Frauen, Friedensforschung, Feminismus
30 Jahre Netzwerk Friedensforscherinnen
von Christine Buchwald und Michaela Zöhrer
Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK)
und der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V. (IWIF)
Beilage zu Wissenschaft und Frieden 1/2022
mit finanzieller Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Editorial
von Christine Buchwald und Michaela Zöhrer
Wer sich heute in der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung bewegt, wird früher oder später auch Forschung zu Gender und feministischen Perspektiven begegnen. Manche werden sich mehr, manche weniger darauf einlassen und wieder andere werden sie auch weiterhin »gekonnt ignorieren«. Doch wegzudenken sind gendersensible und feministische Ansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung kaum noch. Das ist auch den Bemühungen jener Frauen zu verdanken, die sich seit der Gründung des Netzwerks Friedensforscherinnen innerhalb der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) im Jahr 1990 in dessen Rahmen organisieren.
Seine Arbeit richtet das Netzwerk zum einen »nach außen«. Deutlich wird dies an zwei der vier 1991 ausbuchstabierten Gründungsziele: Ziel sei die „Durchbrechung der männlichen Dominanz in der Wissenschaft und Öffentlichkeit durch das Angebot einer Alternative“ sowie die „Sichtbarmachung von Frauen als Subjekte wie auch Objekte der Friedensforschung“. Zum anderen gab (und gibt) es wichtige »im Inneren« des Netzwerks zu verfolgende Zielsetzungen: Die „Vernetzung von Frauen aus unterschiedlichen Bereichen, die mit der Friedensforschung zusammenhängen“ sowie die gegenseitige „Unterstützung bei Diskriminierungen, bei der Arbeit und dem Erfahrungsaustausch über die Praxis in der Wissenschaft” (zitiert nach Wasmuht 1998, S. 68).
Damit ist das Netzwerk Friedensforscherinnen ein Beispiel für gleichstellungspolitische und feministische Bewegungen und Bestrebungen und es rückt aus diesem Grund in den Mittelpunkt dieses Dossiers. Der Fokus liegt auf zwei Aspekten: Auf der Dokumentation und Würdigung der Geschichte, Entwicklung und Wirkung dieses spezifischen Netzwerks einerseits, auf der Sensibilisierung für die Übertragbarkeit dieser Erfahrungen auf weitere Kontexte andererseits. Das Netzwerk Friedensforscherinnen ist ein Beispiel von vielen, an denen sich Entwicklungen und Debatten zu Frauensolidarität und Feminismus nachzeichnen lassen.
Material und Ausrichtung
Das Dossier stützt sich auf Interviews mit Friedensforscherinnen, die anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Netzwerks Friedensforscherinnen geführt wurden. Darüber hinaus fließen auch Erkenntnisse aus historischen (Archiv-)Dokumenten sowie wissenschaftliche Literatur in die Beiträge dieses Dossiers mit ein. Trotz der Fülle an Material erheben wir mit unseren Texten nicht den Anspruch, eine fundierte historische oder wissenschaftstheoretische Forschung zur Geschichte des Netzwerks anbieten zu können; auch einen systematischen Rückblick auf die Entwicklungen geschlechterbezogener Friedens- und Konfliktforschung im deutschsprachigen Raum können wir nicht leisten. Für beides soll das Dossier jedoch ein Anstoß sein.
Mit unserer Aufarbeitung der Geschichte(n) des Netzwerks möchten wir vor allem Erfahrungswissen verschiedener Generationen von Frauen des Netzwerks, insbesondere aber der Gründerinnen-Generation, teilen: Erfahrungswissen, von dem andere Personen – nicht nur Frauen und vielleicht auch nicht nur Wissenschaftler*innen – sich inspirieren lassen und lernen können. Dieses Wissen wird von uns verarbeitet und gerahmt, die wir beide seit ca. zehn Jahren Mitglieder des Netzwerks Friedensforscherinnen sind. Unser Blick ist von dieser Zugehörigkeit mit beeinflusst. Es geht auch deshalb nicht um eine »pure« Wissensübermittlung, sondern wir bieten unsere Lesarten der Geschichten an. Wir wollen dennoch auch kritische Aspekte beleuchten und zu kritischen Reflexionsprozessen einladen.
Neben einem Gespräch zu den Hintergründen und Motiven der geführten Interviews sowie einigen kurzen »Info-Kästen«, umfasst das Dossier vier Beiträge. Diese beschäftigen sich
- mit dem historischen und fachdisziplinären Kontext der Entstehung des Netzwerks,
- mit persönlichen Eindrücken zum Gründungsprozess und dessen unmittelbaren Entwicklungen,
- mit den Auswirkungen, Aushandlungen sowie Funktionen des Netzwerks für Frauensolidarität in der AFK und darüber hinaus sowie
- mit inhaltlichen Impulsen gendersensibler und feministischer Perspektiven, die in den letzten Jahrzehnten merkbar Spuren in der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung hinterlassen haben.
Die zwei Beiträge von Michaela Zöhrer widmen sich der »Außenwirkung« des Netzwerks, dessen (nicht nur inhaltliches) Ein- bzw. Hineinwirken in die deutschsprachige Friedens- und Konfliktforschung. Die beiden Texte von Christine Buchwald fokussieren die »Arbeit im Inneren« des Netzwerks und gehen folglich explizit auf die Erfahrungen und Einschätzungen seiner Akteurinnen ein.
Danksagung
Die Entstehung dieses Dossiers wäre nicht möglich gewesen, ohne die vielen engagierten Frauen des Netzwerks Friedensforscherinnen. Im Besonderen danken wir den interviewten Frauen für die Bereitschaft, ihre ganz persönlichen Geschichten, Eindrücke und Einschätzungen zu teilen. Weil es sich nur um Auszüge handelt und es daneben viele Stimmen gibt, die (noch) nicht gehört oder festgehalten werden konnten, freuen wir uns darauf, den Diskurs weiterzuführen, der Raum für diverse Sichtweisen und persönliche Erfahrungen bietet.
Ein Schatz, den es zu bergen galt
Ein Gespräch mit Christine Buchwald und Lena Merkle, die 2019 wichtige Gestalterinnen des Netzwerks Friedensforscherinnen der AFK interviewt haben. Das Gespräch wurde geführt von Michaela Zöhrer.
Michaela Zöhrer (MZ): Wir haben bei der Erstellung des W&F-Dossiers mit dem Titel „Frauen, Friedensforschung, Feminismus“ die großartige Chance, auf Interviewmaterial zurückzugreifen, in dem Friedensforscherinnen verschiedener Generationen zu Wort kommen. Das sind Frauen, die sich im Rahmen der AFK wahlweise als Gründerinnen des Netzwerks Friedensforscherinnen hervorgetan haben oder sich in den Folgejahrzehnten als Frauenbeauftragte engagierten. Die Bergung dieses Fundus und Schatzes an Erinnerungen, Erfahrungen und auch Einschätzungen zu Entwicklungen des Netzwerkes ist euch und eurem Einsatz zu verdanken! Ihr habt euch 2019 auf »Interview-Tour« in Deutschland und Österreich begeben. Meine erste Frage an euch: Was hat euch eigentlich dazu bewogen diese Gespräche zu suchen und zu führen?
Christine Buchwald (CB): Der Ursprungsimpuls war sicherlich, dass wir das dreißigjährige Jubiläum des Netzwerks Friedensforscherinnen der AFK feiern wollten, das 1990 gegründet wurde. Uns wurde im Zuge der Vorbereitungen des Jubiläums immer wieder bewusst, dass wir gar nicht so viel über seine Geschichte wissen – was wir schade fanden. Es fehlte uns an Hintergrundwissen, auch wenn wir immer wieder mit Personen wie Regine Mehl oder Hanne Birckenbach zu tun haben. Also mit Frauen der Gründerinnengeneration des Netzwerkes, die nach wie vor in der AFK und nahbar sind. Wir wollten also gucken, ob wir Stimmen einfangen können, vielleicht sogar von Personen, die wir noch nicht kennen, und von Zeiten, die wir selbst nicht miterlebt haben.
Lena Merkle (LM): Ja, und das war auch der Impuls mit dem du an dem Tag, an dem wir als Frauenbeauftragte [2018] gewählt wurden, auf mich zukamst. Ich war ja zu diesem Zeitpunkt noch ganz neu in der AFK und habe erst am Tag davor von der Existenz des Netzwerkes überhaupt erfahren. […] Es gab dann diesen Prozess, in dem wir feststellten: Wir haben ganz wenig Vorstellung davon, wie das alles eigentlich ablief, wer so beteiligt war und in welcher Form. Wir haben uns dann dazu entschieden, dass das Interviewformat ein Format ist, mit dem wir sehr schön diese Geschichten hören. Und, ja, die ursprüngliche Motivation war ganz stark auch ein persönliches Bedürfnis: Wir wollen das wissen, wir wollen diese Geschichten und Erzählungen hören. Daran schloss sich die Annahme an: Wenn wir das hören wollen, dann wollen das sehr viele andere Leute vermutlich auch, dann ist das etwas, was andere, zum Beispiel die anderen Frauen im Netzwerk, auch interessiert.
CB: Um das aufzugreifen, was Lena gerade gesagt hat: die persönlichen Geschichten hören wollen. Das ist natürlich sehr von den Personen geprägt, die wir bereits aus dem Netzwerk kannten. Die Tatsache, dass das Netzwerk an sich schon vorher auf einer sehr persönlichen Ebene – für mich zumindest – stattfand, war sicherlich ein Grund dafür, auch auf einer persönlichen Ebene die Gespräche zu suchen. Hinzu kam die Überzeugung: Die Geschichten, die sie erzählen, die müssen festgehalten werden! Aber selbst die Interviews, die wir dann geführt haben, sind nur Ausschnitte aus dem großen Fundus, was sie eigentlich alles erzählen könnten. Das müsste man eigentlich noch viel größer anlegen.
MZ: Ich höre viel raus. Einerseits: Das Netzwerk feiern. Und anderseits das große Interesse von euch, so unterschiedlich ihr auch gestartet seid, eure große Neugierde an den Geschichten. Meine zweite Frage an euch: Warum ist es aus eurer Sicht so wichtig, diese Geschichten zu sammeln und zu hören, um damit mutmaßlich auch von früheren Generationen zu lernen?
LM: Das berührt für mich letztlich die Frage, wie man Feminismus denkt. Meiner Meinung nach sollte Feminismus in einer Tradition stehen: Es gibt viele, viele Kämpfe, die schon gekämpft wurden. Es gibt viele, die noch zu kämpfen sind. Aber ein Verständnis dafür, welcher Weg schon gegangen wurde, ist, glaube ich, ganz elementar für den Weg, der noch zu gehen ist. Wenn wir über Feminismus reden, wenn wir über Gleichstellung reden: Wir reden immer über Machtdynamiken und die stehen in einem historischen Kontext, in einem gewissen Kontinuum, in einem patriarchalen Kontext. Und ich glaube, das sind Ebenen, die natürlich eine enorme Rolle spielen, auch für das, was so ein Netzwerk wie das Netzwerk Friedensforscherinnen macht. Denn immerhin sind wir Friedens- und Konfliktforscherinnen und dadurch steht das Netzwerk nicht in einem luftleeren Raum, sondern eben in einer wissenschaftlichen, aber auch aktivistischen Tradition.
MZ: Geht es also auch darum, über den historischen Vergleichshorizont eine Sensibilität für das gegenwärtige »Mittendrin-Stecken« zu gewinnen?
LM: Ja, absolut. Wir bewegen uns in gewissen Mustern. Ich glaube, man kann wahnsinnig viel lernen, wenn man zuhört. Das wird vermutlich auch Christine bestätigen können: Wenn wir diese Interviews hatten – gerade mit Hanne Birckenbach oder Regine Mehl, die schon lange dabei sind – da werden Kämpfe oder auch Situationen beschrieben, die so heute vielleicht nicht mehr passieren würden und sich dennoch manchmal wahnsinnig vertraut anfühlen. Da steckt sicherlich auch ein gewisser wissenschaftlicher Wert drin, wobei ich trotzdem einfach finde: Frauen, die diesen Weg gegangen sind, sichtbar zu machen, zu feiern, wertzuschätzen, ist auch unabhängig davon wichtig.
CB: Ein Moment der Würdigung der Leistung ist unfraglich mit drin gewesen: Sich aus einer allgemeinen wissenschaftlichen oder auch Wissensperspektive dem zu nähern, was Frauen alles Erleiden und Erreichen mussten. Dass man das auch nochmal wertschätzt und würdigt. Und das eben durch diese Gespräche und die Tatsache, dass man ihnen – in Anführungsstrichen – einfach mal zuhört und das sichtbar macht. Das war ein wichtiger Moment, der uns vielleicht sogar erst so richtig bewusst wurde, als wir die Interviews geführt haben. […] Das hatte was von: Würdigung der Leistung. Aber auch von: Anerkennung dessen, wie sie das geleistet haben. Da sind wir wieder beim Thema Feminismus. Solidarität oder auch Anerkennung ist aus meiner Sicht nur dadurch möglich, dass man Verständnis dafür entwickelt, wie die Personen das erlebt haben, was sie erlebt haben. Ich kann nicht nachempfinden, wie es in den 1980er Jahren war, Friedens- und Konfliktforscherin gewesen zu sein. Das heißt, wir können das nicht unbedingt nachempfinden, aber wir können ein Verständnis dafür aufbringen und entwickeln. Das aber auch nur dann, wenn wir wissen, was passiert ist und was wie erlebt wurde. Wenn wir das alles nicht wissen und auch nicht festhalten für Nachfolgende, dann ist das weg! Viele der interviewten Frauen würden mir hier vermutlich widersprechen, weil sie ja noch nicht so alt sind, dass man Gefahr läuft, dass sie morgen nicht mehr da sind. Die Geschichten sind trotzdem irgendwann weg, wenn man nicht darüber spricht. Auch die Personen sind vielleicht irgendwann nicht mehr Teil des Netzwerks, weil sie beruflich andere Wege eingeschlagen haben oder einschlagen mussten. Es gab ja durchaus Frauenbeauftragte, die wir nicht interviewen konnten, weil wir sie nicht mehr gefunden haben. Deren Geschichten sind weg.
MZ: Wenn ihr zurückblickt, gab es vielleicht die eine lesson learned? Oder was wirkt bei euch besonders nach?
LN: Die Interviews fühlen sich tatsächlich an wie so ein Schatz. Für mich ist es ein wahnsinniges Privileg, diese Einsicht bekommen zu haben. Und ich habe das Gefühl, ich habe dadurch so viel über das Netzwerk und auch allgemeiner über Frauensolidarität verstanden, was ich sonst nie verstanden hätte. Die Geschichten und auch das Zusammentreffen mit den Frauen [für die Interviews] geben dem Ganzen so eine Relevanz und Tiefe. Das hat sehr stark auch von der persönlichen Begegnung gezehrt. Das sind alles extrem coole Frauen, mit ganz unterschiedlichen Charakteren.
CB: Das ist zwar keine lesson learned, aber was ich besonders toll fand: Von ganz vielen der Interviewten kam eine Wertschätzung wiederum uns gegenüber zurück – und ein Dank dafür, dass wir das machen. Das war generationenübergreifend. Es war schön zu sehen, wie wichtig ihnen das Netzwerk ist, selbst denen, die mit dem Netzwerk gar nichts mehr zu tun haben und aus einer rein historischen Perspektive erzählt haben. Die trotzdem dann gesagt haben: Ich finde super, dass ihr das jetzt macht und hoffentlich macht ihr damit noch ganz viel. Die Frauen, mit denen wir gesprochen haben, sehen diesen Schatz also auch.
Vorgeschichte zu diesem Dossier
Im Jahr 2020 hat das Netzwerk Friedensforscherinnen der AFK sein 30-jähriges Jubiläum erlebt. So richtig gefeiert werden konnte das aufgrund der Pandemie zwar nicht – und doch war eine Würdigung von langer Hand geplant und vorbereitet worden. Mit der Zielsetzung, auf dem AFK-Jahreskolloquium 2020 mit einer Poster-Ausstellung einige Schlüsselmomente und -personen der 30-jährigen Geschichte für die anwesenden Friedens- und Konfliktforscher*innen sichtbar und zugänglich zu machen, haben Lena Merkle und Christine Buchwald im Jahr 2019 insgesamt 15 Interviews mit Gründungsmitgliedern des Netzwerks und einem Großteil aller späteren Frauenbeauftragten der AFK geführt.
Das Kolloquium 2020 musste abgesagt, das im Folgejahr stattfindende Kolloquium in den digitalen Raum verlegt werden. Speziell für eine Poster-Ausstellung sind das zweifellos »ungünstige Bedingungen«, lebt eine solche doch davon, dass Personen zwischen den Stellwänden umherwandern, schmökern oder auch im Gespräch mit anderen etwas länger verweilen. Im Zuge des digitalen Kolloquiums 2021 wurde gerade aus dem Netzwerk heraus deutlich: Es braucht eine nachhaltigere Dokumentation der Geschichte(n). So entstand die Idee, mit dem vorliegenden reichhaltigen Interviewmaterial weiterzuarbeiten – gewissermaßen die »Geburtsstunde« des vorliegenden Dossiers.
Hier sind die Friedensforscherinnen!
Feministische Interventionen in die Friedens- und Konfliktforschung
Michaela Zöhrer
Der Text »Sag mir, wo die Frauen sind! Oder: Friedensforschung, eine männliche Wissenschaft?« aus dem Jahr 1987 von Ute Volmerg (sie war damals eine von zwei weiblichen von insgesamt 22 wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK) ist noch aus heutiger Sicht wegweisend. Zuerst und im besonderen Maße war er dies jedoch für die damaligen politischen und inhaltlichen Auseinandersetzungen und Kämpfe, die von einigen Friedensforscherinnen in Westdeutschland »angezettelt« und ausgefochten wurden: in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen, insbesondere aber in den Forschungsinstitutionen.
Zu verzeichnen gab es entsprechende Auseinandersetzungen etwa im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) rund um die Gründung des Netzwerks Friedensforscherinnen im Jahr 1990. Dabei setzte der „Aufstand der Frauen“ (Interview Hanne-Margret Birckenbach) an mehreren Enden und auf mehreren Ebenen an: auf personeller, institutioneller und wissenschaftspolitischer sowie auf inhaltlicher, methodologischer und wissenschaftskritischer Ebene. Für ein Verständnis der Entstehung des Netzwerks und dessen (frühes) Hineinwirken in die deutsche Friedens- und Konfliktforschung lohnt der Blick auf die erfolgten feministischen Interventionen in diesem Kontext.
Mangelhafte Repräsentation
Besonders großen Nachhall erfuhr folgendes Zitat bzw. folgende Intervention von Volmerg (1987, S. 206): „[D]ie Männer untersuchen das, was ‚oben‘ und ‚außen‘, die Frauen das, was ‚unten‘ und ‚innen‘ passiert. – Ein getreues Abbild geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung in der Gesellschaft, sie wirkt bis hinein in den Wissenschaftsbegriff, die Erkenntnisinteressen und Methoden der Forschung“. Beobachtet wird hier unter anderem die zur damaligen Zeit (und mitunter bis heute) vorherrschende hierarchische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern innerhalb des interdisziplinären Feldes der Friedens- und Konfliktforschung. Diese existierte mit Blick auf sogenannte harte und weiche Themen ebenso wie hinsichtlich der disziplinären Verortung der Wissenschaftler*innen (Volmerg 1987, S. 207). „Also Frauen haben damals vorwiegend Friedenspädagogik gemacht und sozialpsychologische Ansätze verfolgt. Aber so die ‚harte Sicherheitspolitik‘, die war natürlich immer Männersache. Und da hat man/Mann auch überhaupt kein Genderaspekt drin‘ gesehen, nicht im Entferntesten“ (Interview Tordis Batscheider).
Dieser arbeitsteiligen Logik folgend reproduzierten die wenigen Frauen, die in den Friedensforschungseinrichtungen – wohlgemerkt als Wissenschaftlerinnen – vertreten waren, mit den Worten Hanne-Margret Birckenbachs (1990, S. 3) oftmals „Perspektiven, die der auf etablierte Politik bezogenen Forschung als ‚weiblich‘ gelten und von den reputierlichen, Macht und Dominanz verleihenden Themen abgespalten werden“. Friedensforscherinnen verfolgten vornehmlich solche Perspektiven und Themen, denen (als »weiblichen«) eine geringere Wertigkeit zugesprochen wurde.
Eine dezidiert feministische Perspektive war noch darüber hinaus vielen (nicht nur Männern) suspekt. Insofern kann die Einschätzung kaum verwundern, dass „die Einstiegsmöglichkeiten in die Wissenschaft, in die freien Friedensforschungsinstitute oder an Uni-Lehrstühle für Männer einfacher waren als für Frauen, zumal wenn Frauen sich erdreisteten sozusagen einen feministischen methodologischen Ansatz zu wagen“ (Interview Regine Mehl). Feministische Zugänge fanden keinen Platz im Zentrum institutionalisierter Friedens- und Konfliktforschung und sie wurden notgedrungen – von einigen »Überzeugungstäterinnen« – als eine Art „Nebenfriedensforschung“ (Birckenbach 1990, S. 4) betrieben.1
In den kritischen Fokus rückte die sowohl in zahlenmäßiger Hinsicht als auch mit Blick auf gewährte und verwehrte Formen der Sichtbarkeit und Wertschätzung mangelhafte Repräsentation von Frauen in der Friedens- und Konfliktforschung – und von „weibliche[n] Perspektiven, Frauenforschung und feministische[r] Forschung“ (Birckenbach 1990, S. 1). Sich diesem „Repräsentationsproblem“ (Interview Sarah Clasen) anzunehmen, war dann auch ein zentrales Aufgabenfeld des 1990 neu zu gründenden Netzwerks Friedensforscherinnen der AFK. Wie Tordis Batscheider im Interview festhält:
„Die AFK hat, glaube ich, am Anfang, also die männliche AFK, sag ich mal, hat staunend zugeguckt und erstmal gar nicht verstanden, wozu das [Netzwerk] wichtig und gut sein soll. Also die Frage musste ich ganz häufig beantworten: ‚Wozu braucht ihr das denn überhaupt, ihr seid doch hier gleichberechtigt?‘ Und dass man bei so einer Frage nicht immer allein dasteht, dafür haben wir gesorgt, dafür, dass wir einfach auch sichtbar waren auf den Kolloquien und deutlich gemacht haben: Es gibt Frauen und Frauen sind nicht einfach nur Männer in einem anderen Körper, sondern sie haben auch eine andere Sichtweise“.
Der notwendige Kampf als »Energienfresser«
In den von Christine Buchwald und Lena Merkle geführten Interviews mit Vertreterinnen der Gründerinnengeneration des Netzwerks, die neben Gesprächen mit den Netzwerk-Begründerinnen Regine Mehl und Tordis Batscheider auch diejenigen mit Hanne-Margret Birckenbach und Christiane Rix einschließen, wird sehr deutlich, dass Friedensforscherinnen gerne mehr Zeit und Energie für die inhaltliche und methodologische (feministische) Auseinandersetzung gehabt hätten. Aber gekämpft werden musste – und wurde – im Rahmen des Netzwerks Friedensforscherinnen zuerst sehr grundlegend um Sichtbarkeit, Wertschätzung und Anerkennung für Frauen und deren Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung. Strukturelle Ursachen und Formen der Marginalisierung und Diskriminierung von Frauen stellten sich für die ersten Jahre des Netzwerks Friedensforscherinnen als dominant und auch prioritär zu behandelnde Themen dar:
„Das heißt, wir haben auch eine Kampfansage gemacht. Wir wollten raus aus der Vereinzelung und wir wollten sozusagen durch die Vergemeinschaftung unserer als ähnlich erlebten Probleme in Wissenschaftsbetrieben auch eine Machtposition erzwingen. Insofern war die Anfangszeit des Netzwerkes eigentlich, wenn man so will, von politischen Debatten über diese Fragen geprägt: also Ende der Diskriminierung und Marginalisierung von Frauen in der Friedensforschung. Und Marginalisierung heißt eben Nicht-Wahrnehmen der Leistung der Frauen und Nicht-Zuhören, wenn sie was sagen, bis hin zum Ideenklau. […] Das waren so Dinge, wo wir sagten: ‚Das nehmen wir nicht mehr hin, und wenn wir uns zusammentun, dann werden wir … lauter‘. Und wir waren sehr laut am Anfang. […] Das war am Anfang der Sinn des Netzwerkes, oder zumindest war das die Tätigkeit des Netzwerkes. Der Sinn war eigentlich die inhaltliche Komponente. Aber das andere [die Machtfrage] stand im Vordergrund, bis dann eben die Frauenbeauftragte eingerichtet wurde“ (Interview Christiane Rix).
Insbesondere in den ersten Jahren des Netzwerks Friedensforscherinnen standen personelle, institutionelle und wissenschaftspolitische Herausforderungen im Vordergrund. Damit kam die inhaltliche und methodologische Auseinandersetzung in dessen Arbeit (vergleichsweise) zu kurz. Denn ist es für die verschiedenen von Forscherinnen erlebten Missstände und die Reaktionen auf selbige kennzeichnend, dass sie „enorme Energien binden und diese der Forschungsarbeit entziehen“ (Birckenbach 1990, S. 5).
»Konflikte im Geschlechterverhältnis«
Nun fragte Ute Volmerg 1987 nicht nur, wo die Frauen in der Friedensforschung sind, sondern warf dezidiert die Frage auf: „Friedensforschung, eine männliche Wissenschaft?“ Zum Ausdruck gebracht wurden damit grundlegende „Zweifel an der Geschlechtsneutralität der Friedensforschung“ (Batscheider 1991, S. 87). Frühe Protagonistinnen des Netzwerks Friedensforscherinnen brachten dann auch vor allem jene Konflikte zwischen den Geschlechtern aufs Tapet, die zuvor »unter dem Radar« blieben – so wie auch im „alltäglichen Zusammenleben […] Konflikte im Geschlechterverhältnis meist latent“ (Clemens und Wasmuht 1991, S. 116) bleiben. „So sind sich die einschlägig befaßten Kolleginnen weitgehend darin einig, daß die Selbstrepräsentation von Friedensforschung als eine geschlechtsneutrale Institution nicht zutrifft, sondern instrumentell benutzt wird, um die unbequeme Aufgabe abzuwehren, Konflikte zu bearbeiten, die bislang nicht reflektiert wurden und, wie in anderen Wissenschaftsbereichen, entlang von dualistisch konzipierten Geschlechterverhältnissen wahrgenommen werden“ (Birckenbach 1990, S. 3).
Der Ende der 1980er Jahre einsetzende „Vorstoß der Frauen“ (Wasmuht 1998, S. 57) in der Friedens- und Konfliktforschung fand nicht nur Anklang, sondern traf auch auf Skepsis und Widerstand (vgl. Buchwald in diesem Dossier, S. 8ff.). Und er nahm in einer frühen Phase auch die Form eines »heißen« und »hitzigen« Konflikts an. Christiane Rix, erste Frauenbeauftrage der AFK, erinnert sich daran, dass die in der „Phase der Kampfansage“ an den Tag gelegte „Konfliktkultur“ mitunter als für „Friedensforscherinnen nicht würdig“ kritisiert wurde: „Und das mag auch in manchem Fall außer Kontrolle geraten sein, als die Emotionen hochgekocht sind. Aber das ist später, denke ich, besser geworden“ (Interview Christiane Rix). Speziell die vom Netzwerk initiierte Einführung der Rolle der Frauenbeauftragten der AFK (1992) wird von Christiane Rix nicht nur als Entlastung des Netzwerks von wissenschaftspolitischen Kämpfen wahrgenommen, sondern auch als Beruhigung des Konflikts bewertet: „Also ich denke die Frauenbeauftragte war nochmal eine Reaktion auf diese Hitzigkeit: das […] nicht wieder zu so einem Strohfeuer verkommen zu lassen, sondern es auch zu beruhigen und durch die Institutionalisierung auch alle ein bisschen daran zu gewöhnen: Leute, so wie es bisher gelaufen ist, so läuft es nicht mehr. Mit uns.“ (Interview Christiane Rix) Aus heutiger Sicht können das Netzwerk und die Frauenbeauftragte der AFK durchaus als Institutionen begriffen werden, mit denen die Bearbeitung der »Konflikte im Geschlechterverhältnis« auf Dauer gestellt wurde.
Feminismus: inhaltliche und methodologische Impulse
Tordis Batscheider, die speziell der sich als kritisch verstehenden Friedensforschung in ihrerseits kritischer Absicht den Spiegel vorgehalten hat, stellt im Interview fest, dass es im Kontext der institutionellen und wissenschaftspolitischen Kämpfe rund um die Netzwerksgründung vergleichsweise wenig Gegenwehr zu verzeichnen gab – verglichen damit, wie auf inhaltliche und methodologische feministische Interventionen reagiert wurde:
„[D]iese Art der Auseinandersetzung, die konnte man gut führen, da konnte man auch die ‚Herren der Schöpfung‘ an ihren eigenen Ansprüchen gut packen und da waren wir relativ schnell erfolgreich. Schwieriger war schon die zweite Komponente, also dass die eigenen wissenschaftlichen Ansätze infrage gestellt wurden. Gerade wenn man sich selbst als kritischer Wissenschaftler, männlich, versteht, dann will man nicht so gern nachgewiesen kriegen, dass man bestimmte Dinge nicht berücksichtigt hat, die aber auch wichtig sind, wenn man wirklich einen kritischen Ansatz verfolgt“ (Interview Tordis Batscheider).
Im Blick hat Batscheider hier mutmaßlich zentrale kritische Impulse, die von feministischer Wissenschaft ausgehen können und auch von Friedens- und Konfliktforscher*innen aufgegriffen werden sollten: „Gesellschaftskritik und Wissenschaftskritik, beide orientiert an den Themen und Zielen der Frauenbewegung“ (Batscheider 1991, S. 82). Das heißt, sehr knapp gefasst: Feministische Kritik rückt in Gesellschaft allgemein wirkende paternalistische Herrschaftsverhältnisse und die damit einhergehenden, aus ihnen hervorgehenden und sie legitimierenden androzentrischen (männerzentrierten) Institutionen, Strukturen und Diskurse in den Fokus. Diese schlagen sich in der Wissenschaft etwa dergestalt nieder, dass hier „eine partikulare männliche […] Sichtweise zur universellen erklärt wird“ (Ebd., S. 87) – etwa über die Ausblendung und in Gestalt der Abwertung »weiblicher« Perspektiven.
Kritik am Androzentrismus (in) der Friedensforschung
Angesprochen ist damit, dass es früher feministischer Wissenschaftskritik um mehr ging als um ein berechtigtes „institutionelles und thematisches Unbehagen von Frauen in und an der Friedensforschungskultur“ (Lang 1992, S. 130). Batscheider (1991, S. 83) hält etwa Folgendes fest: „Will man sich der Frage nähern, ob die Friedensforschung eine ‚männliche Wissenschaft‘ sei, so kann es dabei nicht um den in der Friedensforschung genauso wie anderswo spürbaren alltäglichen Sexismus im Forschungsalltag und Arbeitszusammenhang mit überwiegend männlichen Arbeitskollegen gehen; auch nicht um die angeblichen Sozialisations‚defizite‘ der Frauen, die ihnen das erfolgreiche Bestehen im männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb so erschweren. Um all das geht es auch – aber hier nicht vorrangig“. Notwendig sei – auch über eine Erweiterung der behandelten Themenfelder hinausgehend – „eine Revision wissenschaftlicher Begriffe und Kategorien sowie eine Überprüfung der methodologischen Grundannahmen“ (Ebd.).
Damit richtete sich der kritische feministische Blick auf die „epistemisch geronnene Männlichkeit“ (Lang 1992, S. 131), die in Erkenntnistheorien und -praktiken der Friedens- und Konfliktforschung, in ihren Methoden-, Begriffs- und Theorieapparaten nachhaltig ihre Spuren hinterlassen hat. Nicht eine essentialistisch verstandene »Männlichkeit«, sondern ein epistemisch und soziostrukturell tiefsitzender und wirkmächtiger Androzentrismus gerät dabei in den Fokus. Denn „nicht jeder, der aufgrund von Biologie und Sozialisation männlichen Geschlechts ist, ist in dem zu kritisierenden Sinne ‚männlich‘; und nicht alles, was ‚männlich‘ ist […] ist an ein solches empirisches Geschlechtswesen gebunden oder auch nur einem solchen zuzurechnen“ (Ebd.). Folgerichtig wurde auch die Frage „Friedensforschung, eine männliche Wissenschaft?“ immer wieder umgemünzt auf die Frage, ob sie eine androzentrische Wissenschaft sei und wie dem beigekommen werden könne (z. B. Batscheider 1991, S. 87). Für notwendig erachtet wurde neben der Kritik an einem androzentrischen Universalismus auch die an einem androzentrischen Objektivismus (Batscheider 1993, S. 126-130).
Subjektivität in der Friedensforschung
Das Unten und Innen, das – Ute Volmerg folgend – Frauen stärker als ihre männlichen Kollegen in die Friedens- und Konfliktforschung einbringen, erschöpft sich nur auf den ersten Blick in sogenannten weichen Themen und auf der »Mikroebene« ansetzenden Forschungsperspektiven. Darüber hinaus gilt es – zugespitzt formuliert – anzuerkennen, dass Friedensforschungen und Friedensforscher*innen nicht unabhängig oder losgelöst von dem- und denjenigen existieren, was und wen sie erforschen. Nicht nur, aber auch „kritische Friedensforschung [ist] Bestandteil der Gesellschaft und damit sowohl Produkt wie auch Produzentin der zu kritisierenden unfriedlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit“ (Batscheider 1995, S. 99).
Sich als Forscher*in als mit dem Erforschten sozial verwoben zu begreifen und zu reflektieren, kann Unterschiedliches betonen – und diverse (Re-)Aktionen nahelegen. Einen „bedeutenden Denkanstoß von feministischen Wissenschaftler_innen für die Friedens- und Konfliktforschung“ stellt etwa der „kritische Blick auf die Praktiken, Ergebnisse und Folgen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit“ (Gayer und Engels 2011, S. 22) dar. Aus einer feministischen Perspektive kann darüber hinaus Berücksichtigung finden, dass wir Friedens- und Konfliktforscher*innen – als Mitglieder der Gegenwartsgesellschaft – nicht nur betroffen (im Sinne von involviert) sind, sondern uns auch betroffen fühlen dürfen. Dieser Idee zuwiderlaufend üben sich viele Forscher*innen tagtäglich „in Verdrängung, Beherrschung, Nicht-Realisierung des Grauens“, sehen sich konfrontiert mit der Notwendigkeit der „Abspaltung seiner/ihrer Gefühle, seiner/ihrer Betroffenheit oder er/sie müßte verzweifeln“ (Volmerg 1987, S. 209). Sie, wir, abstrahieren von „unmittelbaren Lebenszusammenhängen, persönlichen Motiven und Gefühlen“, um stattdessen eine „Linearität des Denkens und Schlußfolgerns in logischen Systemen“ mit Eigenleben auszustatten, „denen sich das gefühlte Leben zu unterwerfen hat“ (Ebd.).
Wirkmächtige Hintergrundannahme ist hier ein androzentrischer Objektivismus, der vorgibt, dass Objektivität einzig um den Preis der Aufgabe oder Verleugnung von Subjektivität gewährleistet werden könnte. Stattdessen sind jedoch auch soziostrukturelle, epistemische und emotionale Positionierungen der Forscher*innen-Subjekte als produktiv für Erkenntnis zu betrachten und zu gestalten. Volmerg (1987, S. 210) plädierte etwa für folgende, im Rahmen der Friedens- und Konfliktforschung zu ziehende Konsequenz: „Worum es gehen muß, ist: die Spaltung in instrumentelle Intelligenz und Gefühl, abstraktes Denken und Betroffenheit, Handeln und Leiden zu überwinden, und zwar von seiten der Männer und der Frauen“.
Feministische Perspektiven können ungemein bereichernd sein, wenn es darum geht, die eigene Rolle und Positionalität als Forscher*in ins »rechte Licht« und ins Verhältnis zu rücken, insofern die immer bestehende gesellschaftliche – dabei auch: lebensweltliche – Verwobenheit wahr- und wichtig genommen wird. Die ehemalige Frauenbeauftragte Claudia Simons hebt ihrerseits im Interview hervor:
„Feministische Forschung kann extrem viel bieten, wenn sie den Link nicht verliert, den sie eigentlich hat, nämlich zu der gelebten Realität der Menschen, die diese Forschung machen. Wir stehen ja nicht außerhalb der Welt, die wir beobachten. Wir sind zwar schon längst da angekommen, dass wir das nicht mehr glauben, aber irgendwie gestehen wir uns selbst gar nicht dieselben Arten von Bedürfnissen, von ‚Belonging‘ ein, die wir zum Teil beforschen. Und das ist schon irre, wie abgekoppelt Menschen forschen können. […] Feministische Forschung ist da sehr spannend, weil sie sich viel um sich, also nicht unbedingt um sich selbst, aber um die eigenen Communities dreht“ (Interview Claudia Simons).
Das selbstreflexive Erbe des »Aufstands der Frauen«
Susanne Lang (1992, S. 127f.) bringt nun hinsichtlich der Frage „Ist Friedensforschung eine männliche Wissenschaft?“ auf den Punkt: „Interessanterweise fallen […] Fragende, Befragte und fraglicher Gegenstand der Sache nach zusammen: die Friedensforschung wird in der Perspektive reflexiver Selbstthematisierung sich selbst zum Gegenstand“. Meines Erachtens kann das Gros der von Friedensforscherinnen initiierten Auseinandersetzungen kurz vor und nach Ende des Ost-West-Konflikts dergestalt als »selbstbezüglich« – und zu Selbstreflexivität animierend – gelten, als sie das Selbst der deutschen Friedens- und Konfliktforschung als Forschungsgemeinschaft zu irritieren und erneuern suchten. Meine These ist dann auch folgende: Feministische Friedensforschungen und die verschiedenen von Friedensforscherinnen geführten Kämpfe haben zu einer »selbstreflexiven Erdung« der Friedens- und Konfliktforschung maßgeblich beigetragen, die, obgleich sie noch heute nur partiell und punktuell gelebt wird, von großer Relevanz ist. So wurden das Forschungsfeld mit seiner eigenen Konflikthaftigkeit ebenso konfrontiert wie dessen Protagonist*innen mit ihren mehr oder minder ausgeprägten Konfliktbearbeitungskompetenzen.
Mangelhafte »Friedensfähigkeit«?
Die deutsche Friedens- und Konfliktforschung erlebte als Forschungsgemeinschaft infolge des »Vorstoßes der Frauen« einen in ihrer Geschichte fraglos zentralen internen Konflikt. Auch andere Forschungsgemeinschaften durchleben interne Konflikte. Was jedoch ein Spezifikum der Friedens- und Konfliktforschung zu sein scheint, ist, dass ihren Mitgliedern – zu Recht oder Unrecht – unterstellt wird, dass sie für die Bearbeitung solcher Konflikte spezifische Konfliktbearbeitungskompetenzen oder auch eine gewisse „Friedensfähigkeit“ mitbringen – nicht zuletzt „aufgrund ihrer Wertsetzungen und der Kenntnis der Regeln produktiver Konfliktbearbeitung“ (Birckenbach 1990, S. 3, Fn. 12). Dass eine solche Erwartungshaltung keineswegs nur von Außenstehenden an Friedensforscher*innen herangetragen wird, betonte bereits Ute Volmerg (1987). Hanne-Margret Birckenbach verdeutlicht mit Blick auf die Gründungsjahre des Netzwerks Friedensforscherinnen, wie der Konflikt seinerzeit ausgetragen und zu lösen gesucht wurde – und kommt zu einem, wie ich finde, bemerkenswerten Schluss:
„Und ja, es gab massive Konflikte. Man muss sich das vorstellen: Es gab ja sowieso in dieser Zeit, als das Netzwerk begründet wurde, massive Konflikte auch innerhalb der Friedensforschung. Der Ost-West-Konflikt war zu Ende und es war unklar, in welche Richtung geht das weiter. Gleichzeitig existierte ein starker Gestaltungswille, zielorientiert, und es begann die Diskussion um Militäreinsätze. Und da waren die Frauen eher oder fast alle, denke ich, auf der kritischen Seite. Die feministische Friedensforschung brachte nochmal in Erinnerung: den kritischen Ansatz der kritischen Friedensforschung im Gegensatz zur ursprünglichen Friedensforschung. Das war damals so ein Muster.
Also dieser politische Kontext spielte sicherlich eine große Rolle, auch die Angst der Kollegen, in dieser schwierigen Zeit könne es sich die Friedensforschung nicht leisten, diesen Konflikt um Genderfragen anzugehen. Es war, ich würde schon sagen, eine Angst vor dem Konflikt, vor den Folgen davon und auch nicht ganz unberechtigt […]. Ich habe das [damals] natürlich nicht so gesehen, dass das so berechtigt war, aber im Nachhinein. Und man sieht das auch an einigen Versuchen der Konfliktlösung. All diese Methoden, die uns heute selbstverständlich sind: Moderationsmethoden, Mediation, das war damals was ganz Neues und die Kollegen konnten das nicht. […] Es gab dann auch einige Kollegen, die versucht haben, Konflikte zu schlichten und darüber zu reden und – wie es in der Theorie heißt – Konflikte als Chance zu begreifen. Aber sie verfügten nicht wirklich über die Techniken. Das muss man einfach sehen […].
Und ich glaub es ist eine Riesenleistung, dass die AFK das durchgestanden hat, diesen Konflikt, auch diesen Aufstand der Frauen aus Diskriminierungserfahrung“ (Interview Hanne-Margret Birckenbach).
Ein produktiver Konflikt
Der Blick auf die Geschichte des Netzwerks Friedensforscherinnen zeigt, dass der benannte Konflikt als wichtiges Irritationsmoment und als »Triebfeder« für die Friedens- und Konfliktforschung begriffen werden kann. Er lenkte die Aufmerksamkeit auf ansonsten kaum reflektierte Unterschiede und Ungleichheiten, aber auch auf Fragen des Selbst-Verständnisses und der Konsistenz – etwa in der Form: Was predigen wir mit Blick auf die Konflikte anderer und wie gehen wir mit unseren eigenen Konflikten um?2
Die Lehren aus den er- und durchlebten Auseinandersetzungen und frühen friedenswissenschaftlich-feministischen Interventionen können – wenn sie fortgelebt oder neu erinnert werden – produktiv (nach-)wirken. Sie können das etwa dann, wenn dem Unten und Innen ein nicht nur legitimer, sondern für Friedens- und Konfliktforschung konstitutiver Platz – auch im Oben und Außen – eingeräumt wird. „Es geht um die Perspektive, die, sowohl die Welt von innen und unten untersucht, als auch von oben und außen unter einem solchen Blickwinkel analysiert, der es erlaubt, den forschenden Veränderungsimpuls auf eine lebens- und liebenswerte Zukunft zu lenken“ (Senghaas-Knobloch 1988, S. 133).
Anmerkungen
1) Hier wiederholt sich innerhalb der Friedensforschung gewissermaßen das, was (ebenfalls) Anfang der 1990er dem Forschungsfeld als Ganzem bescheinigt wurde: „[A]lles was es heute ansatzweise gibt, ist das Ergebnis harter Arbeit vereinzelter Menschen, die zum Teil ehrenamtlich bzw. schlecht bezahlt an der Etablierung von Friedensforschung gearbeitet haben“ (Clemens und Wasmuht 1991, S. 107f.).
2) Gert Krell (2017, S. 955) fragt (bezugnehmend auf Reiner Steinweg), ob die Glaubwürdigkeit der Friedens- und Konfliktforschung nicht dann Schaden nehme, wenn „Grundregeln friedlicher Konfliktaustragung, die wir für die internationale Ebene, für das Verhalten anderer, ausgemacht zu haben glaubten, leichtfertig oder unbemerkt außer Kraft gesetzt würden, wenn wir selbst betroffen seien“.
»Es war einmal …«
Zur Entstehung des Netzwerks Friedensforscherinnen
von Christine Buchwald
Es war einmal – so fangen Märchen an. Aber ist die Geschichte, die ich hier erzählen will, ein Märchen? Wohl eher nicht. Denn meine Erzählung ist nicht erfunden, sondern der Versuch, gelebte Geschichte zu rekonstruieren. Gleichzeitig basiert sie auf »mündlichen Überlieferungen«, da die Berichte und Betrachtungsweisen der Beteiligten mit einfließen. Also lasset mich berichten von edlen Frauen, die sich aufmachten, für ihre Rechte zu kämpfen und deshalb das Netzwerk Friedensforscherinnen innerhalb der AFK gründeten. Diese »edlen Frauen«, die die Gründung des Netzwerks maßgeblich mitgestaltet haben, sind zuvorderst Tordis Batscheider und Regine Mehl. 1990 wurde den beiden im Gespräch miteinander deutlich, dass es eine stärkere Vernetzung unter Friedensforscherinnen brauche.
Das Netzwerk entstand in einer Zeit, in der feministische Forschung vermehrt Ungleichheiten und Missstände aufzeigte (siehe der vorherige Beitrag von Michaela Zöhrer, S. 4-8). Insbesondere die Studie von Ute Volmerg (1987) war aus Sicht von Regine Mehl „der Augenöffner für den Standort von Frauen in der Friedenswissenschaft“ (Interview Regine Mehl). Diese – eher autoethnographische und biographische – Studie verdeutlichte nicht nur die Frauen zugeschriebene Rolle, sondern auch das persönliche Unbehagen mit der Gesamtsituation. Zudem verwies Ute Volmerg auch auf die Ungleichheit zwischen den Frauen und äußerte den Wunsch nach mehr statusübergreifender Frauensolidarität. Gleichzeitig war gesellschaftlich eine Aufbruchstimmung zu verzeichnen, die sich auch in der Etablierung von Frauenbeauftragten und Frauenfördermaßnahmen – insbesondere im öffentlichen Dienst – niederschlug. Aufgrund der Umstände und der eigenen Sensitivität für die Thematik riefen Regine Mehl und Tordis Batscheider auf dem AFK-Kolloquium 1990 die anwesenden Frauen auf, sich in der Mittagspause zusammenzusetzen. Es war eine „Idee, deren Zeit gekommen war“ (Interview Tordis Batscheider), was sich auch an dem Zuspruch und der Atmosphäre bei diesem Treffen zeigte. Regine Mehl erinnert sich an dieses erste Treffen wie folgt: „Ich glaube, da saßen 30 Frauen oder so. Es war unglaublich. Es war ein buntes Gewirbel, also es war fantastisch“ (Interview Regine Mehl).
Reaktionen auf die Netzwerkgründung
Im Sinne eines Märchens müssten nun vermutlich die Bösewichte auftreten, die eine starke Wendung und Schwierigkeiten einleiteten. Aber Bösewichte in diesem Sinne waren im Zuge der Netzwerkgründung nicht erkennbar. Das ist kein Versuch einer Schönfärbung und Idealisierung meinerseits. Die Gründung des Netzwerks Friedensforscherinnen war für die anwesenden Frauen ein persönlicher Gewinn, aber nicht unbegleitet von Skepsis und Vorbehalten – sowohl von Frauen wie auch von den auf dem jährlichen Kolloquium der AFK anwesenden Männern. Regine Mehl erinnerte sich an diese anfängliche Skepsis: „Die Männer waren schon skeptisch, aber eigentlich wurde es unterstützt. Man kann jetzt nicht sagen, dass die große Männermacht gegen uns war. Es gab immer Einzelne, die das völlig lächerlich fanden und sagten: ‘was soll der Quatsch, wir arbeiten auch für euch’“ (Interview Regine Mehl).
Aber auch die anwesenden Frauen waren nicht direkt in euphorischer Aufbruchstimmung. Vielmehr erinnert Christiane Rix die Situation in der ersten Sitzung wie folgt: „Einige waren sehr vorsichtig und misstrauisch und trauten sich nicht wirklich, ihre Arbeitssituation zu schildern. Es ging also auch um die Strukturen, in denen Frauen in Wissenschaftsbetrieben arbeiteten, dass Transparenz darüber hergestellt wird oder wir überhaupt erst einmal erfahren, wie geht es eigentlich anderen, wo sind eigentlich Frauen unter welchen Bedingungen beschäftigt“ (Interview Christiane Rix). Die Erkenntnisse aus dieser ersten Sitzung überraschen aus heutiger Sicht nicht, hat sich doch an den Befristungen und Teilzeitstellen nicht so viel verändert. Lediglich die Ausmaße haben sich gegebenenfalls etwas abgeschwächt. So erzählt Christiane Rix an anderer Stelle: „Es war üblich, Nachwuchskräfte für drei Monate zu beschäftigen. Das heißt, am ersten Tag deiner Beschäftigung machtest du dir Sorgen, was nach drei Monaten ist, und das wurde auch ausgenutzt“ (Interview Christiane Rix). Das Sprechen über diese Umstände förderte auch eine wachsende Solidarität unter den Frauen. Dies zeigte sich insbesondere in der Unterstützung bei der gegenseitigen Korrektur von Publikationen und Dissertationen und bei der gemeinsamen Diskussion der fachlichen Argumente. Aber beispielsweise auch auf den Kolloquien. Dort wurde sich bestmöglich unterstützt, indem sich die Frauen des Netzwerks in die ersten Reihen setzten, ihre vortragende Kollegin ermunternd und freundlich anschauten und interessierte Fragen stellten.
Die Gründung des Netzwerks Friedensforscherinnen brachte aber auch regelrechte Befürchtungen auf. So wurde von Skeptiker*innen gefragt, ob die Gründung nicht zu größerer Trennung innerhalb des Verbandes führe und ob ein Ausschluss von Männern dem Ziel der höheren Sichtbarkeit der Themen dienlich sei. Die Gründerinnen argumentierten damals, dass auch Frauen lange Zeit aus bestimmten beruflichen Netzwerken ausgeschlossen wurden. Diese waren nicht zwingend institutionalisiert; gerade informelle Netzwerke waren Frauen häufig nicht zugänglich. So war es eines der ersten Ziele des Netzwerks, auch ein Selbstverständnis desselben zu etablieren und einen geschützten Raum zu schaffen, in dem es nicht ausschließlich um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern vielmehr um persönliche Erfahrungen – im und mit dem Wissenschaftsbetrieb – ging. „Das heißt, wir haben auch eine Kampfansage gemacht. Wir wollten raus aus der Vereinzelung und wir wollten sozusagen durch die Vergemeinschaftung unserer als ähnlich erlebten Probleme in Wissenschaftsbetrieben auch eine Machtposition erzwingen. Insofern war die Anfangszeit des Netzwerkes eigentlich, wenn man so will, von politischen Debatten über diese Fragen [geprägt]“ (Interview Christiane Rix).
Die Frauenbeauftragten der AFK
1992-1994 | Dr. Christiane Rix |
1994-1998 | Margitta Matthies |
1998-2000 | Ruth Klingebiel |
2000-2004 | Dr. Ruth Stanley |
2004-2008 | Dr. Simone Wisotzki |
2008-2010 | Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel |
2010-2012 | Sarah Clasen, Prof. Dr. Bettina Engels |
2012-2014 | Prof. Dr. Bettina Engels, Assoc. Prof. Dr. Claudia Brunner |
2014-2016 | Claudia Simons, Dr. Cordula Dittmer |
2016-2018 | Dr. Anne Menzel, Dr. Mechthild Exo |
2018-2021 | Christine Buchwald, Lena Merkle |
2021- | Christine Buchwald, Madita Standke-Erdmann |
Die beteiligten Frauen erfuhren aber auch viel Unterstützung und Solidarität – von Frauen wie von Männern, die in den Prozess moderierend und unterstützend eingriffen. „Am Anfang waren einige Kollegen wirklich sehr mutig, auch sehr förderlich. Das gilt für Karl-Heinz Koppe. Das gilt damals auch für Wolfgang Vogt. Ich könnte da eine ganze Reihe aufzählen – Ekkehard Krippendorff, auch von Gert Krell. Wir haben sie teilweise nicht als auf unserer Seite stehend wahrgenommen, aber im Grunde haben sie sich eigentlich bemüht, die Sache in fruchtbare Bahnen zu lenken“ (Interview Hanne-Margret Birckenbach). Einen entscheidenden Faktor für die damalige Zeit sieht Hanne-Margret Birckenbach auch in der besonderen privaten Verwobenheit in der Community. „Es gab eine ganze Reihe von Paaren […]. Wir hatten diese Diskussionen auch Zuhause. Das war nicht so schlecht, dass die Männer auch anhand ihrer eigenen Partnerinnen über die Diskriminierungsprobleme der Frauen erfuhren“ (Interview Hanne-Margret Birckenbach).
Das Resümee der Gründungsmitglieder zeigt, dass es ein großes Verständnis für die persönliche Situation und den Wunsch nach größerer Sichtbarkeit, vermehrtem Austausch und stärkerer Vernetzung gab. Viel schwieriger gestaltete sich das Verständnis für andere – feministische – Positionen. Das erlebte vor allem Tordis Batscheider, die in ihrer Dissertation (Batscheider 1993), die zur damaligen Zeit entstand, Kritik an der fehlenden feministischen Position in der kritischen Friedensforschung übte: „Gerade wenn man sich selbst als kritischer Wissenschaftler, männlich, versteht, dann will man nicht so gern nachgewiesen kriegen, dass man bestimmte Dinge nicht berücksichtigt hat, die aber auch wichtig sind […]. Der Zweitgutachter meiner Dissertation hat sich permanent auf den Schlips getreten und beleidigt gefühlt“ (Interview Tordis Batscheider).
Die erste Frauenbeauftragte
Nachdem die Frauen 1990 ihr Netzwerk gegründet hatten, könnte man nun erwarten, dass im Sinne der Märchenschreibung ein »Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage« folgt. Doch die Netzwerkgründung war nur ein erster Schritt. Bereits zwei Jahre später machten die Frauen eine Eingabe bei der Mitgliederversammlung der AFK und forderten die Einrichtung einer Frauenbeauftragten – ausschließlich gewählt von den weiblichen AFK-Mitgliedern und mit Rederecht im Vorstand.
Aus dem Protokoll der Mitgliederversammlung wird jedoch deutlich, dass dies offensichtlich für die AFK-Mitglieder kein strittiger Punkt war. Knapp wird darauf verwiesen, dass der „Antrag des Netzwerks Friedensforscherinnen zur Wahl einer Frauenbeauftragten (s. Anlage 9) […] mit zwei Enthaltungen angenommen“ wurde (AFK 1992, S. 4). Die Besetzung und Wahl der ersten Frauenbeauftragten beschreibt Christiane Rix, die diese Aufgabe übernahm, heute selbstreflexiv als einen sehr strategischen Akt: „Ich war prädestiniert für das Amt. Ich kannte den Laden unheimlich gut, war vorher selbst in der Geschäftsführerinnenrolle, kannte die Leute, kannte die Konflikte und die kannten mich. Mir konnte auch kein Prof mit irgendetwas drohen oder so, weil ich aus der Wissenschaft ausgestiegen war und politische Bildungsarbeit machte und von daher war ich natürlich prädestiniert, aufzupassen, wie sich die berufliche Situation der Frauen in der Friedensforschung entwickelt“ (Interview Christiane Rix). Diese ersten Jahre des Netzwerks waren also sehr geprägt von Bemühungen um eine Bestandsaufnahme der Situation von Frauen in der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung und der Etablierung bestimmter Strukturen, wie einer Frauenbeauftragten.
Bereits die zweite Frauenbeauftragte, Margit Matthies, fasst in ihrem Resümee nach sechs Jahren Frauenbeauftragte in der AFK zusammen, dass die Handlungsmacht der Frauenbeauftragten eingeschränkt sei und sich Veränderungen nur langsam einstellten. Dies zeige sich auch an einem fehlenden eigenen Budget, das mit strukturellen Gründen wie damaligen Sparmaßnahmen in den Instituten der Friedens- und Konfliktforschung begründet wurde (Matthies 1999).
Aber im Sinne des »Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage« fasst Hanne-Margret Birckenbach rückblickend die Entwicklung des Netzwerks wie folgt zusammen: „Es ist für mich eine riesige Erfolgsgeschichte – mit der kein Mensch gerechnet hat, mit der kein Mensch hätte rechnen können. Wenn ich jetzt zur AFK komme und die Frauen alle sehe, freue ich mich einfach. Es ist für mich eine große Freude, dass es das gibt und ja, ich sehe es vor allem als Erfolgsgeschichte in diesem Sinne. Man hat sich nicht vorstellen können, dass daraus so etwas Gutes für die Frauen in der Friedensforschung insgesamt, aber auch für die AFK, werden würde“ (Interview Hanne-Margret Birckenbach).
Etwas Märchenhaftes?
Die Entstehung und die Entwicklung des Netzwerks Friedensforscherinnen bleibt gelebte Geschichte. Mit diesem Beitrag habe ich den Versuch unternommen, Ausschnitte dieser sonst oft nur mündlich überlieferten Geschichte festzuhalten. Das Ziel dahinter ist auch, den nachfolgenden Generationen von Friedensforscher*innen eine Inspirationsquelle zu bieten, sich der Motive und Ergebnisse des Netzwerks bewusst zu werden und sie vor dem eigenen gesellschaftlichen Hintergrund zu reflektieren. Auch wenn die Märchen-Analogie nicht in allen Aspekten trägt, so hat das Festhalten der Erzählungen von Friedensforscherinnen der Gründungsgeneration des Netzwerks doch etwas Märchenhaftes: Die Gebrüder Grimm haben erzählte fiktive Geschichten festgehalten, auch um sozialkritisch zu sein und vor dem Hintergrund des etablierten Gesellschaftsbildes neue Ideen aufzuwerfen. Sie haben soziale Utopien erzählt und damit Menschen nachhaltig inspiriert, das Gesellschaftsbild neu zu denken. Auch wenn ich mich nicht mit den Gebrüdern Grimm gleichstellen will, so birgt doch auch die Entstehungsgeschichte des Netzwerks eine sozialkritische und reflexive Idee in sich, von der wir inspiriert weiterdenken können. Gleichzeitig – und das zeigen auch die hier referierten Erzählungen – gibt es das klassische »Gut und Böse« aus den Märchen in der konkreten, gelebten Geschichte nicht. Nicht alles lief glatt, es gab auch Konflikte, nicht jede*r fand die Idee der Netzwerksgründung gut, aber den klassischen Bösewicht sucht man – bisher und hoffentlich auch zukünftig – vergebens.
Ein Netzwerk zum Vernetzen und für gelebte Solidarität
von Christine Buchwald
Wichtige Momente in der Wissenschaft sind der Austausch und die Kollaboration. Geteilte Daten, gemeinsame Interpretationen, Zugang zu Forschungsfeldern und -gemeinschaften sind von zentraler Bedeutung für den Erkenntnisgewinn und aus karrierestrategischer Sicht. Damit sind auch wissenschaftliche Netzwerke enorm wichtig. Gerade als gleichstellungspolitisches Element ist die Förderung expliziter, formaler Netzwerke von Frauen von Relevanz, um Frauen den Zugang zur Forschung zu erleichtern und ihnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Als ein solch formales Netzwerk ist auch das Netzwerk Friedensforscherinnen zu verstehen.
Die klare Trennung zwischen formalen und informellen Netzwerken lässt sich aber nicht immer aufrechterhalten, wie am Netzwerk Friedensforscherinnen zu zeigen sein wird. Nach einer kurzen Erläuterung der vielfältigen Ziele, die die Gründerinnen mit dem Netzwerk verfolgten, soll im Weiteren an einigen ausgewählten Beispielen gezeigt werden, welche Rahmenbedingungen Vernetzung benötigt („Ein geschützter Raum zur Vernetzung“), welche gewollten und unerwarteten Möglichkeiten sie bietet („Tagungen als Instrument der Vernetzung und des Netzwerkaufbaus“) und auf welchen Ebenen ein Gemeinschaftsgefühl entstehen kann („Feministischen Ideale und deren Realität“).
Ziele: Vernetzung und Solidarität
Die Bedeutung von Netzwerken für die Karriereentwicklung ist vielfach belegt. Gerade in Bezug auf berufliche Netzwerke werden dabei formelle von informellen Netzwerken unterschieden. Die Unterscheidung ist aus analytischer Perspektive sicher sinnvoll, aber faktisch – wie das Beispiel des Netzwerks Friedensforscherinnen zeigt – nicht immer einhaltbar. Während formelle Netzwerke eher als strukturiert, an Institutionen gebunden und den inhaltlichen Austausch fokussierend gesehen werden, sind informelle Netzwerke stärker auf einer persönlichen Ebene verankert. Hier geht es auch um den privaten Austausch und persönliche Sympathie, da diese Verbindungen in der Regel nicht von Dritten beeinflusst oder zusammengeführt werden (Hemmati-Weber 1996, S. 212).
Mit der Gründung des Netzwerks Friedensforscherinnen verbanden die Frauen der AFK unterschiedliche Ziele, die sowohl Charakteristika informeller wie formeller Netzwerke vereinen: Zum einen zielte es auf die „Vernetzung von Frauen aus unterschiedlichen Bereichen, die mit der Friedensforschung zusammenhängen“ (Wasmuht 1998, S. 68), was sich sowohl auf eine inhaltliche Vernetzung beziehen lässt, aber auch auf das Zusammenwirken mit Personenkreisen zielen könnte, die nicht direkt in der Forschung tätig sind. Denken ließe sich hier zum Beispiel an die Solidarisierung mit Frauen, die eher in wissenschaftsunterstützenden und Verwaltungsbereichen tätig sind, wie Ute Volmerg (1987) in ihrem Artikel »Sag mir, wo die Frauen sind!« andeutet.
Zum anderen formulierten die Gründerinnen als explizites Ziel die gegenseitige „Unterstützung bei Diskriminierung, bei der Arbeit und dem Erfahrungsaustausch über die Praxis in der Wissenschaft“ (zitiert nach Wasmuht 1998, S. 68). Dieses Ziel deutet stärker auf Intentionen informeller Netzwerke hin, da es um die persönliche Betroffenheit und um Solidarität zwischen Wissenschaftlerinnen geht. Gleichzeitig dokumentiert der Hinweis auf die „Praxis in der Wissenschaft“ die starke Orientierung an der Lebenswelt von Forscherinnen.
Die beiden benannten Ziele orientieren sich an einer Innenperspektive des Netzwerks. Wie unterschiedlich diese adressiert werden können, soll anhand einiger nachfolgender Beispiele verdeutlicht werden.
Ein geschützter Raum zur Vernetzung
Eine Besonderheit des Netzwerks Friedensforscherinnen ist es, dass es das Vertraute und Vertraulichkeit in einem größeren Rahmen ermöglicht, als bei informellen Netzwerken üblich. Die Vernetzung findet dabei sowohl auf fachlicher als auch auf ganz persönlicher und teilweise privater Ebene statt. Zur Vernetzung werden zwei Ansätze verfolgt, die als unterschiedlich sinnvoll und das Netzwerk prägend wahrgenommen werden: Zum einen gibt es eine Mailingliste, über die Austausch in erster Linie in der Mitteilung von Jobangeboten und Veranstaltungen erfolgt. Zum anderen findet ein jährliches, einstündiges Treffen auf den Jahreskolloquien der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung statt. Während die Mailingliste einer Professionalisierung und karrierestrategischen Überlegungen dient und nach Regine Mehl eine eher pragmatische Ausrichtung darstellt, ist das Netzwerk, wie es sich in der persönlichen Begegnung manifestiert, der erlebte Ort einer „angenehmen Heimat“ (Interview Simone Wisotzki).
Die Mailingliste soll den Austausch zwischen den Netzwerkmitgliedern über das Jahr und über die Distanzen hinweg ermöglichen, da ein persönliches Treffen in größerer Runde meist nur im Rahmen des Kolloquiums möglich ist. Dabei ist der fördernde Wert einer solchen Liste nicht zu unterschätzen: „Es ist auch wichtig, männliche Netzwerke zu durchbrechen, indem man gezielt Jobs postet. Es ist ja noch oft so, dass Frauen von bestimmten Stellen nicht erfahren und die in männlichen Netzwerken verteilt werden. Das virtuelle Netzwerk hilft, um eben diese Dinge sichtbarer zu machen“ (Interview Simone Wisotzki). Dennoch ist eine solche Mailingliste oft eine sehr eindimensionale Kommunikation, die den Kern von Austausch nicht befördert. Claudia Brunner bemerkt dazu kritisch: „Meine ideale – oder naive – Vorstellung ist, wenn man etwas über die Mailingliste postet, dass es ein bisschen mehr Echo gibt. Die fehlende Diskussionsfreudigkeit und Funkstille finde ich manchmal enttäuschend oder ernüchternd.“ Der Hintergrund sei auch, dass oft die Zeit zum Antworten fehle und trotzdem betont sie: „Die Mailingliste ist für mich das zentrale Organ dieses Netzwerkes, weil wir alle weit voneinander entfernt sind“ (Interview Claudia Brunner).
Selbst wenn die Mailingliste zum Teil als zentrales Organ des Netzwerks Friedensforscherinnen identifiziert wird, ist eine reine Vernetzung über eine Mailingliste kritisch zu betrachten: „Ich finde, es ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß, dass man sich als Teil eines Netzwerks begreift, nur weil man auf einer Mailingliste ist“ (Interview Cordula Dittmer). Gleichzeitig geht das Netzwerk, gleichgesetzt mit der Mailingliste, auch mit einer gewissen Anonymität einher – die eigentlich durch die Gründung des Netzwerks aufgehoben werden sollte. „Ich weiß nicht mal, wer in diesem Netzwerk drin ist“ (Interview Cordula Dittmer). Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, dass die meisten ehemaligen Frauenbeauftragten den zentralen Ort des Netzwerks in den Treffen auf dem AFK-Kolloquium sehen.
Diese Treffen werden von den meisten interviewten Frauen positiv erinnert. Hier findet zwar auch fachlicher Austausch statt, aber viel wichtiger und zentraler ist die persönliche Begegnung im geschützten Raum. Dieser bietet den Beteiligten auch die Möglichkeit, eine andere Kommunikationsatmosphäre zu gestalten, ohne den sonst üblichen Leistungsdruck: „Es ist ein sehr harmonisches Miteinander und auch da ist dieser geschützte Raum wichtig. Jede ist willkommen. Jede wird gleichermaßen freundlich empfangen und man hört einander zu. Es ist so eine ganz andere Diskussionsatmosphäre. Man muss da eben nicht als Friedens- und Konfliktforscherin brillieren und sich irgendwie durchsetzen, wie man das eben sonst machen muss in der Wissenschaft, gegen all diejenigen, die es meinen, besser zu wissen“ (Interview Simone Wisotzki).
Zielsetzungen des Netzwerkes
Bei der Gründung des Netzwerks wurden vier Ziele herausgearbeitet und festgehalten. Ulrike C. Wasmuht zitiert diese aus dem Rundbrief der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (1/1991) wie folgt:
„Der Zusammenschluß zu einem ‚Netzwerk Friedensforscherinnen‘ sollte mehreren Zwecken dienen:
- der Vernetzung von Frauen aus unterschiedlichen Bereichen, die mit der Friedensforschung zusammenhängen;
- der Durchbrechung der männlichen Dominanz in der Wissenschaft und Öffentlichkeit durch das Angebot einer Alternative;
- der Sichtbarmachung von Frauen als Subjekte wie auch Objekte der Friedensforschung;
- der gegenseitigen Unterstützung bei Diskriminierungen, bei der Arbeit und dem Erfahrungsaustausch über die Praxis in der Wissenschaft“ (zitiert nach Wasmuht 1998, S. 68)
Zusammengefasst lassen sich diese Ziele auf einen internen und einen nach außen gerichteten Blick verengen: Während die Vernetzung von Frauen sowie die gegenseitige Unterstützung und der Erfahrungsaustausch einen nach innen gerichteten, solidarischen und persönlichen Mehrwert für die Frauen bieten, waren die Ziele der öffentlichen Wahrnehmung, das Durchbrechen der männlichen Dominanz sowie die Sichtbarmachung von Frauen auf personaler wie inhaltlich-fachlicher Ebene auf den Wissenschaftsbetrieb gerichtete und mit der Außenwirkung verbundene Ziele.
Frauensolidarität
Claudia Simons, die mit den drei Worten „Solidarität, Empowerment, Mentoring“ zusammenfasst, was sie mit dem Netzwerk verbindet, hebt vor allem das Erleben von statusübergreifender Solidarität hervor: „[D]as Gefühl der Unterstützung von Professorinnen oder einfach Frauen, die schon länger eine Karriere in der Forschung gemacht haben – auch jenseits thematischer Überschneidungen. Einfach, weil wir alle Frauen in unterschiedlichem Alter, in unterschiedlichen Positionen in der Forschung sind. Es gibt insgesamt sehr wenig statusübergreifende Solidarität, aber in diesem Netzwerk ist es egal, ob du jetzt eine Professorin bist oder eine PostDoc oder eine Promovendin oder auch Studentin, da ist dieses Gefühl der Unterstützung“ (Interview Claudia Simons).
In eine ähnliche Richtung verweist Susanne Buckley-Zistel, wenn sie das Netzwerk als „eine Art Schwesternschaft“ deklariert: „Das ist für mich ein Begriff, der ein bisschen romantisch aufgeladen ist, aber Solidarität und ‚wir halten zusammen‘ meint. Das ist mir wichtig! Ich habe auch nochmal überlegt, was es noch für Netzwerke in meiner Rolle als Wissenschaftlerin gibt: Es gibt die AFK an sich, es gibt den Nachwuchs, aber emotional fühl ich mich auf jeden Fall den Frauen verbunden. Es geht mir vor allem um das gegenseitige Unterstützen und – das finde ich nochmal ganz wichtig für die Frage: Wo sind die Schwierigkeiten für Frauen in der Wissenschaft?“ (Interview Susanne Buckley-Zistel)
Dies zeigt sich auch in ihrer persönlichen Biographie, die stark von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geprägt ist. So berichtet sie von einem persönlichen Schlüsselerlebnis: „Ich wurde zum Vorsingen eingeladen. Ich konnte aber an dem Tag nicht, weil es der Geburtstermin meines Sohns war. Dann kam vom Kommissionsvorsitzenden ‚Schade, aber dann können wir Sie nicht berücksichtigen‘. Es war, glaub ich, Simone [Wisotzki], die viele Hebel in Bewegung gesetzt hat, mit Tanja Brühl und Hanne Birckenbach, und die erwirkt haben, dass die Berufungskommission auf eigene Kosten nochmal anreiste, um mir zwei Monate früher einen alternativen Termin zu geben, der weit genug vom Entbindungstermin entfernt war, damit auch ich die Möglichkeit hatte, mich vorzustellen. Ich wurde nicht genommen, aber dass ich dort vorgesungen habe, hat mich bei Mitgliedern der Kommission auf den Schirm gebracht, wodurch sich später andere Möglichkeiten ergeben haben. So muss es sein! Das ist ein ganz tolles Beispiel dafür, dass ein Frauennetzwerk auch wirklich erfolgreich sein kann“ (Interview Susanne Buckley-Zistel).
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war auch in der Amtszeit von Cordula Dittmer, die gerade aus einer „längeren Kinderpause“ kam, und für Claudia Simons, die während ihrer Amtszeit als Frauenbeauftragte Mutter wurde, ein wichtiges Thema. So sah Cordula Dittmer in dem Amt auch „eine schöne Möglichkeit, mich wieder in diesen Bereichen zu engagieren und Kontakte zu knüpfen“ (Interview Cordula Dittmer). Claudia Simons erzählt von einem Schlüsselerlebnis, als sie mit ihrem damals zwei Monate alten Sohn zum Kolloquium fuhr:„Ich habe mein Kind auf der Konferenz gestillt, habe ihn auch mit auf das Podium genommen, als ich moderiert habe. Hinterher hatten wir total interessante Diskussionen mit einigen Professorinnen, die sagten, ‚das hätten wir uns damals nicht getraut‘. Sie haben aus ihren Erfahrungen berichtet, wie das damals war für sie mit kleinen Kindern, als es z.B. noch keine Elternzeit gab. Ich fand es wichtig, zu zeigen, dass es möglich ist, mit Kind auf einem Podium zu sitzen. Aber ich würde es auch nicht von jemand anderer erwarten. Und wir müssen aufpassen unter uns Frauen im Netzwerk, dass wir es einerseits schaffen, so etwas zu normalisieren, aber gleichzeitig nicht das Gefühl vermitteln, das wäre alles easy und das könnte man doch einfach so nebenbei” (Interview Claudia Simons). Ein Bewusstsein für diese Problematik ist dabei nicht qua Geschlecht gegeben, sondern wird insbesondere auch durch das eigene Erleben deutlich. Anne Menzel bringt dies 2019 im Interview wie folgt auf den Punkt: „Ich bin jetzt seit einem Jahr Mutter. Ich hab Probleme, die habe ich vorher noch nie gehabt und mit denen ich auch nicht gerechnet hatte“ (Interview Anne Menzel).
Generationenübergreifende Inspiration
An diesen Beispielen wird deutlich, wie wichtig der persönliche Austausch erlebt wird. Dies zeigt sich insbesondere auch an den ganz konkreten Frauen im Netzwerk selbst. So werden immer wieder bestimmte persönliche Begegnungen und Frauen hervorgehoben, die mit dem Netzwerk assoziiert werden. Dies ist für informelle Netzwerke nicht untypisch, für formale Netzwerke wie das Netzwerk Friedensforscherinnen aber auch nicht selbstverständlich. So stellt Sarah Clasen auf die Frage, was sie mit dem Netzwerk verbände, auf ganz persönliche Begegnungen ab: „Also ganz klar personenbezogen: Regine Mehl. Das muss ich wirklich sagen […]. An einem Abend war dieser sogenannte Empfang des Netzwerks Friedensforscherinnen und Regine hat am Anfang etwas erzählt zur Geschichte des Netzwerks und da hab ich mich so ein bisschen in ihre Art verliebt. Ich fand sie einfach toll als Person, unglaublich mitreißend. Ich hatte auch das Gefühl, das Netzwerk ist ein Ort, wo ich mit meinem wenigen Wissen, was ich zu dem Zeitpunkt als Studentin hatte, willkommen bin. Aber es war ganz klar personell identifiziert. Also Regine an erster Stelle, aber da waren so viele Frauen – auch Hanne Birckenbach oder Ruth Stanley –, die einfach noch aus einer anderen Generation, also wirklich so direkt mit Bezug zur Frauen-/Menschenrechtsbewegung der 1980er Jahre kamen. Und die haben total Lust gehabt auch Nachwuchs zu fördern und das war schon manchmal so ein bisschen mütterlich. Das fanden auch nicht alle angenehm, aber mir hat das damals total gut gefallen“ (Interview Sarah Clasen). Diese persönlichen Begegnungen erinnert auch Claudia Simons gut: „Ich fand diese Frauen einfach so grandios! Bettina Engels, Claudia Brunner, Susanne Buckley-Zistel usw. Das waren wirklich meine Heldinnen und ich wollte das [Netzwerk] auch gern zusammen mit ihnen gestalten. Aber ich hatte auch dieses Gefühl, dass wir etwas aufrechterhalten müssen, was so tolle Frauen aufgebaut haben, das Netzwerk also sozusagen auch in der nächsten Generation wieder weiterzuführen!“ (Interview Claudia Simons).
Die Einschätzung, dass das Netzwerk maßgeblich von der Präsenz und dem Engagement einzelner Frauen zehrt und unbedingt weiter am Leben gehalten werden muss, teilen die meisten der bisherigen Frauenbeauftragten. Claudia Brunner spricht dabei einen besonderen Dank an die Gründerinnengeneration aus: „Ich bin vor allem den Gründerinnen und unseren historischen Vorläuferinnen wahnsinnig dankbar für diese Kämpfe, die sie ausgefochten haben, die um Klassen härter waren, denke ich, als das, was wir erleben. Trotz allem Backlash-Bedauern ist doch signifikant mehr Verständnis und Offenheit bei Geschlechterfragen heute erkennbar als vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren. Insofern sehe ich es in meiner – unserer – Verantwortung oder auch in der Verantwortung aller, die im Netzwerk sind, diese Bereitschaft zu konfliktreichen Auseinandersetzungen weiterzutragen“ (Interview Claudia Brunner).
Ort selbstkritischer Reflexion
Obwohl die interviewten Frauenbeauftragten die Erfolge des Netzwerks betonen, zeigt sich auch ein hohes Maß an kritischer Auseinandersetzung und selbstkritischer Reflexivität. So wird gerade mit Blick auf den geschützten Raum, den das Netzwerk für Friedens- und Konfliktforscherinnen (mit kleinem I und bislang ohne explizites Sternchen) bietet, die Frage nach Inklusion und Exklusion gestellt: Während die Notwendigkeit der Exklusion von nicht-weiblich gelesenen Personen aus den Netzwerktreffen besteht, um den geschützten Raum aufrechtzuerhalten, kann die damit einhergehende »Exklusivität« hinsichtlich des Bestrebens eines breiten inhaltlichen Austauschs als potentiell hinderlich betrachtet werden – und als heute vielleicht auch überholt, berücksichtigt man etwa das vermehrte Interesse von z.B. männlichen Studierenden an Gender-Ansätzen in der Friedens- und Konfliktforschung. Claudia Simons wirft in diesem Zusammenhang zudem die Frage auf: „Wer sind denn alles die Friedensforscherinnen? Sind überhaupt alle Friedensforscherinnen mit in diesem Netzwerk oder wer ist ausgeschlossen?“ (Interview Claudia Simons) Diese Frage ließe sich auch im Sinne von Ute Volmerg stellen: Wer gehört eigentlich zu den Frauen in der Friedens- und Konfliktforschung? Sind es nur Forscher*innen oder auch Praktiker*innen und Friedensbewegte? Und schlussendlich – auch hierauf wird in verschiedenen Interviews eingegangen – kommen durch gesellschaftliche Debatten zur Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit auch Reflexionen zu Daseinsberechtigungen eines Netzwerks für (Cis)Frauen auf, denen sich das Netzwerk zukünftig stellen muss.
Tagungen als Instrument des Netzwerkaufbaus
Wissenschaft lebt von Austausch und Vernetzung. Aus diesem Grund ist auch die Veranstaltung von und Teilnahme an wissenschaftlichen Fachtagungen ein zentrales Element der wissenschaftlichen Karriere. Gleichzeitig haben wissenschaftliche Tagungen nicht unbedingt den Ruf, zentraler Innovationstreiber zu sein. Axel Bojanowski fasst in einem Spiegel-Artikel seinen Blick auf Tagungen wie folgt zusammen (was durchaus Schmunzeln und Kopfnicken hervorrufen kann): „Konferenzen sind das, was der Pausenhof für Schüler ist. Teilnehmer möchten den eigenen Ruf verbessern, neue Freunde finden, herausbekommen, an was die anderen forschen, Tratsch oder möglichst Streit aufschnappen. In den Vorträgen geht es um Wissenschaft, aber drumherum herrscht uneiliges, ferienheiteres Durcheinander“ (Bojanowski 2017).
Natürlich ist diese Darstellung überspitzt, aber der Funken Wahrheit, der hier zu finden ist, gilt für viele Tagungen: Die wissenschaftlichen Debatten werden in den Panels geführt, der Kern einer Tagung besteht aber für viele in den Gesprächen drumherum, im eher informellen Austausch mit anderen Wissenschaftler*innen. Wie zentral dieser Austausch und der Vernetzungsgedanke auch für den Fortbestand eines wissenschaftlichen Netzwerkes und Verbandes sind, lässt sich am Beispiel eines Workshops zeigen, der 2011 von den amtierenden Frauenbeauftragten organisiert wurde.
Die damaligen Frauenbeauftragten, Bettina Engels und Sarah Clasen, veranstalteten einen Workshop zu „Neue Geschlechterperspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung“, der vorgelagert zum Jahreskolloquium der AFK stattfand. Das ambitionierte Ziel des Workshops war es laut Tagungsprogramm, „bisherige Forschungen und gegenwärtige Entwicklungen der feministischen und gendersensiblen Friedens- und Konfliktforschung kritisch zu reflektieren sowie neue theoretische und empirische Perspektiven für die Disziplin aufzuzeigen“ (AFK 2011). Damit waren die fachlichen Zielsetzungen klar definiert. Daneben waren Frauen-Fördermaßnahmen und eine Zukunftsausrichtung Thema und die Erhöhung weiblicher Sichtbarkeit wurde durch eine gemeinsame Publikation angestrebt. Während die fachlichen und inhaltlichen Knackpunkte in Tagungsberichten und einem anschließenden Sammelband festgehalten wurden, konnten die Ausrichterinnen die Folgen für die Vernetzung und die Entwicklung des Netzwerks Friedensforscherinnen nicht absehen.
Unter den rund 40 Teilnehmer*innen (Schäfer 2011, S. 57) waren nicht nur die beiden amtierenden Frauenbeauftragten (Bettina Engels und Sarah Clasen), zwei ehemalige Frauenbeauftragte (Simone Wisotzki und Susanne Buckley-Zistel) sowie eine der Gründerinnen des Netzwerks Friedensforscherinnen (Regine Mehl), sondern auch fünf Frauen, die sich im darauffolgenden Jahrzehnt als Frauenbeauftragte aufstellen ließen und das Netzwerk mitgestaltet haben (Claudia Brunner, Claudia Simons, Cordula Dittmer, Mechthild Exo und Christine Buchwald).
Auch mir war zu der damaligen Zeit noch nicht klar, welchen Einfluss diese Tagung auf die Entwicklung des Netzwerkes haben würde. Ich war damals Studentin. Diese Tagung war meine erste wissenschaftliche Tagung und ich erinnere mich noch heute, wie willkommen ich mich gefühlt habe, als Bettina Engels und Regine Mehl mich direkt bei meiner Ankunft begrüßten. Ich kannte die beiden zum damaligen Zeitpunkt nicht und doch wurde ich mit einem warmen „Schön, dass du da bist“ direkt in das Netzwerk eingeschlossen und aufgenommen. Für mich war diese Tagung der Türöffner zur AFK und zum Netzwerk. Seitdem bin ich jedes Jahr auf den Kolloquien und natürlich auch bei den Treffen des Netzwerks Friedensforscherinnen.
Mit Bojanowski könnte hier von einer »Pausenhofatmosphäre« und dem Finden neuer Freundinnen die Rede sein. Es ließe sich aber auch, weniger zynisch, feststellen, dass die offene Atmosphäre und das statusunabhängige – vielleicht sogar hierarchiefreie – Klima Vernetzung und ein Zugehörigkeitsgefühl ermöglicht haben. So kommt auch Claudia Simons zu ihrem Resümee des Workshops von 2011:
„Ich fand es extrem spannend, dass wir hier total statusübergreifend sitzen und über so ganz fundamentale Fragen – auch zum Wissenschaftsbetrieb – miteinander diskutieren, in einer Art und Weise, die sehr unterstützend ist und sehr wenig Ellenbogenmentalität hat. Ich erinnere mich an eine Podiumsdiskussion bei diesem Workshop zum Thema ‚Arbeitsbedingungen und Vereinbarkeit in der Wissenschaft‘. Es ging damals unter anderem darum, was getan werden muss, dass Frauen gleichermaßen Zugang zum bestehenden Wissenschaftsbetrieb haben, auch mit Kindern zum Beispiel. Ich bin damals aufgestanden und habe gesagt, dass ich es auch mal echt spannend fände, darüber zu diskutieren, warum der Wissenschaftsbetrieb so gestaltet ist, dass Forschung und Karriere nur unter diesen Bedingungen möglich sind. Und ob wir diese toxischen Arbeitsverhältnisse einfach nur für Frauen zugänglich und damit nachmachen wollen, oder ob wir nicht eigentlich die Arbeitsbedingungen reformieren müssten. Diese Diskussion fand ich total spannend und ich glaube, in dem Moment habe ich gemerkt ‚Wow, die AFK finde ich spannend‘ und vor allem auch diese Vernetzung unter Frauen“ (Interview Claudia Simons).
Diese kritische Debatte und auch die Vernetzung unter Frauen waren wohl auch für Mechthild Exo zentrale Elemente für den Erfolg des Workshops. Denn trotz einer Skepsis gegenüber etablierten Wissenschaftsformaten kommt sie zu einem positiven Fazit:
„Das war so mein erster Eindruck von der AFK und über diese Vortagung – bei aller Skepsis gegenüber solchen Fachkreisen und auch bestehender Friedens- und Konfliktforschung bzw. auch überhaupt Mainstream-Wissenschaftsinstitutionen und institutionellen Events – entgegen dessen hatte ich dann noch einen ganz positiven Eindruck, weshalb ich dann eben seitdem an den AFK-Tagungen teilgenommen habe“ (Interview Mechthild Exo).
Anhand dieser Beispiele zeigt sich sehr deutlich, dass Tagungen nicht nur den fachlichen Austausch fördern, sondern zentrales Mittel zur Bindung – gerade an »solche Fachkreise« – darstellen. Dass dies gelingt, ist dann wiederum von Themen und Veranstalter*innen abhängig, die eine solch gewinnende Atmosphäre schaffen müssen.
Feministische Ideale und deren Realität
Auch wenn das Netzwerk Friedensforscherinnen ein Ort der persönlichen Begegnung und des Austausches ist, so hat das Netzwerk bereits seit der Gründung ebenso den Anspruch, feministische Forschung und gendersensitive Ansätze in der Friedens- und Konfliktforschung voranzubringen – ohne dogmatisch eine feministische Haltung oder feministische Forschung bei allen Teilnehmerinnen und Mitgliedern des Netzwerks vorauszusetzen. Eine Auseinandersetzung mit Feminismen auf einer reflexiven Ebene kann aber für alle (Frauen) nützlich und hilfreich sein, um die eigene Position zu klären.
Anne Menzel signalisiert in ihrem Interview, dass sie selbst ein ambivalentes Verhältnis zu Feminismus hat. „So wie ich aufgewachsen bin, komme ich nicht aus einem Hintergrund, wo Feminismus was Selbstverständliches war. Das ist etwas, womit ich das erste Mal im Studium in Berührung gekommen bin und da auch erstmal schlechte Erfahrungen gemacht hatte, weil ich dumme Fragen gestellt habe, und das als ausgrenzend erlebt habe. Insofern war das etwas, was mich interessierte.“ (Interview Anne Menzel).
Offenes Gespräch zu Feminismus
Dieses eigene Unbehagen führte auch dazu, dass Anne Menzel während ihrer Amtszeit gemeinsam mit Mechthild Exo einen Workshop zu „Welchen Feminismus brauchen/wollen/leben wir?“ initiierte. Dieser sollte die Frage diskutieren, „was Frauen überhaupt mit Feminismus verbinden, weil aus meiner Sicht viele Frauen auch nicht nur positive Dinge damit verbinden. Was picken sie sich raus, was lehnen sie ab und was leben sie dann auch tatsächlich?“ (Interview Anne Menzel). Das Ziel hinter dem Workshop beschreibt Mechthild Exo wie folgt: „Was heißt eigentlich Feminismus für uns in der Wissenschaft als Friedensforscherinnen? Aber auch so ein ganz breites Verständnis von Feminismus zu stärken, also auch die verschiedenen Ebenen ‚wie spielt das in meinen Lebensalltag rein, in meinen Arbeitsalltag?‘ Also nicht nur, dass das ein Thema ist, zu dem ich arbeite und schreibe und forsche, oder mein Ansatz, mit dem ich denke, sondern tatsächlich: wie ist es eben umfassend auch präsent“ (Interview Mechthild Exo).
Die Umsetzung des neunzigminütigen Workshops erfolgte im Rahmen der Nachwuchstagung 2018. Neben zwei kurzen Inputs war der Workshop als World Café konzipiert, der genau die von Mechthild Exo angesprochenen Lebensbereiche mit einbezog. Am ersten Tisch diskutierten die Teilnehmerinnen über Feminismus in Arbeits- und Liebesbeziehungen, wobei der Fokus auf eben dieser Beziehungsarbeit lag und deswegen auf einer sehr persönlichen Ebene ansetzte. Am zweiten Tisch wurde der Feminismus im (eigenen) politischen Engagement und Aktivismus diskutiert und es ging stärker um die Identifikation mit den Idealen des Feminismus. Am dritten Tisch wurde die Rolle von Männern im Feminismus diskutiert.
Anhand eines kurzen Berichts der beiden damaligen Frauenbeauftragten lassen sich die Ergebnisse des Workshops gut zusammenfassen: So überraschte am ersten Tisch, dass sehr offen über ganz persönliche Eindrücke gesprochen wurde. Gleichzeitig wurde deutlich, dass feministische Ideale eher in Arbeits- als in Liebesbeziehungen gelebt werden. Am zweiten Tisch wurde Feminismus als ein wichtiger Bezugspunkt für das politische Engagement diskutiert. Insbesondere die Frage nach der Wechselwirkung von Theorie und Bewegung wurde in den Mittelpunkt gerückt: „Wenn Feminismus in der Vergangenheit von der Bewegung zur Theorie wurde, so stellt sich jetzt die Aufgabe, aus der Theorie und institutionellen Erfahrungen wieder Aktivismus zu entwickeln“ (E-Mail Netzwerk Friedensforscherinnen, 26.04.2018). Die Diskussion am Tisch 3 drehte sich nicht um die Frage, »ob« Männer einen Platz im Feminismus haben, sondern gefragt wurde vielmehr nach dem »Wie«, »Wo« und »Welchen«. Zentral war in der Diskussion „die Frage, wie ‚den Männern‘ die Angst vor dem Feminismus genommen werden könne und ob es überhaupt die Aufgabe von ‚uns Frauen‘ sei, den Männern ihren Platz im Feminismus zuzuweisen“ (E-Mail Netzwerk Friedensforscherinnen, 26.04.2018).
Selbstkritische Reflexionsprozesse
Aus der Perspektive der Veranstalterinnen sollte der Workshop eigentlich ein Startschuss werden, um die Debatte auch im Netzwerk fortzuführen, weshalb er auch für den Anfang ihrer Amtszeit angedacht war. Da es sich aber bei der Frauenbeauftragten nur um ein Ehrenamt handelt, sind solche Prozesse auch von den Strukturen beeinflusst, in denen wir arbeiten und leben. Aus diesem Grund wurde der Workshop doch erst am Ende realisiert und dessen Ergebnisse konnten bisher nicht wieder aufgegriffen werden. Dies passt auch zu den Debatten des Workshops, in denen deutlich wurde, dass (feministisches) Ideal und Realität oft auseinanderfallen. Ein kurzes Innehalten und auch ein Rückblick können solche Prozesse wieder in Erinnerung bringen und die Weiterarbeit ermöglichen. Dass solche Ereignisse und Gedanken festgehalten werden, ist deshalb auch zentral für weitere Prozesse und die Weiterentwicklung des Netzwerks.
Solche (auch selbstkritischen) Reflexionsprozesse werden auch in den Interviews deutlich. So betont Susanne Buckley-Zistel: „Ich habe in mein Programm für dieses Semester geguckt, Gender ist diesmal kein Thema. Daher habe ich mir heute überlegt, dass ich das wieder ein bisschen ernster nehmen muss, also wieder eine Veranstaltung zu Gender anbieten sollte“ (Interview Susanne Buckley-Zistel). Aber nicht nur auf dieser Arbeitsebene wird die Reflexion und das »Wiederbeleben alter Ideale« deutlich. Susanne Buckley-Zistel betont auch, dass sie die Zeit als Frauenbeauftragte politisiert habe „mit Blick auf Situationen von Frauen in der Wissenschaft, aber auch mit Blick auf Frauen- und Genderthemen in der Forschung“ (Interview Susanne Buckley-Zistel).
Feminismus zwischen Aktivismus und Wissenschaft
Gleichzeitig betont Mechthild Exo, dass das Netzwerk an sich zu unpolitisch sei und genau das Zusammenwirken zwischen Aktivismus und Wissenschaft zu kurz käme. In einem Dossier der W&F (Nr. 84) anlässlich des Jubiläums des Frauennetzwerks für Friedens e.V. wurde genau dieser Dialog thematisiert, wo sie gedacht habe, „ja, das passiert irgendwie nicht so richtig im Netzwerk Friedensforscherinnen. Genau das wäre mir schon ein Anliegen, dass man Friedensforschung eben nicht trennt von der Praxis, von dem politischen Eingreifen. Und das haben wir theoretisch vertreten, aber nicht gemacht“ (Interview Mechthild Exo).
Der feministische Anspruch und die Realität kamen für sie nicht zusammen. Ihr eigener Anspruch führte auch dazu, dass sie politisch-aktivistische Forderungen über die Mailingliste des Netzwerks teilte und eine Gegenwehr erfuhr, die so nicht erwartet wurde. Anne Menzel reflektiert diese Gegenwehr – auch in Bezug auf das Verhältnis zum Feminismus – wie folgt: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es daher kommt, dass viele Leute, die explizit feministische Wissenschaft machen, so daran gewöhnt sind, dass sie angefeindet werden, dass sie super defensiv werden. Das ist auch total verständlich. Trotzdem finde ich muss man das in solchen Netzwerken auch thematisieren und reflektieren, weil man sonst Leute vergrault, die potenzielle Alliierte sind“ (Interview Anne Menzel). Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig auch die eigene Reflexion – jeder Person, aber auch des Netzwerks als Ganzem – ist, um den Zusammenschluss und die Solidarität aufrechtzuerhalten, die darin ursprünglich angelegt sind.
Aus den Erfahrungen lernen
Formale Netzwerke zeichnen sich durch einen strukturierten Rahmen und inhaltliche Debatten aus. Diese finden sich auch im Netzwerk Friedensforscherinnen. Das Netzwerk hat zeitgleich einen sehr wenig strukturierten Rahmen und innerhalb der kurzen Treffen vor Ort ist in der Regel zu wenig Zeit für den inhaltlichen Austausch. Der Rahmen wird von den gewählten Frauenbeauftragten gestaltet. Wie viel im Netzwerk passiert, wird deshalb oft nur auf die Arbeit der Frauenbeauftragten bezogen. Dabei stellt Cordula Dittmer treffend fest: „Ich finde, ein Netzwerk müsste eigentlich davon leben, dass viel mehr auch von den Mitgliedern etwas kommt. Also, dass man sagt, wir machen hier nochmal zum Beispiel eine Tagung. Also im Idealfall lebt ein Netzwerk von den Netzwerkmitgliedern und nicht nur von den Frauenbeauftragten“ (Interview Cordula Dittmer).
Gerade von außen werden vor allem die Frauenbeauftragten sichtbar – mit oder ohne eigene Projekte. Wie wichtig solche Projekte für den Fortbestand und für die inhaltlichen Debatten sind, zeigen die genannten Beispiele. Der mehrtägige Workshop 2011, der viele Netzwerkmitglieder unterschiedlicher Generationen zusammenbrachte, war der letzte seiner Art. Inhaltliche Debatten wurden im nachfolgenden Jahrzehnt – abgesehen von den inhaltlichen Panels auf dem AFK-Kolloquium – vor allem außerhalb der gegebenen Netzwerkstruktur geführt: In Sammelbänden, die von den Frauenbeauftragten initiiert und herausgegeben wurden (Gayer und Engels 2011; Dittmer 2018) oder in der Tagungsreihe, die Lena Merkle und ich initiiert haben. Dass der inhaltliche Austausch oft zu kurz kommt, liegt auch an den gegebenen Strukturen. Denn noch heute sind Frauen in der Wissenschaft – und in der Friedens- und Konfliktforschung – stärker von Teilzeitarbeit, Befristungen und der doppelten Belastung durch Care-Arbeit betroffen. Neue Projekte und zusätzliche Veranstaltungen sind deshalb nicht immer in den Arbeits- und Lebensalltag integrierbar.
Auch wenn sich an vielen Stellen etwas bewegt hat in den vergangenen Jahrzehnten, so zeigen die Beispiele zugleich, dass es noch immer genug zu tun gibt. »30 Jahre Netzwerk Friedensforscherinnen« ist ein Moment, um innezuhalten und zurückzuschauen – was ich hier getan habe. Es bietet zudem die Möglichkeit, neu zu denken und den Blick in die Zukunft zu richten: Was ist unser Ziel und wie können wir das erreichen? Was braucht es neben der Verbundenheit und Solidarität an Visionen und Utopien? In diesem Sinne sind die hier vorgenommenen Schilderungen nicht nur Dokumentation und ein Festhalten, sondern auch ein Weckruf, ein neuer Aufbruch.
Geschlechterbezogene Forschung
Angekommen im Mainstream der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung?
von Michaela Zöhrer
Im Jahr 2011 stellten Corinna Gayer und Bettina Engels (2011, S. 16) in ihrer Einleitung zum Sammelband »Geschlechterverhältnisse, Frieden und Konflikt« folgende kurze Bestandsaufnahme an: „Insgesamt gelang es der geschlechterbezogenen Friedens- und Konfliktforschung, bis in die frühen 2000er Jahre zwei zentrale Ziele zu erreichen: ein Mindestmaß an Akzeptanz der Kategorie Geschlecht im Mainstream/Malestream der Disziplin und die Verringerung von Forschungslücken über empirische Phänomene – insbesondere solcher, die zuvor in der Friedens- und Konfliktforschung unsichtbar waren“.1 Das Erreichen dieser wichtigen Etappenziele kann und sollte als Ergebnis der Vernetzung von Friedensforscherinnen innerhalb der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung verstanden werden.
Ein knapper Überblick
Solch zuvor in der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung unsichtbare, weil nicht oder kaum thematisierte, geschweige denn systematisch untersuchte empirische Phänomene betreffen meiner Beobachtung nach zuvorderst die vielfältigen geschlechtsspezifischen Mit- und Auswirkungen „im Vorfeld von, während und nach bewaffneten Konflikten“ (Clasen, Hinterhuber und Bieringer 2011, S. 11).
- Ein wichtiger Schwerpunkt der vorliegenden Studien liegt auf sexualisierter Gewalt in Kriegen, die sich etwa gegen Kinder, Frauen und Männer richtet (vgl. Seifert 2018);
- aber auch Femi(ni)zide und weitere „Formen der nur scheinbar privaten Gewalt in Friedenszeiten“ (Harders 2010, S. 533) sind Gegenstand von Forschung.
- Weiter geraten im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit« der Vereinten Nationen speziell Frauen als unter anderem „Verhandler*innen, Mediator*innen, Berater*innen, Entscheider*innen“ (Meinzolt 2018, S. 25) in Kontexten der (Post-)Konfliktbearbeitung in den Fokus des Interesses. Das betrifft etwa ihre Rollen in Friedensverhandlungen oder Transitional Justice-Prozessen.
- Eine vergleichsweise lange Tradition hat nicht zuletzt die friedenswissenschaftliche Beschäftigung mit der Bedeutung von Geschlecht im – beziehungsweise für den – Kontext Militär (ggf. auch Militarismus und Nationalismus; vgl. Harders 2010, S. 534; Eifler und Seifert 1999).
Methodisch und theoretisch schlägt sich in den letzten Jahren eine verstärkte Berücksichtigung konstruktivistischer und diskurstheoretischer Ansätze spürbar nieder. Das vor allem dann, wenn der sozialen Wirkmächtigkeit stereotypisierender, oftmals naturalisierender Repräsentationen von Weiblichkeit, aber auch Männlichkeit, größere Aufmerksamkeit zuteil wird. Aufgeworfen wird hier etwa die Frage: Wie werden über diskursive Bezüge auf vermeintlich essentielle Differenzen (und Identitäten) gewaltvolle Handlungen und Strukturen legitimiert?
In jüngerer Vergangenheit wird Gender – also das soziale Geschlecht – zudem auch im Rahmen der Friedens- und Konfliktforschung zunehmend als nicht-binär und nicht-heteronormativ gefasst. Forschungen befassen sich dann beispielsweise mit den Menschenrechten von Lesben, Schwulen und trans* Personen. Dabei liegt der Fokus sowohl auf den entsprechenden sozialen Bewegungen, aber auch darauf, wie »in ihrem Namen« militärische und sozio-ökonomische Interventionen in eurozentristisch-patriarchaler Manier zu legitimieren gesucht werden (Stichwort: Homonationalismus). Hier bestehen markante Parallelen zu bekannten Formen der Instrumentalisierung von Frauenrechten und der „Vereinnahmung von Feminismus für hegemoniale westliche Politiken“ (Buchterkirchen 2017, S. 7).
Als eine letzte neuere Entwicklung möchte ich erwähnen, dass seit geraumer Zeit über den »Umweg« feministischer Forschungen auch post- und dekoloniale sowie intersektionale Zugänge Einzug in die deutschsprachige Friedens- und Konfliktforschung finden. Auch wenn sie – wie feministische Ansätze allgemein – mutmaßlich kaum deren Mainstream (nachhaltig) berühren.2
Was heißt »feministische Forschung«?
Was sich mit dem voranstehenden knappen und notgedrungen selektiven Überblick bereits andeutet, ist, dass – wenigstens dem ersten Anschein nach – eine Art »konstruktivistische Wende« in geschlechterbezogener Friedens- und Konfliktforschung stattgefunden hat. Diese findet auf politischer Ebene ihre Entsprechung: „Ausgehend von postmodernen und Third World feministischen Arbeiten sowie der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 wurde Gender schließlich in den 1990er Jahren sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene als ‚soziales‘ (im Unterschied zum ‚biologischen‘) Geschlecht etabliert“ (Gayer und Engels 2011, S. 11). Gleichwohl wird noch heute, mit den Worten von Sarah Clasen, Eva Maria Hinterhuber und Jutta Bieringer (2011, S. 12f.), Gender „oftmals mit der biologischen Kategorie Frau gleichgesetzt, Geschlechterordnungen, Konstruktionsprozesse und Hierarchien bleiben unberücksichtigt“. Folglich wird Geschlecht keineswegs in jedweder aktuellen geschlechterbezogenen Friedens- und Konfliktforschung als soziale Konstruktion verstanden, geschweige denn findet Gender als analytische Kategorie konsequent Berücksichtigung. Noch darüber hinaus wird in vielen Fällen auf eine Rückbindung an die macht- und herrschaftskritischen Prämissen und Ansprüche feministischer Forschung verzichtet (zur Kritik daran: vgl. Engels und Gayer 2011; Gayer und Engels 2011).
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ein konstruktivistisches Verständnis von Geschlecht ist keine zwingende Voraussetzung für feministische Forschung oder feministischen Aktivismus. (Andersherum ist auch nicht jede Beschäftigung mit Gender feministische Praxis. Ich komme darauf zurück.) So hingen etwa viele frühe feministische(!) Ansätze und Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung, durchaus zeitgemäß, einem sogenannten differenztheoretischen und tendenziell essentialistischen – biologisch oder via Sozialisierung begründeten – Geschlechterverständnis an. Zugleich galt das Forschungsinteresse friedenswissenschaftlich-feministischer Auseinandersetzung zuerst beinahe ausschließlich der Kategorie Frau, wobei Frauen recht schnell nicht nur als Opfer in den Blick gerieten, sondern auch als „Kämpferinnen, Täterinnen, Mittäterinnen und Mitarbeiterinnen in Kriegsökonomien“ sowie als „Friedensaktivistinnen“ (Birckenbach 2003, S. 46). Eine dezidiert feministische Zugangsweise erschöpft sich indessen nicht in der Themenauswahl (so schon Batscheider 1991, S. 83), weshalb es bereits früher feministischer Friedensforschung um mehr als um den „un- oder falschbeackerten sozialwissenschaftlichen ‚Gegenstand Frau‘“ (Lang 1992, S. 131) zu tun war. Feministische Forschung gab und gibt darüber hinaus wichtige theoretische, methodologische und auch wissenschaftskritische Impulse, welche es erlauben, die Gegenstände und Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung wie auch das Forschungsfeld als solches herrschaftskritisch (neu) ins Licht zu rücken (vgl. Zöhrer in diesem Dossier, S. 6f.).
Ich möchte die vorangehenden Beobachtungen gerne etwas vertiefen und fragen, wie sich diese einordnen lassen: mit Blick auf »Anschlussmöglichkeiten« (feministischer) Forschungen zu Geschlecht an den Mainstream der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung.
Radikaler versus konstruktivistischer Feminismus
Simone Wisotzki hat zuerst 2005 die möglichen (Hinter-)Gründe einer in der Vergangenheit mangelhaften, künftig jedoch gesteigerten Anschlussfähigkeit der Kategorie Geschlecht in der Friedens- und Konfliktforschung beleuchtet. Genauer entfaltete sie die „These der gewachsenen Dialogfähigkeit des Genderansatzes“ (Wisotzki 2005, S. 111). Dabei beobachtet Wisotzki im historischen Rückblick, dass eine radikal-feministische Perspektive, die sie etwa bei Tordis Batscheider (1993) oder Bärbel Clemens und Ulrike Wasmuht (1991) ausmacht, Ende der 1980er Jahre speziell mit der kritischen Friedensforschung den Dialog gesucht hat.
Letztlich wären aber die radikal-feministischen Bemühungen wie auch die der kritischen Friedensforschung »Auslaufmodelle« gewesen: „Radikale Feministinnen orientierten sich vor allem an der kritischen Friedens- und Konfliktforschung, weil sie dort die größten Übereinstimmungen in den theoretischen Grundüberzeugungen ausmachten. Die kritische Friedensforschung war jedoch ein Produkt des Ost-West-Konflikts und hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren. Schon im Zuge der Entspannung zwischen Ost und West trat die herrschaftskritische Perspektive immer weiter in den Hintergrund. In dem Maße, in dem die Friedens- und Frauenprotestbewegung als soziale Bewegungen ihre Bedeutung einbüßten, verloren sowohl radikaler Feminismus als auch kritische Friedensforschung an Relevanz“ (Wisotzki 2005, S. 115).
Radikale Feminist*innen wurden indessen nicht nur von der Geschichte überholt, sondern müssten sich laut Wisotzki (2005, S. 121) auch aufgrund manch inhaltlicher Schwerpunktsetzungen den Vorwurf eines „Mangel[s] an Dialogfähigkeit“ gefallen lassen.3 Demgegenüber räumt die Autorin jenen damals neueren feministischen Perspektiven und Zugängen, die sie als konstruktivistisch und auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse fokussierend fasst (Wisotzki 2005, S. 127), gute Chancen ein, sich als anschlussfähig an den (in sich heterogenen) Mainstream der Friedens- und Konfliktforschung zu erweisen. Aber auch hier macht sie ein potentielles, letztlich offensiv anzugehendes »Dialoghemmnis« aus, das sie darin sieht, dass „der heutigen Friedens- und Konfliktforschung […] diese explizit formulierte herrschaftskritische Perspektive abhanden gekommen ist“ (Wisotzki 2005, S. 127).
Wisotzki unterscheidet also tendenziell ältere radikale (essentialistische, differenztheoretische) von neueren genderorientierten (Geschlecht als soziale Konstruktion begreifenden) Perspektiven – und sie konzipiert beide als feministische Perspektiven mit einem zentralen Fokus auf Macht- und Herrschaftsfragen.
Feministische versus gendersensible Forschung
Demgegenüber unterscheiden Bettina Engels und Corinna Gayer feministische und gendersensible Ansätze in der Friedens- und Konfliktforschung. Als deren gemeinsames Anliegen erkennen sie, „die vergeschlechtlichten Dynamiken und Implikationen von Sicherheit, Krieg und Frieden analytisch sichtbar zu machen“ (Engels und Gayer 2011, S. 30f.); als zentrale Scheidelinie benennen sie den bestehenden oder fehlenden Bezug zu Herrschaftskritik und emanzipatorischen Erkenntnisinteressen (Ebd., S. 39).
Während sich (Wisotzki folgend) in den 1990er Jahren ein „empirisch-analytisch ausgerichteter Genderansatz“ in der Friedens- und Konfliktforschung herausgebildet habe, der sich durchaus noch „normativen feministischen Ansprüchen verpflichtet“ (Gayer und Engels 2011, S. 12) fühlte, machen die beiden Autorinnen Anfang der 2010er Jahre eine Zunahme an gendersensiblen (vor allem empirisch-quantitativ verfahrenden) Forschungen aus, die Geschlecht zwar theoretisch als soziale Konstruktion anerkennen, „de facto jedoch Geschlecht als Variable und nicht als analytische Kategorie integrieren“ (Ebd., S. 13): „[I]n der eigentlichen Analyse wird dann doch mit den Kategorien ‚Mann/Männer‘ und ‚Frau/Frauen‘ gearbeitet, so dass letztlich auch dem konstruktivistischen Label häufig ein essentialistisches Geschlechterverständnis zugrunde liegt“ (Engels und Gayer 2011, S. 33). Es geht Engels und Gayer weniger um eine historische Differenzierung älterer essentialistischer und neuerer konstruktivistischer Ansätze. Alle neueren Ansätze basieren – zumindest theoretisch – auf der Einsicht von Gender als sozialer Konstruktion. Sie unterscheiden die verschiedenen Zugangsweisen vielmehr danach, wie konsequent Gender als Konstruktion berücksichtigt wird und inwiefern (k)eine Rückbindung der jeweiligen Forschungen zu Gender an feministische Theorie stattfindet.
Um auf das erste von Gayer und Engels (2011, S. 16) genannte Etappenziel zurückzukommen, demzufolge „ein Mindestmaß an Akzeptanz der Kategorie Geschlecht“ in der Friedens- und Konfliktforschung erreicht werden konnte: Letztlich sind die beiden Forscherinnen durchaus kritisch, was das Ankommen von Gender als konstruktivistisch-analytischer wie auch als feministisch-herrschaftskritischer Kategorie im Mainstream der Friedens- und Konfliktforschung betrifft. Denn es zeige sich, „dass der Umgang mit der Kategorie Geschlecht durch den Mainstream/Malestream weitgehend losgelöst von den erkenntnistheoretischen und politischen Grundlagen feministischer Forschung erfolgt, andro-zentrische Grundannahmen und Theorien nicht revidiert werden und damit Gender als analytische Kategorie vom Mainstream noch lange nicht integriert wird“ (Engels und Gayer 2011, S. 38).
Damit sind jedenfalls „nicht alle Arbeiten, die mit dem Etikett ‚Gender‘ aufwarten, […] als feministisch zu bezeichnen“ (Gayer und Engels 2011, S. 13). Das scheint mir ein »Knackpunkt«, den manch nicht-feministische und dennoch gendersensible Forscher*innen mutmaßlich selbstbewusst mittragen können, aber auch als solchen reflektieren können sollten. Gleiches gilt für feministische Friedens- und Konfliktforscher*innen, wenn sie ihrerseits »dialogfähig« bleiben wollen. Zu vermeiden wäre zudem, dass die „Auseinandersetzung (nur) innerhalb der feministischen und gendersensiblen Forschung anstatt mit dem wissenschaftlichen und politischen Mainstream/Malestream geführt wird“ (Engels und Gayer 2011, S. 41).
Gerade das Netzwerk Friedensforscherinnen – das eben „nicht feministisches Netzwerk, sondern Netzwerk Friedensforscherinnen“ heißt, wie Claudia Brunner als ehemalige Frauenbeauftrage der AFK im Interview ins Bewusstsein rückt – kann für den Dialog unter gendersensiblen und feministischen Forscher*innen Räume eröffnen (vgl. Buchwald in diesem Dossier, S. 15f.). Gleichzeitig werden seine Mitglieder sicher auch noch in Zukunft maßgeblich mit daran beteiligt sein, die Sichtbarkeit und Akzeptanz geschlechterbezogener Forschung in der deutschsprachigen Friedens- und Konfliktforschung und deren Mainstream zu vergrößern.
Mut zum Querdenken (im ursprünglichen Wortsinn)
Simone Wisotzki schrieb 2005 (S. 127): „Die Friedens- und Konfliktforschung muss sich weiterhin den Vorwurf des Androzentrismus gefallen lassen, weil eine geschlechtersensible Forschungsperspektive bislang allein der feministischen Forschung vorbehalten blieb“. Aus heutiger Sicht würde ich demgegenüber eher Bettina Engels’ und Corinna Gayers (2011, S. 30) Einschätzung beipflichten wollen, dass Gender zwar „im Mainstream der Friedens- und Konfliktforschung angekommen“ ist, aber „häufig additiv und vornehmlich ohne Rückbezug auf feministische Theorieansätze“ herangezogen wird.
Mit Hanne-Margret Birckenbach lässt sich abschließend eine optimistische Lesart einbringen, die uns ermutigt, (immer) noch nicht anschlussfähige Perspektiven einzunehmen: „Ihr müsst bedenken, dass die Kategorie Gender nicht wie heute anschlussfähig war und das ist ja auch noch immer ein Totschlagargument ‚ist das anschlussfähig?‘ Und man kann, glaube ich, an diesem Beispiel ganz deutlich machen, wie wichtig es ist, auch den Mut aufzubringen, nicht anschlussfähige Dinge zu denken, weil in wenigen Jahren kann sich das ziemlich ändern und es ist eigentlich kein Argument dagegen, wenn etwas nicht anschlussfähig […] ist“ (Interview Hanne-Margret Birckenbach).
Und vielleicht können (de-)konstruktivistische und herrschaftskritische Perspektiven aktuell eben dann am besten der weiterhin drängenden Aufgabe nachkommen, den »Normalbetrieb« zu irritieren und produktiv zu stören, wenn sie zwar lautstark vernehmbar sind und wenigstens vordergründig akzeptiert werden müssen, dabei jedoch gerade nicht »mir nichts, dir nichts« im Mainstream integriert werden.
Anmerkungen
1) Mit Malestream verweisen die Autorinnen auf jene sich vom Mainstream abgrenzenden Forschungen, die häufig »geschlechtsblind« sind (Gayer und Engels 2011, S. 12, Fn. 17).
2) Diese neueren perspektivischen Schwerpunkte lassen sich beispielsweise anhand von Tagungsberichten nachvollziehen, die in W&F in den letzten Jahren veröffentlicht wurden: Etwa zur 1., 2. und 3. Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen (Buchwald et al. 2020; Buchwald und Merkle 2020; Merkle und Buchwald 2019) oder zur Tagung der Projektgruppe »bertha« zu »Feministische Friedensarbeit: Reflexion. Organisation. Thema – Gender und Intersektionalität als Chancen der antimilitaristischen und pazifistischen Arbeit« (Scheuing und Müller 2020).
3) Wisotzki (2005, S. 121) zufolge gehen radikale Feminist*innen – anders als feministisch-konstruktivistische Perspektiven – von überaus starren, kaum veränderbaren patriarchalen Strukturen aus, anstatt Veränderungspotentiale und weibliche Handlungsmacht (Agency) zu betonen.
Literatur
AFK (1992): Protokoll der Mitgliederversammlung 1992 (AFK-Archiv).
AFK (2011): Tagungsprogramm „Neue Geschlechterperspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung“.
Batscheider, Tordis (1991): Friedensforschung – eine männliche Wissenschaft? Feministische Kritik an Institutionen, Inhalten und Methoden der kritischen Friedensforschung. In: Jopp, Matthias (Hrsg.): Dimensionen des Friedens – Theorie, Praxis und Selbstverständnis der Friedensforschung. (Schriftenreihe der AFK, Bd. 17). Baden-Baden: Nomos, S. 81-96.
Batscheider, Tordis (1993): Friedensforschung und Geschlechterverhältnis. Zur Begründung feministischer Fragestellungen in der kritischen Friedensforschung. Marburg: BdWi-Verlag.
Batscheider, Tordis (1995): Zur Begründung feministischer Fragestellungen: Die Relevanz eines feministischen Gewaltbegriffs, in: Vogt, Wolfgang R. (Hrsg.): Frieden als Zivilisierungsprojekt – Neue Herausforderungen an die Friedens- und Konfliktforschung. 25 Jahre AFK (Schriftenreihe der AFK, Bd. 21). Baden-Baden: Nomos, S. 98-106.
Birckenbach, Hanne-Margret (1990): Friedensforschung und ihre feministischen Ansätze: Möglichkeiten der Integration, in: AFB-Texte. Bonn: Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn.
Birckenbach, Hanne-Margret (2003): Friedensforschung und Geschlechterforschung, in: W&F 2003/4, S. 44-47.
Buchterkirchen, Ralf (2017): Fokus Gender in der Friedensbewegung. In: ders.; Kopper, Elise; Lochbihler, Barbara; Schütz, Heide; Wisotzki, Simone und andere (Hrsg.): Gender, Frauen und Friedensengagement. Dokumentation der Jubiläumsveranstaltung anlässlich 20 Jahre Frauennetzwerk für Frieden e.V. (W&F Dossier 84), S. 7-9.
Buchwald, Christine; Hinterhuber, Eva Maria; Merkle, Lena; Scheyer, Victoria; Schneider, Elke (2020): Intersektionale Zugänge. 3. Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen, Hochschule Rhein-Waal, 16.-17. Juni 2020. In: W&F 2020/3, S. 50-51.
Buchwald, Christine; Merkle, Lena (2020): Women Beyond Passive Victimhood. 2. Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen, Magdeburg, 7.-8. Oktober 2019. In: W&F 2020/1, S. 47-48.
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