W&F 2000/3

Zum Wandel der Bundeswehr

von Arbeitskreis Darmstädter Signal

Mit großer Besorgnis stellen wir fest, dass sich die Bundeswehr hinsichtlich ihres Auftrags genau in die Richtung entwickelt, vor der wir Soldaten des Arbeitskreises »Darmstädter Signal« immer gewarnt haben:

Die Bundeswehr ist zum Instrument einer Politik geworden, die

  • Auslandseinsätze statt der Landesverteidigung als primäre Aufgabe definiert,
  • statt der Behebung der wahren Ursachen von Konflikten eine militärische Lösung bevorzugt,
  • Menschenrechtsverletzungen nur dann nachdrücklich anprangert, wenn ein internationaler militärischer Einsatz begründet werden soll.

Der Krieg gegen Jugoslawien, der ohne UNO-Mandat geführt wurde, war ein tragischer Höhepunkt in der Eskalation militärischer Gewalt in Europa unter Beteiligung der Bundeswehr. Der Luftkrieg gegen Jugoslawien war völkerrechtswidrig. Die Information der Öffentlichkeit und der Soldaten war nicht frei von Täuschungen und Verharmlosungen (z.B.: »Kollateralschäden«).

Auch im Hinblick auf die Entwicklung der zukünftigen »Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) und neuer weltweiter Sicherheitsstrukturen vermissen wir Soldaten vom Arbeitskreis »Darmstädter Signal«, hoffnungsvolle Ansätze.

  • Die Chance zur Entwicklung eines europäischen Systems kollektiver Sicherheit auf der Grundlage der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) scheint vertan. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) birgt die Gefahr, einseitig auf militärische Optionen ausgerichtet zu werden.
  • Rußland und die EU tragen eine besondere Verantwortung für den Weltfrieden. Die NATO-Osterweiterung, der Krieg gegen Jugoslawien und der Krieg in Tschetschenien behindern die Zusammenarbeit.
  • Statt die UNO weiter zu stärken, legitimiert sich die NATO als Instrument zukünftiger Konfliktlösungen. Damit wird die UNO mehr und mehr in die Rolle des »Erfüllungsgehilfen der NATO« gedrängt.

Friedens- und Sicherheits- politische Konsequenzen

Streitkräfte sind zur Landesverteidigung grundsätzlich gerechtfertigt. Sie können auch zu friedenserhaltenden UN-Maßnahmen eingesetzt werden! Ziel muss die konsequente Verringerung aller Streitkräfte auf der Welt sein!

Der Einsatz von Soldaten zur Sicherung nationaler Interessen wie z.B. zum „Schutz des (sogenannten) freien Welthandels oder der strategischen Rohstoffreserven“ ( aus: Verteidigungspolitische Richtlinien der Bundesregierung 1992 ) ist weder politisch noch moralisch gerechtfertigt und stellt einen Rückfall in kolonialistisches Denken dar.

Für zivile Aufgaben wie Katastrophen- und Umweltschutz kann die Bundeswehr in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Für Entwicklungshilfe oder polizeiliche Arbeit wie im Kosovo- sind Streitkräfte wenig geeignet.

Friedenssicherung gelingt am besten in einem System kollektiver Sicherheit. Für unseren Kontinent bietet sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als Rahmen an. Parallel zum Ausbau der OSZE sind die politischen und militärischen Befugnisse von NATO und WEU im gleichen Maße zu reduzieren.

Die UNO muss als globales System kollektiver Sicherheit politisch und finanziell gestärkt und ausgebaut werden. Wir erwarten gerade von der jetzigen Bundesregierung, dass sie sich für tiefgreifende Reformen der UNO einsetzt.

  • Die Möglichkeiten der UNO zur Konfliktvorbeugung und zur Krisenfrüherkennung müssen deutlich ausgebaut werden.
  • Die Besetzung des Weltsicherheitsrates muss ausgewogener erfolgen.
  • Das Vetorecht der Großmächte muss abgeschafft werden.
  • Die Unterstellung von nationalen Streitkräften unter alleinigen UN-Befehl muss gemäß Art. 43 der UN-Charta durch Sonderabkommen geregelt werden.

Konsequenzen für die Bundeswehr

Der Personalumfang der Bundeswehr ist stufenweise und sozial verträglich auf ca. 1/3 der jetzigen Stärke abzubauen, weil unser Land nicht mehr militärisch bedroht ist. Bei diesem Streitkräfteumfang kann die Allgemeine Wehrpflicht nicht mehr aufrecht erhalten werden. Daher ist die Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee (nicht Berufsarmee !) mit ca. 120.000 Soldaten umzuwandeln.

Der Dienst in den Streitkräften muss den Anforderungen der modernen Arbeitswelt entsprechen: Die Mitbestimmungsrechte für Bundeswehrangehörige sind auszubauen (z.B. im Beurteilungswesen, Mitbeurteilung durch Gleichgestellte und Untergebene). Die Weiterentwicklung von Prinzipien zeitgemäßer Menschenführung (Anwendung des kooperativen Führungsstils, ziviler Umgangston in militärischen Einrichtungen), familienfreundliche Dienstgestaltung, demokratische politische Bildung (Vorrang vor anderen Diensterfordernissen, Einbeziehung ziviler Lehrkräfte, Teilnahme aller Vorgesetzten) und konsequente Ausbildung in nationalem und internationalem Recht (z.B. Kriegsvölkerrecht) sowie Fremdsprachenausbildung müssen Schwerpunkte des dienstlichen Alltages sein. Glaubwürdige Demokratie verlangt den freien und ungehinderten Gedankenaustausch über moralisch-ethische Grundfragen des Soldatenberufs.

UN-Einsätze der Bundeswehr

Vorrang vor jedem UN-Einsatz von Bundeswehrsoldaten muss für Deutschland das nachdrückliche Eintreten für nicht-militärische Maßnahmen der Konfliktvorbeugung und -beilegung haben!

  • Nur in Einzelfällen sollte der Deutsche Bundestag einer Entsendung deutscher Soldaten zu UN-Missionen zustimmen!
  • Soldaten der Bundeswehr dürfen nur für klassische friedenserhaltende (Blauhelm-) Einsätze der UNO zum Einsatz kommen!
  • Für andere Einsätze – wie etwa den Jugoslawienkrieg – darf die Bundeswehr nicht zur Verfügung stehen.

Frieden mit Waffen »erzwingen« zu wollen, ist eine gefährliche Illusion! Aus diesen Gründen lehnen wir Kampfeinsätze ab.

Deutsche Impulse zur friedlichen Konfliktlösung

Wegen der besonderen Vergangenheit Deutschlands und wegen unserer festen Überzeugung, dass der Einsatz militärischer Mittel die teuerste, gefährlichste und schlechteste Form der Konfliktlösung darstellt, fordern wir die Bundesregierung auf, ihre Konzepte zur Aufstellung eines unbewaffneten Friedenskorps und zum Ausbaus des zivilen Friedensdienstes umzusetzen und die Friedens- und Konfliktforschung weiter zu verstärken. Da Konflikte immer wirtschaftliche, soziale oder ethnische Ursachen haben, muss die Bundesrepublik beginnen, hier anzusetzen:

  • Ausgleich des Nord-Süd-Gefälles durch aktives Eintreten für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung ( z.B. Schuldenerlass für Entwicklungsländer),
  • Schutz bzw. Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen,
  • konsequent restriktive Rüstungsexportpolitik,
  • Ausbau des Internationalen Gerichtshofs zur Ahndung aller Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen.

Da die Gefahr des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen nach wie vor besteht, muss Deutschland sich dafür einsetzen, dass

  • alle ABC-Waffen geächtet werden,
  • alle ABC-Waffen aus Deutschland abgezogen werden,
  • Deutschland sich an keiner »Europäischen A-Waffe« beteiligt und
  • die NATO auf den Ersteinsatz von Atomwaffen verzichtet,
  • der »Nichtweiterverbreitungsvertrag« von Atomwaffen verstärkt durchgesetzt wird.

Der Frieden ist der Ernstfall!

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/3 Europa kommt, Seite