W&F 2021/2

Zivilgesellschaft im Völkerrecht

Wenn die Anklage von »unten« kommt

von Andreas Schüller

Soziale Bewegungen haben sich immer wieder das Recht zu eigen gemacht und dafür genutzt, Veränderungen zu erkämpfen. Zwar spiegelt das Recht allzu häufig vergangene oder bestenfalls bereits erkämpfte gesellschaftliche Verhältnisse wider. Dennoch liegt in der Schaffung neuen Rechts sowie in der Auslegung und Anwendung des bestehenden Rechts auf im Wandel begriffene gesellschaftliche Verhältnisse ein Potential, das gesellschaftliche Akteur*innen für ihre Anliegen nutzbar machen können. Dies gilt auch oder gerade für das Völkerrecht, in dem es an einer alleinigen höchstrichterlichen Instanz mangelt und das durch eine Vielfalt von gerichtlichen Entscheidungen, staatlicher Praxis und wissenschaftlichen Ausführungen stetiger Veränderung unterliegt.

Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind sehr vielfältig und verfolgen in ihrer Diversität ihre Ziele mit den unterschiedlichsten Methoden und Herangehensweisen. Dies gilt ebenso für die Art, in der sie Recht mobilisieren. Soziale Bewegungen, die ihre Veränderungskraft vor allem durch die Mobilisierung von Mitstreiter*innen in Protesten im öffentlichen Raum erlangen, nutzen das Recht oftmals, um einzelnen Forderungen durch gerichtliche Entscheidungen Nachdruck zu verleihen (so beispielsweise die Eilentscheidungen zur Rodung des Hambacher Forsts zugunsten der dort aktiven Protestierenden).

Nichtregierungsorganisationen dagegen setzen zum einen auf rechtliche Interventionen, um Denkmuster aufzubrechen und mit voller Wucht Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen (wie etwa die Strafanzeige des ECCHR beim Internationalen Strafgerichtshof gegen mehrere europäische Rüstungskonzerne wegen Kriegsverbrechen im Jemen). Zum anderen führen sie strategische Prozesse, um einzelne Veränderungen in der Rechtsprechung herbeizuführen, die dann wiederum zu politischen und gesellschaftlichen Veränderungen beitragen sollen.

Gesellschaftliche Akteur*innen arbeiten also ebenso mit am Recht und mit dem Recht, sei es durch ihre Kampagnenarbeit, um neue völkerrechtliche Verträge zu schaffen (z.B. die Schaffung des Atomwaffenverbotsvertrages durch ICAN), sei es durch Klagen, Beschwerden und Strafanzeigen. Mit letzteren sollen staatliche und internationale Gerichte, Ausschüsse und Staatsanwaltschaften dazu angehalten werden, sich mit bestimmten Sachverhalten zu befassen, diese aufzuarbeiten und Entscheidungen herbeizuführen. Über diese konkreten juristischen Mittel hinaus dienen zudem Veranstaltungen (wie wissenschaftliche Symposien) dazu, konkrete Rechtsfragen diskutieren und weiterentwickeln zu lassen.

Mobilisierungsmöglichkeiten des Völkerrechts

Das Völkerrecht diente im 16./17. Jahrhundert als Recht zwischen Staaten, um etwa Handelsbeziehungen zu regeln oder um in den Folgejahrhunderten ganze Völker zu Zeiten des Kolonialismus vom Recht auszuschließen und auszubeuten. Nach den zwei Weltkriegen kam dann die Aufgabe hinzu, Frieden und Sicherheit zwischen Staaten zu gewährleisten. In den letzten Jahrzehnten hat das Völkerrecht jedoch Öffnungen erfahren, die gesellschaftliche Akteur*innen gezielt nutzen können. Dazu haben Nichtregierungsorganisationen beigetragen, die durch Kampagnen auf die Schaffung neuer völkerrechtlicher Abkommen hingewirkt haben.

Vor etwa 150 Jahren begann die Rotkreuzbewegung, Staaten dazu zu bewegen, sich Regeln auf dem Schlachtfeld zum Schutz Verwundeter zu geben. Ergebnis dieser Arbeit war die erste Genfer Konvention (1864). Das darin ausgedrückte Bestreben wurde von erfolggekrönten zivilgesellschaftlichen Initiativen zum Verbot der Folter oder bestimmter Waffen (wie Landminen) fortgesetzt, bis hin zum Einsatz für einen ständigen internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in den 1990er Jahren. Zuletzt lässt sich diese Arbeit der gezielten Schaffung internationalen Rechts bei Initiativen zu menschenrechtlichen Verpflichtungen transnationaler Unternehmen sowie Initiativen zur Kriminalisierung des Ökozids beobachten. Es sind also immer wieder gesellschaftliche Akteur*innen, die neue Themen auf die Agenda bringen und im besten Falle Staaten dazu bewegen, neue völkerrechtliche Regeln zu verhandeln und zu schaffen.

Dabei findet sich das Völkerrecht mittlerweile nicht nur in zwischenstaatlichen Abkommen wieder, sondern häufig auch in staatlichen Umsetzungsgesetzen. So ist das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, durch das nach dem Weltrechts­prinzip Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von der deutschen Justiz strafrechtlich verfolgt werden können, ein nationales Gesetz. Die völkerrechtlichen Bezüge, insbesondere zum »Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs« sind jedoch unübersehbar. Auch die dem deutschen Grundgesetz immanente Völkerrechtsfreundlichkeit in den Artikeln 25 und 59 GG (vgl. BVerfG 2004, Rn. 93) bindet deutsche Gerichte jeder Instanz an das Völkerrecht und eröffnet Möglichkeiten, Völkerrechtsverletzungen einzuklagen, sofern ein Bezug zu Deutschland besteht.

Es gibt daher eine Vielzahl von Foren, vor die völkerrechtliche Streitigkeiten gebracht werden können. Von nationalen zu internationalen Gerichten, von Verwaltungs- zu Strafgerichten und Staatsanwaltschaften bis hin zu UN-Ausschüssen, Sonderberichterstatter*innen und anderen internationalen Mechanismen.

All dieser völkerrechtlichen Rechtsetzung und nationalen Implementierung bedarf es jedoch auch, um Völkerrecht zivilgesellschaftlich überhaupt nutzbar und gerichtlich durchsetzbar zu machen. Denn nur dann können gesellschaftliche Akteur*innen das Recht für sich beanspruchen und in ihre Arbeit aufnehmen, um gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. In einer globalisierten Welt gibt es kaum mehr Bereiche, in denen es keine internationalen, grenzüberschreitenden Bezüge gibt. Doch das Recht ist nicht immer für die Regelung wirklich transnationaler Sachverhalte gemacht. Lücken, die den transnationalen Zugang zum Recht erschweren, sind oftmals von Staaten in den Vertragsverhandlungsprozessen bewusst offengelassen worden (wie weiter unten zum Römischen Statut näher ausgeführt). Einzelne Zusatzprotokolle, die den Zugang zu Rechtsdurchsetzungsmechanismen vorsehen, ratifizieren Staaten nicht (wie Zusatzprotokolle zum UN-Zivilpakt und zum UN-Sozialpakt) oder sie erklären Vorbehalte gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens zu völkerrechtlichen Verträgen, der die Rechtswirksamkeit einzelner Vorschriften aussetzt.

Dennoch gibt es Möglichkeiten für zivilgesellschaftliche Akteur*innen, über eine internationale Vernetzung und Zusammenarbeit, das Recht transnational nutzbar zu machen. So konnten etwa pakistanische Textilarbeiter*innen Zugang zu Gerichten am Hauptstandort eines Unternehmens in Deutschland bekommen, wie im »KiK-Fall« des ECCHR vor dem Landgericht Dortmund, um dort auf Entschädigung für den Tod ihrer Angehörigen durch den Fabrikbrand an einer der Produktionsstätten zu klagen (vgl. ECCHR Fallbeschreibung 2020).

Fälle von Rechtsmobilisierung von unten

Der KiK-Fall ist ein gutes Beispiel dafür, wie Betroffene in einer globalisierten Welt ihre Stimme erheben und durch eine Klage am Hauptstandort des Unternehmens – oft weit entfernt von den eigentlichen Produktionsstätten – die Geschäftspraktiken sichtbar machen können. Diese Klage im spezifischen hat der Politik zudem drastisch vor Augen geführt, wie schutzlos diejenigen am Anfang der Lieferkette sind und dass die Unternehmensverantwortung rechtlich verbindlich geregelt werden muss, um fairere Bedingungen in der gesamten Lieferkette zu schaffen. Die momentan stattfindende Beratung eines entsprechenden Gesetzes in Deutschland, nach dem Unternehmen rechtlich verbindlich ihre Tätigkeiten und die ihrer Zulieferer auf die Einhaltung von Menschenrechten hin überprüfen müssten, verdeutlicht die teils konträren Positionen von Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Vor allem macht sie den Widerstand sichtbar, den Teile der Wirtschaft und wirtschaftsnahe Verbände gegen rechtlich verbindliche Regelungen zu Haftung und Klagemöglichkeiten hegen.

Ein anderes Beispiel betrifft den globalen Einsatz bewaffneter Drohnen durch die USA, der ohne ein weitgespanntes Netz von Datenströmen, Analysezentren und Drohnenstartplätzen nicht möglich wäre. Von Drohnenangriffen Betroffene wie Familie Bin Ali Jaber aus Hadramaut im Jemen klagten nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland (aktuell vor dem Bundesverfassungsgericht, vgl. ECCHR 2021), da ohne Fernmeldepräsenzpunkte sowie das Analysezentrum der US-Streitkräfte in Ramstein Drohneneinsätze im Jemen nicht möglich wären (vgl. BVerwG 2020). Dadurch, dass deutsche Behörden über das Grundgesetz an das Völkerrecht gebunden sind, kann gegen völkerrechtswidrige Handlungen vor deutschen Verwaltungsgerichten geklagt werden. Diese Klagemöglichkeit können auch Kläger*innen aus dem Ausland beanspruchen, die primär einer rechtswidrigen Handlung eines dritten Staates, hier der USA, ausgesetzt sind, aber eben unter Mitwirkung deutscher Behörden. Letztere müssen sich vorhalten lassen, völkerrechtswidrige Praktiken Verbündeter mitzutragen und es nicht zu schaffen, innerhalb des Bündnisses für die Respektierung und Stärkung des Völkerrechts wirksam einzutreten. Die USA wiederum schaffen es zwar, solche Fälle aus dem eigenen Rechtssystem herauszuhalten (mit der Begründung, dies gefährde die nationale Sicherheit), sehen sich aber mit Gerichtsentscheidungen aus anderen Ländern konfrontiert, die ihre Handlungen als völkerrechtswidrig einstufen.

Solche Entscheidungen können es Staaten erleichtern, auf zwischenstaatlicher Ebene eine rechtliche Position gegen einen mächtigen Staat zu beziehen, da gerade in den zwischenstaatlichen Beziehungen und den UN-Gremien um die Einhaltung des Völkerrechts gerungen wird. Aus einem strategischen Blickwinkel gesehen geht es in diesen Fällen aber auch um die Klärung, ob und inwiefern Gerichte exekutives Handeln überprüfen müssen. In außenpolitischen Entscheidungen können Gerichte insgesamt nur sehr zurückhaltend prüfen. Wenn es aber um Eingriffe in höchste Rechtsgüter wie Leib und Leben geht, muss eine Überprüfbarkeit gewährleistet sein und der außenpolitische Entscheidungsspielraum der Exekutive entsprechend gerichtlich eingeengt werden.

Ähnliches, wenn auch gänzlich anders gelagert, betrifft die Strafanzeigen nach dem Weltrechtsprinzip, wonach die deutsche Justiz Völkerstraftaten wie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit verfolgen kann. Hintergrund für dieses Prinzip ist die Feststellung, dass diese Taten die Weltgemeinschaft als Ganzes betreffen, wie in völkerrechtlichen Abkommen wie dem Römischen Statut festgehalten. Die deutsche Justiz führt hier stellvertretend für eine internationale Justiz die Verfahren. Dies ist nur bei einem sehr eingeschränkten Kreis von Straftaten möglich; nicht jede Menschenrechts- oder Völkerrechtsverletzung kann so vor deutschen Gerichten strafrechtlich verfolgt werden.

Was aber möglich ist, zeigen die Verfahren zu Folter und sexualisierter Gewalt in Syrien, wie etwa das »Al-Khatib Verfahren« vor dem OLG Koblenz (vgl. ibid. 2021). Überlebende von Folter und sexualisierter Gewalt haben Anzeigen erstattet und ihre Zeugenaussagen beim Bundeskriminalamt getätigt sowie später im Prozess ausgesagt. Zusammen mit weiteren Beweismitteln, wie etwa den Fotos eines ehemaligen syrischen Militärfotografen, der unter dem Pseudo­nym »Caesar« bekannt ist, hat dies im Februar 2021 zu einer ersten Verurteilung eines ehemaligen Mitarbeiters des syrischen Regimes geführt. Vor allem aber hat es auch viel Licht auf die Verbrechen des Assad-Regimes geworfen. Weitere Urteile und Verfahren sind zu erwarten, nicht nur in Deutschland, da sich syrische Überlebende zusammen mit syrischen Nichtregierungsorganisationen, Rechtsanwält*innen und europäischen Partnern (wie dem ECCHR) an Strafverfolgungsbehörden in vielen Ländern gewandt haben, um Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip zu initiieren. Diese Strafverfahren sind von höchster Bedeutung für die mittel- und langfristige Zukunft Syriens, da auch jetzt schon staatliche Verbrechen aufgearbeitet werden. Diese Aufarbeitung kann dann in der Zukunft eine wichtige Rolle für die innergesellschaftliche Aushandlung in Syrien spielen, in der Bestimmung von schwerstem Unrecht und dem Umgang damit.

Herausforderungen und Begrenzungen der Völkerrechtsmobilisierung

Gesellschaftliche Akteur*innen handeln in dem rechtlichen Rahmen, der ihnen vorgegeben ist. Wie oben beschrieben, gibt es zwar Möglichkeiten, die Schaffung von völkerrechtlichen Abkommen zu beeinflussen, letztlich verhandeln, verabschieden und ratifizieren jedoch Staaten diese Abkommen. Darin arbeiten Staaten immer wieder Klauseln ein, die es ihnen ermöglichen, sich der Bindung völkerrechtlicher Abkommen zu entziehen – wie im Folgenden anhand des Römischen Statuts ausgeführt werden wird. Hierin zeigt sich der Kompromiss­charakter, der jeder multilateralen Entscheidung zu Grunde liegt und es häufig erschwert, das Recht gegen Staaten zu erkämpfen und durchzusetzen.

Als Beispiel hierfür kann das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs dienen. An mehreren Stellen ist die Handschrift von Staaten sichtbar, die in der Absicht handelten, die Wirkung des Statuts und die Handlungsmöglichkeiten des IStGH einzuschränken. Der Gerichtshof ist in Folge dessen nicht dem Weltrechtsprinzip unterworfen, obwohl gerade für die Straftaten des Statuts (Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) die Staatengemeinschaft unabhängig von Tatort und Herkunft der Täter*innen zu Gericht sitzen sollte. Die Zuständigkeit des IStGH beschränkt sich auf das Staatsgebiet der Mitgliedsstaaten sowie deren Staatsangehörige. Dem UN-Sicherheitsrat ist es zudem erlaubt, bestimmte Situationen gesondert zu überweisen. Letzterer steht bekanntlich unter Vetovorbehalt der fünf Ständigen Mitglieder. Art. 16 des Römischen Statuts ermöglicht es dem Sicherheitsrat darüber hinaus, Ermittlungen des Strafgerichtshofs für ein Jahr auszusetzen. Diese Resolution kann beliebig oft erneuert werden.

Als drittes Einfallstor in das Statut dient das sogenannte »Komplementaritätsprinzip«, nach dem der IStGH nur zuständig ist, wenn Staaten nicht in der Lage oder willens sind, die Ermittlungen selbst zu führen. Was es dabei heißt »nicht willens zu sein« hat Ende 2020 eine Entscheidung der Anklagebehörde des IStGH in Bezug auf Kriegsverbrechen britischer Streitkräfte im Irak gezeigt (IStGH 2020). Obwohl es in Großbritannien keine einzige strafrechtliche Verurteilung einer Täter*in oder einer*eines Vorgesetzten gegeben hat, befand die Anklagebehörde des IStGH, dass Großbritannien seine Soldat*innen nicht absichtlich vor internationaler Strafverfolgung schütze und stellte das Vorverfahren ein. An dieser Stelle scheiterte die Zivilgesellschaft, die zwar über Jahre Druck auf britische Behörden und die IStGH-Anklagebehörde aufbauen konnte, letztlich aber diese internationale Behörde nicht dazu bewegen konnte, einen couragierten und rechtlich durchaus möglichen Schritt nach vorne zu machen.

Dieses Beispiel verdeutlicht die Begrenzungen der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung des Völkerrechts. Zum einen ist es von großer Bedeutung, rechtliche Verfahren anzustoßen und Fälle vor Gerichte und Behörden zu bringen, um diese zur Beschäftigung mit den Sachverhalten zu zwingen. Auf der anderen Seite müssen dem aber auch Richter*innen und Staatsanwält*innen gegenüberstehen, die das Völkerrecht entsprechend auszulegen und anzuwenden bereit sind. Da viele solcher transnationalen Verfahren neue Rechtsfragen betreffen, die höchstrichterlich bislang nicht entschieden sind, sind meistens mehrere juristische Argumentationen vertretbar, so dass es durchaus Spielräume gibt, die gesellschaftliche Akteur*innen ausschöpfen können.

Globales Netz

Letztlich spielen der Zeitgeist und gesellschaftliche Veränderungen auch in rechtliche Entscheidungen hinein. Neue Entwicklungen technischer oder gesellschaftlicher Natur können über die Zeit durch rechtliche Spielräume bei der Auslegung einzelner Normen unter bestehendes Recht subsumiert werden. Für eben diese Veränderungen ist die (strategische) Mobilisierung des Rechts durch gesellschaftliche Akteur*innen unabdingbar. Diese sollten das Recht als Vehikel in ihrem Aktivismus mitdenken und nutzen, allerdings nicht als einziges Mittel und nicht losgelöst von anderweitiger Arbeit an Kampagnen, Protest oder Kunst. In einer zu starken Fokussierung auf die Mobilisierung des Rechts liegt auch immer die Gefahr, dass Ressourcen zu einseitig eingesetzt werden. Da juristische Verfahren immer auch Verzögerungen und Rückschläge erfahren können, müssen sie parallel durch andere (Aktions-)Formate begleitet werden. Nur so kann eine Kontextualisierung der dem Rechtsstreit immanenten gesellschaft­lichen und sozialen Probleme gelingen.

Die globale Vernetzung heutiger Gesellschaften kann dazu wirkungsvoll genutzt werden: Gerade das Völkerrecht kann rechtliche Entwicklungen beeinflussen, durch Entscheidungen auf internationaler Ebene oder in einem Drittstaat mit entsprechender rechtlicher Zuständigkeit, die zivil­gesellschaftliche Akteur*innen in ihrem jeweiligen Umfeld oder Land bislang nicht erreichen konnten. Um dieses Potential zu nutzen, ist eine globale Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen enorm wichtig, damit rechtliche Interventionen an einem Ort Wirkungen an einem ganz anderen Ort erzielen und entfalten können. Darin liegt die große Chance der Mobilisierung des (Völker-)Rechts von unten.

Literatur

Bundesverfassungsgericht (BVerfG) (26. Oktober 2004), Beschluss Zweiter Senat, Aktenzeichen 2 BvR 955/00 und 2 BvR 1038/01.

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) (2020): Urteil zu US-Drohneneinsätzen. Aktenzeichen 6 C 7.19. Pressemitteilung 68/2020.

European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) (2020): Fallbeschreibung Fabrikbrand in Pakistan: Billige Textilproduktion, lebensgefährliche Arbeit. ECCHR.eu

ECCHR (2021): Ramstein vor Gericht: Deutschlands Rolle bei US-Drohnenangriffen im Jemen. ECCHR.eu

Oberlandesgericht Koblenz (2021). Verfahren zu syrischer Staatsfolter. Aktenzeichen 1 StE 3/21.

Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) (2020). Abschlussbericht zu Vorermittlungen in der Situation UK/Irak.

Andreas Schüller ist Rechtsanwalt und Programmdirektor für Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2021/2 Völkerrecht in Bewegung – Von Kritik, Krisen und Erneuerung, Seite 23–26