Dossier 14

Bundeswehr: Ernstfall Krieg – Kommentierte Dokumentation

von Redaktion

I. Einleitung

Die Außenpolitik der Bundesrepublik hat sich seit Ende der 80er Jahre entscheidend verändert. Begriffe wie »Patriotismus«, »Machtpolitik«, »vitale deutsche Interessen« und »Verantwortung militärisch wahrnehmen« finden in Analysen und Reden der Regierungskoalition wieder Verwendung. Eine wichtige Facette dieser konservativen Wende sind die neuen Einsatzformen des deutschen Militärs im Ausland.

Während sich die friedenspolitische Öffentlichkeit nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes noch Gedanken darüber machte, welche Schritte nun zuerst eingeleitet werden, um die Bundeswehr abzuschaffen, da ihr nun endgültig der Feind und damit die Legitimation abhanden gekommen ist, begründete bereits der Bundesminister der »Verteidigung«, daß die Bundesrepublik schnell verlegbare und flexibel einsetzbare sog. Krisenreaktionskräfte von einem Umfang von bis zu 100.000 Mann bräuchte, um den neuen Risiken in der Welt etwas entgegen zu setzen (Siehe II. Verteidigungspolitische Richtlinien).

Mit dieser Wende geht es um die Wiederherstellung der Legitimation deutscher Streitkräfte, um die Mitsprache in den zukünftigen militär- und sicherheitspolitischen Handlungszusammenhängen (UNO, NATO, WEU, EG) und um die auch militärische Absicherung des deutschen Wohlstandes. Seit 1945 war deutsches Militär nicht mehr Instrument deutscher Außenpolitik; jetzt soll die Bundeswehr es wieder werden. Trotz mehrheitlich gegenteiliger Einstellungen in der Bevölkerung und in der Politik wird die Bundswehr bereits heute eingesetzt: die umstrittensten Einsätze finden zur Zeit in Kambodscha, Jugoslawien und in Somalia statt. (Siehe III. Einsatzgrundlagen laufender Kriegseinsätze).

Während die Militärs bereits handeln, hinkt die Politik hinterher. Bis heute gibt es keine im Bundestag für eine 2/3-Mehrheit konsensfähige Gesetzesvorlage, die die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr verfassungsrechtlich genau festlegt (Siehe V. Gesetztesentwürfe.).

Eine öffentliche Debatte über die Ziele deutscher Außenpolitik findet nicht statt. Die Öffentlichkeit wird schleichend an Einsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bündnisgebietes (sog. out-of-Area-Einsätze) gewöhnt. Daß sich in den letzten Jahren vieles besorgniserregende tut, belegen die folgenden Auszüge aus Dokumenten.

Der Ernstfall ist für deutsche Streitkräfte nicht mehr der Frieden, sondern der Krieg.

II. Planungen der Bundesregierung

Bundesminister der Verteidigung,

Volker Rühe, Dezember 1992: Verteidigungspolitische Richtlinien

„(…)

II. Deutsche Wertvorstellungen und Interessen

8. Deutschland verfolgt als übergeordnete sicherheitspolitische Zielsetzung, Konflikte in Europa zu verhüten und Sicherheit für Europa im Rahmen einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung zu wahren, die auf pluralistischer Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft gründen soll.

Dabei läßt sich die deutsche Politik von vitalen Sicherheitsinteressen leiten:

  1. Schutz Deutschlands und seiner Staatsbürger vor äußerer Gefahr und politischer Erpressung.
  2. Vorbeugung, Eindämmung und Beendigung von Krisen und Konflikten, die Deutschlands Unversehrtheit und Stabilität beeinträchtigen können.
  3. Bündnisbindung an die Nuklear- und Seemächte in der Nordatlantischen Allianz, da sich Deutschland als Nichtnuklearmacht und kontinentale Mittelmacht mit weltweiten Interessen nicht allein behaupten kann.
  4. Vertiefung und Erweiterung der europäischen Integration einschließlich der Entwicklung einer europäischen Verteidigunsidentität.
  5. »Partnerschaft unter Gleichen« zwischen Europa und Nordamerika, ausgedrückt in der Teilhabe Nordamerikas an den europäischen Prozessen und in der signifikanten militärischen Präsenz der USA in Europa.
  6. Festigung und Ausbau einer global und regional wirksamen Sicherheitsstruktur komplementärer Organisationen.
  7. Förderung der Demokratisierung und des wirtschafltichen und sozialen Fortschritts in Europa und weltweit.
  8. Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung.
  9. Fortsetzung eines stabilitätsorientierten rüstungskontrollpolitischen Prozesses in und für Europa.
  10. Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unserer Wirtschaftskraft, unseren militärischen Beitag und vor allem unsere Glaubwürdikeit als stabile, handlungsfähige Demokratie.

(…)

17. Der sicherheitspolitische Umbruch hat die strategische Ausgangssituation Deutschlands grundlegend verbessert. Wir haben die Chance, Frieden und Fortschritt in und für Europa entscheidend voranzubringen. Zugleich aber müssen wir neue Verantwortung übernehmen. Unser Land besitzt aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen Potenz eine Schlüsselrolle für die Fortentwicklung der europäischen Strukturen. Ohne Deutschland ist es unmöglich, die osteuropäischen Völker zu integrieren. Ohne Deutschland wird es keine Sicherheitsstruktur in und für Europa geben, die auch die Sicherheitsinteressen der jungen Demokratie befriedigt. Ohne Deutschland werden die durch kommunistische Kommandowirtschaft ruinierten Staaten ökonomisch und sozial nicht gesunden; denn nur mit Deutschland wird die Europäische Gemeinschaft ihre politisch-ökonomische Dynamik entfalten und als Kraftquelle für den wirtschaftlichen Gesundungsprozeß ganz Europas bereitstehen können. In dieser Situation ist Deutschland eine maßgebliche Bezugsgröße für die Politik seiner Partner. Dabei decken sich unsere Einflußmöglichkeiten mit den wichtigsten Gestaltungsaufgaben und Chancen im Europa der Zukunft:

  • Vertiefung und Erweiterung der europäischen Integration
  • Entwicklung Europas zum globalen Akteur
  • Stabilisierung der östlichen Reformprozesse
  • Reform der transatlantischen Partnerschaft
  • Fortentwicklung der euro-atlantischen Institutionen.

Die Risiken

18. Für Deutschland ist die existentielle Bedrohung des Kalten Krieges irreversibel überwunden. Der bedrohlichste Fall einer großangelegten Aggression ist höchst unwahrscheinlich geworden. Dagegen wächst die Wahrscheinlichkeit weniger bedrohlicher Konflikte im erweiterten geographischen Umfeld. Die erkennbaren Restrisiken militärischer Konflikte mit unmittelbarer Auswirkung auf Deutschland und seine Bündnispartner machen es aber auch weiterhin erforderlich, angemessene militärische Verteidigungsvorsorge zu treffen.

Nach Auflösung der bipolaren Ordnungsstruktur gewinnen regionale Krisen und Konflikte und nicht-militärische Risiken an Virulenz und Brisanz. Ihr Spektrum reicht von der innerstaatlichen Dimension sozialer, ethnischer, religöser und ökonomischer Krisen über die regionale Dimension, die auch machtpolitische Faktoren, territoriale Ansprüche und Verteilungskämpfe umfaßt, bis hin zur globalen Dimension des Wohlstands- und Entwicklungsgefälles sowie demographische, ökonomischer und ökologischer Fehlentwicklungen. Diese Risiken sind aufgrund ihres Ursachencharaktes nicht militärisch lösbar. Sie können auch nicht mit militärischen Potentialen ausbalanciert werden.

Der mögliche Verlauf von Krisen und Konflikten läßt sich kaum nach Wahrscheinlichkeit und Bedrohungsgrad voraussagen. Aus deutscher wie aus Bündnissicht können Risiken nach ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Wirkung spezifiziert werden.

(…)

Mittelbare Risiken

23. In einer interdependenten Welt sind alle Staaten verwundbar, unterentwickelte Länder aufgrund ihrer Schwäche und hochentwickelte Industriestaaten aufgrund ihrer empfindlichen Strukturen. Jede Form internationaler Destabilisierung beeinträchtigt den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt, zerstört Entwicklungschancen, setzt Migrationsbewegungen in Gang, vernichtet Ressourcen, begünstigt Radikalisierungsprozesse und fördert die Gewaltbereitschaft.

Kommt es zu solchen Fehlentwicklungen, werden zerstörerische Einflüsse auch in die hochentwickelten Gesellschaften getragen. Bei insgesamt negativem Entwicklungsverlauf kann dieser Zusammenhang auch militärische Dimensionen gewinnen. Der Bedrohungsgrad mittelbarer Risiken ergibt sich jedoch weniger aus der Möglichkeit einer militärischen Eskalation. Viel schwerwiegender sind negative Einflüsse auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Industriestaaten und damit verbunden Rückwirkungen auf den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt in den Entwicklungsländern. Politisch breit angelegte Risikovorsorge darf daher nicht eurozentrisch sein, sondern muß sich vermehrt an der Interdependenz regionaler und globaler Entwicklungen orientieren. Risiken müssen schon am Ort ihres Entstehens und vor ihrer Eskalation zu einem akuten Konflikt mit einer vorbeugenden Politik aufgefangen werden.

Fazit

24. Unter den neuen sicherheitspolitischen Verhältnissen läßt sich Sicherheitspolitik weder inhaltlich noch geographisch eingrenzen. Sie muß risiko- und chancenorientiert angelegt sein, Initiative und Gestaltungskraft entwickeln und Risikoursachen abbauen. Sicherheitspolitik für unsere Zeit muß alle gestalterischen Möglichkeiten wahrnehmen, um den positiven internationalen Entwicklungsverlauf weiterzuführen.

25. Militärische Konflikte, die Deutschlands Existenz gefährden könnten, sind unwahrscheinlich geworden. Im zukünftigen strategischen Umfeld sind unmittelbare militärische Risiken nur noch Teil eines breiten Spektrums sicherheitspolitischer Einflußgrößen. Unmittelbare Risiken werden zukünftig in ihrer Bedeutung immer mehr von mittelbaren Risiken übertroffen. Risikovorsorge muß folglich als erweiterte Schutzfunktion verstanden werden. Prioritäten der Sicherheitsvorsorge sind »von außen nach innen« zu definieren.

Die Fähigkeit zur Verteidigung Deutschlands bleibt auch in diesem Sicherheitskonzept eine fundamentale Funktion der Streitkräfte. Zukünftig muß aber politisches und militärisches Krisen- und Konfliktmanagement im erweiterten geographischen Umfeld eindeutig im Vordergrund unserer Maßnahmen zur Sicherheitsvorsorge stehen.

26. Die Chancen und Risiken im veränderten Umfeld können von keinem Land und keiner der bestehenden sicherheitspolitischen Institutionen allein wahrgenommen werden. Vielmehr sind kooperative und kollektive Ansätze gefordert. Wir benötigen ein flexibles Instrumentarium internationaler Politik und eine handlungsfähige Struktur der euroatlantischen Institutionen.

27. Deutschland ist aufgrund seiner internationalen Verflechtungen und globalen Interessen vom gesamten Risikospektrum betroffen. Wir müssen daher in der Lage sein, auf entstehende Krisen im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme einwirken zu können.

Wenn die internationale Rechtsordnung gebrochen wird oder der Frieden gefährdet ist, muß Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft auch militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können.

28. (…) Die Entwicklung der Sicherheitsarchitektur

In einer Zeit epochalen Wandels dürfen NATO, Europäische Union, WEU, KSZE und Vereinte Nationen nicht in statischem Nebeneinander verharren. Vielmehr müssen diese Institutionen auf der Basis von Kompatibilität, Komplementarität und Transparenz zu einer tragfähigen Architektur zusammengefügt werden, in der sie ihre Kräfte synergetisch entfalten.

29. Die politische Integration zur Europäischen Union ist Grundvoraussetzung für eine tragfähige europäische Sicherheitsarchitektur. In der Union konkretisiert sich nicht nur das Streben Europas nach Einheit, Freiheit und Wohlstand. Sie steht auch für den Willen der Europäer, ihre ureigenen Sicherheitsinteressen gemeinsam zu wahren und dazu handlungsfähig zu werden. Nur als Politische Union kann Europa auf Dauer im weltweiten Kontext bestehen und zu einem gestaltenden Faktor werden. Nur die Politische Union kann ein Verhältnis gleichberechtigter Partnerschaft mit Nordamerika entwickeln. Die Entscheidung, mit der Westeuropäischen Union (WEU) die europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität und militärische Handlungsfähigkeit zu stärken, ist deshalb von strategischem Rang. Wichtig ist, daß diese Entwicklung in enger Abstimmung mit den nordamerikanischen Bündnispartnern erfolgt.

30. Die WEU ist Träger der europäischen Verteidigungspolitik, bis die Union in der Lage ist, diese Aufgabe zu übernehmen. In dieser Funktion stärkt die WEU zugleich den europäischen Pfeiler der Nordatlantischen Allianz. Sie ermöglicht den Europäern, mehr Verantwortung für ihre Sicherheit zu übernehmen und besonders in solchen Krisensituationen handlungsfähig zu sein, in denen die NATO nicht in der Lage oder nicht willens ist einzugreifen. Das Sicherheitskonzept der WEU wird stärker an ihre wachsende Bedeutung für die Europäische Union und die neuen Herausforderungen von Krisenbewältigung und Konfliktverhütung anzupassen sein. Die WEU muß dazu auf europäische Streitkräfte zurückgreifen und diese führen können. Streitkräfte und Führungsstrukturen können aus europäischen Kräften der NATO, aus multinationalen Kooperationsformen sowie aus nationalen Quellen bereitgestellt werden.

Deutschland muß die Voraussetzungen schaffen, um in vollem Umfang am Aufgabenspektrum der WEU partizipieren zu können. Die Bundeswehr entwickelt dazu neben ihrer festen Einbindung in die NATO auch eine europäische Dimension. Ein wichtiger Schritt dazu ist der deutsche Beitrag zum EURO-Korps.

31. Grundsätzlich soll die Unionsmitgliedschaft zur WEU-Mitgliedschaft führen. Dies gilt auch für neue Mitglieder der Europäischen Union. Uneingeschränkt kommen dafür zunächst die EFTA-Staaten in Betracht. Allerdings können Staaten, die noch nicht den ökonomischen Standard der Union erreichen, wohl aber die Kriterien für eine Sicherheitspartnerschaft erfüllen, durch neue Formen der WEU-Assoziierung an der Verantwortung für die europäische Integration teilhaben und ihren nationalen Anpassungsprozeß stabilisieren. Prioritäten für eine solche Zusammenarbeit besitzen aus deutscher Sicht die mittelosteuropäischen Staaten. Zur Aufrechterhaltung der Integrationsdynamik müssen daher flexible Arrangements mit Beitrittsperspektive entwickelt werden.

Rußland verfügt in jeder Hinsicht über Potentiale, die europäische Dimensionen sprengen. Der Versuch, Rußland oder die GUS voll zu integrieren, würde die Union und die WEU strategisch aus der Balance geraten lassen. Allerdings kann ein politisches Konzept für das »eine« Europa diese strategische Schlüsselregion Europas nicht ausgrenzen. Neben breit angelegter Kooperation sind daher übergreifende Elemente der europäischen Struktur zu nutzen, um die Nachfolgestaaten der Sowjetunion strategisch einzubinden und ihre legitimen Sicherheitsinteressen zu befriedigen.

32. Das Kooperationskonzept der WEU soll den Entwicklungsprozeß der jungen Demokratien Europas fördern und potentielle Mitglieder auf den Beitritt vorbereiten. Dabei wird das Konsultationsforum eine zentrale Rolle einnehmen. Darüber hinaus können kooperative Beziehungen zu den südlichen Mittelmeeranrainern eine wichtige Vorstufe zum präventiven Krisenmanagement in dieser strategisch bedeutsamen Region darstellen.

33. Die Nordatlantische Allianz bleibt Grundlage der Sicherheit Deutschlands. Sie verkörpert die strategische Einheit Europas und Nordamerikas. Nur im transatlantischen Verbund werden strategische Potentiale ausbalanciert und bleibt die gemeinsame Sicherheit der Bündnispartner erhalten. Die Allianz besitzt damit eine Stabilisierungsfunktion, die auf ganz Europa ausstrahlt. Auf der Basis dieser Kernfunktionen wird die europäische Dimension der NATO fortentwickelt werden und einen höheren Stellenwert erhalten. Konzepte, Kommando- und Streitkräftestrukturen müssen an künftige Erfordernisse im europäischen Rahmen angepaßt werden.

Als Rückgrat der euro-atlantischen Sicherheitspartnerschaft muß die NATO die neuen strategischen Trends stärker in ihrem Rollenverständnis reflektieren. In ihrer Schutzfunktion wird die NATO daher mehr Relevanz für Krisen und Konflikte im erweiterten geographischen Umfeld entwickeln müssen, um Stabilitätsanker für ganz Europa zu bleiben. Die NATO muß auch stärker verdeutlichen, daß ihr strategischer Gehalt neben der Schutzfunktion als System kollektiver Verteidigung den friedlichen Interessensausgleich und gemeinsamen Fortschritt umfaßt. Sie wird sich daher in ihrer politischen Rolle für ganz Europa deutlicher profilieren und über das heutige Kooperationskozept hinaus noch stärker den Staaten im Osten des Kontinents öffnen müssen. Die Kooperationsbeziehungen im Rahmen des Nordatlantischen Kooperationsrates (NAKR) müssen mit Blick auf das erforderliche künftige Rollenverständnis der NATO fortentwickelt werden.

(…)

Die Rolle der Streitkräfte

37. In der postkonfrontativen Ära bleiben Streitkräfte ein notwendiges sicherheitspolitisches Instrument, um Chancen wahrzunehmen und Risiken und Konflikte bewältigen zu können.

Aber auch die Streitkräfte müssen dem künftigen Verständnis von Sicherheitspolitik folgen und qualitativ und quantitativ auf die neuen Erfordernisse ausgerichtet werden. Nicht mehr die alleinige Fähigkeit zur umfassenden Verteidigung gegen eine ständig drohende Aggression, sonder flexible Krisen- und Konfliktbewältigung im erweiterten geographischen Umfeld, Friedensmissionen und humanitäre Einsätze bestimmen neben der Schutzfunktion gegen verbleibende unmittelbare Risiken ihr künftiges Anforderungsprofil.

38. Ein souveräner Staat muß wehrhaft und wehrbereit bleiben, um sich gegen die Unwägbarkeiten künftiger Entwicklungen zu wappnen. Verteidigung ist der politische Legitimationsrahmen für die Streitkräfte und die Allgemeine Wehrpflicht. Der Schutz unseres Landes gegen äußere Gefahr bleibt auch künftig Sache aller Bürger. Die Allgemeine Wehrpflicht ist die Klammer zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Die Wehrpflicht hat sich als Wehrform für unseren demokratischen Staat bewährt und bleibt auch weiterhin zentrales Element unserer Sicherheitsvorsorge. Eine an die neuen Rahmenbedingungen und langen Warnzeiten angepaßte Verteidigungsfähigkeit stellt auch in der Zukunft Grundlage der deutschen Sicherheitsvorsorge dar. Verteidigungsvorsorge kann künftig nicht auf das eigene Territorium beschränkt bleiben; denn sie ist ein kollektiver Ansatz. Für Deutschland bedeutet Verteidigung immer Verteidigung im Bündnis im Sinne einer erweiterten Landesverteidigung. Ein Teil der deutschen Streitkräfte muß daher zum Einsatz außerhalb Deutschlands befähigt sein.

39. Angesichts multidimensionaler und -direktionaler Risiken müssen Streitkräfte handlungsorientiert gestaltet werden. Das Handlungserfordernis wächst mit dem Intensitätsgrad der Risiken, der sich aus der Kombination von Wahrscheinlichkeit und Bedrohlichkeit ergibt. Streitkräfte sind prioritär auf die Wahrnehmung solcher Risiken zu optimieren, die einen hohen Intensitätsgrad aufweisen. Dies sind auf absehbare Zeit jene, die frühzeitiges Krisen- und Konfliktmanagement erfordern. Wesentliche Kennzeichen der dazu benötigten militärischen Kräfte sind rasche Verfügbarkeit sowie ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität.

40. Ursachen von Risiken und Konflikten werden generell nicht durch den Einsatz militärischer Mittel behoben. Jedoch können Streitkräfte gleichsam in einer »Katalysatorfunktion« die notwendigen Voraussetzungen schaffen, unter denen nicht-militärische Instrumente einer ursachen-orientierten Krisen- und Konfliktbewältigung Wirkung entfalten können. Um diese Instrumente nutzbar zu machen, wird im internationalen Krisenmanagement künftig auch ein frühzeitiger Einsatz militärischer Mittel zur Wahrung und Wiederherstellung der internationalen Sicherheit und des Völkerrechts unter einem legitimierenden Mandat der VN oder der KSZE erwogen werden müssen.

41. Streitkräfte sind auch für die Gestaltungsfunktion der Sicherheitspolitik von hohem Rang. Sie dienen der inneren Stabilität Europas und fördern die Entwicklung der europäischen Sicherheitsstrukturen. Dazu gehören auch Beiträge zur Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Streitkräfte stellen darüber hinaus ein politisch bedeutsames Feld für Kooperations- und Integrationsbemühungen dar. Fortschritte im militärischen Bereich können sowohl als Initiator wie auch als »Schlußstein« politischer Integrationsprozesse dienen.

(…)

Der Auftrag der Bundeswehr

44. Die Bundeswehr trägt entscheidend dazu bei, die politische Handlungsfähigkeit zu erhalten. Sie leistet diesen Beitag als eine Komponente neben anderen im sicherheitspolitischen Instrumentarium unseres Landes. Ihr in der Verfassung begründeter Auftrag reflektiert die Wertegundlage der deutschen Sicherheitspolitik, die vitalen nationalen Sicherheitsinteressen, die neue Konstellation von Chancen und Risiken sowie die fundamental veränderte Lage und Rolle Deutschlands.

Die Bundeswehr

  • schützt Deutschland und seine Staatsbürger gegen politische Erpressung und äußere Gefahr,
  • fördert die militärische Stabilität und die Integration Europas,
  • verteidigt Deutschland und seine Verbündeten,
  • dient dem Weltfrieden und der internationalen Sicherheit im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen,
  • hilft bei Katastrophen, rettet aus Notlagen und unterstützt humanitäre Aktionen.

Vorgaben für die Bundeswehrstruktur

45. Die zukünftige Struktur der Streitkräfte besteht aus Hauptverteidigungs- und Krisenreaktionskräften sowie der Grundorganisation der Streitkräfte. Krisenreaktionskräfte sind zugleich auch der schnell verfügbare Teil der Hauptverteidigungskräfte. Die Streitkräftekomponenten bilden eine konzeptionelle Einheit, die stets eine planerische Gesamtbetrachtung erfordert.

46. Die dauerhaft verbesserte Sicherheitslage mit einer nutzbaren Warnzeit von mindestens einem Jahr für den Fall einer größeren Aggression erlaubt es, die Bundeswehr konsequent auf den Charakter einer Mobilmachungsarmee auszurichten. Die personelle und materielle Aufwuchsfähigkeit der Hauptverteidigungskräfte muß jedoch erhalten bleiben, um die Verteidigung im Bündnisrahmen sicherzustellen. Dies setzt die Verfügbarkeit von Reservisten voraus, die vor allem im Rahmen ihres Grundwehrdienstes auszubilden sind.

47. Die Notwendigkeit, bei kurzfristig auftretenden Krisen und Konflikten rasch, flexibel und solidarisch reagieren zu können, erfordert präsente Kräfte. Deutlich begrenzte Teilkomponenten dieser Krisenreaktionskräfte werden, nach Vorliegen der Voraussetzungen, Friedensmissionen im Einklang mit der UN-Charta übernehmen, um der deutschen Mitverantwortung in der Völkergemeinschaft gerecht zu werden.

Vorgaben für die Fähigkeiten der Bundeswehr

48. Krisenmanagement wird als künftige Schwerpunktaufgabe an die Stelle der bisherigen Ausrichtung auf die Abwehr einer großangelegten Aggression treten. Im Gegensatz zur umfassenden Verteidigungsfähigkeit besteht bei der Fähigkeit zum flexiblen Krisen- und Konfliktmanagement ein eindeutiges Defizit, das es konsequent und schnell abzubauen gilt. Die Eignung der Streitkräfte zum Kriseneinsatz muß auf breiter Grundlage verbessert werden. Krisenreaktionskräfte müssen befähigt werden, nach Art, Intensität sowie Warnzeit, Dauer und Ort unterschiedliche Krisen und Konflikte im Bündnis und anderen internationelen Kooperationsformen erfolgreich zu bewältigen. Sie müssen den daraus resultierenden neuen Anforderungen an Ausbildung, Ausrüstung, Flexibilität und Mobilität gerecht werden. Dazu gehört auch eine ständige, zentrale, teilstreitkraft-übergreifende Planungs- und Führungsfähigkeit.

49. Strategisches Denken in Phasen ist angesichts zukünftiger Konstellationen von Chancen und militärischen und nichtmilitärischen Risiken überholt. Daher verbietet sich auch eine starre Zuordnung militärischer Fähigkeiten zu den Kategorien Frieden, Krise und Krieg. Ebenso stellen die verschiedenen Stufen von Aufwuchs, Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft ein Kontinuum von Aggregatzuständen dar.

Vorgabe für die Bundeswehrplanung

50. Das neue Auftrags- und Fähigkeitsspektrum führt zu einer völlig veränderten Planungssituation. Erforderlich ist eine Bundeswehrplanung als ganzheitlicher Ansatz und aus einem Guß. Planerischer Schwerpunkt sind dabei die Krisenreaktionskräfte. Sie müssen mit allen nötigen Komponenten für einen flexiblen Einsatz versehen werden. Der notwendige planerische Spielraum ist bei den Hauptverteidigungskräften, bei der Grundorganisation und durch Förderung kostensparender Methoden internationaler Zusammenarbeit zu gewinnen. Bei der Aufstellung der Krisenreaktionskräfte ist der Qualität Vorrang vor schnell erreichter Quantität zu geben, auch wenn der Aufbau dann nur schrittweise erfolgen kann.

51. Vorrang für den Mitteleinsatz besitzen:

  • unabweisbare Investitionen in Truppenteile, die auf akute Handlungserfordernisse ausgerichtet werden;
  • Investitionen in eine sinnvolle, fordernde und motivierende Ausbildung;
  • Investitionen in die Lebens-, Ausbildungs- und Dienstbedingungen der Soldaten in den neuen Bundesländern.

52. Eckwerte der Bundeswehrplanung sind:

  • die Begrenzung des Friedensumfangs auf 370.000 Soldaten ab 1995 sowie die Rüstungskontrollvereinbarungen zu Obergrenzen bei vertragsrelevantem Großgerät;
  • die politischen Vorgaben zur Wehrform, Wehrdienstzeit, Personalstruktur und Finanzausstattung;
  • die Verpflichtungen, die Deutschland im internationalen Rahmen eingegangen ist (NATO, WEU, KSZE, VN).

(…)“

III. Einsatzgrundlagen laufender Kriegseinsätze der Bundeswehr

Mit den Namen Kambodscha, Jugoslawien und Somalia sind die drei Einsätze der Bundeswehr verbunden, denen auch die Bundesregierung einen besonderen Stellenwert einräumt. Während bisher sog. out-of-Area-Einsätze, wie z.B. die Minensuche der Bundeswehr im Sommer 1990 im Persisch/Arabischen Golf, noch als »normaler« Bundeswehr-Alltag verkauft wurde, muß sowohl die Bundesregierung als auch die Opposition eingestehen, daß diese Einsätze nun endgültig eine neue Qualität erreicht haben.

Interessant an dem Dokument zum Einsatz in Kambodscha ist u.a. die verfassungsrechtliche Begründung. Einerseits wird festgestellt, daß es sich um einen ganz normalen humanitären Einsatz handelt, also nicht um einen Einsatz im Sinne Art. 87a(2) GG. Andererseits wird betont, daß die Bundeswehr zum ersten Mal direkt und aktiv in einem solchen Umfang an einer VN-Mission teilnimmt und er zur Klarstellung des Verhältnisses zwischen VN und der Bundesrepublik Deutschland beiträgt. Spätestens der Tod des Feldwebels A. Arndt und sein „Staatsbegräbnis“ machte die neue Qualität dieses Einsatzes deutlich. Neben der verfassungsrechtlichen Einordnung des Einsatzes werden in dem Dokument z.B. die Probleme bei der Auswahl der Freiwilligen, die Richtlinien zum Tragen und Gebrauch von Waffen und die Kosten dieses Einsatzes beschrieben.

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum AWACS-Einsatz der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien dokumentiert nach den Einsatzgrundlagen (Resolution 816 VN, Regierungsentscheid) die Sichtweise der Kläger (SPD/FDP) und des Klagegegners (CDU/CSU). In der darauf folgenden Begründung der Klageablehnung wird deutlich gemacht, daß in der Frage, ob dieser Einsatz verfassungskonform oder -widrig ist, nicht entschieden wurde (das Urteil hierzu wird Ende des Jahres erwartet). Das Bundesverfassungsgericht hat ausschließlich die Nachteile gegeneinander abgewogen, die sich für die Bundesrepublik ergeben, wenn sie die Bundeswehrsoldaten aus den AWACS-Flugzeugen herausholt, bzw. wenn sie sie dort beläßt und damit an den Einsätzen teilnehmen läßt.

Interessant ist aber trotzdem zweierlei an diesem Urteil. Zum einen spricht auch die Bundesregierung selber bezüglich dieses Einsatzes – im Gegensatz zum Kambodscha-Einsatz – von einem Kampfeinsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Vertragsgebietes im Rahmen der NATO, der aufgrund Artikel 24 nicht verfassungswidrig sei. Zum zweiten ist interessant, daß sich das Gericht der Einschätzung der Bundesregierung anschloß, daß ohne die deutsche Beteiligung die Durchsetzung des Flugverbotes gefährdet wäre und daß das Vertrauen der Bündnispartner in einer nichtwiedergutzumachenden Weise durch einen Abzug erschüttert würde. Insbesondere durch die Bekundungen (nicht Verpflichtungen), die die Bundesregierung in den letzten Monaten von sich gegeben hätte, sich an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen zu beteiligen, wären Erwartungen bei den Verbündeten aufgebaut worden, die jetzt nicht enttäuscht werden dürften.

Jetzt zahlt sich offensichtlich das aus, worauf die Friedensbewegung schon lange kritisch hingewiesen hat: Die Bundesregierung hat durch ihre »out-of-Area«-Politik Fakten geschaffen, obwohl politisch und juristisch formal noch keine Entscheidung vorliegt.

Die drei zum Somalia-Einsatz folgenden Dokumente machen deutlich, daß es der Bundesregierung überhaupt nicht um die humanitäre Hilfe, sondern um einen Gewöhnungs- und Publicity-Effekt nach dem Motto »Dabeisein ist alles« ging. Die Aufgabenstellung und damit die Einsatzgrundlage der Soldaten hat sich während des Einsatzes immens verändert (Vergleiche den ersten mit dem bisher letzten Bericht der Bundesregierung zur Lage in Somalia.). Insbesondere das händeringende Warten auf die indischen Soldaten machen dies deutlich. Daß die humanitäre Hilfe, die die Soldaten in Somalia geleistet haben, billiger und sinnvoller von Entwicklungshilfeorganisationen hätten vollbracht werden können, steht wohl heute außer Frage.

1. Kambodscha

Bundesministerium der Verteidigung: Sanitätsdienstliche Unterstützung der VN-Mission UNTAC durch die Bundeswehr

1. Internationale Rahmenbedingungen

1.1. Zielsetzung

„Die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Kambodscha UNTAC (UN Transitional Authority in Cambodia) ist die zahlenmäßig größte und umfassendste friedenserhaltende Mission in der Geschichte der VN. Der Gesamtumfang wird voraussichtlich 15.900 Soldaten, 3.600 Polizisten und 750 zivile Mitarbeiter umfassen. Dieses Personal wird durch ein international zusammengestelltes Sanitätsbataillon (Stärke ca. 550 Mann) und den Truppensanitätsdienst der einzelnen Nationen medizinisch versorgt werden.

Ziel der Mission ist die Hilfestellung bei der Befriedung des Landes sowie Vorbereitung und Durchführung freier Wahlen im Frühjahr 1993, aus denen eine neue kambodschanische Regierung hervorgehen soll.

Die Übergangsverwaltung besteht aus einem militärischen und zivilen Teil. Den VN soll die Leitung der Schlüsselministerien während der Übergangszeit übertragen werden. In allen Bereichen der zivilen und militärischen Verwaltung wird UNTAC umfangreiche Aufsichts-, Kontroll- und Eingriffsbefugnisse erhalten.

1.2. Aufgaben von UNTAC

Die wesentlichen Aufgaben von UNTAC sind:

  • Verifizieren des Abzuges aller fremden Truppen aus dem Lande,
  • Überwachen der Unterbrechung äußeren militärischen Beistandes gegenüber den ehemals verfeindeten Parteien in Kambodscha,
  • Aufspüren von Waffenverstecken und Beschlagnahme der Waffen,
  • Hilfe beim Minenräumen und bei der Unterrichtung der Bevölkerung über Vorsichtsmaßnahmen gegenüber Minen,
  • Überwachen der Zusammenfassung der ehemals verfeindeten Gruppierungen in räumlich getrennten Stationierungsbereichen,
  • Überwachen der Entwaffnung und der Demobilisierung der bewaffneten Gruppierungen,
  • Hilfe bei der Repatriierung der Flüchtlinge, insbesondere durch Räumen der Repatriierungsstraßen von Minen.

(…)

2. Beteiligung der Bundeswehr

2.1. Frühere Leistungen der Bundesregierung für die VN

Die jetzt zugesagte Unterstützung setzt frühere Leistungen für die Vereinten Nationen fort:

  • UNEF, United Nations Emergency Force (1973): Nahost (Transportleistungen der Bundeswehr),
  • UNIFIL, United Nations Interim Force in Libanon (1978): Libanon (vorwiegend Transportleistungen der Bw),
  • UNTAG, United Nations Transition Assistance Group in Namibia (1988); Namibia (Wahlhilfe, Bundesgrenzschutz, Transportleistungen der Bw),
  • UNOCA, United Nations Observer Group in Central America (1989-1991): Mittelamerika (Medizinisches Personal, Lufttransport),

MINURSO, Mission des Nations Unies pour le Réferendum au Sahara Occidental (seit 1991): Westsahara (Bundesgrenzschutz),

UNSCOM, United Nations Special Commission for the Disarmement of Iraq (seit 1991): Irak (Bundeswehr: Spezialisten für Verifikation und Abrüstung sowie Transportunterstützung).

2.2. UNAMIC

Die Bundeswehr war seit Beginn der Mission UNAMIC im November 1991 mit einer kleinen Gruppe von Sanitätspersonal in Kambodscha vertreten. Dem deutschen Team gehörten zunächst 6 Sanitätssoldaten (3 SanOffz, 3 SanUffz) an, zu denen Mitte Februar 1992 weitere 9 Sanitätssoldaten (3 SanOffz, 4 SanUffz, 2 Mannsch.) hinzukamen. Zuletzt befanden sich in Kambodscha bis zum Eintreffen des UNTAC-Kontingentes 12 Sanitätssoldaten der Bundeswehr.

2.3. UNTAC

Die Bundesregierung hat am 08.04.1992 beschlossen, der Bitte des Generalsekretärs der VN zu entsprechen und Ärzte und Pfleger der Bundeswehr zur Unterstützung der Übergangsverwaltung der VN (UNTAC) zu entsenden.

In Abstimmung mit den VN werden in der Hauptstadt Phnom Penh ca. 140 Sanitätssoldaten ein zentrales Militärkrankenhaus unter der Bezeichnung »Deutsches Hospital Phnom Penh« mit 60 Betten (Behandlungsebene 3) einrichten und betreiben, in dem die zivilen und militärischen Angehörigen der UNTAC-Mission allgemeinärztliche sowie ambulante und stationäre fachärztliche Behandlung erfahren. Die Verlegung wird nach Maßgabe der VN ab dem 22. Mai 1992 auf dem Luftwege stattfinden.

Neben Deutschland richtet Indien 3 medizinische Zentren mit jeweils 20 Betten (Behandlungsebene 2) in Provinzhauptstädten ein. Außerdem verfügt jedes im Rahmen der UNO eingesetzte ausländische Bataillon über eigenes Sanitätspersonal.

Die Gesamtleitung der medizinischen Versorgung UNTAC wird von einem deutschen Sanitätsstabsoffizier wahrgenommen werden.

3. Rahmenbedingungen für den deutschen UNTAC-Beitrag

3.1. Verfassungsrechtslage

Die deutsche Bereitschaft, auf Bitte des VN-Generalsekretärs zur Unterstützung von UNTAC Sanitätspersonal der Bundeswehr nach Kambodscha zu entsenden, entspricht nach Auffassung der Bundesregierung der größeren internationalen Verantwortung des vereinten Deutschlands. Die Verwendung deutscher Soldaten zur sanitätsdienstlichen Unterstützung der VN in Kambodscha ist verfassungskonform. Die Bundesregierung konnte daher am 08.04.1992 im Einklang mit dem Grundgesetz beschließen, daß sich deutsche Soldaten an humanitären Aufgaben der VN in Kambodscha beteiligen.

Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die Untersuchung einer Friedensmission der VN durch Angehörige des Sanitätsdienstes deutscher Streitkräfte ist Art. 87a Abs. 2 GG. Hiernach dürfen die Streitkräfte außer zur Verteidigung eingestezt werden, soweit dieses das Grundgesetz ausdrücklich zuläßt. Die verfassungsrechtliche Beurteilung hängt damit entscheidend davon ab, mit welchem Bedeutungsinhalt der Begriff des Einsatzes im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG zu interpretieren ist. Dem Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG unterliegen nur solche Verwendungen der Streitkräfte, die Einsatzqualität haben, mit anderen Worten: alle Verwendungen der Streitkräfte, die kein Einsatz sind, unterliegen – vom Verbot des Angriffskrieges nach Art. 26 GG abgesehen – keinen verfassungsrechtlichen Schranken.

Der Begriff des Einsatzes bezieht sich herkömmlich auf alle Verwendungen der Bundeswehr als Mittel der vollziehenden Gewalt, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Streitkräfte als Waffenträger eingesetzt werden oder nicht.

Dementsprechend fallen unter den Einsatzbegriff nicht rein technisch/logistische Verwendungen der Bundeswehr im In- und Ausland, z.B. Transporte von Lebens- und Arzneimitteln in Erdbebengebiete; auch Verwendungen zu humanitären Zwecken oder Transportaufgaben der Bundeswehr für VN-Friedenstruppen sind nie unter verfassungsrechtlichen Einsatzgrundsätzen behandelt worden. Dies gilt für alle umfassenden humanitären Hilfen, die die Bundeswehr in den vergangenen Jahrzehnten geleistet hat.

Die Verwendung deutscher Soldaten zur sanitätsdienstlichen Unterstützung der VN in Kambodscha entspricht dem humanitären Verwendungsmuster. Sie ist kein Einsatz i.S. des Art. 87a Abs. 2 GG.

Abgesehen von der fehlenden Qualität des Vollzugs staatlicher Gewalt hat die Hilfe der Bundeswehr bei der Friedensaktion der VN ausschließlich unterstützende Funktion. Auch insoweit unterscheidet sich die Verwendung deutscher Sanitätssoldaten zur sanitätsdienstlichen Unterstützung der VN qualitativ von einem Einsatz von Soldaten bei einer VN-Friedenstruppe (»Blauhelme«).

Die Soldaten der Bundeswehr haben als Sanitätspersonal keinen eigentlichen militärischen Einsatzauftrag zu erfüllen. Ein Einsatz von Friedenstruppen hätte eine Qualität einer echten militärischen Operation zu erfüllen. So haben VN-Friedenstruppen z.B. im Sinne einer Pufferwirkung, die den Friedenstruppen der VN zugedacht ist, zu wirken. Eine solche Aufgabe kann nur dann erfüllt werden, wenn die betroffenen Einheiten auch tatsächlich in der Lage wären, eine für sie vorgesehene Zwischenzone auszufüllen. Im Unterschied zu Sanitätspersonal wären außerdem die Angehörigen einer VN-Friedenstruppe dazu vorgesehen, durch die Entwicklung militärischer Präsenz Wirkung gegen die Aufnahme von Feindseligkeiten zu entfalten. Das ist bei der humanitären Verwendung deutscher Sanitätssoldaten in Kambodscha im Rahmen ihrer VN-Unterstützung ebenfalls nicht der Fall.

Schließlich ist auch unter dem Aspekt des humanitären Völkerrechts die Aufgabe des Sanitätspersonals der Bundeswehr in Kambodscha nicht als eine Verteidigungsaufgabe im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG zu bewerten. In Kambodscha besteht kein bewaffneter Konflikt internationalen Charakters, der den Sanitätssoldaten den ihnen in einem solchen Falle zukommenden Status als Repräsentanten einer Konflitkpartei geben würde. Zwar sind innere Unruhen nicht auszuschließen; die auch für diese Fälle anwendbaren humanitären Schutznormen lassen aber keineswegs die Schlußfolgerung zu, daß diese humanitäre Hilfeleistung als eine Verteidigungsmaßnahme im Sinne der Charta der Vereinten Nationen oder des Grundgesetzes einzuordnen wäre.

Im Ergebnis läßt sich deshalb festhalten, daß wegen der Qualität als humanitäre Hilfe im Sinne der Praxis der Bundesregierung, wegen des Fehlens der Ausübung vollziehender Gewalt und wegen der lediglich unterstützenden Funktion die Verwendung des Sanitätspersonals der Bundeswehr in Kambodscha als verfassungsrechtlich bedenkenfrei zu bewerten ist.

3.2. Einordnung in den VN-Auftrag, Unterstellung und Status

Der deutsche militärische Sanitätsbeitrag für UNTAC stellt nach seinem Umfang eine neue Qualität der VN-Unterstützung dar. Mit den für humanitäre Ziele eingesetzten Kräften vor Ort bei einer Friedensmission nimmt Deutschland zum ersten Mal aktiv und direkt an einer derartrigen Mission teil.

Die damit gebenene neue politische Qualität trägt zur Klarstellung des Verhältnisses zwischen Deutschland und den VN bei.

Festzuhalten ist:

Die deutschen Soldaten bleiben in jeder Hinsicht ihren deutschen Vorgesetzten unterstellt; nur diese sind befugt, ihnen Befehle zu geben, die mit dem Anspruch auf Gehorsam befolgt werden müssen und im Weigerungsfall z.B. wehrstrafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Vorgesetzte der VN hat den deutschen Soldaten gegenüber keine formelle Befehlsbefugnis (diese setzte eine Übertragung von Hoheitsrechten, nämlich der Befehls- und Kommandogewalt, durch Gesetz auf die VN voraus, die die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht vorgenommen hat (Art. 24 Abs. 1 GG)).

Im Hinblick auf Ziff. 9 der »UN Guidelines for Governments Contributing Troops to UNTAC« (Command) werden die zur Unterstützung entsandten deutschen Soldaten mit Eintreffen in Kambodscha auf Zusammenarbeit mit der Kommandostruktur UNTAC angewiesen (obligatory cooperation): sie verbleiben aber unter deutschem militärischem Kommando.

Die Bundesregierung geht davon aus, daß das deutsche Kontingent im Einklang mit den erwähnten »Guidelines« als Teil von UNTAC betrachtet wird und entsprechend auch selbst den vollen Schutz, wie ihn die VN in Kambodscha bereitstellen und gewährleisten, genießt.

(…)

3.4 Tragen von Waffen

Die Erlaubnis zum Tragen von Waffen im Rahmen von UNTAC ergibt sich aus Ziff. 12 der UNTAC-Guidelines sowie aus dem Recht des »Special Representative« der VN in Kambodscha, für bestimmte Mitglieder von UNTAC das Tragen von Waffen im Dienst anzuordnen (SOFA Art. VI, Nr. 34a).

Auch deutsche Soldaten dürfen im Rahmen dieser Regelungen in Kambodscha zu ihrer Selbstverteidigung eine Waffe tragen. Die Fürsorge- und Schutzpflicht fordern vom Dienstherrn im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses, daß er Schutzmaßnahmen ergreift, die Soldaten – soweit wie möglich und mit dem dienstlichen Auftrag vereinbar – insbesondere vor Gefahren für Leib und Leben bewahren, die mit der Dienstleistung verbunden sind.

Der Dienstherr hat sicherzustellen, daß Soldaten, die im Hinblick auf ihr pflichtgemäßes dienstliches Verhalten oder wegen ihrer Soldateneigenschaft voraussehbaren rechtswidrigen Angriffen ausgesetzt sind, mit geeigneten Verteidigungsmitteln ausgestattet werden. Dazu gehört die Pistole als Selbstverteidigungsmittel für den Sanitätssoldaten und die ihm anvertrauten Patienten.

(…)

6. Personal

6.1. Personalauswahl

Zentrale Erfassungsstelle aller Freiwilligenmeldungen ist das Sanitätsamt der Bundeswehr. Ausdrücklich wurden in den Aufruf zur freiwilligen Teilnahme auch die Reservisten einbezogen. Ebenso können zivile Mitarbeiter der Bundeswehr, z.B. Krankenschwestern, Schreibkräfte, Verwaltungsbeamte, an dem Einsatz teilnehmen.

6.2. Freiwilligenaufkommen

Seit dem 15.04.1992 wird eine gezielte Freiwilligenwerbung durchgeführt. Insgesamt ist das Aufkommen für die Besetzung des ersten Kontingents ausreichend. Der sich von Anfang an abzeichnende Mangel an Fachärzten konnte inzwischen zumindest für den Ersteinsatz weitgehend behoben werden; z.Zt. fehlen lediglich noch je ein Facharzt für Augenheilkunde, Gynäkologie und Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde.

Durch die Besetzung eines Teils der Facharztstellen mit Ärzten in der Weiterbildung ist die Arbeitsfähigkeit des Deutschen Hospitals für die ersten 6 Monate sichergestellt. Fachärzte sind offensichtlich wenig bereit, zu den aktuellen Bedingungen an dem Vorhaben in Kambodscha teilzunehmen. Es muß geprüft werden, ob ggf. die Rahmenbedingungen für diesen Personenkreis verbessert werden können, z.B. durch die Gewährung besonderer Zulagen oder Verminderung der Verweildauer.

(…)

6.5. Ausbildung

Auf einem Einweisungslehrgang wurden die Soldaten mit den geographischen, geschichtlichen, politischen und kulturellen Gegebenheiten des Landes vertraut gemacht. Sie wurden über Struktur und Aufgaben der Vereinten Nationen und der Mission UNTAC im besonderen unterrichtet. Sie lernten, die Gefährdung durch Minen und andere gesundheitliche Risiken zu vermeiden und wurden in ihren speziellen sanitätsdienstlichen Auftrag und den Umgang mit dem Material eingewiesen. Dort fanden auch die Ausstattung mit zusätzlichen Uniformteilen und die Abwicklung administrativer Maßnahmen statt.

(…)

8. Kosten

8.1. VN-Leistungen

Die Transporte von Material und Personal, Materialersatz und Abnutzung, Unterbringung und Verpflegung, handwerkliche oder andere Dienstleistungen vor Ort, Postverkehr, medizinische Versorgung usw. werden entweder von den VN unmittelbar geleistet oder kostenmäßig rückerstattet. Die Vereinten Nationen übernehmen die Reisekosten bezogen auf eine Standzeit von je 6 Monaten sowie die Kosten für den Gepäcktransport zunächst von bis zu 100 kg, bei dem später zu entsendenden Rotationspersonal von 45 kg pro Person.

Ferner erhält das entsandte Personal individuelle Tagegelder in Höhe des für die Region und Funktion geltenden Satzes der VN. In Kambodscha liegt dieser Satz bei 1,28 US-$. Als Ausgleich für die weiterzuzahlenden Gehälter bekommen die Nationen einen Ausgleich von 988 US-$ pro Mann und Monat erstattet.

8.2. Leistungen des Bundes

Im Sinne der Fürsorge und zur Garantie eines ausreichend hohen Freiwilligenaufkommens ergeben sich für den Bund bei einem Umfang von 150 Soldaten pro Jahr voraussichtlich folgende Kosten:

7,5 Mio DM für Material

1,2 Mio DM Reisekosten für vorzeitig notwendig werdenden Personalaustausch

8,1 Mio DM an Abfindung für Aufwandsentschädigung von 100 DM pro Mann und Tag + reisekostenrechtlicher Aufwandsvergütung von 13,15 DM täglich + Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten von durchschnittlich ca. 440 DM je Monat + finanzieller Dienstzeitausgleich (nur BS/SaZ) für mehrgeleisteten Dienst von durchschnittlich 750 DM je Monat

1 Mio DM an Fürsorge- und Betreuungskosten

2 Mio DM für Fernmeldebetrieb

1,5 Mio DM für Vertragsärzte als Ersatz für die aus der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung abgezogenen SanOffz.

Dem stehen gegenüber an Einnahmen:

2 Mio DM an Rückvergütung der VN für Personal

2 Mio DM an Rückvergütung der VN für Material

1 Mio DM Kostenerstattung für Vertragsärzte. Jahres-Kostenbilanz bei einem Umfang von 150 Soldaten:

Ausgaben: 21,3 Mio DM

Einnahmen: 6,0 Mio DM

Saldo: 15,3 Mio DM

8.3. Haushaltstechnische Regelungen

8.3.1. Haushaltstechnische Abwicklung

Für die Vorbereitung der Hilfsmission, insbesondere für erforderliche Sofortbeschaffungen, wurden sog. Vorschußkonten eingerichtet, durch die eine Vorfinanzierung der erforderlichen Mittel durchgeführt wird. Bei Erstattungsleistungen durch das AA werden die Belastungen auf den Vorschußkonten ausgeglichen.

Ein Ausgleich von hierüber hinausgehenden, d.h. von Erstattungen des AA nicht gedeckten Belastungen, bedarf eines im EPl 05 neu einzufügenden Titels, zu dessen Bewirtschaftung BMVg ermächtigt wird. Die hierfür erforderlichen Maßnahmen werden z.Zt. auf der Grundlage der HHO und ggf. im Wege eines Antrages auf überplanmäßige Haushaltsmittel (ÜPl-Antrag) mit BMF und AA erörtert.

(…)

10.2. Seelsorge

Das deutsche Kontingent wird zeitweilig von deutschen Militärgeistlichen beider Konfessionen betreut werden. Durch christliche Veranstaltungen gemeinsam mit anderen Nationen wird die Kontinuität der seelsorgerischen Betreuung angestrebt.

(…)“

2. Ehemaliges Jugoslawien

Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 8. April 1993 zur Beteiligung von Bundeswehrsoldaten am AWACS-Einsatz über Bosnien-Herzegowina (Auszug)

A.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren betreffen den Beschluß der Bundesregierung über die Beteiligung deutscher Soldaten an der Durchsetzung des von den Vereinten Nationen verhängten Flugverbotes im Luftraum über Bosnien-Herzegowina.

I.

1. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängte mit der Resolution 781 vom 9. Oktober 1992 ein Flugverbot für Militärflugzeuge im Luftraum über Bosnien-Herzegowina und ersuchte die Schutztruppe der Vereinten Nationen (UNPROFOR), es zu überwachen. Die Mitglieder der Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) übernahmen diese Aufgabe und setzten dazu AWACS (Airborne Warning and Control System – luftgestütztes Frühwarn- und Kontrollsystem)-Fernaufklärer ein, in denen Soldaten verschiedener NATO-Mitgliedsländer als integrierte Einheit tätig sind. Mit diesen Flugzeugen werden Flugbewegungen aus großer Höhe erfaßt; sie können zugleich als Feuerleitstand für den Einsatz von Jagdflugzeugen gegen gegnerische Flugzeuge dienen. Etwa ein Drittel des militärischen Personals des AWACS-Verbandes sind Soldaten der Bundeswehr in verschiedenen Funktionen.

Am 31. März 1993 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 816, deren hier maßgebliche Bestimmungen in Nrn. 1 und 4 lauten:

„Der Sicherheitsrat … in Ausführung des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen …

1. beschließt, das durch die Resolution 781 (1992) erlassene Verbot auf alle Flüge mit Starrflügel oder Drehflügelluftfahrzeugen im Luftraum der Republik Bosnien und Herzegowina auszudehnen, wobei dieses Verbot nicht für von UNPROFOR nach Absatz 2 genehmigte Flüge gilt;

2. …

3. …

4. ermächtigt die Mitgliedstaaten, sieben Tage nach der Verabschiedung dieser Resolution im Auftrag des Sicherheitsrats sowie unter der Voraussetzung, daß sie eng mit dem Generalsekretär und UNPROFOR zusammenarbeiten, einzeln oder durch regionale Organisationen oder Abmachungen im Falle weiterer Verstöße alle notwendigen Maßnahmen im Luftraum der Republik Bosnien und Herzegowina zu ergreifen, um die Einhaltung des in Absatz 1 genannten Flugverbotes unter angemessener Berücksichtigung der jeweiligen Umstände sowie der Art der Flüge sicherzustellen; …

Am 2. April 1993 traf die Bundesregierung gegen die Stimmen der F.D.P.-Minister folgende Entscheidung:

4. Sie (die Bundesregierung) ist einverstanden, daß der NATO-AWACS-Verband nunmehr in Übereinstimmung mit Sicherheitsratsresolution 816 vom 31.03.1993 auch unter deutscher Beteiligung daran mitwirkt, dieses Flugverbot durchzusetzen.“

Der NATO-Rat erklärte mit Beschluß vom 2. April 1993 seine Bereitschaft, die Umsetzung der vom Sicherheitsrat beschlossenen Resolution 816 zu unterstützen. Er bestätigte darüber hinaus seine Zustimmung zu den einzelnen Durchsetzungsphasen, den Einsatzrichtlinien sowie den sonstigen Planungen.

2. Die Verfassungsmäßigkeit des Beschlusses der Bundesregierung ist zwischen den Mitgliedern, die den Unionsparteien angehören, und denen, die F.D.P.-Mitglieder sind, sowie zwischen den Koalitionsparteien umstritten. Man kam überein, daß die Bundesregierung mit der Mehrheit ihrer Mitglieder den Beschluß fassen könne, die F.D.P.-Fraktion hiergegen aber einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht stellen werde mit dem Ziel, die Verfassungswidrigkeit dieses Beschlusses feststellen zu lassen; mit diesem Antrag sollte ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung verbunden werden, um den Vollzug der Regierungsentscheidung zu hindern. Solche Anträge haben die Antragsteller im Verfahren 2 BvE 5/93 gestellt.

3. Die Bundestagsfraktion der SPD hält den Beschluß der Bundesregierung ebenfalls für verfassungswidrig und beantragt den Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

II.

1. Die Antragsteller vertreten die Auffassung, die Entscheidung der Bundesregierung verletze die Rechte des Bundestages; die Fraktionen seien befugt, diese Rechte im Wege der Prozeßstandschaft geltend zu machen. Die Abgeordneten der F.D.P.-Fraktion seien darüberhinaus in eigenen parlamentarischen Mitwirkungsrechten verletzt.

Der Kampfeinsatz von Bundeswehrsoldaten außerhalb des NATO-Bündnisgebietes ohne Eintritt des Bündnisfalles sei weder durch Art. 87 a Abs. 2 GG noch durch Art. 24 Abs. 2 GG gedeckt. Hierfür hätte es einer Änderung des Grundgesetzes bedurft. Art. 87 a Abs. 2 GG statuiete im Erfordernis eines „ausdrücklichen“ Zulassens des Streitkräfteeinsatzes einen spezifischen Übergehungsschutz zugunsten des verfassungsändernden Gesetzgebers. Die SPD-Fraktion macht darüber hinaus geltend, daß die Bundesregierung durch den angegriffenen Beschluß an einem inhaltlichen Wandel der NATO- und WEU-Verträge mitwirke und dadurch Rechte des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 GG verletze. Außerdem fehle die gesetzliche Grundlage, um deutsche Soldaten dem Kommando des NATO-Oberbefehlshabers Europa zu unterstellen.

2. Der Erlaß der einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile zum gemeinen Wohl dringend geboten. Leben und Gesundheit deutscher Soldaten würden gefährdet, ohne daß dies parlamentarisch entschieden und verantwortet worden sei. Die militärische Durchsetzung des Flugverbotes stelle eine bewaffnete kriegerische Konfrontation dar. Dies könne den Soldaten der Bundeswehr und ihren Angehörigen nur auf der Grundlage einer gesicherten Rechtslage zugemutet werden.

Sollte die einstweilige Anordnung nicht ergehen und kämen deshalb Soldaten zu Schaden, werde die angegriffene Maßnahme später jedoch im Hauptsacheverfahren für verfassungswidrig erklärt, so wäre dies für „die soziologische Verfassung des deutschen Staates, das Integrationsgefühl der Bürger und die Rechtfertigungsnachfrage der Betroffenen geradezu verheerend“.

Die SPD-Fraktion macht geltend, die Bundesrepublik schaffe durch die Beteiligung an der Militäraktion einen für sie völkerrechtlich verbindlichen Vertrauenstatbestand und enge faktisch den Spielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers ein. Allein deshalb sei die Beteiligung des Parlamentes nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderlich. Der Entscheidung der Bundesregierung liege eine neue Verfassungsauslegung zugrunde; sollte diese keinen Bestand haben, so beeinträchtige der neuerliche Wechsel das Vertrauen der Soldaten und der Verbündeten in die Verläßlichkeit und Berechenbarkeit der Bundesrepublik.

Das AWACS-System bleibe auch ohne deutsche Beteiligung funktionsfähig. Der wesentliche Schaden einer einstweiligen Anordnung könne nur auf politischem Gebiet liegen; sie beende jedoch den politischen Begründungsnotstand für die deutsche Zurückhaltung bei der Beteiligung an internationalen militärischen Maßnahmen zur Friedenssicherung überzeugend und belege die Kraft des deutschen Rechtsstaates.

Die verfassungsrechtlichen Beschränkungen des Einsatzes der Bundeswehr seien im Ausland bekannt. Es werde nicht erwartet, daß die Bundesrepublik sich über ihre Verfassung hinwegsetze. Umgekehrt könnte eine Änderung der Praxis ohne Änderung der Verfassung oder ohne eine verfassungsgerichtliche Klarstellung den Eindruck erwecken, die bisher vorgebrachten Bedenken seien nicht gewichtig, ja sogar nur vorgeschoben gewesen. Da zur Beteiligung an den militärischen Maßnahmen aufgrund der Sicherheitsratsresolution weder aufgrund der VN-Charta noch des NATO-Vertrages eine Verpflichtung bestehe, könne der Bundesrepublik nicht die Nichterfüllung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen vorgehalten werden.

III.

Die Antragsgegner halten die Anträge für unzulässig, jedenfalls für unbegründet.

1. Den Fraktionen fehle die Antragsbefugnis, weil zwischen ihnen und der Bundesregierung nicht das erforderliche verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis bestehe. Art. 87 a Abs. 2 GG sei nicht dazu bestimmt, Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung zu gewährleisten.

2. a) Die Zulässigkeit von Kampfeinsätzen von Soldaten der Bundeswehr im Rahmen der NATO zur Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen, die vom VN-Sicherheitsrat verhängt worden sind, ergebe sich aus Art. 24 Abs. 2 GG. Art. 87 a Abs. 2 GG stehe dem nicht entgegen. Dieser Einsatz der Streitkräfte verlange keine Mitwirkung des Parlaments.

b) Der Verbleib der deutschen Soldaten an Bord der AWACS-Flugzeuge führe zu keiner in die Zukunft wirkenden allgemeinen völkerrechtlichen Bindung der Bundesrepublik. Die Bundesregierung könne völkerrechtlich ihre Haltung in den NATO-Gremien und gegenüber den Vereinten Nationen ändern und die deutschen Soldaten aus dem AWACS-Verband zurückziehen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber werde deshalb nicht vor vollendete Tatsachen gestellt.

Die Gefahren für die deutschen Soldaten in den AWACS-Flugzeugen seien nicht größer als bei den seit Monaten laufenden Überwachungsflügen und geringer als bei den humanitären Hilfsflügen. Die behaupteten konkreten Gefährdungen seien wegen der Einsatzbedingungen nicht gegeben.

Erginge die einstweilige Anordnung, bliebe der Organstreit in der Hauptsache aber erfolglos, so ergäben sich schwerwiegende Nachteile für die Bundesrepublik. Ohne deutsche Beteiligung sei die Einsatzfähigkeit des AWACS-Verbandes in Frage gestellt, jedenfalls aber nachhaltig eingeschränkt. Das von den Vereinten Nationen verhängte Flugverbot sei zeitlich und räumlich nur noch lückenhaft durchzusetzen.

Bündnispolitisch würde der Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu einem Vertrauensverlust bei den NATO-Partnern führen, der letztlich die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands mindere. Das Zurückziehen deutscher Kräfte aus einem integrierten Verband komme einer Aufkündigung der Bündnissolidarität gleich. Die Bundesrepublik habe die Solidarität ihrer Partner immer wieder eingefordert. Bei einem Abzug des deutschen Personals aus dem AWACS-Verband würde gerade in dem Augenblick das die NATO-Allianz ausmachende Prinzip der Gegenseitigkeit unterlaufen, in dem die Partnerstaaten Solidarität erwarteten. Zugleich werde die Entwicklung von Strategie und Organisation der NATO, die sich in Richtung auf multinationale Verbände bewege, empfindlich gestört.

IV.

In der mündlichen Verhandlung haben sich Mitglieder des Bundestages und der Bundesregierung sowie Generale der Bundeswehr geäußert. Der Generalsekretär der NATO hat zu bündnispolitischen Fragen Stellung genommen.

B.

Eine einstweilige Anordnung kann nicht ergehen.

1. Nach S 32 Abs. 1 BVerfG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen betroffen ist (vgl. auch BVerfGE 83, 162, 171 f.).

Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Das Bundesverfassungsgericht wägt die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Maßnahme aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen diejenigen ab, die entstünden, wenn die Maßnahme nicht in Kraft träte, sie sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese (vgl. BVerfGE 86, 390, 395; st. Rspr.)

(…)

3. a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich aber der Einsatz deutscher Soldaten später verfassungsrechtlich als zulässig, drohen der Bundesrepublik Deutschland schwere Nachteile.

Die Bundesrepublik Deutschland unterhält und betreibt von Anfang an zusammen mit elf anderen, der NATO angehörenden Nationen den NATO-Frühwarnverband (AWACS-Verband) als voll integrierten Verband des Bündnisses. Sein allgemeiner Auftrag besteht darin, im Rahmen der integrierten NATO-Luftverteidigung Frühwarnung zu betreiben und die Luftlageerstellung zu unterstützen. Der deutsche Anteil am militärischen Personal beträgt über 30 %; die Flugsicherung wird ausschließlich von Deutschen gewährleistet. Die mündliche Verhandlung hat ergeben, daß dem Einsatz gerade dieses Verbandes für die Durchsetzung des Flugverbots eine Schlüsselrolle zukommt. Wenn die gefestigte, auf eingehender Schulung beruhende Zusammenarbeit bei den Einsätzen des AWACS-Verbandes aufgrund vorangegangener Resolutionen des VN-Sicherheitsrates gerade in dem Zeitpunkt abgebrochen würde, in dem nach Auffassung der Bündnispartner ein besonders gewichtiger Einsatz ansteht, so müßte dies nach Einschätzung der Bundesregierung, aber auch des Generalsekretärs der NATO, von den Bündnispartnern – ungeachtet etwaiger Möglichkeiten, das Ausscheiden deutscher Soldaten auszugleichen – als eine empfindliche Störung der von der Völkerrechtsgemeinschaft autorisierten und von der NATO unterstützten Maßnahme empfunden werden.

Die mündliche Verhandlung hat zudem ergeben, daß bei einem Abzug der deutschen Soldaten aus dem AWACS-Verband dessen Einsatzfähigkeit erheblich beeinträchtigt, die Durchsetzung des Flugverbots mithin gefährdet wäre. Die auf Zusammenarbeit der jeweils 17 – 18 Besatzungsmitglieder unterschiedlicher Nationen beruhende Einsatzfähigkeit des Verbandes würde nach Auskunft des Kommandeurs der Einheit, Brigadegeneral Ehmann, bei Herausnahme der deutschen Besatzungen selbst unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten nach 14 Tagen – gemessen am Einsatzauftrag – entscheidend geschwächt. Die mit der Resolution 816 des Sicherheitsrats beabsichtigte politische Signalwirkung würde so verfehlt. Das Bundesverfassungsgericht hat keine Anhaltspunkte, die zu der Annahme zwingen, daß diese Einschätzungen fehlerhaft sein könnten.

Führt das Verfahren in der Hauptsache zu einer abschließenden Klärung dahin, daß die Verfassung die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Maßnahme nicht erlaubt, so muß das Bündnis das Ausscheiden deutscher Soldaten hinnehmen, selbst wenn dadurch die Einsatzfähigkeit des integrierten NATO-Verbandes empfindlich geschwächt würde und nur noch eine lückenhafte Durchsetzung des Flugverbotes möglich wäre. Es handelte sich dann um die Klärung der verfassungsrechtlichen Grundlage eines Mitgliedstaates für den Einsatz seiner Streitkräfte, wie sie auch nach Art. 11 des NATO-Vertrages jedem Bündnispartner vorbehalten ist. Solange indes die Verfassungsrechtsfrage noch offen ist, läge ein schwerer Nachteil vor, wenn die Bundesregierung entgegen ihrer Rechtsauffassung und politischen Einschätzung die deutschen Soldaten aus dem Verband abziehen müßte, sich später aber erwiese, daß die Verfassung die Mitwirkung deutscher Streitkräfte zuläßt. Dadurch würde das Vertrauen, das sich die Bundesrepublik Deutschland innerhalb des Bündnisses durch ihre bisherige stetige Mitwirkung in dem AWACS-Verband erworben hat, aufs Spiel gesetzt.

Die Haltung der Bundesregierung zum AWACS-Einsatz beruht maßgeblich auf der Tatsache, daß der Sicherheitsrat in seiner Resolution 816 diese Maßnahme im Rahmen des Friedensauftrages nach Kapitel VII VN-Charta autorisiert hat und erwartet, daß die in ihr angesprochenen Mitgliedstaaten einzeln oder durch regionale Organisationen sich daran beteiligen. Diese Erwartung wurde in der mündlichen Verhandlung sowohl vom Bundesminister des Auswärtigen wie vom Bundesminister der Verteidigung bestätigt; ihre Grundlage ist die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen und in der NATO. Unbeschadet der in der Vergangenheit und gegenwärtig geäußerten verfassungsrechtlichen Vorbehalte hat die Bundesrepublik Deutschland gerade in jüngster Zeit in einer Reihe von internationalen Dokumenten ihre Bereitschaft bekundet, im Rahmen der verschiedenen Bündnissysteme friedenserhaltende und friedensherstellende Operationen unter der Autorität des VN-Sicherheitsrats zu unterstützen (vgl. etwa das neue Strategische Konzept des Bündnisses, veröffentlicht auf der Tagung der Staats- und Regierungschefs des Nordatlantikrates am 7. und 8. November 1991 in Rom, Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 128 vom 13. November 1991, S. 1039 – 1045 unter Nr. 42; die sogenannte Petersberg-Erklärung der Westeuropäischen Union vom 19. Juni 1992, Bulletin Nr. 68 vom 23. Juni 1992, S. 649, unter I. 2., II. 4.; Kommunique der Ministertagung des Nordatlantikrates vom 17. Dezember 1992 in Brüssel, Bulletin Nr. 141 vom 29. Dezember 1992, S. 1305 – 1309 unter Nr. 6 – 8.

Erginge die einstweilige Anordnung, müßte die Bundesrepublik Deutschland, indem sie ihre Mitwirkung an dem integrierten multinationalen Verband im Rahmen einer völkerrechtlich vereinbarten Friedenssicherungsaufgabe im Augenblick der Aktion abbricht, die durch ihr bisheriges Verhalten begründete Erwartung enttäuschen. Angesichts der Unaufschiebbarkeit der Maßnahme könnte sie den ihr obliegenden Beitrag zur Friedenssicherung gerade jetzt nicht leisten, wo er gefordert ist. Ein Vertrauensverlust bei den Bündnispartnern und allen europäischen Nachbarn wäre unvermeidlich, der dadurch entstehende Schaden nicht wiedergutzumachen.

b) Demgegenüber wiegen die Nachteile weniger schwer, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, die Mitwirkung deutscher Soldaten sich später aber als unzulässig erweist.

Durch eine Mitwirkung deutscher Soldaten in dem AWACS-Verband – sie allein ist Gegenstand dieses Urteils – wird kein völkerrechtlich erheblicher Vertrauenstatbestand begründet. Eine solche Mitwirkung kann auf der Grundlage des anhängigen Verfahrens und des vorliegenden Urteils nur als vorläufige, in ihrer Fortsetzung vom Ausgang der Hauptsacheverfahren abhängige Zusammenarbeit gedeutet werden, zumal wenn die Bundesregierung dies den beteiligten auswärtigen Staaten notifizieren wird.

Ein wesentlicher Schaden erwächst dem Gemeinwohl auch nicht aus der Situation der zum Einsatz kommenden deutschen Soldaten. Nach der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Einschätzung des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Naumann, und des Kommandeurs des AWACS-Verbandes, Brigadegeneral Ehmann, besteht für die Soldaten bei der gegebenen Einsatzplanung keine erhebliche militärische Gefährdungslage; deren Eintreten sei zudem militärpolitisch wenig wahrscheinlich.

Der Soldat trägt auch kein rechtliches Risiko, wenn sich später die Verfassungswidrigkeit des Einsatzes ergeben sollte. Die Tätigkeit des Verbandes hält sich im Rahmen des Beschlusses des Sicherheitsrates 816 vom 31. März 1993 und steht im Einklang mit der Zielsetzung der Charta der Vereinten Nationen, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu gewährleisten, unabhängig von der abschließenden Klärung der Frage, ob die Bundesregierung seinen Einsatz anordnen durfte. Die Verantwortung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Anordnung tragen nicht die an dem Einsatz beteiligten Soldaten sondern die Bundesregierung. Das Gesetz stellt die Soldaten von dieser Verantwortlichkeit frei (§ 11 Soldatengesetz).

Allerdings kann in einer Lage, in der Soldaten der Bundeswehr erstmalig zu einem Kampfeinsatz geschickt werden und dieser nicht der unmittelbaren Verteidigung gegen Angriffe auf die Bundesrepublik oder einen ihrer Bündnispartner dient, ein Nachteil für das gemeine Wohl daraus erwachsen, daß bei späterer Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Einsatzes das Vertrauen der Soldaten darauf enttäuscht wird, daß eine so weittragende Entscheidung auf einer gesicherten verfassungsrechtlichen Grundlage beruht. Dieser Nachteil tritt hier jedoch an Bedeutung zurück; die Bundeswehrführung wird darauf verweisen können, daß ihre Befehle auf einer verantwortlichen Beurteilung der komplexen Rechtslage durch die dafür zuständige, demokratisch legitimierte Bundesregierung beruhten.

Auch für die innerstaatliche Ordnung entsteht kein nicht wiedergutzumachender Nachteil. Vollendete Tatsachen werden nicht geschaffen. Erkennbar ist für die Bürger in Deutschland, daß über die Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Mitwirkung deutscher Soldaten bei der Durchsetzung der Sicherheitsratsresolution 816 vom 31. März 1993 derzeit noch nicht entschieden ist, die in der Hauptsache zu treffende Entscheidung aber sofort befolgt werden wird. Deshalb kann weder für das Rechtsbewußtsein in Deutschland noch für das Vertrauen in die verfassungsrechtliche Gebundenheit der Bundesrepublik. Deutschland ein Schaden entstehen. Eine wie immer geartete Präjudizierung künftiger Entscheidungen von Verfassungsorganen tritt nicht ein. Entgegen der seitens der Antragsteller geäußerten Auffassung könnte daher bei der Entscheidung über die Hauptsache das Argument nicht gehört werden, der Einsatz des AWACS-Verbandes unter Beteiligung deutscher Soldaten habe als Element der Staatspraxis Gewicht für die Auslegung des NATO-Vertrages.

Die Überzeugungskraft der Argumente, mit denen die Antragsteller ihre abweichende Gewichtung der bei Nichterlaß einer einstweiligen Anordnung befürchteten Nachteile begründen, leidet im übrigen daran, daß mit den Anträgen nur der Abzug des fliegenden Personals des AWACS-Verbandes begehrt wird, obwohl die vorgetragenen Bedenken abgesehen von der Frage nach einer potentiellen Gefährdung in gleicher Weise für das Bodenpersonal gelten, dessen Einsatz sie bis zur Entscheidung in der Hauptsache hinzunehmen bereit sind. (…)“

3. Somalia

a) Wochenbericht des Bundesministers der Verteidigung zum Bundeswehreinsatz in Somalia für das Parlament, Bonn, 9. Juli 1993, Fü S III, 5

I. Beteiligung der Bundeswehr im Rahmen der humanitären Gesamtzielsetzung von UNOSOM II

„Die Bundesregierung hat am 21.04.1993 entschieden, auf Grundlage der Resolution 814 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (VN) und der Anforderung des Generalsekretärs der VN vom 12.04.1993 die Operationen der VN in Somalia (UNOSOM II) durch Entsendung eines verstärkten Nachschub- und Transportbataillons der Bundeswehr zu unterstützen. Die VN haben die Bundesregierung am 11.05.1993 gebeten, den Unterstützungsverband auf der Grundlage des operativen Konzepts – zunächst in Zentralsomalia im Raum Belet Uen – einzusetzen. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 02.07.1993 dem Beschluß der Bundesregierung zugestimmt.

UNOSOM II ist eine integrierte, in allen ihren Bestandteilen humanitären Zielen verpflichtete Operation. Zurückgehend auf den Bericht des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat der VN im März diesen Jahres umfaßt sie politische, humanitäre und militärische Aufgaben.

Der deutsche Beitrag ordnet sich ein in die humanitären Anstrengungen von rund 30 Nationen. Bevor die VN Streitkräfte nach Somalia entsandten, waren „350.000 Somalier in einem blutigen Bürgerkrieg gestorben, der das Land in ein Leichtentuch aus Hungersnot und Krankheiten hüllte“ (Präsident Clinton am 12.06.1993).

Für alle größeren VN-Operationen sind komplexe, hochtechnisierte Logistiktruppen unabdingbare Voraussetzung für ihre Durchführbarkeit. Es ist für die VN vergleichsweise einfach, infanteristische Verbände von den Truppenstellern zu erhalten. Der Aufbau und effektive Betrieb einer Logistikorganisation kann erfahrungsgemäß nur von leistungsfähigen Industrienationen übernommen werden. Auch für UNOSOM II ist dies eine kritische Größe. Der deutsche Logistikverband ist deshalb in das komplexe Gefüge der Gesamtoperation UNOSOM II genau eingepaßt; er ist neben dem Logistikkontingent der USA der einzige vergleichbare Unterstützungsverband und trägt wesentlich dazu bei, daß die humanitären Anstrengungen der Vereinten Nationen Erfolge erzielen können.

Das Ziel UNOSOM II, der Wiederaufbau des Staates Somalia, fußt auf wirksamer humanitärer Nothilfe, Entwicklungshilfe als Hilfe zur Selbsthilfe und auf der Schaffung von Bedingungen zur Wiedererlangung der Fähigkeit zur Selbstverwaltung. Dies alles ist nur unter der Voraussetzung militärischer Absicherung möglich.

Die Soldaten des Vorkommandos leisten bereits jetzt unmittelbare humanitäre Hilfe. So versorgen sie die Bevölkerung teilweise mit Trinkwasser, halten Sprechstunden im Rahmen der medizinischen Versorgung für Somalis im Lager und im Krankenhaus Beletuen ab und stellen Unterkunftsgerät für die Schule zur Verfügung.

Nach Eintreffen des Hauptkontingents wird der Verband im Rahmen freier Kapazitäten an der vom Vorkommando begonnenen direkten humanitären Hilfe anknüpfen; es ist dann mit einer wesentlichen Steigerung des Umfangs dieser direkten Hilfe zu rechnen.

II. Durchführung des Auftrags

1. Operatives und Logistisches Konzept UNOSOM II

Die ersten Konsultationen mit den VN über die Beteiligung der Bundeswehr am Gesamtkonzept UNOSOM II sind erfolgt. Langfristiges Ziel der VN ist die Verwendung unseres Verbandes – ein verstärktes Nachschub- und Transportbataillon – im Norden Somalias. Neben unmittelbarer humanitärer Hilfe – im Rahmen freier Kapazitäten – soll von dort aus die logistische Unterstützung der im Norden und Nordosten stationierten UNOSOM II-Truppenkontingente geleistet werden. Bis zu diesem Zeitpunkt sieht das vorläufige operative Konzept die Konzentration aller Kräfte im bisherigen UNITAF-Gebiet, d.h. in Zentral- und Südsomalia vor. Hier besteht kurzfristig großer Bedarf für den Aufbau, die Unterstützung und die Sicherstellung einer Verteilerorganisation für Versorgungs- und Hilfsgüter. Wenn sich die UNOSOM II-Truppen in ihren Verantwortungsbereichen nach Übernahme von UNITAF konsolidiert haben, soll die phasenweise Ausdehnung in den Norden Somalias erfolgen. Der deutsche Unterstützungsverband soll dann den UNOSOM II-Truppen in befriedete Gebiete folgen und die Logistik beweglich sicherstellen.

Das deutsche Kontingent soll deshalb zunächst eine logistische Basis in Belet Uen einrichten und betreiben. Indische UNOSOM II-Kräfte in Brigadestärke (ca. 4000 Mann; C.T.), die zu Beginn im Raum um Belet Uen eingesetzt werden, sollen durch den deutschen Verband vornehmlich mit Mengenverbrauchsgütern (Wasser, Betriebsstoff, Verpflegung) versorgt werden. Bei Verlegung dieser Kräfte nach Norden ist die Versorgung unverändert sicherzustellen. Eine Verlegung des logistischen Verbandes nach Norden als Teil des logistischen Konzepts wird dann erforderlich werden.

Der Unterstützungsverband muß nach den Forderungen der VN autark operieren können und in der Lage sein, sich selbst zu sichern. Die Zuführung der Verbrauchsgüter (von Mogadischu nach Belet Uen) zum Deutschen Unterstützungsverband erfolgt ausschließlich in Verantwortung des US Logistics Support Command (LSC) und ist somit nicht Aufgabe des Verbandes.

(…)

3. Aufgaben des verstärkten deutschen Nachschub- und Transportbataillons

Die indischen UNOSOM II-Kräfte im Umfang von ca. 4.000 Mann sind mit Verbrauchsgütern – vornehmlich Mengenverbrauchsgüter (Wasser, Betriebsstoff, Verpflegung) – zu versorgen. Die Versorgung des deutschen Verbandes mit ca. 1.700 Mann ist darüber hinaus sicherzustellen.

Der Deutsche Unterstützungsverband muß im wesentlichen

a) täglich bis zu 450.000 Liter trinkfähiges Wasser produzieren und davon 320.000 Liter ständig kühl zwischenlagern;

b) ständig 500.000 Liter Brennstoff, 120.000 Verpflegungsrationen und die Verpflegung für den Eigenbedarf kühl lagern;

c) bis zu 600 Tonnen feste und flüssige Versorgungsgüter täglich transportieren;

d) Versorgungsgüter aller Art zur Eigen- und Fremdversorgung umschlagen und lagern;

e) die von ihm genutzten Versorgungspunkte, Versorgungsstraßen und Landepisten einsatzbereit halten und gangbar machen;

f) die Sicherung der ca. 1.700 Soldaten und der eigenen bzw. übernommenen UNOSOM II-Einrichtungen sicherstellen;

g) sich darauf einstellen, über zunehmend längere Strecken (in befriedeten Gebieten) zu versorgen sowie Teile oder das gesamnte Kontingent weiter nach Norden Somalias zu verlegen (unter Voraussetzung, daß die Gebiete befriedet sind);

h) im Rahmen freier Kapazitäten humanitäre Hilfe gegenüber der Bevölkerung leisten. Ein umfangreicher Forderungskatalog von UNOSOM II, Hilfsorganisationen und der somalischen Bevölkerung liegt vor. Er umfaßt

Unterstützung von Krankenhäusern (Wasseraufbereitung, Medikamentenhilfe, Ambulanz)

Instandsetzung von Schulen

Transport von Saatgut

technische Unterstützung der Polizei

Fernmeldeunterstützung für Hilfsorganisationen.

Über die Hilfeleistung wird im Einzelfall entschieden.

4. Kräfteansatz des Deutschen Einsatzverbandes

Neben der logistischen Versorgungsaufgabe für andere UNOSOM II-Truppen werden die Aufgaben Führung, Sicherung, logistische und sanitätsdienstliche Versorgung der eigenen Truppe sowie, im Rahmen freier Kapazitäten, humanitäre Hilfeleistungen durchgeführt werden können.

(…)

5. Ausrüstung und Bewaffnung des Verbandes

Der Verband wird bewaffnet sein mit Handwaffen und Panzerabwehrhandwaffen. An schwerer Bewaffnung sind 6 Luftlandepanzer (LLPz) WIESEL vorgesehen, von denen 4 mit 20 mm-Kanonen und 2 weitere mit der Panzerabwehrwaffe TOW ausgerüstet sind. Neben dem LLPz WIESEL ist der Transportpanzer FUCHS als gepanzertes Mannschaftstransportfahrzeug vorgesehen (Umfang 46 Stück), der jedoch lediglich mit einem lafettierten Maschinengewehr ausgestattet sein wird.

Für die Transporthubschrauber sind die leihweise von den US-Streitkräften bereitgestellten Maschinengewehre des Kalibers 7,62 mm, die in den Türen der Hubschrauber lafettiert werden können, vorgesehen.

6. Einsatzrichtlinien (Rules of Engagement)

Der deutsche Verband wird nicht die Aufgabe haben, militärischen Zwang anzuwenden oder bei der Ausübung solchen Zwangs durch andere mitzuwirken; davon unberührt bleibt sein Recht zur Selbstverteidigung. Deshalb haben auch die Regeln der VN für den Einsatz von Waffen (Rules of Engagement) für die unter Kapitel VII der VN-Charta operierenden Truppen keine Gültigkeit für den deutschen Verband. Die von den Vereinten Nationen gebilligte Fassung der Rules of Engagement für den deutschen Unterstützungsverband Somalia legt dies so fest; sie lauten:

„(1) Die Angehörigen des Deutschen Unterstützungsverbandes SOMALIA dürfen innerhalb der ihnen vorgegebenen Rahmenbedingungen (terms of reference) unmittelbaren Zwang – einschließlich des Gebrauchs der Waffe – nur anwenden, um sich selbst sowie unter ihrem Schutz stehendes anderes VN-Personal oder unter ihrem Schutz stehende Personen und Einrichtungen gegen feindliche Handlungen oder feindselige Absichten zu verteidigen.

(2) Anrufverfahren

a) Wann immer es möglich ist, muß vor der Eröffnung gezielten Feuers ein Anruf erfolgen

auf Somalisch: „UN, KO HANAGA YOOGO AMA WAA GUBAN“,

auf Englisch: „UN, STOP OR I FIRE“ oder

indem Warnschüsse in die Luft gefeuert werden.

Grundsätzlich ist der Anruf auf Somalisch vorzunehmen.

(3) Grundsätze für die Anwenung unmittelbaren Zwangs

Wenn es sich als notwendig erweist, unmittelbaren Zwang anzuwenden, sind folgende Grundsätze zu beachten:

a) Eine Handlung, von der zu erwarten ist, daß sie zu unverhältnismäßigen Nebenschäden führen wird, ist verboten.

b) Repressalien sind verboten.

c) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen ist stets diejenige zu treffen, die unter Anwendung geringster Gewalt zum Erfolg führt.

(4) Besondere Regeln

a) Werden Angehörige des Deutschen Unterstützungsverbandes SOMALIA von Unbewaffneten, einer Volksmenge und/oder Aufrührern angegriffen oder bedroht, dürfen sie das den Umständen nach angemessene geringste Zwangsmittel einsetzen, um den Angriff oder die Bedrohung abzuwehren. Dazu gehören mündliche Warnungen gegenüber Demonstranten, das Zeigen der Abwehrmittel und Warnschüsse.

b) Verdeckte Zwangsmittel

Verdeckte Zwangsmittel einschließlich verdeckter Ladungen, Minen und Stolperschußanlagen sind verboten.

c) Festnahme von Personen

Personen, die Gewalt mit einer Gefahr für Leib oder Leben gegenüber Angehörigen des Deutschen Unterstützungsverbandes SOMALIA anwenden oder damit drohen sowie Gewalt gegenüber Hilfsgütern, Verteilerstellen oder Konvois des Deutschen Unterstützungsverbandes SOMALIA anwenden oder damit drohen, dürfen festgenommen werden. Festgenommene Personen sind unverzüglich der Militärpolizei zu überstellen.

(5) Definitionen

Es werden folgende Definitionen verwendet:

a) Selbstverteidigung

Handlung zum eigenen Schutz oder dem der eigenen Kräfte gegen einen feindlichen Angriff oder eine feindselige Absicht.

b) Feindliche Handlung

Die Anwendung von Gewalt gegenüber dem UNOSOM-Personal, dem für die Durchführung des Auftrags notwendigen Eigentum oder gegen Personen in einem Gebiet, das unter der Kontrolle von UNOSOM steht.

c) Feindselige Absicht

Die Drohung, unmittelbaren Zwang gegenüber den UNOSOM-Kräften anzuwenden oder gegenüber anderen Personen in den Gebieten, die unter Kontrolle von UNOSOM stehen.

d) Mindestmaß an Gewalt

Bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges ist von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die die geringste Beeinträchtigung bewirkt.

(6) Eine Änderung der Einsatzrichtlinien ist nur mit Billigung des Kommandeurs UNOSOM II im Einvernehmen mit dem Kommandeur des Deutschen Unterstützungsverbandes SOMALIA möglich.“

(…)

III. Aktuelle militärische und militärpolitische Lage

Die gespannte Sicherheitslage in Mogadischu hat bis heute keine Auswirkungen auf die Lageentwicklung im Lande erkennen lassen. Die Lage dort ist ruhig. In Somalia ist die Sicherheitslage landesweit gesehen unverändert stabil. Nur in der Hauptstadt hat sich die Lage verschlechtert.

Aideed ist es offensichtlich gelungen, den ihm in Mogadischu verbliebenen harten Kern seiner Anhänger zu radikalisieren. So konnte er in den letzten Tagen gewaltsame Demonstrationen, Überfälle und Straßensperren auch in den Stadtteilen organisieren, die bisher nicht auf seiner Seite standen. Barrikaden versperren zeitweilig auch die Ausfallstraße nach Belet Uen, die ansonsten aber durch das als sicher geltende Gebiet der Abgal und Hawadle führt.

Aideeds Aktionen in der Hauptstadt Mogadischu steht jedoch ein erheblicher Macht- und Einflußverlust im Lande gegenüber. Seine Taktik der kompromißlosen Gewalt hat die »Somali National Alliance« (SNA) gespalten. Große Teile haben sich von Aideed distanziert. So lehnen jetzt nicht nur die Habre Gedir Subclans der Suliman und Air, sondern auch die bisher mit Aideed verbündeten Bürgerkriegsfraktionen der SDM (»Somali Democratic Movement«) und der SSNM (»Southern Somali National Movement«) seinen militanten Kurs ab. Dies Bild spiegelt sich auch im Verhalten der Bevölkerung Belet Uens wider, die sich bisher allen Bitten Aideeds und der Fundamentalisten um Unterstützung widersetzt hat. Am 01.07., dem somalischen Unabhängigkeitstag, hat sich die lokale Führung erneut und nachdrücklich für eine Zusammenarbeit mit UNOSOM ausgesprochen.

Auch im zukünftigen Operationsgebiet nördlich der heutigen VN-Verantwortungsbereiche haben die vorwiegend als Nomaden lebenden Stämme des Habre Gedir-Clans und der Darod Majertein erkennen lassen, daß sie nicht an einer Fortsetzung des Bürgerkrieges interessiert sind. In den letzten Tagen sichtbar werdende Verweigerungen ihrer Clanältesten, Aideeds Operationen von hier aus mit Reserven zu unterstützen, unterstreichen diesen Trend.

Das zukünftige Einsatzgebiet wird von drei Kräftegruppierungen bestimmt: Den SSDF-Kräften im Norden, den SNF-Kräften im Raum nördlich Dusa Mareb beiderseits der Grenze zu Äthiopien und den Kräften der USC-Aideeds im Raum ostwärts der Linie Dusa Mareb-Galcayo. Die Verlegung nennenswerter Aideed-Kräfte nach Mogadischu wurde von den Stammesältesten verhindert; die die anderen Kräfte kontrollierenden Stämme haben sich für UNOSOM ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund ist eine aktuelle Gefährdung des deutschen Verbandes nicht zu erkennen.

Trotz der Geschehnisse von Mogadischu gibt der landesweit fortschreitende Friedensprozeß insgesamt Anlaß zu Optimismus. In Kisimayo soll die von den Vereinten Nationen geleitete Friedenskonferenz in konstruktivem Klima erste Fortschritte im Hinblick auf Waffenstillstand und Entwaffnung im Raum Kisimayo/Niederdschuba machen. In den anderen Provinzen haben UNOSOM-Vertreter bis hinauf nach Bosaso im Nordosten überall die Bereitschaft der örtlichen Führer und Clanältesten vorgefunden, sich vorbehaltlos an der Entwaffnung zu beteiligen.

(…)“

b) Bundesministerium der Verteidigung,

Fü S IV 4: Wöchentliche Unterrichtung des Parlaments zur aktuellen Lageentwicklung in SOMALIA (Nr. 16/93), Stand: 20. Oktober 1993

1. Die Allgemeine Lage

„Die politischen Grundlagen für den Friedensprozeß in SOMALIA bleiben die Sicherheitsresolution 814 vom 25.03.1993 und die Vereinbarungen von ADDIS ABEBA vom 27.03.1993. Ende Oktober 1993 endet das Mandat der Vereinten Nationen für UNOSOM II. Der Generalsekretär wird dem Sicherheitsrat voraussichtlich in der nächsten Woche einen Bericht über die Lage in SOMALIA vorlegen. Auf dieser Grundlage wird der Sicherheitsrat dann über die Verlängerung des Mandats von UNOSOM II entscheiden.

Das Bundeskabinett hat daher in seiner Sitzung am 20. Oktober 1993 nach einen Bericht des Bundesaußenministers festgestellt, daß eine Entscheidung über das deutsche Truppenkontingent in SOMALIA nach dem noch zu erfolgenden Beschluß der Vereinten Nationen über das weitere Vorgehen der UNO getroffen wird.

Die Bundesregierung erwartet diesen Beschluß der Vereinten Nationen in den nächsten Wochen. Sie wird ihre eigenen Entscheidungen unverzüglich danach in engster Abstimmung mit der UNO treffen. Sie wird in diesem Zusammenhang weitere Konsultationen mit den Partnern und Verbündeten führen, die ebenfalls Truppen in SOMALIA unterhalten. Die Bundesregierung steht mit den Regierungen dieser Länder einschließlich der indischen Regierung und mit den Vereinten Nationen in laufendem Kontakt.

Aus Sicht der Bundesregierung besteht jetzt in SOMALIA die Chance, den politischen Versöhnungsprozeß voranzubringen und auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen. Der Dialog zwischen allen Parteien muß konsequent fortgesetzt und der Friedensprozeß durch umfassende Unterstützung beim Aufbau politischer und staatlicher Verwaltungsstrukturen stabilisiert werden.

Der Deutsche Bundestag wird ständig über die laufende Entwicklung in dieser Frage unterrichtet und entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eingeschaltet werden.

2. UNOSOM II-Entwicklung

Die Vereinten Nationen und die an UNOSOM II beteiligten Nationen bemühen sich zur Zeit gemeinsam mit der Organisation Afrikanischer Staaten und den somalischen Bürgerkriegsparteien, den Friedensprozeß in SOMALIA aus der politischen Sackgasse der letzten Wochen zu führen. Dies hat bereits zu einer weitgehenden Beruhigung in MOGADISCHU geführt.

Die VEREINIGTEN STAATEN wollen ihr militärisches Engagement zum 31. März 1994 beenden. FRANKREICH und BELGIEN haben angekündigt, ihre Verbände aus UNOSOM II um die Jahreswende herauszulösen. Auch ITALIEN hat inzwischen erklärt, sein Kontingent bis März/April 1994 abzuziehen. Es zeichnet sich also ab, daß im Frühjahr nächsten Jahres die UNO-Truppen im wesentlichen aus afrikanischen Staaten, INDIEN und PAKISTAN kommen. Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß das militärische Operationskonzept von UNOSOM II auf eine neue Grundlage gestellt werden soll.

Abweichend von der ursprünglichen – mit der Bundesregierung abgestimmten – Planung soll die indische Brigade überwiegend im Süden von BELET UEN im jetzigen französischen und italienischen Sektor eingesetzt werden. In der Region BELET UEN soll neben einem italienischen Kontingent mit 500 Soldaten lediglich ein indisches Bataillon mit ca. 1.000 Soldaten stationiert werden. Die Ausdehnung des Operationsgebietes von UNOSOM II in den- Norden des Landes kann damit zunächst wohl nicht erfolgen.

Der deutsche Unterstützungsverband ist auf der Grundlage des Kabinettbeschlusses vom 21. April 1993 und des Auftrags der Vereinten Nationen maßgeschneidert (Hervorg. C.T.), um einen Großverband bis zu einer Stärke von ca. 4.500 Mann über große Strecken logistisch zu unterstützen und im Rahmen freier Kapazitäten humanitäre Hilfe zu leisten.

Die Stärke der Truppe, die künftig durch den deutschen Verband versorgt werden muß, verringert sich voraussichtlich in Vergleich zu den ursprünglichen Planungen um zwei Drittel – von geplanten 4.500 auf jetzt tatsächliche 1.500 Mann. Die Transportentfernungen werden dann deutlich reduziert, wenn es zunächst keine Ausdehnung nach Norden geben sollte.

In BMVG wurden erste Überlegungen angestellt, in welchem Umfang Stärke und Kapazität des Verbandes an diese neuen Bedingungen angepaßt werden könnten. Der Generalinspekteur untersucht die dazu erforderlichen Einzelmaßnahmen. Er prüft die Frage, wie ein möglicherweise vermindertes Kontingent zusammengesetzt sein müßte, um unter geänderten Bedingungen den Auftrag zu erfüllen. An der Sicherheit soll dabei nicht gespart werden. Auch in den Anstrengungen für humanitäre Hilfe soll nicht nachgelassen werden.

Der Zeitpunkt, jetzt über die künftige Stärke und Zusammensetzung des deutschen Verbandes nachzudenken, erscheint auch deshalb zweckmäßig, weil der planmäßige Kontingentwechsel im November und Dezember bevorsteht.

Ein sofortiges, vollständiges Herauslösen des deutschen Verbandes aus der UNOSOM-Operation kann allerdings nicht in Betracht kommen, denn es sollen die Voraussetzungen für eine fließende Übergabe an die Einrichtungen der klassischen Entwicklungshilfe weiter verbessert werden, so wie es das Konzept von UNOSOM II vorsieht.

Der militärische Schutzschirm soll zunächst aufrechterhalten bleiben, um Rückschlägen vorzubeugen. Er kann aber in den nächsten Monaten nach dem Grad politischer Fortschritte möglicherweise schrittweise zurückgenommen werden. Die Vereinten Nationen brauchen daher den deutschen Verband, bis die UNOSOM-Operation soweit fortgeschritten ist, daß die Übergabe an zivile Institutionen erfolgen kann.

3. Deutsches Kontingent

Die aktuelle Personalstärke des deutschen Unterstützungsverbandes beträgt 1.696 Soldaten, davon befinden sich 363 Soldaten im Heimaturlaub. Der Lufttransportstützpunkt (Luftwaffenanteil) in DJIBOUTI umfaßt derzeit 71 Bw-Angehörige. Im Hauptquartier UNOSOM II werden von den zehn Dienstposten z. Z. sechs wahrgenommen.

Der Schwerpunkt der aktuellen Tätigkeiten des Verbandes liegt in der Versorgung der italienischen Kräfte sowie in der unmittelbaren Hilfe und Unterstützung für die einheimische Bevölkerung. Zugleich wird die Versorgung des vorgesehenen indischen Truppenteils vorbereitet.

In den Bereichen Umschlag, Bevorratung und Transportleistungen wurden für UNOSOM II bislang folgende Leistungen erbracht:

(1) Umschlag:

– Brauchwasser: 747 cbm, davon für SOMALI 63 cbm

- Material: 620 Tonnen, davon 207 im Luftumschlag Betriebsstoff: 38 cbm.

(2) Bevorratung:

– Brauchwasser:287 cbm

- Flaschenwasser: 67 cbm (8 Tage)

- Frischverpflegung: 107.490 Rationen (63 Tage)

- Einsatzverpflegung: 30.200 Rationen (17 Tage)

- Kraftstoffe/Öle: 366 cbm

(3) Transportleistungen:

– Straßenkilometer: 1.750 km.

c) Die Inder:

Noch nie waren sie so wertvoll wie heute

Deutscher Bundestag – 12. Wahlperoide – 182. Sitzung, Bonn den 21. Oktober 1993:

Fragestunde im Deutschen Bundestag

„(…)

Rolf Binding (SPD): (…) Der Kern meiner Frage ist gewesen: Wie viele indische Soldaten haben sich am 15. Oktober im Raum Belet Uen aufgehalten? Ich darf Sie bitten, diese Frage präzise zu beantworten. Sie haben das vermischt und »insgesamt« gesagt und haben die Italiener genannt.

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Am 15. Oktober hat sich im Raum Belet Uen ein Vorkommando von drei indischen Soldaten aufgehalten.

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun kommt Ihre Zusatzfrage, Herr Binding.

Rudolf Binding (SPD): Können wir dann hier gemeinsam feststellen, daß sich 1700 deutsche Soldaten seit Monaten vor Ort aufhalten, um drei indische Soldaten zu unterstützen? Denn das ist ihr Auftrag.

(Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Hört! Hört! Ist das zu glauben!)

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Das können Sie nicht feststellen, weil unsere Soldaten – das habe ich Ihnen bereits ausführlich vorgetragen – sehr viele humanitäre Leistungen vollbracht haben. Sie haben die Italiener versorgt und eine Menge von sinnvollen Tätigkeiten erfüllt.

(…)

Horst Kubatschka (SPD): Frau Staatssekretärin, ursprünglich sollte eine indische Brigade mit 4500 Soldaten versorgt werden. Jetzt wissen wir: Es sind drei Soldaten. Da dieser Auftrag also nicht mehr vorhanden ist – drei Soldaten mit einem so großen Kontingent zu versorgen scheint nämlich ein sehr überdimensionierter Auftrag zu sein –, frage ich: Hat sich damit jetzt eigentlich nicht die Geschäftsgrundlage – das ist Originalton des Verteidigungsministers – verändert?

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Herr Abgeordneter Kubatschka, die Inder werden kommen. Sie verspäten sich nur. In welcher Anzahl sie kommen werden, wird noch festgelegt. Es wird diskutiert, weil sich die Belgier und die Franzosen vermutlich aus dem südlichen Bereich zurückziehen. Die Inder werden aber kommen.

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Abgeordneter Gilges.

Konrad Gilges (SPD): Frau Parlamentarische Staatssekretärin, Sie haben uns mitgeteilt, daß das Unterstützungskommando bis jetzt Kosten in einer Größenordnung von 250 Millionen DM verursacht hat. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die logistische Unterstützung von drei indischen Soldaten über Zivilkräfte zu organisieren und zu finanzieren, die weitaus weniger gekostet hätten? Haben Sie das einmal gegengerechnet? Wenn dies z.B. das Technische Hilfswerk gemacht hätte, wären Sie dann nicht mit 25 Millionen DM, also einem Zehntel des Betrages, ausgekommen?

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Herr Abgeordneter, Sie wissen genau, daß wir mit einer indischen Brigade rechnen und uns darauf vorbereiten müssen. Das haben unsere Soldaten getan. In der Zwischenzeit, die als Wartezeit entstand, haben sie sinnvolle humanitäre Aufgaben erfüllt. Ich glaube hieran kann niemand Kritik üben.

(…)

Rudolf Binding (SPD): Mit dem Hinweis darauf, daß Sie auch diese Frage nicht so beantwortet haben, wie ich sie gestellt habe, frage ich jetzt noch einmal, was hier steht, nämlich mit welcher Gesamtzahl von indischen Soldaten man nach der Planung von UNOSOM II nunmehr im Raum Belet Uen rechnet.

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Dies wird die UNO festlegen.

Rudolf Binding (SPD): Heißt das, daß die Bundesregierung derzeit keinerlei konkrete Informationen darüber hat, wie viele indische Soldaten nach Belet Uen kommen werden?

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Die Bundesregierung steht in engen Konsultationen mit der UN und auch mit der indischen Regierung. Sobald dies endgültig feststeht, werden wir unsere Entscheidungen treffen.

(…)

Brigitte Schulte (Hameln) (SPD): Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich dann, wenn Sie noch nicht wissen, wie viele indische Soldaten nach Belet Uen kommen, daß der Bundesverteidigungsminister bereits erklärt hat, daß dort etwa 400 bis 500 Soldaten in Zukunft keinen Dienst mehr tun werden, weil dem ursprünglichen Auftrag der Unterstützung der indischen Brigade nicht mehr gefolgt werden kann?

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Das hat er nie so gesagt. Die Inder werden ja kommen.

(Rudolf Binding (SPD): „Ich wollte es wäre Nacht oder die Inder kämen!“)“

IV. Rechtliche Grundlagen

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen für sog. out-of-Area-Einsätze sind sicherlich nicht das wichtigste in der Debatte um die neue Rolle der Bundeswehr nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Da aber die Politik nicht die Debatte um Ziele deutscher Außenpolitik führt, sondern in der Regel die Diskussion um die sog. Verantwortung auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen reduziert, sollen im Folgenden die völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Verpflichtungen von kritischer Seite beleuchtet werden.

Diese juristischen Informationen sind insbesondere auch deshalb an dieser Stelle wichtig, um die unter V. aufgeführten Grundgesetzänderungsanträge der Parteien besser einordnen zu können.

IALANA-Sektion Bundesrepublik Deutschland:

Nach der Somalia-Entscheidung des BVerfG –

Was tun? Memorandum für eine sicherheitspolitische Neuorientierung der Bundesrepublik Deutschland, IALANA-Schriftenreihe, Band 3

(…)

B. Rahmenbedingungen

1. Völkerrechtliche Verpflichtungen der BR Deutschland

Zwar sind nach Art. 43 Abs. 1 der UN-Charta alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet, dem UN-Sicherheitsrat auf sein Ersuchen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit „nach Maßgabe eines oder mehrerer Sonderabkommen“ Streitkräfte zur Verfügung zu stellen; über Inhalt und Form dieser Sonderabkommen enthält Art. 43 Abs. 2 und 3 der UN-Charta nähere Regeln. Kein UN-Mitgliedstaat ist aber völkerrechtlich gezwungen, eine solche Vereinbarung (»Sonderabkommen«) überhaupt abzuschließen oder einen bestimmten Inhalt eines solchen Sonderabkommens zu akzeptieren. Art. 43 UN-Charta enthält lediglich eine Verhandlungspflicht. Dies ist im völkerrechtlichen Schrifttum und in der Staatspraxis weithin unstrittig.

Die Frage, welche Gründe ein UN-Mitgliedsstaat anführen darf, um die Bereitstellung der vom UN-Sicherheitsrat u.U. gewünschten nationalen Streitkräfte (Kampftruppen nach Art. 42 und 43 der UN-Charta) zu verweigern, ist bislang nicht abschließend geklärt.

Fest steht nur: Es wird in der völkerrechtlichen Praxis bisher allgemein akzeptiert, daß etwa die USA – unter Hinweis auf ihre Verfassung und allgemeine militärische Effektivitätsgesichtspunkte – sich weigern, nationale US-Streitkräfte gemäß Art. 42 und 43 der UN-Charta dem UN-Sicherheitsrat zur Verfügung zu stellen und diese dem Kommando des UN-Sicherheitsrats (und dessen Generalstabsausschuß) zu unterstellen. Im Krieg gegen das Saddam Hussein-Regime des Irak (1991) zur militärischen Befreiung Kuwaits waren die USA nur bereit, eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats zu akzeptieren, die die USA zum Waffeneinsatz autorisierte. Andere UN-Mitgliedsstaaten sehen sich aufgrund ihrer Verfassungsrechtslage (z.B. Japan etc.) oder tatsächlich (zum Beispiel aus ökonomischen Gründen) außerstande, den Vereinten Nationen militärische Kampf-Verbände zur Verfügung zu stellen (z.B. Island).

Es ist dehalb allgemein anerkannt, daß UN-Mitgliedsstaaten ihre Verpflichtungen aus Art. 42 UN-Charta auch auf andere Weise als durch Bereitstellung von Militärverbänden (z.B. durch logistische oder finanzielle Hilfe) erfüllen können. Kein UN-Mitglied ist völkerrechtlich verpflichtet, dem UN-Sicherheitsrat militärische Kampfverbände zur Verfügung zu stellen. Jeder UN-Mitgliedsstaat kann – rechtlich – frei entscheiden, ob er ein Sonderabkommen nach Art. 43 der UN-Charta abschließen will oder nicht.

2. Blauhelme

2.1 Rechtsgrundlage

UN-Blauhelm-Kontingente sind in der Charta der Vereinten Nationen nicht ausdrücklich vorgesehen. Das Instrumentarium der »Blauhelme« wurde vor allem von dem zweiten UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld und dessen politischen Berater, Brian Urquhart, entwickelt. Seine völkerrechtlichen Wurzeln liegen im Kapitel VI der UN-Charta („friedliche Beilegung von Streitigkeiten“). Ihr Handeln fußt nach allgemeiner Auffassung auf Völkergewohnheitsrecht (Für dessen Entstehung bedarf es einer »evidence of general practice accepted by law“, also einer allgemeinen Übung von einer gewissen Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung in der völkerrechtlichen Praxis sowie einer Anerkennung dieser Übung als Völkerrecht durch die handelnden Völkerrechtssubjekte).

2.2 Erscheinungsformen

UN-Blauhelme sind keine in der UN-Charta festgelegte und präzise definierte Institution. Die Bezeichnung steht für sehr verschiedene, jeweils vom UN-Sicherheitsrats ad hoc festgelegte Einsatzformen. Es gibt polizeiähnliche (deeskalierende), aber auch eher militärähnliche UN-Blauhelme.

Sie sind jedoch prinzipiell rechtlich strikt von den in Art. 42 und 43 der UN-Charta zur Durchsetzung militärischer Zwangsmaßnahmen vorgesehenen Land-, Luft- und Seestreitkräften zu unterscheiden. Während militärische Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 und 43 der UN-Charta gegen einen Staat ausgeübt werden sollen, den der UN-Sicherheitsrat gemäß Art. 39 UN-Charta förmlich zum Aggressor erklärt hat, setzt der Einsatz von »Blauhelm-Kontingenten« das Einverständnis des Staates (zumindest der dort agierenden Konfliktparteien) voraus.

Die bisherigen »klassischen« Kriterien für UN-Blauhelm-Kontingente sind:

Zustimmung der Konfliktparteien zu der Operation, ihrem Mandat und ihrer Zusammensetzung,

offene, demonstrative Präsenz der UN-Blauhelme (keine Tarnung wie bei Kampf-Einsätzen),

strikte Neutralität gegenüber den Konfliktparteien,

keine Anwendung von militärischen Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII der UN-Charta (Art. 42 ff UN-Charta),

Verantwortung und Leitung beim UN-Sicherheitsrat,

Nichtanwendung von Gewalt außer zur eigenen Selbstverteidigung mit leichten Waffen (»self defence«).

Dabei ist jedoch umstritten, ob zur Selbstverteidigung auch die sog. »mission defence«, also der Einsatz von leichten Waffen gegen gewaltsame Versuche gehört, die Erfüllung der Blauhelm-Aufgaben (»Mission«) zu be- oder verhindern.

Eine hinreichende völkerrechtliche Klärung der Grenzen zwischen zulässigem und unzulässigem Waffengebrauch ist bislang nicht erfolgt.

Wer für konkrete UN-Blauhelm-Einsätze hinreichend präzise Grenzen für den Waffeneinsatz festlegen will, muß dafür Sorge tragen, daß dies:

in den vom UN-Sicherheitsrats jeweils ad hoc festzulegenden Einsatzrichtlinien (»rules of engagement«),

in den zwischen dem UN-Sicherheitsrat/UN-Generalsekretär einerseits und dem Entsendestaat andererseits abzuschließenden Abkommen und

in den nationalen Rechtsvorschriften (Entsende-Gesetz, Zustimmungs-Gesetz) sowie in den Einsatzrichtlinien der nationalen Oberbefehlshaber geschieht.

2.3 Völkerrechtliche Pflicht zur Bereitstellung durch die UN-Mitgliedsstaaten?

UN-Mitgliedsstaaten haben keine völkerrechtliche Verpflichtung zur Bereitstellung von »Blauhelm«-Kontingenten.

UN-Sicherheitsrat, UN-Generalsekretär, die UN-Generalversammlung und die Praxis der UN-Mitgliedsstaaten sind bisher stets davon ausgegangen, daß insoweit das Rechts-Prinzip der Freiwilligkeit herrscht.

Allerdings kann der allgemeine völkerrechtliche Grundsatz der Organisationsloyalität Verpflichtungen nach sich ziehen. Diesen kann jedoch durch die UN-Mitgliedsstaaten in vielfältiger Weise Rechnung getragen werden, z.B. durch die Gewährung von logistischer Hilfe, durch das Zurverfügungstellen erhöhter finanzieller Beiträge, durch zivile Hilfeleistungen etc.

(…)

UN-Generalsekretär Boutros-Ghali hatte bei seinem Besuch in Bonn Mitte Januar 1993 deutlich gemacht, er wünsche sich die deutsche Hilfe für den Aufbau der Polizei in Somalia.

Die Bundesregierung hatte dagegen mit Kabinetts-Beschluß vom 17. Dezember 1992 die Entsendung eines Bundeswehr-Kontingents angeboten.

„Die Entsendung der Bundeswehr unter den vom Bundeskabinett festgelegten Voraussetzungen (humanitäre Aufgaben im sicheren Umfeld) und in den vom Bundesministerium der Verteidigung bevorzugten geographischen Verwendungsraum (Nordosten Somalias, Raum Bosaso)“ stieß jedoch – wie in einem Vermerk des zuständigen Referatsleiters im Auswärtigen Amt vom 30. März 1993 festgehalten wird (Az.: 230-381-47 SOM) – »auf Schwierigkeiten«.

Eine »Mission des Auswärtigen Amtes unter Beteiligung des Bundesministeriums der Verteidigung in den Nordosten Somalias« stellte dann fest, „daß für eine bloße Verteilung der Hilfsgüter durch den angebotenen verstärkten Verband (1500 Mann der Bundeswehr) kein Bedarf mehr“ bestand „und daß in dem als Rückfallposition vorgesehenen Bereich der Flüchtlingsrepatriierung der Bedarf nicht die Entsendung eines umfangreichen Kontingents der Bundeswehr rechtfertigt“.

Vorschläge des Auswärtigen Amtes zu anderen Einsatzvarianten (u.a. Straßenbau- und Reparaturmaßnahmen, Übernahme von Aufgaben im Hafen von Mogadischu etc.) wurden – so der Aktenvermerk – vom Bundesministerium der Verteidigung abgelehnt. Hierzu heißt es in dem bereits zitierten Aktenvermerk:

„Dem Bundesministerium der Verteidigung geht es demgegenüber nach Aussagen der Arbeitsebene entweder um eine möglichst umfangreiche, öffentlichkeitswirksame Beteiligung oder eine völlige Abstinenz.“

(…)“

V. Gesetzesentwürfe

1. CDU/CSU und FDP

Artikel 1

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGB1. S.1) wird zur Klarstellung wie folgt ergänzt:

Artikel 24 wird wie folgt ergänzt:

Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 2a eingefügt:

„(2a) Streitkräfte des Bundes können unbeschadet des Artikels 87a eingesetzt werden

1. bei friedenserhaltenden Maßnahmen gemäß einem Beschluß des Sicherheitsrates oder im Rahmen von regionalen Abmachungen im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, soweit ihnen die Bundesrepublik Deutschland angehört,

2. bei friedenserhaltenden Maßnahmen auf Grund der Kapitel VII und VIII der Charta der Vereinten Nationen gemäß einem Beschluß des Sicherheitsrates,

3. in Ausübung des Rechtes zur kollektiven Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen gemeinsam mit anderen Staaten im Rahmen von Bündnissen und anderen regionalen Abmachungen, denen die Bundesrepublik Deutschland angehört.

Diese Einsätze bedürfen in den Fällen der Nummern 1 und 2 der Zustimmung der Mehrheit, im Fall der Nummer 3 der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages.“

Artikel 2

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Bonn, den 13.01.1993

Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Wolfgang Bötsch und Fraktion, Dr. Hermann Otto Solms und Fraktion

2. SPD

Artikel 1

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) wird wie folgt geändert:

1. Artikel 24 wird wie folgt geändert:

a) Nach Absatz 2 wird als Absatz 3 eingefügt:

„(3) Der Bund kann den Vereinten Nationen Angehörige der Streitkräfte nur für friedenserhaltende Maßnahmen ohne Kampfauftrag unterstellen; den Vereinten Nationen oder betroffenen Staaten sollen auf Anforderung unbewaffnete Angehörige der Streitkräfte zur Bekämpfung von Umweltschäden, für humanitäre Hilfeleistungen und Maßnahmen der Katastrophenhilfe zur Verfügung gestellt werden.“

b) Der bisherige Absatz 3 wird Absatz 4.

2. Artikel 87 a wird wie folgt geändert:

Absatz 2 wird wie folgt neu gefaßt:

„(2) Außer zur Landesverteidigung und zur Verteidigung im Rahmen vertraglich vereinbarter Beistandspflichten dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt. Für friedenserhaltende Maßnahmen nach Artikel 24 Abs. 3 kann der Bund dem Generalsekretär der Vereinten Nationen auf sein Ersuchen und bei Vorliegen eines Beschlusses des Sicherheitsrates sowie mit Zustimmung der am Konflikt beteiligten Staaten Angehörige der Streitkräfte unterstellen, die nur mit leichten Waffen zum Selbstschutz ausgerüstet sind und sich als Berufs- und Zeitsoldaten für solche Maßnahmen freiwillig gemeldet haben. Zur Beteiligung an derartigen Maßnahmen bedarf die Bundesregierung der Zustimmung des Deutschen Bundestages.“

Artikel 2

Dieses Gesetz tritt am … in Kraft.

Bonn, den 23. Juni 1992

Norbert Gansel, (…), Hans-Ulrich Klose und Fraktion

3. Bündnis 90/Grüne

II.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf mit folgendem Inhalt vorzulegen:

1. Der Artikel 24 GG wird wie folgt neu gefaßt:

„Artikel 24

Zwischenstaatliche Einrichtungen

(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Soweit Hoheitsrechte der Länder berührt werden, bedarf das Gesetz der Zustimmung einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundesrates.

(2) Übertragungen von Hoheitsrechten nach Absatz 1 dürfen nur vorgenommen werden, wenn der nach innerstaatlichem Recht bestehende Grundrechtsschutz sowie demokratische Mitwirkungs- und Kontrollrechte gewährleistet werden. Der Bund ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß bestehende zwischenstaatliche Einrichtungen die Grundsätze der Artikel 20 und 26 wahren.

(3) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit und Zusammenarbeit einordnen, denen Staaten angehören und beitreten, die voreinander Schutz suchen. Er wird hierbei in Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der Sicherheit und Zusammenarbeit zwischen den Völkern herbeiführen und gewährleisten.

(4) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten.“ (Entspricht Artikel 24 Abs. 3 GG)

2. Der Artikel 87 a GG wird wie folgt neu gefaßt:

„Artikel 87 a

Aufstellung und Befugnisse der Streitkräfte

(1) Der Bund kann Streitkräfte zur Verteidigung aufstellen. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(2) Der Bund kann die Befugnis zur Aufstellung von Streitkräften einer überstaatlichen Einrichtung übertragen, die im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit und Zusammenarbeit der Wahrung des Friedens in der Welt dient. Die Regelungen des Artikels 24 Abs. 2 gelten entsprechend.

(3) Außer zur Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland und zur Verteidigung im Rahmen von Bündnisverpflichtungen im Falle eines unverschuldeten Angriffs dürfen Angehörige der Streitkräfte im Ausland nur für friedenserhaltende Maßnahmen nach Artikel 24 Abs. 4 GG eingesetzt werden. Für derartige Maßnahmen kann der Bund dem Generalsekretär der Vereinten Nationen auf sein Ersuchen und bei Vorliegen eines Beschlusses des Sicherheitsrates sowie mit Zustimmung der am Konflikt beteiligten Staaten Angehörige der Streitkräfte unterstellen, die nur mit leichten Waffen zum Selbstschutz ausgerüstet sind und sich als aktive Berufs- und Zeitsoldaten für solche Einsätze freiwillig gemeldet haben. Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich nicht an friedenserhaltenden Maßnahmen gegenüber Anrainerstaaten. Jeder Einsatz erfolgt auf Antrag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.

(4) Den Streitkräften kann durch Bundesgesetz für den Verteidigungsfall und den Spannungsfall die Befugnis übertragen werden, nach Maßgabe des Polizeirechts zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung des Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte sind an das Polizeirecht gebunden und wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.“

III.

Der Deutsche Bundestag stimmt einer Beteiligung der Bundeswehr an Peace-Keeping-Operations (Blauhelm-Missionen) zu. Die Beteiligung der Bundeswehr sollte unter folgenden Maßgaben erfolgen:

Ausschöpfung aller staatlichen und nichtstaatlichen nichtmilitärischen, gewaltfreien Möglichkeiten einer Konfliktschlichtung,

Einsatz nur im Rahmen der Vereinten Nationen als eines völkerrechtlich institutionalisierten kollektiven Sicherheitssystems, also nicht im Rahmen von Militärbündnissen wie NATO oder WEU,

Reform der VN-Charta mit dem Ziel, den Status permanenter Mitglieder im Sicherheitsrat aufzuheben, und Verzicht auf ein Vetorecht,

Einsatz nur an Peace-Keeping-Operations, die dem Kapitel VI der VN-Charta zugeordnet werden sollten,

kein Einsatz in Anrainerstaaten,

Kontingentbegrenzung auf maximal 2.000 Soldaten,

weitere Reduzierung des Bundeswehrumfanges und eine Strukturreform der Bundeswehr, die deren strukturelle Nichtangriffsfähigkeit zum Ziel hat.

Bonn, den 2. Juli 1992

Vera Wollenberger, Gerd Poppe, Dr. Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß (Berlin), Werner Schulz (Berlin) und Gruppe

Entwurf der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne ist in der Partei äußerst umstritten. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne fühlen sich nicht an die Parteitagsbeschlüsse der Partei Bündnis 90/Grüne gebunden.

4. PDS

Artikel 1

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) wird wie folgt geändert:

1. In Artikel 24 werden an Absatz 2 die folgenden Sätze 2 und 3 angefügt:

„Die Übertragung von Hoheitsrechten über den militärischen und nichtmilitärischen Einsatz von Streitkräften des Bundes ist ausgeschlossen. Der Einsatz der Streitkräfte des Bundes ist außer im Verteidigungsfall nach Artikel 115 a Abs. 1 Grundgesetz ausgeschlossen.“

2. Artikel 87 a wird wie folgt geändert:

a) Absatz 2 wird wie folgt neu gefaßt:

„(2) Die Streitkräfte des Bundes dürfen ausschließlich im Verteidigungsfall nach Artikel 115 a Abs. 1 GG eingesetzt werden.“

b) Absatz 3 wird gestrichen.

c) Absatz 4 wird gestrichen.

Artikel 2

Dieses Gesetz tritt am … in Kraft.

Bonn, den 18. Juli 1992

Andrea Lederer

Dr. Gregor Gysi und Gruppe

5. IALANA

International Association of Lawyers against Nuclear Arms,

Sektion Bundesrepublik Deutschland

Vorschlag zur Neufassung der den Frieden und die Verteidigung betreffenden Verfassungsbestimmungen

Derzeitige Regelung:

Artikel 26 (1)

(Friedensstaatlichkeit)

(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

Änderungsvorschlag IALANA:

Artikel 26 (1)

(Friedensstaatlichkeit)

(1) Die Bundesrepublik Deutschland verzichtet auf den Krieg als Mittel der Politik in den Beziehungen zu anderen Staaten.

(2) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

(3) Die Bundesrepublik Deutschland ist zur Abrüstung verpflichtet. Sie beteiligt sich an der Erforschung der Ursachen kriegerischer Auseinandersetzungen, trägt vorausschauend zu ihrer Beseitigung mit friedlichen Mitteln bei und beteiligt sich an nichtmilitärischen Maßnahmen zur Schlichtung internationaler Konflikte.

Kurzbegründung

Art. 26 setzt geltendes Völkerrecht (Kellog-Pakt v. 27.8.28 – RGBl. 1929 II S. 97 – und Art. 2 Abs. 4 UN-Charta v. 26.6.45 – BGBl. 1973 II S. 431) in Verfassungsrecht um. Kampfeinsätze der Bundeswehr darf es nur zur Verteidigung des Bundesgebietes und ggf. zur Verteidigung des Staatsgebietes angegriffener Bündnispartner geben. Dabei ist Art. 26 im Zusammenhang mit Art. 87 a zu interpretieren. Verfassungsrechtlich ausgeschlossen werden soll insbesonders die in der Vergangenheit häufig zur Begründung von Kriegseinsätzen mißbrauchte Möglichkeit zur „Nothilfe“ gem. Art. 51 UN-Charta durch nationale militärische Maßnahmen, mithin jeder „out-of-area“-Einsatz, der nicht durch die Verteidigung des Bundesgebietes militärisch geboten ist. Statt dessen ist die Verpflichtung des Staates aufgenommen worden, unterhalb militärischer Aktionen alles für die Konfliktschlichtung Nötige zu tun.

Zusatzvorschlag IALANA

Artikel 26

(4) Entwicklung, Herstellung, Besitz, Beförderung, Aufstellung und Anwendung von atomaren, bakteriologischen, chemischen und anderen Massenvernichtungswaffen, die darauf gerichtete Forschung sowie die Drohung mit der Anwendung dieser Waffen sind verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen.

Kurzbegründung

Das ABC-Waffenverbot ist verfassungsrechtlich abzusichern, da die bisherige Rechtslage unzureichend ist. Der Verzicht von '55 erfaßt nicht Besitz, Verfügungsgewalt, Forschung pp; der NV-Vertrag ist befristet, hat Rücktrittsklauseln, Kriegsvorbehalt, rebus-sic-stantibus-Problematik, europäische Option.

Derzeitige Regelung

Artikel 26 (2)

Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Änderungsvorschlag IALANA

Artikel 26

(5) Zur Kriegsführung geeignete Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Die Ausfuhr dieser Waffen sowie für militärische Zwecke bestimmter Technologien, Waren und Dienstleistungen in Staaten, mit denen die Bundesrepublik Deutschland kein Verteidigungsbündnis eingegangen ist, ist verboten. Dasselbe gilt auch für die Ausfuhr in Staaten, die nicht die Gewähr bieten, daß ein völkerrechtswidriger oder ein menschenrechtswidriger Einsatz ausgeschlossen ist. Die Bundesregierung muß über ihre Genehmigungspraxis öffentlich Rechenschaft geben, die nicht durch Berufung auf Geschäftsgeheimnisse eingeschränkt werden darf. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Kurzbegründung

„Geeignete“ statt „bestimmte“ entfernt das Vorsatz-Element und erhöht die Kontrollmöglichkeiten. Verfassungsrechtlich abgesichert werden materielle Genehmigungskriterien und die Verpflichtung zur Transparenz des Waffenexports. Die gesetzlichen Regelungen im Kriegswaffenkontrollgesetz, im Außenwirtschaftsgesetz und im Strafrecht sind unzureichend und können zudem mit einfacher Parlamentsmehrheit geändert werden. Die Verpflichtung zur Abrüstung ist als Zielbeschreibung zu interpretieren. Gestattet bleibt nur die Beschaffung der zur Verteidigung gem. Art. 87 a, 115 a erforderlichen Waffen.

Derzeitige Regelung

Artikel 87 a

(Aufstellung und Befugnisse der Streitkräfte)

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) …

(4) …

Änderungsvorschlag IALANA

Artikel 87 a

(Aufstellung und Befugnisse der Streitkräfte)

(1) Der Bund kann Streitkräfte zur Verteidigung aufstellen. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundlage ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit diese Verfassung es ausdrücklich zuläßt. Außer zur Verteidigung des Bundesgebietes bedarf jeder militärische Einsatz der Streitkräfte der Zustimmung einer Mehrheit nach Artikel 79 Absatz 2.

(3) unverändert

(4) unverändert

Kurzbegründung

Der Verteidigungs-Begriff bedarf angesichts der absolut herrschenden Auffassung keiner weiteren verfassungsrechtlichen Konkretisierung. Andernfalls bestände die Gefahr, daß der Konsens aufgekündigt werden würde. Die Verteidigungsbündnisse der BRD sind im Umruch. Eine verfassungsrechtliche Festschreibung der materiellen Einsatz-Voraussetzungen ist nicht zweckmäßig und angesichts der klaren vertraglichen Regelung auch nicht erforderlich. Verfahrensrechtlich besteht jedoch Klarstellungsbedarf. Dabei ist die Entscheidung über Krieg und Frieden (Existenzfrage) auf die gleiche Stufe zu stellen, die für Verfassungsänderungen vorgesehen ist.

Derzeitige Regelung

Artikel 115 a

(1) – (5)

Änderungsvorschlag IALANA

Artikel 115 a

(1) – (5) unverändert

Kurzbegründung

Art. 115 a bedarf keiner Änderung oder Klarstellung, da nur jeder über die Verteidigung des Bundesgebietes hinausgehende „Einsatz“ der Mehrheiten nach Art. 87 a Abs. 2 bedarf. Der militärischen Verteidigung des Bundesgebietes hat die Feststellung des Verteidigungsfalles vorauszugehen, es sei denn, es handele sich um einen Überraschungsangriff. Insoweit muß die Möglichkeit des Art. 115 a Abs. 4 erhalten bleiben.

Derzeitige Regelung

Artikel 24

(Zwischenstaatliche Einrichtungen)

(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.

(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.

(3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten.

Änderungsvorschlag IALANA

Artikel 24

(Zwischenstaatliche Einrichtungen)

(1) Die Bundesrepublik Deutschland kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Soweit Hoheitsrechte der Länder berührt werden, bedarf das Gesetz der Zustimmung einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundesrates.

(2) Übertragungen von Hoheitsrechten nach Absatz 1 dürfen nur vorgenommen werden, wenn der nach innerstaatlichem Recht bestehende Grundrechtsschutz sowie demokratische Mitwirkungs- und Kontrollrechte gewährleistet sind. Die Bundesrepublik Deutschland wirkt darauf hin, daß bestehende zwischenstaatliche Einrichtungen die Grundsätze der Artikel 20 und 26 wahren.

(3) Zur Wahrung des Friedens ordnet sich die Bundesrepublik Deutschland zumindest einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit und Zusammenarbeit ein, dem Staaten angehören und beitreten, die voreinander Schutz suchen. Dabei beteiligt sie sich ausschließlich an friedlichen Maßnahmen.

Kurzbegründung

Art. 24 ist im Zusammenhang mit Art. 26 zu sehen. Mit der Absage an den Krieg als Mittel der Politik kommt auch eine Teilnahme von Bundeswehr-Einheiten an militärischen Sanktionsmaßnahmen nach Art. 42 UN-Charta oder im Auftrag der UN nicht in Betracht. Insoweit ist die UN gehalten, eigene Verbände aufzustellen, an deren Finanzierung sich die BRD beteiligen könnte und in die auch deutsche Staatsbürger eintreten könnten.

Art. 24 Abs. 3 Satz 2 stellt sicher, daß sich die BRD auch mit Bundeswehreinheiten an sog. „Blauhelm-Einsätzen“ beteiligen kann, solange diese ohne Kampfauftrag sind. Vorrangig sind i.R. von UN-Programmen Polizei, Zoll, BGS, Medizin- und Katastrophenschutz sowie zivile Verwaltungsbeamte einzusetzen. Darüber hinaus ist die BRD nach Art. 26 Abs. 3 verpflichtet, Konfliktursachen zu erforschen, eine Prognostik und Konfliktregelungsmechanismen sowie ein System nichtmilitärischer Sanktionen zu entwickeln und Organisationen der humanitären und Katastrophenhilfe aufzubauen und bereitzuhalten.