W&F 1999/3

Zur Entwicklung militärischer Aufklärungssatelliten in Europa

Offener Brief an den Bundesminister für Verteidigung, Rudolf Scharping

von NaturwissenschaftlerInnen-Initiative

Sehr geehrter Herr Minister,

im Zuge des Kososo-Konfliktes sind in den letzten Wochen erneut Stimmen zu hören, die eine von den USA unabhängige, satellitengestützte militärische Aufklärungskapazität für Europa fordern. Der Hintergrund dieser Forderung sind u.a. die unzuverlässigen Informationen über die Lage der Flüchtlinge im Kosovo und die wiederholt vorgebrachte Klage, dass die USA ihre Informationen nicht uneingeschränkt mit ihren NATO-Verbündeten teilen.

Wir wollen das berechtigte Interesse der europäischen Politik und Öffentlichkeit an zuverlässigen und unabhängigen Informationsquellen zur Beurteilung von Krisensitutationen nicht grundsätzlich bestreiten. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Lösung dieser Probleme mit eigenen militärischen Aufklärungssatelliten weder hinreichend möglich, noch erforderlich ist. Sie wären eine milliardenschwere Investition, deren langfristige negative Folgen für die Abrüstung auf der Erde und für die Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen stehen. Für sinnvolle Aufgaben der Satellitenfernerkundung sind die in Zukunft verfügbaren zivilen Systeme hinreichend, zudem kostengünstiger und öffentlich zugänglich.

Der Nutzen eines militärischen Aufklärungssatelliten-Systems wird in Deutschland seit über einem Jahrzehnt debattiert. Diese Debatte schien 1998 mit dem Ende der Planungen für den deutsch-französischen Radar-Satelliten Horus ein vorläufiges Ende gefunden zu haben. Die Gründe, warum auf solche Satelliten besser verzichtet werden sollte, werden durch die Erfahrungen mit dem Kosovo-Krieg eher bestätigt.

Die militärische Nutzung des Weltraums ist ein Konzept des Kalten Krieges, das nicht unhinterfragt auf die neue Weltlage übertragen werden darf. Denkbaren militärischen Bedrohungen lässt sich wirkungsvoller durch umfassende, kontrollierte Abrüstung und Rüstungsexportkontrolle sowie durch vorbeugende Vermeidung von Konfliktursachen und durch Konfliktschlichtung begegnen. Um Konflikten wie im Kosovo wirksam entgegenzutreten, sind frühzeitig politische und wirtschaftliche Maßnahmen sowie geeignete humanitäre Hilfe zu ergreifen, die gewaltsamen Auseinandersetzungen entgegenwirken. Es wäre kurzsichtig, die beträchtlichen Möglichkeiten Deutschlands und Europas auf diesem Gebiet einzuschränken, indem dafür benötigte finanzielle Mittel in fragwürdigen militärischen Projekten gebunden werden.

Deutschlands neuer Verantwortung in der Welt wäre bestens gedient, wenn es seine wissenschaftliche und wirtschaftliche Kapazität in zukunftweisenden, innovativen Projekten bündelt, die wirksame Methoden für die Beilegung von innerstaatlichen und ethnischen Konflikten entwickeln. Wir würden es begrüßen, wenn Sie Ihren Einfluss in Ihrer Partei und in der Bundesregierung dafür geltend machen würden, dass die strikte Beschränkung Deutschlands auf zivile Weltraumforschung erhalten bleibt…

Erläuterungen:

Die meisten Aufgaben zur Informationsbeschaffung, bei denen Satelliten sinnvoll einsetzbar sind (Klima- und Umweltbeobachtung, Verifikation, Krisenprävention), können bereits von existierenden oder geplanten zivilen Beobachtungssatelliten bewältigt werden. Preiswerte und aktuelle Satellitenaufnahmen hoher Qualität und von jedem Gebiet der Erde werden in naher Zukunft kommerziell zu erwerben sein. Wie der Golfkrieg gezeigt hat, greifen auch militärische Stellen zunehmend auf zivile Satellitendaten zurück. Jeder darüber hinausgehende militärische Informationsbedarf wird durch einen starken Zuwachs an Kosten erkauft, der durch die meist höheren Anforderungen an militärische Systeme (Genauigkeit, Verfügbarkeit, Redundanz, Schutzmaßnahmen, Lebensdauer, Datenverschlüsselung) bedingt ist. Diese Kosten stehen in keinem Verhältnis zu dem damit gewonnenen Nutzen, der zudem auf einen militärischen Anwendungskreis beschränkt ist.

Es sollte klar sein, dass eine zeitgerechte Aufklärung eines Gebietes mit mehreren Satelliten erfolgen muss, da ein einzelner Satellit sich nur für eine kurze Zeit über dem aufzuklärenden Gebiet befindet. Die USA haben derzeit sechs bis sieben Satelliten im Einsatz und erhalten ca. zweimal am Tag Aufnahmen aus dem Kosovo. Jeder dieser Satelliten kostet ca. eine Milliarde Dollar und wird vom National Reconnaissance Office (NRO) betrieben. Das jährliche Budget dieser Agentur übertrifft mit 6-7 Mrd. US-Dollar die Aufwendungen des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA um das Doppelte. Zur Übertragung der Aufklärungsdaten werden zusätzlich Kommunikationssatelliten und Bodenempfangsstationen benötigt. Diese Zahlen sollten deutlich machen, dass jedweder Versuch Europas eine mit den USA zu vergleichende Aufklärungskapazität zu schaffen, jährliche Aufwendungen von mehreren Milliarden Euro erfordern würde. Berechnungen der WEU, die vor einigen Jahren angestellt wurden, kamen auf einen Gesamtbetrag von 20 Mrd. DM für eine Gesamtsystem aus vier Satelliten.

Ein neues zusätzliches System von militärischen Aufklärungssatelliten übersteigt den berechtigten Informationsbedarf in Europa. Die Überwachung von Rüstungskontroll-Verträgen erfolgt in Europa kooperativ im Rahmen der OSZE, durch die Vereinbarung von Vor-Ort-Inspektionen und den »Open Skies«-Vertrag, in dem weit kostengünstigere luftgestützte Aufklärungsmittel Verwendung finden. Mögliche militärische Bedrohungen in anderen Regionen, insbesondere die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, können bereits mit zivilen Beobachtungssatelliten weitgehend eingegrenzt werden. Eine Verbesserung der Genauigkeit von Aufklärungssatelliten kann keine letzte Sicherheit bringen und durch Tarn- und Täuschmaßnahmen teilweise umgangen werden. Selbst möglicherweise bedrohliche Rüstungprojekte werden oft nicht erkannt. Jüngste Beispiele sind der Atomwaffentest in Indien 1998, der selbst die US-Regierung unvorbereitet traf, und der Abschuss einer dreistufigen Rakete durch Nordkorea, die japanisches Territorium überquerte. Auch ohne Satelliten sind die potenziellen Krisenherde der Zukunft schon heute bekannt. Für die frühzeitige Erkennung von Krisen in unterschiedlichen Weltregionen genügt die bessere Ausnutzung und Integration verfügbarer Daten, wobei Satelliten nur eine von mehreren Informationsquellen sind. Die Begrenztheit der Möglichkeiten von Aufklärungssatelliten zeigt auch der französische Satellit Helios, über den in der Öffentlichkeit bisher nur wenig Informationen verfügbar sind.

Hochgenaue Militärsatelliten werden heute v.a. dann bedeutsam, wenn es um konkrete kriegerische Auseinandersetzungen geht, in die rasch eingegriffen werden soll, etwa mit »Krisenreaktions-Streitkräften«, die für die militärische Einsatzplanung und -durchführung Daten nahezu in Echtzeit benötigen. Nach dem Golfkrieg sind die US-amerikanischen Aufklärungssysteme für diesen Zweck optimiert worden. Auch im Kosovo-Krieg werden die Satelliten weniger zur Hilfestellung für Flüchtlinge benutzt, als vielmehr zur Zielbestimmung und Schadensfeststellung bei NATO-Luftangriffen auf Serbien.

Der wachsende Einsatz militärischer Weltraumsysteme kann von anderen Staaten als Bedrohung wahrgenommen werden und diese zu entsprechenden Gegenmaßnahmen veranlassen, die das Wettrüsten im Weltraum und auf der Erde verstärken. Folgt Europa dem Vorbild der USA und Russlands, werden weitere Staaten dies als Argument für die Beschaffung eigener Aufklärungssatelliten benutzen. Eine Reihe von Staaten hat durchaus die Fähigkeit, solche Satelliten zu bauen, andere hätten das Geld, sie zu kaufen. Die militärische Relevanz dieser Satelliten würde Tendenzen insbesondere in den USA fördern, ihre Pläne für den Bau von Anti-Satelliten-Waffen wiederzubeleben. Die zivile Weltraumnutzung würde dadurch gefährdet. Es wäre deshalb konsequent, den Weltraum soweit wie möglich von militärischen Aktivitäten freizuhalten. Seit vielen Jahren haben Naturwissenschaftler auf die Gefahren einer Rüstungsdynamik im Weltraum hingewiesen und Vorschläge zu ihrer Begrenzung ausgearbeitet. Statt das derzeit herrschende Zwei-Klassen-System des Zugangs zu Bildinformationen zu verstärken, wäre es besser, ein internationales, allen Staaten zugängliches System zu schaffen, wie die von Frankreich bereits 1978 vorgeschlagene International Satellite Monitoring Agency (ISMA) oder eine entsprechende europäische Satellitenagentur.

Mit Sorge stellen wir fest, dass mit Aufklärungssatelliten der Einstieg Deutschlands in die militärische Nutzung des Weltraums eingeleitet wird. Damit würde eine lange Tradition deutscher Weltraumforschung durchbrochen, die mit zivilen Projekten national wie auch im internationalen Rahmen Sehenswertes geleistet hat. Der Einstieg in raumgestützte Militärprojekte wird bei Aufklärungssatelliten nicht stehenbleiben. Weitere Projekte im Bereich raumgestützter Kommunikation, Raketen-Frühwarnung und Navigation würden folgen, wie es entsprechende Entwicklungsprojekte zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien belegen.

Die militärische Weltraumnutzung würde auch tiefgreifende Folgen für die zivile Weltraumforschung haben. Obgleich die Europäische Weltraumbehörde (ESA) die ausschließliche zivile Nutzung in ihren Statuten verankert hat, weisen alle bisher zugänglichen Unterlagen z.B. der WEU aus, dass bei solchen Projekten der engen Zusammenarbeit mit der ESA aus Gründen der Kostenersparnis hohe Priorität eingeräumt wird. Jedes Projekt der Weltraumforschung würde so auf seine militärische Verwendbarkeit überprüft werden. Die zu erwartenden hohen Ausgabensteigerungen im militärischen Bereich werden in denselben Zeitraum fallen, in dem die ESA ohnehin schon erhebliche Steigerungen im zivilen Raumfahrtbudget der Teilnehmerländer erwartet. Die Streichung sinnvoller und zukunfträchtiger Forschungsprojekte wäre abzusehen.

NaturwissenschaftlerInnen-Initiative – Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit





Antwort des Bundesverteidigungs-
ministeriums


Sehr geehrter Herr Braun,

für Ihren Brief vom 25. Mai 1999 danke ich Ihnen. Ihrer Forderung zum Verzicht auf eine europäische Fähigkeit zur satellitengestützten Aufklärung vermag ich mich jedoch nicht anzuschließen.

Eine verantwortliche und wirkungsvolle deutsche und europäische Sicherheitspolitik erfordert die ganzheitliche Betrachtung politischer, wirtschaftlicher, ökologischer und militärischer Faktoren. Zur Deckung des hieraus resultierenden Informationsbedarfs ist ein Verbund aller Möglichkeiten der Informationsgewinnung und -analyse erforderlich. In diesem Verbund ist ein System zur satellitengestützten Aufklärung besonders geeignet, derzeit bestehende Defizite in der Informationsgewinnung zu minimieren. Nur durch Satelliten ist eine weltweite, zuverlässige und zeitgerechte Informationsgewinnung ohne rechtliche Beschränkungen möglich.

Satellitenaufklärung ist kein Werkzeug des Kalten Krieges. Sie ist vielmehr als »national technical means« in der Rüstungskontrolle und Verifikation allgemein anerkannt. Sie trägt nicht zur Konfrontation bei, sondern ist ein wirkungsvolles Mittel zur Ergänzung bestehender internationaler Mechanismen der Verifikation. Das Vorhandensein von Aufklärungssatelliten hat in der Vergangenheit den Abschluss von Rüstungskontrollvereinbarungen erleichtert und zum Teil erst möglich gemacht. Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen können in ihrer Wirksamkeit noch verstärkt werden, wenn die Möglichkeit besteht, die Einhaltung von Vereinbarungen auch durch Satellitenaufklärung zu überprüfen. Satellitenaufklärung unterstützt die von Ihnen aufgeführten Möglichkeiten der Verifikation. Sie ist dabei nicht von der Mitwirkung von Vertragspartnern abhängig und bietet damit eine Rückversicherung für den Fall von Beeinträchtigungen der kooperativen Verifikation.

Ein politisch zusammenwachsendes Europa muss einen angemessenen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten können und dazu als verantwortungsbewusster Akteur über die entsprechenden Instrumente verfügen. Satellitenaufklärung trägt wesentlich zum frühzeitigen Erkennen krisenhafter Entwicklungen bei und schafft damit die Voraussetzungen für rechtzeitige und gezielte politische Maßnahmen präventiver Krisenbewältigung. Sie kann darüber hinaus rasch das Ausmaß von Zerstörungen bei Naturkatastrophen feststellen. Dadurch können Hilfsmaßnahmen gezielt eingeleitet und die eigenen Kräfte mit einsatzrelevanten Informationen versorgt werden.

Satellitenaufklärung stellt für kein anderes Land eine Bedrohung dar und ist damit auch kein Schritt zur Weltraumrüstung. Vielmehr ist sie nach internationalem Verständnis, bekräftigt durch die VN, als nicht intrusive Aufklärungsform legitimiert.

Wie Sie richtig darlegen, nimmt das Angebot an kommerziellem Satellitenbildmaterial zu. US-Firmen wollen in Kürze optische Bilder mit einer Auflösung von ca. 1m anbieten. Gleichwohl reicht diese Auflösung für sicherheitspolitische Aufgabenstellungen nicht aus. Radarbilder mit entsprechender Auflösung werden auf absehbare Zeit nicht kommerziell verfügbar sein.

Hinsichtlich der Kosten eines Systems zur satellitengestützten Aufklärung sind die Schätzungen der Vergangenheit aufgrund der technologischen Entwicklung überholt. Neuartige technische Lösungsansätze lassen es heute realistisch erscheinen, ein leistungsfähiges System mit komplementärer Sensorik zu einem Bruchteil der Kostenschätzung der WEU zu realisieren. Durch die Investitionen in diesen zukunftsweisenden und innovativen Sektor der Hochtechnologie wird die Position der deutschen und europäischen Industrie im internationalen Wettbewerb gestärkt. Damit werden auch langfristig Arbeitsplätze gesichert.

Die Regierungen der EU sind sich einig in dem Bestreben, eine Stärkung des europäischen Beitrages zur internationalen Krisenbewältigung herbeizuführen. Dabei bleiben die Kooperation und das Zusammenwirken mit den USA weiterhin ein wesentlicher Eckpfeiler. Eigenständige europäische Fähigkeiten in Schlüsselbereichen sind Voraussetzung für gleichberechtigte Kooperation und für eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung. Vor diesem Hintergrund bleibt die Realisierung eines europäischen Systems zur satellitengestützten Aufklärung ein wichtiges Ziel.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Walther Stützle, Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung

Bonn, 14. Juli 1999

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1999/3 Tödliche Bilanz, Seite