Zur Nachhaltigkeit mit Schmetterlingseffekt
Pfadabhängigkeit für dynamische Lösungen der Klimakrise nutzen
von Jasmin S. A. Link
Pfadabhängigkeit wird oft als Verfestigung verstanden, im Zusammenhang mit sogenannten »alternativlosen« Entscheidungen, als »historisch gewachsen« mit geringem Veränderungspotential. Pfadabhängige Prozesse weisen tatsächlich eine exponentielle Dynamik auf, die Eskalationen weitertragen kann, die sich jedoch auch mit Schmetterlingseffekt für eine Transformation konstruktiv nutzen lässt. Welche Schnittstellen können wie verändert werden, um die exponentielle Wachstumsdynamik einer Klimawandel-Konfliktspirale (KKS) zu reduzieren oder zu brechen? Welche Entscheidungen haben einen Schmetterlingseffekt in Richtung einer friedvollen Nachhaltigkeitstransformation?
Wenn sich die Umwelt verändert, wie zum Beispiel durch den Klimawandel oder einen Wechsel zwischen Krieg und Frieden, ist möglicherweise nicht mehr alles historisch Gewachsene sinnvoll anwendbar. Soziale Dynamiken, die sich aus pfadabhängigem Verhalten ergeben, können sowohl ein hohes Eskalationspotential als auch ein hohes Transformationspotential aufweisen. Daher wird im Folgenden erklärt, woran pfadabhängige Prozesse erkannt und wie sie verändert werden können.
Mechanismen der Pfadabhängigkeit
Pfadabhängigkeit lässt sich unter Berücksichtigung unterschiedlicher Ansätze weitgehend einheitlich definieren: „Ein pfadabhängiger Prozess ist ein sich-selbst verstärkender Prozess mit der Tendenz zum Lock-In“ (Link 2018, S. 3; Sydow et al. 2009).
Die Anfänge der Pfadabhängigkeitstheorie gehen auf Paul A. David (1985) und W. Brian Arthur (1994) zurück. Während der Ökonom Arthur der Frage nachging, ob sich bereits vor der Markteinführung prognostizieren lasse, welche Technologie im Konkurrenzkampf am Markt gewinnen würde, erforschte der Historiker David, warum die Tastenanordnung auf den Computertastaturen noch immer die gleiche ist wie auf den frühen Schreibmaschinen, auch wenn Computer keine Hebel haben, die beim Tippen verkannten könnten. David hat herausgearbeitet, dass selbst wenn Akteure in ihrer Situation vollkommen frei entscheiden können, ihre Entscheidung dennoch stark von früheren Ereignissen geprägt ist, deren damaligen Gründe und Verlauf nicht einmal etwas mit der neuen Entscheidung zu tun haben müssen (David 1985). Bestehende Ausführungen quasi als »alternativlos« zu betrachten1, ist insbesondere im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit, dem Klimawandel oder mit Konflikten bedeutsam.
Ungefähr zeitgleich hat Arthur (1994) festgestellt, dass selbst bei gleichen Startbedingungen am Markt wie im Modell Selbstverstärkungsmechanismen in der Konkurrenzdynamik auftreten, die ein einmal vorhandenes Ungleichgewicht verstärken. Dabei lässt sich das Endverhältnis, auf dem sich die Konkurrenzdynamik verfestigt, zu Beginn nicht vorhersagen (Collier und Collier 1991). Derartige exponentielle Eigendynamiken wirken hilfreich, um eine nachhaltige Transformation effizient voranzubringen. Schüren Selbstverstärkungseffekte jedoch Konflikte, so stellt sich aus friedenspolitischer Sicht die Frage, wie die Eigendynamik gebremst oder durchbrochen werden kann.
Ausgelöst durch Schlüsselereignisse, z.B. Innovationen, Entscheidungen oder Naturereignisse, können in reaktiven Sequenzen (Mahoney 2000) ganze Ereigniskaskaden wie beim Schmetterlingseffekt Veränderungen bringen. Beispiele sind die industrielle Revolution, der deutsche Atomausstieg nach dem Erdbeben in Fukushima (Kominek und Scheffran 2012) oder der Sturz der ägyptischen Regierung in den Ereigniskaskaden des Arabischen Frühlings.
Mit der obigen Definition eines pfadabhängigen Prozesses lässt sich basierend auf handlungstheoretischen Grundannahmen mathematisch-soziologisch beweisen, dass jeder pfadabhängige Prozess bei involvierten Akteur*innen die Tendenz zum Folgeverhalten induziert (Link 2018, S. 33, Theorem 1). Folgeverhalten, wie z.B. bei persönlichen Expert*innen, Informationskaskaden oder Großdemonstrationen, kann entsprechend als Indiz für Pfadabhängigkeit genutzt werden, um diese zu erkennen. Gleichzeitig bietet ein Folgeverhalten die Möglichkeit, Verhaltensänderungen kaskadenartig auszubreiten, beispielsweise für eine Nachhaltigkeitstransformation.
Dabei ist es spannend zu bemerken, dass in der Literatur (vgl. Beyer 2005) zu jedem einen pfadabhängigen Prozess stabilisierenden Mechanismus auch Destabilisierungsoptionen aufgezeigt werden können (vgl. Tab. 1 umseitig). Dies ist insbesondere hilfreich, wenn man in der Anwendung des Handlungsschemas (s.u. Abb. 1) feststellt, dass ein beobachteter pfadabhängiger Prozess in eine unerwünschte Richtung führt und eine inhaltliche Veränderung, ein Durchbrechen des Mechanismus oder der Verfestigung oder auch eine Abschwächung der selbstverstärkenden Eigendynamik gewünscht ist.
Mechanismus |
Logik der Kontinuitäts-sicherung |
Destabilisierungsoptionen |
Increasing Returns |
Selbstverstärkungseffekt |
Ausbildung adaptiver Erwartungen gegen Etabliertes; geänderte Konkurrenzsituationen; Transaktionskosten des Wechsels klein und/oder abschätzbar; Überschreiten von Schwellenwerten bei deutlichen Effizienzlücken; Übergang zu »decreasing returns« wegen Änderung der »Umwelt« |
Reaktive Sequenzen |
Irreversibilität der Ereignisabfolge, »Quasi-Irreversibilität« der Auswirkungen von Ereignisabfolgen |
Überlagerung der Effekte; Gegensequenzen mit aufhebender Wirkung; Abbruch »reaktiver« Sequenzen beim Auftreten von alternativen Handlungsoptionen |
Funktionalität |
Zweckbestimmungen, systemische Notwendigkeiten |
Extern verursachte Änderung der Funktionserfordernisse; Dysfunktionen als Ergebnis der Funktionserfüllung; Auftreten bedeutsamer »Nebenwirkungen«, Ablösung durch funktionale Äquivalente |
Komple-mentarität |
Interaktionseffekt |
»Domino-Effekt« bei dennoch eingetretenen partiellen Änderungen; Auflösung der Komplementarität aufgrund von intervenierenden Faktoren; Relevanz-Verlust des Komplementaritätseffekts |
Macht |
Machtsicherung, Vetomacht |
Bildung von Gegenmacht; Unterwanderung bzw. »conversion«; auf Ergänzungen hinwirkende Beeinflussungen bzw. »layering«, Revolutionen |
Legitimität |
Legitimitätsglaube, Sanktionen |
Divergierende Interpretationen und Traditionen; Delegitimierung aufgrund von Widersprüchen, z.B. mit der Zweckmäßigkeit |
Konformität |
Entscheidungsentlastung, mimetischer Isomorphismus |
Durchsetzung einer neuen Leitvorstellung, z.B. aufgrund von Innovationen oder einer Krise, die eine alte Leitvorstellung in Frage stellen |
Folgeverhalten |
durch Pfadabhängigkeit induziert, selbstverstärkend, Reduzierung der Alternativenzahl |
Schwächung und Reduktion pfadabhängiger Prozesse; bewusstes Überprüfen und Hinterfragen von Entscheidungsprozessen; aktive Schaffung neuer Handlungsalternativen und alternativer Entscheidungsprozesse |
Tabelle 1: Übersicht über Mechanismen, die Pfadabhängigkeit hervorrufen können, und mögliche Interventionsmaßnahmen (im Wesentlichen übernommen von Beyer 2005, ergänzt um Folgeverhalten, wie es durch pfadabhängige Prozesse induziert wird (Link 2018)).
Pfadabhängigkeit erfolgreich steuern
Im von mir entwickelten Handlungsschema für die Steuerung pfadabhängiger Prozesse (vgl. Abb. 1) ist es zunächst wichtig festzustellen, dass ein pfadabhängiger Prozess vorliegt (1.), bzw. welche Mechanismen die Dynamik verstärken oder den Prozess verfestigen. Aus den beobachteten Mechanismen und ihrer bisherigen Wirkung lässt sich abschätzen, in welche Richtung die Eigendynamik steuert (2.). Eine Bewertung, ob diese Eigendynamik gut oder schlecht ist (3.), liefert die Grundlage dafür, die guten Prozesse zu verstärken (4.a) und die schlechten zu schwächen oder zu durchbrechen (4.b).
Abbildung 1: Handlungsschema für die Steuerung von pfadabhängigen Prozessen (eigene Darstellung)
Prozessveränderung in der Klimawandel-Konfliktspirale (KKS)
Konfliktspiralen lassen sich vielfältig beobachten. Sie sind geprägt von reaktiven Verhaltensweisen und scheinbar alternativlosen Entscheidungen, die einen Ausstieg aus der Konfliktdynamik erschweren. Auch wenn die qualitative Forschung im Klimawandel-Konflikt-Nexus uneinheitliche Ergebnisse liefert, ob Klimawandel zu Konflikten führt (Scheffran et al. 2012a), lassen sich fünf Mechanismen belegen, die Klimawandel mit Konflikt verbinden (Link 2018, S. 58): veränderte Niederschlagsintensität und -variabilität, Frischwasserressourcen und -knappheit, Land und Nahrung, Wetterextreme sowie umweltbedingte Migration. Die Erkenntnis, dass Konflikte die Vulnerabilität beeinflussen (Scheffran et al. 2012a) lässt sich verwenden, um eine Konfliktspirale zu beschreiben, in der einmal präsente Konflikte weiter verstärkt werden und die durch Klimawandel ausgelöst oder verstärkt werden können (siehe Abb. 2, umseitig).
Abbildung 2: Zentrale Wirkmechanismen und Verstärkungseffekte in einem pfadabhängigen Prozess im Klimawandel-Konflikt-Nexus (übersetzt aus Link 2018, S. 59). Die roten Pfeile in der Abbildung machen deutlich, dass Konflikte die Vulnerabilitäten (Mensch und Umwelt) verstärken können und diese wiederum die Wirkung der jeweiligen Kopplungen der verschiedenen Wirkungsbereiche (Klima, natürliche Ressourcen, menschliche Sicherheit, gesellschaftliche Stabilität) verstärken.
Dieser sich selbst verstärkende Prozess mit der Tendenz zum Lock-In, der aufgrund begrenzter Ressourcen auch in einem Ressourcenkonflikt einsetzen kann, erfüllt die Kriterien eines pfadabhängigen Prozesses. Er kann daher als Beispiel für einen pfadabhängigen Prozess verwendet werden, bei dem eine Eskalationsdynamik aus friedenspolitischer Sicht unerwünscht ist. Es stellt sich also die Frage, wie man einen solchen pfadabhängigen Prozess verändern kann.
Basierend auf dem analytischen Framework (Scheffran et al. 2012a) kann die beschriebene KKS in einem Netzwerk gekoppelter Bereiche (Klima, natürliche Ressourcen, menschliche Sicherheit, gesellschaftliche Stabilität) abgebildet werden, wobei Konflikte die Vulnerabilitäten (Mensch und Umwelt) und diese wiederum die Kopplungen und damit die Wirkungen zwischen den verschiedenen Bereichen verstärken (vgl. Abb. 2 umseitig). Reaktive Ereignisketten entstehen, die verstärkt durch Konflikt eine zeitlich unumkehrbare Reihenfolge entsprechend dem Mechanismus reaktiver Sequenzen (siehe Tab. 1, Mahoney 2000) aufweisen.
Entsprechend können die Destabilisierungsoptionen für reaktive Sequenzen angewendet werden (Tab. 1): „Überlagerung der Effekte; Gegensequenzen mit aufhebender Wirkung; Abbruch »reaktiver« Sequenzen beim Auftreten von alternativen Handlungsoptionen“.
Die Effekte könnten überlagert werden, wenn Konflikte die Umwelt schonen, z.B. indem weniger Industrieabfälle entstehen oder weniger Wasser aus Flüssen für Landwirtschaft entnommen wird, und so die Umweltvulnerabilität regional verringert wird. Aktive regionale Entkopplungen von Klimahotspots, humanitären Problemen und Konflikten, wie z.B. durch Migration, könnten in Gegensequenzen die reaktive Wirkung aufheben oder die Wirkungsschwerpunkte regional und inhaltlich verschieben. Die Intensität der selbstverstärkenden Dynamik kann reduziert werden, indem die reaktiven Kopplungen abgeschwächt werden. Die Dynamik kann durchbrochen werden, wenn Kopplungen durchbrochen werden.
Aus dieser Analyse können folgende Anhaltspunkte für Gegenmaßnahmen entwickelt werden (markiert in Abb. 2):
(0) Direkte Konfliktwirkung von Klima?
Eine direkte Auswirkung von klimatischer Veränderung auf Konflikte ist in der zugrunde liegenden Analyse (Link 2018) über die Aggressionstheorie (Berkowitz 1993) verbunden. In Experimenten konnte bei einem Anstieg der Raumtemperatur eine Zunahme von Aggressionen festgestellt werden. Da veränderte Niederschlagsmuster eher selten in beständigen Temperaturanstiegen resultieren und aber die veränderte Niederschlagsintensität und -variabilität in Fallstudien zum Klima-Konflikt-Nexus deutlicher mit Konflikten korrelieren als die Temperaturvariable (Scheffran et al. 2012b), ist eine direkte Wirkung hier für die KKS nicht entscheidend.
(1) Geringere Waffenpräsenz
In Aggressionsexperimenten (Berkowitz 1993) wurde deutlich, dass die Präsenz von Waffen die Wahrscheinlichkeit erhöht hat, dass Einzelpersonen aggressiv wurden. Die Waffenpräsenz zu reduzieren kann entsprechend als Maßnahme verwendet werden, um einer gewaltvollen Austragung von Konflikten vorzubeugen oder die Intensität von Konflikten und so den Verstärkungseffekt durch Konflikte in der KKS zu reduzieren.
(2) Reduktion der Vulnerabilitäten
Entscheidend für die Intensität der KKS sind die Vulnerabilitäten. Die menschliche Vulnerabilität bezieht sich dabei auf die Verletzbarkeit der menschlichen Gesundheit, Ernährungs- und Einkommenssicherheit durch veränderte Niederschlagsmuster und eine veränderte Frischwasserverfügbarkeit. Die Umweltvulnerabilität umfasst hier die Verletzbarkeit der natürlichen Ökosysteme, die für die Bereitstellung natürlicher Ressourcen wie Frischwasser und Land verwendet werden. Die Koppelung der humanitären Vulnerabilität mit der Umweltvulnerabilität verstärkt erkennbar die Konfliktdynamik, was z.B. dann der Fall ist, wenn regionale Migrant*innen mangels anderer Einnahmequellen ganze Waldgebiete zur Kohleproduktion abholzen. In diesem Beispiel würde es helfen, wenn andere Nahrungs- oder Einnahmequellen eröffnet, ein Zugang zu anderen Wohnregionen oder Fortbildungschancen ermöglicht oder zur Verfügung gestellt werden könnten.
Ebenso kann überlegt werden, ob die Konflikte, falls erforderlich, so ausgetragen werden können, dass die menschliche Vulnerabilität ebenfalls möglichst dabei nicht vergrößert wird. Dafür können die humanitäre Hilfe sowie Methoden und Mittel der Konflikttransformation weiterentwickelt werden. Wenn soziale und politische Konflikte keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben, bzw. die Angriffsfläche für die Wirkung von Klimawandel nicht vergrößert wird, kann die durch Klimawandel selbstverstärkende Dynamik der KKS gehemmt werden.
(3) Bessere Anpassungsfähigkeit
Um direkte Ressourcenkonflikte zu vermeiden, kann versucht werden, in »Klima-Hotspots« die Anpassungsfähigkeit der betroffenen Region zu verbessern. Bereits im Vorfeld können zwischenstaatliche Abkommen oder staatliche Notfallplanungen basierend auf kollektiv verhandelten Szenarienanalysen eine Ressourcenverfügbarkeit und Handlungsfreiheit auch in Zeiten von Engpässen sichern, um eine offen gewaltvolle Austragung von Konflikten bei Extremereignissen zu vermeiden.
(4) Ökologische Resilienz
Um die Verstärkung der Wirkung des Klimasystems auf die natürlichen Ressourcen zu reduzieren bzw. einzudämmen, kann versucht werden, die Umweltvulnerabilität zu reduzieren, indem Regionen darauf vorbereitet werden, klimatische Veränderungen oder extremere Wetterereignisse besser kompensieren zu können. Maßnahmen umfassen z.B. bauliche Veränderungen, so dass Regenereignisse eher Nutzen als Schaden bringen, oder Veränderungen der Anbauroutinen. Pflanzen, die Dürreperioden brauchen, um sich zu verbreiten, könnten den Grundstock für eine resilientere Vegetation in trockeneren Gebieten bilden. Dabei gilt es lokal Kompensationsmöglichkeiten in möglichst sich selbst verstärkenden Prozessen zu verbessern, um auch eine mittel- bis langfristige Wirkung aufzubauen.
(5) Szenarienanalysen und Regionspartnerschaften
Eine regionale Szenarienanalyse der Auswirkungen klimatischer Veränderungen kann helfen, politische Debatten über und Abkommen für den Erhalt der Funktionalität auch in Konfliktsituationen oder bei Extremwetterereignissen im Vorfeld zu klären. Diese Szenarienanalysen können auch Mobilitätswünsche für den Bedarfsfall mit einbeziehen, wodurch humanitären Notlagen entlang von Migrationsrouten vorgebeugt werden könnte. Regionspartnerschaften könnten helfen, Regionen quasi gegen Klimarisiken abzusichern. Notwendigerweise schließen solche Analysen auch bestehende Spannungs- und Konfliktfelder sozio-politischer Natur (Nationalismen, diskriminierende und rassistische Ausgrenzungslogiken usw.) ein, um vorausschauend für die Bevölkerung z.B. bei einer vorübergehenden Evakuierung ihrer Region einen konfliktarmen Aufenthalt in der Partnerregion zu ermöglichen. Internationale Organisationen könnten im Vorfeld helfen, solche Partnerschaften aufzubauen.
(6) Menschliche Resilienz
Um Konfliktverschärfungen und neuen Ressourcenkonflikten durch Niederschlagsveränderungen zuvorzukommen, könnte es eine Idee sein, mit dem Auftreten z.B. eines Starkregenereignisses oder einer Dürre, ein vorübergehendes Erholungscamp anzubieten, in dem die betroffene Bevölkerung bezahlt für den Wiederaufbau oder die Kompensation in ihrer Region fit gemacht werden kann. Mit medizinischer Versorgung, Vollpension und Sport könnte den andernorts möglichen Ressourcenkonflikten vorgebeugt und gemeinsam und diplomatisch Wiederaufbau- oder Anpassungskonzepte entwickelt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass Familien mitkommen dürfen und auch für die in ihrer betroffenen Region Verbliebenen für diese Zeit gesorgt wird, so dass eine konstruktive Zusammenarbeit im Camp stattfinden kann. Überregionale Organisationen können die Umsetzung der entwickelten Konzepte im Anschluss an das Camp mit begleiten und bei Bedarf unterstützen. Eine Dokumentation und Kommunikation von best practice Beispielen kann die Erfahrungswerte und Effizienz der Durchführung weiterer Camps verbessern. Solche Erholungscamps könnten international unterstützt z.B. in der Partnerregion stattfinden. Sollte beschlossen werden, dafür eine beständige Infrastruktur zu schaffen, könnte überregional ein gemeinsamer Standort dafür gefunden und aufgebaut werden. Das darüber gebündelte und gewonnene praktische Wissen und Material kann wiederum für präventive Fortbildungen zur Sicherung menschlicher Resilienz auch in anderen Regionen verwendet werden.
Klimawandel und Pfadabhängigkeit
Die gesamte KKS ließe sich in ihrer Wirkung reduzieren, wenn man den Klimawandel eindämmen würde. Die globale Erwärmung ist zwar selbst nicht pfadabhängig, da das Kriterium des Lock-Ins nicht erfüllt ist, jedoch gibt es sowohl menschliche als auch physische pfadabhängige Prozesse, die diese Metadynamik stabilisieren und verstärken (Link 2018). Viele von ihnen sind direkt oder indirekt mit dem Ausstoß von Klimagasen, Umweltgiften oder Müll verbunden, so dass diese Nebeneffekte entsprechend der pfadabhängigen Dynamik exponentiell mit verstärkt werden oder beständig eintreten.
Eine friedliche Nachhaltigkeitstransformation kann mit Schmetterlingseffekt gelingen, wenn:
- die nachhaltigen pfadabhängigen Prozesse gestärkt werden können (Abb. 1, 4.a), z.B. durch Kochrezepte nachhaltiger Verhaltensweisen, die wie Informationskaskaden über soziale Netzwerke verbreitet werden können; Saisonale Handlungsbezüge, die gemeinschaftliche Eigendynamik stärken und Anreize setzen, äußeren Impulsen zu nachhaltigem Verhalten zu folgen; Aufmerksamkeit für erfolgreich nachhaltige Ansätze; Lob auch für heimliche Emissionseinsparungen; Verbesserte Funktionalität und Praktikabilität im Alltag und in der Nachhaltigkeit (Kreislaufwirtschaft);
- bislang nicht-nachhaltige Prozesse inhaltlich nachhaltiger verändert werden können (Abb. 1, 4.b), z.B. SUVs mit Elektroantrieb; Effizienzsteigernde Maßnahmen, wie z.B. Rekuperationsbremsen;
- die nicht-nachhaltigen Komponenten durch vollständig nachhaltige Komponenten ersetzt werden (Abb. 1, 4.b Richtung ändern), z.B. Ersatz fossiler Energie durch mechanische Energie;
- oder die kontinuitätssichernden Pfadabhängigkeitsmechanismen so destabilisiert werden, dass der nicht mehr pfadabhängige Prozess mit der Zeit an Bedeutung verliert, wie z.B. beim früheren Einsatz ozonschädlicher Fluorchlorkohlenwasserstoffgase (FCKW).
- Ergänzend können von Grund auf nachhaltige neue Prozesse geschaffen werden, die, wenn sie pfadabhängig gestaltet sind oder mit bestehenden pfadabhängigen Prozessen verknüpft werden, schnell an Bedeutung gewinnen können. Die Pfadabhängigkeit von Produktionsprozessen, der Arbeitsweise von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und Produktlösungen kann überprüft und so justiert werden, dass nachhaltige Varianten bevorzugt werden. Dabei ist es wichtig zuzulassen, dass ausgehend vom »Problem«, das ein Produkt oder ein Prozess lösen soll, eine nachhaltige Alternative auch grundsätzlich neu gedacht werden kann (nicht nur inkrementell aus Bestehendem weiterentwickelt werden muss), wenn die Chance bestehen soll, gesellschaftliche Emissionen substantiell zu reduzieren oder nachhaltige Produktionskreisläufe zu schaffen. In Wirtschaft oder Bildung können auch Mechanismen wie die Legitimität über institutionelle Rahmenvorgaben und die Macht zur Veränderung eine friedliche Transformation unterstützen. Machtstrukturen, die sich sonst vielleicht im direkten Konflikt aufreiben würden, können an neuer Stärke gewinnen, wenn inhaltlich die Richtung verändert wird.
Anmerkung
1) Auch wenn es mit DVORAK am Beispiel der Tastatur zumindest eine reale Alternative gibt.
Literatur
Arthur, W. B. (1994): Increasing returns and path dependence in the economy. Ann Arbor, MI: University of Michigan Press.
Berkowitz, L. (1993): Aggression: Its causes, consequences, and control. New York, NY: Mcgraw-Hill Book Company.
Beyer, J. (2005): Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit! Wider den impliziten Konservatismus eines gängigen Konzepts/Not all path dependence is alike – A critique of the »implicit conservatism« of a common concept. Zeitschrift für Soziologie 34(1), S. 5-21.
Collier, R. B.; Collier, D. (1991): Shaping the political arena: Critical junctures, the labor movement, and regime dynamics in Latin America. Princeton, NJ: Princeton University Press.
David, P. A. (1985): Clio and the economics of QWERTY. The American economic review 75(2), S. 332-337.
Kominek, J.; Scheffran, J. (2012). Cascading processes and path dependency in social networks. In: Soeffner, H.-G. (Hrsg.): Transnationale Vergesellschaftungen: Springer VS, publiziert auf CD-ROM.
Link, J. S. A. (2018): Induced social behavior: Can path dependence or climate change induce conflict? (Doktorarbeit). Universität Hamburg. URL: ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/6264.
Mahoney, J. (2000): Path dependence in historical sociology. Theory and society 29(4), S. 507-548.
Scheffran, J.; Brzoska, M.; Kominek, J.; Link, P. M.; Schilling, J. (2012a): Climate change and violent conflict. Science 336(6083), S. 869-871.
Scheffran, J.; Brzoska, M.; Kominek, J.; Link, P. M.; Schilling, J. (2012b): Disentangling the climate-conflict nexus: empirical and theoretical assessment of vulnerabilities and pathways. Review of European Studies 4(5), S. 1-13.
Sydow, J.; Schreyögg, G.; Koch, J. (2009): Organizational path dependence: Opening the black box. Academy of management review 34(4), S. 689-709.
Jasmin S. A. Link (geb. Kominek) ist Diplommathematikerin und promovierte Soziologin. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind die Weiterentwicklung und Anwendung der Pfadabhängigkeitstheorie, der Klimawandel-Konflikt-Nexus, sowie Technikfolgenabschätzung von »Climate Engineering« oder der Digitalisierung.