Dossier 40

Memorandum des »Arbeitskreises für Friedenspolitik – Atomwaffenfreies Europa«

Eine umfassende Alternative zur militärischen Antiterrorismuspolitik der USA

von AFK

Vorwort

Das folgende Memorandum1 des Arbeitskreises für Friedenspolitik – Atomwaffenfreies Europa (AKF) ist verbandsintern Ende 2001 veröffentlicht worden. Es hat sich gezeigt, dass dessen Kern, eine umfassende Alternative zu entwickeln zur militarisierten Antiterrorismuspolitik der USA, auch nach der Beseitigung des Taliban-Regimes in Afghanistan keineswegs gegenstandslos geworden ist.

Ganz im Gegenteil: Der Krieg in Afghanistan geht weiter und die amerikanischen Kriegsvorbereitungen gegen die von ihr so genannte Achse des Bösen (Iran, Irak, Nordkorea) – vor allem gegen den Irak – zeigen nur allzu deutlich, dass Friedensforschung und Friedensbewegung allen Grund haben, kompromissloser als bisher (Ludger Volmer!) zu ihrem klassischen Votum zurückzukehren, dass der Krieg kein akzeptables Mittel der Politik ist. Allerdings müssen Friedensforschung und Friedensbewegung der Öffentlichkeit dazu etwas bieten, was ihnen immer schwerer gefallen ist als Kritik: eine umfassende politische Alternative. Einzelvorschläge hat es seit dem 11. September überall gegeben. Was bis heute fehlt ist ein Gesamtkonzept. Dem dient dieses Memorandum. Naturgemäß kann es nur einen Rahmen liefern, der im Einzelnen auszufüllen wäre.

Dass unser kategorisches Nein zu der amerikanischen militarisierten Antiterrorismus-Politik keinem fundamentalistischen Pazifismus entspringt (den der AKF immer abgelehnt hat), sondern auf sehr realistischen Befürchtungen basiert, ist am 21. Februar erstaunlicherweise durch die EU-Außenminister bestätigt worden: Mittlerweile schrecken sogar die politisch Verantwortlichen der Europäischen Union vor der sich erweiternden US-amerikanischen Kriegspolitik zurück. Nachdem der französische Außenminister Védrine Anfang Februar bereits eine sehr harte Absage an die Politik der USA und ihr allzu »einfältiges« Schwarz-weiß-Bild der Welt formuliert hatte, machten die Außenminister der Europäischen Union auf einem Treffen am 10. Februar 2002 einmütig Front gegen die amerikanische Politik. Wir veröffentlichen diese tatsächlich sensationelle Aufkündigung der »uneingeschränkten Solidarität« der Europäer und insbesondere der Deutschen in der Dokumentation (Dok. 1), die ich im Anschluss an das Memorandum des AKF publiziere.

Anmerkungen

1) Der Entwurf zu diesem Memorandum stammt von Professor Fritz Vilmar; er wurde vom Vorstand des Arbeitskreises, insbesondere von Professor Klaus Riedel, überarbeitet und verabschiedet.

Prof. Dr. Fritz Vilmar

»Krieg« ist die falsche Antwort

Ein fünfteiliges alternatives Gesamtkonzept

Wir sind mit einer neuen Qualität terroristischer Gewalt konfrontiert. Die ungewöhnlich breite, wenn auch äußerst labile Anti-Terror-Allianz nach dem 11. September macht deutlich, dass diese Einsicht die handlungsbestimmenden Koordinaten des politischen Denkens nicht nur in den westlichen Industrieländern erschüttert. Die Gefährdung zivilen Zusammenlebens, staatlicher und nichtstaatlicher Ordnungen durch die kalkulierte Brutalität skrupelloser Fanatiker wurde mit der Menschen verachtenden Zerstörung des World Trade Center in New York weltweit exemplarisch vor Augen geführt.

Die Fassungslosigkeit in den USA und bei allen, die in menschlicher/politischer Solidarität wie auch aus Angst vor eigener potenzieller Bedrohung nach angemessenen Deutungen und Reaktionen auf die unvorstellbaren Terrorakte fragen, ist verständlich. Gefährlich allerdings ist die Verarbeitung von Demütigungs- und Ohnmachtserfahrungen durch die Autosuggestion unbezweifelbarer Überlegenheit, durch unabsehbare Militäraktionen und eine selbstgerechte Kreuzzugsmentalität. Wo soll die Täter-Opfer, Opfer-Täter-Spirale enden?

Eine nachhaltige Bekämpfung des weltweit gefürchteten Terrorismus, der selbst vor Massenmord nicht zurückschreckt und durch allgemeine Verunsicherung tief greifende gesellschaftliche Veränderungen und die erosionsartige Destabilisierung ganzer Weltregionen zur Folge haben kann, wird zu berücksichtigen haben, dass seit Jahren die kritische Friedensforschung, aber auch zahlreiche nationale wie internationale Kommissionen und Foren, Gefährdungsanalysen erarbeitet und vor Entwicklungen gewarnt haben, die nun Realität zu werden beginnen. Statt der dringend angemahnten politischen Anstrengungen, durch die Überwindung von Armut, Hunger und Analphabetismus, durch die Befriedung (nicht nur) des Nahost-Konflikts, durch einen Dialog zwischen den Kulturen und den Verzicht auf Hegemonie das Gefahrenpotenzial eskalierender Konflikte abzubauen, betrieben die westlichen Industrieländer – und führend die USA – jedoch eine Globalisierung des Marktes und eine kaum kompromissbereite Interessendurchsetzung des Stärkeren. Militärische Macht, hochtechnisierte Truppenverbände und flexibel einsetzbare Eingreiftruppen erhielten die Funktion, diese den »Wettkampf der Systeme« ablösende »neue Weltordnung« zu sichern, ihr Geltung zu verschaffen.

Diese folgenschweren Fehler der westlichen Demokratien rechtfertigen nicht und relativieren in keiner Weise die Osama Bin Laden zugeschriebenen verbrecherischen Terrorakte. Neben einer entschlossenen Bekämpfung dieser terroristischen Gewalt – ihrer Anstifter, Strategen, Finanziers, Schutzgewährer und (Selbst-)Mordbereiten – mit erfolgversprechenden, völkerrechtlich legitimierten Maßnahmen (geheimdienstliche und polizeiliche Aktivitäten, Blockierung der Finanzressourcen durch Bankkontrollen, Erschwerung/Unterbindung des Drogen- und Waffenhandels; punktuelle militärische Einsätze als ultima ratio) sind daher vor allem intensivere Anstrengungen einer nachhaltigen Befriedungs- und Friedenspolitik erforderlich.

Die derzeit von Militärs dominierte Terroristenbekämpfung ist unverhältnismäßig, politisch riskant und kontraproduktiv, weil in der gegenwärtigen Welt(macht)situation mit ihren Elendsgebieten Terroristen und Terroristen-Netzwerke wie »Al Qaida« überall wie Pilze nachwachsen. Unabdingbar sind konkrete Friedensstrategien, die sich an zwei Leitvorstellungen orientieren:

  • das – im Wesentlichen vom Westen zu verantwortende – Elend zu beseitigen, in dem die Agitation und die Akte des Terrorismus gedeihen,
  • dem Terror möglichst wenig Angriffsflächen zu bieten.

Im Folgenden sollen fünf miteinander zu verbindende Friedensstrategien zur Diskussion gestellt werden. Beabsichtigt ist, im Zusammenhang öffentlich erörterter Problemzusammenhänge notwendige Akzentuierungen politischen Handelns aufzuweisen. Wir sind bereit, dieses strategische Konzept öffentlich und kontrovers zu diskutieren.

Erstens: Kategorische Ablehnung des »Krieges« als Antiterror-Strategie

Die Bekämpfung terroristischer Gewalt rechtfertigt keinen »Krieg« gegen ein Land, das dem (vermutlichen) Anstifter von Terrorakten Aufenthalt und Schutz gewährt. Notfalls notwendig werdende, umsichtig vorzubereitende militärische Kommandounternehmen müssen aufgabenbezogen streng begrenzt bleiben. Selbst wenn eine aktive Komplizenschaft zwischen Bin Laden und dem Talibanregime nachweisbar wäre – was im aktuellen Fall unterstellt wurde –, waren die Bombardements zur Unterstützung der im Land kämpfenden Nordallianz völkerrechtlich und politisch äußerst fragwürdig. Zudem vollzog sich eine nicht zu rechtfertigende Zielverlagerung des »Krieges«: Statt der angekündigten Antiterroraktion, der erklärten Konzentration auf Bin Laden und das Al Qaida-Netzwerk, wurden mit dem angestrebten Sturz der Taliban offenbar geopolitische Ziele verfolgt (Erdöl- und Erdgas-Region!) und im Übrigen versucht, jahrelange Fehler einer Politik zu korrigieren, die die USA ganz wesentlich mit zu verantworten haben.

Es ist ein Zeichen der Schwäche und des Versagens der europäischen Verbündeten, dass sie der Umdeutung einer legitimen Antiterrorkampagne in eine hochgefährliche »Kriegsstrategie« nicht entgegengetreten sind und nicht klargestellt haben, dass sie zwar an einer konsequenten Antiterrorstrategie solidarisch teilzunehmen bereit sind, Kriegs-Aktionen aber als völlig ungeeignete Reaktionen ablehnen. Der bis zur Zerreißprobe eskalierte Konflikt in den Koalitionsparteien des Deutschen Bundestages dürfte in diesem Zwiespalt seine eigentliche Ursache haben.

Im Gegensatz zu solcher devoten »Solidarität« geht es um eine strikte Absage an alle Kriegsführungsstrategien, da diese die Eskalationsspirale von Kamikaze-Terror-Aktionen in die Höhe treiben. Die öffentliche Äußerung des US-Verteidigungsministers Rumsfeld, es könne, um die Terrorbasen zu vernichten, zum Krieg gegen die so genannten Schurkenstaaten kommen, ist nicht nur eine Provokation der betroffenen Länder, sondern befördert die Terrorbereitschaft und -organisation eher, als sie abzuschrecken (vgl. Dok. 1).

Zu dieser kontraproduktiven und inhumanen Politik der Bombardements gehört übrigens auch die Umfunktionierung der von den USA (widerrechtlich) beanspruchten Lufthoheit über große Teile des Irak zu einem seit 1991 ständig erweiterten Flugverbot, das von immer neuen Bomben- und Raketenangriffen, angeblich zur Selbstverteidigung der kontrollierenden britischen und US-amerikanischen Flugzeuge, begleitet wird.

Eine weitsichtige Politik muss sich um den Abbau von Spannungen bemühen, statt – wie in Afghanistan und auch im Irak – zur Eskalation von Konflikten beizutragen. Die Terroranschläge am 11. September hätten Anlass sein müssen, im Zusammenwirken der Antiterror-Allianz eine Stärkung der Vereinten Nationen zu befördern.

Zweitens: Druck auf Israel, zur Friedenspolitik zurückzukehren

Eine friedenstiftende Politik muss sich zudem sehr viel entschiedener einem seit Jahren nicht nur im Nahen Osten Hass und Verzweiflung nährenden, Terrorbereitschaft fördernden Konflikt zuwenden: Die zwischen Israelis und Palästinensern strittigen Fragen ihrer staatlichen Existenz haben durch die Eskalation beidseitig geförderter Gewaltakte eine Brisanz erreicht, die kaum noch kontrollierbar ist und sich in spektakulären Terrorakten entladen kann (vgl. Dok. 3). Zweifellos müssen beide Seiten zur Konfliktlösung beitragen. Aber gegenwärtig trägt die israelische Regierung eine Hauptverantwortung für die Eskalation der Gewalt.

Daher geht es jetzt um einen massiven Druck auf die (letztlich selbstzerstörerische) ultra-nationalistische Hälfte der Wähler und Politiker Israels, die gegen den Willen der anderen, friedenswilligen Hälfte des Volkes mit Hilfe einer aggressiven Siedlerpolitik, mit einer Politik permanenter militärischer Provokation und Überreaktion den Friedensprozess systematisch torpediert und den Terroraktionen der extremistischen Palästinensergruppen ständig Vorwände liefert (vgl. Dok. 2).

Die israelische Rüstungs- und Militärpolitik und damit die gesamte schwer verschuldete Staatspolitik ist bekanntlich ohne die weit überproportionalen US-amerikanischen Subventionen am Ende. Es liegt also unmittelbar in der Verantwortung der Vereinigten Staaten, der permanenten Demütigung und Diskriminierung der Palästinenser durch ein als Vasall der USA betrachtetes Israel – der Hauptursache arabischen Hasses – ein Ende zu bereiten. Aus Washington kamen zeitweilig vage Andeutungen einer solchen Bereitschaft – inzwischen aber sogar Ermutigungen Sharons, Arafat zu liquidieren. Nur die EU (und der UN-Generalsekretär) stellte sich hinter Präsident Arafat. Sharon, führender israelischer Hardliner, reagierte darauf mit rüden Beschimpfungen: Um die Araber im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus zu beschwichtigen, wolle man Israel im Stich lassen. Dies zeigt dessen akute Angst, der Westen könnte, auch unter dem Druck der Weltgemeinschaft, seine aggressive, unbeirrt friedensfeindliche Politik nicht länger stützen.

Ist es Heuchelei oder Ignoranz, wenn nach dem Terrorangriff in Manhattan häufig erstaunt gefragt wurde, woher denn die maßlose Wut vieler Araber gegen die USA komme? (Vgl. Dok. 3) Dabei dürfte für jeden halbwegs Informierten zu erkennen sein, dass Israels permanente Infragestellung des palästinensischen Lebensrechts in ihren Regionen eine immer neu aufbrechende Wunde in der ohnehin prekären kollektiven Existenz dieser arabischen Völkergruppe darstellt. Daher muss die israelische Siedlungs- und Herrschaftspolitik endlich entschiedener verurteilt werden, wobei neben der diplomatischen Einflussnahme auch die Androhung von politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen kein Tabu sein sollte. Es muss ein vorrangiges Ziel der westlichen, insbesondere auch der europäischen Politik werden, das explosive Verhältnis der Palästinenser und Israelis zu befrieden.

Drittens: Ermutigung der friedenswilligen Muslime, gegen den Missbrauch des Islam Stellung zu beziehen.

Eine weitere friedenstiftende Strategie ist ein weltweiter, offener und lernbereiter Dialog mit den anti-terroristisch gesonnenen Verantwortlichen des Islam. Besonnene Politiker und Intellektuelle warnen seit Jahren vor einer Auseinandersetzung unter der Leitidee eines »Kriegs der Kulturen«, während Unbelehrbare diesen mehr oder weniger bewusst stimulieren. (»Kampf zwischen Morgenland und Abendland«). Berlusconi ging noch einen Schritt weiter, als er die alte imperialistische These von der Überlegenheit des weißen Mannes – sprich der christlichen Kultur über die islamische – reaktivierte.

Doch es genügt nicht mehr, sich gegen diese kriegtreibenden Vorurteile zu verwahren. Wichtig wäre eine Einladung, eine emphatische Herausforderung an die friedenswilligen islamischen Gelehrten, Geistlichen und Politiker, auf Kongressen und in Diskussionsforen öffentlich und entschieden gegen die Missdeutung des Korans sowie die islamistische Fanatisierung unter Missbrauch der Dschihad-Idee vom Heiligen Krieg Position zu beziehen. Ein solches Engagement bedeutender Muslim-Persönlichkeiten könnte trotz der Meinungsvielfalt in dieser Religion eine Autorität entfalten und wenigstens teilweise das Prestige der selbst ernannten »Heiligen Krieger« und ihrer Selbstmordideologie im Namen Allahs auch in der islamischen Welt destruieren (vgl. Dok. 6).

Vorbildlich war in diesem Sinne die Moskauer Konferenz mit muslimischen Würdenträgern, von der Putin in seiner Berlin-Rede berichtete, und vorbildlich ist der Appell des iranischen Präsidenten Kathami, der Bin Laden verurteilte, weil er den Islam als Vorwand für seine Aktivitäten missbrauche: Terrorismus sei ein großes Verbrechen, aber den Islam als Vorwand und Rechtfertigung zu benutzen, sei ein noch größeres Verbrechen, denn diese Religion habe niemals Gewalt und das Töten Unschuldiger gutgeheißen. In der Tat muss unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass durch die islamistischen Hasslehren eine Schändung der islamischen Religion erfolgt.

Auch der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland und ihr Vorsitzender Hassan Özdugan, sowie der Zentralrat der Muslime in Deutschland mit seinem Vorsitzenden Nadeem Elyas sollten sich noch entschiedener im Zusammenhang einer solchen weltweiten islamischen Initiative in dem genannten Sinne öffentlich an ihre islamischen Glaubensgenossen wie auch an die deutsche Bevölkerung wenden und den Rechtfertigungsversuchen eines religiös motivierten Terrors durch aufgeklärtes, auch theologisch fundiertes Wissen entgegentreten. Das verbreitete Misstrauen und die zuweilen beobachtbare Aggressivität gegenüber Muslims in der westlichen Welt werden nach den Anschlägen in New York und Manhatten nur überwunden werden können, wenn die aktiv-antiterroristische Haltung unserer muslimischen Landsleute von diesen bzw. von ihren anerkannten Sprechern unzweideutig zum Ausdruck gebracht wird.

Der öffentliche Diskurs über das Selbstverständnis des Islam ist zu verbinden mit einem interkulturellen Dialog, der Gleiches auch für die anderen Religionsgemeinschaften thematisiert.

Viertens: Gezielte Wirtschaftsprogramme gegen die Armut – Zwei Schwerpunkte

Der Kampf gegen den Terrorismus wird gewiss nicht erfolgreich geführt werden können, solange der politisch fanatisierte Islamismus als Rache-Ideologie den Massen der Armen in der muslimischen Welt Trost bietet unddaherAnhängerschaft findet. In den Entwicklungsländern rund um das südliche und östliche Mittelmeer, aber auch in Asien, haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg trotz und zum Teil gerade wegen beachtlicher Modernisierungserfolge – aufgrund einer ausbeuterischen westlichen Handelspolitik, despotischer Staatsführungen und eines alle Wirtschaftsentwicklungen überholenden Bevölkerungswachstums – arbeitslose und daher verarmte, nicht länger dörflich integrierte Massen entwickelt. Diese sind mehr und mehr zur Beute jener fanatischen Mullahs geworden, die bei der Suche nach Schuldigen für die Misere den »Westen«, insbesondere den »großen Satan« USA, ausgemacht haben.

Die Ärmsten dieser Armen lassen sich infolgedessen für Entlastungsreaktionen in Regionen wie Israel derzeit zu verheerenden Selbstmordattentaten religiös aufputschen. Sie sind sowohl Opfer wie Mittäter in pseudo-islamischen autoritären oder gar Terrorregimen wie dem der afghanischen Taliban oder des irakischen Diktators. Relativ leicht politisch instrumentalisierbar, können sie für »Heilige« Kriege mobilisiert werden. In einem solchen zwischen Iran und Irak verloren Hunderttausende in dieser Region ihr Leben. Aber auch kleine Minderheiten besser ausgebildeter Söhne dieser fanatisch antiwestlichen Armutswelt sind in den Händen eines Bin Laden und seiner Gefährten hochgefährliche Kämpfer.

Natürlich wäre es illusionär zu glauben, Wirtschaftsprogramme oder sogar eine Wende in der Welthandelspolitik könnten allein das explosive Gemisch von Armut, politischem Despotismus und religiösem Fanatismus entschärfen, das (auch) in diesen muslimischen Regionen entstanden ist. Aber zweifellos könnten ein neues Problem- und Verantwortungsbewusstsein im Westen und damit auch neue dialogbereite ökonomische Kooperationspolitiken Wesentliches beitragen, die Lage in den Armuts- und Fanatismus-Brennpunkten zu verändern.

Das entscheidende Element einer weltwirtschaftspolitischen Wende ist die von den Entwicklungsländern seit langem geforderte Reform der Welthandelsordnung. Die – wesentlich von den großen US-amerikanischen Banken und Handelsorganisationen verschuldete – Misere ist bekannt. Es handelt sich im Wesentlichen

  • um den Stopp der Kapitalflucht aus den Entwicklungsländern, die nicht ohne eine Stabilisierung der Wechselkurse erreicht werden kann,
  • um einen Stopp der Liberalisierung des Welthandels, des immer weiteren Verfalls der Agrar- und Rohstoffpreise der Dritten Welt; zusammengefasst:
  • um eine grundlegende Reform der so genannten »terms of trade« (der Austauschbedingungen), die infolge der katastrophalen Währungs- und Preisentwicklung zu ungunsten der Entwicklungsländer die Verarmung, Überschuldung und Massenarbeitslosigkeit in der Dritten Welt im vergangenen halben Jahrhundert zunehmend verschlimmert, die ökonomische Abhängigkeit vom Westen unaufhaltsam vorangetrieben haben.

Wer vor dieser Riesenaufgabe einer Reform der Welthandelsbeziehungen (vgl. Dok. 4) zurückschreckt, sollte bedenken: Die genannten Forderungen werden seit Jahrzehnten erhoben, sind jedoch vom Westen, vor allem von den USA, konsequent ignoriert worden. Jetzt aber, wenn nach der Terrorkatastrophe von New York allerorten zu Recht festgestellt wird, dass „nichts mehr so sein wird, wie es war“, ist definitiv die Stunde der Umkehr gekommen: Ist der Westen nicht bereit, die von ihm diktierte und zu Verelendungsprozessen führende »Welthandels-Ordnung« grundlegend zu reformieren, wird es auf lange Sicht keine »Austrocknung des Terroristensumpfes« geben.

Der muslimische Fanatismus ist nur eine besonders gefährliche Speerspitze des sich verschärfenden Widerstands gegen die amerikanisch dominierte Globalisierung. Die immer breiter werdenden Protestaktionen der verschiedensten Anti-Globalisierungs-NGOs (beispielsweise attac) an den Orten der internationalen Wirtschaftskonferenzen zeigen, dass der Widerstand gegen die Herrschaft von Weltbank, IWF und WTO nicht nur von Terroristen ausgeht, sondern auch von einer wachsenden gewaltfreien Bewegung artikuliert wird, mit der zunehmende Anteile der Völker sympathisieren.

Es muss alles getan werden, um an die Stelle des Terrors diesen breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand zu setzen, der die nationale, europäische und internationale Politik und durch sie die globalisierten Kapitalorganisationen zwingt, zu einer weltwirtschaftlichen Wohlfahrtspolitik umzusteuern. Gelingt dies nicht, so wird der Westen bald einer belagerten Festung gleichen, in der die Angst regiert und der Wohlstand mehr und mehr für teure Sicherheits- und Militärsysteme verbraucht wird.

Um aber nicht »allgemein« zu bleiben, schlagen wir zwei Schwerpunktprogramme vor:

  • Ein ökonomisches Sofortprogramm für Palästina: Es muss ein supranationaler, europäisch-amerikanischer »Marshallplan« zum ökonomischen Aufbau der Palästinaregion realisiert werden; damit ließe sich in einer befriedeten Region (s.o.) der Hass- und Terroragitation im Stil der Hamas der Boden entziehen.
  • Eine substanziell andere Verteilung der Ölgewinne: Mit den Ölförderungs-Konzessionen kassieren nicht nur wenige Scheich-Clans astronomische Profite, sondern auch die (meist amerikanischen) Ölgesellschaften und die (vor allem) westlichen Staaten durch milliardenschwere Steuereinnahmen. Mit Recht betrachten arabische Nationalisten dieses skrupellose Ölgeschäft als einen gigantischen Raub ihrer Bodenschätze. Die Umverteilung eines wesentlichen Teils dieser Erträge zugunsten eines volkswirtschaftlichen Aufbaus von Marokko bis Pakistan würde einen Wohlstandsschub in den Eigentümerländern bewirken und die Überwindung von Formen imperialistischer Ausbeutung einleiten. Eine darauf abzielende Konferenz der primär betroffenen Regierungen, der Ölmultis und der OPEC könnte zu Erfolgen führen, wenn allen Beteiligten klar ist, dass die Alternative eine Zunahme terroristischer und revolutionärer Angriffe sein könnte – möglicherweise auch auf die sehr verletzlichen Zentren der Ölförderung und -lagerung.

Fünftens: Dem Terrorismus weniger Angriffsflächen bieten

Die Marktgesetze in den westlichen Mediengesellschaften bringen es mit sich, dass die Folgen spektakulärer Terrorakte nicht nur jedermann drastisch vor Augen geführt, sondern dass durch eine quoten- und auflagensteigernde »Vermarktung« Überreaktionen begünstigt werden. Ein von Angst geprägtes Klima, das sich in einer Großfahndung nach Milzbrandsporen, dem Ausverkauf von Gasmasken, Panik an den Börsen bis hin zur gesetzlichen Einschränkung von individuellen Freiheiten äußert, lässt insbesondere Politiker zu Meinungsführern werden, die durch innen- und außenpolitischen Aktionismus Sicherheitsillusionen wecken, die die Verwundbarkeit hochtechnisierter Industriegesellschaften geradezu fahrlässig verdrängen. Unbewusst oder gewollt werden damit die Frage nach den Ursachen des Terrors und die selbstkritische Auseinandersetzung über langfristige Strategien zur Befriedung eines gefährlich gewordenen globalen Konfliktes aus der politischen Diskussion ausgeblendet.

Statt hysterisierender Spekulationen über zu erwartende Bedrohungssituationen und einer Fixierung (insbesondere konservativer Parteien) auf vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen ist nüchtern festzustellen: Wir werden in der westlichen Welt auch künftig mit Terroranschlägen zu rechnen haben und die Katastrophe in Manhattan macht vorstellbar, welche Risiken moderne Industriegesellschaften eingehen, wenn sie – zumindest in der Wahrnehmung islamistischer Gesellschaften – die skrupellose Verfolgung und Durchsetzung der eigenen Interessen fortsetzen. Je schneller und entschiedener eine Neuorientierung der Politik im Sinne der oben vorgeschlagenen Strategien zwei und vier eingeleitet wird, desto berechtigter dürfte die Hoffnung sein, dass Interessenkonflikte nicht mehr mit brutaler Gewalt ausgetragen werden.

Kurzfristig ist sicher das Aufspüren von Terrornetzen und der so genannten Schläfer zu intensivieren sowie durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, dass Flugzeuge weiterhin zu hochexplosiven lebenden Raketen umfunktioniert werden können, zum Beispiel

  • durch Installation abschließbarer Cockpits
  • durch Einbau eines (bereits existierenden) elektronischen Anti-Kollisionssystems
  • durch Mitflug ausgebildeter Sicherheitsbeamte (vgl. Dok. 5).

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Einzelmaßnahmen, die der Gefahrenabwehr dienen.

Fluggesellschaften und Reisende müssen sich daran gewöhnen, dass in Zeiten des weltweiten Terrorismus Flugreisen teurer werden, will man nicht eine Atmosphäre permanenter Verunsicherung und geradezu eine Einladung schaffen, sich der Jets als Massenmord-Geräte zu bedienen.

Eine allgemeine Strategie, die Verwundbarkeit hochtechnisierter Industriegesellschaften zu reduzieren, ist die systematische Umgestaltung aller terrorgefährdeten sozioökonomischen Strukturen unter der Leitidee der Dezentralisierung.

Diese Strategie ist der Friedensforschung aus der Diskussion der Folgen eines Atomkriegs bekannt, in der darauf hinwiesen wurde, dass bei einer Konzentration des sozio-ökonomischen Lebens einschließlich der Energie- und Wasserversorgung in relativ wenigen Zentren und Großanlagen ein atomarer Angriff schon vor der Verstrahlung fast alle Existenzgrundlagen vernichtet. Industrie-, Versorgungs-, Verkehrs- und Verwaltungszentren sind auch gegen massive Terroranschläge nicht zu schützen. Die Konsequenz wäre daher ihre schrittweise Entflechtung und Regionalisierung – was bei Industrieanlagen aus anderen Gründen bereits teilweise praktiziert wird.

Die Abschaltung der Atomkraftwerke hat in diesem Zusammenhang eine hervorzuhebende Bedeutung. In seinem epochalen Werk »Solare Weltwirtschaft« hat der Träger des Alternativen Nobelpreises Dr. Hermann Scheer (SPD-MdB) ein genau durchgerechnetes Szenario der Umstellung auf solare Energien entwickelt. Auch wenn dies nur in harter Auseinandersetzung mit den großen Profiteuren des fossilen Energieverbrauchs durchzusetzen ist, werden diese angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus vielleicht stärker als je zuvor von einsichtigen Bürgern und Politikern dazu gedrängt werden, an der Dezentralisierung und Denuklearisierung der Energiewirtschaft mitzuwirken (zumal nach vorliegenden Berechnungen die Erdöl- und Erdgasvorräte nur noch 40-50 Jahre reichen).

Nach dem Terrorangriff am 11. September aktualisierte Hermann Scheer seine Einsichten (FR, vom 15.9.2001): „Eine hochtechnisierte und in ihren Infrastrukturen und Produktionen hoch konzentrierte und -spezialisierte Gesellschaft hat keine wirkliche Sicherheitschance gegen weltweit mobile terroristische Desperados (…) Schon 1980 empfahl das »Energy and Defense Project« des amerikanischen Verteidigungsministeriums (…) die völlige Umstellung des Energiesystems auf dezentral bereitgestellte erneuerbare Energien, um von großen Kraftwerken und globalen Energieversorgungslinien unabhängig zu werden. Sie begründeten dies nicht ökologisch, sondern mit nationalen Sicherheitserfordernissen. Die moderne Gesellschaft kann ihre extreme Verwundbarkeit allein durch solche Dezentralisierung ihrer wirtschaftlichen Funktionen reduzieren.“

Dokumentation zum Memorandum

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einer Reihe von Texten aus der aktuellen politischen Diskussion des Antiterrorismus-Kampfes, die die Bedeutung der hier formulierten fünf Teilziele einer umfassenderen nicht-militaristischen Strategie zum Abbau und zur Abwehr des weltweiten Terrorismus verdeutlichen.

Dok. 1: EU macht Front gegen Bushs politischen Kurs

(Von Martin Winter in Frankf. Rundschau, 11.02.02)

(…) Fünf Monate nach dem Anschlag vom 11. September und der Gründung der internationalen Koalition gegen den Terrorismus haben sich die Außenminister der fünfzehn EU-Staaten am Wochenende unmissverständlich von der Linie der USA abgesetzt.

Auf ihrem informellen Treffen im spanischen Cáceres wiesen sie die These des US-Präsidenten George W. Bush von der »Achse des Bösen« zurück. Dies sei nicht die „Art, wie wir Politik anlegen“, sagte Bundesaußenminister Joschka Fischer. Sein französischer Kollege Hubert Védrine, der als Erster aus der Runde den USA eine „einfältige“ Sicht der Welt vorgeworfen hatte, bedauerte, „dass wir jetzt laut werden müssen, um gehört zu werden“. Der britische Außenminister Jack Straw sprach von „unterschiedlichen Positionen“ zwischen den USA und der EU.

Hintergrund der Absetzbewegung der EU von der US-Politik ist die Befürchtung der Europäer, dass eine Konzentration auf die reinen Sicherheitsaspekte der internationalen Politik zu kurz greift. So sieht die EU unkalkulierbare Folgen für den Nahen Osten, falls die USA Irak angreifen sollte. Wie am Rande der Konferenz zu erfahren war, bereitet der EU auch Sorge, dass Israels Regierung sich unter Berufung auf die US-Strategie der Terrorbekämpfung im Konflikt mit den Palästinensern auf Sicherheitsfragen zurückgezogen hat. Dabei gehe es doch „auch um Politik“, sagte Spaniens Außenminister Joseph Piqué.

Die Lage im Nahen Osten, der „Teil der europäischen Sicherheit ist“, wie Fischer sagte, wird von der EU so kritisch eingeschätzt, dass sie trotz Missfallens aus den USA den politischen Prozess mit eigenen Initiativen wiederzubeleben sucht. Washington hatte noch vor Beginn des Treffens französische Ideen etwa für eine vorgezogene Anerkennung des Palästinenserstaates als „nicht hilfreich“ kritisiert. Mit Befremden reagierten die Minister auf einen Bericht, wonach US-Vizepräsident Dick Cheney Israels Regierungschef Ariel Scharon gesagt haben soll, von ihm aus könne er (PLO-Chef) „Arafat aufhängen“.

Dok. 2: Frieden in Nahost ist möglich

(Von Ludwig Watzahl in Frankf. Rundschau v. 19.10.01)

(…) Die Palästinenser werden nicht als »Terroristen« geboren. Israels Staatspräsident Mosche Katzav hat in seiner Erklärung vom 23. Mai 2001 die politischen Umstände, die sie zu solchen werden lassen, völlig negiert. Eine rassistische Argumentation wie die seine schürt letztlich neuen Hass: „Es gibt eine riesige Kluft zwischen uns (Juden) und unseren Feinden – nicht nur, was die Fähigkeit anbelangt, sondern auch hinsichtlich der Moral, Kultur, der Achtung des Lebens und des Gewissens. Sie sind hier unsere Nachbarn, aber es scheint, als ob auf einer Distanz von einigen hundert Metern Menschen leben, die nicht zu unserem Kontinent, zu unserer Welt, tatsächlich aber zu einer anderen Milchstraße gehören.“

Der Journalist Gideon Levy schätzte dagegen in Ha‘aretz sachlich ein: „Die Polizei in Südafrika behandelte die Schwarzen, als ob sie keine Menschen wären. Das gleiche geschieht hier. Ein Nicht-Volk, Nicht-Menschen, Menschen ohne Rechte oder Menschenwürde – deshalb ist es in Ordnung, alles mit ihnen zu tun. Und dies durchdringt alles“ (…).

Der Likud ist bereit, 42 Prozent des besetzten Landes aufzugeben, vielleicht ein Prozent mehr. Die Arbeitspartei hatte sich in dieser Frage lange nicht festgelegt. Baraks Angebot vom Juli 2000 in Camp David, 95 Prozent zurückzugeben, kommt einem Täuschungsmanöver gleich. Da Israel bereits 60 Prozent der Westbank als Staatsland deklariert hat, die es nicht zurückgeben wird, bezogen sich die 95 Prozent auf jene unumstrittenen 40 Prozent des besetzten Territoriums, von denen auch der Likud stets ausgeht. Für die Arbeitspartei ist Trennung das Zauberwort, sie möchte den neokolonialistischen Einfluss behalten und die Bewohner der Gebiete separieren, wohingegen Scharon ein Zusammenleben mit den Palästinensern für möglich hält.

Ein souveräner Palästinenserstaat läge aus mehreren Gründen im Interesse Israels. Er wäre weder ökonomisch und politisch noch militärisch eine Bedrohung für das Land. Im Gegenteil: Die verspätete Staatsgründung auf Grund der UNO-Resolution würde die Existenz Israels in den international anerkannten Grenzen legitimieren. Ein zu schaffendes regionales Sicherheitssystem und die daraus resultierende Kooperation kämen dem Sicherheitsbedürfnis Israels entgegen. Durch die Rückgabe der besetzten Gebiete wäre jedem Terror die Grundlage entzogen. Auch Hamas und die anderen islamischen Gruppen hätten dies zu akzeptieren, weil die Grundlage für ihren weiteren Widerstand entfallen wäre.

Für die Schaffung eines dauerhaften Friedens bedarf es zweier neuer Grundlagen: einer veränderten politischen Einstellung Israels und eines anderen internationalen Verhandlungsrahmens. Die erste Vorbedingung ist, ein Minimum an Gerechtigkeit für die Palästinenser zu schaffen. (…)

Bisher hat keine israelische Regierung den Anspruch der Palästinenser auf einen souveränen Staat anerkannt. Im jetzigen Kabinett Ariel Scharons sind rechtsnationalistische und religiös-fundamentalistische Politiker vertreten, die den besetzten Gebieten einen »heiligen« Status zuweisen. Ein Teil der Regierungsparteien lehnt den säkularen israelischen Staat prinzipiell ab. Dass diese Kräfte keinen positiven Ansatz zur Lösung des Nahostkonflikts entwickeln, liegt in der Logik ihres Denkens. (…)

Frieden in der Region kann niemals auf Basis der Hegemonie und Dominanz der USA oder Israels gesichert werden, sondern nur auf der Grundlage des Völkerrechts. Die Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats betont die „Unzulässigkeit des Erwerbs von Territorium durch Krieg“ und verweist auf die Charta der Vereinten Nationen. Die Grundsätze dieser Charta verlangen die Herstellung eines gerechten und dauerhaften Friedens im Nahen Osten. Dies setzt voraus, dass die israelische Besetzung palästinensischen Landes beendet, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anerkannt, ein souveräner Palästinenserstaat mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem geschaffen, die Rückkehr der Flüchtlinge in diesen neuen Staat gemäß den UN-Resolutionen gestattet sowie die Auflösung der Siedlungen in den besetzten Gebieten beschlossen wird. Von einer solchen Lösung würden Palästinenser und Israelis profitieren. (…)

Dok. 3: Hat der Westen über das Ausmaß des Hasses Bescheid gewusst?

(Gastkolumne von Horst-Eberhard Richter in ND vom 20.10.01)

Der Westen muss endlich einsehen, dass auf dieser Erde alle aufeinander angewiesen sind und dass wir nur in Anerkennung dieser Verbundenheit jemals eine Kultur des Friedens erreichen, nur in einer ebenbürtigen Gegenseitigkeit Probleme lösen können. Dazu gehört ein gerechtes und faires Teilen. Ein Höchstmaß an Sicherheit kann nie gegeneinander, sondern nur miteinander geschaffen werden.

Um die eigene Verirrung zu durchschauen, muss der Westen lernen, sich in die Lage derer einzufühlen, die er egoistisch und arrogant als Verlierer hinter sich gelassen zu haben glaubt. Aber dazu muss er dialogfähiger werden, muss er ein neues Zuhören erlernen. Bezeichnenderweise hat im Westen kaum einer vor dem 11. September über das Ausmaß des Hasses in einigen armen islamischen Ländern Bescheid gewusst. Es ist der Hass, aus dem eine Gruppe von bürgerlich wohl angepassten, intelligenten und disziplinierten Männern den Antrieb zu ihren wahnwitzigen Anschlägen geschöpft hat. Dabei war die Explosion ohnmächtiger Wut im Kleinformat alltäglich in Nahost zu besichtigen gewesen. Während der Westen seine Kunst perfektioniert hatte, die Manipulierbarkeit islamischer Feudalherren und ihrer Cliquen für eigene Interessen auszunutzen, hat er sich um die Seelenlage der verarmten Massen in jenen Ländern kaum gekümmert.

Aber will der Westen lernen? Wir erleben jetzt täglich die gleichen militärischen Erfolgsberichte wie im Jugoslawienkrieg. Bombengeschwader und Cruise Missiles gegen eines der ärmsten Länder, von dem nicht einmal gewiss ist, dass von hier aus die Überfälle vom 11. September organisiert wurden. Hunderttausende auf der Flucht, zigtausende Kinder vor dem Verhungern. Vergebliche Notrufe von Hilfsorganisationen. Ist das noch gerechte Selbstverteidigung oder nachvollziehbare Strafaktion? Es erschien wie ein widerwilliges Geständnis, als eine der ersten Raketen ausgerechnet vier UNO-Helfer tötete, die mit Minenräumen auf afghanischem Boden betraut waren. Ein »Kollateralschaden«, der sich nicht verschweigen ließ. Wie viel wird man später von ähnlichen Fehlschlägen hören? Vom Jugoslawienkrieg wurde nachträglich berichtet, dass von 90.000 Tonnen abgeworfener Bomben 60.000 nicht die beabsichtigten Ziele getroffen hätten.

Eine Riesenchance ist fürs erste verpasst, nämlich den Schock vom 11. September zu nutzen, um zusammen mit den besonnenen Mehrheiten der beunruhigten islamischen Länder eine Solidarität der Vernunft zu schmieden.

Dok. 4: Rot-Grün verharrt im Neoliberalismus

(Desillusionierte Intellektuelle und Wissenschaftler rechnen mit der rot-grünen Regierungspolitik ab und empfehlen umfassendes Umsteuern, zitiert nach Frankf. Rundschau. vom 13. 11. 01)

(…) Nach unserer Auffassung kommt es vordringlich darauf an, die ideologische Dominanz des Neoliberalismus zu brechen. Wir setzen den Heilsbotschaften der Marktradikalisten unsere Grundüberzeugungen entgegen:

Die völlige Ökonomisierung der Gesellschaft ist ein Weg in die Barbarei. Wie die ökonomischen Erfolgskriterien des globalisierten Kapitalismus zu den Leitwerten der Gesellschaft werden, droht ein Totalitarismus neuer Art: der menschenverachtende Ökonomismus. Er steht in unversöhnlichem Gegensatz zum Menschenbild des Humanismus und des Christentums und den auf ihm basierenden demokratischen Grundwerten und Menschenrechten. (…)

Die neoliberale Ideologie hat nahezu überall auf der Welt zu mehr Arbeitslosigkeit geführt; zugleich sind verhältnismäßig wenige Reiche unermesslich viel reicher geworden, während die große Mehrheit der Menschen und besonders die Ärmsten der Armen dramatische Verschlechterungen ihrer Lebenssituation hinnehmen mussten. Wer unter diesen Bedingungen die Gesellschaft zusammenhalten und gewaltsame Eruptionen vermeiden will, muss alle verfügbaren politischen Instrumente einsetzen und sich neue Instrumente verfügbar machen, um mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Nach hoffnungsvollen Ansätzen einer Umkehr in der Steuerpolitik bei der ersten Stufe der Steuerreform wurde jedoch die Privilegierung großer privater Vermögen und Einkommen festgesetzt. International ist die Bundesrepublik inzwischen ein Niedrig-Steuerland für Einkommen aus Kapital und Vermögen.

Wir sind der Meinung, dass Umverteilung im 21. Jahrhundert zu den dringlichsten politischen Aufgaben gehört. Eine Politik, die auf Privatisierung, Deregulierung, Senkung der Staatsquote und auf Sparhaushalte setzt, wird Arbeitslosigkeit und Armut nur verschärfen. Vielmehr kommt es darauf an, Reichtum und Arbeit umzuverteilen

Dok. 5: Methoden gegen Luftpiraten

(Israels El Al setzt mit Erfolg bewaffnete Flugbegleiter ein. Atom-Experten warnen vor Attacken auf Kernkraftwerke, in Frankf. Rundsch. vom 13.09.01)

Vorschläge für einen verbesserten Schutz sind schon seit längerem in der Diskussion. Dazu gehört die Idee, den Durchgang von der Passagierkabine zum Cockpit völlig wegzulassen. So hätte während des Fluges niemand die Möglichkeit, zu den Piloten vorzudringen. Das Problem dabei: Die Cockpit-Tür ist zugleich ein Notausgang, auch für die Passagiere.

Ein anderer Vorschlag zielt darauf, in bestimmten Situationen stärker auf die Technik zu setzen als auf die Piloten. So gibt es schon seit Jahren Geräte, die den Flugzeugführer akustisch warnen, wenn er auf ein Hindernis zusteuert. Sie könnten automatisch mit der Flugzeugsteuerung gekoppelt werden – es würde dann automatisch eine Ausweichbewegung eingeleitet, ohne dass der Pilot die Möglichkeit hätte, den Kurs zu ändern.

Die US Navy hat bereits vor zwei Jahren begonnen, einen so genannten »Smart Cockpit Controller« (SCC) zu testen. Das System arbeitet mit zahlreichen Untersystemen sowie neuronalen Computern. Es ist aber auf Jahre hinaus nicht mit der Einführung derartiger Kontroll- und Sicherheitssysteme in die Passagierluftfahrt zu rechnen.

Die einfachste, erfolgreichste Methode gegen die Luftpiraterie demonstriert seit vielen Jahren die israelische Luftlinie El Al. Sie setzt bewaffnete Flugbegleiter in all ihren Maschinen ein. Seit diese »Sky Marshalls« an Bord sind, ist keine Entführung einer El-Al-Maschine mehr versucht worden. Alle anderen Luftlinien lehnen dieses Modell bisher aber ab.

Das könnte sich nach den Anschlägen in den USA ändern. (…)

Atom-Experten und Umweltorganisationen treibt die Sorge um, Terroristen könnten auch Atomkraftwerke zum Ziel für Angriffe wie in New York machen. Auch moderne westliche Atomkraftwerke seien dagegen nicht geschützt, es drohe eine Kernschmelze mit Verstrahlungen ganzer Regionen, sagt der Leiter der Reaktorsicherheitskommission des Bundes (RSK), Lothar Hahn, der FR. Umweltschutz-Gruppen forderten die Stillegung der Atomkraftwerke.

Dok. 6: Ein demokratischer Islam ist möglich und notwendig

(Von Asim Khan in Frankf. Rundsch. v. 01.03.02)

Auch wenn der Zentralrat nicht alle Muslime in Deutschland vertritt, so hat doch die »Islamische Charta« (FR v. 22. Febr. 2002) mit ihrem Bekenntnis zum Grundgesetz einen hohen symbolischen Wert und macht zudem deutlich, dass ein toleranter Islam möglich und notwendig ist, zumal in einer Zeit, in der die Islamphobie des Westens durch die jüngsten Geschehnisse leider einen neuen Höhepunkt erreicht hat.

Demokratie, Freiheit und Menschenrechte stehen indes keineswegs im Widerspruch zum Islam, auch wenn viele selbst ernannte »islamische« Staaten durch ihr Verhalten den gegenteiligen Eindruck erwecken und sich anmaßen, liberale Interpretationen des Islams zu verurteilen. Verurteilenswert sind in Wahrheit solche Muslime, die durch ihre archaischen Vorstellungen ein falsches und geradezu gefährliches Bild des Islams vermitteln. Die größte Gefahr für diese Religion ist heute in der Tat der Fundamentalismus, der zwar den Anspruch erhebt, im Sinne unumstößlicher religiöser Grundsätze zu handeln, nicht selten aber die Auslegung der Glaubenssätze an den machtpolitischen Interessen ausrichtet, denen er dient.

Diesem Fundamentalismus gilt es einen aufgeklärten Islam entgegenzusetzen. Denn Fakt ist, dass die Muslime durch das Bejahen der demokratischen Grundordnung ihre Identität nicht etwa preisgeben, sondern festigen, da das deutsche Grundgesetz – im Gegensatz zur Verfassung vieler »islamischer« Staaten – all jene Rechte gewährt, die auch der Islam postuliert, wie etwa Meinungs-, Religions- und Handlungsfreiheit. Das Verhältnis vieler großartiger deutscher Denker zum Islam – Lessing, Herder, Goethe, Rückert oder von Arnim seien hier nur beispielhaft erwähnt – zeugt von einer langen und positiven Geschichte des Islams in Deutschland. Heute, da das Verhältnis sichtlich gespannt ist, bedarf es mehr denn je einer Wiederaufnahme des Dialogs, um Ängste und Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen und ein nachhaltig friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Das Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung.