W&F 1999/2

Zum Krieg

Stimmen aus dem Bundestag

von Deutscher Bundestag

Gerhard Schröder, Bundeskanzler:

…Wir hatten deshalb keine andere Wahl, als gemeinsam mit unseren Verbündeten die Drohung der NATO wahrzumachen und ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, dass wir als Staatengemeinschaft die weitere systematische Verletzung der Menschenrechte im Kosovo nicht hinzunehmen bereit sind.

…Wir alle wissen, dass dies das erste Mal seit dem zweiten Weltkrieg ist, dass deutsche Soldaten in einem Kampfeinsatz stehen. Ich darf Ihnen deshalb versichern, dass die Bundesregierung sich ihre Entscheidung nicht leichtgemacht hat. Aber wir wissen uns einig und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung und, Gott sei Dank, auch mit der großen Mehrheit des Deutschen Bundestages – über alle Parteigrenzen hinweg.

Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung:

…Dass wir nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in Europa in der Lage sind, unsere Werte und unsere Ideale nicht nur zu reklamieren, sondern mehr für sie zu tun als in den Zeiten davor, finde ich, ist auch ein Teil der Verantwortung, die mit dem Kosovo verbunden ist. Deshalb sage ich, dass angesichts der Realitäten, die sich dort entwickelt haben, angesichts des monatelangen Bemühens um eine politisch vereinbarte Verhandlungslösung und angesichts der grauenhaften Umstände, die dort mittlerweile herrschen, auch das problembeladene Tun immer noch besser ist als jedes Nichtstun…

Wir müssen heute mit einem Völkerrecht umgehen, das ich nicht gering schätzen will… Aber ist es wirklich zu rechtfertigen, an den Weltsicherheitsrat gebunden zu sein, wenn sich dort drei von fünfzehn Nationen – Russland, China und Namibia – gegen das Vorgehen der NATO und der westlichen Staatengemeinschaft ausgesprochen haben und von den zwölf anderen zwei mindestens Verständnis und die übrigen Unterstützung bekundet haben? Können wir es uns auf Dauer leisten, dass die Weltgemeinschaft mit dem aus der Rolle der Atommächte begründeten Vetorecht lebt…

Was im Kosovo geschieht, ist eine Prüfung. Zunächst ist es für die Menschen eine fürchterliche, eine schreckliche, eine unmenschliche Prüfung. Es ist aber auch eine Prüfung für uns, für unser politisches Gewissen, für unsere Fähigkeit, aus beanspruchter Moral praktische Konsequenzen zu ziehen und auch für unsere Fähigkeit, die Grenzen militärischer Handlungsmöglichkeiten sehr genau zu kennen. Es wäre auch gegenüber den eingesetzten Soldaten ganz und gar unverantwortlich zu glauben, dass Frieden schon aus der Beendigung von Mord und Gewalt entstünde. Das ist der erste Schritt auf einem langen Weg. Europa hat aber neben dem, was wir alle gemeinsam tun um das Morden zu beenden, noch eine andere Verpflichtung, nämlich die ökonomischen, die sozialen und die kulturellen Grundlagen für einen Friedensprozess auf dem Balkan zu schaffen…

Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.):

…angesichts der ersten europäischen Herausforderung durch Gewalt muss man Festigkeit in der Sache bewahren… Mir geht es darum, hier noch einmal klarzustellen…, dass wir dort Prinzipien, die sich aus der Kulturgeschichte Europas ergeben, verteidigen – gegen Menschen, die sie nicht achten und die über andere Menschen herfallen. Deshalb sage ich Ihnen, Herr Kollege Gysi: Pazifismus ist eine respektable Haltung. Wenn aber Pazifismus am Ende nicht mehr fähig ist, Menschen in Not zu helfen, dann verliert er seinen Bezug zur Menschlichkeit…

Es mag richtig sein, auf den Zusammenbruch oder jedenfalls die Gefahr des Zusammenbruchs einer Weltordnung hinzuweisen, der sich dadurch ergibt, dass das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen und die Entscheidung der NATO in einen Konflikt miteinander geraten. Aber Weltordnungen, die am Ende nicht mehr in der Lage sind, Gewaltanwendung gegen Menschen zurückzudrängen, verlieren an Legitimität. Deshalb kann über die Weltordnung hier nicht nur unter dem Aspekt diskutiert werden, ob sie verletzt wird… Deshalb ist nicht nur eine formale völkerrechtliche Diskussion zulässig, sondern auch eine zutiefst emotionale, menschliche in der Zuwendung zu den Menschen.

Ich habe hier eine Meldung vor mir. Ob sie zutrifft, kann ich noch nicht einmal sagen. Aber wir spüren alle, dass sie zutreffen könnte. Diese Reuters-Meldung ist von 11.39 Uhr. Danach haben im Kosovo nach Informationen der albanischen Nachrichtenagentur jugoslawische Soldaten und serbische Polizisten 21 Lehrer albanischer Abstammung vor den Augen ihrer Schüler umgebracht. Man vermutet, dass das so sein könnte. (Eine Bestätigung dafür gab es nicht, d. Red.) Wenn ich so etwas lese bin ich nicht mehr in der Lage, eine Diskussion darüber zu führen, ob man sich da heraushalten kann…

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:

…Es wurde immer wieder versucht, einen Friedensvertrag auszuhandeln. Die einzige Konsequenz war, dass der Vertrag gebrochen wurde und dass die Politik der Gewalt weitergegangen ist. Deswegen möchte ich mit allem Nachdruck den Vorwurf zurückweisen, dass wir hier von deutschem Boden aus eine Politik des Krieges betreiben. Wir können nicht zulassen, dass sich in Europa eine Politik der Gewalt durchsetzt, eine Politik, die keine Skrupel hat, Gewalt einzusetzen und die bereit ist, über Leichen zu gehen, auch wenn es Tausende, Zehntausende oder Hunderttausende Tote bedeutet. Das ist keine Theorie, sondern Praxis auf dem Balkan; sie ist als Ergebnis der Politik von Milosevic zu sehen.

… Dies ist nicht mit einer Aggressionspolitik vergleichbar, die aus nationalistischer Überhebung oder gar aus verbrecherischer rassistischer Verblendung entstanden ist und für die das Deutsche Reich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zweimal verantwortlich war. Wir sind in die internationale Staatengemeinschaft, also in die Demokratien der EU und der NATO, eingebunden. Diese Demokratien riskieren jetzt das Leben ihrer Soldaten um Menschenleben zu retten und vor allen Dingen um einen Friedensvertrag durchzusetzen… Der einzige, der das verhindert, ist Milosevic mit seiner Gewaltpolitik. Der Kosovo würde Bestandteil nicht nur Jugoslawiens, sondern auch Serbiens bleiben; das war das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft. Milosevic müsste nur ja sagen; aber er hat immer nur nein gesagt.

Dr. Gregor Gysi (PDS):

…Es hat mich schon bestürzt, Herr Bundesaußenminister, dass Sie zur rechtlichen Grundlage dieses Krieges kein einziges Wort verloren haben, genausowenig wie der Bundeskanzler… Es (ist) ganz eindeutig: …dieser europäische Krieg ist ein Völkerrechtsbruch.

Nun haben Sie, Herr Gerhardt, dazu gesagt: Rechtsbrechern muss man entgegentreten. Das ist wahr. Aber muss man ihnen mit Rechtsbruch entgegentreten?… Wissen Sie, Völkerrecht dann einzuhalten, wenn es mit den eigenen Zielen… übereinstimmt, das ist ja leicht… Aber es dann einzuhalten, wenn es einem politisch nicht passt, das ist die eigentliche Schwierigkeit. Für genau solche Fälle schafft man Recht. Wenn man es verletzt, dann ist man nicht viel besser als andere Rechtsverletzer…

Der Bundeskanzler als auch Herr Schäuble haben gesagt, die Bomben richten sich nicht gegen das serbische Volk, sondern gegen Milosevic…Das ist doch nichts weiter als eine abstrakte Phrase, die mit Realitäten nichts zu tun hat. Bomben richten sich niemals gegen einen einzelnen Diktator, sondern immer gegen das Volk.

Es sind immer die Zivilisten und die wehrpflichtigen Soldaten, die dabei sterben, nicht der Diktator…

Wir liegen doch in der Beurteilung dieses Mannes (Milosevic) gar nicht so weit auseinander, Herr Bundesaußenminister Fischer… Sie haben Ihn als schlimmen Diktator, als irrational bezeichnet. Sie sagen, er nehme den Krieg in Kauf und handele gegen die Interessen seines eigenen Volkes. Können Sie mir dann erklären, warum er nach vier, fünf Bombenangriffen plötzlich rational werden, plötzlich sein Volk lieben und plötzlich den Krieg als ein Mittel ausschließen soll? Er wird nicht unterschreiben. Und was machen wir dann?

Man kann doch nicht einfach sagen: Wir bomben bis zur Unterschrift…Wir müssen die Bombardierungen beenden. Wir müssen zurück zu Verhandlungen…

Sie (Herr Verteidigungsminister) haben gesagt, Sie hätten darunter gelitten, dass der Westen damals (Prag 1968) ohnmächtig war und nicht helfen konnte… Das Gegenteil von Ohnmacht, Herr Bundesverteidigungsminister, können doch nicht Bomben sein. Morden beendet man doch nicht, indem man selbst mit Bomben völlig ungezielt tötet. Ich empfinde also die Antwort als falsch, nicht die Analyse der Situation…

Sie haben gesagt, dass im Weltsicherheitsrat nur drei Länder, nämlich China, Russland und Namibia, dagegen gestimmt hätten und hinzugefügt, es könne nicht angehen, dass diese drei Länder eine bestimmte Entscheidung verhinderten, auch wenn das Völkerrecht – das Vetorecht von Russland und China – dies ausdrücklich erlaubt. Sie wissen ganz genau, dass es Hunderte von Beschlüssen im Sicherheitsrat gegeben hat, die mehrheitsfähig waren und daran gescheitert sind, dass die USA von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht haben…

Wenn man das überwinden und demokratischer gestalten will, wenn man dadurch auch zu einer anderen Friedensordnung kommen will, dann ist dagegen nichts zu sagen. Nur, wir haben es nicht wirklich überwunden, wir haben keine neue Friedensordnung. Wir schaffen die alte Ordnung ab und setzen keine neue Ordnung an die Stelle, sondern nur das Recht der militärischen Macht und des Geldes… Ich glaube nicht an den Krieg als Mittel der Politik.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

…Ich gebe Ihnen recht, sich danebenzustellen und zu sagen ich tue nichts, ist das Schlechteste. Auch ich will etwas tun. Aber heißt das, dass man Bomben und Raketen wirft?

…Das ist kurzsichtig. Sehen Sie sich doch jetzt einmal die Situation im Kosovo an und vergleichen Sie sie mit der Situation von vor einer Woche. Heute sind dort zehnmal mehr Menschen auf der Flucht. Es werden Menschen getötet, wahrscheinlich mehr als bekannt wird… Durch einen solchen Krieg, dadurch, dass da jede Nacht Bomben und Raketen abgeworfen werden, dass Menschen umgebracht werden und Zerstörungen angerichtet werden, werden doch die Grausamkeit und der Hass gefördert. Es wird doch in den nächsten Tagen und Wochen noch mehr an Menschenrechtsverletzungen, an Tötungen, an Zerstörung angerichtet werden wenn das so weitergeht. Das heißt, Krieg ist doch gerade in dieser Situation ein ganz schlechtes und gefährliches Mittel weil er die Situation der Menschen im Kosovo nicht verbessert, sondern erheblich verschlechtert. Es gibt dort auch keine Menschenrechtsorganisationen mehr. Es gibt keine OSZE-Beobachter mehr. Mit dem Abbruch der Verhandlungen, mit dem Rückzug der OSZE-Beobachter hat sich die Situation, die Hilflosigkeit der Menschen dramatisch verschlechtert. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Die Bundesregierung und die Parlamentsmehrheit konnten und mussten von Anfang an wissen: Wenn man sich in diese Logik des Krieges begibt, wird eine solche Situation eintreten und ist eine Eskalation nicht auszuschließen.

…Da frage ich mich: Musste man sich den Forderungen der UCK und denen der USA so weit unterwerfen, dass man über andere Möglichkeiten wie etwa über die Stationierung einer Friedenstruppe unter UNO-Mandat überhaupt nicht mehr diskutiert hat?

Muss man sich auch heute noch so weit unterwerfen, dass man von Milosevic fordert: Wenn du die sofortige Implantierung von UNO-Truppen im Kosovo nicht sofort akzeptierst, dann bomben wir weiter? Heißt das wirklich, dass Sie sagen, die Entscheidung liegt allein bei Milosevic? Müssen er und die serbische Regierung sich in dieser Weise unterwerfen? Oder können wir nicht eine sofortige Beendigung des Bombardements, natürlich eine sofortige Beendigung der Gewalttätigkeiten der Serben im Kosovo, einen Wiederbeginn von Verhandlungen fordern mit dem Ziel, eine abgesicherte Autonomie für den Kosovo zu garantieren? Wir können doch nicht nur mit diesem Prestigedenken sagen: Es geht nicht anders als mit den Truppen der NATO.

…Wir befinden uns im Augenblick im Krieg. Wenn man einen Krieg beenden will – das ist immer so gewesen und sollte auch jetzt so sein –, sollte man als erstes sagen: Wir lassen die Waffen auf beiden Seiten schweigen. Wir treffen eine Übereinkunft; ab dieser Stunde gibt es keinen Waffengang mehr.

Alle Zitate nach Plenarprotokoll 14/31 Deutscher Bundestag, 31. Sitzung,
Freitag, den 26. März 1999

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1999/2 Wieder im Krieg, Seite