Dossier 6

Atomteststopp

von Barbara Sabel, Michael Kalman

Der Kalte Krieg scheint zu Ende. In den osteuropäischen Staaten wurden die kommunistischen Regime gestürzt. Mehrparteiensysteme nach westlichem Vorbild etablieren sich. Der Warschauer Pakt ist militärisch nicht mehr funktionsfähig. In der DDR desertieren NVA-Soldaten scharenweise. Der große Frieden ist in Europa ausgebrochen. Meint man. Und doch wird ein Relikt der neuesten Kriegsgeschichte diesen historischen Umbruch des Jahres 1989 noch lange überdauern: die atomaren Massenvernichtungsmittel, die nach wie vor in Ost und West nicht nur gehortet, sondern immer weiter modernisiert und perfektioniert werden. Nukleare Versuchsexplosionen zur Entwicklung neuer Kernwaffen werden von den Regierungen der Atommächte weiter für nötig befunden. Ein weltweites Ende der Atomtests ist nicht in Sicht.

I. Historischer Rückblick

Am 16. Juli 1945 gelang in der Wüste Alamogordo (New Mexico, USA) der erste Atomtest. Damit fand eine Vernichtungswaffe mit bis dahin nicht gekannter Zerstörungswirkung Eingang in eine von tiefgreifenden Machtgegensätzen und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägte Staatenwelt. Schon der zweite und dritte »Test« brachten besonders »authentische« Ergebnisse. Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 töteten mindestens 156.000 Menschen auf der Stelle.

Trotz warnender Stimmen wurde die neue Waffe rasch Bestandteil der raison d'etre internationaler Politik. Das angebrochene Nuklearzeitalter offenbarte eine erschreckende Ungleichzeitigkeit zwischen dem traditionellen Politikverständnis der Staatsmänner und der völlig neuen Qualität der Kernwaffen. Herkömmliche Ziel-Mittel-Analysen, das überkommene Denken in Sieg und Niederlage, der selbstverständliche Grundsatz, Krieg sei eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln – all diese klassischen Überzeugungen und Methoden internationaler Politik und Diplomatie hätten eigentlich eine tiefgreifende Revision erfahren müssen. Die Chancen, der atomaren Rüstungsdynamik wirksam Einhalt zu gebieten, sind jedoch schon in den Kindertagen des Nuklearzeitalters verspielt worden. Die USA nutzte ihr Kernwaffenmonopol als Mittel »atomarer Diplomatie« gegen die Sowjetunion im Zuge des sich allmählich herausbildenden Kalten Krieges. Wie in einer Art Vorspiel zur globalen Eindämmungspolitik (Containment) gegen den – so sahen es die wichtigsten amerikanischen Politiker – aggressiven und expansionistischen Weltkommunismus “entschied sich die Truman-Administration 1946 definitiv, der Sicherung durch Wahrung des Atomwaffen-Monopols Priorität vor der Vermeidung atomaren Wettrüstens einzuräumen” (Wilfried Loth, Die Teilung der Welt, München 1985, S. 136).

Der Kalte Krieg: Entfesselung der Rüstungsdynamik

Auch »gutgemeinte« amerikanische Vorschläge zur Eliminierung des drohenden nuklearen Aufrüstungsprozesses waren vor dem Hintergrund des immer deutlicher hervortretenden gegenseitigen Mißtrauens im Ost-West-Verhältnis zum Scheitern verurteilt. Der bekannte Baruch-Plan etwa sah eine Internationalisierung der Atombombe (besser Kernenergie) in drei Schritten nach folgendem Muster vor: nach dem Austausch aller wissenschaftlichen Informationen sollte eine supranationale Behörde unter Aufsicht des UN-Sicherheitsrats nach und nach alle mit Atomfragen befaßten wissenschaftlichen Einrichtungen kontrollieren. Danach sollte alles spaltbare Material kaserniert und auf die ausschließliche Verwendung zu friedlichen Zwecken hin kontrolliert werden. Diese an sich vernünftige Vorgehensweise war jedoch von den Sowjets nicht akzeptiert worden, da nicht ausgeschlossen werden konnte, daß die USA aus dem Plan einseitige Vorteile hätte ziehen können. Denn bis zur vollständigen Errichtung eines Kontrollsystems behielt sich Washington das Recht vor, weiter Bomben zu bauen. Die Sowjetunion hingegen – die 1946 noch keine Atomwaffen besaß – wäre bei ihrem Atomprogramm blockiert gewesen, was im Fall eines möglichen Scheiterns des Plans erhebliche Rückschläge für Moskau bedeutet hätte. So wie dieser Abrüstungsinitiative sollte es noch vielen gehen: die atomaren Massenvernichtungswaffen in einer von Machtrivalitäten der Blöcke geprägten Welt konnten nicht mehr eliminiert werden, weil jeder Vorschlag in diese Richtung von der Gegenseite nur als Täuschungsmanöver und als Versuch einseitiger Vorteilsnahme interpretiert wurde. Als Konsequenz aus diesem Dilemma wurden Atomwaffen zum sich selbst reproduzierenden fait accompli; sie wurden und werden gefährlicherweise wie früher Gewehre und Schwerter in traditionelle Kosten-Nutzen-Kalküle der internationalen Politik einbezogen. Damit war und ist einer entfesselten nuklearen Rüstungsdynamik Tür und Tor geöffnet.

Die USA begannen mit dem Ausbau ihrer nuklearen Infrastruktur, der forciert wurde, als die Berlin-Blockade den Kalten Krieg auf einen neuen Höhepunkt trieb. Das Lawrence Livermore Laboratorium wurde eingerichtet, als man nach dem Bruch des amerikanischen Atomwaffenmonopols durch die Sowjetunion (Oktober 1949) – zu Beginn der Kommunisten-Hysterie der McCarthy-Ära – glaubte, die »Superbombe« entwickeln zu müssen. Die 1952 erstmals gezündete Wasserstoffbombe überstieg die Zerstörungskraft der A-Bomben noch um ein Vielfaches. Gleichzeitig wurden die Nuklearwaffen nach und nach in die Teilstreitkräfte – vor allem die Luftwaffe – integriert. Zu Beginn der fünfziger Jahre war die UdSSR durch einen Ring amerikanischer Militärstützpunkte umschlossen, auf denen B-29 (später B-52)-Bomber des SAC (Strategic Air Command) rund um die Uhr in Bereitschaft gehalten wurden. Sie alle waren in der Lage, jeden Punkt der Sowjetunion mit Atombombern zu bedrohen.

Diese militärische Option forderte zusammen mit der Entwicklung und Verbesserung der H-Bombe einen steigenden Testbedarf. Die Gegenseite schlief – wie zu erwarten war – nicht. Der sowjetische Ministerpräsident Malenkov konnte schon im August 1953 den erfolgreichen Test einer sowjetischen H-Bombe bekanntgeben. Schon in den »Kindertagen« des Nuklearzeitalters ist also ganz deutlich geworden, daß es aussichtslos ist, mit der Weiterentwicklung der Nuklearwaffen einseitige Vorteile zu erzielen.

Gleichwohl erhielt sich diese Illusion weiter am Leben – gekoppelt mit einem geradezu mythischen Vertrauen in die Segnungen des technischen Fortschritts. Im Hinblick darauf bildeten die beiden Supermächte in Ost und West tatsächlich eine Art »unheilige Allianz«. Und schon kündigte sich eine ganz neue Gefahr an: die Proliferation. Im Oktober 1952 gelang Großbritannien der erste erfolgreiche Nukleartest. 1957 konnte die erste britische Wasserstoffbombe gezündet werden.

Wachsende Kritik an Atomtests

Aber das Bewußtsein um die menschheitsbedrohende Wirkung der Nuklearwaffen wuchs. Die zahlreichen Tests, besonders der USA, begannen die kritische Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu wecken. Bis 1957 fanden alle Versuche oberirdisch statt – mit zum Teil verheerenden Folgen für Gesundheit und Umwelt.

Unter dem Eindruck des verheerenden Wasserstoffbomben-Tests »Bravo« im Pazifik, der zahlreichen Insulanern und 23 japanischen Fischern Gesundheit oder Leben kostete, appellierte der indische Premierminister Nehru am 2. April 1954 an die Kernwaffenmächte, ihre Nuklearversuche einzustellen. 1954 wurde auch die internationale Wissenschaftler-Organisation Pugwash und die britische »Campaign for Nuclear Disarmament« (CND) gegründet.

Allmählich fand die Testproblematik auch Eingang in die Abrüstungsinitiativen der Atommächte. Am 10. Mai 1955 legte die Sowjetunion dem Unterausschuß der UNO-Abrüstungskommission ein ganzes Bündel von Abrüstungsvorschlägen vor, wobei dem Kernwaffenteststopp eine vorrangige Bedeutung zukam. Der umfassende Abrüstungansatz, den Moskau in den Folgejahren immer wieder in abgewandelter Form vortrug, war jedoch wegen seiner Vielschichtigkeit und Ausgedehntheit nicht konsensfähig. Er enthielt immer wieder zu viele Punkte, die der Westen als Versuch einseitiger Vorteilsnahme interpretierte. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre vollzog sich die allmähliche Separierung des »test ban issue« von den umfassenden Ansätzen, ein Prozeß, der einen allgemeinen Paradigmenwechsel in der internationalen Sicherheitspolitik deutlich machte: Ansätze vollständiger Abrüstung resignierten zur Rüstungskontrolle voneinander isolierter Rüstungsbereiche. Damit kann man zwar eher Übereinkünfte erzielen, der entfesselten Rüstungsdynamik wird aber keinerlei Einhalt geboten, weil nur Symptome, nicht aber Ursachen beachtet werden.

Die Vorgeschichte des Partiellen Teststoppvertrages (1958-1963)

Im Jahre 1958 bewegten sich die Atommächte aufeinander zu. Am 31. März 1958 wählte Moskau erstmals das Mittel eines einseitigen Teststopp-Moratoriums, um die Sache voranzubringen. Chruschtschow forderte die Atommächte im Westen auf, seinem Beispiel zu folgen, andernfalls würde er “sich der übernommenen Verpflichtung zur Einstellung der Kernwaffenversuche für enthoben … betrachten” (zit. nach Franz Seiler, Die Abrüstung. Eine Dokumentation der Abrüstungsbemühungen seit 1945, München 1974, S. 98). Eisenhower lehnte die sowjetische Initiative zunächst ab. Nach dem Insistieren Chruschtschows schlug der amerikanische Präsident jedoch immerhin eine Expertenkonferenz zur Möglichkeit der Verifizierung eines Teststopps vor. Schließlich wurde diese Konferenz vom 1. Juli bis 21. August 1958 unter Teilnahme von acht Ländern – vier West, vier Ost – auch tatsächlich abgehalten. Das Ergebnis war bemerkenswert. Durch ein weltweites Netz von 160 bis 180 Kontrollposten, die seismische, akustische und Radiosignale im Zusammenhang mit Atomexplosionen entdecken und radioaktive Trümmer sammeln sollten, sei man in der Lage, selbst kleinere Explosionen von 1-5 Kilotonnen (Kt) zu registrieren. Kritisch sei die Kontrolle vor allem bei sorgfältig verborgenen tiefen unterirdischen Tests.

Relativ rasch konnten sich die Atommächte auf dreiseitige Verhandlungen einigen, die im November 1958 in Genf begannen und von einem Moratorium begleitet wurden. Damit ist die direkte Vorgeschichte zum »Partiellen Teststoppvertrag« (Partial Test Ban Treaty, ptbt) eingeleitet worden, der 1963 geschlossen wurde.

Die folgenden vier Jahre jedoch waren immer wieder überschattet von Krisen, die die Verhandlungen zum Stocken brachten oder unterbrachen. Durch den Abschuß des amerikanischen Aufklärungsflugzeugs U-2 über sowjetischem Territorium im Mai 1960 lagen die Gespräche bis zum Amtsantritt Präsident Kennedys, Anfang 1961, auf Eis. Die Berlin-Krise im August 1961 hatte schließlich den Abbruch des dreiseitigen Moratoriums zur Folge. Die Sowjetunion führte dann in der kurzen Zeit bis Ende 1961 sage und schreibe 50 oberirdische Tests durch, wovon einer die ungewöhnliche Ladungsstärke von 50-60 Mt erreichte! Die radioaktive Belastung der Umwelt durch Atomversuche erreichte in diesen Jahren ihren absoluten Höhepunkt.

Die Kuba-Krise im Oktober 1962 führte jedoch den politischen Entscheidungsträgern und der Weltöffentlichkeit die Gefahr einer nuklearen Konfrontation zwischen Moskau und Washington drastisch vor Augen. Schon 1959 hatte man sich im Grundsatz darauf geeinigt, alle unterirdischen Tests mit einem Ausschlag über 4,75 auf der Richter-Skala zu verbieten; dies entspricht einer Schwelle von 20 kt.

Der PTBT von 1963

Am 5. August 1963 konnte nun tatsächlich nach nur 20-tägiger Verhandlungsdauer in Moskau der »Vertrag über das Verbot von Atomwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser« (Partieller Teststopp-Vertrag, Partial Test Ban Treaty, PTBT) zwischen den USA, der UdSSR und GB unterzeichnet werden. Dies war ein großes Hoffnungszeichen – welches allerdings aus der Retrospektive betrachtet praktisch alle Probleme der ungehemmten nuklearen Aufrüstung ungelöst ließ. Denn zum einen konnte man sich nicht auf einen Umfassenden Teststopp-Vertrag (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) einigen – Moskau hätte dabei nur drei Vor-Ort-Inspektionen gebilligt, die westlichen Vertragspartner forderten aber sieben – zum anderen beherrschten die USA bereits seit 1957, die UdSSR seit 1962 die Technik unterirdischer Atomversuche. Zudem mußte Präsident Kennedy dem Kongreß als Gegenleistung zu dessen Ratifikation des PTBT eine drastische Erhöhung des unterirdischen Testprogramms versprechen. Es läßt sich unschwer rekonstruieren, daß die Sprengköpfe fast des gesamten strategischen Nuklearraketenprogramms beider Supermächte in unterirdischen Versuchsreihen nach 1963 entwickelt wurden. Sämtliche noch folgende nukleartechnologische Revolutionen wie Mehrfachsprenköpfe (MIRV, MARV) sollten auf Tests zurückgehen, die vom ptbt unberührt blieben. Die Präambel des begrenzten Teststopp-Abkommens hatte nicht umsonst die rasche Verwirklichung eines CTBT eingefordert.

Das Problem der Weiterverbreitung der Kernwaffen

Die Weiterverbreitung von Kernwaffen (Proliferation) konnte nun ungezügelt weitergehen. Frankreich konnte seine erste Atombombe bereits 1960 zünden. China zog 1964 nach, was angesichts der verbalaggressiven Nukleardoktrin Pekings nicht gerade beruhigend wirkte. Was aber, wenn nun immer mehr Staaten nach der Bombe griffen? Wie sollten die Atommächte den »nuklearen Habenichtsen« erklären, daß sie gefälligst auf Nuklearwaffen zu verzichten hätten, sie selbst aber unablässig weitertesten? Kein Zweifel: nun zeigte sich der Zusammenhang zwischen einem Umfassenden Teststopp und einer wirksamen Vorkehrung gegen nukleare Proliferation. Aber Frankreich und China traten noch nicht einmal dem PTBT bei. Immerhin kam 1968 der Nichtweiterverbreitungsvertrag (Non-Proliferations-Treaty, NPT) zustande. Auch dieses Abkommen betonte die Notwendigkeit eines umfassenden Teststopps. Sein Regime bleibt jedoch bis heute bedroht. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Schwellenländern, die die technologische Fähigkeit der Kernspaltung besitzen.

Keine Fortschritte (1963-1974)

Die Jahre nach Abschluß des begrenzten Teststopp-Abkommens brachten in Bezug auf einen CTBT keine Annäherungen. Von 1962 bis 1969 wurde die Frage eines Umfassenden Teststopps Jahr um Jahr im Achtzehn-Nationen-Ausschuß für Abrüstungsfragen in Genf behandelt. Doch die unterirdischen Versuche warfen – wie oben bereits angedeutet – auch neue Verifikationsprobleme auf. In der Kontrollfrage wurde der Dissens zwischen der USA und der Sowjetunion denn auch am deutlichsten. Moskau vertrat den altvertrauten Standpunkt, daß staatliche Aufklärungsmittel (National Technical Means, NTM) zur Überwachung völlig ausreichten. Vor-Ort-Inspektionen wurden als überflüssig erachtet. Die USA und Großbritannien wollten jedoch gerade auf diese Inspektionen unter keinen Umständen verzichten, da die seismischen Meßmethoden trotz Verbesserung nicht ausreichten. Die unterschiedliche Interpretation der Wirksamkeit von Meßverfahren war selbstverständlich nur vordergründig eine wissenschaftliche Kontroverse; sie war und ist eine Agentur politischer Interessen und Ängste. Das wirkliche Interesse an einer Beendigung der Tests war bei den Atommächten wohl sehr gering. Die Denkvorstellung und die Struktur nuklearer Abschreckung hatte sich im Westen eingeschliffen; man bemühte keinerlei politische Phantasie für eine alternative Sicherheitspolitik vor dem Hintergrund einer Beendigung der Tests. Das Mißtrauen Moskaus gegenüber westlicher Spionage war die Hauptursache für die notorische Ablehnung der Vor-Ort-Kontrollen. Vermittelnde und abgestufte Verifikationsvorschläge von Nichtkernwaffenstaaten wie Schweden blieben praktisch ohne Resonanz.

Die Verträge von 1974 – eher kontraproduktiv

In den siebziger Jahren, auf dem Höhepunkt der ersten Ost-West-Entspannungsperiode, konnte im Juli 1974 auch ein sogenannter Test-Bann-Schwellenvertrag (Threshold Test Ban Treaty, TTBT) geschlossen werden. Diese Übereinkunft verbietet den Parteien (USA, UdSSR) Tests mit einer Ladungsstärke von über 150 kt. Ergänzt wurde dieses Abkommen durch den »Vertrag über Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken« (Peaceful Nuclear Explosions Treaty, PNET), der 1976 paraphiert wurde. Beide Verträge sind bis heute nicht ratifiziert worden. Gleichwohl haben sich die beiden Supermächte im Großen und Ganzen bis heute daran gehalten. Vom Standpunkt des verbal immer wieder beschworenen Endziels CTBT haben sich die Schwellenverträge jedoch eher als kontraproduktiv erwiesen. Der breiten Öffentlichkeit wurde eine aktive Rüstungskontrollpolitik suggeriert, die in Wirklichkeit alles beim Alten ließ. Der nuklearstrategische Trend in Richtung »kleinere«, dafür treffgenauere Sprengköpfe war auch ohne Schwellenvertrag längst beschritten.

Neue Impulse unter Jimmy Carter

Die internationalen Abrüstungsperspektiven erhielten jedoch neue Impulse als Jimmy Carters Präsidentschaft begann. In einem Interview am 23. Januar 1977 bekannte er: “Ich möchte rasch und energisch mit einem umfassenden Versuchsverbotsvertrag vorankommen; ich bin für die Einstellung der Erprobung aller Kernwaffensprengsätze, und zwar sofort und völlig”. (Heinrich Siegler, Dokumente zur Abrüstung 1977, S.7) So konnten im Juli 1977 Verhandlungen über den CTBT zwischen USA, Großbritannien und UdSSR beginnen. Am 30. Juli 1980 wurde dem Abrüstungsausschuß (Comitee on Disarmament, CD) ein entsprechender Plan vorgelegt. In Fragen der Kontrolle eines dementsprechenden Abkommens wurden bemerkenswerte Fortschritte und Übereinkünfte erzielt. So sollten zehn seismische Meßstationen auf dem Gebiet der Gegenseite installiert werden. Sogar Vor-Ort-Inspektionen wurden prinzipiell eingeschlossen. Den Vertragsparteien blieb aber ein Verweigerungsrecht derartiger Kontrollen noch zugestanden. Im November 1980 vertagten sich die Gesprächspartner.

Reagans Politik der Stärke und Gorbatschows Moratorium

Mit Ronald Reagan folgte Carter ein Mann ins Weiße Haus, der den Gedanken einer Politik der Stärke mit der Vision verband, das bestehende nukleare Abschreckungssystem durch eine weltraumstationierte Raketenabwehr zu ersetzen. Es war nur folgerichtig, daß der neue Präsident keine Neigung verspürte, die trilaterale Verhandlungsrunde neu zu beleben. Im Juli 1982 erklärte die US-Administration offiziell, die Verhandlungen über einen CTBT nicht wiederaufnehmen zu wollen. Im März 1983 teilte Reagan der Welt seine »Vision« einer friedlichen Welt, gestützt auf eine Raketenabwehr im Weltraum mit. Diese »Strategic Defense Initiative« (SDI), deren Kern die Entwicklung von Nuklearwaffen der sogenannten »Dritten Generation« ist, erfordert einen riesigen Testbedarf. Ein Report der US-Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde (ACDA) sprach sich 1983 denn auch für Atomtests auf unbeschränkte Zeit aus. Bis Gorbatschows Amtsantritt als Generalsekretär im März 1985 gab es keinerlei Bewegung beim test ban issue, obwohl sich der internationale Druck für einen CTB vergrößerte. Der neue Generalsekretär Gorbatschow bediente sich im ersten Jahr seiner »Amtszeit« eines alten-neuen Mittels, um Bewegung in die Testbann-Frage zu bringen. Am 29. Juli 1985 verkündete er ein einseitiges Moratorium, beginnend mit dem 40. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima am 6. August 1985. Dieses Moratorium, zu dem der Generalsekretär die USA einlud, beizutreten, war bis zum 31. Dezember 1985 befristet. Die amerikanische Administration weigerte sich jedoch, ebenfalls die Tests einzustellen. Im Jahre 1986 verlängerte Gorbatschow diese einseitige Maßnahme daher noch dreimal. Die USA blieben bei ihrer ablehnenden Haltung. Im Januar 1987 schließlich kündigte die Sowjetunion an, sie werde nach dem ersten amerikanischen Versuch ihre Tests wieder aufnehmen. Mit dem 26. Februar 1987 war dann tatsächlich das Ende des sowjetischen Moratoriums markiert.

Die USA bedienten sich unterschiedlicher Argumente, um ihre Position vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen. Nach Gorbatschows erster Ankündigung sprach Reagan von “reiner Propaganda”, lud jedoch als Zeichen guten Willens immerhin sowjetische Spezialisten ein, amerikanische Tests in Nevada vor Ort zu beobachten. Im Laufe des Jahres 1986 war aus amerikanischen Regierungskreisen zu hören, ein umfassender Teststopp, worauf Gorbatschows Moratorium abzielte, sei überhaupt nicht verifizierbar. Dieses Argument wurde selbst von Testbefürwortern als ungeschickt qualifiziert (siehe z.B. Thomas Enders, Verbot von Kernwaffen-Versuchen – nützlich oder schädlich für die Sicherheit?, Europäische Wehrkunde 10/1985), da die Experten in ihrer überwältigenden Mehrheit bereits eine ausreichende Kontrolle der Einhaltung eines CTBT für möglich halten.

Schließlich wurde Washington deutlicher: die Tests seien für die Sicherheit der Vereinigten Staaten unerläßlich, da ohne sie die Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckung nicht garantiert werden könne.

Die Fronten geraten in Bewegung – aber noch kein Teststopp in Sicht (1986-1990)

Trotzdem gingen vom Moratorium vertrauensbildende und rüstungskontrollpolitische Impulse aus. Denn der Druck in der Weltöffentlichkeit wie auch innerhalb der Vereinigten Staaten zur Beendigung der Tests wuchs. Bereits Ende 1985 hatten 30 Kongreßmitglieder gegen einen Atomversuch protestiert, der der Erprobung eines nuklear »gepumpten« Röntgenlasers diente. Anfang 1986 forderten bereits 63 Kongreßmitglieder (darunter viele Republikaner) eine Verschiebung des ersten Tests jenes Jahres – er wurde gleichwohl am 24. März 1986 durchgeführt. Im Mai 1986 wurde ein informelles Abkommen zwischen der US-Umweltschutzorganisation »Natural Resources Defense Council« (NRDC) und der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften über die gegenseitige Beobachtung und seismische Kontrolle der Tests geschlossen. Bald darauf durften amerikanische Seismologen in der Umgebung des Testgebietes von Semipalatinsk (Kasachstan) ihre Meßgeräte zur Kontrolle des Moratoriums aufstellen. Das Abkommen wurde im Juni 1987 verlängert. Im Juli 1986 konnten bilaterale Gespräche zwischen den USA und der UdSSR über alle Aspekte der Kernwaffentests beginnen. Freilich gab es kein Mandat zur Aushandlung eines Abkommens. 1986 und bis weit in das Folgejahr hinein versuchte die sowjetische Diplomatie durch Herstellung bestimmter Junktims die USA von ihrer orthodoxen Haltung in der Teststoppfrage abzubringen. Nach der Kernreaktor-Katastrophe von Tschernobyl wurde eine verstärkte internationale Zusammenarbeit bei Reaktorunfällen von Fortschritten in der Teststoppfrage abhängig gemacht. 1987 wurde ein ähnlicher Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Beseitigung der nuklearen Mittelstreckenraketen (INF) hergestellt. Die USA ließen sich im Kern aber darauf nicht ein. Im Frühjahr 1987 erklärten sie, daß die Fortsetzung der Versuche für die vorhersehbare Zeit unerläßlich sei.

Gleichwohl konnte Reagan die trotz ihres Scheiterns überaus wirkungsvolle sowjetische Abrüstungsoffensive kontern. Er lenkte das Augenmerk auf die noch nicht ratifizierten Schwellenverträge von 1974 und 1976.

Im Dezember 1987 kam es tatsächlich zu bilateralen Verhandlungen mit dem einvernehmlich formulierten “Endziel” eines “vollständigen Verzichts auf Nukleartests als Teil eines wirksamen Abrüstungsprozesses.” Das klang gut, war aber im Prinzip eine »Niederlage« für die Sowjetunion und ihre proklamierte Linie eines direkten Zusteuerns auf einen Umfassenden Teststopp.

Der Dissens zwischen beiden Parteien über die angeblich notwendige Verbesserung der Verifikation führte zu einem Gemeinsamen Verifizierungsexperiment (Joint Verification Experiment, JVE), das vorsah, je einen nuklearen Sprengsatz auf den test-sites beider Länder in Nevada und Kasachstan zu Überprüfung der Meßmethoden zu zünden.

Diese Testexplosionen wurden im August und September 1988 durchgeführt. Der »symbolische« und vertrauensbildende Aspekt solcher Art von Zusammenarbeit sollte nicht unterschätzt werden und wurde vor allem von US-Seite breit ausgeschlachtet. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß das »Endziel« wieder einmal aus dem Blick geriet.

Anfang 1990 zeichnet sich die Ratifikation der Schwellenverträge ab. Aber was hat die Ratifizierung von Abkommen, die rüstungskontrollpolitisch (oder sagen wir deutlicher: abrüstungspolitisch) schon zum Zeitpunkt ihrer Paraphierung überholt waren, für einen Sinn? Selbst die positive Ausstrahlung eines formellen Inkrafttretens der Schwellenverträge für die Erreichung eines CTB muß eher als gering eingestuft werden. Denn die von den Amerikanern favorisierte CORRTEX-Methode, deren Überprüfung im JVE soviel Zeit und Geld gekostet hat, ist für niedrige Ladungsstärken ungeeignet.

II. Atomtests und aktuelle Rüstungsdynamik

Die nuklearen Arsenale der beiden Supermächte haben sich in den letzten 40 Jahren in erheblichem Maße ausdifferenziert. Heute werden die 22.500 amerikanischen Sprengköpfe aus 27 verschiedenen Typen gebildet (U.S. nuclear weapons stockpile, in: Bulletin of the Atomic Scientists, fortan zitiert: BAS; June 1989, S. 49). In der Sowjetunion verteilen sich gar über 50 verschiedene Sprengköpfe auf 67 nukleare Waffensysteme; die 32.000 sowjetischen Sprengköpfe übersteigen das amerikanische Arsenal um 45 % (Estimated Soviet nuclear stockpile, July 1989, in: BAS, July/August 1989, S. 56). In diesen »nuklearen Wucherungen« hat sich der Kalte Krieg als (ehemaliger) Kampf zweier einander ausschließender Weltordnungsmodelle materialisiert. Die fortlaufende Modernisierung und Perfektionierung dieser Arsenale wird jedoch auch zu Beginn der neunziger Jahre mit strategischer Analytik rationalisiert. Es ist bei den Atommächten kein Trend zur dauerhaften Einstellung der Tests erkennbar.

Den USA fiel mit Einschränkungen die Vorreiterrolle bei der Entwicklung immer modernerer nuklearer Waffensysteme zu. Die nuklearen Fähigkeiten haben in den letzten Jahrzehnten in Ost und West immens zugenommen. Aufgrund der jahrzehntelangen Testerfahrung hat sich das Know-How über atomare Sprengköpfe in den USA, der UdSSR, aber auch in Frankreich, Großbritannien und selbst in China außerordentlich verbessert. Seit langem sind die gesamten Verteidigungsstrukturen in Ost und West nuklearisiert, greifen nukleare und konventionelle Waffensysteme in den Großverbänden nahtlos ineinander über. Auf bundesdeutschem Boden ist ein breites Sprengkopfsortiment gelagert, beginnend mit der notfalls von einem Soldaten zu transportierenden »Rucksack«-Bombe mit 0,1 kt Sprengkraft (die allerdings in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wieder abgezogen wurde) bis zur Atombombe im Megatonnenbereich. Sämtliche dieser für den Einsatz auf dem mitteleuropäischen Gefechtsfeld bestimmten Gefechtsköpfe sind auf dem amerikanischen Testgelände in Nevada getestet worden.

Die Strategien und aus ihnen abgeleitete taktisch-operative Einsatzpläne formulieren Anforderungen an die nuklearen Waffensysteme, die einen erheblichen Atomtestbedarf mitbedingen. Die NATO-Doktrin der flexible response erfordert eine nukleare »Reaktionsfähigkeit« auf allen Ebenen eines bewaffneten Konflikts, von dem »nuklearen Warnschuß« über atomare Schläge gegen Truppenkonzentrationen des Warschauer Pakts bis zur »allgemeinen nuklearen Reaktion«.

Die Relation des Sprengkopfs zu seinem Träger wird in zunehmend zielsicheren Versionen erprobt. Anfang der fünfziger Jahre gab es nur einen Trägertyp, den strategischen Atombomber, wie die amerikanische B-29. Durch die Entwicklung ballistischer Mittel- und Langstreckenraketen kamen bodengestützte Abschußrampen hinzu. 1960 wurde in den USA das erste mit seegestützten Nuklearraketen ausgerüstete Unterseeboot in Dienst gestellt.

Atomare Sprengköpfe in der Bundesrepublik
Sprengkopf Sprengkraft Entwicklung Einführung System
W 31 1 kt NIKE
W 33 1-12 kt (2 Versionen) 1954 1956 Haubitzen 203 mm
W 45 1-15 kt (3 Versionen) seit 1956 (LANL) 1965 MADM
W 48 0,1 kt 1957 1963 Haubitze 155 mm
W 54 0,01-1 kt (LANL) seit 1960 1964 SADM
W 70 1-100 kt (4 Versionen) 1969 1973 LANCE
W 79 1981 Haubitzen 203 mm
W 82 2/1990 Haubitze 155 mm
B 57 unter 20 kt 1960 1964 Bombe
B 61 u. 1-345 kt 1975 Bombe
Durch den INF-Vertrag wieder abgezogen:
W 50 60-200 kt (3 Versionen) Pershing 1A
W 84 0,2-150 kt CM
W 85/W 80 0,3-80 kt Pershing II
Abkürzungen:
MADM - Medium Atomic Demolition Munition (Mittlere Atommine)
LANL - Los Alamos National Laboratory
SADM - Spezielle Atommine »Tornister- oder Rucksackbombe«, sind in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre abgezogen worden.
NIKE HERCULES MIM 14 B - in der Nuklearversion (Luftabwehrrakete); die W 31 ist 1984 abgezogen worden.
W 79 - ist ein Neutronensprengkopf und in den USA gelagert.
W 70 - gibt es als A- und Neutronensprengkopf.

Laut Mechtersheimer/Barth, a.a.O., S. 370 besitzen die verschiedenen in der Bundesrepublik gelagerten Atombomben eine Sprengkraft zwischen 5 und 1.450 kt (= 1,45 Mt oder die 120fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe!).
Das Jahr der Entwicklung bezeichnet das Jahr der ersten Planungs- und Designphase (Phase I und II). Die eigentliche Atomtestphase (III) schließt sich ungefähr ein bis zwei Jahre später daran an.

Quelle: Cochran, Arkin, Hoenig, Nuclear Weapons Databook, Vol. I U.S. Nuclear forces and Capabilities, Cambridge (Mass.) 1984; Mechtersheimer, Barth, Militarisierungsatlas der Bundesrepublik, Neuwied, Berlin 1988 (3. Auflage); Bulletin of the Atomic Scientists, verschiedene Ausgaben 1989

Konsequenz der Abschreckung: Diversifizierung der Atomwaffenprofile

Schon die unterschiedlichen Trägersysteme erzwingen unterschiedliche Sprengkopfprofile, deren Entwicklung Atomtests erforderlich machen. Die Ausdifferenzierung allein des Raketenarsenals erfordert weitere Sprengkopfvarianten. Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen unterscheiden sich mindestens hinsichtlich fünf Kriterien:

1. Wurfgewicht. Die Nutzlast der Raketen. Sie definiert sich als Summe der Gewichte aus Gefechtsköpfen (Wiedereintrittsflugkörper, Re-Entry-Vehicles, RV), Einrichtungen zur Freigabe, zum Ausstoß oder der Flugführung der RV's und Eindringhilfen. Das Wurfgewicht der strategischen bodengestützten Interkontinentalrakete Minuteman III mit ihrem aus 3 W-78-Sprengköpfen bestehenden MK-12A Mehrfachsprengkopf beträgt über eine Tonne (1.087,2 kg). Die modernere MX-Rakete erreicht durch ihren Zehnfachsprengkopf MK-21, W 87, hingegen 3.578,7 kg, die Kurzstreckenrakete Lance mit einem Gefechtskopf 211 kg.

2. Flugbahn. Die Wiedereintrittsflugkörper einer ICBM werden nach dem Brennschluß der Startrakete von einem sogenannten Bus herausgestoßen und erreichen während der Hauptflugphase eine Höhe von 1.200 km weit oberhalb der Atmosphäre. Lance-Raketen haben eine viel niedrigere Flugbahn und erreichen je nach Reichweite eine Flughöhe zwischen 1.350 und 45.700 Metern.

3. Reichweite. Lance 5-125 km, Minuteman III über 14.000 km, Trident II D 5 7.400 km

4. Einfallswinkel. Nach der maximal nur 60 Sekunden dauernden Zielanflugphase treffen die Raketen-Gefechtsköpfe je nach Art der Flugbahn bzw. der Reichweite in unterschiedlichen Einfallswinkeln am Erdboden auf. Cruise Missiles haben im Gegensatz dazu noch einmal prinzipiell andere Auftreffwinkel, weil sie anders als Raketen in Bodennähe fliegen und ihren Flugweg nach vorprogrammierten Landmarken korrigieren. CM's sind auch erheblich langsamer als ballistische Flugkörper und erreichen ca. 1.000 km/h. Auch (strategische) Bomben verlangen völlig andere Sprengkopfprofile, da sie über feindlichem Territorium abgeworfen werden und nach freiem Fall auftreffen.

5. Geschwindigkeit. Lance 3 Mach, Minuteman III nach Brennschluß 19,7 Mach oder 24.000 km/h, Pershing II 8 Mach.

Die Innovationsschübe in der Sprengkopftechnologie werden mit der angeblichen Notwendigkeit gerechtfertigt, die Zweitschlagfähigkeit zu verbessern. Dieser second-strike-capability wird eine stabilitätsfördernde und kriegsverhindernde Wirkung zugeschrieben. Der extrem dynamische Charakter der nuklearen Rüstungsentwicklung mit seinen unentwirrbaren Prozessen der Vor- und Nachrüstung gibt dieser Rechtfertigung einen zweifelhaften Charakter: jede »stabilisierende« Rüstungsentscheidung ist auch als Versuch der Verbesserung der Erstschlagkapazität interpretierbar.

Dem extensiv und offensiv ausgelegten Abschreckungsbegriff der NATO gemäß dürfen keine »Sanktuarien« auf dem Gebiet der Sowjetunion entstehen. Jedes strategisch wichtige Ziel soll bedroht werden können. Was der amerikanische Luftwaffenminister Aldridge auf den sogenannten »Tarnkappen-Bomber« Stealth münzte, gilt auch für neue Sprengkopftypen, die jetzt in Nevada getestet werden: mobile und gehärtete Ziele in der Sowjetunion sollen “unter Risiko” gehalten werden (zitiert nach: Ulrich Albrecht, Stealth, Dossier Nr. 2, Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, 1989). Verteidigungsminister Carlucci hat gegen Ende seiner Amtszeit die Entwicklung von Erddurchdringungssprengköpfen (»earth penetrating warheads«) mit bislang unerreichter Durchschlagskraft genehmigt (National Resource Defense Council -NRDC-, Phasing Out Nuclear Weapons Tests. A Report to the President and Congress from Belmont Conference on Nuclear Test Ban Policy, o.O. 1989, S. 27). Der neue Sprengkopf soll sich nach dem Abwurf in die Erde bohren können, um erst dann zu explodieren. Seine “Wirkung solle so verheerend sein, daß…(er) die Wände der tiefsten unterirdischen Bunker durchdringen und im Kriegsfall die gesamte sowjetische Führung auslöschen” könnte (FAZ, 24.7.1989). Es sind aber die anderen anvisierten Eigenschaften dieses Sprengkopfes (möglicherweise vom Typ B-61, model 7, siehe Kasten), die einen nicht geringen Testbedarf erfordern werden: reduzierte Druck- und Hitzeeffekte.

Die neue Waffe dürfte zum Einsatzprofil des B-2-Bombers passen, der im Tiefflug weit ins sowjetische Territorium eindringen und neben Kommandozentralen die mobilen Interkontinentalraketenstellungen der SS-24 und SS-25 bekämpfen soll. Dies wird den Waffenspezialisten in den drei US-Waffenlaboratorien noch eine weitere Leistung abverlangen: die Entwicklung eines verzögerten Zündsatzes, der bewerkstelligen soll, daß die Detonation erst dann erfolgt, wenn der tieffliegende B-2-Bomber schon in sicherer Entfernung ist (Holger Mey, Europa-Archiv Nr. 6/1988).

Die modernsten Sprengköpfe des amerikanischen Arsenals
Sprengkopf Sprengkraft Spezifikation
B-61 1-500 kt Strategische Bombe
B-83 u. 1-1.200 kt Strategische Bombe
W-80-1 5-150 kt ALCM
W-84 0,2-150 kt GLCM
W-87 300 kt MX
W-88   Trident II
In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre haben die USA mindestens sechs verschiedene Sprengkopftypen entwickelt, die 1988, den einschlägigen Hearings des Kongresses zufolge, produziert wurden:

Derzeit werden mindestens drei Sprengkopftypen getestet:

  • B-90 Nuclear Depth Bomb (Anti-Submarine Warfare Standoff Weapon, ASW/SOW). Diese Abstandswaffe zur U-Boot-Bekämpfung soll im Haushaltsjahr 1993 in das Arsenal aufgenommen werden (BAS, Juli 1989)
  • SRAM-2 (Short-Range Attack Missile), ein luftgestützter Abstandsflugkörper.
  • B-61 (model 7). Diese Bombe ist seit Anfang der siebziger Jahre in verschiedenen Versionen im amerikanischen Nukleararsenal. Die jetzt getestete Version ist wahrscheinlich ein Erddurchdringungssprengkopf.

Modernisierung der Arsenale

Die Testserien in Nevada dienen jedoch nicht nur der zukünftigen Modernisierung der strategischen Nukleararsenale; sie betreffen auch in den neunziger Jahren geplante Nuklearsysteme für Europa. Einschlägige Militärexperten bestätigen, daß die verbliebenen Kernwaffenkräfte der NATO einer Modernisierung bedürften, um den Erfordernissen der »Flexible Response« gerecht zu werden. Die Sprengköpfe folgender Waffensysteme werden mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren auf der NTS getestet:

  • Nachfolgemodell Kurzstreckenrakete Lance, evtl. als Army Tactical Missile System (ATACMS) in der Nuklearversion, von Mehrfachraketenwerfern (MLRS) abzuschießen.
  • Entwicklung einer Luft-Boden-Abstandswaffe SRAM-T könnte in Europa die abzuziehenden Pershing II und Cruise Missiles ersetzen.
  • Modernisierung nuklearer Artilleriegranaten mit W-82-Sprengköpfen
  • Modernisierung Nuklearbomben der dual capable Kampfflugzeuge (siehe ami 1/90, S. 3).

Im Haushaltsjahr 1988 gaben die USA 618,9 Mio. $ für die Atomtests aus. Im fiscal year (FY) 1989 betrug die Summe 524,2 Mio. $. Im laufenden Haushaltsjahr 1990 sind Mittel in Höhe von 511,7 Mio. $ vorgesehen. Trotz leichten Rückgangs stehen auch aktuell alle Finanzmittel zur Verfügung, um die Modernisierung und Neuentwicklung von Nuklearwaffen voranzutreiben.

III. Atomtests, SDI und kein Ende

Mit Präsident Reagans Vision einer lückenlosen, weltraumgestützten Raketenabwehr (Strategic Defense Initiative, SDI) sind neue Begründungen für die Aufrechterhaltung der Atomtests in die Diskussion gekommen. SDI strebt Laserwaffen an, die gestartete sowjetische Interkontinentalraketen bereits in der Anfangsphase zerstören sollen. Drei Laserarten benötigen zu ihrer Erzeugung die Energie von nuklearen Detonationen:

  • Atomlaser zur Bekämpfung von Aufklärungs- und Fernmeldesatelliten des militärischen Gegners.
  • Weltraumgestützte Mikrowellenwaffen zur Zerstörung der elektronischen Infrastruktur auf der Erdoberfläche.
  • Röntgenlaser zur Zerstörung anfliegender ballistischer Interkontinentalraketen.

Der Röntgenlaser

Der Röntgenlaser ist die anspruchsvollste »Atomwaffe der dritten Generation«. Dieses System besteht aus einem nuklearen Sprengsatz, der von einem zylindrischen Bündel sehr dünner metallischer Fasern umgeben ist. Bei der Nuklearexplosion bewirken die freiwerdenden Röntgenstrahlen in der kurzen Phase vor der Selbstzerstörung des Systems, daß ein Puls sekundärer Röntgenstrahlen sich in Richtung der Metallfasern ausbreitet. Eine Studie der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft kam schon vor drei Jahren zu dem Schluß, daß die theoretischen und praktischen Schwierigkeiten fast unüberwindlich sind. Am Beispiel des Röntgenlasers wurde ausgeführt: “Da die Atmosphäre Röntgenstrahlen absorbiert, müßte eine entsprechende Einrichtung in mehr als 80 Kilometer Höhe stationiert werden – möglicherweise mittels irgendeiner Art Katapult-System. Notwendig wäre auch eine Methode, die Bündel von Röntgenstrahlen zu fokussieren und auf ein vorgegebenes Ziel zu richten. Auch müßte man eine Reihe anderer physikalischer Konzepte auf ihre Wirksamkeit untersuchen, ehe man abschließend beurteilen könnte, ob nuklear gepumpte Röntgenlaser in der strategischen Verteidigung anwendbar seien” (Kumar N. Patel, Nicolaas Bloembergen, SDI und Waffen mit gerichteter Energie, Spektrum der Wissenschaft, November 1987). Trotz solcher Vorbehalte hatte die Regierung Reagan seit 1984 nahezu 17 Mrd. US-Dollar für SDI ausgegeben. Der Etat für Kernwaffenversuche hatte sich von 201 Mio. $ (FY 1981) auf 388 Mio. $ im Haushaltsjahr 1984 verdoppelt (SZ, 31.1.1984). Der erste unterirdische Atomtest im Rahmen eines Röntgenlaser-Versuchs (Code: Dauphin) wurde unter der Zuständigkeit des Lawrence Livermore Laboratoriums am 14. November 1980, also noch vor Reagans »Star Wars«-Rede, auf der Nevada Test Site durchgeführt. 1983 und 1985 folgten je zwei weitere Tests des »X-Ray-Lasers« (NRDC, Known U.S. Nuclear Tests July 1945 to 31 December 1985). Es ist gesichert, daß zwischen Mitte 1985 und Mitte 1988 sechs weitere Atomversuche zur Erforschung nukleargetriebener SDI-Waffen durchgeführt wurden (FR, 10.8.1988). Die Anzahl der SDI-bedingten Atomversuche seit 1983 dürfte jedoch noch höher liegen, weil die US-Administration seit Januar 1984 nach einer Aussage des damaligen Stabschefs des Weißen Hauses, James Baker, dazu übergegangen war, nicht mehr alle unterirdischen Atomtests anzugeben (SZ, 31.1.1984). Experten vermuten, daß es sich bei diesen Versuchen um Tests von Atomwaffen der dritten Generation handelt.

Kontinuität unter Bush

Die Bush-Administration sieht in SDI nicht mehr ihre militärpolitische Priorität. Der amerikanische Präsident hält im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger einen vollkommenen Schutz gegen ballistische Raketen für unrealistisch. Das heißt jedoch nicht, daß SDI bald »begraben« wird – im Gegenteil. Der Haushaltsentwurf für das fiscal year 1991 sieht wieder eine Steigerung der SDI-Ausgaben auf 4,8 Mrd. $ vor (FY 1990: 3,8 Mrd. $, SZ, 30.9.1989). Dies bedeutet aber, daß auch in Zukunft weiterhin Atomtests zur Erforschung von Atomwaffen der dritten Generation durchgeführt werden. Der Kongreß hat in diesem Zusammenhang 110 Mio. $ für das Haushaltsjahr 1990 bewilligt. Bei den Kosten von 20 bis 30 Mio. $ pro Test dürften im Jahre 1990 4-6 Atomversuche im Zusammenhang mit SDI stehen. Allein die Entwicklung einer Atomwaffe der dritten Generation wird nach Aussagen von Wissenschaftlern des Los Alamos Laboratoriums zwischen 100 und 200 Tests erforderlich machen (Josephine Anne Stein, Nuclear tests means new weapons, BAS, Nov. 1986, S. 8).

Die UdSSR zieht nach

Die Konzentration auf die USA zur Exemplifizierung der atomtestbedingten Rüstungsdynamik darf nicht vergessen machen, daß die Sowjetunion alle sprengkopftechnologischen Trends der USA mit- oder nachvollzogen hat. Ende der 50er Jahre wurden die Sprengköpfe für die erste sowjetische Interkontinentalrakete SS-6 getestet, die 1960 in Dienst gestellt wurde. Die Gefechtsköpfe für U-Boot-gestützte Raketen dürften in der ersten Hälfte der sechziger Jahre entwickelt worden sein. Der erste erfolgreiche Raketenstart von einem getauchten sowjetischen U-Boot aus erfolgte im Jahr 1962. Die erste U-Boot gestützte Nuklearrakete schließlich wurde 1968 auf dem Unterseeboot Yankee stationiert.

Auch in der Mehrfachsprengkopftechnologie holte die Sowjetunion bald die USA ein: Anfang der 70er Jahre wurden jene MIRV's getestet, die 1974 auf der SS-18 oder SS-19 montiert und stationiert wurden. Wie die amerikanische Kontroverse um die Entwicklung einer neuen, besonders zielgenauen und beweglichen »kleinen« Interkontinentalrakete Midgetman zeigt, wird die amerikanische Entscheidung zur Entwicklung von Mehrfachsprengköpfen heute aus eben diesem Grund vielfach kritisiert; das selbst für US-Kongreßmitglieder irritierende Schema amerikanischer Vorrüstung und sowjetischer Nachrüstung wird an der Geschichte der MIRV's daher besonders deutlich. Mit vergleichbarem Unbehagen registrieren selbst republikanische Politiker in den USA heute die Midgetman, deren Gesamtkosten mit Stationierung von 500 Raketen 39 Mrd. $ betragen soll. Der Trend zur mobilen ICBM wird auch von der Sowjetunion nachvollzogen. Selbst einzeln lenkbare, zur nachträglichen Kurskorrektur fähige MARV-Sprengköpfe sind bereits produziert worden. Derzeit testet die UdSSR einen Gefechtskopf, der offensichtlich zu einem sowjetischen Midgetman-Äquivalent gehören soll.

Frankreich

Seit Jahrzehnten erhält Frankreichs Nuklearrüstung ca. 30 % des Verteidigungshaushalts. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hat Frankreich die Sprengköpfe von mindestens drei Raketensystemen getestet, die gemäß des Haushalts 1990 sofort oder später beschafft werden sollen:

  • M-4 SLBM
  • M-5 SLBM
  • Hades

Am umstrittensten ist die Kurzstreckenrakete Hades, von der jetzt wahrscheinlich nur noch 60 statt ursprünglich 120 Stück beschafft werden (ami 2/90, S.11). Ihre Reichweite von 350 km bedroht niemand außer die Deutschen in der Bundesrepublik und der DDR. Der militärische Sinn dieses Waffensystems wird auch von Militärexperten angezweifelt. Hades ersetzt den Boden-Boden-Flugkörper Pluton, der einen Sprengkopf von ca. 20 kt hat und im Elsaß stationiert ist.

Mit der U-Boot-gestützten M-4-Rakete wurde Mitte der achtziger Jahre erstmals ein Mehrfachsprengkopf in das französische Arsenal aufgenommen. Er wurde zwischen 1983 und 1985 ausgiebig im Pazifik getestet (Die Welt, 10.8.1983). Zum französischen Nuklearpotential gehören insgesamt mindestens sieben verschiedene Sprengkopftypen (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1986, S. 53).

China

Die Volksrepublik China führt nicht einmal annährend so viele Atomtests auf ihrem Versuchsgelände in Lop Nor durch wie die beiden großen Atommächte. Dennoch konnte die Volksrepublik in über 30 Tests seit 1964 ein begrenztes Atomsprengkopfarsenal schaffen, das zu folgenden Raketensystemen gehört:

  • CSS-NX-3, seegestützte Rakete (SLBM)
  • CSS-NX-4, seegestützte Rakete (SLBM)
  • CSS-5 Interkontinentalrakete (ICBM)

(Quelle: William M. Arkin, Richard W. Fieldhouse, »Nuclear Battlefields«. Der Atomwaffen-Report, Frankfurt/M 1986, S. 193)

Insgesamt unterhält China ähnlich viele Sprengkopftypen wie Frankreich (siehe BAS, Juni 1989).

Großbritannien

Großbritannien lehnt sich bei seiner Nuklearbewaffnung eng an die Vereinigten Staaten an; sämtliche britische SLBM's sind in den USA entwickelt und gebaut worden.

Atomwaffentests dienen vier Zwecken:

  • Entwicklung neuer Waffen
  • Untersuchung von Kernwaffenwirkungen
  • Überprüfung der Zuverlässigkeit der Arsenalwaffen
  • Entwicklung von Systemen gegen Mißbrauch und Unfälle

Die Entwicklung neuer Sprengkopfprofile ist nach wie vor unumgänglich mit der Durchführung von Atomtests verbunden. Weder die computergestützte Simulation noch sogenannte Labortests können eine atomare Detonation so exakt abbilden, daß sie Atomversuche ersetzen könnten.

Testserien dieser Art werden immer in vertikalen Bohrlöchern von 300 bis 2.000 Metern Tiefe durchgeführt.

Da Waffen, Geräte und sonstige Systeme auch unter Nuklearkriegsbedingungen möglichst noch funktionieren sollen, werden ein bis zweimal im Jahr die Kernwaffenwirkungen untersucht. Zu diesem Zweck wird ein horizontaler Tunnel in den Felsen getrieben. In diesen Stollen werden die zu testenden Geräte – z.B. Satelliten, Raketenstufen – zusammen mit dem nuklearen Sprengsatz, verschiedenen Detektoren und Meßgeräten in einer bestimmten Anordnung plaziert. Nach Registrierung der Meßwerte (z.B. der Neutronenstrahlung) sorgen in Millisekunden schließende Tore dafür, daß die Meßgeräte vor der zerstörerischen Wirkung der Druckwelle geschützt werden.

Die am meisten kontroversen Diskussionen haben sich bei der Frage ergeben, ob die Zuverlässigkeit von stationierten Nuklearwaffen von Zeit zu Zeit durch Atomtests überprüft werden müssen. Renommierte Experten wie Glenn T. Seaborg weisen jedoch schon seit einigen Jahren darauf hin, das in der Entwicklungsphase ausreichend getestete Sprengköpfe die beste Gewähr für die Zuverlässigkeit bieten und weitere Tests nach der Stationierung überflüssig seien.

Um die Atomwaffen vor Unfällen zu schützen, müssen Sicherungssysteme entwickelt werden, die einen Testbedarf erfordern. Ein solches Sicherungssystem sind zum Beispiel spezielle Explosionsstoffe, die die Kettenreaktion in Gang setzen sollen, aber gegen Unfälle und Stöße unempfindlicher sind als alte Mixturen chemischer Explosionsstoffe: Intensitive High Explosive (IHE)

Bei Tests sind folgende Namen zu unterscheiden: der Name der Testserie, z.B. »Crossroads« im Sommer 1946 in Bikini, eine Serie von 2 Explosionen und der Name des Tests und der Bombe/des Sprengkopfs, wobei Test und Waffe nicht genau unterschieden werden; bei »Crossroads« sind dies »Able« und als zweiter Test »Baker«. Prinzipiell sind offizielle Codenamen und interne Spitznamen zu unterscheiden. Hier werden generell Codenamen untersucht; die wenigen Spitznamen werden extra gekennzeichnet.

IV. Die Waffenlaboratorien

Die fünf Atommächte der Welt betreiben und erweitern für die Planung und Durchführung ihrer Atomtests eine weitverzweigte und kostspielige nukleare Infrastruktur, zu denen u.a. Großforschungseinrichtungen und ausgedehnte Testgelände gehören.

Die Vereinigten Staaten

In den USA sind drei Forschungslaboratorien mit der Entwicklung von Atomsprengköpfen befaßt. Das Los Alamos National Laboratory (LANL) ist das Älteste. Es wurde im Jahre 1943 gegründet und hatte den Auftrag, die erste Atombombe zu entwickeln und zu bauen. Einige 10.000 hochqualifizierte Wissenschaftler arbeiteten für dieses Ziel rund um die Uhr. Die ersten »erfolgreich getesteten« Atomsprengsätze – »Trinity« und die Hiroshima-/Nagasakibomben – wurden ebenso in Los Alamos entwickelt, wie sämtliche Sprengköpfe, die bis 1958 in das amerikanische Arsenal aufgenommen wurden. 1952 wurde unter der Leitung dieses Laboratoriums der erste H-Bomben-Test im Pazifik durchgeführt. Von den 71 Sprengkopftypen, die bis 1984 entwickelt wurden, stammen 53 aus Los Alamos. Vor allem die Abteilung »Weapons Development Programs« ist hier mit den Atomtests befaßt; die Abteilung »Defense Research Programs« ist für SDI-Technologien zuständig.

Die Bedeutung von Los Alamos ist in den letzten 20 Jahren vom Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) erreicht, wenn nicht übertroffen worden. Mindestens die Hälfte aller zu Beginn der neunziger Jahre im US-Arsenal befindlichen Nuklearsprengkopftypen sind in diesem kalifornischen »lab« entwickelt worden. Die wichtigsten Labortests zur Entwicklung von Sprengkopfkomponenten, die zunehmend Aufgaben von unterirdischen Atomtests übernehmen, werden hier durchgeführt. LLNL wurde im Jahre 1952, nicht zuletzt auf Betreiben von Ernest O. Lawrence und Edward Teller, gegründet. Im Haushaltsjahr 1953 wurden 3,5 Mio. $ für LLNL veranschlagt. Mitte der achtziger Jahre überschritt das Budget die 700 Mio. $-Grenze. Über 8.000 Mitarbeiter sind heute in Lawrence Livermore beschäftigt. In der Abteilung »Defense Systems« werden die nuclear warheads von der ersten Planungs- und Designphase (Phase 1 und 2) über die eigentliche Testphase (Phase 3/3a/3b) bis hin zur Einpassung in die jeweilige Trägerumgebung (landgestützte Abschußrampe, Flugzeug, Schiff, U-Boot), sowie die Einführung in das Arsenal (Phasen 4 bis 7) entwickelt. Wie Los Alamos ist auch Lawrence Livermore mit SDI-Forschung und Lasertechnologie befaßt.

Die Sandia National Laboratories gingen 1945 aus den nahegelegenen Los Alamos-Forschungsstätten hervor. Aus einigen wenigen Gebäuden ist eine Großeinrichtung geworden mit fast 9.000 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von über 1 Mrd. $. Sandia ist mit allen nicht-nuklearen Komponenten der Nuklearwaffen (z.B. Elektronik, Kommando- und Kontrolleinrichtungen, konventionelle Zünder der Sprengköpfe) befaßt.

Die drei Laboratorien unterstehen dem amerikanischen Energieministerium (Department of Energy, DOE) und beschäftigen zusammen über 23.000 Mitarbeiter. An der unmittelbar atomtestrelevanten Waffenentwicklung arbeiten in Los Alamos und Lawrence Livermore über 8.000 hochqualifizierte Beschäftigte, häufig Physiker. Diese Spezialisten bilden eine einflußreiche Lobby gegen einen umfassenden Atomteststopp oder sonstige Testbeschränkungen. Die Methoden der Einflußnahme im Kongreß sind subtil. Immer wenn sich im Repräsentantenhaus oder im Senat eine Mehrheit für Testrestriktionen abzeichnet, werden die Lobbyisten – häufig indirekt von der Regierung »beauftragt« – aktiv. So 1987, als das »House« ein einjähriges Verbot für alle Tests über 1 kt beschloß. Eine u.a. aus Mitarbeitern der labs gebildete Gruppe (»Arms Control Working Group«) schickte unter dem Wohlwollen des Energieministeriums Argumentpakete mit »Pro-Test-Informationen« an die Senatoren und House-members. Die zahlreichen Briefings hatten Erfolg: das sogenannte Hatfield-Kennedy amendment über eine zweijährige Periode von erheblichen Testbeschränkungen passierte am 24.9.1987 den Senat nicht (F.A.S. Public Interest Report, Nov. 1987, No. 9). Der primäre Beschäftigungseffekt gilt neben den Naturwissenschaftlern in den Labors noch für die 11.000 Mitarbeiter auf dem amerikanischen Testgelände, der Nevada Test Site (NTS) und den dazugehörigen Verwaltungsbüros in Las Vegas. Auf dem test site selbst sind in erster Linie Bauarbeiter, Bergleute, Schlosser, Schweißer, Elektriker und Dreher beschäftigt. Auf dem verdorrten Wüstengelände, das dreißig Prozent größer als das Saarland ist, werden diese qualifizierten Facharbeiter gebraucht, da vertikale oder horizontale Bohrlöcher in den Felsen- bzw. Wüstenboden getrieben und dann Rohr- und Stromleitungen verlegt werden müssen. Das Energieministerium ist nach eigenen Angaben der zweitgrößte Arbeitgeber in Las Vegas – nach der Unterhaltungsindustrie (FAZ, 14.7.1987).

Großbritannien

Bereits seit den fünfziger Jahren testet auch Großbritannien seine Nuklearsprengköpfe auf der Nevada Test site. Ein britisches Labor, das Atomic Weapons Research Establishment in Aldermaston, Südengland, ist für die Sprengkopfentwicklung zuständig. Es untersteht der Abteilung »Forschung und Entwicklung nuklearer Programme« des britischen Verteidigungsministeriums.

UdSSR

Wie die USA hat auch die Sowjetunion eine ausgedehnte und komplexe nukleare Infrastruktur, zu deren wichtigsten Bestandteilen die Planung und Durchführung von Atomtests gehört. Allerdings gibt es hierzu im Westen auch im Zeichen Gorbatschows nur lückenhafte Kenntnisse. “Bei der Kernwaffenforschung gibt es in der Sowjetunion keine Glasnost”, klagte ein sowjetischer Wissenschaftler auf einer Tagung über »Neue Atomwaffenkonzepte«, Anfang 1990 in Darmstadt (FR, 23.1.1990). Die Sowjetunion hat ihre Sprengköpfe bis in die siebziger Jahre hinein auf über 20 verschiedenen Testgeländen erprobt. Heute werden noch die Gelände bei Semipalatinsk (Kasachstan) und auf der Nordmeerinsel Nowaya Semlja benutzt. Darüber hinaus führt die Sowjetunion sogenannte Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken im Ural, in Teilen der europäischen UdSSR, am Kaspischen Meer, am Baikalsee und in vier anderen Gebieten Sibiriens durch. Die Produktionsanlagen und die Sprengkopfentwicklung unterstanden lange Zeit dem Ministerium für mittelschweren Maschinenbau. Seit Dezember 1989 ist die oberste Behörde für die sowjetischen Atomtests das Ministerium für Atomenergie. Die beiden wichtigsten Laboratorien für die Sprengkopfentwicklung liegen im Ural: eine Forschungseinrichtung in Kyschtym und das Radiologische Institut in Sungul.

Frankreich

Auch Frankreich hat als nukleare Mittelmacht eine beachtliche nukleare Infrastruktur. Oberste Behörde für die Sprengkopfentwicklung ist die CEA (Commisariat a l'Énergie Atomique). Der CEA-Abteilung für militärische Anwendung unterstehen u.a. alle relevanten Labors, z.B. Limeil-Valenton in Val-de-Marne. Auch die Atomforschungszentren in Saclay und Grenoble könnten dazugehören.

China

Die wenigsten Informationen gibt es über die infrastrukturellen Voraussetzungen der chinesischen Atomtests. Die Nuklearversuche selbst werden in Lop Nor durchgeführt. Ungefähr vierzig Anlagen gelten als Produktionsstätten zur Urangewinnung und-anreicherung.

V. Atomtests und Sprache

Die Herrschaft eines bestimmten, nur strategischen Rationalitätsbegriffs läßt sich unter anderem am Gebrauch der Sprache im militärischen Bereich zeigen.

Die Namen der Testreihen, Tests und Bomben verraten schon viel.

Amerikanische und britische Waffennamen bieten sich aufgrund des leichter zugänglichen Materials an. Namen ohne Angabe sind hier amerikanisch, britische werden extra gekennzeichnet. (Vielleicht ist im Rahmen von Glasnost demnächst auch ein ähnlicher Artikel über russische Namen möglich.)

Warum erhalten Tests und Waffen Namen?

Zunächst wundert man sich, daß totes Material überhaupt benannt wird. Warum wurde die MX-Rakete von US-Präsident Reagan mit dem Namen »Erhalter des Friedens« bedacht? Warum gab man dem Test »Baker« am 25.7.1946 auf den Marshall-Inseln nicht einfach die Ziffer 2/46 – der zweite Test des Jahres 46?

Namen sind natürlich auch funktional, sie dienen als Gedächtnisstütze, vereinfachen den sprachlichen Umgang mit Waffen und Tests und erleichtern das Unterscheiden der Tests und Testserien.

Sieht man sich die Namen aber genauer an, so merkt man, daß sie noch weit wichtigere Bedeutung haben.

Das Flugzeug »Enola Gay« und die Uranbombe mit dem Spitznamen »Little Boy« verwüsteten Hiroshima. Der Nagasaki-Bombe hatte man den Spitznamen »Fat Man« gegeben. Mit »Fat Man« (20Kt=20.000 TNT Sprengkraft) wurden 64.000 Menschen ermordet. Viele weitere Opfer litten und leiden an Spätfolgen.

»Ermorden« – »Opfer« – das sind nur unsere Wörter. In der militärisch-strategischen Sprache kommen sie so nicht vor. Angriffe gegen Bevölkerungszentren heißen in der Planung nicht »Massenmord« sondern »Gegenwertangriffe« (»counter-value-attacks«) im Unterschied zu »counterforce-Schlägen«, die »nur« gegen feindliche Anlagen gerichtet sind. Die Bombenangriffe auf die beiden japanischen Städte werden in der amerikanischen Statistik als Test 2 und 3 geführt. Besonders der Hiroshima-Test war sehr gelungen – d.h. er lief nach militärischer Planung – nur waren eben 136.000 Menschen unfreiwillige Bestandteile dieses Tests. »Begleitschaden« ist ein oft verwendeter Terminus für den Tod von Menschen! (s. Carol Cohn, Artikel »Death and Sex«, 2 Teile, Informationsdienst Wissenschaft und Frieden Nr. 5 u. 6 1988, hier Teil I, S. 20)

Wir möchten betonen, daß wir den militärischen Quellen dabei keine besondere Grausamkeit an Menschen entnehmen. »Menschen« erscheinen sprachlich ja kaum, und wenn, dann nicht als Opfer. Was Nicht-Militärs zynisch vorkommt, hört sich in der militärstrategischen Sprache ganz sachlich an. Das evidenteste Beispiel für diese Beobachtung ist der Terminus »anti-personnel-bombs«. Dies sind Waffen speziell gegen Menschen (die Neutronenbombe), wobei alles nicht Lebendige intakt bleiben soll. »Personal« generalisiert, läßt den Einzelnen verschwinden und erhöht gleichzeitig die Bedeutung der Waffen, denen das »Personal« zugeordnet wird.

Namhafte Bomben und namenlose Menschen

»Fat Man« tötete 64.000 Einwohner Nagasakis. »Bravo« (1.3.54) verseuchte die Bikini-Inseln und untergrub langfristig die Gesundheit von 236 Inselbewohnern, Soldaten und 23 japanischen Fischern, von denen einer nach 6 Monaten starb. Der wohlklingende Liebesname »Romeo« ist nichts anderes als der Name der Nachfolgerbombe von »Bravo«, am 27. März 54 gezündet. Ein Ergebnis: mißgebildete und lebensunfähige Kinder. »Smoky« (31.8.57) sorgte für vermehrte Leukämie bei den live beobachtenden Soldaten etc. etc.

Bomben und Tests tragen Namen, die Menschen nicht. Der Name unterscheidet die Waffen sogar als einmalige Wesen: »Fat Man« ist eben von »Small Boy« (1 Kt, 1.10.61 in Nevada) oder »Mike« (1.11.52 in Enewetok, 10,4 Mt) verschieden, auch wenn es sich in Wirklichkeit um lebloses Waffenmaterial zur Vernichtung lebender Menschen und ihrer Werke handelt. Durch die Namen werden die Waffen denkbar wie lebende Wesen und erhalten sogar einen bestimmten Gefühlswert. Wer denkt bei »Kätzchen« (kleinerer bitischer Test 1953 in Südaustralien) oder »Easy« (47 Kt, 21.4.51 in Nevada) nicht an etwas Nettes, Gutes?

»Buffalo« (britische Testserie Sept-Okt. 1956 in Maralinga) oder »Buster Jungle« (Serie von 8 Tests 51 in Nevada) bringen ein wenig Abenteuer, während »Buggy« (März 68 in Nevada) und »Grapple« (britische Testserie Mai 57-Sept. 58, Weihnachtsinsel) eher lustig klingen. »Buggy« bedeutet etwa altes, klappriges Auto, »grapple« ist ein Handgemenge, eine Kabbelei.

Durch die Namensgebung werden viele Waffen sprachlich »lebendig«. Das Verhältnis zwischen fühlenden Menschen ohne Namen und leblosen, aber niedlich oder herzhaft benannten Waffen und Tests wird also verkehrt. Gewinner sind die Letzteren. Sie »beherrschen« die militärische Szene.

Schönheit und Humor gegen den Tod

Sicherlich haben zu allen Zeiten Soldaten versucht, den Schrecken ihrer Aufgabe erträglich zu machen, indem sie ihm beschönigende Namen gaben. Der schon erwähnte Bomber über Hiroshima trug z.B. den Frauennamen »Enola Gay«. Im Mittelalter hieß eine ziemlich tödliche Eisenkugel mit Eisenzacken ringsherum, an einer langen Kette und einem Prügel befestigt, »Morgenstern« – wer den sieht, sieht den Abendstern nicht mehr, so hieß es.

Entscheidend ist, daß Namen es den beteiligten Wissenschaftlern und Militärs erleichtern, an Vernichtungspotential und -strategien weiterzuarbeiten, mit ihm zu leben und gegebenenfalls eigene Opfer zu bringen, ohne an die menschlichen Folgen ihres Tuns zu denken. Und auch den (interessierten) potentiellen Opfern bleibt der Schrecken in so süßen Sprachformen annehmbar. Letzteres resultiert freilich mehr aus der »Entmenschlichung« der Opfer als aus der »Vermenschlichung« der Waffen. Zur Anteilnahme brauchen wir eben Namen. Hört man abends im Fernsehen, daß etwa beim Test »Midas Myth« (Nevada 1984) 12 Arbeiter schwer verletzt wurden (einer davon starb) oder daß in Nevada allein in den Jahren von 1951 bis 1958 etwa 200.000 Soldaten und die umwohnende Zivilbevölkerung gesundheitlich belastet wurden, so ordnet man das zwar sofort als »Unglück« ein, die Zahl bleibt aber abstrakt, und besonders bei den »Medienunglück-Versierten« will sich nicht so recht Mitleiden entwickeln.

Erfährt man jedoch, daß es John Wayne war, der infolge ausgiebiger Dreharbeiten in atomverseuchtem Nevadasand an Leukämie gestorben sein soll, oder daß es der Lehrer Billiet Edmond und seine Kinder waren, die gerade ihr Frühstück vorbereiteten, als die Katastrophe des Tests »Bravo« über sie hereinbrach, so kann man sich identifizieren, leidet mit – und empört sich.

Die Planung eines Atomkriegs erfordert Abstraktion

Eben dieses Mitleiden, die Empörung, das Bewußtwerden schrecklichen Tuns darf in der militärisch-strategischen Sprache keinen Platz finden. Rationelles Denken zur Planung eines Atomkriegs oder einer »Kriegsführungsabschreckung« erfordert Abstraktion.

Die Sprache der amerikanischen Verteidigungsstrategen z.B. hat, wie Carol Cohn anschaulich berichtete, viele nur der eingeweihten Elite verständliche Abkürzungen, wie z.B. MAD (Mutual Assured Destruction – gegenseitig gesicherte Zerstörung). »MAD« spricht sich gut, und bei niemand werden Assoziationen der folgenden Art geweckt: Ich sah “auf der Straße eine Gestalt auf mich zustolpern. Sie war nackt, schmutzig und voller Blut. Ihr Körper war stark geschwollen. Fetzen hingen an ihr herunter. (…) Eine dunkle Flüssigkeit tropfte von den Fetzen herab. Die Fetzen waren Haut, die schwarzen Tropfen waren Blut. Ich konnte nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war, ein Soldat oder eine Zivilperson.” (Shuntaro Hida, Der Tag an dem Hiroshima verschwand. Erinnerungen eines japanischen Militärarztes, dt. Ausg. Bremen 1989, S. 76)

Die Testnamen sehen auf spezielle Weise von den Menschenopfern ab. Kürzel finden sich hier – so weit zu überblicken ist – nicht; vielleicht deshalb, weil diese Namen auch vielen »Nichtstrategen« dienen müssen.

Bomben und Raketchen im Haushalt

Dr H-Bombentest »Mike« (1952) wurde intern scherzhaft »Kühlschrank« genannt, wegen der bis zur Explosion erforderlichen niedrigen Temperaturen. 1955 wurde in Nevada die Testserie »Teapot« durchgeführt, mit wahrscheinlich wenig gemütlichen 14 Sprengungen. Am 31.10.52 wurde auf dem Pazifikatoll Enewetok der Test »Greenhouse« durchgeführt. »Greenhouse« bedeutet eigentlich Glashaus für Pflanzen. Schon im 2. Weltkrieg wurde der Name von der englischen Luftwaffe für das Glas des Cockpits am Flugzeug verwendet, welches hier nicht Pflanzen, sondern Piloten schützt – schon damals ein humorvoller, etwas liebevoller Name. Seriöser klingt »Nadelstreifen« (25.4.66 in Nevada), der 350.000 Curie Radioaktivität freisetzte. Noch im Ostkaukasus und in Nebraska wurde radioaktives Jod in Milch und menschlichen Schilddrüsen gefunden.

Humorvolle Vernichtung

Der Name des schon erwähnten »Kätzchen«-Tests setzt diese niedlichen Tierchen und ihre kleinen Krallen in Kontrast zur ungeheuren Zerstörungskraft der Atomwaffe – das ist wahrhaft schwarzer englischer Humor! Die Diskrepanz bringt Lachen oder zumindest Schmunzeln hervor – ein probates Mittel gegen Angst und Schrecken! (Ähnlich wirkt z.B. ein interner Name für das Attentatskommando des CIA: »Kommittee zur Veränderung der Gesundheit«!) Lachen, aber auch warme Mutter- bzw. Vatergefühle beschert »Baby«. So hießen gleich mehrere Bomben, darunter die H-Bombe »Mike«, die »Teller's Baby« war. Der winzige Säugling hatte 10,4 Megatonnen und zischte einen Pilz von etwa 40 km in die Luft!

Schlicht und einfach »shots« heißen die Testexplosionen, ein vieltausendmal verwendeter Ausdruck.

Euphemistische Phantasie blüht hier neben Galgenhumor.

Naturhafte Waffen

»Adler« (12.12.63 in Nevada), »Mächtige Eiche« (10.4.86 in Nevada), »Hurricane« (brit., 3.10.52, Monte-Bello-Inseln), »Giftbeere« (18.12.70, Nevada, 10 Kt) – all dies sind Codenamen für Testexplosionen, wobei »Mächtige Eiche« der Wolkenform nach und »Giftbeere« der Wirkung nach wenigstens minimal angemessene Namen sind. (»Giftbeere« entließ eine Wolke von 3 Millionen Curie; bei dem unterirdischen Test war ein Loch im Wüstenboden entstanden.)

Des weiteren begegnet man einem ganzen Zoo: »Zebra« (15.5.48), »Hund« (8.4.51), »Ratten«, »Füchsinnen« – »vixens« (kleinere brit. Tests in Südaustr.), wobei »vixens« auch von Männern gefürchtete Frauen, Xanthippen, bedeuten kann. (Sonst tragen Waffen anscheinend selten Frauennamen – Waffen und ihre »Herren« sind wohl ausschließlich männlich, was Carol Cohns Übrlegungen zu einem unterschwelligen sexuellen Potenzwettbewerb der Strategen unterstützen könnte.)

Bäuerlich-friedliche Tests

Das »Pflugschar«-Programm mit 49 Explosionen (insg. von 1958 bis 1970), die unter anderem der »Kraterforschung« dienen sollten, galt angeblich der zivilen Nutzung atomarer Sprengkraft – etwa für Flußberichtigungen, Häfen, Kanäle – ein neuer Panamakanal war 1961 geplant. Edward Teller wollte mit Kraterexplosionen in Alaska seine Utopie einer nach Wunsch formbaren Geographie erproben. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als ein Teststopp nicht mehr unwahrscheinlich erschien. Die »friedlichen« Tests sollten jedoch nach Vorstellung der amerikanischen Wissenschaftler davon ausgenommen werden. Sind friedliche Tests unschädlich und werden sie in jedem Fall nur zivil genutzt? Das ist wohl kaum anzunehmen! Der beschönigende Name und die dahinterstehende gedankliche Konzeption wirkten hier durchaus gefährlich irreführend. Teller schlug den Verantwortlichen in Alaska eine zuvor von seinen Wissenschaftlern bestimmte Stelle an der Nord-West-Küste Alaskas vor, Cape Thompson, wo er mit Hilfe von 6 Atomsprengsätzen einen künstlichen Hafen formen wollte. Die anwesenden Alaskaner zeigten sich zunächst angetan von der »Idee« (die sich später als versuchtes Diktat herausstellen sollte), nur der Ort paßte ihnen nicht. Das Projekt wurde später still und unauffällig eingestellt, als sich der Widerstand der in der Nähe wohnenden Eskimos und Anderer als zu stark erwies. Tellers Idee der »Geographie-Architektur« setzte sich insgesamt nicht durch, anders als ähnliche Pläne in der UdSSR, wo in der Tat z.B. die Umleitung des Kalonga-Flusses mithilfe der Atomkraft geschah. (s. Bulletin of the Atomic Scientists, Dez. 89, S.28 ff.)

Einige wenige Namen verraten etwas über die »Waffennatur«

Nur wenige Namen sind halbwegs angemessen für Atomwaffen und deren Tests: »hurricane« z.B. – man denke an den Sturm, etwa nach der »Bravo«-Explosion auf Bikini; »red hot« (5.3.66 in Nevada) paßt zu der überwältigenden Hitze und der glühenden Gaskugel, aus der der »Pilz« austritt. Einer der größten angekündigten unterirdischen Tests hieß »Boxcar« (April 68 in Nevada, 1,2 Mt=1,2 Mill. Tonnen TNT). Eigentlich bedeutet »boxcar« in Amerika »geschlossener Güterwagen«; denselben Namen trug ein Bomber im 2. Weltkrieg. Passender aber scheint eine dritte Version: von den hohen Zahlen auf den Güterwagen leitete man die Bedeutung »Glücksspiel mit viel Geldeinsatz und hohem Risiko« ab. Und genau das stellen die Atomtests mit ihren vielen Unfällen dar!

Die Unfälle selbst – wen wundert's – tragen wieder sehr romantische beschönigende Namen: »zerbrochener Pfeil« läßt an Indianerromane denken, »verbogener Speer« und »stumpfes Schwert« an mittelalterliche Artusabenteuer. Uneingeweihte kämen nicht darauf, daß es sich hier um Unfälle wie z.B. den Brand oder sogar die Explosion einer Atomwaffe handelt. Diese altertümlichen Namen passen übrigens erstaunlich gut – nur sprachlich ? – zur Form des alten und heutigen Freund-Feind-Denkens.

Der Sinn von Sprachanalysen

Gewöhnlich achtet man bei militärischen Studien gleich welcher Art keinesfalls auf die Bedeutung von Namen. Bezeichnungen der Waffen, besonders auffällige, dienen der besseren Erinnerung und ermöglichen einen von schädlichen Emotionen ungetrübten Diskurs. So verbleiben auch die Friedensforscher im sprachlichen System der Kriegsplaner.

Zu Anfang dieses Kapitels war von einem eingeschränkten, nur militärisch-strategischen Rationalitätsbegriff die Rede, von einer Logik also, die nur innerhalb eines bestimmten Systems gilt: die Logik des Sieg-Denkens in heutiger Variante, die Rationalität der Abschreckung.

Sprachanalyse bietet nun eine Chance, aus diesem Denksystem auszusteigen, es von außen zu betrachten.

Carol Cohn schließt ihren Artikel über Atomsprache mit den Forderungen nach Sprachanalyse zur Demontage des technostrategischen Diskurses und nach alternativen Vorstellungen von Rationalität. Ihrer ersten Forderung versuchten wir für den Bereich »Atomtests und Sprache« nachzukommen. Eine alternative Rationalität zu entwickeln ist natürlich ungleich schwieriger als die »Sprachdemontage« ex negativo. Sie soll aber dennoch angedeutet werden.

Skizze einer alternativen Rationalität

Die Kritik der Sprachverwendung allein hat wohl wenig direkte Folgen. Ob »Kätzchen« oder »Test einer Vernichtungswaffe«, ob »Neutronenbombe«, »Anti-Personal-Bombe«, »Saubere Bombe« oder »Massenvernichtungsmittel« – Bedrohung und Wirkung bleiben ebenso wie der Preis, der schon im Frieden gezahlt wird.

Betrachten wir aber noch einmal die »Personal-Bombe«. »Personal« ist gesichtslos gleichmachend. Dichter zeigen die Gleichmacherei im Krieg noch besser als Strategen: “Soldaten sind sich alle gleich, ob lebendig oder als Leich'!” (Refrain des bekannten Liedes von Wolf Biermann). Indem das Wort »Personal-Bombe« isoliert betrachtet wird, zeigt sich der Schrecken mit seinem wahren Namen: Tod – Vernichtung – Krankheit. Mit Carol Cohns Worten wechselt man so die Perspektive vom Täter zum Opfer. (Auch Täter sind im Atomzeitalter Opfer, nur verrät die Sprache ihnen das nicht; für beides s. Carol Cohn, Teil II, S. 18).

Erst jetzt kann man in eine andere Rationalität »einsteigen«: Massenvernichtungswaffen verhindern per se, schon in ihrer Planung, was sie zu schützen vorgeben: die besonders in den USA so gefeierte freiheitliche Individualität des Menschen. Nach der neuen Logik eine Absurdität.

Tests haben aber durchaus eigene »absurde Qualitäten«:

Am 19. Mai 1953 wurde in Nevada »Harry« oberirdisch gezündet (32 Kt. »Harry« schickte eine riesige radioaktive Wolke über Farmen und Kleinstädte in Nevada, Utah und Arizona. Nach John May (s. 118 f.) informierte die Atomic Energy Commission die Anwohner bewußt nicht. “Als die Tests in Nevada 1951 begannen, beschwichtigte die Kommission die amerikanische Öffentlichkeit mit der Behauptung, es bestehe kein Grund zur Besorgnis, da die im Abwind liegenden Gebiete praktisch nicht bewohnt seien.” Kommentar eines Journalisten der »San Francisco Chronicle«: “Dies schafft eine interessante neue Klasse von Bürgern: »praktische Nichtbewohner«. Ihre Stimmen fallen bei Wahlen nicht ins Gewicht.” (s. May. S.118)

Auch für die Urangesellschaft Canada, 100%ige Tochter der (bundesdeutschen) Urangesellschaft Frankfurt, gibt es diese Spezies: die Inuit-Eskimos, die in Nord-West-Kanada auf dem geplanten Uran-Abbaugelände wohnen, sind in der Planung kaum vorhanden (s. FR, 5.1.90). Atomtests sind angeblich für eine glaubhafte Abschreckung des Feindes notwendig. Abschreckung garantiert das Bestehen des freien Westens, die bisherige Lebensform. Aus der Sicht der Opfer heißt das hier: Atomtests sind auch zur Sicherung des freien Farmerdaseins da. Atomtests sind aber gleichzeitig schon im Frieden gegen ihre Gesundheit (s. folgendes Kap.), und gerade das für die USA typische freie Siedlerleben in kleinen Verbänden brachte (und bringt) ihnen Verhängnis!

Man sieht, Namen haben nicht nur unterhaltende Funktion.

Exkurs: Atomtest,Gesundheit, Umwelt, Ethnien

Der Kurs einiger Atommächte und Militärbündnisse, ihre Sicherheit mit auf dem modernsten Stand gehaltenen nuklearen Massenvernichtungsmitteln zu gewährleisten, hat zu Belastungen für die Umwelt und die Gesundheit zahlreicher Menschen geführt, die weit über das Maß hinzunehmender »Nebenwirkungen« hinausgehen. Allein die hunderte von oberirdischen Tests, die die drei ersten Atommächte (USA, UdSSR, Großbritannien) bis zur Paraphierung des PTBT 1963 durchführten, haben die weltweite Radioaktivität über lange Zeit steigen lassen. Die Messungen der Betastrahlen durch die Münchner Universität ergaben 1963 einen Spitzenwert von etwa 52.000 Becquerel (Bq) pro Quadratmeter.

Wie gefährlich ist radioaktive Strahlung?

Die genaue Schädlichkeit von Radioaktivität war und ist umstritten. Nur über die akute Strahlenkrankheit, wie sie z.B. bei den Einwohnern von Hiroshima und Nagasaki eintrat, aber auch bei den Aborigines Australiens infolge der britischen Atomtests und bei nicht wenigen anderen Testteilnehmern, herrscht relative Einigkeit: Vom Körper absorbierte Strahlendosen ab etwa 3-5 Sievert (SV) aufwärts führen innerhalb von Tagen bis Monaten zum Tod. Die genaue Gefahr niedriger Strahlendosen, z.B. durch geringeren radioaktiven Fallout verursacht, ist aber unklar. Das liegt oft an der Länge des zu prüfenden Untersuchungszeitraums, an der Schwierigkeit, einzelne Untersuchungsergebnisse zu vergleichen und vielleicht auch, vorsichtig formuliert, an dem fehlenden Interesse finanzstarker Wissenschaft.

Besonders problematisch sind Aussagen über die Niedrigstradioaktivität, wie sie z.B. auch die BRD infolge der Atomtests und Reaktorunfälle betrifft. Generell weisen heute viele Wissenschaftler darauf hun, daß gerade die Gefahren der Niedrigstrahlung bisher weit unterschätzt wurden. Der amerikanische Radiobiologe Ernest Sternglass erläutert das anhand des Vergleichs mit Röntgenstrahlung: “Wenn eine Brustdurchleuchtung vorgenommen worden ist und die Röntgenmaschine abgeschaltet ist, dann befindet sich keine Radioaktivität mehr in dem bestrahlten Körper. Aber wenn Sie ein Glas Milch trinken, das Strontium 90 enthält, werden seine Atome Sie für den Rest ihres Lebens begleiten, indem sie in ihren Knochen und innerhalb wichtiger Organe Radioaktivität in einer Intensität abgeben, wie es kein Röntgenapparat je könnte.” (FR, 7.7.86, S. 14) So kann erklärt werden, warum die Bomben von Hiroshima und Nagasaki nicht nur in Japan ein Ansteigen der Krebsrate bewirkten, sondern auch in den USA! Die Wolken der Bomben zogen über Hawaii dorthin. (ebd.)

Der Experte für Radiologie der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in München, Herwig Paretzke, warnte, daß statt der bisher angenommenen 125 zusätzlichen Krebsfälle pro Million Bundesbürger 300-500 Krebsfälle mehr anzunehmen seien, wenn die Strahlendosis über die gesamte Lebenszeit eines Menschen um 1 Rem (=1000 Millirem) ansteige. (s. FR, 8.1.88, S. 4; s.a. SZ, 8.1.88, S. 1)

Eine direkte Umrechnung von Bq in Gray und Sv ist nur bei exakter Kenntnis der einzelnen Strahlungsarten, die den jeweiligen Menschen oder Stoff getroffen haben, möglich. Die genaue Gefahr durch Radioaktivität isat schon dadurch schwerer vorstellbar. Die Richtwerte können aber helfen, Einzelangaben anschaulich zu machen.

Die atomare Verseuchung durch oberirdische Tests

Vor allem in den fünfziger Jahren wurden zahlreiche Erkrankungen und nicht wenige Todesfälle durch lokale radioaktive Niederschläge von atmosphärischen Kernwaffentests verursacht. Eines der traurigsten und bekanntesten Beispiele hierfür ist der Atomtest »Bravo«, der am 1. März 1954 auf dem Bikini-Atoll (Marshall-Inseln) gezündet wurde. Diese Wasserstoffbombe erreichte mit ihren 15 Mt mehr als das Tausendfache der Sprengkraft,die Hiroshima zerstörte. Da die Pilzwolke von »Bravo« höher stieg als man erwartet hatte, wurde sie durch hochgelegene Luftströmungen nicht nach Westen, sondern nach Osten getrieben. Der »weiße Schnee« radioaktiven Fallouts ging auf die bewohnten Nachbarinseln von Bikini, Rongelap und Utirik nieder (160 und 500 km entfernt). Ein Gebiet von 530 km Länge und 100 km Breite wurde verstrahlt. Die nicht gewarnten Bewohner und das dortige amerikanische Militärpersonal wurden erst 56 Stunden nach der Detonation evakuiert. Zu dieser Zeit zeigten sich schon erste Strahlensymptome bei den Menschen: Übelkeit, Verbrennungen der Haut, Durchfall, Kopfschmerzen, Augenschmerzen, Verfärbungen der Haut und allgemeine Erschöpfung. In der Folge verloren die Menschen ihre Fingernägel, die Haare fielen ihnen aus etc. Die genaue Strahlendosis, die sie erhalten haben ist unbekannt; sie könnte bei den Bewohnern Utiriks 11 Rem betragen, bei denen Rongelaps 190 Rem pro Person. (s. John May, Das Greenpeace-Handbuch des Atomzeitalters, München 1989, S. 138)

Bereits nach einem halben bzw. drei Jahren ließ man die Einwohner in ihre Heimat zurückgehen, obwohl die Atolle trotz einer notdürftigen Säuberungsaktion verseucht blieben, wie das US-Energieministerium aber erst nach 20 Jahren aufgrund erneuter radiologischer Untersuchungen auf den Inseln zugab. (May S. 137 f. und Streich S. 67 ff.)

Die Einwohner der genannten Inseln erlitten infolge der Atomversuche der USA nicht nur zahlreiche Krankheiten, es gab auch eine hohe Kindersterblichkeit, groteske Mißbildungen bei Neugeborenen, und nicht zuletzt die soziale Entwurzelung durch das unfreiwillige atomare Exil.

Schon seit 1951 führten die USA ihre Kernwafffenversuche größtenteils in der Wüste Nevadas durch. “Die (auf dem Nevada Test Site) von 1951 bis 1962 gezündeten oberirdischen Bomben mit einer Größenordnung von insgesamt 500 Kilotonnen haben dazu geführt, daß allein im benachbarten Bundesstaat Utah schätzungsweise 28 Kilogramm unterschiedliche radioaktive Stoffe als Niederschlag heruntergekommen sind. (…) Bei mindestens 87 der 121 Nuklearwaffen zwischen 1951 und 1958 gelangte Radioaktivität außerhalb des Testgeländes.” (Bernd W. Kubbig, Die unsichtbare Radioaktivität hat lange Schatten geworfen, FR vom 17.1.90)

Infolge der Verschleierungspolitik der zuständigen Atomic Energy Commission sind nur unzureichende Untersuchungen über die regionale Strahlenbelastung durchgeführt worden. So wurde vor allem die Verstrahlung der Luft gemessen, die gemeinhin geringere Werte aufweist als die des Bodens. Auch sollen wiederholt Meßwerte der Öffentlichkeit vorenthalten worden sein. 1980 wurde eine umfassende und unabhängige Studie über die gesundheitlichen Auswirkungen des radioaktiven Fallouts auf die Bevölkerung rund um das Nevada Test Site durchgeführt. Man konzentrierte sich auf die Mormonen West-Utahs, ein Gebiet, das 1951 bis 1962 besonders betroffen war. Die Sekte der Mormonen war generell wegen ihrer enthaltsamen Lebensweise durch eine besonders niedrige Krebsrate ausgezeichnet. Der Vergleich einer Population, die einer erhöhten Strahlendosis ausgesetzt war mit einer wenig betroffenen ergab, daß 61% aller Krebsfälle in der ersten Gruppe vorkamen. (Carl F. Johnson, Chernobyl and Nuclear Weapons Tests: Estimating the Potential of Fallout to Induce Effects on Health; Manuskript o.O., 1988, S.7)

Besonders in den Städten Cedar City und St. George kam es neben hohen Krebsraten zu Mißbildungen bei Neugeborenen. Mit Entschädigungsforderungen an die US-Regierung hatten die Bewohner jedoch ebensowenig Erfolg, wie die US-Veteranen der US-Army, die bei atmosphärischen Tests zusehen mussten. Sie waren nur mit Stahlhelm, Plane und gelegentlich einem Filmdosimeter ausgerüstet, der sich schwärzt, wenn ihn Röntgenstrahlen treffen. (s. taz, 13.8.87, S. 7 und Zeitmagazin, Die ZEIT, 4.8.89, S. 10 ff.)

VI. Atomteststopp und Verifikation

Seit über einen Atomteststopp verhandelt und diskutiert wird, stehen Verifikationsfragen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Genau zu der Zeit, als sich die Atommächte anschickten, über ein umfassendes Versuchsverbot zu verhandeln, wurden mit der amerikanischen Fähigkeit, unterirdische Tests durchzuführen, zusätzliche Kontrollprobleme aufgeworfen. Ende der fünfziger Jahre war es noch nicht möglich, unterirdische Kernexplosionen von Erdbeben zu unterscheiden. Schließlich wurden beim Abschluß des »Partiellen Teststopp-Vertrages« von 1963 die unterirdischen Tests ausgeklammert. Die amerikanische Forderung nach Vor-Ort-Inspektionen (On-Site-Inspection, OSI) als ergänzende Verifikationsmaßnahme war damals sinnvoll, wurde allerdings von den mißtrauischen Sowjets beständig als »Versuch der Spionage« zurückgewiesen. Mit zunehmender Verbesserung seismischer Meßmethoden wurde das amerikanische Insistieren auf »OSI's« jedoch immer sinnloser. 1971 kam ein Bericht der Pentagon-Institution »Advanced Research Projects Agency« (ARPA) an den Kongreß nach jahrelangen Untersuchungen zu dem Schluß, daß Vor-Ort-Inspektionen für die Verifikation eines Teststopp-Abkommens nicht erforderlich seien (Siehe Jack Evernden, Lies that stopped a test ban, Bulletin of the Atomic Scientists, Oct. 1988). Es scheint, als ob die USA in der Nach-Kennedy-Ära die Forderungen nach einem so weitgehenden Kontrollregime für die Fortsetzung der Tests instrumentalisieren wollten.

Bereits 1969 waren sich die Seismologen einer Fachkonferenz in Woods Hole, Massachusetts, einig, daß ein Teststopp-Abkommen mit einer extrem niedrigen Schwelle (Very Low Threshold Test Ban Treaty, VLTTBT) von 1-10 Kt (Nevada) bzw. ca. 1 Kt (Semipalatinsk) mit seismischen Meßmethoden verifizierbar sei (Evernden, a.a.O., S. 22). Selbst wenn die Atommächte erst damals – sechs Jahre nach dem Abschluß des Partiellen Teststoppabkommens – einen derartigen Vertrag ausgehandelt hätten, so wären der Menschheit zahlreiche Neuentwicklungen von Nuklearwaffen erspart geblieben. Denn die Schwelle eines VLTTBT liegt deutlich unter der Sprengkraft der meisten heutigen Arsenalwaffen.

Fortschritte der Seismologie und Blockaden unter Reagan

In den letzten zwanzig Jahren hat die Seismologie viele Verbesserungen bei ihren Kontroll- und Meßmethoden erreicht. Mittlerweile ist sich die scientific community weltweit in der überwiegenden Mehrzahl einig, daß ein umfassender Atomteststopp lückenlos und vollständig verifizierbar ist. Nur einige entscheidende Repräsentanten der Arms Control-Diplomatie sprechen noch von der Nicht-Kontrollierbarkeit eines CTB. Mit dieser Behauptung betreiben sie eine »Verifikationspolitik«, die scheinbar beliebig die Aufrechterhaltung der Tests rationalisieren kann. Besonders die Vereinigten Staaten haben sich in den letzten Jahren in dieser Politik hervorgetan. Nachdem Washington durch das sowjetische Testmoratorium von August 1985 bis Februar 1987 in die Defensive gedrängt worden war, gelang es der Reagan-Administration die Aufmerksamkeit auf die noch nicht ratifizierten Schwellenverträge aus den Jahren 1974 bzw. 1976 zu lenken. In diesem Zusammenhang beschuldigte Reagan die Sowjetunion, die 150 Kt-Schwelle bei einigen ihrer Tests überschritten zu haben. Im Jahre 1987 konnte ein renommierter amerikanischer Geophysiker, Charles Archambeau, jedoch nachweisen, daß die regierungsamtlichen Schätzungen der sowjetischen Ladungsstärken unrealistisch hoch lagen. Im Testgelände von Semipalatinsk liegt ein viel härterer Untergrund aus kaltem Granitgestein vor, der bei Kerndetonationen unverhältnismäßig stärkere Wellen erzeugt, als vergleichbare Sprengsätze in den USA. Der geologische Untergrund der Nevada Test Site besteht aus einem porösen Gestein, das vulkanisch aktiv und relativ heiß ist; dadurch werden Erderschütterungen besser absorbiert. Mittlerweile hatte auch die US-Regierung die von Archambeau ermittelten Korrekturterme für die sowjetischen Tests übernommen; damit waren die Vorwürfe hinsichtlich einer sowjetischen Verletzung der Testschwelle endgültig gegenstandslos.

Der »Partielle Teststopp-Vertrag« (Partial Test Ban Treaty) 1963

Vertrag über ein Verbot der Kernwaffenversuche in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser (Partial Test Ban Treaty, PTBT) 1963

Präambel: Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, hiernach als “Die ursprünglichen Vertragspartner” bezeichnet, die es als ihr Hauptziel verkünden, schnellstmöglich ein Abkommen über eine allgemeine und vollständige Abrüstung unter strikter internationaler Kontrolle im Einklang mit den Zielen der Vereinten Nationen zu erreichen, das dem Wettrüsten ein Ende machen und den Anreiz zur Produktion und zur Erprobung aller Arten von Waffen, einschließlich von Kernwaffen, beseitigen würde und die die Einstellung aller Versuchsexplosionen nuklearer Waffen für alle Zeiten zu erreichen suchen, entschlossen, die diesbezüglichen Verhandlungen fortzusetzen , und von dem Wunsche beseelt, der Vergiftung der Umwelt des Menschen durch radioaktive Substanzen ein Ende zu setzen, haben folgendes vereinbart:

Art.I: 1. Jeder der Partner dieses Vertrages verpflichtet sich, keine Kernexplosion an irgendeinem unter seiner Jurisdiktion oder Kontrolle stehenden Platz durchzuführen, sie zu verbieten und zu verhindern: a) In der Atmosphäre , auch jenseits ihrer Grenze – einschließlich des Weltraums – oder unter Wasser – einschließlich der territorialen Gewässer oder auf hoher See – oder

b) in irgendwelchen anderen Bereichen, falls eine solche Explosion bewirkt, daß radioaktive Rückstände außerhalb der territorialen Grenzen des Staates auftreten, unter dessen Jurisdiktion oder Kontrolle eine derartige Explosion ausgeführt wird. In diesem Zusammenhang versteht es sich, daß die Bestimmungen dieses Unterabschnittes den Abschluß eines Vertrages nicht präjudizieren, der zu einem ständigen Verbot aller nuklearer Versuchsexplosionen, einschließlich aller derartigen Explosionen unter der Erde führt, dessen Abschluß – wie die Partner in der Präambel dieses Vertrages erklären – sie zu erreichen versuchen. (…)

Art. II: 1. Jeder der Partner kann Zusätze zu diesem Vertrag vorschlagen. Der Wortlaut jedes vorgeschlagenen Zusatzes soll den Depositar-Regierungen unterbreitet werden, die ihn an alle Partner dieses Vertrages weitergeben werden. Danach sollen die Depositarregierungen, sofern dies von einem Drittel oder mehr der Partner gewünscht wird, eine Konferenz zur Erörterung eines solchen Zusatzes einberufen, zu der alle Partner eingeladen werden sollen.

2. Jeder Zusatz zu diesem Vertrag muß von einer Stimmenmehrheit aller Partner dieses Vertrages, einschließlich der Stimmen aller ursprünglichen Partner, gebilligt werden. Der Zusatz soll für alle Partner mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden durch eine Mehrheit aller Partner, einschließlich der Ratifikationsurkunden aller ursprünglichen Partner, in Kraft treten.

Art. III: 1. Dieser Vertrag soll allen Staaten zur Unterzeichnung offen stehen.(…)

Art IV: Dieser Vertrag soll von unbegrenzter Dauer sein. (…)

Art V: (…) Gegeben in dreifacher Ausfertigung in Moskau am 25. Tage des Juli Eintausendneunhundertdreiundsechzig.

Moskau, 31. Juli 1963

Quelle: Archiv der Gegenwart

Mittlerweile sind 116 Staaten dem Vertrag beigetreten. China und Frankreich haben ihn nicht paraphiert. Beide Mächte haben noch bis 1980 bzw. 1974 oberirdisch getestet. Die sogenannten Schwellenmächte Argentinien und Pakistan paraphierten das Abkommen zwar 1963, haben es aber nicht ratifiziert.

Da die sowjetische Diplomatie auch nach Beendigung des einseitigen Testmoratoriums auf einen Umfassenden Teststopp drängte, warf die Reagan-Administration neue Verifikationsprobleme auf. Zwar verständigte sich der US-Präsident 1988 mit Generalsekretär Gorbatschow auf das »Endziel« eines CTB, favorisierte aber für die Kontrolle der zu ratifizierenden Schwellenverträge eine hydrodynamische Meßmethode mit der Bezeichnung CORRTEX (Continuous Reflectometry for Radius versus Time Experiment). Die Sowjets standen zwar auf dem Standpunkt, daß seismische Meßmethoden zur Verifikation eines CTB ausreichen, willigten aber dennoch ein, die Genauigkeit von CORRTEX durch ein »Gemeinsames Verifizierungsexperiment« (Joint Verification Experiment, JVE) zu testen. Im August und September 1988 wurde auf den Testgeländen der beiden Supermächte je ein speziell präparierter Nuklearsprengsatz gezündet. Dabei wurde auch die seismische Meßmethode anhand des hydrodynamischen Verfahrens kalibriert (geeicht). Das JVE wurde als eine durchaus löbliche vertrauensbildende Maßnahme angesehen. Vom Standpunkt eines direkten und entschlossenen Zusteuerns auf einen CTB mußte es jedoch wie eine geschickte Verzögerungstaktik erscheinen. Denn CORRTEX ist allenfalls für die exakte Bestimmung von Ladungsstärken über 100 Kt geeignet. Zudem ist die Methode äußerst kostspielig. Die Auswertung des Verifikationsexperiments hat zu Beginn des Jahres 1990 1 1/2 Jahre gedauert. Die Paraphierung der Verifikationsprotokolle zu den beiden Schwellenverträgen aus den Jahren 1974 und 1976 steht zwar bevor, die amerikanische Delegation verließ jedoch den Verhandlungstisch. Die US-Administration sah (wieder einmal) Schwierigkeiten bei der Verifikation: “Es sei wichtig, eine Periode zu haben, in der beide Seiten die Umsetzung der ausgehandelten Protokolle beobachteten, um so Gelegenheit zur Überprüfung der neuen Überprüfungsmaßnahmen zu haben”, so hieß es (SZ, 26.1.1990). Damit stellt sich die jetzige amerikanische Regierung gegen eine frühere Ankündigung Präsident Reagans, direkt weiterverhandeln zu wollen.

Dieses Zaudern erscheint unverständlich, seit selbst das Office of Technology Assessment (OTA), eine Wissenschaftsinstitution des amerikanischen Kongresses, in einem Bericht 1988 festgestellt hat, daß die USA durch ein dutzend seismischer »Arrays« entlang der sowjetischen Grenze »unterirdische Tests mit Ladungsstärken unter einer Kilotonne entdecken und identifizieren kann, falls keine Täuschungsversuche begangen würden” (The Defense Monitor 1/1989, S. 3, Übersetzung d. Verf.).

Möglichkeiten der Täuschung

Über die Möglichkeit solcher »Täuschungsversuche« ist jahrzehntelang diskutiert worden. So wurde argumentiert, daß eine der Supermächte ihre Sprengköpfe in riesigen unterdischen Kavernen oder Salzstöcken zünden könne. Die Schockwellen dieser sogenannten »entkoppelten Tests« würden so stark gedämpft, daß sie nicht mehr eindeutig zu entdecken wären. Diese Befürchtungen haben sich schon seit Jahren als haltlos erwiesen. Zwei von den USA in Norwegen installierte Überwachungssysteme (NORESS und NORSAR), die über Hochfrequenz-Seismometer verfügen, können nicht nur sowjetische Explosionen mit der Sprengkraft eines Bruchteils einer Kilotonne über 2.800 km hinweg präzise registrieren, sie sind auch in der Lage, entkoppelte Tests zu verifizieren (siehe Oliver Thränert, Ein umfassendes nukleares Teststopabkommen – ein wirkungsvolles Instrument zu Begrenzung der Rüstungsdynamik?, Bonn 1986, S. 9). Der Bochumer Geophysiker Harjes hat in seiner Eigenschaft als Berater der Bundesregierung für Verifikationsfragen bei der Abrüstungskonferenz in Genf 1985 zusammen mit drei anderen Experten eine Studie vorgelegt, die allen verbleibenden Schwierigkeiten bei der Detektion, Ortung und Identifikation von unterirdischen Atomtests Rechnung trägt. Das von Harjes vorgeschlagene weltweite seismische Kontrollnetz ist geeignet, alle Testexplosionen oberhalb 1 kt Sprengkraft zu registrieren (siehe unten)

CORRTEX

Auf ihrem Moskauer Gipfeltreffen paraphierten US-Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow am 31. Mai 1988 eine Vereinbarung über die Durchführung eines Gemeinsamen Verifizierungsexperiments (Joint Verification Experiment, JVE). Am 17. August 1988 und am 14. September 1988 wurde auf den Testgeländen von Nevada und Semipalatinsk je ein atomarer Sprengsatz unter Beteiligung amerikanischer und sowjetischer Wissenschaftler gezündet. Der Sinn dieses Unternehmens lag in der Überprüfung einer hydrodynamischen Meßmethode, welche die USA seit Jahren für die Verifikation der Atomtest-Schwellenverträge favorisieren: CORRTEX (Continuous Reflectometry for Radius versus Time Experiments). Diese Meßmethode wurde vom Los Alamos National Laboratory von 1976 bis 1982 entwickelt und mehr als zweihundert Mal getestet.

Technische Grundelemente eines globalen seismischen Überwachungssystems

  • “Es wird aus fünfzig bis hundert möglichst gleichmäßig über die Erde verteilten Beobachtungsstationen bestehen. Diese müssen an günstigen Orten, das heißt abseits von Industrie und Besiedlung oder in Bohrlöchern, installiert werden, um die Bodenunruhe auf einem niedrigen Pegel zu halten. Weiterhin sollte die Instrumentierung einheitlich und auf dem höchsten Stand der Technik sein, so daß alle seismischen Signale über einen weiten Amplituden- und Frequenzbereich unverzerrt aufgezeichnet werden können.
  • Um jederzeit Zugriff zu den Aufzeichnungen dieser Instrumente zu haben, müssen die Stationen durch ein Kommunikationssystem miteinander verbunden sein. Dazu stehen heute sowohl Satellitensysteme wie INTELSAT als auch Datenleitungsnetze wie DATEX zur Verfügung.
  • Datenzentren müssen errichtet werden, die die Stationsdetektionen assoziieren, das heißt die zugehörigen Ereignisse lokalisieren. Die Hauptaufgabe dieser Datenzentren besteht in der Erstellung von Ereignislisten und der Archivierung der Seismogramme. Die Zentren liefern diese Daten an die Vertragsstaaten.”

Das seismische Überwachungsnetz muß den geologischen Bedingungen angepaßt sein; eine Stationsverdichtung ist in Gebieten vorzunehmen, in denen unterirdische Kavernen möglich sind. Durch diese Maßnahmen können sogenannte »entkoppelte« Tests – etwa in dämpfenden unterirdischen Salzstöcken – verhindert werden. Ferner kann von der geologischen Umgebung bestimmter Tests besser auf die Ladungsstärken zurückgeschlossen werden.

Nach: Hans-Peter Harjes, Die Hindernisse sind politischer Natur. Zur seismischen Überwachung eines Verbots unterirdischer Kernexplosionen, in: Altmann/Gonsior (Hgg.), Welt ohne Angst, 1987

Erweiterungskonferenz zum CTBT (Amendment)

Der Partielle Teststopp-Vertrag verpflichtet die drei Depositarstaaten (USA, UdSSR, GB) ebenso wie die anderen beigetretenen Staaten, ein Umfassendes Teststopp-Abkommen auszuhandeln. Auch die bilateralen Schwellenverträge von 1974 und 1976 verpflichten sich auf das Ziel einer vollständigen Einstellung aller Atomversuche. In den achtziger Jahren wurde es nicht nur von der weltweiten Friedensbewegung, sondern auch von etablierten Politikern und Staatsmännern angemahnt.

1984 traten sechs Staats- und Regierungschefs aus vier Kontinenten mit einer gemeinsamen Erklärung an die Weltöffentlichkeit. Raul Alfonsin (Argentinien), Indira Gandhi (Indien), Miguel de la Madrid (Mexiko), Julius K. Nyerere (Kenia), Olof Palme (Schweden) und Andreas Papandreou (Griechenland) appellierten an die Kernwaffenstaaten, alle Atomwaffentests sowie die Produktion und Stationierung von Atomwaffen und ihren Trägersystemen sofort einzustellen und ihre nuklearen Streitkräfte wesentlich zu reduzieren. Dieser Appell fand weltweit ein großes Echo: die Four Continent Peace Initiative (heute Six Nations Peace Initiative) war geboren. Bald fand sich die internationale Parlamentariergruppe (Parliamentarians for Global Action, PGA) bereit, die Six Nations Peace Initiative international zu koordinieren. PGA arbeitete ein Konzept zur Erweiterung des PTBT zu einem CTBT aus. Dieses ist bereits im Vertragswerk des PTBT als Möglichkeit angelegt (siehe Kasten »Der Partielle Teststopp-Vertrag«, Art. II). Im Dezember 1985 forderte Mexiko gemeinsam mit anderen blockfreien Staaten in einer UN-Resolution, mit Hilfe einer Konferenz der 116 Vertragsstaaten den PTBT zu einem Vertrag über ein vollständiges Atomtestverbot umzuwandeln. Um eine solche Konferenz einzuberufen, müssen ein Drittel der PTBT-Vertragsstaaten dies förmlich von den Depositarstaaten fordern. Im März 1989 hat der 39. Staat eine solche Forderung in London, Washington und Moskau hinterlegt. Die drei Regierungen sind nun verpflichtet, eine Amendment-Konferenz einzuberufen. Sie könnte noch in der ersten Jahreshälfte 1990 stattfinden. Wenn sich eine Mehrheit der Konferenzteilnehmer für eine Umwandlung des PTBT in einen Umfassenden Teststopp-Vertrag aussprechen sollte, so müßte dem stattgegeben werden. Allerdings haben die drei Ursprungsstaaten des PTBT de facto ein Vetorecht, da ihr Votum gemäß Artikel 2, Absatz 2 PTBT für jeden »Zusatz« zwingend erforderlich ist.

Dennoch dürfte allein schon die Abhaltung der Erweiterungskonferenz ein Erfolg sein, auch wenn ein CTBT dadurch nicht erreicht wird. Die durch die politischen Ereignisse in (Mittel-) Europa in Beschlag genommene Öffentlichkeit würde endlich wieder auf ein altes und wesentliches Rüstungkontrollproblem aufmerksam gemacht. Die zeitliche Nähe zur ebenfalls 1990 stattfindenden Überprüfungskonferenz des Nichtweiterverbreitungsvertrages von Atomwaffen (Nonproliferations-Treaty, NPT) ist dabei äußerst sinnvoll. Das NPT-Regime wird nicht zuletzt dadurch unterwandert, weil die Atommächte nicht zur Einstellung ihrer Tests zu bewegen sind. Die amerikanische Delegation verließ die bilateralen Atomtestverhandlungen Anfang 1990; es ist unklar, wann die Gespräche wieder augenommen werden (SZ, 26.1.1990).

VII. CTB – eine sinnvolle Ein- Punkt-Kampagne?

Ein-Punkt-Kampagnen in der Friedenspolitik haben den Vorteil, daß aus der Vielzahl relevanter Themen und Zusammenhänge ein Sachverhalt herausgewählt und hervorgehoben wird. Die Massenmobilisierung der Friedensbewegungen Anfang der achtziger Jahre war nicht zuletzt deswegen möglich, weil man sich gegen die Stationierung einer nuklearen Waffenkategorie wandte. Diese Bestrebungen hatten ein konkretes Ziel; Reduktion von Komplexität kann politisch sehr wirksam sein.

Ein-Punkt-Kampagnen haben aber auch etwas Verzweifeltes. Sie greifen einen mehr oder weniger wichtigen Aspekt aus der breiten Palette nuklearer Rüstung heraus und vernachlässigen notwendig andere. So gerinnt politisch an sich lobenswertes Engagement zum Motto »Schlagen wir der nuklearen Hydra einen Arm ab, so wächst er an anderer Stelle wieder nach – womöglich doppelt und dreifach«.

Dennoch bleibt ein Umfassender Teststopp sinnvoll. Er verhindert zuverlässig Rüstungsdynamik bei jenen Atomwaffen dritter Generation, die nur durch Nuklearexplosionen entwickelt werden können (z.B. Röntgenlaser). Zum zweiten bedeutet die weltweite Einstellung der Tests eine Entlastung der Umwelt, da auch unterirdische Tests durch »Ausbläser« Radioaktivität freisetzen können. Eine Beendigung insbesondere der französischen Tests würde der Gefahr begegnen, daß die Hohlräume des Mururoa-Atolls so brüchig werden, daß riesige Mengen Radioaktivität austreten. Drittens würde ein globaler CTBT dem »nuklearen Rassismus« ein Ende bereiten. Die (Menschen-) Rechte der Western Shoshone und der Bewohner Französisch-Polynesiens würden endlich wieder eingesetzt.

Ein Atomteststopp würde aber nicht die »Sündenfälle« aus über vierzig Jahren Atomzeitalter ungeschehen machen. Ein gewaltiges Sprengkopfarsenal kann jederzeit reproduziert werden. Alle diese »nukes« haben – weil ehedem ausreichend getestet – eine hinreichende »stockpile reliability«. Selbst die Verbesserung der Zielgenauigkeit von nuklearen Einsatzmitteln hängt nicht oder nur zweitrangig von Atomtests ab. Eine Perfektionierung der Leitsysteme für ballistische Raketen ist hierfür viel maßgeblicher. Beide Supermächte entwickeln und installieren Satelliten-Navigationssysteme im Weltraum (USA: NAVSTAR, UdSSR: GLONAS). Ein streichholzgroßer Satellitenempfänger an den Wiedereintritts-Flugkörpern kann alle nötigen Informationen zum optimalen Zielanflug empfangen und verarbeiten. Werden diese Navigationssysteme einmal angebracht sein, so werden die ICBM's in Ost und West eine Zielgenauigkeit von unter 10 Metern erreichen. Wesentlich für diese verbesserten Fähigkeiten sind auch Raketentests (siehe Udo Schelb, Teststopp für Interkontinentalraketen, Informationsdienst Wissenschaft und Frieden 1/1989).

Auch die »earth-penetrating-weapons« bedürfen nicht notwendig der Atomtests, weil die Fähigkeit, sich tief in die Erde zu bohren, von mechanischen Vorrichtungen um den äußeren Sprengkopfmantel abhängt, nicht vom Sprengkopf selber.

Der rüstungskontrollpolitische Sinn eines Umfassenden Teststopps wird auch von der laufend verbesserten Fähigkeit geschmälert, immer mehr Sprengkopfkomponenten im Labor zu testen. Auf diesem Gebiet sind die USA führend. Zwar werden unterirdische Atomtests wohl nie völlig bei der Entwicklung neuer Waffen ersetzt werden können; ein CTBT würde dem Ziel der Präventiven Drosselung der Rüstungsdynamik jedoch erheblich besser gerecht werden, wenn er von wesentlichen flankierenden Maßnahmen begleitet würde:

  1. Navigationssatelliten-Entwicklungs-Stopp
  2. Raketenteststopp
  3. Forschungsstopp in Labors, gegenseitige Transparenz und Inspektion
  4. Produktionsstopp Plutonium/angereichertes Uran.

Radioaktivität: Maßeinheiten, Richt- und Grenzwerte

Das Strahlensyndrom äußert sich folgendermaßen: schon Strahlendosen ab 1 Sievert führen unmittelbar zu Übelkeit und Erbrechen; danach erholt sich der Körper oft; aber je nach Art und Intensität der Strahlen, persönlicher Verfassung und Erbgut kann sich das Leiden nach längerer Zeit durch Krebs, Leukämie u.a. fortsetzen.

3-5 Sv: 50% der Menschen sterben innerhalb von 2 Monaten an Schädigung des Knochenmarks (die blutbildenden Zellen vermehren sich nicht mehr).

10-50 Sv: Tod nach 1-2 Wochen

100 Sv: Tod nach 1-2 Wochen

Meßeinheiten:

Vom Spaltprodukt ausgehende Radioaktivität:

1 Becquerel (Bq)=1 Zerfall pro Sekunde

1 Curie (ci)=Zerfallseinheit von 1 Gramm Radium=37 Milliarden Bq

Bsp.: Plutonium mit einer Aktivität von 2000 Megabecquerel emittiert 2000 Millionen Aplhateilchen pro Sekunde

Vom Stoff aufgenommene Energie: 1 Gray=Energiedosis von 1 Joule pro Kilo

1 Gray=100 Rad (alte Einheit)

Die Strahlenarten sind unterschiedlich gefährlich. Je nach Strahlungsrat wird aufgrund von Gray ein Wert errechnet (die »Äquivalentdosis«), der die genaue Schädlichkeit in Sievert oder in Rem angibt: 1 Sievert (Sv)=100 Rem. Bei Gammastrahlen z.B. ist Gray=Sievert, bei Alphastrahlen, die inkorporiert besonders gefährlich sind für den Menschen, wird die in Gray errechnete Dosis mit dem Faktor 20 multipliziert, um Sievert zu erhalten.

Richtwerte und Höchstgrenzen für Radioaktivität (Auswahl) Luft: Als normal werden 3 Bq pro Kubikmeter angesehen. (Tschernobyl bewirkte zwischen 10-70 Bq)

In Rem und Gray: die empfohlene Höchstbelastung pro Stunde ist 114 Nanogray (= 0,000 000 114 Gray), das entspricht 100 Millirem pro Jahr.

Eine US-Bestimmung für Kernkraftwerksunfälle besagt, daß die Bevölkerung eine Dosis von 100 Rad bei einem Unfall erhalten darf.

Die Innenministerkonferenz gab 1988 in den »Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung technischer Anlagen« einen Wert von 400 Millionen Becquerel pro Quadratmeter als kritsche Grenze an. Eine Dekontamination solle aber erst ab 4000 Mill. Bq stattfinden. Arbeitern in Uranminen mutet man eine Ganzkörperdosis von 50 Millisievert pro Jahr zu, der übrigen Bevölkerung 5 Millisievert. Beschäftigte in Atomanlagen dürfen 5 Rem erhalten.

Barbara Sabel ist Germanistin;
Michael Kalman ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Friedenspolitik in Starnberg.