Helfer

Medizinische Hilfe und Minen räumen

Ein umfangreiches Minenräumprogramm steht seit mehreren Jahren im Mittelpunkt des Engagements von »medico international« in Afghanistan. Bei dem vom Auswärtigen Amt geförderten Programm arbeitet »medico« eng mit der afghanischen NGO »Mine Detection and Dog Centers (MDC)« zusammen. Es geht darum, die Gefährdung der ländlichen Bevölkerung durch Minen zu reduzieren und Flächen landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Alleine 2009 konnten 114 Minenfelder geräumt und damit eine Fläche in der Größe von 1439 Fußballfeldern an die Bevölkerung übergeben werden. Ein kleiner Beitrag gegen zunehmende Verarmung und Arbeitslosigkeit, ein wichtiger Beitrag, der Mut macht auf dem Lande zu bleiben.

Eine Arbeit, die nicht ungefährlich ist. Immer wieder sind Mitarbeiter des MDC Opfer des eskalierenden Krieges geworden. Acht Minenräumer wurden getötet, mehrere schwer verletzt und dreimal wurden MDC-Minenräumteams entführt. Sie kamen später wieder frei – allerdings ohne die teure Ausrüstung.

Als zweites Projekt unterstützt »medico« die Kabuler Poliklinik von MDC, deren Angebotspalette von Allgemeinmedizin über zahnärztliche Versorgung bis hin zu Gynäkologie und Physiotherapie reicht. Im letzten Jahr wurden hier täglich 120-150 Patienten betreut, darunter vor allem Frauen aus der lokalen Bevölkerung. Aus Spendenmitteln finanzierte »medico« u.a. die gruppentherapeutische Arbeit einer Psychologin, die Frauen einen geschützten Raum bietet, in dem sie über die psychischen Folgen des Krieges sprechen können – für Afghanistan in jeder Hinsicht außergewöhnlich.

»medico international« gehört zu den deutschen NGOs, die seit Jahren einen Strategiewechsel in Afghanistan fordern – weg vom militärischen, hin zum zivilen Engagement – und die eine zivil-militärische Zusammanarbeit ablehmen.

Timm Raucke

Gefährlich aber sind CIMIC-Aktivitäten nicht zuletzt für Hilfsorganisationen, die in Kriegsregionen tätig sind. Aufgrund der Vermischung von zivilem mit militärischem Handeln geraten auch sie in Verdacht, Teil militärischer Strategien zu sein. Mit dramatischen Folgen: In Afghanistan zählte allein in 2009 das regierungsunabhängige »Afghanistan NGO Safety Office« (ANSO) 172 Übergriffe auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. 19 Aufbauhelfer, alle lokale afghanische Mitarbeiter, kamen dabei ums Leben (ANSO 2009). Zunehmend richten sich die Anschläge der bewaffneten Oppositionsgruppen auch auf das Personal von Krankenhäusern, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Nicht zuletzt die afghanischen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen stehen unter einem verstärkten Druck. Zu Recht sorgen sie sich um ihre Sicherheit, weil schon der Verdacht, mit Ausländern im Kontakt zu stehen, Unheil heraufbeschwören kann. Wer bei Straßensperren der Opposition mit einer falschen Visitenkarte angetroffen wird, muss um sein Leben fürchten.

Ganz offenbar ist das Ziel der internationalen Schutztruppen, ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau des Landes zu schaffen, gescheitert. Längst haben die Hilfsorganisationen begonnen, die Nähe zu den ausländischen Soldaten zu meiden, weil deren Präsenz keineswegs ein Mehr an Schutz birgt, sondern ein zusätzliches Risiko bedeutet.

Und die Gefahren, denen sich Mitarbeiter von Hilfsorganisationen ausgesetzt sehen, könnten sogar noch zunehmen. Mitte 2009 pries das US-State Department auf einer seiner Website z.B. die Arbeit von humanitären Minenräumern als probates Mittel der Aufstandsbekämpfung: Minenräumer bezögen ein Gehalt, weshalb sie weniger anfällig seien, sich der bewaffneten Opposition anzuschließen, hieß es (Villano 2009). Schritt für Schritt hat der Krieg in Afghanistan humanitäre und entwicklungspolitische Vorhaben erfasst und strategischen Zielen untergeordnet. Der Bau von Schulen und Krankenstationen, das Räumen von Minen, die Förderung landwirtschaftlicher Alternativen zum Drogenanbau – all das droht zu einem Teil von Counterinsurgency zu werden. Unverblümt heißt es im »Commanders Guide to Money as a Weapon System«, einem Field Manual der US-Armee, dass Hilfe eine nicht-tödliche Waffe sei, die gezielt einzusetzen ist, um den Kampf gegen Aufständische zu effektivieren (US Army Combined Arms Center 2009).

In der Provinz Kunar stehen der US Armee 150 Millionen Dollar für Projekte im zivilen Umfeld zur Verfügung. Dagegen beträgt das Budget der amerikanischen Entwicklungshilfebehörde, US-AID, für diese Provinz ganze 10.000 Dollar (Traub 2010). Wer Hilfe als Waffensystem betrachtet, wird – wenn es ihm nützlich erscheint – auch mit Warlords kooperieren, unabhängig davon, ob dies entwicklungspolitisch sinnvollen Ansätzen entgegensteht. Genau das geschieht in Afghanistan (Thöner 2010).

Zu den Folgen der Militarisierung von Hilfe zählt, dass Entscheidungen über die Vergabe von Mitteln nicht mehr an den Bedürfnissen der Menschen, sondern an deren Loyalität gegenüber den Streitkräften ausgerichtet werden. In Afghanistan fließt heute das Gros der Hilfe in jene Landesteile, die von strategischen Interessen sind, während vergleichsweise ruhige Provinzen, wie das Hazarajat, wo doch eigentlich ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau bestünde, weniger von Hilfen profitieren.

Angesichts der Armut, die in Afghanistan herrscht, gibt es zur Hilfe von außen oftmals keine Alternative. Dass sie dennoch vielerorts nicht mehr geleistet werden kann, ist nicht zuletzt die Folge ihrer Instrumentalisierung für militärische Zwecke. Damit hat eine bemerkenswerte Umkehrung dessen stattgefunden, was all die Jahre zur Rechtfertigung des Afghanistan-Einsatzes öffentlich bekundet wurde: Die Entsendung von Truppen dient nicht mehr dazu, ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau zu schaffen, vielmehr sind es die zivilen Maßnahmen, die nun zur Absicherung des militärischen Handelns beitragen.

VENRO, der Dachverband der deutschen entwicklungspolitischen NGOs, ist mit den sicherheitspolitischen Konzepten, die den Afghanistan-Einsatz in den zurückliegenden Jahren geleitet haben, immer wieder ins Gericht gegangen ist (VENRO 2003; VENRO 2009). Zivil-militärische Zusammenarbeit sei keine Kooperation unter Gleichen, sondern bedeute die Unterordnung von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit unter militärische Vorgaben. Gemeinsam mit den Organisationen der afghanischen Zivilgesellschaft verlangt VENRO einen Stopp jeglicher Militarisierung von Hilfe. Und auch das IKRK lässt keine Zweifel daran, dass „military forces should not be directly involved in humanitarian action“, so das offizielle Statement des IKRK auf einer Tagung zur Frage zivil-militarischer Zusammenarbeit in Montreux 2000: „Humanitarian agencies must be allowed to maintain their independence of decision and action“ (ICRC 2000).

Die Rolle der Hilfsorganisationen

Zu Recht pochen Hilfsorganisationen auf ihre Unabhängigkeit. Sie setzten sich zur Wehr, als zu Beginn des Irak-Krieges 2003 der damalige US-Außenminister Colin Powell unverblümt davon sprach, Hilfsorganisationen seien ein „Machtmultiplikator und wichtiger Teil der eigene Truppen“. Und sie verlangen heute, dass öffentliche Zuschüsse für ihre Arbeit nicht an die Bereitschaft geknüpft werden, mit den Streitkräften zusammenzuarbeiten, wie dies von der neuen Bundesregierung erwogen wurde.

Und doch tun NGOs gut daran, wenn sie politische Unabhängigkeit nicht mit dem Verzicht auf politisches Handeln verwechseln. Gerade das Geschehen in Afghanistan macht deutlich, wie gefährlich die Vorstellung ist, Hilfe mische sich nicht ein, sondern könne sozusagen zwischen allen Fronten neutral bleiben. Alles Pochen auf Neutralität hat die Helfer nicht davor geschützt, von allen Seiten instrumentalisiert bzw. bekämpft zu werden. Auch Warlords wissen, wie sie sich die Arbeit von Hilfsorganisationen zu nutze machen können.

So sehr es stimmt, dass mit der Verwischung von Grenzen zwischen dem Militärischen und dem Zivilen die Gefahren für die Helfer zugenommen haben, so wenig ist zu leugnen, dass Hilfsorganisationen auch deshalb angegriffen werden, weil sie zu einer Normalisierung von Lebensumständen beitragen. Genau daran aber haben beispielweise terroristische Gruppierungen, Drogenbarone und andere Akteure, die zur Sicherung ihrer Macht auf ein Klima der Angst setzen, keine Interesse. Das gilt auch für Afghanistan, wo jedes Anzeichen von sozialer Entwicklung und selbst nur funktionierende Nothilfebemühungen die Konfliktdynamik zugunsten der Regierung und die sie unterstützenden Truppen beeinflussen würden. Es sind die sozialen Nöte der Menschen, die Armut, das Fehlen verlässlicher Verwaltungen, die Korruption, die in die Hände der Taliban spielen. Auf diese Weise ist Hilfe, die auf demokratische Beteiligung und soziale Gerechtigkeit setzt, nie neutral, sondern greift immer in die Kräfteverhältnisse ein, die zwischen Konfliktgegnern bestehen.

Auf Dauer werden Hilfsorganisationen ihre Unabhängigkeit nur dann verteidigen können, wenn sie sich politisch einmischen und auf (welt)-gesellschaftliche Verhältnisse drängen, die es zulassen, das Konflikte auf andere als militärische Weise gelöst werden können. Die weitere Militarisierung von Hilfe ist nur zu stoppen, wenn eine Politik des sozialen Ausgleichs mit der flagranten Forcierung von sozialer Spaltung Schluss macht. Nicht die Militarisierung von Politik, sondern die Re-Politisierung von Konflikten ist gefragt, ganz so wie es schon die Propheten wussten: „Und der Gerechtigkeit Frucht wird der Friede sein.“ (Jesaja 32, 17).

Literatur

ANSO – Afghanistan NGO Safety Office (2009): The ANSO Report. Issue 40.

Belasco, Amy (2009): The Cost of Iraq, Afghanistan, and Other Global War on Terror Operations Since 9/11. Congressional Research Service. http://www.fas.org/sgp/crs/natsec/RL33110.pdf .

Henze, Arnd (2010): Die Hoffnung kehrt zurück nach Afghanistan. Westdeutscherrundfunk (WDR). http://www.tagesschau.de/ausland/afghanistanumfrage144.html.

Hosmer, Stephen T. (1963): Counterinsurgency – A Symposium, April 16–20, 1962. Rand Cooperation. http://www.rand.org/pubs/reports/2006/R412-1.pdf.

ICRC – International Committee of the Red Cross (2000): The ICRC and civil-military cooperation in situations of armed conflict. Official Statement: 03.02.2000. http://www.icrc.org/Web/eng/siteeng0.nsf/htmlall/57JQBD?OpenDocument.

NATO – North Atlantic Treaty Organisation (2002): MC 411/1 – NATO Military Policy on Civil-Military Co-operation. http://www.nato.int/ims/docu/mc411-1-e.htm.

Oxfam (2010): Quick Impact, Quick Collapse – The Dangers of Militarized Aid in Afghanistan. http://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/quick-impact-quick-collapse-jan-2010.pdf.

Thörner, Marc (2010): Afghanistan-Code. Reportagen über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie. Hamburg: Edition Nautilus.

Traub, James (2010): Surge Incapacity – Let‘s face it: America just isn‘t very good at nation-building. Foreign Policy: 08.03.2010. http://www.foreignpolicy.com/articles/2010/03/08/surge_incapacity.

US Army Combined Arms Center (2009): Commanders Guide to Money as a Weapon System – Tactics, techniques and Procedures. US Army Financial Management School: April. http://usacac.army.mil/cac2/call/docs/09-27/09-27.pdf.

VENRO – Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungs-organisationen (2003): Streitkräfte als humanitärer Helfer? Mai. http://www.venro.org/fileadmin/Publikationen/arbeitspapiere/PositionspapierStreitkraefteundhumanitaereHilfe.pdf.

VENRO – Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungs-organisationen (2009): Fünf Jahre deutsche PRTs in Afghanistan. Januar. http://www.venro.org/fileadmin/Publikationen/Afghanistan-Positionspapier_PRT.pdf.

Villano, Peter (2009): Community-Based Demining Links Development and Counterinsurgency in Afghanistan. US Department of State official Blog: 23.Juni. http://blogs.state.gov/index.php/entires/demining_afghanistan/.

Thomas Gebauer, Diplom Psychologe, ist Geschäftsführer von medico international. Der vorliegende Artikel basiert auf einem wesentlich umfangreicheren Beitrag, den der Autor für »Afghanistan: Ein Krieg in der Sackgasse« geschrieben hat. Das von Johannes Becker und Herbert Wulf herausgegebene Buch wird zur Frankfurter Buchmesse erscheinen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/3 Afghanistan: Krieg ohne Ende, Seite 30–33