Dossier 84

Gender, Frauen und Friedensengagement

Dokumentation der Jubiläumsveranstaltung
anlässlich 20 Jahre Frauennetzwerk für Frieden e.V.

von Ralf Buchterkirchen, Elise Kopper, Barbara Lochbihler,
Heide Schütz, Simone Wisotzki und anderen

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 1-2017
Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden
in Zusammenarbeit mit dem Frauennetzwerk für Frieden e.V.

| Zwanzig Jahre Frauennetzwerk für Frieden e.V.

von Heide Schütz und Elise Kopper

Zwanzig Jahre Frauennetzwerk für Frieden e.V. (FNF) – dieses Jubiläum gab uns im September 2016 die erfreuliche Gelegenheit, kritisch Rückschau zu halten, thematisch in die Zukunft zu blicken und auch zu feiern. Dabei konnten und wollten wir zwei unserer zentralen Themen miteinander verbinden: zum einen die Bedeutung von Geschlechterrollen in der Friedensarbeit und zum anderen das unermüdliche Engagement von Frauen für den Frieden.

Symposium »Fokus Gender im Friedensengagement«

Das zentrale Thema des Symposiums »Fokus Gender im Friedensengagement – deutsche und europäische Perspektiven« war die Relevanz von Geschlecht und Geschlechterrollen im Friedensengagement. »Gender«, das sozial konstruierte Geschlecht im Gegensatz zum vermeintlich biologisch gegebenen, ist eine der zentralen Kategorien, die unsere Gesellschaft strukturieren. Als Analysekategorie spielt sie auch und gerade im Kontext von Krieg und Frieden eine zentrale Rolle. Sie ermöglicht sowohl den Blick auf Machtverhältnisse – z.B. das Patriarchat – als auch auf konfliktverschärfende Dynamiken – z.B. militarisierte Männlichkeit und Weiblichkeit –, auf wenig beachtete Akteurinnen und Akteure in Friedensprozessen – z.B. FrauenFriedensgruppen und Kämpfer*innen für Minderheitenrechte – und auf bisher unbeachtete Möglichkeiten, Konflikte gewaltfrei zu bearbeiten – z.B. durch die Entwicklung neuer, friedensfördernder Formen von Identität. Ohne Gender als Analysekategorie bleiben in der theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit (bewaffneten) Konflikten und Friedensprozessen viele blinde Flecken. Diese blinden Flecken sichtbar zu machen und damit den Diskurs darüber in Wissenschaft und Praxis zu bereichern, war ein erklärtes Ziel des Symposiums. Dabei war es dem FNF ein großes Anliegen, die verschiedenen Ebenen des Friedensengagements – die Friedenspolitik, die Friedensbewegung, die Friedens- und Konfliktforschung und die praktische Friedensarbeit – gleichermaßen und in ihrer Interdependenz ganzheitlich zu betrachten.

Mit Barbara Lochbihler, Mitglied des Europäischen Parlaments, Ralf Buchterkirchen, Bundessprecher*in Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Simone Wisotzki, Vorstand Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), und Katharina Tangri, Rechtsethnologin und Friedensfachkraft, konnten wir vier herausragende Referent*innen für dieses Symposium gewinnen, die uns ihre spezifische Sicht auf die Relevanz einer Genderperspektive in ihren Arbeitsfeldern klar, überzeugend und gleichzeitig persönlich reflektierend darstellten. Dabei eröffneten sich immer wieder überraschende Zusammenhänge, die ohne die »Genderbrille« kaum sichtbar geworden wären und in diesem Dossier dokumentiert sind.1

Festveranstaltung zur FrauenFriedensarbeit

Unser zweites zentrales Thema, die praktische Friedensarbeit von Frauen, fand eine Plattform in der anschließenden Festveranstaltung. Die vier FNF-Vorstandsfrauen Erika Christmann, Anna Maria Mayntz, Margret Otto und Heide Schütz erinnerten sich im Gespräch mit der Moderatorin Regine Mehl sehr persönlich an Höhepunkte und auch an Schwierigkeiten in den vergangenen 20 Jahren im und mit dem FNF und machten insbesondere deutlich, wie zentral die persönliche Dimension für das Friedensengagement jedes und jeder Einzelnen ist. Ein besonderes Highlight war für viele Anwesende die darauf folgende Gesprächsrunde der FriedensFrauen aus unserem Netzwerk. Eine Gründungsidee und zentrale Aufgabe des FNF war und ist, FrauenFriedensarbeit zu vernetzen, sichtbar zu machen und damit ihre Bedeutung in der weiten Landschaft des Friedensengagements deutlich zu machen. Stellvertretend für die vielen großartigen Frauen in unserem Netzwerk und weltweit, die sich für den Frieden engagieren, kommen in dem vorliegenden Dossier in einer gekürzten Version des Gesprächs nun noch einmal zu Wort: Heide Serra für AMICA e.V., Marianne Großpietsch für die Shanti Leprahilfe, Suraya Hoffmann für FrauenWege Nahost und Susanne Hertrampf für die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF/IFFF).

Danksagung

Wir danken an dieser Stelle ausdrücklich allen Mitgliedern, Freundinnen und Freunden des Frauennetzwerk für Frieden e. V., ohne die die Realisierung dieser Jubiläumsveranstaltung nicht möglich gewesen wäre: Unserer Kooperationspartnerin, der Regionalvertretung der Europäischen Kommission in Bonn und namentlich Mirja Hannele Ahokas, Patrycja Sypel und Daniel-Sorin Spac, die uns umfassend bei der Planung und Durchführung der Veranstaltung unterstützten. Den Referent*innen und Interviewpartnerinnen, die uns einen sowohl fachlich anregenden als auch persönlich bereichernden Tag bescherten. Den Moderator*innen Oliver Knabe vom Forum Ziviler Friedensdienst und Regine Mehl vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, die uns so souverän und unterhaltsam durch die Veranstaltung führten. Der Bonner Bürgermeisterin Gabriele Klingmüller, dem Bund für Soziale Verteidigung, den FriedensFrauen Weltweit, dem Deutschen Frauenring und der International Alliance of Women für ihre empathischen Grußworte. Christiane Sturm und Fried Bauer sowie Norbert Christmann für die wunderbare musikalische Begleitung des Abends. Unseren Gästen, die so angeregt mit uns und miteinander diskutierten. Unseren Spender*innen, die die Arbeit des FNF durch ihre kontinuierliche und großzügige finanzielle Unterstützung erst möglich machen. All unseren Praktikant*innen, die sowohl an diesem Tag als auch in den zurückliegenden Jahren unsere Arbeit so großartig unterstützt haben. Allen helfenden Händen im Hintergrund, die uns am Tag der Jubiläumsveranstaltung zur Seite standen. Der Redaktion von »Wissenschaft und Frieden«, die uns mit diesem Dossier die Möglichkeit gibt, die Veranstaltung so umfassend zu dokumentieren. Und natürlich auch allen anderen Menschen, die die Arbeit des FNF in den vergangenen 20 Jahren so treu begleitet und sich mit uns engagiert haben.

Vielen herzlichen Dank und viel Freude beim Lesen dieser Dokumentation!

Anmerkung

1) Der Beitrag von Katharina Tangri konnte aus organisatorischen Gründen nicht mehr in diese Dokumentation aufgenommen werden. Wir bemühen uns, ihn nachträglich auf unserer Website zugänglich zu machen.

Heide Schütz ist Vorsitzende des Frauennetzwerk für Frieden e.V.
Elise Kopper ist Mitarbeiterin im Frauennetzwerk für Frieden e.V.

| Fokus Gender in der
europäischen Friedenspolitik

von Barbara Lochbihler

Zwanzig Jahre Frauennetzwerk für Frieden – das sind zwanzig Jahre Einsatz für eine Welt, die nicht von Waffen und Krieg bestimmt wird. Zunächst einmal vielen Dank dafür ! Auch ich beschäftige mich seit Langem mit diesen Themen, um nicht zu sagen: Sie haben mein politisches Leben geprägt. In den 1990er Jahren arbeitete ich als Generalsekretärin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/WILPF) in Genf. Die IFFF/WILPF ist die älteste Frauenfriedensorganisation und hat Beraterstatus bei den Vereinten Nationen. Während dieser Zeit, im September 1995, fand in Peking die Vierte Weltfrauenkonferenz statt, die auch im friedenspolitischen Bereich eine große Rolle spielte.

Mitte der 1990er Jahre war die internationale Politik geprägt von extremen Umbrüchen. Die Transformationen in Osteuropa, der Zerfall der Sowjetunion, die Kriege im damaligen Jugoslawien und der Genozid in Ruanda bestimmten die Debatten. Alte ideologische Muster gerieten ins Wanken, so zum Beispiel die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung durch Befreiungsbewegungen im Globalen Süden. Fragen nach Gerechtigkeit, dritten Wegen und neuen Formen des Widerstands gegen Ausbeutung und Unfreiheit belebten die Debatten in den Vereinten Nationen ebenso wie in Bewegungen der Zivilgesellschaft.

Das hatte Auswirkungen auf die internationale Frauenbewegung. Es fehlten Frauenverbände aus staatssozialistischen Ländern und aus Befreiungsbewegungen, die bis dato den friedenspolitischen Bereich internationaler Konferenzen mit geprägt hatten. Durch ausgesprochen professionelle Lobbyarbeit und geschärftes öffentliches Bewusstsein konnten wir dennoch erreichen, dass der Kampf gegen Gewalt an Frauen im privaten Bereich sowie in Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften einen prominenten Platz auf der offiziellen Agenda fand. Das setzte sich fort, wie die UN-Resolution 1325, »Frauen, Frieden und Sicherheit«, und alle Folgebeschlüsse eindrücklich belegen.

Während meiner Tätigkeit als Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland von 1999 bis 2009 und in meiner jetzigen Arbeit als Europaabgeordnete der Grünen war und bin ich mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert, die in bewaffneten Konflikten verübt werden. So auch mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in den arabischen Staaten, insbesondere die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien, Libyen und dem Jemen.

Obwohl sich die weltpolitischen Konstellationen verschoben haben, sind die Forderungen der Frauenfriedensbewegung im Kern dieselben geblieben: Krieg muss durch Verhandlungen, Menschenrechtsschutz, Stärkung internationalen Rechts sowie öffentliche Diskussionen über die oft vordergründigen Kriegsursachen verhindert werden. Betrachten wir die aktuellen Konflikte, kann davon keine Rede sein. Auch von einer weiteren zentralen Forderung sind wir weit entfernt: Frauen sind immer noch nicht gleichberechtigt in Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse eingebunden, sondern werden überwiegend nur als Opfer von Kriegen gesehen.

Für Frauenfriedensgruppen gibt es also wenig Grund, ihre Arbeit einzustellen oder ihre Forderungen zurückzunehmen. Es ist heute so relevant wie zur Gründungszeit der Frauenliga für Frieden und Freiheit im Jahr 1915, den Zusammenhang von Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden herauszuarbeiten. Denn Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Oder, wie es die US-Reformerin, Friedensnobelpreisträgerin und erste IFFF/WILPF-Präsidentin Jane Addams ausdrückte: „Es gibt keinen Frieden ohne Brot und Gerechtigkeit.“ Das gilt auch für alle friedenspolitischen Ansätze der Europäischen Union, auf die ich im Folgenden eingehen werde.

Mit der Resolution 1325 vom Jahr 2000 versuchte der UN-Sicherheitsrat, die internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik nachhaltig zu ändern. Die Resolution soll Frauen, denen gerade in der Sicherheitspolitik häufig eine passive Opferrolle zugeschrieben wurde und wird, ausdrücklich zu Akteurinnen des Friedens machen. Die weibliche Bevölkerung soll stärker in Konfliktverhütung und -überwindung einbezogen werden. Zudem sollen Frauen besser vor (sexualisierter) Gewalt in bewaffneten Konflikten geschützt werden.

Das Europäische Parlament stärkt die Resolution 1325

Seit der Verabschiedung dieser Resolution hat das Europäische Parlament (EP) deren Umsetzung durch eigene Entschließungen kontinuierlich unterstützt. Unmittelbar nach der Verabschiedung beschlossen die Abgeordneten eine Resolution zur Beteiligung von Frauen an friedlichen Konfliktlösungen. Da die soziale Rolle von Frauen häufig von Dialog, Versöhnung und friedlicher Konfliktlösung geprägt sei, fordert diese Resolution eine weibliche Beteiligung an Friedens- und Versöhnungsprozessen. So würde eine alternative Kultur des Friedens gefördert.

Im Jahr 2006 folgten eine Entschließung zu Frauen in bewaffneten Konflikten sowie eine zu Frauen in der internationalen Politik. Drei Jahre später verabschiedete das EP die Resolution »Gender-Mainstreaming in den Außenbeziehungen der sowie bei der Friedensschaffung/Nationenbildung«. Darin werden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, nationale Aktionspläne zu entwickeln, um die Umsetzung der Resolution 1325 in Europa voranzubringen. Die EU-Kommission wird angehalten, Drittländer bei der Erstellung solcher Pläne oder anderer Strategien zur Implementierung der Resolution 1325 zu unterstützen.

Die Resolution kritisiert, dass sowohl in der Kommission als auch im Europäischen Rat zu wenig Personen für Genderfragen zuständig seien, und fordert eine Aufstockung des Personals. Zudem wird in der Resolution moniert, dass nach wie vor zu wenige Frauen hochrangige Posten in der EU bekleiden. Vor allem sollten sie verstärkt Kommissionsdelegationen vorsitzen. Bei der Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) solle die Balance der Geschlechter von vornherein besser gestaltet werden.

Mit Blick auf Missionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) betont die Resolution die herausragende Wichtigkeit eines adäquaten Gender-Trainings für Einsatzkräfte und Delegationen. Des Weiteren hebt sie hervor, dass Quoten ein unentbehrliches Mittel seien, um eine Geschlechterbalance in Friedens- und Sicherheitsmissionen herzustellen und eine Präsenz von Frauen an Verhandlungstischen zu gewährleisten.

Europäische Leitlinien gegen Diskriminierung und Gewalt

Im Jahr 2008 legte die EU Leitlinien zur Gewalt gegen Frauen und die Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung von Frauen fest. Ziel ist es, die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern, die Diskriminierung von Frauen zu bekämpfen, Daten über Gewalt gegen Frauen zu erheben, Indikatoren zur Bewertung von Programmen zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass effiziente und abgestimmte Strategien entwickelt werden. Zudem hat sich die EU mit den Leitlinien zum Ziel gesetzt, die Straflosigkeit von Gewalttätern zu bekämpfen und Opfer darin zu unterstützen, rechtliche Schritte einzuleiten und vor Gericht auszusagen.

Die EU verpflichtet ihre Mitglieder dazu, nationale Aktionspläne zur Umsetzung der Resolution 1325 einzuführen und in ihren Beziehungen zu Drittstaaten und regionalen Organisationen die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen zur Sprache zu bringen. Darüber hinaus soll die EU Drittstaaten ermutigen, für den Schutz von Frauen relevante Völkerrechtsabkommen zu ratifizieren – insbesondere das UN-Abkommen von 1979 zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (CEDAW).

ISP – ein Instrument gegen den Krieg

Das »Instrument für Frieden und Stabilität« (ISP) ist Teil der neuen Generation von Instrumenten der EU für die Finanzierung auswärtiger Maßnahmen. Es füllt die Lücke zwischen der langfristig orientierten Entwicklungspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und zielt darauf ab, den Beitrag der EU mit Blick auf Krisenreaktion, Krisenvorsorge und Konfliktverhütung zu stärken. Konfliktprävention, friedensbildende Maßnahmen und Krisenvorsorge sollen dazu beitragen, langfristige Hilfe und Reaktionen stärker auf globale und transregionale Bedrohungen und auf sich abzeichnende Bedrohungen abzustimmen.

Die EU-Verordnung des Parlaments und Rates zur Schaffung des ISP von 2014 befasst sich u.a. mit Hilfsmaßnahmen als Reaktion auf Krisensituationen oder sich abzeichnende Krisen. Dort heißt es unter Artikel 3, dass Hilfe geleistet wird

  • in einer Situation, die eine Bedrohung der Demokratie, von Recht und Ordnung, des Schutzes der Menschenrechte und Grundfreiheiten darstellt;
  • zum Schutz von Einzelpersonen, insbesondere jener, die in instabilen Situationen geschlechtsbezogener Gewalt ausgesetzt sind;
  • zur Unterstützung der Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Frauen, Frieden und Sicherheit, insbesondere in fragilen Ländern, Konfliktländern und Postkonfliktländern;
  • zur Unterstützung von Maßnahmen, mit denen sichergestellt wird, dass den besonderen Bedürfnissen von Frauen und Kindern in Krisen- und Konfliktsituationen, einschließlich ihrer Gefährdung durch geschlechtsbezogene Gewalt, angemessen Rechnung getragen wird;
  • zur Unterstützung der Rehabilitation und Wiedereingliederung von Opfern bewaffneter Konflikte, einschließlich Maßnahmen zur Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Frauen und Kindern;
  • zur Unterstützung von Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung und Organisation der Zivilgesellschaft und ihrer Mitwirkung am politischen Prozess, einschließlich Maßnahmen zur Förderung der Rolle der Frauen bei solchen Prozessen und unabhängiger, pluralistischer und professioneller Medien.

Konkrete Aufgabenbereiche dieses Instruments sind beispielsweise Initiativen für die Unterbindung des Drogenschmuggels durch Westafrika, den Abbau interreligiöser Spannungen im Libanon, die Stärkung weiblicher Kandidatinnen für die Wahl des afghanischen Parlaments, die Beseitigung von Biowaffen in Tadschikistan und die Bekämpfung von Piraterie in der Bucht von Guinea. Zu den Partnern für die Umsetzung von ISP-Maßnahmen zählen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen. Das Besondere am ISP ist seine flexible und schnelle Funktionsweise. Das jährliche Budget beträgt rund 350 Millionen Euro und ist damit gleich hoch wie das ziviler Operationen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Damit ist es eines der wichtigsten Instrumente im auswärtigen Handeln der EU.

Für uns Grüne hat das ISP besondere Bedeutung, weil es das einzige europäische Instrument zur Konfliktprävention darstellt. Es bildet somit den Kern unserer Friedenspolitik. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass das Wort »Frieden« im Titel steht. Damit wollen wir erreichen, dass die Aktivitäten stärker auf Friedensschaffung, Vermittlung, Dialog, Versöhnung, die Rolle von Frauen in Friedensprozessen und Klimasicherheit ausgerichtet wird. Wir haben besonderen Wert darauf gelegt, dass die Zivilbevölkerung systematisch in die Planung und Umsetzung von ISP-Maßnahmen einbezogen wird. Schließlich fordern wir die strikte Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards, auch in Sachen Terrorismusbekämpfung und Internet-Sicherheit.

Menschenrechtsverletzungen – die Kriege von morgen

Im Juni 2012 verabschiedete der Rat für auswärtige Angelegenheiten der EU ein umfassendes Menschenrechtspaket. Zum einen wurde ein »Strategischer Rahmen für Menschenrechte und Demokratie« gutgeheißen, der die Grundsätze und Ziele der EU-Menschenrechtspolitik für die nächsten zehn Jahre vorgibt. Zum andern wurde ein Aktionsplan für die Umsetzung des strategischen Rahmens bis Ende 2014 festgelegt. Im gleichen Zug ernannte der Rat den ersten Sonderbeauftragten für Menschenrechte.

Die EU hat schon immer Erklärungen zu Menschenrechten und Demokratie abgegeben, die in der Regel jedoch auf einzelne Fragen oder Staaten ausgerichtet waren. Mit der Zeit hat sie außerdem eine Reihe von Leitlinien, wie etwa die oben erwähnte zur Gewalt gegen Frauen, und weitere politische Orientierungen erarbeitet. 2012 wurde jedoch zum ersten Mal ein einheitliches Strategiedokument angenommen.

Zentraler Punkt ist die Verpflichtung der EU-Außenminister*innen, Menschenrechte, Demokratie und das Rechtsstaatsprinzip ohne Ausnahme in allen Bereichen der EU-Außenpolitik zu fördern. Zudem sollen sie die Menschenrechte in den Mittelpunkt ihrer Beziehungen mit allen Drittstaaten stellen und diese in Bereiche wie Handel, Investitionen, gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen und Entwicklungspolitik integrieren.

Die EU will nach eigenem Bekunden Menschenrechtsfragen in allen geeigneten Foren des bilateralen politischen Dialogs, auch auf höchster Ebene, energisch zur Sprache bringen und alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente einschließlich Sanktionen und Ächtung nutzen, um deren systematische Verletzungen zu ahnden.

Dieses ausdrückliche Bekenntnis zu den Menschenrechten wurde in der Zivilgesellschaft positiv aufgenommen. Das Versprechen, dass Menschenrechten zukünftig eine Priorität der EU-Politik sowohl innerhalb Europas als auch gegenüber anderen Staaten zukommen soll, sahen NGOs zunächst als ein bedeutendes Signal. Das Strategieprogramm und der Aktionsplan wurden als Antwort auf die unrühmliche Vergangenheit der EU in der Menschenrechts-Außenpolitik gesehen – als Chance, dass Menschenrechte in Zukunft tatsächlich eine gewichtigere Rolle in Verhandlungen mit Drittstaaten spielen. Inzwischen gibt es allerdings zu Recht verstärkt kritische und enttäuschte Stimmen, denn die guten Vorsätze werden bislang nur äußerst begrenzt umgesetzt.

Wie bereits erwähnt, wird der strategische Rahmen von einem Aktionsplan begleitet, der die Umsetzung konkretisiert. Der aktuelle Plan gilt bis zum Jahre 2019. Bis dahin sieht er u.a. folgende Maßnahmen vor, die hinsichtlich der UN-Resolution 1325 relevant sind:

  • die Stärkung der NGOs, die sich für die Rechte von Frauen und Mädchen engagieren;
  • den Einsatz für Geschlechtergleichheit und die Förderung der Partizipation von Frauen auf der Basis von CEDAW-Verpflichtungen und der Peking-Aktionsplattform;
  • die Entwicklung eines neuen EU-Aktionsplans zur Geschlechtergleichheit und zur Förderung von Frauen in der internationalen Zusammenarbeit. Dabei soll besonders Gewalt gegen Frauen Berücksichtigung finden, einschließlich Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten;
  • das Mainstreaming von Menschenrechten in allen Phasen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, einschließlich der Ausarbeitung spezifischer Leitlinien für das Personal in GSVP-Missionen, insbesondere hinsichtlich Menschenrechten, Völkerrecht sowie dem Schutz von Kindern und Frauen und der UN-Resolution 1325;
  • die Stärkung einer umfassenden Umsetzung von 1325 und deren Folgeresolution 1820 durch die EU, insbesondere hinsichtlich einer Verbesserung der Teilnahme von Frauen an GVSP-Missionen.

Genderperspektive in der EU-Außenpolitik

Im Juni 2016 stellte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini die lang erwartete »Global Strategy« vor, in der die zentralen Elemente der Außenpolitik des europäischen Bündnisses zusammengefasst sind. Das 50-seitige Strategiepapier beschäftigt sich in einem mit drei Seiten recht kurz ausgefallenen Abschnitt auch mit der Überwindung von Krisen und Konflikten. Es erwähnt zwar die UN-Sicherheitsresolution 1325, versäumt es allerdings, expliziter auf die besondere Rolle von Frauen hinsichtlich einer Konfliktprävention und -überwindung einzugehen.

Mit Blick auf die erwartete »Global Strategy« hatte das Europäische Parlament bereits im April des Jahres eine Resolution verabschiedet. Leider konnten sich die Grünen mit ihren inhaltlichen Vorschlägen kaum durchsetzen. Der letztlich angenommene Text bleibt weitgehend vage und inkohärent.

Deshalb haben wir auf Mogherinis »Global Strategy« im Juli mit einem eigenen Positionspapier mit dem Titel »Der EU-Beitrag zu Frieden und Sicherheit« reagiert. Dort werden die zentralen Aufgaben der EU klar benannt. An erster Stelle steht die Forderung nach einer umfassenden und langfristigen Strategie zur Konfliktprävention. Demnach sollten für die EU politische Maßnahmen zur Konfliktprävention, die auf die Bekämpfung der Ursachen abzielen, einen Schwerpunkt bilden. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass die Träger ziviler und militärischer EU-Operationen die Koordination mit den Sachverständigen für Entwicklungsfragen verbessern und sicherstellen müssen, dass EU-Operationen den Entwicklungszielen und -projekten entsprechen und diese gestärkt werden.

Zudem muss in der Strategie der Menschenrechtsschutz im Vordergrund stehen, denn dieser trägt weltweit zu Frieden und Sicherheit bei. Aufbauend auf ihren Verpflichtungen sollte die EU darauf hinarbeiten, der Straflosigkeit ein Ende zu setzen, indem sie lokale, regionale und internationale justizielle Mechanismen unterstützt. Die EU-Mitgliedstaaten sollten die allgemeine Rechtsprechung stärken. Darüber hinaus muss die EU erhebliche Ressourcen in Programme zur Übergangsjustiz investieren. Parallel dazu sollten der langfristigen zivilgesellschaftlichen Versöhnungsarbeit angemessene finanzielle, logistische und personelle Ressourcen gewährt werden, darunter nationale Alternativen zu Gerichten, wie etwa Wahrheits- und Versöhnungskommissionen.

In das gehobene Management des Europäischen Auswärtigen Dienstes sollten mehr Frauen aufgenommen werden, und für EU-Missionen sollten verbindliche Verhaltenskodizes zur Anwendung kommen, um sexuelle Belästigung und Gewalt zu verhindern. Last but not least muss die EU die Resolution 1325 vollständig umsetzen und eine Sonderbeauftragte für Frauen und Konflikte ernennen.

Und nun?

Mit seiner Resolution 1325 versuchte der UN-Sicherheitsrat, die internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik nachhaltig zu ändern. Die Resolution macht Frauen, denen gerade im Verteidigungssektor häufig ein passiver Opferstatus anhaftete, ausdrücklich zu Akteurinnen für den Frieden. Des Weiteren führte diese Entschließung erstmals vielen Menschen vor Augen, dass die Stärkung von Frauen und der Schutz von Frauenrechten sich gegenseitig bedingen: Auf der einen Seite kann die weibliche Bevölkerung nur an Entscheidungsprozessen in Konflikts- oder Postkonfliktphasen teilhaben, wenn ihre Menschenrechte ausreichend respektiert werden; auf der anderen Seite ist die Partizipation von Frauen an gesellschaftlichen und politischen Dialogen unentbehrlich, um Frauen- und Menschenrechte erfolgreich schützen und durchsetzen zu können.

Die Bedeutung der UN-Resolution 1325 und der erwähnten EU-Strategiepapiere sowie nationalen Aktionspläne kann nur daran gemessen werden, ob sie die Situation der weiblichen Bevölkerung in Konfliktzonen tatsächlich verbessern. Das Ergebnis ist bislang nicht zufriedenstellend: Frauen sind weiterhin an Verhandlungstischen kaum präsent – ob bei Friedensgesprächen oder in der internationalen Politik im Allgemeinen. Ein aktuelles Beispiel sind die nahezu gescheiterten Friedensgespräche zum Syrienkonflikt, an denen bisher kaum Frauen beteiligt waren. Schwedens Außenministerin Margot Wallström wies auf diese Situation in einem im britischen Guardian erschienenen Artikel zum Internationalen Frauentag 2016 hin. Sie berichtete, dass Schweden daher insbesondere syrische Frauen unterstützt, damit sie am Friedensprozess beteiligt werden. Dieser Schritt weist in die richtige Richtung. Doch grundsätzlich stehen wir vor größeren Herausforderungen. Die EU und ihre Mitglieder müssen sich wesentlich stärker dafür einsetzen, dass die UN-Resolution 1325 sowie ihre umfangreichen Strategien und nationalen Aktionspläne tatsächlich umgesetzt werden.

Barbara Lochbihler ist Mitglied des Europäischen Parlaments, ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland und ehemalige Generalsekretärin der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF).

| Fokus Gender in der Friedensbewegung

von Ralf Buchterkirchen

Auf die Frage nach der Relevanz der Geschlechterperspektive in der Friedensbewegung gilt der erste Blick den gängigen bundesweiten Friedensstrukturen. Das Ergebnis ist eher ernüchternd.

»Geschlecht und Krieg« wird in der Friedensbewegung – von wenigen Ausnahmen abgesehen – fast ausschließlich unter dem Opferaspekt abgehandelt. »FrauenundKinder« als Opfer von Krieg – darin erschöpft sich die Thematik weitgehend, wenn der Begriff »Gender« überhaupt in den Mund genommen wird. Man muss schon froh sein, wenn Aufrufe und Analysen der bundesweit aktiven Friedensbewegung in einer einigermaßen gegenderten Schreibweise verfasst sind. Zudem werden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung, insbesondere der feministischen Friedens- und Konfliktforschung, in der praktischen Friedensarbeit kaum zur Kenntnis genommen und haben nur geringe Rückwirkung auf die etablierten Strukturen der Friedensbewegung.

Dabei sind weitergehende Perspektiven und Ansatzpunkte längst in der Diskussion, insbesondere wenn man den Blick über den rein friedenspolitischen Tellerrand hinaus wagt. Einige Stichworte:

  • Es wird immer deutlicher, dass sexualisierte Gewalt als Machtmittel zu verstehen ist. Sie wird sowohl gegen Frauen und Kinder als auch gegen gefangen genommene Männer eingesetzt. Auch wird die Drohung mit der Vergewaltigung naher Angehöriger in Verhören als Druckmittel genutzt.
  • Darüber hinaus werden Geschlechterverhältnisse, Rassismus und westlicher Paternalismus als hegemoniale Praktiken des Globalen Nordens (also»des Westens«) gegenüber dem Süden immer offenkundiger. In diesem Kontext wurde von der feministischen Friedens- und Konfliktforschung der Begriff »embedded feminism« geprägt. Er thematisiert die Vereinnahmung von Feminismus für hegemoniale westliche Politiken. In queeren Zusammenhängen wird der Begriff »Homonationalismus« genutzt, um die Indienstnahme ehemals emanzipatorischer Forderungen der Frauen-/Lesben- und der Schwulenbewegung für hegemoniale, imperialistische Politiken des Westens zu thematisieren. Es sollte aufmerken lassen, wenn etwa Horst Seehofer Frauen- und Homosexuellenrechte für Afghanistan fordert, aber nicht für Bayern.
  • Insbesondere in der Debatte um Deserteure des Zweiten Weltkrieges findet zunehmend die Geschlechterperspektive Berücksichtigung (siehe vor allem Fritsche 2015). Um Machtstrukturen, Gehorsam und unbedingte Opferbereitschaft – im nationalsozialistischen Deutschland als »Manneszucht« bezeichnet – zu verstehen, hilft die Analyse von Männlichkeiten erheblich weiter. Dieser Ansatz kann auch in anderen Strukturen diskutiert und nutzbar gemacht werden.

Schon aus diesen Stichworten wird klar, dass über die Wirkmächtigkeit von Geschlecht und Geschlechterrollen als Element von Politik nur sinnvoll reflektiert werden kann, wenn Geschlecht im Zusammenhang mit Rassismus und Kolonialismus untersucht wird. Ein »critical whiteness«-Ansatz muss beachtet werden; insgesamt muss intersektional gedacht werden. Im Folgenden möchte ich auf die beiden benannten Ansatzpunkte – sexualisierte Gewalt als Machtmittel gegen Frauen, Kinder und Männer sowie die Konzepte »embedded feminism« und »Homonationalismus« – etwas genauer eingehen, um mich abschließend der Frage zuzuwenden, wie die deutsche Friedensbewegung solche Fragestellungen aufgegriffen hat – und einige konkrete Forderungen anzuschließen.

Sexualisierte Gewalt als Machtmittel gegen Frauen, Kinder und Männer

Das Regionale Informationszentrum der Vereinten Nationen in Westeuropa (UNRIC) machte sexualisierte Gewalt gegen Frauen in kriegerischen Konflikten als Massenphänomen deutlich und veröffentlichte u.a. die folgenden Daten: „In der Demokratischen Republik Kongo [sind seit] Beginn des bewaffneten Konflikts schätzungsweise 200.000 Frauen Opfer sexualisierter Gewalt geworden. […] Während des Völkermords in Ruanda (1994) wurden 250.000 bis 500.000 Frauen vergewaltigt.“ (UNRIC 2015) Auch in weiteren Konflikten, etwa auf dem Balkan, waren Frauen massiv von sexualisierter Gewalt betroffen. Sexualisierte Gewalt wird in Konflikten als Machtmittel und zur Erniedrigung in großem Maße auch gegen Männer eingesetzt. Unter anderem gaben in El Salvador 76 % der in Gefangenschaft geratenen Männer an, sexualisierte Gewalt erfahren zu haben; in Sri Lanka waren 21 % der in Gefangenschaft geratenen männlichen Tamilen betroffen. Das gilt auch für weitere Konflikte. Eine ausführliche Zusammenstellung findet sich bei Stemple (2009).

Neben Männern geraten mittlerweile auch Frauen als Täter*innen in den Blick. Eingeschrieben hat sich in unser Gedächtnis etwa das Bild einer US-Soldatin, die im irakischen Gefängnis Abu Ghraib einen Gefangenen sexuell malträtierte. Dabei ist festzuhalten, dass sexualisierte Gewalt gegen Gefangene als Ausdruck von Macht zu verstehen ist: Der*die situativ Überlegene malträtiert die Unterworfenen sexuell.

Des Weiteren gilt zu bedenken, wie das Motiv »FrauenundKinder« als Rechtfertigung für militärische Handlungen eingesetzt wird. »FrauenundKinder« werden traditionell als besonders verletzlich und gefährdet, als Opfer präsentiert. Damit wird militärisches Eingreifen legitimiert, der Gegner wird dämonisiert – insbesondere die kämpfenden Männer des Gegners –, im Gegensatz zu den eigenen, ehrenvoll kämpfenden Männern. Es wird damit in der eigenen Bevölkerung eine Aggression gegen die »Anderen« angestachelt. Eine weitere Verstärkung ergibt sich durch eine Überbetonung der »Heimatliebe« von »FrauenundKindern«. Mit diesem Diskursbild werden gerade flüchtende Frauen als besonders »heimatverbunden« ausgewiesen, und es wird ihnen im Asylland eine dauerhafte Bleibeperspektive verwehrt.

Deutlich wird dabei auch die Entmündigung: Frauen und Kinder werden in der medialen Darstellung vorgeführt, aber auch in den politischen Diskussionen kommen sie stets nur als Opfer vor. Während über Frauenrechte (und Kinderrechte) gesprochen wird, tauchen als tatsächlich handelnde politische Akteure ausschließlich Männer auf. Da der Fokus auf »FrauenundKinder« liegt, wird Frauen die Möglichkeit genommen, selbst als Akteurinnen politische Entscheidungen herbeizuführen. Damit wird unterstellt, als tatsächliche oder vermeintliche Opfer von Gewalt fehle ihnen die notwendige Durchsetzungskraft und -kompetenz für politisches Handeln und sie bedürften der männlichen Beschützer und politischen Entscheider.

Die Konzepte »embedded feminism« und »Homonationalismus«

»Embedded feminism« bezeichnet die Indienstnahme ursprünglich feministischer Forderungen für die Legitimierung von Krieg, beispielsweise im Irak und in Afghanistan. »Feminismus« ist in diesem Zusammenhang zu einem Mittel der Herrschenden geworden. Frauen- und Homosexuellenrechte werden selbst von konservativen Politiker*innen angeführt, um militärisches Eingreifen zu rechtfertigen – das Beispiel Horst Seehofer habe ich bereits erwähnt. Es wird nicht als Widerspruch wahrgenommen, dass emanzipatorische Veränderungen im eigenen Land gleichzeitig von den gleichen Politiker*innen aktiv bekämpft werden. Der damit zu Tage tretende Paternalismus des Westens, der mit tiefem Rassismus einhergeht, spielt in der gesellschaftlichen Debatte keine Rolle. Einzelne Steigbügelhalter*innen legitimieren diese Praxis zusätzlich. Ein Beispiel: Im Rahmen der Rechtfertigung des Krieges gegen Afghanistan wurde es als notwendig beschrieben, die afgha­nischen Frauen vor den afghanischen Männern zu retten. Afghanistan und insbesondere die Taliban wurden als patriarchalische Gesellschaft gezeichnet – in Abgrenzung zur emanzipatorischen deutschen. Verschärfend wurden diese so definierten Zustände pauschal »dem Islam« zugeschrieben. (Diese Zuschreibung entpricht in den heute geführten Debatten dem kaum mehr hinterfragten Mainstream.) Die daraus entstehende Konstruktion ist offenkundig: auf der einen Seite das erhöhte, aufgeklärte deutsche christlich-säkulare Subjekt, auf der anderen Seite das zu zivilisierende islamische Objekt. Dass in diesem Umfeld Konflikte nicht gelöst werden können, versteht sich von selbst (Engels und Gayer 2011).

Das Phänomen des »embedded feminism« ist historisch nicht neu. Schon der deutsche Kolonialismus wurde um 1900 mit Frauenrechten gerechtfertigt. Die weißen Deutschen wollten die Schwarze Frau vor dem Schwarzen Mann retten, so das legitimierende Argument der Kolonialist*innen. Auf diese Argumentation ließen sich auch die Sozialdemokratie und die bürgerliche, punktuell sogar die sozialistische Frauenbewegung einschwören. Kritisch arbeitete unter anderem Angela Davis heraus, wie die Weißen den Schwarzen Männern Aggressivität, Promiskuität und Hypermaskulinität zuschrieben; aber auch den Schwarzen Frauen wurde Promiskuität zugeschrieben, sodass die weiß dominierten Gerichte in den USA ihnen u.a. um 1900 keinen Glauben schenkten, wenn sie von einem weißen Mann vergewaltigt worden waren – und das angezeigt hatten. Für die Situation in Deutschland und den deutschen Kolonialismus sind besonders lesenswert die Bücher »Farbe bekennen«, hrsg. u.a. von Katharina Oguntoye, sowie der Band »Schwarze Frau, weiße Herrin« von Martha Mamozai.

Der Begriff »Homonationalismus« wurde im Jahr 2007 von Jasbir K. Puar (Puar 2007) geprägt, die die Indienstnahme von Forderungen der emanzipatorischen Frauen-/Lesbenbewegung und der Schwulenbewegung für kriegerische und westlich-hegemoniale Belange thematisiert und kritisiert.

Homosexualität bzw. gleichgeschlechtlicher Sex wurde historisch ebenfalls immer wieder als Motiv angeführt, um die Rückständigkeit und »Unzivilisiertheit« von Ländern zu markieren. Der Orientalist Edward Said zeigte auf, wie gerade den arabischen Männern ein massiver gleichgeschlechtlicher sexueller Drang zugeschrieben wurde. Mann-männliche Zärtlichkeiten in Arabien und in kolonialisierten Regionen wurden von den europäischen Kolonisator*innen als Zeichen dafür gedeutet, wie rückständig und unzivilisiert die Regionen seien; auch bei den armen Männern und Frauen der Arbeiterklasse in Europa machten die weißen, bürgerlichen Europäer*innen diese »Unzivilisiertheit« aus. Als Maß der »Zivilisation« wurde demgemäß das Bild klarer Männlichkeit und Weiblichkeit und der eindeutigen heterosexuellen Bezogenheit von Frauen auf Männer und umgekehrt entwickelt.

Heute hat sich die Sichtweise verkehrt: Nachdem der arabische Raum zumindest punktuell die europäische Homophobie gelernt hat, während in Europa nach und nach die Verfolgung Homosexueller abgebaut wurde,1 wird die kürzlich entwickelte Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen sogleich zum Interventions- und Kriegsgrund gegenüber anderen Ländern gewendet. Es sollte aufhorchen lassen, wenn selbst konservative und rechtspopulistische Politiker*innen, die im eigenen Land niemals für die Rechte von Homosexuellen eingetreten waren, auf einmal die Rechte von Homosexuellen entdecken, wenn es einen Krieg zu rechtfertigen gilt.

Geschlecht und die Friedensbewegung

Eigentlich hat die deutsche Friedensbewegung eine lange – auch feministische – Geschichte. Erinnert sei an Lida Gustava Heymann, Hedwig Dohm, Anita Augspurg und Bertha von Suttner, um nur vier Namen zu nennen, die eng mit dem Widerstand gegen den Ersten Weltkrieg verbunden sind. Die Wirkmächtigkeit der Friedensbewegung der 1980er Jahre ist ohne die vielen Frauenfriedensgruppen und die überdurchschnittliche Teilnahme von Frauen an Demonstrationen nicht zu erklären. Die zentralen Debatten zum Ende des letzten Jahrtausends drehten sich um die Öffnung der Bundeswehr und weitergehend der Wehrpflicht für Frauen, wie es beispielsweise Alice Schwarzer forderte. An dieser Stelle gab es interessanterweise einen Riss zwischen Friedensaktivist*innen und Feminst*innen, die sich nicht der Friedensbewegung hinzurechneten.

Trotz der relativ hohen Bedeutung, die Frauen in der Friedensbewegung der Bundesrepublik hatten und haben, bleibt festzustellen, dass die Friedensbewegung in Deutschland in ihrer Außenwirkung stark männlich dominiert ist, nicht nur personell, sondern auch inhaltlich.

Konkret ist für meinen Verband, die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdiengstgegnerInnen (DFG-VK), zu konstatieren, dass immer noch über 70 % aller Mitglieder männlich sind. Auf Landesebene gibt es nicht eine Landesvorsitzende oder Landesgeschäftsführerin; selbst im BundessprecherInnenkreis, dem ich ja auch angehöre, sitzt nur eine Frau. Das schlägt sich auch in den bearbeiteten Themen nieder bzw. darin, welche Themen eben gerade nicht behandelt werden.

Allerdings gibt es auch viele positive Entwicklungen. Eine ist sicherlich das Frauennetzwerk für Frieden e.V., das seit Jahren eine kontinuierliche Arbeit leistet. Auch der Bund für Soziale Verteidigung hat es geschafft, eine funktionierende Arbeitsgruppe zu Gender und Frieden zu implementieren, die sich regelmäßig trifft und arbeitet.

Und selbst meine alte DFG-VK – sie wird demnächst 125 – hat jüngst das Thema entdeckt: »Frauen gegen Militär« war 2016 das Titelthema einer Ausgabe der Zeitschrift »Zivilcourage«. Das ist höchste Zeit, haben wir doch mit der Friedensnobelpreisträgerin und Feministin Bertha von Suttner, die die Frauenfrage und die pazifistische Frage nur gemeinsam für lösbar hielt und sich früh gegen das Bild der friedfertigen Frau wandte, ein häufig zitiertes Gründungsmitglied. Last but not least gibt es in der DFG-VK inzwischen eine Arbeitsgruppe, die versucht, Rassismus und Geschlechterverhältnisse unter antimilitaristischen und pazifistischen Fragestellungen gemeinsam zu analysieren.

Hier sehe ich die pragmatischsten Anknüpfungspunkte für die diesbezügliche Weiterarbeit:

  • die Vernetzung der jeweils Aktiven in den Gruppen sowie zwischen den Verbänden und Initiativen innerhalb der klassischen Friedensbewegung und darüber hinaus zu fördern,
  • über die Gruppengrenzen hinauszielendes Einladen, die klassischen antimilitaristischen, pazifistischen Argumente eben auch auf die oben skizzierten Geschlechterperspektiven hin zu untersuchen sowie
  • die Argumente der Kriegsbefürwortenden in Bezug auf Geschlechterfragen zu dekonstruieren.

Auf diese Weise können argumentativ und aktionsbezogen Lösungen für Frieden angeboten und die – oft zu einfachen – Antworten weißer Männer hinterfragt werden.

Ein Schlusswort von Bertha von Suttner

Schließen möchte ich anlassgemäß mit einem Zitat Bertha von Suttners, die bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Geschlechterrollen in mehreren Arbeiten diskutierte. So widmete sie der Gleichberechtigung der Frauen ein eigenes Kapitel in ihrem viel zu wenig wahrgenommenen Buch »Das Maschinenzeitalter – Zukunftsvorlesungen für unsere Zeit«. Und in einer aufschlussreichen Aufsatzpassage in der Monatszeitschrift »Die Waffen nieder!« schrieb sie 1895 zur zwiespältigen Positionierung von Frauen in Bezug auf Krieg und Frieden:

„Doch ist es immerhin ein sehr erfreuliches Zeichen der Zeit, dass sich nunmehr Frauengruppen bilden, die die Förderung der Friedensbewegung in die Hand nehmen. Dabei muss man aber nicht vergessen, dass es gleichfalls Frauengruppen sind, die Sammlungen für Torpedoboote einleiten und in kürzester Zeit 800,000 Kronen zu diesem Zweck zusammenbringen; dass Fürstinnen es sich zur höchsten Ehre rechnen, Regimentschef zu sein, dass von Keiner der gegenwärtig regierenden Königinnen noch ein Wort, geschweige denn eine That gegen den Krieg gekommen ist, dass die Mütter die besten Kunden der Bleisoldatenfabriken sind, dass Bismarck mit aller Zuversicht zu der ihm huldigenden Frauendeputation sagen konnte, die Frauen werden das heranwachsende Geschlecht zu patriotisch-kriegerischer Gesinnung heranziehen.“ (Hervorhebungen im Original)

Anmerkung

Literatur

Butler, Judith (2010): Raster des Krieges. Frankfurt am Main: campus.

Engels, Bettina; Gayer, Corinna (Hrsg.) (2011): Geschlechterverhältnisse, Frieden und Konflikt – Feministische Denkanstöße für die Friedens- und Konfliktforschung. Baden-Baden: Nomos.

Fritsche, Maria (2015) Männlichkeit als Forschungskategorie? Vom Nutzen gendertheoretischer Ansätze für die Militär- und Militärjustizgeschichte. In: Bade, Claudia; Skowronski, Lars; Viebig, Michael: NS-Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg. Göttingen: V&R Unipress, S. 61-77.

Oguntoye, Katharina; Ayim, May; Schultz, Dagmar (Hrsg.) (1986): Farbe bekennen – Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. Berlin: Orlanda Frauenverlag.

Mamozai, Martha (1989 [EA 1982]): Schwarze Frau, weiße Herrin – Frauenleben in den deutschen Kolonien. Berlin: Rowohlt.

Puar, Jasbir K. (2007): Terrorist Assemblages – Homonationalism in Queer Times. Durham: Duke University Press.

Stemple, Lara (2009): Male Rape and Human Rights. Hastings Law Journal, 60, S. 605-647.

Von Suttner, Bertha (1895): Die Friedensbewegung und die Frauen. In: Die Waffen nieder! Monatsschrift zur Förderung der Friedensbewegung, 7, S. 254-257.

Von Suttner, Bertha (1889): Das Maschinenzeitalter – Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit. 3. Auflage, Dresden und Leipzig: E.Pierson’s Verlag.

Anmerkung

1) In Deutschland wurde der Strafparagraf 175, der sich gegen mann-männlichen Sex richtete, erst im Jahr 1994 abgeschafft.

Ralf Buchterkirchen ist Bundessprecher*in der Deutschen Friedensgesellschaft-­Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK).

| Fokus Gender in der Friedens- und Konfliktforschung

von Simone Wisotzki

Die feministische und geschlechtersensible Forschung ist international gut verankert und sichtbar. In Deutschland fristet sie dagegen eher ein Schattendasein. Dabei sind interessante Forschungsansätze und -ergebnisse vorhanden, neue theoretische Perspektiven eröffnen neue Spielräume und Themenfelder. Doch auch die Erkenntnisse der Gründergeneration der kritisch-radikalen Feministinnen sind für die Kriegsursachenforschung, aber auch für die Forschung zu Nachkriegssituationen und Friedenskonsolidierung weiterhin relevant.

Vom kritisch-radikalen Feminismus zur Geschlechterperspektive

Der kritisch-radikale Feminismus entwickelte sich als Teil der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland Ende der 1970er Jahre. Er muss zwar im Zusammenhang mit der Entwicklung der kritischen Friedens- und Konfliktforschung gesehen werden, stand jedoch gleichzeitig auch in Opposition zu ihr. Zum einen ging es natürlich um die Themenwahl, beispielsweise die Konzentration auf Rüstungskontrolle und Abrüstung oder auf Militarismus und Militärkritik. Doch ging es den Frauen auch darum, ihren Platz in einem zunächst männlich dominierten Wissenschaftszweig zu beanspruchen. Erste Impulse für feministische Arbeit in der deutschen Friedens- und Konfliktforschung kamen 1979 durch einen Vortrag über Geschlechterdimensionen von Elise Boulding auf einer Konferenz der International Peace Research Association (IPRA) in Königsstein.

Die feministische Friedens- und Konfliktforschung trat anfangs vor allem mit zwei Kernanliegen an. Indem sie ihren Fokus auf den Unrechtszustand des Patriarchats richtete, formulierte sie sowohl eine fundierte Gesellschaftskritik als auch eine Wissenschaftskritik. Der Unrechtszustand des Patriarchats äußerte sich vor allem in der Unterdrückung von Frauen als Gruppe, in der Ausbeutung weiblicher Arbeit sowie in der Geringschätzung all dessen, was als weibliche Eigenschaften und Verhaltensweisen Frauen zugewiesen und mit dem biologischen weiblichen Geschlecht bzw. der weiblichen Rolle verknüpft wird. Während sich die Wissenschaftskritik vor allem auf den Androzentrismus, also den Mann als Zentrum, bezog, etwa in Form der technokratischen Sprache der Militärplanung und der Forschung darüber, ging es auch immer wieder darum, welche Themenfelder Frauen und Männer in der Friedens- und Konfliktforschung besetzen. Hanne-Margret Birckenbach, emeritierte Professorin für Politikwissenschaft der Universität Gießen, formulierte deshalb treffend: Männer forschen »oben« und »außen« (harte Themen), Frauen »unten« und »innen«. Dieses entspreche der Arbeitsteilung in der Gesellschaft.

Gesellschaftlich wie wissenschaftspolitisch forderten die Vertreterinnen des kritisch-radikalen Feminismus ein Umdenken. Ihre Kritik richtete sich u.a. gegen ein objektivistisches Wissenschaftsverständnis, dem sie bewusst die Position der subjektiven Betroffenheit entgegensetzten, etwa wenn es um Fragen der Aufrüstung oder Wiederbewaffnung im Zuge des sich damals neuerlich verschärfenden Ost-West-Konfliktes ging. Diese frühen Feministinnen in der deutschen Friedens- und Konfliktforschung verwiesen darauf, dass erst die Einbeziehung einer solchen subjektiven Frauenperspektive eine konstruktive, friedensfördernde Sicht der Krieg-Frieden-Problematik möglich mache. Feministische Forschung innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung verfolgte bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes vor allem zwei Ziele: erstens, die gesellschaftliche Gleichheit von Frauen zu realisieren. Damit unterschied sie sich nicht wesentlich von feministischer Wissenschaft in anderen Disziplinen. Zweitens ging es ihr als eine Voraussetzung für Frieden um die Beseitigung aller Formen von Ungleichheit, Herrschaft und Unterdrückung durch die Schaffung einer gerechten sozialen und ökonomischen Ordnung – sowohl national wie international.

Wandel der Kriegsformen und Geschlechterperspektiven

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes gab es nicht nur eine systemische Zäsur, gleichzeitig veränderten sich auch die Formen der Gewaltkonflikte. Statt primär in zwischenstaatlichen Kriegen zeigte sich Gewalt vor allem in Form innerstaatlicher Konflikte, die sich im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda in besonders brutaler Weise gegen die Zivilbevölkerung, oftmals gezielt gegen die Frauen und Mädchen der »Anderen«, richteten. Somit war das empirische Feld klarer umrissen, gleichzeitig trat jedoch die Kritik an der Wissenschaftsdisziplin und den Formen des Androzentrismus mehr in den Hintergrund.

Die Geschlechterperspektive – oder »gender« als wissenschaftliche Analysekategorie – konzentriert sich seither auf die sozialen Konstruktionen der Kategorien Männlichkeit und Weiblichkeit sowie auf die damit verbundenen Zuschreibungen. Für die Friedens- und Konfliktforschung zeigt sich dabei: Je binärer gesellschaftliche Verhältnisse im Inneren organisiert sind, desto gewaltanfälliger sind Gesellschaften. Die geschlechtersensiblen Ansätze zur Kriegsursachenforschung schlussfolgern daraus umgekehrt, je geschlechteregalitärer Gesellschaften organisiert sind, desto weniger anfällig sind sie für die Eskalation von kriegerischer Gewalt.

Am deutlichsten kommen Unterschiede zwischen feministischer Frauenforschung und Geschlechterforschung innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung in den zentralen Begriffen zum Ausdruck. So war Frieden aus Sicht der radikal-feministischen Frauenforschung unmöglich, weil Frauen entlang des strukturellen Gewaltbegriffs von Johan Galtung stets von patriarchaler Gewalt bedroht bleiben. Diese strukturelle Gewalt äußert sich aus dieser Perspektive in ungleichen Lebenssituationen, Diskriminierung und sozialen Ungleichheiten. Solange solche Ungleichheiten bestehen, kann es keinen Frieden geben. Hingegen wird Frieden aus der Perspektive der Geschlechterforschung mit Ernst-­Otto Czempiel als Prozess abnehmender physischer Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit verstanden. Frieden ist damit ein prozesshafter Zustand, an dem beständig gearbeitet werden muss, um ihn zu realisieren.

Aus der Geschlechterperspektive setzt nachhaltiger Frieden also ein gesellschaftliches Repertoire an differenzierten Geschlechterkonstruktionen und Rollenzuweisungen voraus.

Wo stehen wir heute in der Geschlechterforschung?

Die quantitative Kriegsursachenforschung hat inzwischen vielfältig den Zusammenhang zwischen geschlechtergleichen gesellschaftlichen Verhältnissen und Frieden aufgezeigt. Je geschlechtergerechter Gesellschaften im Inneren verfasst sind, desto geringer ist ihre Kriegsneigung sowohl in Bezug auf zwischenstaatliche wie innerstaatliche Kriege. Ergänzt und vertieft wurden solche Forschungsergebnisse durch qualitative Ansätze und Forschungsergebnisse, die etwa zeigen, wie sexualisierte, geschlechtsspezifische Gewalt systematisch als Kriegsstrategie angewandt wird. Ein weiterer Fokus der geschlechtersensiblen Forschung innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung liegt auf Untersuchungen zur Ungleichheit und Diskriminierung, aber auch auf einer Akteurinnenperspektive, die beispielsweise den zentralen Beitrag von Frauen in Friedensprozessen und -verhandlungen demonstriert. Eindrucksvoll dokumentiert der Film »Pray the Devil Back to Hell« von 2008, wie interreligiöse Graswurzelaktivistinnen sich um den Frieden in Liberia bemühten und es ihnen schließlich gelang, die Männer zum Verhandeln eines Friedensvertrages zu bewegen.

Zudem hat sich die Geschlechterforschung in der Friedens- und Konfliktforschung in der letzten Dekade neue Theoriefelder erschlossen, unter anderem mit der Intersektionalitätsforschung, wenn es etwa um das Zusammenwirken multipler Ursachen für sexualisierte und geschlechtsspezifische (häusliche) Gewalt als Teil der Gewaltkriminalität in Nachkriegssituationen geht. Die postkoloniale Forschung hat ebenfalls ihren Weg in die Friedens- und Konfliktforschung gefunden. Sie sensibilisiert dafür, dass gerade aus »westlicher« Geschlechterperspektive allzu schnell und einfach die »Kultur der Anderen« als Ursache für Geschlechterdiskriminierung ausgemacht wird, während beispielsweise geschlechtsspezifische Gewalt im Westen und die dafür verantwortlichen strukturellen Ursachen kaum thematisiert werden. Vielmehr werden neokoloniale Praktiken westlicher Intervention und Friedensförderung legitimiert, indem auf liberale Frauenrechte, wie Freiheit und Selbstbestimmung, verwiesen und das Image der »white men saving brown women from brown men« beschworen wird. Nikita Dhawan, Professorin an der Universität Innsbruck, mahnt deshalb kritisch an: „Solch ein wohltätiger Kosmopolitismus, bei dem der Westen »denen« helfen kann, vom Westen zu lernen, vernachlässigt den historischen Zusammenhang zwischen «unserer« Entwicklung und »ihrer« Ausbeutung.“

Schlussfolgerungen: Geschlechterperspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung

Die geschlechtersensible Forschung innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung ist vor allem international gut verankert, in Deutschland bleibt sie noch zu sehr an einzelne Personen gebunden. Innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) gibt es eine überschaubare Zahl an Wissenschaftler*innen, die zu diesen Themen arbeiten. Wertvoll ist jedoch die Zusammenarbeit im Netzwerk Friedensforscherinnen der AFK.

Inhaltlich hingegen sind die Geschlechterperspektiven inzwischen differenziert und thematisch vielfältig in der Forschungslandschaft verankert. Die Genderperspektive hat gerade in der Kriegsursachenforschung, aber auch in der Forschung zu Nachkriegssituationen und der Friedenskonsolidierung wichtige Erkenntnisse geliefert. Sie bleibt – und das hat sie mit der frühen kritisch-radikalen feministischen Forschung durchaus gemeinsam – eine streitbare Forschung mit einem Fokus auf gesellschaftliche Unrechtszustände und strukturelle Konfliktursachen. Gleichzeitig ist sie eine Forschung, die politische Forderungen formuliert und zum Programm macht, wenn es etwa darum geht, die Geschlechterperspektive als nachhaltige Friedensstrategie zu verankern. Dennoch: Es entwickeln sich beständig neue Themenfelder, die stärker Eingang in die Forschung finden sollten. Gerade die Ansätze der Intersektionalitäts- und postkolonialen Forschung bieten interessante Anknüpfungspunkte.

Blickt man allerdings auf die internationale Politik, so zeigen sich ambivalente Trends: Einerseits, so scheint es zumindest, ist die Geschlechterperspektive dort, beispielsweise in den Vereinten Nationen, eine nicht mehr wegzudenkende Größe. Mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1325, »Frauen, Frieden, Sicherheit«, aus dem Jahr 2000 hat die Geschlechterperspektive selbst im höchsten Gremium der Vereinten Nationen Anerkennung erfahren. Während sich auf der normativen Ebene also viel getan hat, bleibt die politische Umsetzung auf der lokalen Ebene mangelhaft. Selbst die Ächtung und Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen bleibt häufig politische Rhetorik, und das Leid traumatisierter Zivilistinnen infolge von Kriegsgewalt ist beklagenswert. Strukturelle Gewaltursachen, wie Armut, Arbeitslosigkeit, Hunger und Obdachlosigkeit, bleiben in vielen Nachkriegssituationen weiter bestehen oder verschärfen sich sogar – die Sicherheitssituation ist gerade für Frauen und Mädchen oftmals äußerst prekär. Frauen sind nach wie vor völlig unzureichend in Verhandlungen zu Friedensverträgen und Friedensprozessen eingebunden. Dabei unterstreicht die wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Beteiligung von Frauen Friedensprozesse stabiler und nachhaltiger macht, die unbedingte Notwendigkeit ihrer Einbeziehung.

Dr. Simone Wisotzki ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Vorstandsmitglied des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt am Main.

| Friedensarbeit von Frauen

FrauenFriedensProjekte – Chancen und Herausforderungen

von Frauennetzwerk für Frieden e.V.

Welche Chancen bietet die Friedensarbeit von Frauen? Aber auch: Welchen Herausforderungen und Hindernissen begegnen die Frauen dabei? Welche spezifischen Friedens- und Konfliktthemen greifen Frauen und Frauenorganisationen auf? Und wie wichtig ist dabei die persönliche Dimension? Diesen Fragen stellten sich im Rahmen unserer Jubiläumsveranstaltung stellvertretend für die Vielfalt der Frauen in unserem Netzwerk vier FriedensFrauen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise für Frieden und Gerechtigkeit engagieren. Im Folgenden sind Auszüge aus dem Gespräch nachzulesen. Die Fragen stellte Dr. Regine Mehl vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik.

Heide Serra (AMICA e.V.)

Heide Serra ist Referentin der Hilfsorganisation AMICA e.V. (amica-ev.org). Diese setzt sich den Leitsätzen der UN-Resolution 1325 folgend in Krisen- und Nachkriegsgebieten dafür ein, Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind, zu schützen. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen vor Ort führt AMICA e.V. Projekte durch. Die oft schwer traumatisierten Frauen erhalten psychosoziale Versorgung. ­AMICA e.V. wirkt darauf hin, dass Frauen aktiv in Friedensprozesse und in die Prävention bewaffneter Konflikte mit einbezogen werden. Außerdem bietet die Organisation Rechtsberatung sowie Aufklärungsprogramme für Mädchen an und kümmert sich um eine breite Öffentlichkeitsarbeit zu Frauenrechten, insbesondere in Kriegs- und Krisensituationen. Seit 2009 gehört AMICA e.V. zu den Mitgliedsorganisationen des Frauennetzwerk für Frieden e.V.

Ihr habt in eurer Arbeit mit schwerst traumatisierten Menschen zu tun. Das ist sicher nicht leicht. Was motiviert euch dennoch, euch für Frieden einzusetzen?

Heide Serra: Ja, wir haben mit Menschen zu tun, die traumatisiert sind und leiden. Wir sehen in unserer Arbeit unmittelbar die Folgen von Kriegen. Andererseits arbeiten wir mit unglaublich starken Menschen zusammen. Eine Zeitschrift titelte über unsere Projektpartnerin aus Libyen »From Housewife to Activist«, also: von der Hausfrau zur Aktivistin. Unsere Partnerin hatte sich während der Revolution gegen Gaddafi politisiert und mit unserer Hilfe ihre eigene Organisation aufgebaut. Heute leitet sie ein Frauenzentrum in Bengasi, das sich als eine der ersten Initiativen in der Region des Themas Schutz vor Gewalt annimmt. Sie nimmt an internationalen Konferenzen teil und gibt ihr Wissen über Frauenrechte und Schutz vor Gewalt auch an andere Frauenrechtsaktivistinnen aus ihrer Stadt und dem Umland weiter. Außerdem ist sie in der Lokalpolitik aktiv und setzt sich dafür ein, dass Frauenrechte in der neuen libyschen Verfassung verankert werden.

Und noch ein anderer Punkt ist wichtig: Auch wenn es sehr langsam geht, erleben wir dennoch einen Paradigmenwechsel. In den 1990er Jahren, als wir unsere Arbeit in Bosnien-Herzegowina aufnahmen und in Tuzla ein Schutzhaus für Frauen aufbauten, welche die Massenvergewaltigungen überlebt hatten, gab es weder die UN-Sicherheitsratsresolution 1325, »Frauen, Frieden und Sicherheit«, noch standen derartige Verbrechen im Sinne des Völkerstrafrechts unter Strafe. Heute existiert der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag und es gibt in Deutschland auch eine entsprechende nationale Gesetzgebung, nämlich das Völkerstrafgesetzbuch. Endlich besteht die Möglichkeit, Gewalt gegen Frauen als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Dieser Diskurs ist relativ neu, und das macht Hoffnung.

Was war schwierig? Gab es in eurer Arbeit einen Moment, den ihr als Rückschlag, als Scheitern betrachten würdet?

Heide Serra: Eine der größten Schwierigkeiten für uns ist das enorme Stigma, unter dem viele Betroffene leiden. Sexualisierte Gewalt gilt in vielen Ländern immer noch als striktes Tabu, und die Schuld wird oft den Frauen, die diese Gewalt überlebt haben, zugeschoben. Sie werden also doppelt zu Opfern gemacht, während eine Aufklärung der Taten und eine Strafverfolgung der Täter nicht stattfinden. Der Einsatz für Menschenrechte kann für Aktivistinnen und Aktivisten sehr gefährlich werden. So wurden im Osten Libyens seit dem Bürgerkrieg mehrere Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler ermordet. Man kann sich vorstellen, wie gefährlich und politisch schwierig es erst sein muss, sich für solche Tabuthemen wie sexualisierte Gewalt einzusetzen.

Und was soll besser werden? Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Heide Serra: Eines ist ganz klar: Die Aufgabe, Kriegsgewalt und Leid zu bekämpfen, ist keine Aufgabe, die Frauen allein zufällt. Es ist eine Aufgabe, die die Gesellschaft, also uns alle, angeht. Wenn die Vereinten Nationen in ihren Nachhaltigkeitszielen eine neue globale Partnerschaft fordern, dann wünschen wir uns auch eine neue Partnerschaft zwischen Frauen und Männern, um dieses Problem anzugehen.

Und auch wenn es viel Papier ist und die Umsetzung langwierig und schwierig, so möchte ich dennoch auf eine weitere Resolution aufmerksam machen, die im letzten Jahr verabschiedet wurde: Die UN-Sicherheitsratsresolution 2250 trägt den Titel »Jugend, Frieden und Sicherheit« und gleicht in ihren Forderungen weitgehend der viel zitierten UN-Resolution 1325. Es wäre wunderbar, wenn wir in Zukunft alle an einem Strang ziehen und die Resolution 2250 eines Tages genau so bekannt ist wie 1325 und für die Schaffung und Wahrung stabiler Friedensprozesse genutzt wird.

Marianne Großpietsch (Shanti Leprahilfe Dortmund e.V.)

Marianne Großpietsch wurde 2005 als eine von 1.000 FriedensFrauen für den Friedensnobelpreis nominiert und ist Ehrenmitglied im Frauennetzwerk für Frieden e.V. 1992 gründete sie Shanti Sewa Griha, eine Pflegeeinrichtung für Leprakranke in Kathmandu (shanti-­leprahilfe.de). Heute gewährt Shanti auch Armen, Behinderten und Verfolgten Obdach. Über 1.200 Menschen erhalten medizinische Hilfe. Es gibt Kindergärten, Schulen, Werkstätten und Landwirtschaft. Shanti wird von Einheimischen geleitet, zwei Frauen und sechs Männern. Marianne Großpietsch ist die inspirierende Quelle für alle. Sie kehrt oft nach Deutschland zurück, um Spenden für das Projekt aufzutreiben. Die umfassende soziale Integration ihrer Patient*innen ist ein zweiter Hauptaspekt ihrer Arbeit.

Was motiviert dich zu deiner Friedensarbeit?

Marianne Großpietsch: Ich sehe und erlebe sehr bewusst, wie gut es uns hier in Europa und speziell hier in Deutschland geht, angefangen bei Trinkwasser aus jeder Wasserleitung über zuverlässig verfügbare Elektrizität, Krankenversicherung, freie Bildung etc. Dafür bin ich sehr dankbar, und ich möchte es nicht einfach als selbstverständlich hinnehmen. Ich möchte vielmehr dazu beitragen, dass andere, denen es weit weniger gut geht als uns, eine bessere Lebensqualität und größere Chancen bekommen.

Was war/ist schwierig bei deiner Arbeit?

Marianne Großpietsch: Ich arbeite in Nepal, einem hinduistischen Land mit einem ausgeprägten Kasten-Bewusstsein. Da stößt es auf völliges Unverständnis, dass wir – von unserem christlichen Ansatz her – allen Menschen gleiche Lebenschancen zugestehen möchten. Hinzu kommt: In den fest zementierten patriarchalischen Strukturen in Nepal fällt es den Nepalis sehr schwer, mir als Frau wirklich auf Augenhöhe zu begegnen.

Ein riesiges Problem sind auch die korrupten Behörden. Es kostet immer wieder immense Kraft und Geduld, ohne Bestechung irgendetwas zu erreichen, was für die Station wichtig ist, z.B. der Import von Medikamenten und anderen Hilfsgütern, die jährliche Verlängerung der Betriebserlaubnis für unser Zentrum und die Schule etc.

Auch die sehr andere Auffassung von Zuverlässigkeit und Arbeitsmoral macht die Arbeit in Nepal oft sehr schwer.

Hinzu kommt: Das Leid der Armen und der Menschen mit Behinderungen ist so unendlich, dass es einen schier erdrücken und resignieren lassen könnte – zumal es vom Staat keinerlei (!) Hilfe für die Bedürftigen gibt. Dazu die zahlreichen Generalstreiks, oft gewalttätig, die das ganze Alltagsleben lahm legen. Und: Immer noch kommt es zu Nachbeben nach den beiden großen Erdbeben im Frühjahr 2015. Und ein systematischer Wiederaufbau der ca. 600.000 zerstörten Häuser ist nicht in Sicht.

Und was wünschst du dir für deine Arbeit?

Marianne Großpietsch: Ich wünsche mir, dass mehr Menschen in Deutschland erkennen, wie gut es ihnen geht, mit all den alltäglichen Bequemlichkeiten, den Absicherungen in allen wichtigen Bereichen des Lebens, der relativen Rechtssicherheit.

Ich wünsche mir, dass wir dankbarer und zufriedener werden und es als Glück und als Privileg empfinden, in unserem Land und in einem schon so lang andauernden Frieden zu leben.

Suraya Hoffmann (FrauenWege Nahost)

Suraya Hoffmann ist Gründungsmitglied von FrauenWege Nahost. Die Organisation sucht nach neuen Ansätzen zum Verständnis und zur Lösung der Probleme im Nahen Osten. Unter dem Dach des Frauennetzwerk für Frieden e.V. unterstützte FrauenWege Nahost zunächst Frauen und Kinder in Gaza, die durch das israelische Bombardement an der Jahreswende 2008/2009 traumatisiert waren. Daraus entstand das Projekt »HOFFNUNGSVÖGEL – Sprechtherapie für traumatisierte Frauen und Kinder in Gaza«. In Zusammenarbeit mit der palästinensischen Frauenorganisation PWWSD bietet FrauenWege Nahost Einzel- und Gruppentherapie sowie Aufklärung über Ursachen und Behandlung von Sprechfehlern oder -mängeln. FrauenWege Nahost finanziert seit sechs Jahren das Gehalt eines Therapeuten und einer Therapeutin und unterstützt Weiterbildung und Ferienaktivitäten. Im besetzten Westjordanland setzt sich FrauenWege Nahost für palästinensische Minderjährige ein, die von der israelischen Militärjustiz verfolgt werden, und fragt nach den Folgen für ihre Familien. In Deutschland will FrauenWege Nahost Öffentlichkeit und Politik für die von der Besatzung verursachten Menschenrechtsverletzungen sensibilisieren.

Was motiviert dich zu deiner Friedensarbeit?

Suraya Hoffmann: Was mich motiviert? Ich lebe seit vielen Jahren in Deutschland und weiß, wie sich Frieden im Alltag anfühlt. In meiner Heimat Palästina leben die Menschen seit 70 Jahren im Kriegszustand und unter einer Besatzung. Mit meinem Einsatz in verschiedenen Organisationen möchte ich eine Brücke zwischen Deutschland und Palästina schlagen. Durch meine Arbeit möchte ich erreichen, dass die Menschen in Palästina etwas über das Leben in Deutschland erfahren und dass den Menschen in Deutschland die Situation in Palästina verständlich wird.

Was war/ist schwierig bei deiner Arbeit?

Suraya Hoffmann: Es war und ist immer noch schwierig, hier in Deutschland über die Situation der Menschen in Palästina zu informieren. Wegen der Geschichte Deutschlands im »Dritten Reich« wagen die meisten Menschen in Deutschland nicht, den Staat Israel zu kritisieren, um sich nicht dem Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen.

Was wünschst du dir für deine Arbeit?

Suraya Hoffmann: Ich wünsche mir, dass wir eine neue Generation in Palästina stärken können, damit sie sich aktiv am Aufbau einer friedlichen Zivilgesellschaft beteiligt.

Susanne Hertrampf (IFFF / WILPF)

Susanne Hertrampf ist Mitglied der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (Women’s International League for Peace and Freedom, IFFF/WILPF; wilpf.de). Die Organisation entstand 1915 und ist die älteste Frauenfriedensorganisation der Welt. Mittlerweile ist die Nichtregierungsorganisation (NGO) in über 40 Ländern vertreten und besitzt als unabhängige NGO Beraterstatus bei verschiedenen Gremien der Vereinten Nationen. Die IFFF/WILPF setzt sich auf nationaler Ebene für ihre Ziele ein, ist aber auch auf internationalen Kongressen und Weltfrauenkongressen vertreten. Die NGO kämpft gegen jede Art von Gewalt und Diskriminierung, für Gleichberechtigung und den Einsatz ziviler Konfliktbearbeitung und -prävention. Damit hat die IFFF/WILPF zum Ziel, ein Zusammenleben in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit zu schaffen. Seit 2003 gehört die IFFF/WILPF – Deutsche Sektion zu den Mitgliedsorganisationen des Frauennetzwerk für Frieden e.V.

Was motiviert dich zu deiner Friedensarbeit?

Susanne Hertrampf: Meine Mitarbeit in einer Frauenfriedensorganisation hängt eng damit zusammen, dass ich mich als Historikerin seit über 25 Jahren mit der Geschichte des feministischen Denkens auseinandersetze. Frauenorganisationen spielen dabei eine wichtige Rolle, sind sie ja sowohl Trägerinnen als auch Urheberinnen feministischer Ideen. Die WILPF beteiligt sich an diesem Prozess seit ihrer Gründung im Jahr 1915. Von Anfang an trat sie nicht nur für Gleichberechtigung ein, sondern forderte eine politische Orientierung an Sinn und Inhalten von Menschenrechten. Letzteres ist für sie die Basis einer geschlechtergerechten Außen- und Sicherheitspolitik. Für mich ist die WILPF zudem Vorreiterin einer modernen Diplomatie. Dazu gehört, die einengende nationale Perspektive zu verlassen, sich dem Dialog zu stellen und einen Interessenausgleich zu erwirken. Besonders beeindruckt hat mich, dass die WILPF schon 1915 öffentlich erklärte, dass die Vergewaltigung von Frauen eine bewusste Kriegsstrategie und Militarismus kein Naturgesetz sei.

Sicherlich teilen heute weit mehr Frauen und auch Männer derartige Erkenntnisse und friedenspolitische Vorstellungen als noch im Jahr 1915. Aber diese gehören nicht zum »gedanklichen Mainstream« gegenwärtiger Politik. Daran mitzuwirken, dass Kritik am Militarismus und geschlechtergerechtes Denken nicht Gefahr läuft, zu versanden, sondern sich im Bewusstsein von noch mehr Menschen weltweit festsetzt und Früchte trägt – auch in mir selbst –, das motiviert mich zur Mitarbeit in der WILPF.

Was war/ist schwierig bei deiner Arbeit?

Susanne Hertrampf: Die WILPF ist ja auch ein Abbild von Gesellschaft. Ihre Mitglieder, die aus verschiedenen kulturellen und politischen Räumen kommen, eint zwar der Wille, gemeinsam friedenspolitisch aktiv zu werden, aber dennoch verfolgen sie durchaus unterschiedliche Interessen bzw. benennen unterschiedliche Prioritäten. Auch gibt es Kontroversen bezüglich feministischer Konzepte. Differenzen haben in der WILPF zwar auch zu Brüchen geführt, aber nicht zur Spaltung der Organisation. Demokratie, gegenseitige Wertschätzung und die Bereitschaft zum Dialog sind ja nicht nur Forderungen nach außen, sondern jedes Mitglied der WILPF ist in diesen Bereichen selbst gefordert.

Schwierig ist natürlich auch das Maß des Erfolges. So ist für mich Friedensarbeit ein unendlicher Prozess, bei dem es durchaus Erfolge zu verzeichnet gibt, wie den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und die UN-Resolution 1325, »Frauen, Frieden und Sicherheit«. Aber es gibt keine Gewähr für Nachhaltigkeit, erleben wir doch gerade, wie Militarismus wieder enorm an Zustimmung gewinnt und das Freund-Feind-Denken geschürt wird.

Insofern war es für mich wichtig, an dem Jubiläumskongress der WILPF teilzunehmen, der 2015 in Den Haag stattfand. Die Expertise und das Engagement der Redner*innen und Workshop­leiter*innen aus allen Teilen der Welt haben mich tief beeindruckt und meinen Willen gestärkt, friedenspolitisch aktiv zu bleiben. Ein erheblicher Wermutstropfen war allerdings, dass dieser hochkarätige Kongress von den Medien kaum beachtet wurde und so nicht wirklich in das öffentliche Bewusstsein vorgedrungen ist.

Und was wünschst du dir für deine Arbeit?

Susanne Hertrampf: Mehr Gehör! Dazu braucht die Frauenfriedensbewegung die Unterstützung von vielen, eben auch die der Männer. Geschlechtergerechtigkeit impliziert für mich Partnerschaft auf Augenhöhe. So wie sich Frauen mit unterschiedlichen politischen Theorien auseinandersetzen, so sollten auch Männer in den Dialog mit feministischen Theorien gehen. Gleichermaßen wünsche ich mir, dass Männer »Männerrollen« intensiver hinterfragen und Gegenentwürfe zu einer militarisierten Männlichkeit entwickeln. Der Frauenfriedensbewegung wünsche ich, dass ältere und jüngere Friedensaktivistinnen einander noch besser zuhören und sich gegenseitig bereichern, und zwar auf allen Ebenen: lokal, national und transnational.

Frauennetzwerk für Frieden e.V.

Das Frauennetzwerk für Frieden e.V. (FNF) wurde 1996 unmittelbar nach der 4. Weltfrauenkonferenz gegründet, um auf der nationalen Ebene die Energien aus den vielfältigen FrauenFriedensvereinen und Friedensgruppierungen zu verstärken. Heute ist neben Beiträgen zur zivilen Konfliktbearbeitung und der Unterstützung von FriedensFrauen international eines der wesentlichen Aufgabenfelder die Lobby-Arbeit für die Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1325, »Frauen, Frieden und Sicherheit«, und ihrer Folgeresolutionen sowie die Sensibilisierung von Männern und Frauen für die Geschlechterperspektive und Geschlechtergerechtigkeit. Die Organisation arbeitet auf der lokalen, der nationalen und der internationalen Ebene.

Wir nehmen die in der Charta der Vereinten Nationen ausgesprochene Verpflichtung der Völker zum Frieden ernst und lehnen Kriege und kriegerische Handlungen sowie deren Vorbereitung ab.

Wir schließen uns dem Haager Friedensappell vom Mai 1999 und der Resolution 32/28 des UN-Menschenrechtsrates vom 1. Juli 2016 an: Es ist Zeit den Krieg abzuschaffen, Frieden ist ein Menschenrecht.

Frauennetzwerk für Frieden e.V.
Women"s Network for
Peace (­registered association)
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