Dossier 51

Atomenergie: Zugriff zur Bombe

von Regina Hagen, Xanthe Hall, Martin B. Kalinowski, Wolfgang Liebert und Lars Pohlmeier

Herausgegeben von Wissenschaft & Frieden in Zusammenarbeit mit den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW)

zum Anfang | Nuclear power powers the bomb

von Lars Pohlmeier

Moskau im April 2000: 90 Minuten in Moskau im kleinen Kreis mit Russlands Atomminister Jewgenij Adamov - das stand auf dem Programm unserer kleinen internationalen Delegation der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges). Selbstbewusst berichtete Adamov von der Zukunft der russischen Atomenergie: Mehr als 20 schnelle Plutonium-Brüter für Russland, Export atomarer Mischoxid-Brennstäbe in Konkurrenz zu den USA und westeuropäischen Ländern in alle Welt. Sein Pilotprojekt: der Iran.

Während sich die Öffentlichkeit in Deutschland angesichts der als Atomausstieg verkauften Vereinbarung mit der Industrie einlullen ließ in der Vorstellung, das Atomzeitalter gehe dem Ende zu, war uns in Moskau eindringlich deutlich geworden: Es geht erst richtig los. Das russische Atomministerium ist inzwischen zwar umorganisiert, der »Atomfalke« Adamov längst nicht mehr Minister - doch die ehrgeizigen Pläne bestehen weiter. Dass der Spiegel kürzlich in einer kleinen Notiz meldete, Herr Adamov würde wegen Korruptionsverdacht von den USA international gesucht, zeigt nur noch eine weitere Dimension der zivilen Nukleartechnologie. Das Thema Korruption soll in diesem Dossier von Wissenschaft und Frieden nicht erörtert werden. Dafür aber finden sich tiefe Einblicke in die unglückliche Verbindung zwischen dem zivilen und dem militärischen Einsatz der Atomenergie. So werden etwa die Hintergründe der aktuellen Atomdebatte um den Iran beleuchtet, es wird der wichtige historische Kontext hergestellt, wie sich die internationale Atomenergienutzung so entwickeln konnte, wie sie heute besteht, und es wird der Frage nachgegangen, ob ein nuklearer Terrorismus eine ernstzunehmende Gefahr darstellt.

Die schizophrene Situation, eine angeblich rein zivil nutz- und kontrollierbare Technologie zu fördern, die gleichzeitig so viele ungelöste Fragen hinsichtlich der militärischen Nutzbarkeit aufwirft, spiegelt sich auch in der Geschichte unserer eigenen sozialen Bewegungen wieder. Es ist schon erstaunlich, wie die Haltung zur Atomenergie die Friedens- und Umweltbewegung lange derart spalten konnte. Gerade so als ob beide Themen unabhängig voneinander abgearbeitet werden könnten. In meiner eigenen Organisation hat es lange Jahre gedauert um zu begreifen, dass derjenige Atomwaffen nicht abschafft, der nicht ebenfalls klar Stellung zur gefährlichen Atomenergienutzung bezieht.

Auch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO), nun ebenfalls mit dem Nobelpreis gekrönt, ist vergattert, einen Konflikt zu lösen, den sie mit ihrem eigenen satzungsgemäßen Auftrag gar nicht auflösen kann. Sie soll die Anwendung von Atomtechnologie unparteiisch überwachen und gleichzeitig Fürsprecher und Förderer dieser Problemtechnologie sein. Unbestritten sind die IAEO-Verdienste und die Verdienste ihrer Vertreter in den jüngsten Jahren, denken wir nur allein an die Aufklärungsarbeit um die angeblichen Atomprogramme im Irak. Ohne die IAEO-Expertise bei der internationalen Überwachung der Atomtechnologie wäre es um unsere Sicherheit noch schlechter bestellt. Und doch ist die IAEO selbst verstrickt in den Versuch der (Selbst-)Täuschung der Öffentlichkeit, die Atomgefahr begrenzen zu können, während die gefährliche Atomenergienutzung tatsächlich protegiert wird. Während die IAEO in den Atomwaffenstaaten gleich gar keinen Auftrag hat, bei der Kontrolle der Militärprogramme mitzuwirken, ist sie ansonsten eine Art internationaler Atomfeuerwehr, beauftragt mit dem Versuch, die weltweiten Brandherde mit Wasser aber zugleich eben auch mit Benzin zu löschen. Warum, so fragt man sich, gibt es keine internationalen Initiativen, wenn nicht gar überstaatliche Behörden ähnlich der IAEO, die sicherheitspolitisch harmlose und ökologisch sinnvolle regenerative Alternativen fordern und fördern.

Wir Ärztinnen und Ärzte der IPPNW verurteilen, dass seit 1958 die Weltgesundheitsorganisation (WHO) keine Daten zu den Folgen der Atomenergienutzung publizieren darf, ohne das Plazet der Atomförderer der IAEO einzuholen. Am Vorabend des 20. Jahrestages des Atomunfalls in Tschernobyl hat sich die WHO erneut gängeln lassen und die Folgen der Tschernobyl-Katastrophe öffentlich in Bedeutung und Ausmaß heruntergespielt. Auch deshalb werden wir gemeinsam im Netzwerk kritischer Friedens- und Umweltorganisationen vom 7.-10. April 2006 auf dem Kongress »Atomwaffen & Atomenergie in einer instabilen Welt« dieses Thema umfassend aufarbeiten. Und auch in Berlin wird unter Federführung der Gesellschaft für Strahlenschutz in einem internationalen Kongress das Thema Tschernobyl und seine Folgen für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Viele Jahre beschäftigen wir uns nun schon mit vielen unterschiedlichen, zum Teil komplizierten Aspekten der Janusköpfigkeit von Atomenergie und Atomwaffen. Mein persönliches Fazit lässt sich dabei auf zwei einfache Formeln kondensieren: Erstens: Nuclear power powers the bomb. Und zweitens, allen Unbilden zum Trotze: Es gibt nur eine Zukunft für die Atomenergie - abschalten!

Dr. Lars Pohlmeier ist Mitglied des internationalen Vorstandes der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW). Er ist Arzt und Journalist und arbeitet derzeit im Klinikum Bremen-Ost in der Abteilung für Innere Medizin.

zum Anfang | Atomenergie und Atomwaffen - eine gefährliche Verbindung

von Wolfgang Liebert

Als in den 1930er Jahren klar wurde, dass eine Spaltung (Fission) von Atomkernen möglich ist, begannen in einer Reihe von Ländern sogleich wissenschaftliche Projekte, die Möglichkeiten für technische Anwendungen untersuchten, vorrangig die Möglichkeit für eine völlig neuartige und gewaltige Waffe. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges - ausgelöst durch die deutschen Faschisten - kann als »außerwissenschaftlicher« Trigger für die ersten Atomwaffenprogramme gelten.

Zunächst konzentrierte man sich auf die Möglichkeit einer unkontrollierten Kettenreaktion in ausreichenden Mengen von Uran-235. Da dieses Isotop im Uranerz nur in sehr kleinen Anteilen enthalten ist, mussten Technologien zur Anreicherung von Uran entwickelt werden. Nur wenn das Verhältnis von Uran-235 zu Uran-238 von ursprünglich 1:140 auf mindestens 4:1 erhöht werden konnte und damit die Produktion von hoch angereichertem Uran (HEU) gelang, konnte man sicher sein, dass eine Atomwaffe konstruierbar war. Durch einfaches Aufeinanderschießen von zwei zunächst noch unterkritischen Massen hoch angereicherten Urans entsteht eine überkritische Masse, in der dann eine unkontrollierte Kettenreaktion gestartet wird. Dieses Prinzip reicht für eine Atomwaffe aus. Bekanntlich gelang es in den USA nach gewaltigen Anstrengungen, bis 1945 genügend Uran für die Hiroshima-Bombe anzureichern. Diese einfache Uranbombe konnte ohne vorhergehenden Test eingesetzt werden.

Die Wurzeln: Physik, Nukleartechnologie und die Bombe

Schon 1940 wurde den Physikern klar, dass Uran-238 dazu neigt, Neutronen einzufangen, wobei ein neues Element entsteht, das später Plutonium genannt wurde und sich ebenfalls hervorragend für die Bombe eignet. Bei Verwendung von Plutonium wird sogar deutlich weniger spaltbares Material benötigt: Die notwendige »kritische Masse« liegt - wenn keine weiteren Effekte wie die Kompression durch konventionellen Sprengstoff und bestimmte Designtricks berücksichtigt werden - je nach Isotopenzusammensetzung bei 10-15 Kilogramm anstatt etwa 50 Kilogramm im Falle von HEU. Auf die aufwändige Urananreicherungstechnologie kann in diesem Fall verzichtet werden. Allerdings benötigt man nun eine Neutronen produzierende Anlage, in der Natururan zu Plutonium transmutiert wird. Dies wussten auch die deutschen Atomwissenschaftler um Heisenberg, die sich bis 1945 vergeblich mühten, eine »Uranmaschine« in Betrieb zu setzen. Schneller waren die Konkurrenten in den USA, die schon 1942 einen Uranreaktor »kritisch« machten und erstmals eine kontrollierte Kettenreaktion technisch demonstrieren konnten.

Der alternative Pfad zur Bombe, der über die Plutoniumproduktion im Reaktor eröffnet wurde, brachte neben seinen Vorteilen aber auch neue Schwierigkeiten. Eine (kernchemische) Technologie zur Abtrennung von Plutonium aus dem bestrahlten, nunmehr hoch radioaktiv gewordenen Uranbrennstoff musste erfunden werden. Und wenn es gelingt, Plutonium aus dem Reaktor zu gewinnen, taucht eine weitere Hürde auf. Das entstandene Plutonium setzt sich aus einer ganzen Reihe verschiedener Isotope zusammen, und die geradzahligen Isotope weisen für eine Waffenanwendung problematische Eigenschaften auf. So besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Plutonium-240 und Plutonium-242 sich spontan spalten, ohne Anstoß eines von außen kommenden Neutrons. In einer Waffe kann dies zur Frühzündung führen: Ein Neutron aus Spontanspaltung in Plutonium kann die Kettenreaktion starten, bevor die optimale Kompression des Plutoniums durch den umgebenden konventionellen Sprengstoff erfolgt ist. Das Bombenmaterial fliegt durch die erzeugte Spaltenergie möglicherweise schon so früh auseinander, dass die weitere Spaltung von Plutonium trotz der zunächst lawinenartig wachsenden Neutronenmenge bald wieder zum Erliegen kommt. Insgesamt wächst die Wahrscheinlichkeit, dass nur ein kleinerer Teil des Plutoniums tatsächlich gespalten wird und somit die ungeheure Macht der nuklearen Explosion begrenzt bleibt.

Diese Problematik konnte bewältigt werden, allerdings nur, weil ein im Vergleich mit der Uranbombe weit aufwändigeres Bombendesign entwickelt wurde. Insbesondere mussten technische Vorkehrungen für eine möglichst exakt konzentrische Kompression einer Plutoniumhohlkugel getroffen werden. Am 16. Juli 1945 wurde in der Wüste von New Mexico erstmals eine Plutoniumwaffe erfolgreich getestet und wenige Wochen später gegen die japanische Stadt Nagasaki eingesetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Atomwaffenprogramme in den dominierenden Großmächten ungezügelt weiter. In den frühen 1950er Jahren wurde die zweite Generation von Kernwaffen erfolgreich getestet, die eine noch weit größere Zerstörungskraft besitzt. Diese Technologie basiert auf der Verschmelzung (Fusion) von leichten Elementen (genutzt wird z.B. Lithiumdeuterid und der sog. superschwere Wasserstoff Tritium), die durch die Strahlungsenergie einer unmittelbar zuvor gezündeten Spaltbombe ausgelöst wird. Diese fortgeschrittene thermonukleare Waffentechnologie wurde zur Grundlage für die fürchterlichen Kapazitäten des vielfachen Overkill, die die Vorherrschaft der neuen Supermächte USA und Sowjetunion begründeten.

Tritium kommt in den Kernwaffenprogrammen fortgeschrittener Kernwaffenstaaten noch eine weitere wesentliche Bedeutung zu: Kleinstmengen von 1-2 Gramm können, in geeigneter Weise in die Spaltstoffzone einer Atomwaffe eingebracht, durch die dort entstehenden hohen Temperaturen zur Fusion gebracht werden. So entsteht eine zusätzliche Neutronenlawine, durch die die Spaltausbeute der Waffe erheblich gesteigert wird. Solche Booster-Bomben erzielen ein Vielfaches der Sprengkraft gegenüber den ersten Atombombendesigns und sie öffneten den Weg zur Verkleinerung der Sprengkörper (wichtig z.B. für Raketensprengköpfe) bei gleichzeitiger Effektivierung der Bombenwirkung, der in den etablierten Kernwaffenstaaten konsequent verfolgt wurde.

Atomenergieprogramme

Der Test der ersten Wasserstoffbombe der Sowjetunion brachte die US-Regierung dazu, Ende 1954 das »Atoms for Peace«-Programm zu verkünden. Noch bestand offenbar die Hoffnung, die Verbreitung (Proliferation) der gefährlichen Atombombentechnologie aufhalten und dabei zivile Früchte der militärischen Entwicklungen als weltweites Angebot nutzen zu können. In den späten 1950er Jahren gingen die ersten Reaktoren für die Stromproduktion in Betrieb. In den 1970er Jahren wurden insbesondere Leichtwasserreaktoren zu Exportschlagern in den jeweiligen politischen Lagern. Auch Natururan nutzende Reaktoren - vorrangig aus Kanada -, die besonders gut zur Plutoniumproduktion ohne Notwendigkeit der Urananreicherung geeignet sind, fanden ihren Weg in andere Länder, z.B. Indien.

Heute werden in 31 Staaten Reaktoren für die Stromerzeugung betrieben. Manche Länder haben eine extrem hohe Atomstromquote, aber insgesamt werden fast 50 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten kommerziellen Reaktors lediglich 16% des Weltstrombedarfs nuklear erzeugt (das entspricht einem nuklearen Primärenergieanteil von nicht einmal 6%). In der sich entwickelnden Welt konnten oder wollten nur ganz vereinzelt Staaten ernsthaft ins Atomgeschäft einsteigen.

Zum Betrieb von Leichtwasserreaktoren, die bis heute weltweit dominieren, wird Uran in einer schwachen Anreicherung von etwa 3-4% benötigt. Dazu werden Anreicherungstechnologien genutzt, die bereits für Waffenprogramme benötigt worden waren. In den Reaktoren, den »Uranmaschinen«, entsteht beim Abbrand der Uranbrennstäbe - wie oben besprochen - als Nebenprodukt naturnotwendig Plutonium (etwa 250 Kilogramm jährlich pro Gigawatt Reaktorleistung).

Plutonium taugt nicht nur als Spaltstoff für Bomben, sondern kann selbst wiederum als Brennstoff für entsprechend ausgelegte Reaktoren dienen. Allerdings entstehen bei der Produktion plutoniumhaltiger Brennelemente enorme Zusatzkosten, so dass eine wirtschaftliche Attraktivität für die absehbare Zukunft nicht existiert. Die Reaktorbetreiber ziehen daher eigentlich Uranbrennstoff vor. Dennoch wird seit Jahrzehnten in einer Reihe von Ländern Plutonium aus abgebrannten Brennelementen abgetrennt. Basis ist dabei die Wiederaufarbeitung, die für Waffenprogramme entwickelt wurde. Als Grund wird angeführt, dass man um die begrenzten wirtschaftlich sinnvoll ausbeutbaren Uranvorräte der Welt wisse und daher kein potenzieller Spaltstoff verschwendet werden dürfe. Es müsse sogar dafür gesorgt werden, dass zusätzlicher Spaltstoff produziert wird, am besten genug für mindestens tausend Jahre. Dies wäre nur mit Hilfe von Brutreaktoren machbar, denn durch Plutoniumnutzung in Form von Uran-Plutonium-Mischoxid (MOX) in Leichtwasserreaktoren werden die Uranvorräte nur geringfügig gestreckt.

Im Kern schneller Brüter soll Plutonium als Brennstoff dienen. Gleichzeitig soll in einem Brutmantel aus Natururan mehr Plutonium gewonnen werden als für den Betrieb eingesetzt wurde. Das zusätzlich produzierte Plutonium bestünde fast ausschließlich aus Plutonium-239. Dieses Plutonium ist aber auch für Waffenanwendungen besonders begehrt, weil die oben angedeuteten Probleme beim Bau von Plutoniumwaffen deutlich reduziert würden. Für den gewünschten Zugriff auf den Spaltstoff wäre die Wiederaufarbeitung zwingend. Jahrzehntelange Bemühungen zur Realisierung eines funktionstüchtigen Brutreaktors haben aber nirgends zum Erfolg geführt. Über kleinere Versuchsbrüter ist man praktisch nicht hinausgekommen. Die extremen Herausforderungen an die Sicherheits- und Materialtechnik konnten bislang nicht bewältigt werden.

Eine andere nukleare Zukunftsoption, die schon seit Jahrzehnten in aufwändigen und teuren Forschungsprogrammen verfolgt wird, könnte in Fusionsreaktoren bestehen. Fast alle Konzepte sehen Deuterium und Tritium als Brennstoff vor. Fusionsreaktoren hätten einen Bedarf von etwa 100 Kilogramm Tritium pro Jahr, das im Reaktor selbst aus Lithium erbrütet würde. Mit einem ersten kommerziellen Reaktor rechnet man allerdings nicht vor 2050. Die wissenschaftliche und technische Machbarkeit sowie die ökonomische Attraktivität müssen erst noch demonstriert werden.

Die großen Fusionsexperimente, wie das internationale ITER-Projekt, haben allerdings bereits in näherer Zukunft einen Tritiumbedarf, der bisherige zivile Umgangs- und Handelsmargen bei weitem übertrifft. Tritium wird bislang vor allem für die etablierten Atomwaffenprogramme produziert, da es mit einer Halbwertszeit von etwa 12 Jahren zerfällt und daher regelmäßig ausgetauscht werden muss. In einigen Atomwaffenstaaten (wie USA und Frankreich) wird ein Zweig der Fusionsforschung besonders gefördert, der schon jetzt und durch die im Aufbau befindlichen Großexperimente militärischen Nutzen verspricht: Die so genannte Trägheitseinschlussfusion hat so große Nähe zur Physik thermonuklearer Waffen, dass sie für ein grundlegendes Verständnis der Waffenphysik und für Kernwaffen-Simulationsexperimente höchst attraktiv erscheint.

Weiterverbreitung und Dual-use

Zu den fünf »offiziellen« Atommächten sind inzwischen vier weitere hinzugekommen: Israel, Indien, Pakistan und nach eigenen Angaben auch Nordkorea. Wie war das möglich trotz der internationalen Bemühungen um Nichtweiterverbreitung?

Eine wichtige Erklärung ist, dass Atomenergieprogramme nunmehr als Wurzel für militärische Programme dienen können (Dual-use). Ein enger Zusammenhang zwischen Atomwaffen- und Atomenergieprogrammen erklärt sich schon aus der oben knapp skizzierten Entwicklungsgeschichte der Nuklearforschung und Atomtechnologie.

Die genannten Staaten haben sich das offensichtliche Dual-use-Potenzial nuklearer Forschung, von Technologien und Materialien zu Nutze gemacht. Unter dem Deckmantel ziviler Absichten ist vieles möglich, was letztlich einem Waffenprogramm dient. Es hat sich herausgestellt, dass diese Versuchung in den 1960er und 1970er Jahren auch in einigen europäischen und asiatischen Ländern und später in manchen afrikanischen und südamerikanischen Staaten bestand. Diese haben schließlich auf Waffenprogramme verzichtet - manche allerdings nur unter massivem politischen Druck von außen. Dafür waren sicher auch politische Gründe ausschlaggebend, die interessante Aufschlüsse für heutige Bemühungen um Nichtverbreitung geben könnten.

Die nachholende Entwicklung in einigen Ländern setzt häufig auf ambivalente, zivil wie militärisch nutzbare Technologien, was einerseits mit wirtschaftlichen Beweggründen erklärbar ist, aber andererseits auch den Aufbau gefährlicher militärischer Potenziale ermöglicht.

Überall, wo Anreicherungstechnologien beherrscht werden - und noch offensichtlicher dort, wo sie in zivilen Atomenergieprogrammen tatsächlich zum Einsatz kommen -, besteht im Prinzip die Möglichkeit der Hochanreicherung von Uran für Waffen. Wird HEU im zivilen Kontext eingesetzt, ist die Abzweigung für Waffenzwecke grundsätzlich nicht auszuschließen.

Überall, wo die Plutoniumabtrennung beherrscht wird oder kommerzielle Wiederaufarbeitungsanlagen betrieben werden, besteht in Kombination mit dem Betrieb von Leistungs- oder größeren Forschungsreaktoren im Prinzip die Möglichkeit, an Plutonium für die Waffenproduktion heranzukommen. Die Plutoniumnutzung im Bereich der Energiewirtschaft birgt somit erhebliche Proliferationsgefahren. Bereits heute liegen weltweit etwa 250 Tonnen abgetrenntes Plutonium aus zivilen Beständen vor (etwa eben soviel wie in den gewaltigen Waffenprogrammen der Atommächte).

Sensitive Technologien, wie verschiedene Methoden der Urananreicherung oder die Plutoniumabtrennung in Wiederaufarbeitungsanlagen, werden heute in etwas mehr als 20 Staaten prinzipiell beherrscht oder großtechnisch betrieben.

Bereits die gegenwärtige MOX-Brennstoffnutzung muss beunruhigen, da der damit verbundene Umgang mit Plutonium vielfältige Abzweigungsmöglichkeiten für Waffenprogramme schafft. Flächendeckende Brüterprojekte, die gegenwärtig (zum Glück) nicht in Sicht sind, würden diese Problematik dramatisch verschärfen.

Daneben sind alle starken Neutronenquellen - nicht nur Reaktoren, sondern auch moderne, genügend leistungsstarke Beschleuniger für die Forschung - potenziell für die Produktion von kernwaffenfähigen Materialien geeignet.

Hier zeigt sich die Janusköpfigkeit gegenwärtiger Nukleartechnologie. Fortgeschrittene Nuklearforschungs- und Atomenergieprojekte schaffen wesentliche und unverzichtbare Voraussetzungen für Atomwaffenprogramme und senken damit die Schwelle zum stets denkbaren Zugriff auf die Bombe.

Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), ElBaradei, zitierte mehrfach Befürchtungen, nach denen bis zu 40 Länder das Know-how für Kernwaffen bereits zur Verfügung hätten. Das mag man für übertrieben halten, aber der Betrieb von Leistungsreaktoren kann als ein Indiz für ausreichende wissenschaftliche und technische Fähigkeiten gelten. Etwa 60 Länder betreiben Forschungsreaktoren. In knapp 40 Ländern wird dabei noch immer mit waffenfähigem HEU hantiert (wenn auch zumeist in kleineren Mengen).

Gefahren verringern

Wenn nach Umgangsweisen mit der bedrohlichen Proliferationsdynamik gesucht wird, muss an erster Stelle die Einsicht stehen, dass die Gefahren bereits durch den Zugang zu sensitiven Technologien und Materialien entstehen. Hier liegt die Wurzel des Problems, neben den stets dem Wandel unterworfenen politischen Zielsetzungen. Mehr noch: Die Erlangung technischer Fähigkeiten ist auf längere Sicht irreversibel, politische Macht und politische Regelungen sind demgegenüber höchst instabil oder verändern sich sogar entsprechend den technischen Möglichkeiten.

Da die Wurzel in der Ambivalenz der Nukleartechnologie liegt, die bereits in ihre Entstehungsgeschichte eingeschrieben ist, kommt man dem Proliferationsproblem letztlich auch nicht durch Sicherungsmaßnahmen (Safeguards) der IAEO bei. Ihre politische Wirkung soll damit nicht völlig in Frage gestellt werden, aber grundsätzlich handelt es sich bei den Safeguards um Maßnahmen, die lediglich nachgeordnet und sehr begrenzt wirksam werden können und überdies fest an die aktuellen politischen Randbedingungen angekoppelt sind, die so wandelbar sind, dass sie sogar zu einem außer Kraft setzen zuvor existenter Safeguards-Vereinbarungen führen können (aktuelles Beispiel Nordkorea). Durchgreifende Verbesserungen sind nur denkbar bei einem bewussten und tief greifenden Souveränitätsverzicht der Staaten und einem völlig veränderten Problembewusstsein bei den Anlagenbetreibern und -entwicklern. Die bloße Existenz von Safeguards als Freibrief für die Arbeit mit sensitiven, proliferationrelevanten Technologien und Materialien zu betrachten, muss jedenfalls auf längere Sicht als fatale Fehleinschätzung angesehen werden.

Auch einseitige Exportkontrollen derjenigen Staaten, die sensitive Technologien bereits selbst beherrschen, können bestenfalls für eine Atempause sorgen. Es hat sich gezeigt, dass Staaten, die von Exportkontrollen betroffen sind, solche Maßnahmen durch Eigenentwicklungen mittelfristig unterlaufen können. Überdies ist höchst fraglich, ob ein System, das einigen Ländern Zugang zu sensitiven Technologien erlaubt, anderen aber verbietet, auf Dauer stabil (und gerecht) ist. Daraus kann umgekehrt sogar ein Stimulus für eigenständige Entwicklungen im sensitiven Bereich erwachsen.

Es ist daher dringlich über Safeguards-Maßnahmen hinaus zu denken. Unter pragmatischer Perspektive, die davon ausgeht, dass eine größere Zahl von Ländern noch für längere Zeit auf Nukleartechnologie setzen, ist vor allem das Konzept der Proliferationsresistenz interessant. Hier liegt eine Chance darin, dass sich nicht jede zivil nutzbare Nukleartechnologie oder jedes Nuklearmaterial gleichermaßen auch für Atomwaffen eignet. Nukleartechnologien, auf deren Nutzung man nicht verzichten will, könnten robust gemacht werden gegen Proliferationsszenarien. Dazu muss die Auslegung der Technologie selbst so verändert werden, dass der Zugriff auf waffengrädiges Nuklearmaterial ausgeschlossen ist.

Ein gutes illustratives Beispiel ist der technisch machbare weltweite Verzicht auf hochangereichertes Uran (HEU) in Forschungsreaktoren. Als Alternative zu HEU stehen schwach angereicherte aber hochdichte Brennstoffe zur Verfügung, die nicht waffengrädig sind. Die notwendige Umrüstung der Forschungsreaktoren muss jeweils konkret bedacht und durchgesetzt werden. Dies gilt gerade auch für den neuen Münchner Reaktor FRM-II. Diese wesentliche Maßnahme zur Reduzierung der Proliferationsgefahren an ihrer Quelle ist nicht-diskriminierend, sie kann und muss demgemäß Gültigkeit für alle Staaten bekommen.

Ob Proliferationsresistenz zum durchschlagenden Kriterium auch für die gegenwärtig in Entwicklung befindlichen Nukleartechnologien werden könnte, ist zur Zeit nicht absehbar. Erste Schritte in diese Richtung können bislang überhaupt nicht überzeugen. Wenn nukleare Technologien eine Zukunft bekommen sollten, müssten zuvor überdies weitere zentrale Gefahrenpotenziale (wie in den Bereichen Anlagensicherheit und Atommüll) durch tragfähige Ansätze der Technikgestaltung beseitigt werden. Dazu gehört zweifellos auch, dass Angriffe auf Nuklearanlagen keine katastrophalen Folgen haben dürfen, was zur Zeit für weit mehr als 500 Anlagen in der Welt nicht gegeben ist.

Die gegenwärtige Atomkraftnutzung stellt aus meiner Sicht eine unübersehbare Gefahr für den Weltfrieden dar. Der klügste Ansatz wäre daher ein Verzicht auf diesen gefährlichen Pfad der Energiegewinnung. Mindestens müssten die für unverzichtbar gehaltenen Nukleartechnologien proliferationsresistent gemacht werden. Ansonsten bleibt nur die Gestaltung von Forschung und Technik in übergreifender Perspektive. Demgemäß geht es bereits heute um eine zukunftsfähige Gestaltung des Energiesystems insgesamt. Eine große Herausforderung für Forschung, Dienstleistungsunternehmen, Industrie und die gesamte Gesellschaft.

Dr. Wolfgang Liebert ist wissenschaftlicher Koordinator der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der Technischen Universität Darmstadt.

zum Anfang | Das Nuklearprogramm des Iran - zivil oder militärisch?

von Martin B. Kalinowski

Es gibt keine Beweise für die Existenz eines Kernwaffenprogramms im Iran. Allerdings hat der Iran vor Oktober 2003 seine Verpflichtungen aus dem Safeguards-Abkommen verletzt und zahlreiche verdächtige Aktivitäten betrieben, ohne sie zu melden und überwachen zu lassen. Alle nuklearen Materialien und Anlagen, die im Iran entdeckt wurden, werden heute von Inspekteuren der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) überwacht. Sorge bereitet, dass es möglicherweise weitere geheime Nuklearaktivitäten im Iran geben könnte und dass diese militärischen Zwecken dienen. Diese Sorge gewinnt an Gewicht auf Grund der Erfahrung, dass die IAEO die meisten ungemeldeten Aktivitäten nicht ohne Hilfe von außen aufdecken konnte. Daher werden Bemühungen intensiviert, durch neue Messtechnik die Fähigkeit der Inspektionsbehörde zu verbessern, heimliche nukleare Aktivitäten aufzuspüren.

Der Iran hat nach Artikel IV des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) das uneingeschränkte Recht zur Beschaffung und zum Betrieb ziviler Kerntechnik. Damit stellt sich das Problem der zivil-militärischen Doppelverwendbarkeit dieser Technologie.

Dieser Artikel beschränkt sich auf technische Fakten und versucht sich nicht in einer Analyse politischer Aussagen und Vorgänge, durch die der Iran ins Zwielicht rückte und wegen derer der iranischen Regierung vielfach die Absicht unterstellt wird, das zivile Nuklearprogramm als Vorwand oder Tarnung eines eigentlich militärisch motivierten Vorhabens aufzubauen. Auch ohne derartige Unterstellungen und ohne Misstrauen können deutliche und weitgehende Schlussfolgerungen gezogen werden.

Kein Beleg für Atomwaffenprogramm

Zwar gibt es Indizien, die für mögliche militärische Intentionen des iranischen Nuklearprogramms sprechen. Die IAEO hat jedoch bisher keine Belege dafür gefunden, dass der Iran kernwaffenfähige Spaltstoffe heimlich produziert oder entwendet hätte.1 Es gibt keinen Beweis dafür, dass der Iran tatsächlich Kernwaffen herstellen würde, und nur dies wäre ein Bruch von Art. II des NVV (siehe Tabelle 1).

Die bisher brisanteste Entdeckung wurde in der Kala Electric Company in Abali bei Teheran gemacht. Die IAEO hat Spuren von hoch angereichertem Uran in Wischproben nachweisen können, die Inspektoren im August 2003 auf der Oberfläche von Maschinenteilen für die Urananreicherung genommen hatten. Der Iran hatte zuvor die Anreicherung von Uran bis maximal 1,2% Uran-235 deklariert. In der Folge blieb zwei Jahre lang umstritten, ob mit dem Nachweis von Spuren hoch angereicherten Urans ein Verstoß gegen den NVV aufgedeckt worden sei. Der Iran erklärte, dass die gefundenen Spuren beim Import der Anlage von Pakistan als Kontamination mit eingeschleppt worden seien. Dies konnte zunächst nicht geklärt werden, da es analytisch schwierig ist, das Alter der gefundenen Uranspuren zu bestimmen. Im August 2005 kam dann jedoch die Entwarnung. Ein internationales Team von Experten konnte den Nachweis erbringen, dass die Isotopenzusammensetzung der im Iran gefundenen Uranspuren mit pakistanischen Proben übereinstimmen, die diesen Experten zur Verfügung standen. Damit war endlich die Erklärung des Iran bestätigt. Diese Nachricht blieb von den Medien weitgehend unbeachtet, und nur wenigen Beobachtern wurde deutlich, dass somit keinerlei Spuren auf eine Hochanreicherung von Uran im Iran hinweisen. Somit kann die IAEO dem Iran also keinen Bruch seiner Verpflichtungen unter Artikel II des NVV vorwerfen.

Verletzungen des Safeguards-Abkommens

Die IAEA wirft dem Iran vor, mehrfach seine Verpflichtungen gegenüber der IAEO nicht eingehalten zu haben, die sich aus dem Safeguards-Abkommen ergeben.2 Sowohl nukleare Materialien als auch Anlagen hätten deklariert werden müssen. Die folgende Aufzählung enthält auch Anlagen, in denen noch kein nukleares Material vorhanden war und die daher nicht unter die Deklarationsverpflichtung des Safeguards-Abkommens fielen, sondern erst durch das im Dezember 2003 unterzeichnete Zusatzprotokoll frühzeitig zu deklarieren waren.

  • In Natanz hat der Iran Uranhexafluorid (UF6) in eine Urananreicherungsanlage eingebracht und angereichert, ohne dies der IAEO zu melden. Dazu wäre der Iran verpflichtet gewesen. Diesen Verstoß hat die IAEO im Februar 2003 entdeckt. Der Iran entschuldigt dieses Verhalten damit, dass nur geringe Mengen UF6 zu Testzwecken verarbeitet worden seien.
  • In Lashkar Abad bei Karaj wurde ab 2000 eine Pilotanlage für Laseranreicherung gebaut, aber der IAEO nicht gemeldet. Die IAEO hat die Anlage 2004 besucht und ihre nukleare Verwendung bestätigt.
  • Die Kala Electric Company in Abali bei Teheran wurde zur Installation von Zentrifugen genutzt, die der Iran aus Pakistan importiert hatte. Weder diese Anlage noch der Bau der Urananreicherungsanlage von Natanz noch der Bau einer Schwerwasserproduktionsanlage bei Arak wurden der IAEO gemeldet.
  • Der Import von Natururan in 1991 war nicht gemeldet worden. Auch die Verarbeitung und der Gebrauch dieses Materials sowie die dabei entstandenen Überträge in Abfall wurden nicht gemeldet.
  • Die Anreicherung von importiertem UF6 in der Kala Electric Company in Abali bei Teheran, die sowohl 1999 und 2002 zu Testzwecken durchgeführt wurde, hätte gemeldet werden müssen.
  • Der Import von Uranmetall in 1993 und dessen Anreicherung in der Laseranreicherungsanlage in Lashkar wurde nicht gemeldet.
  • Die Produktion von Targets3 aus Uranoxid im Nukleartechnologiezentrum Isfahan sowie deren Bestrahlung im Forschungsreaktor von Teheran mit anschließender Abtrennung von 0,2 Milligramm Plutonium zwischen 1988 und 1992 hätte gemeldet werden müssen.
  • Die Produktion verschiedener Uranoxide, Uranfluoride und von Ammoniumuranylkarbonat hätte ebenfalls berichtet werden müssen.

Ähnliche Verstöße und Fehler sind auch von zahlreichen anderen Ländern bekannt geworden, ohne dass dies - mit der Ausnahme vom Irak und Nordkorea - eine nennenswerte internationale Reaktion hervorgerufen hätte. Die Häufung und zeitliche Ausdehnung von derartigen Vorkommnissen im Iran sowie die Intensität und der Umfang seines ehemals versteckten Nuklearprogramms stellen jedoch eine Besonderheit dar.

Nach dem Aufdecken dieser Fehler bemüht sich der Iran seit Oktober 2003, mit reiner Weste zu erscheinen. Die Kooperation mit den IAEO-Inspektoren wurde verbessert und mehr Transparenz hergestellt, wenngleich Hinhaltemanöver und widersprüchliche Angaben zu weiterer Skepsis Anlass geben. Die erforderlichen Deklarationen wurden nachgeholt. Für alle genannten Anlagen wurden die Design-Informationen zur Verfügung gestellt. Inventarlisten, Materialbilanzen sowie Informationen über Importe und Transfers wurden detailliert erstellt. Für alle Materialien und Anlagen wurden IAEO-Inspektionen zur Verifikation des Inventars und des weiteren Betriebes zugelassen. Alles deklarierte Material konnte verifiziert werden, und es wurde keinerlei Entwendung entdeckt.

Der Iran hat das freiwillige Zusatzprotokoll am 18. Dezember 2003 unterzeichnet und bereits vor seinem Inkrafttreten dessen Anwendung erlaubt.4 Sobald Anlagen entdeckt oder vermutet wurden, durfte die IAEO in den meisten Fällen Inspektionen vornehmen oder solche wurden zumindest in Aussicht gestellt. Offene Fragen sieht die IAEO derzeit noch in der Geschichte des Imports von Zentrifugentechnologie direkt und über Mittelsmänner aus Pakistan. Im Fall der Forschungsarbeit zur Laseranreicherung wurden alle Aktivitäten beendet und die Anlagen abgebaut. Nachdem eine Baustelle in Isfahan bekannt wurde, in der angeblich Zentrifugen getestet werden sollten, hat der Iran die Bauarbeiten beendet und eine IAEO-Inspektion dort zugelassen. In Verhandlungen mit der EU-3 Gruppe (Großbritannien, Deutschland, Frankreich) gestand der Iran zunächst zu, alle Nuklearaktivitäten einzufrieren. Ferner gestattet der Iran der IAEO mittels Sondermaßnahmen, die über übliche nukleare Safeguards hinaus gehen, die Einhaltung des eingefrorenen Zustands zu verifizieren.

Vereinbarungen mit der EU

Eine entscheidende Wende nahm die Iran-Krise mit der gemeinsamen Erklärung von Teheran mit den Außenministern der EU-3 im Oktober 2003 und dem Abschluss des Pariser Abkommens zwischen dem Iran und den EU-3 im November 2004. In letzterem verpflichtet sich der Iran,

  • alle zum so genannten Brennstoffkreislauf gehörenden Aktivitäten zu suspendieren,
  • das Zusatzprotokoll zu ratifizieren,
  • alle Anlagen, Aktivitäten und Materialien zu deklarieren und den IAEO-Inspektoren zur Verifikation zu öffnen.

Als Gegenleistung werden dem Iran Kooperation in Fragen der regionalen Sicherheit und der zivilen Nutzung von Kerntechnik sowie ökonomische und technische Unterstützung zugesagt, die noch im Detail auszuhandeln sind. Auch das Angebot der EU-3 für ein langfristiges Abkommen, das dem Iran am 5. August 2005 vorgelegt wurde, bot wenig mehr als wenig spezifische Versprechen sowie die Bestätigung von Zusagen, zu denen ohnehin bereits völkerrechtliche Verpflichtungen bestehen. Ein wichtiger Gewinn für den Iran besteht darin, dass Großbritannien und Frankreich im Angebot vom August 2005 negative Sicherheitsgarantien zusagen (d.h. kein Nuklearangriff der beiden Länder auf Iran).

Dem Iran wird vorgeworfen, seine Zusage, das Nuklearprogramm einzufrieren, gebrochen zu haben. Anfang August kündigte der Iran an, die Produktion von UF6 in der Urankonversionsanlage von Isfahan wieder aufzunehmen. Diese Maßnahme wurde angekündigt und mit den folgenden drei Argumenten begründet:

  • Der Iran hat das Recht auf zivile Nukleartechnik gemäß Artikel IV des NVV, dies sei ihm schon seit den frühen 80er Jahren ungerechterweise vorenthalten und torpediert worden;
  • Der Iran habe seine Verpflichtungen des Pariser Abkommens voll eingehalten, die EU-3 hätten jedoch praktisch nichts gegeben, sie hätten nur Zeit gewinnen wollen, durch lang sich hinziehende Verhandlungen;
  • Die UF6-Produktion fällt nicht unter das in der Teheraner Erklärung von Oktober 2003 vereinbarte Einfrieren, da es selbst keine Anreicherungsaktivität ist. Der Verzicht auf diesen die Anreicherung vorbereitenden Schritt wurde dem Iran erst im Pariser Abkommen vom November 2004 abgerungen.

Die Produktion hat der Iran dann jedoch erst am 16. November 2005 wieder aufgenommen. Die Terminierung der Ankündigung und des Vollzugs deutet daraufhin, dass damit ein klares politisches Signal gesetzt werden sollte. Das Entfernen der Siegel wurde am 1. August, nur wenige Tage vor der geplanten Vorlage eines Angebots der EU-3 entsprechend ihren Verpflichtungen nach dem Pariser Abkommen, angekündigt. So sehr die Terminierung auch provozieren mag, die Handlungen stellen keinen Bruch des NVV dar. Sie können als Bruch des zusätzlichen Zugeständnisses gegenüber den EU-3 im Pariser Abkommen vom November 2004 angesehen werden, wobei der Iran den Standpunkt vertritt, die EU Staaten hätten vorher schon ihre Verpflichtungen aus diesem Abkommen nicht eingehalten.

In seiner Resolution vom 24. September 2005 hat der IAEO-Gouverneursrat festgestellt, dass die schon seit einem bis zwei Jahren bekannten Fehler und Tatbestände der Nichteinhaltung des Safeguards-Abkommens nun als Verstoß im Sinne von Artikel XII.C des IAEO-Statuts zu behandeln seien. Die Resolution droht auch explizit mit der Befassung des UNO-Sicherheitsrates mit den offenen Fragen hinsichtlich der rein friedlichen Intentionen des iranischen Nuklearprogramms.

Militärische Absichten?

Neben den genannten klaren Verstößen gegen Abkommen gibt es Indizien und Vermutungen, die zwar keine Beweise für ein heimliches Kernwaffenprogramm des Iran darstellen, trotz entlastenden Erklärungen erschüttert die große Anzahl von Anhaltspunkten aber die Glaubwürdigkeit des Iran.

  • Derzeit besitzt der Iran kein Kernenergieprogramm, für das angereichertes Uran als Brennstoff benötigt wird. Die Dimensionierung der in Natanz in Bau befindlichen Urananreicherungsanlage wäre nur verständlich, wenn zahlreiche Kernkraftwerke damit versorgt werden sollten. Skeptiker halten das vom Iran geplante Kernenergieprogramm für nicht glaubwürdig, da der Iran über große Erdölreserven verfügt. Allerdings sollte man vorsichtig damit sein, die Glaubwürdigkeit eines Programms in Frage zu stellen, nur weil es nicht als konsistent mit dem nationalen Energieversorgungskontext erscheint.
  • In Arak wird ein 40-Megawatt-Schwerwasserrektor gebaut, der besonders gut für die Produktion von Plutonium geeignet ist.
  • Ein Teil der Urananreichungsbemühungen wird vom Verteidigungsministerium betrieben. Der Iran erklärt das damit, dass das iranische Militär an anderen kommerziellen Industriebetrieben beteiligt sei.
  • Die Gebäude in Natanz, in denen die Urananreicherungsanlage installiert werden soll, wurden komplett unterirdisch gebaut. Die Oberfläche wurde mit Erde bedeckt, als solle die Anlage versteckt werden. Der Iran erklärt dies mit dem Anliegen, die Anlage gegen Gefährdungen aus der Luft zu schützen.
  • Die Firma Kala Electric Company in Abali bei Teheran, in der die von Pakistan gekaufte Uranzentrifuge getestet wurde, war als Uhrenhersteller registriert.
  • Noch bevor Inspektoren im Jahre 2004 im Technologieforschungszentrum Lavizan-Shian eine vermeintliche Biowaffenforschungseinrichtung besuchen konnten, wurde das Gebäude vollständig abgerissen und sogar Boden abgetragen. Der Iran behauptet, das Gelände würde der Stadt gehören und zu einem Park umstrukturiert. Nachprüfungen bestätigten, dass diese Angaben glaubwürdig sind.
  • Als die IAEO im Jahre 2004 die Laseranreicherungsanlage in Lashkar Abad besuchen wollte, wurde sie zunächst zu einem nahe gelegen Ort geführt, offenbar in der Absicht, der IAEO vor Augen zu führen, wie unzuverlässig die Angaben der Oppositionsorganisation NCRI sei. Schließlich führt der Iran die Inspektoren jedoch an den richtigen Ort.
  • Immer noch steht die Inspektion einer militärischen Anlage in Lavizan aus. Dort werden verschiedene Aktivitäten im Zusammenhang mit Urananreicherung vermutet. Unter anderem könnte das in Lashkar Abad demontierte Experiment zur Laseranreicherung dort wieder aufgebaut worden sein.
  • Kleine Proben metallischen Wismuts sind mit Neutronen bestrahlt worden. Dabei entsteht Polonium-210. Dies kann in einem Gemisch mit Beryllium als Neutronenquelle verwendet werden. Diese könnte in Kernwaffen für den Start der Kettenreaktion zum Einsatz kommen. Der Iran erklärte, dass es sich um Forschungen zu zivilen Zwecken gehandelt habe, die nicht abgeschlossen wurden und zudem bereits 13 Jahre zurück lägen. Man hätte das Polonium-210 für die Herstellung von nuklearen Batterien auf der Basis von Radioisotopen verwenden wollen.
  • Noch nicht von der IAEO bestätigt: Der Versuch, Tritium in Südkorea zu beziehen, Beryllium aus China und hochreines Graphit aus Dubai.
  • Wenige Tage vor der IAEO-Gouverneursratssitzung am 24. November 2005 wurde bekannt, dass der Iran technische Unterlagen an die IAEO übergeben hat, in denen die mechanische Bearbeitung von metallischem Uran und insbesondere die Herstellung von Halbkugeln beschrieben wird. Hierfür ist keine zivile Anwendung vorstellbar. Dies ist eine eindeutig militärische Technik, die zur Herstellung der zentralen nuklearen Komponente einer Kernwaffe verwendet werden kann. In den Medien wird die voreilige Schlussfolgerung gezogen, es sei ein neuer und besonders ernst zu nehmender Hinweis auf ein weit fortgeschrittenes Kernwaffenprogramm entdeckt worden. Ganz im Gegensatz dazu wertet die IAEA die Übergabe der Dokumente als einen positiven Schritt zur Erfüllung der geforderten Transparenz und sieht im bekannt werden dieser Unterlagen keinen Vertrauensbruch. Tatsächlich befanden sich die beschriebenen Unterlagen in einem Stoß zahlreicher Dokumente, die der Iran bereits vor rund zehn Jahren vom A.Q. Khan-Netzwerk aus Pakistan unaufgefordert im Zuge der Lieferung von Zentrifugen erhalten hatte. Der Iran beteuert, diese für den Kernwaffenbau wichtigen Informationen weder bestellt noch verwendet zu haben.

Für alle hier aufgeführten Indizien, die vor allem in ihrer Häufung die Vermutung von Kernwaffenambitionen nahe legen, hat der Iran Erklärungen abgegeben, die mit der Unschuldsvermutung vereinbar sind.

Mögliche Positionen

Angesichts der nuklearen Situation im Iran muss jeder Akteur in zweierlei Hinsicht eine Positionsentscheidung vornehmen. Erstens kann man entweder an die Unschuld des Iran glauben, oder man vermutet ein geheimes Atomwaffenprogramm. Zweitens kann man hinsichtlich des NVV entweder den Standpunkt vertreten, der Vertrag sei nicht-diskriminierend anzuwenden, oder man befindet, dass ein Staat der den Vertrag verletzt hat, strenger zu kontrollieren ist und bestimmte Rechte aus dem Vertrag verwirkt hat. Tabelle 2 demonstriert die vier Standpunkte, die sich aus der Kombination dieser zwei antagonistischen Positionen ergeben.

Der Iran sieht sich selber als Opfer eines bereits Jahrzehnte andauernden und sich verschärfenden Verstoßes gegen Artikel IV des NVV, weil ihm der Zugang zu Nukleartechnologien durch die meisten Anbieterländer verwehrt wird.

Sowohl die EU-3 und Russland als auch die USA bestehen auf einer dauerhaften Einschränkung des iranischen Nuklearprogramms. Sie bieten dem Iran nun eine Lösung an, bei der in Russland ein mit dem Iran gemeinsam betriebenes Urananreicherungsprogramm installiert wird. Die Urankonversion in UF6 dürfte der Iran weiter betreiben, müsst aber das UF6-Gas nach Russland liefern. Dort würde Anreicherung und Brennstoffherstellung erfolgen. Der Iran würde an den Gewinnen durch die weltweite Vermarktung beteiligt. Ende Dezember hat der Iran diesen Vorschlag abgelehnt und sein Vorhaben bekräftigt, im eigenen Land Uran anreichern zu wollen.

Dual-Use ist die Quelle der Eskalation

Falls der Iran wirklich ein heimliches Kernwaffenprogramm betreibt oder zumindest betrieben hat, so ist dessen Tarnung aufgrund der Dual-Use-Charakteristik der betreffenden Nukleartechnologien möglich. Dadurch werden eine Entdeckung der wahren Absichten und deren unumstößlicher Beleg zu einer extrem schwierigen Aufgabe.

Falls der Iran wirklich kein heimliches Kernwaffenprogramm betreibt, dann ist die Dual-Use Problematik der betreffenden Nukleartechnologien die Ursache für eine immens friedensgefährdende Eskalation. Im Fall eines unbegründeten Verdachts wütet außerhalb des Iran eine nicht beruhigbare Angst, während innerhalb des Iran eine zunehmende Wut über die ungerechte Behandlung aufsteigt. Wenn die Angst eine Eskalation betreibt, in der sie immer mehr demütigende Behandlungen des Iran einfordert, wird die Wut im Iran unweigerlich einen Trotz heraufbeschwören, der zu einem Ende der Kooperationswilligkeit führt. Die Wiederaufnahme der Urankonvertierung ist bereits ein derartiger Schritt. Im Vorfeld der November-Sitzung des IAEO-Gouverneursrats drohte der Iran mit der Einstellung aller freiwilligen Kooperationen mit den Inspektoren und die Beschränkung auf eine Art Dienst nach Vorschrift gegenüber den Inspektoren, sollte der Fall vor den UNO-Sicherheitsrat gebracht werden.

Was ist zu tun?

Strikte Einhaltung aller Safeguards-Verpflichtungen

Die aufgedeckten Verstöße der Vergangenheit sollten für die IAEO Anlass sein, bei der weiteren Überwachung des Iran alle Möglichkeiten - insbesondere Sonderinspektionen - auszuschöpfen, die das Safeguards-Abkommen und das Zusatzprotokoll bieten. Alle noch bestehenden offenen Fragen und Widersprüche müssen rückhaltlos aufgeklärt werden.

Aber die Erfahrungen zeigen, dass es selbst bei voller Ausschöpfung aller Verifikationsmittel eine äußerst schwierige Aufgabe bleibt, ungemeldete Anlagen und Materialien zu entdecken. Oftmals bedarf es der Hinweise von außen, damit nicht deklarierte Nuklearaktivitäten bekannt werden und inspiziert werden können.

Verbesserung der nuklearen Safeguards

Das Potential bestehender Methoden und Technologien für Safeguards bedarf offenbar bezüglich der Entdeckungschancen nicht-deklarierter Aktivitäten einer weiteren Verbesserung.

Daher hat die Generalversammlung der IAEO im Jahre 2004 beschlossen, die Entwicklung neuer Methoden und Technologien insbesondere zur Implementierung des Zusatzprotokolls zu forcieren. Zur Umsetzung dieses Beschlusses hat die Behörde in 2005 alle Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, sie bei der Suche und Entwicklung neuer Technologien zu unterstützen, durch die undeklarierte nukleare Materialien und Anlagen zu deren Produktion entdeckt werden können. In erster Linie geht es um die Entdeckung des undeklarierten Betriebes von Wiederaufarbeitungs- und Urananreicherungsanlagen.

Eindeutige Zeichen eines Kernwaffenprogramms als Vertragsbruch werten

Ein gravierender Schwachpunkt des NVV-Verifikationssystems liegt darin, dass der Bau von Kernwaffenkomponenten, die nicht spaltbare Materialien beinhalten, offiziell nicht als Beleg für eine Vertragsverletzung verwendet werden können, weil sich die Verifikation ausdrücklich nur auf die nuklearen Materialien bezieht. Die Doppelverwendbarkeit macht es sehr schwer, einen eindeutigen Beleg auf Kernwaffenherstellung zu finden.

Die IAEA darf einschlägige Indizien für ein mögliches Kernwaffenprogramm lediglich zum Anlass nehmen, die ihr zugestandenen Kontrollen der kernwaffenfähigen nuklearen Materialien besonders genau auszuführen. Erst ein Beleg für die Entwendung von Plutonium oder hoch angereichertem Uran darf von der IAEO als Verstoß gegen den NVV angezeigt werden. Wenn ein derartiger Sachverhalt vorliegt, wird allerdings keine Ausrede mehr akzeptiert. Daher würde jegliche nachgewiesene Entwendung von mindestens einer signifikanten Menge waffenfähigen Nuklearmaterials als Verstoß gegen Artikel II des NVV gewertet. Allerdings gibt es Wiederaufarbeitungsanlagen, in denen gelegentlich sogar mehrere signifikante Mengen bei einer Materialbilanzierung unerklärt bleiben. Die Hypothese einer möglichen Entwendung wird nicht ausgesprochen, wenn diese Menge aufgrund statistischer Überlegungen auf Messfehlern beruhen kann.

Verbot oder freiwilliger Verzicht?

Von vielen Seiten wird gefordert, dem Iran den Betrieb von Urananreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen zu verwehren. Neben der Doppelverwendbarkeit gibt es aber noch ein anderes Argument für eine derartige Maßnahme. Sollte ein ziviles Nuklearprogramm existieren, könnte ein geheimes Kernwaffenprogramm weit fortschreiten, bevor es zum Einsatz von spaltbaren Materialien kommt. Sobald der Zugriff auf das Spaltmaterial zum Bombenbau geschieht, wäre es entscheidend, die Materialentwendung sehr schnell zu erkennen. Die IAEO arbeitet mit strikten Zeitvorgaben als Entdeckungsziel, die sich danach richten, wie schnell das Material für den Bau einer Kernwaffe verarbeitet werden kann. Eine zeitkritische Situation möchten manche Beobachter vermeiden, indem im Iran kein direkt verwendbares nukleares Material vorhanden oder produzierbar sein soll.

Ein Verbot bestimmter ziviler Nuklearaktivitäten würde aber gegen Art. IV des NVV verstoßen. Dies sehen manche Experten anders. Sie meinen, dass ein Staat, der in Verdacht steht - und insbesondere wenn er das Safeguards-Abkommen verletzt hat - sein volles Recht nach Art. IV verwirkt hätte. Dem wird sich der Iran nicht beugen.

Das Dilemma zwischen Einhaltung von Art. IV und der militärischen Verwendbarkeit von als zivil deklarierten Anlagen und Materialien könnte gelöst werden, wenn der Iran freiwillig auf deren zivile Nutzung verzichtet. Mittelfristig erscheint es jedoch aussichtslos, einen freiwilligen Verzicht des Iran zu erhalten, selbst wenn er mit Gegenleistungen motiviert wird.

Internationalisierung kritischer Anlagen?

Die Hoffnungen liegen nun auf dem Vorschlag, den Betrieb kritischer Nuklearanlagen zu internationalisieren. Idealerweise soll dann kein einzelnes Land mehr die alleinige physische Kontrolle über das Nuklearmaterial haben. Das ist allerdings in den schon existierenden internationalen Kooperationen zur Urananreicherung wie Eurodif und Urenco nicht realisiert. Sowohl der frühere Vorschlag von Südafrika als auch der neuere von Russland sehen vor, den Iran an der Urananreicherung zu beteiligen, diese jedoch nicht auf seinem Territorium auszuführen.

Man sollte aber nicht vergessen, dass der Iran mit einem ähnlichen Vorhaben schlechte Erfahrungen gemacht hat. Der Iran hat 1974 einen Nuklearkooperationsvertrag mit Frankreich geschlossen und sich als Partner in das europäische Uran-Anreicherungskonsortium Eurodif eingekauft. Als der Iran 1991 angereichertes Uran beziehen wollte, kam es zu einem Rechtsstreit mit Frankreich, weil der Iran seine Zahlungsverpflichtungen in den 1980er Jahren nicht eingehalten hatte. Seither hat der Iran seinen finanziellen Anteil an Eurodif nicht zurück erstattet bekommen und Frankreich hat den USA versprochen, an den Iran kein angereichertes Uran aus dessen Ansprüchen herauszugeben. Wenn Frankreich nun gemeinsam mit anderen Ländern vom Iran verlangt, selbst kein Uran anzureichern, kann man sich vorstellen, wie dies aufgenommen wird. Die offizielle Ablehnung dieses Ansinnens wurde vom Iran Ende Dezember 2005 bekannt gegeben.

Eine internationale Verzichtsnorm

Die einzige Lösung, die über aktuelle Schadensbegrenzungsversuche hinaus geht, besteht darin, eine globale Norm zur Nichtverfügbarkeit von nuklearwaffenfähigen Materialien zu schaffen und die kernwaffenfreie Welt zu realisieren.

Die Technologieverweigerung gegenüber einem einzelnen Land wie dem Iran würde dann weder als Verstoß gegen Artikel IV aufzufassen sein, noch würde ein Land diskriminiert werden.

Das Ziel einer derartigen Verzichtsnorm müsste es sein, den Zugriff auf direkt waffenfähige Nuklearmaterialien über national kontrollierte zivile Programme unmöglich zu machen. Das sollte die folgenden Maßnahmen beinhalten:

  • Keine Wiederaufarbeitung und keine Plutoniumnutzung mehr.
  • Keine Forschungsreaktoren mehr mit HEU betreiben.
  • Die Bestände an unbestrahltem Plutonium durch Abbrand in geeigneten Reaktoren verbrauchen.
  • Die Bestände an HEU durch Vermischung mit Natururan zu niedrig angereichertem Uran konvertieren.
  • Die Urananreicherung auf internationalisierte Anlagen beschränken.
  • Verbliebene Bestände von HEU und Plutonium in mehrfachen Barrieren lagern, die den Zugriff so schwierig wie möglich machen.

Diese Maßnahmen sind bereits früher vorgeschlagen worden, beispielsweise im Konzept für eine Konvention zum umfassenden Ausschluss spaltbarer Materialien (Comprehensive Cutoff Convention)5 und im Modell einer Kernwaffenkonvention (Model Nuclear Weapons Convention).6

Der Aspekt der Nicht-Diskriminierung durch den NVV könnte noch besser realisiert werden, wenn die Kernwaffenstaaten ihre Verpflichtung aus Artikel VI einlösen würden, ihre Kernwaffen zügig und vollständig abzurüsten.

Zusammenfassung der hier diskutierten Artikel des NVV

Artikel II: Kein Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, darf Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herstellen oder auf andere Weise erwerben.

Artikel III (1) und (2):

Nichtkernwaffenstaaten müssen umfassende nukleare Sicherungsmaßnahmen auf alle Ausgangsmaterialien und alle besonderen spaltbaren Materialien akzeptieren.

Artikel IV:

Zivile Kerntechnik ist ein unveräußerliches Recht für jeden Vertragsstaat und es besteht eine Verpflichtung, die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern.

Artikel IV des NVV lautet wörtlich: (1) Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln. (2) Alle Vertragsparteien verpflichten sich, den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern, und sind berechtigt, daran teilzunehmen...

NVV ohne Diskriminierung * NVV bei Verdacht verschärft anwenden
Irans Nuklearprogramm wird für rein zivil gehalten, bis das Gegenteil erwiesen ist Iran sieht sich als Opfer eines Bruchs von Art. IV des NVV
Kooperation und Transparenz soweit nötig
Kein Verzicht, allenfalls Suspendierung
Bruch von Art. III des NVV
Inspektionen über das vertragliche Maß hinaus
Der Iran wird verdächtigt ein Kernwaffenprogramm zu betreiben, bis alle diesbezüglichen Spuren (Hinweise und Verdachtsmomente) beseitigt sind. Bruch der Art. II und III des NVV
Inspektionen unter voller Ausschöpfung des vertraglichen Maßes
Freiwilligen Verzicht gegen Kompensation aushandeln
Bruch der Art. II und III des NVV
Inspektionen über das vertragliche Maß hinaus
Kein volles Recht mehr auf Art. IV des NVV4
* Gemeint ist hier eine weitere Diskriminierung im Bereich der nuklearen Sicherungsmaßnahmen und bezüglich des Zugangs zu ziviler Nukleartechnik. Dem NVV liegt eine grundsätzliche Diskriminierung der Nichtkernwaffenstaaten gegenüber den durch ihn definierten Kernwaffenstaaten zu Grunde.

Martin Kalinowski wird im März die Carl-Friedrich von Weizsäcker-Professur für Naturwissenschaft und Friedensforschung an der Universität Hamburg antreten, nachdem er sieben Jahre bei der Teststoppvertragsorganisation in Wien und zehn Jahre bei IANUS an der TU Darmstadt tätig war.

zum Anfang | Völkerrechtliche Regelungen zur nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung

von Regina Hagen

Zur Förderung von Abrüstung und Nichtverbreitung im Bereich nuklearer Waffen, Materialien und Technologien wurden bisher zahlreiche Vereinbarungen abgeschlossen. Dennoch weist das Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregime zahlreiche Lücken auf, die überwiegend dadurch bedingt sind, dass der Bau und Besitz von Atomwaffen - anders als bei biologischen und chemischen Waffen - nicht für alle verbindlich und überprüfbar verboten ist.

Über die völkerrechtliche Illegalität eines Einsatzes von Atomwaffen besteht leider immer noch kein Konsens. Der Internationale Gerichtshof urteilte zwar in einem (ausführlichen und lesenswerten) Rechtsgutachten vom 8. Juli 1996, dass „die Bedrohung durch oder die Anwendung von Atomwaffen generell im Widerspruch zu den in einem bewaffneten Konflikt verbindlichen Regeln des internationalen Rechts und insbesondere den Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts« steht.1 Trotzdem betont der Generalstab der US-Streitkräfte in einer 2005 bekannt gewordenen Publikation, dass „weder das Gewohnheits- noch das konventionelle Völkerrecht den Nationen den Einsatz von Atomwaffen in einem bewaffneten Konflikt verbietet.“2 Er leitet daraus das Recht ab, sich den Einsatz von Atomwaffen in einer Vielzahl von Szenarien vor zu behalten (einschließlich der Demonstration des Willens und der Fähigkeiten, Atomwaffen einzusetzen).

Auch die Pflichten aus dem Nichtverbreitungsvertrag (NVV) werden unterschiedlich interpretiert. Während die USA zwar die Verkleinerung, dafür aber auch die Modernisierung und Fortschreibung ihres Atomwaffenarsenals bis zum Jahr 2070 planen und auch alle übrigen Atomwaffenstaaten ihre nuklearen Kapazitäten modernisieren und optimieren, folgerte der Internationale Gerichtshof in seinem Rechtsgutachten aus Artikel VI des NVV einstimmig: „Es gibt eine Verpflichtung, Verhandlungen in gutem Glauben fortzusetzen und abzuschließen, die zu atomarer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen.“3

Das Versprechen der fünf als offizielle Atomwaffenstaaten anerkannten Länder (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA) in Artikel VI des NVV, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung“ war Voraussetzung für die Zustimmung der Nicht-Atomwaffenstaaten zu Artikel II, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonst wie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.“4

Weitere Kernpunkte des nur elf Paragraphen umfassenden Vertrags sind das Verbot für Kernwaffenstaaten, Atomwaffen weiter zu verbreiten oder dabei zu helfen (Artikel I), die Pflicht der Nichtatomwaffenstaaten, sich Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergieorganisation zu unterwerfen, und „das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien (...), unter Wahrung der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln“ (Artikel IV).

Der Nichtverbreitungsvertrag wurde 1968 verhandelt, trat 1970 in Kraft und besitzt fast universelle Gültigkeit. Lediglich die (inoffiziellen) Atomwaffenstaaten Indien, Israel und Pakistan haben die Mitgliedschaft in dem Vertragsregime bis heute verweigert. Nord-Korea kündigte 2003 gemäß Artikel X seine Mitgliedschaft im Kontext des eskalierenden Streits über sein vermutetes nukleares Waffenprogramm.

Große Schwierigkeiten bereitet, dass der NVV keinen Zeitpunkt zur Erfüllung der Abrüstungsbemühungen der »Habenden« vorsieht, diese - allen voran die USA - aber eigenmächtig die Rechte der »Habenichtse« definieren wollen und die Verpflichtungen aus dem NVV einseitig in der Nichtverbreitung sehen. Überdies bietet das Recht auf Nutzung der »friedlichen« Kernenergie für ausbruchwillige Staaten den Deckmantel zum Aufbau militärischer Nuklearkapazitäten.

Schon die allererste Resolution der UN-Generalversammlung vom 24. Januar 1946 befasste sich mit der Einrichtung einer Kommission, die Vorschläge ausarbeiten sollte, um einerseits den Austausch wissenschaftlicher Informationen für die »friedliche« Nutzung der neuen Energieform sicherzustellen, andererseits die militärische Nutzung zu unterbinden, vollständige nukleare Abrüstung herbeizuführen und ein Sicherungs- und Inspektionssystem aufzubauen.

Viele Jahre später, 1957, nahm die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) die Arbeit auf. Mit der IAEO wurde der Gedanke von US-Präsident Eisenhower, eine internationale Agentur damit zu betrauen, möglichst vielen Ländern die Vorteile der friedlichen Atomenergienutzung zugänglich zu machen (»Atoms for Peace«), in die Realität umgesetzt. Die IAEO sollte den Spagat versuchen, die Nutzung von Atomtechnologie und den technologischen Transfer zu fördern, die Sicherheit kerntechnischer Anlagen zu erhöhen, und den »Missbrauch« der zerstörerischen Kräfte der Atomenergie zu verhindern.

Der Rolle der IAEO als »watchdog« kam dann ab 1968 noch mehr Bedeutung zu, als sich die Länder mit ihrem Beitritt zum NVV gemäß Artikel III verpflichteten, „mit der Internationalen Atomenergie-Organisation ... [Sicherungsmaßnahmen] auszuhandelnden, ... damit verhindert wird, dass Kernenergie von der friedlichen Nutzung abgezweigt und für Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper verwendet wird.“5

Zur Stärkung dieser »Safeguards« arbeitete die IAEO 1971 das NPT Comprehensive Safeguards Agreement aus, das von der großen Mehrzahl der Nicht-Atomwaffenstaaten unterzeichnet wurde (in 36 Staaten ist ein solches Abkommen bislang nicht in Kraft getreten, 20 davon haben der IAEO noch kein Abkommen zur Genehmigung vorgelegt). Das Safeguards-Abkommen berechtigt die IAEO - nach vorheriger Absprache mit dem betroffenen Staat - zu Routine- und Verdachtsinspektionen vor Ort, zur Entnahme gewisser Proben und zur Installation gewisser Überwachungseinrichtungen. So soll sichergestellt werden, dass ein Mitgliedstaat seine Deklarationspflicht korrekt erfüllt und nicht versucht, Material für militärische Zwecke abzuzweigen.

Als sich im Kontext des Golfkrieges von 1991 herausstellte, dass der Irak seine Deklarationspflichten ignoriert hatte und mit der Produktion waffengrädiger Nuklearmaterialien sowie anderer waffentauglicher Komponenten befasst war, begannen Diskussionen um eine Verschärfung der vorgeschriebenen Sicherungs- und Kooperationsmaßnahmen. Dies mündete 1997 in das Model Additional Safeguards Protocol der IAEO. Dieses Zusatzprotokoll verschärft die Informations- und Deklarationspflichten eines Landes, gewährt IAEO-Inspektoren besseren Zugang zu nukleartechnischen Anlagen über den gesamten Zyklus hinweg (vom Uranbergbau bis zur Abfalllagerung) und erlaubt mehr fest installierte Verifikationssysteme und Probenentnahmen. Die Verhandlungen über das Zusatzprotokoll verlaufen allerdings mit vielen Staaten sehr zäh. In Kraft getreten ist es bislang erst in 69 Staaten, weitere 37 haben das Protokoll unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.

Neben der global ausgerichteten IAEO haben sich über die Zeit auch etliche regionale Vertragssysteme etabliert. Dazu gehören die European Atomic Energy Community (Euratom), die atomwaffenfreien Zonen, die mittlerweile fast die gesamte südliche Erdhalbkugel abdecken, der 2+4-Vertrag, der die ehemalige DDR faktisch zur atomwaffenfreien Zone macht, und die bilaterale Argentine-Brazilian Agency for Accounting and Control of Nuclear Materials ebenso wie multilaterale Vereinbarungen von Staatenbünden, beispielsweise die EU Strategy Against Proliferation of Weapons of Mass Destruction von 2003. Die Zielrichtung dieser Abkommen ist naturgemäß sehr unterschiedlich. Während atomwaffenfreie Zonen den Mitgliedstaaten jeglichen Zugriff auf militärische Nukleartechnologie verwehren, hat Euratom beispielsweise lediglich die Aufgabe, einen fairen Zugang aller Mitgliedstaaten zu Brennstoffen und deren ordnungsgemäße Verwendung sicherzustellen, verbietet aber nicht per se die militärische Nutzung von Nukleartechnologie in den Mitgliedsländern.

Eine Reglementierung der »Anbieterseite« findet ihm Rahmen von Exportkontrollsystemen statt:

  • 1975 schloss sich eine größere Anzahl von Lieferstaaten zur Nuclear Suppliers Group (auch als »London Club« bezeichnet) zusammen, um die Nichtverbreitung zu stärken. Mit Hilfe zweier Richtlinienpakete; eines bezieht sich speziell auf den Export von Nukleartechnologie und -materialien, das andere auf den Export von Dual-use-Gütern, die hier als sowohl für nukleartechnische als auch für andere Zwecke nutzbare Güter definiert werden. Der Gruppe gehören insgesamt 45 Staaten an, darunter auch Deutschland.
  • Eine ähnliche Aufgabe hat das 1972 gegründete Nuclear Exporters Committee, bekannter unter dem Namen Zangger Committee. Das Komitee trifft sich informell, um angesichts der neuesten Entwicklungen im Bereich der Nukleartechnologie die Interpretation von Exportrichtlinien zu diskutieren und zu harmonisieren. Dem Komitee gehören 35 Staaten an, einschließlich der fünf offiziellen Atomwaffenstaaten.
  • Von großer Relevanz für die Nichtverbreitung sind überdies länderspezifische Exportkontrollrichtlinien, die sich in der nationalen Gesetzgebung niederschlagen.

Manche Ländern empfinden die Exporteinschränkungen als diskriminierende Maßnahme, die im Widerspruch zu der in Artikel III des NVV versprochenen »Gleichbehandlung« steht. Besonders gilt das für die von US-Präsident George W. Bush 2003 gestartete Proliferation Security Initiative (PSI), die nach Angaben des US-Außenministeriums inzwischen von mehr als 60 Staaten unterstützt wird (darunter auch Deutschland). PSI will den Transport von Massenvernichtungswaffen, Trägersystemen (vor allem ballistische Raketen) und ähnlichen Komponenten „auf der Erde, in der Luft und zur See zu und von proliferationsverdächtigen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren“ durch aktives Eingreifen in solche Transporte verhindern. Dabei behalten sich die USA das Recht vor, zu bestimmen, wer »verdächtig« ist. Die Problematik wird an folgendem Beispiel deutlich: Würden die USA eine (völkerrechtlich nicht verbotene) Raketenlieferung von Nordkorea an einen Drittstaat abfangen, so wäre diese Handlung juristisch nicht abgedeckt. Sie entspräche dem rechtswidrigen Kapern eines Schiffes.

Viel versprechender scheint da Resolution 1540 des UN-Sicherheitsrates vom April 2004, die geprägt ist von der durch das pakistanische Khan-Netzwerk ausgelösten Sorge, dass die zunehmende „Verbreitung nuklearer, chemischer und biologischer Waffen und ihrer Trägersysteme eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt.“5 Die Resolution untersagt allen Ländern jegliche Unterstützung von Versuchen nicht-staatlicher Akteure, entsprechende Waffen und Trägersysteme „zu entwickeln, zu erwerben, herzustellen, zu besitzen, zu transportieren, weiterzugeben oder einzusetzen.“ Sie schreibt den Ländern zwingend vor, entsprechende Rechtsvorschriften (Gesetze) zu erlassen und verpflichtet sie, generell durch innerstaatliche Gesetze, Vorschriften und Kontrollen die Weiterverbreitung zu verhindern. Über die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Resolution müssen die Staaten Bericht erstatten. Sofern sie zur Durchführung der Bestimmungen Hilfe brauchen, sind andere Staaten gehalten, diese Hilfe zu gewähren.

Im Gegensatz zu den multilateralen Abkommen und Initiativen zur Nichtverbreitung (zu denen ich in diesem Zusammenhang der Einfachheit halber auch die atomwaffenfreien Zonen zähle) wurde die nukleare Abrüstung - mit Ausnahme des vagen Versprechens in Artikel VI des NVV - bislang lediglich bilateral vereinbart, und zwar bis auf einen Sonderfall (Abkommen zwischen Nord- und Südkorea zur Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel von 1992) ausschließlich zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. Russland. Überdies führte lediglich der Mittelstreckenvertrag (INF-Vertrag) von 1987 tatsächlich zur Abschaffung einer kompletten Waffenkategorie und zum Abzug und der Vernichtung sämtlicher auf beiden Seiten stationierten Waffen dieses Typs (Pershing-II, Cruise Missile, SS-20). Alle anderen Abkommen zwischen diesen beiden Ländern - SALT I (1972), SALT II (1979), START I (1991) und SORT (2002) - verpflichten nicht zur Abschaffung von Atomwaffen sondern geben Obergrenzen vor, wie viele strategisch einsetzbare Atomwaffen jeweils im so genannten operativen Status vorgehalten werden dürfen. Folglich sind auf beiden Seiten nach wie vor mehrere tausend ballistische Raketen mit Atomsprengköpfen bestückt und in ständiger Alarmbereitschaft.

Initiativen zahlreicher Gruppen der Zivilgesellschaft, die Staatengemeinschaft zu Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention zu bewegen, die Atomwaffen ausnahmslos verbietet, wurden in den vergangenen Jahren zwar auch auf Ebene der Vereinten Nationen immer wieder aufgegriffen, scheiterten aber an der Weigerung der etablierten Atomwaffenstaaten.

Literatur

Jozef Goldblat: Arms Control. The New Guide to Negotiations and Agreements (mit sämtlichen Vertragstexten auf zugehöriger CD), Sage Publications, 2. Ausgabe, 2002.

www.atomwaffena-z.info

Regina Hagen ist Koordinatorin des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) und Mitglied der Redaktion von W&F.

zum Anfang | Zwei Seiten einer Medaille

Die Rolle der IAEO bei der Verflechtung von Atomwaffen und Atomenergie

von Xanthe Hall

Nach der Entwicklung und den ersten beiden Einsätzen von Atomwaffen schrieb der damalige Kriegsminister Henry Stimson an US-Präsident Truman: „Wenn wir der Sowjetunion versagen, sich uns anzunähern und bloß großtuerisch mit dieser Waffe an der Hüfte weiter verhandeln, werden Verdacht und Misstrauen hinsichtlich unserer Intentionen und Motivationen wachsen. (...) Die wichtigste Lehre meines langen Lebens ist, dass der einzige Weg, einen Mann vertrauenswürdig zu machen, ist, ihm zu vertrauen; und der sicherste Weg, ihn nicht vertrauenswürdig zu machen, ist, ihm nicht zu vertrauen und ihm dieses Misstrauen zu zeigen.“1 Darauf hin teilte Truman in einer Nachricht dem US-Kongress mit: „Die Hoffnung der Zivilisation liegt in internationalen Regelungen, die, wenn möglich, den Verzicht auf den Einsatz und die Entwicklung der Atombombe vorschreiben und alle zukünftigen wissenschaftlichen Informationen in Richtung friedlicher und humanitärer Zwecke lenken und fördern.“

Der Vorschlag führte im November 1945 zu einer Erklärung von US-Präsident Truman und den Premierministern Großbritanniens und Kanadas, Atlee und King, dass neue Erfindungen im Bereich der Atomenergie nicht für destruktive Zwecke sondern zum Vorteil der Menschheit genutzt werden sollten, vorausgesetzt dass effektive und durchsetzbare Kontrollmechanismen gegen einen Missbrauch entwickelt werden könnten.

Dennoch gab es von Anfang an Stimmen, die vor den Gefahren der Verbreitung der Atomenergie für friedliche Zwecke warnten. Beispielsweise das Acheson-Lilienthal-Komitee,2 das für den US-Außenminister zur Vorlage bei den Vereinten Nationen Vorschläge für die Kontrolle der Atomenergie ausarbeiten sollte. Das Komitee schlussfolgerte, dass schon die Idee der friedlichen Nutzung das Risiko der nuklearen Weiterverbreitung von Atomwaffen in sich trüge, weil das Streben nach Atomenergie und das Streben nach Atomwaffen zu einem erheblichen Teil untereinander auswechselbar seien. Ein internationales System, das sich nur auf Gutgläubigkeit stütze, sei zum Scheitern verurteilt:

»(...) Auch wenn Nationen vereinbaren mögen, Atomenergie, die innerhalb ihrer Landesgrenzen entwickelt wurde, nicht in Bomben einzusetzen, wäre die Zusicherung, dass eine Umwidmung für destruktive Zwecken nicht erfolgt, lediglich durch das Versprechen und die Glaubwürdigkeit der Nation selbst abgedeckt. Die nationale Gutgläubigkeit wird dadurch einem enormen Druck ausgesetzt. Ja, sie begründet sogar den Verdacht anderer Nationen, dass das Nachbarland sein Wort nicht einhalten wird.«

(...) Wir sind zu dem einstimmigen Ergebnis gekommen, dass es keine Aussicht auf Sicherheit gegen atomare Kriegsführung innerhalb eines internationalen Vertragsregimes zum Verbot solcher Waffen gibt, solange zur Kontrolle der Vertragseinhaltung lediglich Inspektionen und polizeiliche Maßnahmen zur Verfügung stehen.“3

Diese Kritik ist heute richtiger denn je, zu einer Zeit, in der sich der Nichtverbreitungsvertrag auf die technischen Werkzeuge der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) stützt, um sich seiner politischen Zielsetzung zu versichern: einen Tausch mit dem Versprechen der Atomwaffenstaaten, ihre Atomwaffen abzuschaffen und Atomtechnologie und -Wissen für die zivile Nutzung zu liefern. Im Gegenzug verzichten die atomwaffenfreien Staaten gänzlich auf Atomwaffen.

Ein weiterer Satz aus dem Bericht des Komitees von 1946 trifft haargenau die heutige Situation. Er zeigt anhand des Problems der Urananreicherung (beispielsweise im Iran), dass das jetzige System nicht funktioniert: „Wir sind davon überzeugt, dass, wenn die Herstellung spaltbarer Materialien durch nationale Regierungen (oder Privatorganisationen unter ihrer Kontrolle) erlaubt wird, Inspektionssysteme alleine keine effektiven Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der beteiligten Staaten gegen die Gefahren durch Verstöße und Hintergehen sein können.“4

»Atoms for Peace«

Die Weitergabe der Atomenergie für zivile Zwecke trieb US-Präsident Eisenhower in seiner bekannten »Atoms for Peace«-Rede vor der UNO im Jahr 1953 noch weiter. Darin schlug er zur Verhinderung der Weiterverbreitung der Atomwaffen vor, dass Atomgeheimnisse zur »Besserung der Menschheit« von allen geteilt werden sollten. Der Kern dieser Idee war eine »Uranbank«, in der die USA und die Sowjetunion ihre militärischen Uranvorkommen für »friedliche« Zwecke zusammenlegen sollten.5

Das »Atoms for Peace«-Programm wurde zu einer massiven Werbekampagne für die Vorteile der zivilen Nutzung der Atomenergie für Medizin, Landwirtschaft und Forschung. Der Medienrummel in den USA führte dort zu einem weitgehend positiven Bild der Atomkraft, während das Programm in der Sowjetunion zu Recht als Propaganda verurteilte wurde. Schwerpunktmäßig war das Programm ein außenpolitisches, das die westlichen Alliierten an die USA und an den Kapitalismus binden sollte. Gleichzeitig demonstrierten die USA damit ihre militärische und atomare Vormacht.

Am Ende hatte das »Atoms for Peace«-Programm wenig mit der Eisenhowerschen Uranbank zu tun. Stattdessen entstand eine Sammlung von Abkommen über die technische Zusammenarbeit auf der Grundlage eines Systems von Sicherungsmaßnahmen, dessen Regelung die IAEO übernahm. Unter dem Schirm des Programms verkaufte die westliche Atomindustrie Forschungsreaktoren und schloss mit vielen Ländern Atomabkommen. Ausländische Wissenschaftler und Ingenieure durften an US-amerikanischen Nuklear-Forschungsprojekten teilnehmen. Indien erhielt z.B. 1955 einen kanadischen Forschungsreaktor und schweres Wasser aus den USA, die zur Herstellung des Plutoniums für Indiens erste im Jahr 1974 getestete Atombombe führten. Mehr als eintausend indische Wissenschaftler nahmen von 1955 bis 1974 an US-Forschungsprojekten teil, und die USA halfen Indien beim Bau der Tarapur-Reaktoren. Aber auch die Sowjetunion lieferte atomares Wissen, insbesondere nach China. Die Lust auf Mitgliedschaft im nuklearen Club war so groß, dass sogar Entwicklungsländer um die Lieferung eines Forschungsreaktors baten, obwohl sie keine Fachleute hatten, um diesen zu betreiben. Nukleare Kompetenz wurde zum Synonym für das Selbstbewusstsein eines Landes.

Es formte sich eine internationale Allianz aus Regierungen, die die Vorteile der zivilen Nutzung der Atomenergie verkaufte. Diese Allianz mündete 1957 in der Einrichtung der IAEO. Die Atomenergiebehörde wurde zum größten Werber für Atomenergie und »Drücker« nuklearer Stoffe und Technologien. In ihrem Statut steht geschrieben, die »friedliche« Nutzung der Atomenergie sei zu fördern, und das tat sie immer wieder, in dem sie z.B. voraussagte, dass Uganda drei und Liberia zwei Atomanlagen für ihren Fortschritt bräuchten.

Die untrennbare Verbindung

Viele Länder verbargen hinter der Tarnung eines zivilen ihr militärisches Programm. Der Hauptgrund für den Enthusiasmus der meisten Regierungen für das »Atoms for Peace«-Programm blieb vorrangig der militärische Aspekt. So haben z.B. Schweden, die Schweiz, Spanien und Italien geheime Atomwaffenprogramme durchgeführt.6 Auch Bonn wollte seine atomare »Option« offen halten, um seinen politischen Einfluss in der NATO zu erhöhen und die Sowjetunion aus Ostdeutschland zu vertreiben.

Weiterhin nutzten Argentinien, Südafrika, Brasilien und Libyen ihre zivilen Programme, um unter diesem Deckmantel Atomwaffenprogramme zu betreiben, auch wenn sie diese schließlich aufgaben. Nordkorea behauptet jetzt Atomwaffenstaat zu sein; auch hier wurde der Atomwaffenkomplex im Rahmen eines zivilen Programms aufgebaut. Indien, Pakistan und Israel besitzen Atomwaffen, die durch zivile Projekte ermöglicht wurden, und sie bauen ihre Arsenale nach wie vor weiter aus.

Heutzutage gibt es nur drei Möglichkeiten, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen: einen bestehenden Atomsprengsatz zu kaufen, zu stehlen oder ihn mit Hilfe eines Atomenergieprogramms zu bauen. Nichtstaatliche Akteure (von manchen Terroristen genannt) würden vermutlich von Staaten, die den dritten Weg bereits beschritten haben, den Sprengsatz kaufen oder stehlen.

Ist die Absicherung der Nichtverbreitung möglich?

Das von der IAEO betriebene Kontrollsystem für die Absicherung der Nichtweiterverbreitung (»Safeguarding«) ist sehr lückenhaft. Heute stehen technische Informationen für den Bau einer Atombombe im Internet oder in Bibliotheken frei zur Verfügung, die im Westen als veraltet gelten, aber dennoch für eine primitive Waffe ausreichen würden. Die Arbeit der IAEO ist zum großen Teil abhängig von freiwilligen Berichten (Deklarationen), gefolgt von Inspektionen. Manchmal führte dies zur Entdeckung heimlicher Programme, wie in Nordkorea und im Iran, wo die Berichte nicht mit den Proben vor Ort zu vereinbaren waren. Solche Differenzen sind aber nie frei von politischer Befangenheit. So kann beispielsweise die geschätzte Menge des Plutoniums in einer Wiederaufbereitungsanlage in Frankreich, Japan oder Großbritannien um bis zu 30% von der gemessenen Menge abweichen. Die IAEO behauptet, dass der internationale Standard nur bei plus/minus ein Prozent liegt. Im Falle der japanischen Tokaimura-Anlage, die MOX-Brennstoff herstellt, konnten jedoch 70 Kilogramm nicht aufgefunden werden. Das ist genügend Spaltmaterial für etwa acht primitive Atomwaffen. Die IAEO musste zwei Jahre über das Abschalten der Anlage verhandeln, um sie durchsuchen zu können, und trotzdem blieben zehn Kilogramm spurlos verschwunden.7

Im Gegensatz dazu waren die Mengen, die im Iran und Nordkorea gefunden wurden, nur im Grammbereich messbar und lösten dennoch internationale Krisen aus. Im Falle Nordkoreas bestätigte diese Behandlung die Paranoia des Regimes und trug zu dem Entschluss Nordkoreas bei, Atomwaffen entwickeln zu wollen oder zumindest deren Besitz zu behaupten. Im Falle des Iran fehlen laut IAEO die stichhaltigen Beweise, dass bereits ein Atomwaffenprogramm besteht. Dennoch treibt die internationale Gemeinschaft unter Anführung der USA und Israels den Iran durch Isolierung und Drohungen immer weiter in Richtung Atomwaffenbau.

Jeder Mitgliedstaat des NVV verpflichtet sich, innerhalb von 24 Monaten nach Beitritt ein umfassendes Safeguards-Abkommen (Safeguards Agreement) mit der IAEO abzuschließen. Die offiziellen Atomwaffenstaaten sind nicht verpflichtet, zivile Anlagen zur Inspektion zu öffnen, können dies aber freiwillig zulassen, was einige auch sporadisch tun. Die Abschlüsse des weiter reichenden Zusatzprotokolls (Additional Protocol) erfolgen im Allgemeinen sehr schleppend, weil es nicht zwingend rechtlich erforderlich ist und vielen Ländern die Motivation zu unterschreiben fehlt. Von den 188 Mitgliedsstaaten des NVV haben sich nur 69 Staaten durch ein in Kraft getretenes Zusatzprotokoll verstärkten Safeguards unterworfen. Ohne dieses Zusatzprotokoll kann die IAEO die freiwillig abgegebenen Erklärungen der Länder nicht verifizieren. Die Finanzierung des Kontrollsystems ist im Vergleich zu den riesigen Summen, die für Atomprogramme weltweit ausgegeben werden, sehr gering.

Das Abkommen der IAEO mit der WHO

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die IAEO schlossen 1959 ein Kooperations- und Konsultationsabkommen und vereinbarten, sich gegenseitig bei all den Themen zu konsultieren, an denen sie ein gemeinsames Interesse haben könnten: „Wenn eine der beiden Organisationen vor hat, ein Programm oder eine Aktivität zu einem Thema zu starten, an dem die andere Organisation ein erhebliches Interesse hat oder haben könnte, konsultiert die erste Partei die andere mit dem Ziel, die Angelegenheit im gegenseitigen Einverständnis abzustimmen.“8

Die Klauseln in Artikel III,2 und III,3 des Abkommens legen Regeln für den Informationsaustausch fest: „Vorbehaltlich solcher Regelungen, die zum Schutz vertraulicher Informationen notwendig sein können, halten sich das Sekretariat der Internationalen Atomenergieorganisation und das Sekretariat der Weltgesundheitsorganisation gegenseitig voll umfänglich informiert über alle Vorhaben und Arbeitsprogramme, die für beide Parteien von Interesse sein könnten“ und regeln, dass „auf Wunsch einer Partei Konsultationen angesetzt werden bezüglich der Übermittlung ... spezieller Informationen , die für die jeweils andere Seite von Interesse sein könnten.“

Die Folgen dieses Abkommens wurden besonders nach der Tschernobyl-Katastrophe deutlich, als die IAEO (und nicht die WHO) über die Gesundheitsfolgen der radioaktiven Verseuchung Bericht erstattete. Die IAEO folgt der Vorgehensweise der Internationalen Strahlenschutzkommission und leugnet im wesentlichen, dass die katastrophalen Gesundheitsprobleme der vom radioaktiven Fallout betroffenen Bevölkerung mit der Strahlung aus dem Reaktor zu tun habe. Die IAEO behauptet noch immer, dass bislang nur 59 Menschen an den Folgen des Unfalls gestorben seien. In einer Pressemeldung vom September 2005 über den Bericht des Tschernobyl-Forums listet die IAEO 50 direkte Todesfälle infolge des Unfalls auf, vor allem Rettungsarbeiter, sowie neun an Schilddrüsenkrebs gestorbene Kinder. „Insgesamt«, kommt der Bericht zum Schluss, „könnten bis zu viertausend Personen an der Strahlung sterben, die durch den Reaktorunfall in Tschernobyl vor 20 Jahren freigesetzt wurde.“9

Diese Aussage verharmlost u.a. den massiven Anstieg an Schilddrüsenkrebsfällen bei Erwachsenen und den Anstieg bei den anderen Krebsarten. 1999 war die Inzidenz von Schilddrüsenkrebsen bei Erwachsenen in Weißrussland bereits auf mehr als das Fünffache im Vergleich zum 10-Jahres-Mittelwert vor Tschernobyl angestiegen. Mehrere tausend zusätzliche Schilddrüsenkrebsfälle bei Erwachsenen wurden nachgewiesen. Auch ein Anstieg anderer Krebserkrankungen wurde registriert, ein Anstieg aller Krebserkrankungen in Weißrussland, insbesondere ein Anstieg der Kinderleukämien um 50 % und ein Anstieg von Brustkrebs.

Die WHO hält sich in ihren Aussagen zu den medizinischen Folgen von Tschernobyl bedeckt. Auf ihrer Webseite steht zu lesen: „Der Tschernobylunfall verursachte den Tod von 30 Arbeitern auf dem Reaktorgelände, die Krankenhausbehandlung von 200 weiteren Arbeitern, und er setzte 6,7 Millionen Menschen ionisierender Strahlung durch radioaktive Aerosole im Fallout aus. Dieses verursachte einen Anstieg des Schilddrüsenkrebses bei Kindern in den betroffenen Gebieten um das Zehnfache.»

Wie verhindern wir die Verbreitung von Atomwaffen?

Der Leiter der IAEO, Mohammed ElBaradei, rügte die Atomwaffenstaaten im November 2005 erneut, dass die Abrüstung der Atomwaffen zu schleppend vorangehe. Nach dem Ende des Kalten Krieges gebe es zu wenig Fortschritt bei der Abnabelung von den Atomwaffen, so ElBaradei. Dies fördere eine Atmosphäre des Zynismus. „Das Vertrauen in die Abrüstungsverpflichtungen wäre messbar größer, wenn die Atomwaffenstaaten etwas unternehmen würden, um die strategische Rolle der Atomwaffen zu reduzieren.“10

Solche Aussagen sind wichtig; dafür verdient ElBaradei den Friedensnobelpreis. Auch seine Vorschläge für die Verhinderung der Weiterverbreitung sind sehr hilfreich, insbesondere um weitere Kriege zu vermeiden. Dennoch verhält er sich, als ob das Problem erst durch die Krisen um Nordkorea und den Iran und die Existenz des illegalen Nuklearhandels durch das pakistanische Khan-Netzwerk ausgelöst worden seien.

ElBaradei umschifft damit das Grundproblem der Organisation der er vorsteht: Die Atomenergie wird weiterhin gefördert, Atomtechnologien werden weiterhin an Länder verkauft, und seine Organisation trägt diesen Fehler mit. Zugleich schlägt er Zwischenschritte vor, die scheinbar vernünftig sind, wie z.B. die Einschränkung der Herstellung von spaltbaren Materialien durch Urananreicherung oder Wiederaufarbeitung, verschärfte Exportkontrollen, mehr Inspektionsrechte und internationale Kontrollen über mehr Anlagen. Dann aber begründet ElBaradei solche Maßnahmen mit der Sicherung des aktuellen Systems, unter dem alle Länder »die Vorteile« der Atomtechnologie weiterhin genießen können sollen.

Das globale Netzwerk für die Abschaffung aller Atomwaffen, »Abolition 2000«, fordert eine Internationale Behörde für erneuerbare Energien als UN-Organ, um der Förderung der Atomenergie entgegen zu wirken. Der Vorschlag des deutschen Politikers und EUROSOLAR-Präsidenten Hermann Scheer, mittels eines Zusatzprotokolls zum NVV Ländern konkrete Hilfsangebote bei der Entwicklung und dem Einsatz erneuerbarer Energien anzubieten, könnte als Alternative zum problematischen, die Nutzung von Atomenergie fördernden Artikel IV des NVV dienen und dazu motivieren, die Finger von der Atomtechnologie zu lassen.

Doch wenn die sicherheitspolitische Lage weltweit weiterhin so angespannt bleibt, werden diese Ideen nicht wirksam werden können. Von den Atomwaffenstaaten muss ein glaubwürdiges Signal an die »Möchtegern-Staaten« ausgehen, dass sie bereit sind, für eine atomwaffenfreie Welt zu arbeiten. Schließlich brauchen wir einen umfassenden Vertrag, der die Abschaffung aller Atomwaffen regelt: eine Nuklearwaffenkonvention entsprechend den Konventionen für chemische und biologische Waffen.

Der Streit um den Friedensnobelpreis an die IAEO verdeutlicht, dass viele Organisationen und Staaten die Verbindung zwischen Atomwaffen und Atomenergie immer noch nicht erkennen wollen. Lieber werden die Kontrollen verschärft, was ein bereits diskriminierend wirkendes System noch ungerechter werden lässt.

Faktisch gibt es Staaten, die Atomwaffen besitzen dürfen, gemäß NVV allerdings nur vorübergehend, während sie einen Modus für deren vollständige Abschaffung ausarbeiten. Weiter gibt es Länder, die Plutonium abtrennen oder Uran anreichern dürfen und damit die Atomwaffenoption besitzen. Schließlich gibt es jene Staaten, die fortschrittliche Atom- oder Dual-use-Technologien zukünftig nicht erhalten werden, weil sie als »unsicher« gelten. Damit ist die nukleare Frage - wieder einmal - eine Frage der Weltordnung und der Macht. Diese Macht definiert sich weiterhin durch die Fähigkeit der Weltzerstörung.

Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin bei den deutschen Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) in der Geschäftsstelle in Berlin.

Anmerkungen

Kalinowski, Martin B.: Das Nuklearprogramm des Iran - zivil oder militärisch?

1) Die Abtrennung von 0.2 Milligramm Plutonium wird hier aufgrund der geringen Menge nicht als Produktion von Plutonium gewertet, sondern als Test der Plutoniumproduktion. Dieser mögliche Zugang zur kernwaffenfähigem Spaltmaterial wurde jedoch 1992 beendet.

2) Das Safeguards-Abkommen wurde am 15. Mai 1974 zwischen der IAEO und dem Iran abgeschlossen. Ähnliche Abkommen, mit deren Hilfe die Abzweigung atomwaffentauglicher Materialien aus zivilen Nuklearprogrammen ausgeschlossen werden soll, hat die IAEO mit der Mehrzahl aller Staaten vereinbart.

3) Ein Target ist Material, auf das man Strahlung auftreffen lässt, um in der Materie Kernumwandlungen hervorzurufen.

4) Das Zusatzprotokoll (Additional Protocol) wurde von der IAEO zur weiteren Stärkung von Safeguards 1998 eingeführt und ist für die Staaten gedacht, die mit der IAEO zuvor bereits ein Safeguards-Abkommen geschlossen haben. Ein solches Protokoll tritt üblicherweise nach der Ratifizierung in Kraft.

5) Siehe Kalinowski, M.B.: Outline of a Comprehensive Cut-Off Convention. In: Kalinowski, M.B. (Hrsg.): Global Elimination of Nuclear Weapons, Nomos Verlag: Baden-Baden 2000.

6) Siehe Datan, M.; Ware, A.; Kalinowski, M.; Scheffran, J.; Seidel, V.; Burroughs, J.: Sicherheit und Überleben. Argumente für eine Nuklearwaffenkonvention, herausgegeben von IPPNW/IALANA/INESAP, Übersetzung durch Regina Hagen, Berlin 2000.

Hagen, Regina: Völkerrechtliche Regelungen zur nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung

1) Absatz 105(2)E des Rechtsgutachtens (Advisory Opinion) des Internationalen Gerichtshofs zur Legalität der Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen vom 8. Juli 1996, im vollen (deutschen) Wortlaut abgedruckt in: IALANA (Hrsg.): Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof. Dokumentation, Analysen, Hintergründe, LIT-Verlag, Münster, 1997.

2) United States Joint Chiefs of Staff: Doctrine for Joint Nuclear Operations, Joint Publication 3-12, Final Coordination (2), 15 March 2005, S. 1-9.

3) Advisory Opinion, op.cit, Absatz 105(2)F.

4) Die offizielle deutsche Fassung des NVV steht unter www.atomwaffena-z.info/pdf/NPT-Vertrag.pdf.

5) Ibid.

6) Der Text steht in offizieller deutscher Übersetzung unter www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/friedenspolitik/abruestung/resolution1540.pdf.

Hall, Xanthe: Zwei Seiten einer Medaille - Die Rolle der IAEO bei der Verflechtung von Atomwaffen und Atomenergie

1) Memorandum von Henry L. Stimson an Harry S. Truman, 11. September 1945 (eigene Übersetzung).

2) Komiteemitglieder: Dean Acheson, Vannevar Bush, James Conant, Leslie Groves, John McCloy.

3) The Acheson-Lilienthal Report. Report on the International Control of Atomic Energy, 16. März 1946 (eigene Übersetzung).

4) Ibid.

5) Leonard Weiss: Atoms for Peace, in: Bulletin of the Atomic Scientists, November/Dezember 2003.

6) Roland Kollert: Die Politik der latenten Proliferation, Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden, 1994.

7) Paul Leventhal: Safeguards Shortcomings - a critique, Nuclear Control Institute, Sept. 1994.

8) Agreement Between the International Atomic Energy Agency and the World Health Organization, Artikel I,3, IAEA INFCIRC/20 von 23. September 1960 (eigene Übersetzung).

9) IAEO-Presseaussendung vom 5. September 2005: Tschernobyl: Das wahre Ausmaß des Unfalls - 20 Jahre später legt ein UN-Bericht definitive Antworten vor und zeigt die Wege zur Rückkehr zu einem normalen Leben. Ein »Digest Report« wurde vorgelegt als: The Chernobyl Forum: Chernobyl´s Legacy: Health, Environmental and Socio-economic Impacts and Recommendations to the Governments of Belarus, the Russian Federation and Ukraine, September 2005.

10) Reuters: ElBaradei says nuclear states too slow disarming, Washington, 7. November 2005 (eigene Übersetzung).