Dossier 49

Japans Versuche, alte imperialistische Ziele unter den Rahmenbedingungen einer US-Vormundschaft zu verwirklichen

Nach der Tragödie die Farce?

von Eiichi Kido

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden (IWIF e.V.)

Die englische Wochenzeitschrift »Economist« berichtete im Januar 2005, dass Japan mit dem Feuer spiele.1 Die Liberal-Demokratische Partei (LDP), die seit 1955 fast ununterbrochen das Land beherrscht, hatte eine baldige Änderung des Erziehungsrahmengesetzes auf die politische Agenda gesetzt, um den Schülerinnen und Schülern »Vaterlandsliebe« an zu erziehen. Das konservative Magazin mahnte, dass die LDP mit ihren ideologischen Spielen in den Nachbarländern Japans Antipathien schürt und tiefe innere Wunden wieder aufreißt.

Gefährliches Spiel

In der Tat betrachtet die LDP den Änderungsvorstoß als Vorstufe zur Verfassungsänderung. Das Erziehungsrahmengesetz vom 31. März 1947 sieht als Ziel der Erziehung an, Persönlichkeiten zu formen und eine sowohl körperlich als auch geistig gesunde Nation zu bilden, die als Gestalter eines friedlichen Staates bzw. einer friedlichen Gesellschaft Wahrheit und Gerechtigkeit liebt, den Wert des Individuums respektiert, auf Fleiß und Verantwortlichkeit Wert legt und den Geist von Selbständigkeit atmet. Für die LDP ist dies ein vaterlandsloses und unjapanisches Gesetz, ein Produkt der amerikanischen Besatzungspolitik, die vermeintlich auf die Zerrüttung der japanischen Seele zielte.

Die geistige Struktur der Liberaldemokraten von heute ist nicht sehr weit entfernt von der der damaligen Konservativen. Diese akzeptierten die angeblich von den Amerikanern aufgezwungene Verfassung vom 3. November 1946 mit ihren neuen Prinzipien wie Volkssouveränität, Menschenrechte, Friedens- und Wohlfahrtsstaat nur widerwillig, um eine Verfolgung des Kaisers Hirohito als Kriegsverbrecher und eine radikale politisch-gesellschaftliche Umwälzung zu verhindern.2 Die Chancen der LDP, ihr politisches Ziel einer »eigenständigen Verfassung«, für das sie seit ihrer Gründung 1955 eingetreten ist, endlich zu realisieren, sind recht hoch.

Denn nicht nur die LDP will das Erziehungsrahmengesetz und die Verfassung ändern. Die größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei, zieht immer mehr rechte Kräfte an. Der Vorsitzende des Parlamentarierverbandes zur Förderung der Änderung des Erziehungsrahmengegesetzes, Shingo Nishimura, gehört denn auch zu dieser Partei. Bei der Gründungstagung des Verbandes am 25. Februar 2004 benannte er als Ziel der Gesetzesänderung ganz offen: „Japaner zu bilden, die willig das Leben für den Staat opfern.“3 Der ultranationalistische Politiker musste übrigens am 20. Oktober 1999 als parlamentarischer Staatssekretär für Verteidigung zurücktreten, weil er eine nukleare Streitkraft für Japan gefordert hatte.

Die Landschaft des japanischen Parlaments nähert sich amerikanischen Verhältnissen, wo es kaum noch eine echte Opposition gibt. Auch in der Verfassungsfrage hat sich gewissermaßen ein Parteienkartell herausgebildet. Das Hauptziel der Abgeordneten, die eine Verfassungsänderung befürworten, ist die Abschaffung des pazifistischen Artikels 9:

„(1) In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und die Androhung oder Ausübung von militärischer Gewalt als ein Mittel zur Regelung internationaler Streitigkeiten.

(2) Zur Erreichung des Zwecks von Absatz 1 werden Land-, See- und Luftstreitkräfte sowie andere Kriegsmittel nicht unterhalten. Ein Kriegsführungsrecht des Staates wird nicht anerkannt.“4

Für eine Verfassungsänderung sind in Japan die jeweilige Zweidrittelmehrheit in den beiden Kammern und eine einfache Mehrheit bei einer Volksabstimmung notwendig. Lediglich die Kommunisten und Sozialdemokraten verteidigen im Parlament noch die so genannte »Friedensverfassung«. Sie halten jedoch insgesamt nur 15 Mandate im Unterhaus (von 480 ) bzw. im Oberhaus (von 242 ) und können somit die Verabschiedung einer Verfassungsänderung im Parlament kaum verhindern.

Diese Tendenz gilt auch für die Bevölkerung, allerdings nicht ganz so extrem wie im Parlament. Laut einer Zeitungsumfrage ist erstmals eine Mehrheit der Befragten für eine Verfassungsänderung.5 Aber interessanterweise will ebenfalls eine deutliche Mehrheit den pazifistischen Artikel 9 behalten (Tabelle 1).

Das Verhältnis der Japaner zur Verfassung
  April 01 April 04
Ich bin der Meinung, die Verfassung insgesamt zu ändern. 47% 53%
Ich bin der Meinung, die Verfassung nicht zu ändern. 36% 35%
Ich bin der Meinung, den Verfassungsartikel 9 zu ändern. 17% 31%
Ich bin der Meinung, den Verfassungsartikel 9 nicht zu ändern. 74% 60%

Das Jahr 2005 wird also höchstwahrscheinlich zu einem entscheidenden Jahr in der politischen Geschichte Japans. Im Folgenden werden die Hintergründe der heutigen Situation analysiert und die Aktivitäten der Friedensbewegung, die diesen Tendenzen entgegensteht, geschildert.6

Aushöhlung der Nachkriegswerte

Seit der totalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg sind Frieden und Gleichheit die zwei wichtigsten Grundwerte der japanischen Gesellschaft. 60 Jahre lang hat Japan keinen Krieg geführt. Für das Volk ist der Krieg mehr oder weniger das Böse schlechthin. Wenn das Militär großen Einfluss auf die Politik gehabt hätte, wäre der Rüstungsetat wesentlich größer gewesen, was das enorme wirtschaftliche Wachstum Japans gebremst hätte. In den 1960er und 1970er Jahren hätte Japan wie Südkorea seine Soldaten nach Vietnam schicken müssen, was die Einstellung gegenüber Japan in Asien weiter verschlechtert hätte.

Was die Gleichheit anbelangt, haben diejenigen konservativen Politiker, die vom Land stammen, eifrig versucht, den Unterschied des Lebensstandards zwischen Stadt und Land anzugleichen. Der Ausgangspunkt ihrer politischen Karrieren war die Armut in ihrer jeweiligen Heimat. Japan ist zwar, betrachtet man etwa Renten, Gesundheit, Pflege und Beschäftigung, kein Vorreiter in der Fürsorge, aber in den agrarischen Regionen wird die Beschäftigung immerhin durch »öffentliche Bauarbeiten« gesichert.

Dies hat aber auch eine negative Seite. Das Friedensbewusstsein der Japaner hat insoweit funktioniert, als sie sich ausschließlich als Kriegsopfer betrachtet haben. Die düstere Vergangenheit von Expansionspolitik und Angriffskrieg ist aber bisher nicht ernsthaft aufgearbeitet worden.

Der Militärpakt mit den USA hat natürlich die Authentizität des »Friedensstaates« in Frage gestellt.7 So war es nicht besonders überzeugend, als einzige Atombombenopfernation atomare Abrüstung zu fordern und gleichzeitig selber unter dem US-amerikanischen Atomschirm dahinzudämmern.

Die japanische Verfassung ist auch bestrebt, strukturelle Gewalt zu überwinden. In der Präambel heißt es: „Wir erkennen an, dass die Völker auf der ganzen Welt das Recht haben, ohne Unterschied frei von Furcht und Not in Frieden zu leben.“ Es ist aber sehr fragwürdig, ob Japan den Forderungen der Verfassung entsprochen hat, „dass keine Nation sich nur ihren eigenen Angelegenheiten widmen und die anderen Nationen unbeachtet lassen darf.“ Historisch gesehen hat Japan bei den Kriegen in Korea und Vietnam ökonomisch gewaltig profitiert. Der Widerspruch zwischen dem verfassungsrechtlichen Ideal und der Realität ist also sehr groß.

Die relative Gleichheit zwischen Großstadt und Land in Japan ist ein Produkt des Komplexes von Zentralismus und Plutokratie. Die Bürokraten haben Befugnisse und Einnahmequellen monopolisiert. Gleichzeitig konnten sie beliebige Interessen bedienen, da ihr Handeln kaum durch gesetzliche Regelungen eingeschränkt wird. Angesichts des intransparenten japanischen Verwaltungshandelns wiederum haben Politiker mit ihrer Vermittlerfunktion eine große Rolle gespielt. Die Unternehmer haben ihrerseits den Politikern viel Geld gespendet, um ihre Interessen durchzusetzen. Dadurch ist ein kaum mehr zu überschauendes Korruptionssystem entstanden.

Der kanadische Journalist Benjamin Fulford spricht denn auch von der japanischen Kleptokratie.8 Der Begriff bezeichnet eine staatliche Ordnung, bei der die Herrschenden willkürliche Verfügungsgewalt über Besitz und Einkünfte der Beherrschten haben und sich auf deren Kosten privat bereichern.9 Der Autor behauptet, dass über Japan eine Oligarchie der privilegierten Klasse herrsche. Diese Oligarchie bestehe aus Berufspolitikern, Bürokraten, Großunternehmern und Yakuza-Banden. Der Reichtum, den das Volk fleißig produziert habe, werde vom Staat mit allen möglichen Mitteln abgeschöpft.

Vertiefter Verbraucher-Konservatismus

Natürlich gibt es noch andere Elemente, die die Nachkriegsgrundwerte unterminiert haben. Das ungewöhnliche Hochwirtschaftswachstum hat das japanische Gemeinschaftsleben letztlich ruiniert. Ursprünglich war es die Handlungsnorm der Japaner, in einer Dorfgemeinschaft von jemandem gesehen werden zu können und sich deshalb anständig benehmen zu müssen. Durch die rasche Urbanisierung ist der Einzelmensch inzwischen aber atomisiert, ja sogar, so Zygmunt Bauman, regelrecht verflüssigt worden.10

Gleichzeitig hat sich ein extremer Konsumismus herausgebildet. Schon in der zweiten Hälfte der 70er Jahre war unter den japanischen Politikwissenschaftlern oft vom Verbraucher-Konservatismus der Bevölkerung die Rede.11 Der wirtschaftliche Erfolg Japans hat die Entwicklung selbstkritischer Positionen stark behindert. Es gibt nur vereinzelt kritische Kommentare zur Umweltverschmutzung, zur unbewältigten Vergangenheit und der Gefahr eines Atomkrieges.

Nach einer Untersuchung, die in den USA, den Niederlanden, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Japan durchgeführt wurde, haben die Japaner die am wenigsten ausgeprägte postmaterialistische Einstellung. Während der »postmaterialistische« Anteil der Bevölkerung z.B. in Deutschland 51% beträgt, liegt er in Japan bei nur 38%.12

Die 1990/1991 geplatzte Seifenblasenwirtschaft drückt die gesellschaftliche Stimmung. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Japans wird von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung heute negativ beurteilt, wie sich an folgenden Zahlen ablesen lässt.13 (Tabelle 2)

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Japans ist
  sehr gut eher gut eher schlecht sehr schlecht
1973 25% 42% 19% 5%
1978 23% 43% 19% 5%
1988 42% 40% 10% 2%
1993 33% 46% 14% 3%
1998 4% 28% 42% 23%

Trotzdem sind die Japaner mit ihrem Lebensstandard zufrieden.14

Die Rolle von Sicherheit für die Japaner

Die überwiegende Mehrheit der Japaner (88%) empfindet zwar, dass die Sicherheit in der Welt zunehmend gefährdet ist. Werden sie aber nach eventuellen Gefahren und Bedrohungen gefragt, so haben sie mehr Angst vor einer Naturkatastrophe (24%) oder einem wirtschaftlichen Zusammenbruch (20%) als vor einem Atomkrieg (19%) oder vor Terrorismus (12%). Der Anteil der Bürger, die nachdrücklich befürworten, dass alle Länder einen Vertrag zum Verbot aller Atomwaffen unterschreiben, ist mit 77% geringer als bei Brasilianern (89%), Deutschen (88%), Kanadiern (83%) oder Russen (78%). Die Erwartung, dass Atomwaffen innerhalb des 21. Jahrhunderts von allen Ländern verboten werden, ist bei den Japanern (49%) gleichfalls deutlich niedriger als bei Russen (84%), Franzosen (73%), Deutschen (62%), Kanadiern und Engländern (je 61%).

Auch bei der Wahl zum Unterhaus vom November 2003 hat das Thema »Krieg und Frieden« kaum eine Rolle gespielt. Während die Wahlberechtigten die Konjunktur (45%) und die Rentenfrage (43%) als zentrales Wahlthema empfanden, war die Frage der Entsendung japanischer Truppen in den Irak nur für 4% von ihnen entscheidend.15

Die Wahl zum Oberhaus vom Juli 2004 verlief analog. Hier hat die Rentenreform eine zentrale Rolle gespielt.

Der Begriff »Frieden« ist in der japanischen Sprache eher auf die Seelenruhe orientiert.16 Diese Einstellung neigt dazu, Ungerechtigkeit auszublenden. Wenn die Japaner weiter auf den »Wohlstand« fixiert bleiben, ist es unvermeidbar, dass Japan zum Akteur direkter und struktureller Gewalt wird.

Je länger die ökonomische Flaute anhält, desto größer wird die Frustration und der Drang, sich mit einem starken Führer bzw. Staat identifizieren zu können. Nach dem Amtsantritt des Ministerpräsidenten Junichirô Koizumi im April 2001 ist diese Tendenz offensichtlich geworden.

Verzögerte Beteiligung an der Globalisierung

An dieser Stelle möchte ich aber zunächst die objektiven Daten und den historischen Hintergrund der heutigen Verhältnisse Japans analysieren.

Laut einer Statistik des japanischen Außenministeriums hat Japan mit 189 Staaten diplomatische Beziehungen (Stand: 1. März 2003).17 Unter den UN-Mitgliedstaaten hat Japan nur mit Nordkorea keine diplomatischen Beziehungen. Das Land hat 2001 mit 387.000 km2 nur 0,3% der Fläche und mit 127,5 Mill. Einwohnern 2,1% der Bevölkerung der Welt.18 Japan trägt 6,1% zum Welthandel bei. Beim Bruttonationaleinkommen (GNI = gross national income) liegt Japan nach den USA (9.901 Mrd. Dollar: 31,4%) mit 4.574 Mrd. Dollar auf Platz zwei (14,5%), gefolgt von Deutschland (1.948 Mrd. Dollar: 6,2%).19

Japan und die USA monopolisieren damit fast die Hälfte des Reichtums der ganzen Welt. Während die USA seit den 1920er Jahren die führende Industriemacht sind, hat sich die japanische Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg extrem schnell entwickelt. 1945 lag das Bruttosozialprodukt (BSP) Japans im Weltmaßstab noch bei weniger als 1%, aber schon Ende der 1970er Jahre erreichte es 10%.

Die Multinationalisierung der japanischen Unternehmen begann erst Mitte der 1980er Jahre. Bis dahin hatten die japanischen Unternehmer durch die als »Japanisches Management« bezeichneten Arbeitsbeziehungen über den internationalen Wettbewerb gesiegt. Die Arbeiter waren weitgehend rechtlos, zu militärischer Disziplin und Konkurrenzverhalten am Arbeitsplatz gezwungen und hatten lange Arbeitszeiten. Trotzdem oder gerade deshalb war ihre Anpassung an »meine Firma« stark. Die Gewerkschaften basierten auf dem Prinzip der Unternehmensgewerkschaft, nicht auf dem Industieverbandprinzip. Sie wirkten sozialpartnerschaftlich mit dem Kapital zusammen und schlossen »radikale« Arbeiter aus.

Seit den 1970er Jahren gibt es zwischen Japan und den Vereinigten Staaten immer wieder Handelskonflikte um Textil, Stahl, Fernseher, Autos und Halbleiter. 1982 erreichte das Handelsdefizit der USA gegenüber Japan 20 Mrd. Dollar. Wegen des enormen Handelsüberschusses haben die USA von Japan verlangt, den Markt zu öffnen. Ende der 1980er Jahre wurde die US-japanische Initiative zur Beseitigung der strukturellen Handelshemmnisse (US-Japan Structural Impediments Initiative) ins Leben gerufen.

Der so genannte Plaza-Akkord vom September 1985 führte zur Yen-Aufwertung.20 Der Yen wurde gegenüber dem Dollar von 280:1 (1985) auf ca. 110:1(1993) verteuert. Dadurch wurden japanische Exporte teuer. Obwohl der schwache Dollar amerikanische Exporte allgemein ankurbelte, blieben die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Japan weiter kritisch. Der japanische Überschuss lag 1993 bei 50 Mrd. Dollar. Nachdem der japanische Ministerpräsident Kiichi Miyazawa im April 1993 dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton ein neues US-japanisches Handelsgespräch vorgeschlagen hatte, begannen die Verhandlungen über Rahmenbedingungen des Handels (US-Japan framework talks).21

Auf die Yen-Verteuerung haben japanische Hersteller mit einer Verlagerung ihrer Produktion in die (süd-)ostasiatischen Länder reagiert. Indem Japan seine Kapitalexporte strategisch von Nordamerika in die asiatischen Nachbarländer umorientierte, haben die japanischen Direktinvestitionen in die ASEAN-Länder (einschließlich Vietnam) 33,1 Mrd. Dollar erreicht. Japanisches Kapital ist an 2.754 Joint Ventures in Südostasien beteiligt.22

Die Achillesferse der japanischen Wirtschaft ist der Rohstoffmangel. Die Energieversorgung hängt vom Import ab. 2000 hat Japan insgesamt 4.262.000 Barrel Rohöl pro Tag importiert, überwiegend aus dem Nahen Osten (aus den Golfstaaten 3.100.000, dem Iran 500.000 und dem Irak 105.000 Barrel). Es sind die USA, die den Japanern ihre Erdölversorgung garantieren.23

Wirtschafts- und Finanzkreise verlangten deshalb von der Politik zunehmend, die Stabilität in der Region zu sichern, die freie Handels- und Investitionstätigkeit der japanischen Unternehmen zu garantieren, und zwar am besten auf eigene Faust. Auch die politische Klasse Japans hält es inzwischen für erforderlich, dass Japan zur Absicherung der multinational operierenden Konzerne eine Mitverantwortung für die Sicherung der Weltordnung übernimmt.

Die japanischen Konservativen zwischen Antikommunismus und Antiamerikanismus

Das Credo der US-amerikanischen Japanpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg war ursprünglich die Demilitarisierung und die Demokratisierung des Landes. Aufgrund der Erfahrung der Besatzung in Deutschland wollten die USA den Einfluss anderer Länder auf ihre Besatzungspolitik ausschließen. Von vorneherein hatten sie die Absicht, zu diesem Zweck das japanische Kaisertum auszunutzen. Deshalb war es für die USA selbstverständlich, beim Kriegsverbrechertribunal in Tôkyô Kaiser Hirohito nicht anzuklagen.24

Die USA sorgten dafür, dass das besiegte Japan rasch eine neue Verfassung bekam, um sich komplizierte Verhandlungen mit anderen Alliierten zu diesem Thema zu ersparen. Die japanische Verfassung wurde am 3. November 1946 verkündet und ist am 3. Mai 1947 in Kraft getreten. Gleichsam im Austausch dafür, das Kaisertum in einer konstitutionellen Form überleben zu lassen, spricht sie Japan das Recht zur Kriegsführung ab und verbietet jegliche Kriegsmittel.

Obwohl der Kaiser nun als »Symbol« Japans und der Einheit des japanischen Volkes« eigentlich nur die in der Verfassung bestimmten Handlungen vornehmen darf, hat Hirohito mindestens zweimal eine für die Nachkriegspolitik entscheidende politische Rolle gespielt:

  • Im September 1947 schlug er dem Obersten Kommandanten der Alliierten, Douglas MacArthur, indirekt vor, durch einen Pachtvertrag über 25 oder 50 Jahre die Insel Okinawa in militärischen Besitz zu nehmen. Obwohl Okinawa nur 0,6 Prozent der Fläche Japans hat, liegen dort heute noch 75% aller US-Militärstützpunkte in Japan.
  • Im August 1950 schrieb er dem Berater des US-Außenministeriums John Foster Dulles persönlich Folgendes: Wenn erfahrene Japaner, die wegen der Kriegsschuld des Amtes enthoben worden sind, rehabilitiert würden, würden sie viel dazu beitragen, die Friedensfrage zu lösen, und zwar im dem Sinne, dass Japan freiwillig den Amerikanern Militärstützpunkte anbieten würde. Das führte zum Abschluss des US-japanischen Sicherheitsvertrags, der am 8. September 1951 gleichzeitig mit dem Friedensvertrag unterschrieben wurde.

Die »Überlebensstrategie« Hirohitos war, den amerikanischen Wunsch vorwegzunehmen und das wie einen freiwilligen Vorschlag japanischerseits gegenüber den Amerikanern aussehen zu lassen. Damit legte Hirohito den Grundstein zur Remilitarisierung Japans.

Nach der politischen Unruhe um die Revision des Sicherheitsvertrags 1960 bemühte sich die Regierung, das Interesse des Volkes auf das wirtschaftliche Wachstum zu konzentrieren. Unter dem amerikanischen »Atomschirm« konnte Japan die eigene Aufrüstung relativ beschränken. Im November 1971 hat das japanische Parlament die »Drei nicht-nuklearen Grundsätze« beschlossen: keine Nuklearwaffen zu produzieren, zu besitzen und einzuführen.25 Im Oktober 1976 beschloss das japanische Kabinett, die jährlichen Verteidigungsausgaben zu beschränken auf unter ein Prozent des Bruttosozialproduktes (BSP).26

Heute gibt es in Japan 39.691 amerikanische Offiziere und Soldaten (Stand: September 2003), insgesamt 134 US-Militäreinrichtungen auf einer Fläche von 1.010 km2. Die USA haben das Recht zur Errichtung von Militärbasen und zur unbeschränkten militärischen Nutzung. Außerdem zahlt Japan seit 1978 ungeheure Geldsummen als finanzielle Hilfe für die stationierten US-Truppen.27 Es finanziert nicht nur Personalkosten für Beschäftigte in US-Militärstützpunkten, Licht-, Heiz- und Baukosten innerhalb der US-Militärstützpunkte, sondern auch Pachtzinsen, Subventionen für die betroffenen Kommunen, Schallisolierungsarbeiten usw. Angesichts der Tatsache, dass Japan für die stationierten US-Soldaten mehr als 100.000 Euro pro Kopf bezahlt, kommentieren manche selbstironisch, das Land sei ein Gefangener, der die Gefängniswächter bezahlen müsste.

Laut eines Berichtes des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums aus dem Jahre 2003 brachte Japan 4,620 Mrd. Dollar für die im Lande stationierten US-Truppen auf. Das ist mehr, als die anderen 24 Länder, in denen US-Truppen stationiert sind, zusammen für die US-Truppen bezahlten (2,880 Mrd. US-Dollar). Darunter sind Deutschland mit 860 Mill. US-Dollar und Südkorea mit 850 Mill. US-Dollar.

Wegen der kritischen Wirtschaftsbeziehungen sind aber Missstimmung und Irritation sowohl auf der amerikanischen als auch auf der japanischen Seite gewachsen. In den USA wird immer wieder behauptet, dass Japan »Trittbrettfahrer« (free rider) des US-japanischen Sicherheitssystems ist. Aber es gibt auch Misstrauen gegenüber der japanischen Aufrüstung. Im März 1990 formulierte der Kommandierende General der 3. Marinedivision in Okinawa (1989-1991), Henry C. Stackpole, heutiger Präsident des amerikanischen Asia-Pacific Center for Security Studies (APCSS), die so genannte »Flaschenverschluss«-Theorie (»cap in the bottle« theory). Er sagte: „Wenn sich die amerikanischen Truppen aus Japan zurückziehen würden, würde Japan die schon starken Streitkräfte noch verstärken. Wir sind der Verschluss der Flasche.“ 1999 haben die Zeitung Asahi Shimbun und das Meinungsforschungsunternehmen Harris Poll eine aufschlussreiche US-japanische Umfrage zusammengestellt. Darin meinten fast die Hälfte der US-Amerikaner, dass US-Truppen in Japan stationiert seien, um eine Militärmacht Japan zu verhindern (Tabelle 3).28

Wozu sind die US-Truppen mit etwa 40.000 Mann in Japan stationiert?
  Japan USA
um Japan zu verteidigen 31% 12%
um der Globalstrategie der USA zu dienen 38% 34%
um zu verhindern, dass Japan zu einer Militärmacht wird 19% 49%

Es ist für die japanischen Konservativen ein großer Widerspruch, geschichtspolitisch antiamerikanisch zu bleiben und militär- und realpolitisch proamerikanisch sein zu müssen. Sie verteidigen zwar den Mythos, dass der Krieg gegen den Willen Hirohitos begonnen und geführt wurde. Aber zu jedem Anlass versuchen sie, die japanische Expansions- und Kriegspolitik zu rechtfertigen. Ihr Argument: Japan hatte keinen anderen Weg als Krieg zu führen, weil der amerikanische Druck so massiv war. Es ist natürlich nicht vergessen, dass die Amerikaner mit Brandbomben verschiedene japanische Städte total zerstört und mit Atombomben Hiroshima und Nagasaki vernichtet haben.29

Es ist das politische Ziel der japanischen Konservativen, die politische Ordnung, die die Amerikaner nach 1945 eingeführt haben, vor allem die »Friedensverfassung«, zu beseitigen. Sie wollen den Kaiser als Staatsoberhaupt und die »normalen« Militärkräfte wieder haben.

Seitdem Japan zwei Ölkrisen wirtschaftlich relativ stabil überstand und als »Nummer Eins« in den Himmel gehoben wurde,30 wird auch in Japan der ökonomische Nationalismus propagiert. Es war der Antikommunismus, der in der Zeit des Kalten Krieges den proamerikanischen und den antiamerikanisch-nationalistischen Flügel des japanischen Konservatismus verband. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und angesichts des unverblümten Hegemonialanspruchs der USA wird die Kluft zwischen den beiden Lagern potenziell größer.

Neonationalismus nach dem Ende des Kalten Krieges

Durch den Zusammenbruch des östlichen Lagers und den Wandel Chinas zum Kapitalismus hat sich der freie Markt buchstäblich global ausgedehnt. Um die Ordnung für die globale Marktwirtschaft aufrechtzuerhalten, verlangen die USA von Japan eine militärische Teilnahme. Beim Golfkrieg 1990/1991 zog sich Japan die Ungnade der USA zu, weil es aus verfassungsrechtlichen Gründen »nur« Kriegskosten von 9 Mrd. Dollar übernommen hatte. Auf der anderen Seite brauchen auch die japanischen Unternehmen eine Militärmacht Japan, um in der globalisierten Welt für sich Sicherheit und Privilegien zu garantieren. Eine Wirtschaftsorganisation, Keizai Dôyûkai (Japan Association of Corporate Executive), forderte deshalb nachdrücklich, Japan solle endlich den exklusiven »Ein-Land-Pazifismus« beenden.

Der Stolperstein für die Aufrüstungspolitik Japans ist die kritische Meinung in der asiatischen Öffentlichkeit. Die Stimmen der Kriegsopfer in Asien, die in der Zeit des Kalten Krieges unterdrückt waren, wurden in den 1990er Jahren hörbar. Der damals frisch gewählte Regierungschef der Nicht-LDP-Koalition, Morihiro Hosokawa, sagte im August 1993 deutlich, dass Japan im Zweiten Weltkrieg einen Angriffskrieg geführt hat. Er entschuldigte sich für den Krieg und die Kolonialherrschaft. Der sozialdemokratische Ministerpräsident, Tomiichi Murayama, äußerte am 15. August 1995, zum 50. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation, dass Japan in der nicht so fernen Vergangenheit durch Kolonialherrschaft und Angriffskriege den Menschen in Asien viel Leid angetan hat. Er sprach sich dafür aus, dass Japan sich selbstkritisch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen und den selbstgefälligen Nationalismus überwinden müsse. Als verantwortungsbewusstes Mitglied der internationalen Gemeinschaft habe es die Völkerverständigung zu fördern und die Idee von Frieden und Demokratie zu verbreiten. Natürlich sei Japan als einzige »Atombombenopfernation« bereit, nach der Abschaffung aller Kernwaffen zu streben und die internationale Abrüstung voranzutreiben.

Die Nationalisten, die ohnehin die »Siegerjustiz« und die »aufgezwungene« Demokratie ablehnen, entwickelten angesichts dieser Ereignisse ein starkes Krisenbewusstsein. Sie versuchten mit allen Mitteln, die »Ehre des Vaterlandes« zu verteidigen. Ihr Angriffsobjekt war ein »selbstanklägerisches« Geschichtsbuch für den Schulunterricht. Das symbolische Ziel war neben dem Nanking-Massaker von 1937 die »Trostfrauen«-Problematik.

Dieses unbewältigte Vergangenheitsthema kam mit dem Ende des Kalten Krieges hoch. Vor und während des Zweiten Weltkrieges wurden unter der japanischen Kolonialherrschaft und Militärbesatzung bis zu 200.000 Frauen als Sexsklavinnen in japanische Militärbordelle gezwungen.31 Die meisten »Trostfrauen« kamen von der koreanischen Halbinsel. In der Regel wurde ihnen vorgelogen, dass sie einen guten Job bekämen. Unter dem Druck der Staatsgewalt bzw. der zwischenstaatlichen Beziehungen und aus Scham haben sie über ihre Erfahrungen den Mund gehalten. Erst im August 1991 hat Kim Hak Soon, eine 67-jährige Koreanerin, öffentlich gemacht, dass sie während des Zweiten Weltkrieges als Zwangsprostituierte festgehalten worden war. Danach wurde in Südkorea eine Hotline eingerichtet und es meldeten sich weitere betroffene Frauen. Seit 1991 gibt es in Japan insgesamt zehn Fälle, in denen ehemalige Opfer der sexuellen Gewalt von der japanischen Regierung Entschuldigung und Wiedergutmachung verlangen.

Die japanische Regierung verleugnete zuerst die staatliche Verantwortlichkeit. Am 13. Januar 1992 erkannte Regierungssprecher Kôichi Katô jedoch an, dass das japanische Militär die Zwangsprostitution damals mitorganisiert hat. Am 6. Juli 1992 gab er offiziell bekannt, dass die Regierung selbst durch die Werbung der »Trostfrauen« und die Verwaltung der Militärbordelle die Zwangsprostitution organisiert hat. Im Juli 1995 gründete der sozialdemokratische Ministerpräsident Tomiichi Murayama den »Asiatischen Friedens- und Freundschaftsfonds für Frauen« (Asian Women"s Fund), um die ehemaligen »Trostfrauen« zu entschädigen.

Der Fonds stieß in den betreffenden Ländern auf Kritik und Ablehnung, weil er nicht staatlich sondern privat organisiert wurde und die japanische Regierung keine eindeutige Haltung zur Verantwortung einnahm. Im September 2002 beendete der Fonds seine Tätigkeit, nachdem insgesamt nur 285 Frauen in den Philippinen, Südkorea und Taiwan Schadenersatz erhalten hatten.

Die »Trostfrauen«-Frage fand auch wiederholt internationale Resonanz. Am 6. Februar 1996 veröffentlichte die UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, Radhika Coomaraswamy aus Sri Lanka, einen Bericht zu diesem Problem. In ihrem Report an die UN-Menschenrechtskommission forderte sie die japanischen Regierung auf, ihre rechtliche Verantwortung anzuerkennen, die Opfer zu entschädigen, Dokumente und Materialien zu dieser Frage an die Öffentlichkeit zu bringen, den Opfern offiziell eine schriftliche Entschuldigung zukommen zu lassen, durch verbesserten Geschichtsunterricht das Wissen um diese Problematik zu verbreitern sowie die Täter zu identifizieren und zu bestrafen.32

Im Gegenzug organisierten im Dezember 1996 japanische Nationalisten einen Verband, um ein geschichtsrevisionistisches Schulbuch zu publizieren und verbreiten. Im April 2001 erteilte das Erziehungsministerium diesem nationalistischen Schulbuch die Genehmigung.33 Nachdem im folgenden Schuljahr 2002/2003 weniger als ein Prozent der Schülerinnen und Schüler dieses problematische Schulbuch benutzt hatten, ordneten der Gouverneur von Ehime, Moriyuki Kato, im August 2002 und der Gouverneur von Tôkyô, Shintarô Ishihara, im August 2004 an, das Buch in ihren jeweiligen Präfekturen zu verwenden. Im November 2004 kommentierte Erziehungsminister Nariaki Nakayama öffentlich, es sei zu begrüßen, dass es in den Schulbüchern in letzter Zeit weniger Wörter wie Trostfrauen und Zwangsverschleppung gebe.

Erbpolitiker - der Krebs des japanischen Parlamentarismus

Als Koizumi im April 2001 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, gab es auch in Europa optimistische Bemerkungen, Japan habe endlich einen liberalen Reformpolitiker als Regierungschef. Koizumi ist zwar Anhänger des wirtschaftlichen Neoliberalismus, aber ideologisch ist er von erzkonservativer Gesinnung.34 Seine naive Begeisterung für »selbstlose« Kamikaze-Flieger zeigt deutlich, wie unkritisch er die japanische Vergangenheit betrachtet.

Koizumi hatte versprochen, er würde die LDP zerschlagen, wenn sie sich seiner Reformpolitik verweigern würde. Daher hofften viele Menschen, dass er das Land aus seiner Widersprüchlichkeit führen könne. Seine populistische »Politik der Phrasen« hatte viel Erfolg. Ende Mai 2001 sprachen 84% der Befragten ihre Unterstützung für die Regierung Koizumi aus, selbst 70% der Wählerschaft der Kommunistischen Partei Japans (KPJ).35

Erbpolitiker wie Koizumi - schon sein Großvater und Vater waren Minister - zeigen deutlich die personelle und ideologische Kontinuität des japanischen Konservatismus. Sie haben ihre Ressentiments gegen die staatliche Ordnung der Nachkriegszeit bewahrt, weil ihre Väter oder Großväter wegen ihrer Beteiligung an der Kriegsführung nach 1945 Schwierigkeiten hatten. Sie haben auch die expansionistisch-imperialistische Denkweisen der alten Generation übernommen.

Zum Beispiel Shinzô Abe. Sein Vater war Minister. Der Großvater, Nobusuke Kishi, war Kriegsverbrecher und nach seiner Freilassung Ministerpräsident. Trotz Massenprotesten hat Kishi 1960 die Revision des japanisch-amerikanischen Militärpaktes durchgesetzt.

Shinzô Abe übte als Vizesekretär des Kabinetts zusammen mit seinem politischen Freund Shôichi Nakagawa, seinerseits selbst Erbpolitiker, auf den Fernsehsender NHK starken Druck aus, als dieser im Januar 2001 eine kritische Sendung über das Volkstribunal zur Aufarbeitung der »Trostfrauen«-Problematik ausstrahlen wollte.36 Als Ergebnis dieses Drucks »neutralisierte« NHK die ursprünglich kritische Berichterstattung: Die Zeugenaussage eines ehemaligen japanischen Soldaten, der die Anklagen der »Trostfrauen« bestätigte, und der Kernteil des Urteils, der sich auf Kaiser Hirohito bezog, wurden gestrichen.

Im Mai 2002 erklärte Abe, dass es für Japan kein Problem sei, über Kernwaffen zu verfügen, wenn sie klein seien.37 Er wurde wegen des harten Kurses gegenüber Pjöngjang sehr populär und im September 2003 zum LDP-Generalsekretär ernannt.

Abes riskante Äußerung wurde von seinem Chef, Yasuo Fukuda, nicht dementiert. Dieser sagte sogar, dass sich das japanische Volk eventuell Atomwaffen wünschen könnte. Fukudas Vater, Takeo, versuchte 1977 als Ministerpräsident, Notstandgesetze durchzusetzen.

Der Staatsminister des Verteidigungsamtes des ersten Kabinetts von Koizumi hieß Shigeru Ishiba. Der Vater des Ultrafalken war auch schon Minister gewesen. Shigeru Ishiba macht aus dem Anspruch kein Hehl, dass Japan die Wehrpflicht wieder einführen soll. Seiner Meinung nach ist die Wehrpflicht verfassungsmäßig, weil sie keine sklavenähnliche Bindung sei, die die Verfassung verbietet. Mit dem Regierungschef teilt er überdies die Meinung, dass Japan das Recht habe, einen Präventivkrieg zu führen, weil die Verfassung nicht vom Volk verlangt, bei einer Bedrohung durch einen Feind schicksalsergeben auf den Tod zu warten.

Als das Kabinett Koizumi gebildet wurde, konnte fast niemand voraussehen, dass die Erbpolitiker in der Regierung eine wichtige Rolle dabei spielen würden, das Land hoch aufzurüsten. Das Interesse der Bevölkerung konzentrierte sich damals auf die Frage, ob Koizumi endlich seine Reformpolitik durchsetzen würde.

Der neoliberale und neonationalistische Grundton der Politik Koizumis

Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre hört man in Japan immer häufiger Reden über die Notwendigkeit einer »Strukturreform«. Nach dem Platzen der »Seifenblasenwirtschaft« lag die durchschnittliche Wachstumsrate in den 1990er Jahren nur knapp über 1%. Das Ziel der »Strukturreform«: durch Entlastung der Unternehmen und Deregulierung die Wettbewerbsfähigkeit der großen Unternehmen - die im globalen Wettbewerb (great competition) gesunken ist - wieder zu erhöhen.38

Koizumi versprach, eine radikale »Reformpolitik« durchzusetzen, die angesichts der Globalisierung angeblich unvermeidlich sei. Bereits zwischen Dezember 1992 und Juli 1993 hatte er als Postminister die Initiative ergriffen, um die Post zu privatisieren.

Koizumis »Strukturreform« hat aber verschiedene Probleme. Die Industrie verlegte immer mehr Produktionsstätten ins Ausland (vor allem nach China). Das führte zum Nachlassen der lokalen Wirtschaft und zu Massenarbeitslosigkeit. 2002 wurde mit 5,4% die höchste Arbeitslosigkeit registriert. Die Deregulierung hat die früher subventionierte bzw. geschützte Landwirtschaft und Kleinhändler geschwächt.

Demgegenüber konnten die Großunternehmen Rekordgewinne verzeichnen. Zum Beispiel Toyota. Der Autokonzern hat 2004 fast 10 Milliarden Euro Profit erwirtschaftet. Er hat seit drei Jahren die Erhöhung der Löhne abgelehnt und trotz des Riesenprofits fordert der Vorsitzende von Toyata, Hiroshi Okuda, jetzt sogar eine Lohnkürzung. Die Haltung trifft nicht nur ein einzelnes Unternehmens, Okuda ist gleichzeitig Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Keidanren (Japan Business Federation).

Die »Reform« hat den gesellschaftlichen Zusammenhalt des japanischen Unternehmer-Staates beträchtlich beschädigt.39 Die Identifizierung der Bevölkerung mit »meiner Firma« wurde durch mangelnde Beschäftigungssicherheit und Lohnsenkungen fragwürdig. Im Zusammenhang damit haben sich die Unterschiede innerhalb der japanischen Gesellschaft, die ursprünglich (positiv oder negativ) ziemlich homogen war, drastisch vergrößert und gesellschaftliche Probleme wie Obdachlosigkeit, Jugendkriminalität, Selbstmord und Familienzerfall sind sehr ernst geworden.

Seit 1998 begingen in Japan mehr als 30.000 Menschen Selbstmord. Die Zahl der Selbstmörder ist vier bis fünf mal höher als die der Verkehrsunfalltoten. Mindestens 20% von ihnen sollen sich aus wirtschaftlichen Gründen das Leben genommen haben. Die mammonistische Denkweise hat sich so tief eingenistet, dass der Geist von gegenseitiger Hilfe und Solidarität verloren gegangen ist.

Nordkorea - der willkommene Erzfeind

Ein Teil der japanischen Öffentlichkeit hat den anglo-amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak unterstützt, akzeptiert oder geduldet. Die Befürworter konnten keine wesentlichen, sondern nur nebensächliche Begründungen nennen. 21% wiesen darauf hin, dass Japan im Fall Nordkorea die Zusammenarbeit mit den USA brauche. 12% begründeten ihre Unterstützung lediglich damit, dass die USA ein Bündnispartner Japans seien.40

Im September 2002 besuchte Ministerpräsident Koizumi Nordkorea. Der Pöngjang-Besuch gab Japan eigentlich die Chance, eigene Initiativen zur Friedenssicherung in Nordostasien zu entwickeln.

Diese Chance wurde aber durch eine hysterische Stimmung in Zusammenhang mit der »Entführungsfrage« vertan.41 Bei dem Gipfeltreffen gestand der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il dem japanischen Regierungschef, dass nordkoreanische Agenten in den 1970er und 1980er Jahren mehrere Japaner entführt hätten. Das hat in Japan einen kämpferischen Nationalismus ausgelöst. Die Massenmedien verbreiteten zu jedem möglichen Anlass ein anti-nordkoreanisches Feindbild. Die Diplomaten, die das Gipfeltreffen vorbereitet hatten, wurden als »Staatsfeinde« diffamiert. Die Journalisten, die in Nordkorea die dort hinterbliebenen Familienangehörigen der am 15. Oktober 2002 nach Japan zurückgekehrten ehemaligen Entführten interviewt hatten, wurden als Pjöngjangs Helfershelfer beschimpft.

Die anti-nordkoreanische Stimmung in Japan eskalierte durch Pjöngjangs eigene Politik von »brinkmanship« (am Abgrund balancieren) weiter. Am 12. Dezember 2002 hob Nordkorea die Beschränkung der Entwicklung von Atomwaffen auf. Am 10. Januar 2003 kündigte es den Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treaty = NPT).42 Am 24. April 2003 gab ein hoher Diplomat aus Pjöngjang bei einem amerikanisch-chinesisch-nordkoreanischen Treffen in Peking zu, dass das nordkoreanische Regime schon Atomwaffen besitze. Er deutete an, dass ein Atomwaffentest von der Einstellung Washingtons abhänge.

Der Fall Nordkorea liefert den japanischen Militaristen eine einmalige Rechtfertigung für die Militarisierungs- und Aufrüstungspolitik des Landes. Im November 2002 sagte der rechtspopulistische Gouverneur von Tôkyô, Ishihara, dass Japan wegen der Entführungsfrage einen Krieg gegen Nordkorea führen dürfe. Auch Politiker der jüngeren Generation, die selber keine Kriegserfahrung haben, betonen immer lauter das Recht auf Präventivkrieg und die Notwendigkeit einer atomaren Bewaffnung. Angeblich als Reaktion auf die Bedrohung durch Raketen aus Nordkorea entschied das Kabinett am 19. Dezember 2003, mit den USA ein Raketenschutzsystem (MD = Missile Defense) aufzubauen und dessen Entwicklung bis zum Haushaltsjahr 2007 anzustreben.

Die Bevölkerung hält es für denkbar, dass Nordkorea in einem Verzweiflungsakt Japan mit Atomwaffen attackieren könnte. Die relative Mehrheit glaubt, dass das Regime so gefährlich sei, dass Japan mit ihm keine diplomatischen Beziehungen aufnehmen sollte, und nicht umgekehrt, dass das Regime so gefährlich geworden sei, weil Japan mit ihm keine diplomatischen Beziehungen hat. Ein Jahr nach dem Pjöngjang-Besuch Koizumis sind 49% dagegen, mit Nordkorea diplomatische Beziehungen aufzunehmen (38% dafür).43

Auch 2004 sind die japanisch-nordkoreanischen Beziehungen recht frostig geblieben. Der zweite Pjöngjang-Besuch Koizumis vom 22. Mai 2004 führte nicht zu einer Normalisierung.

Am 8. Dezember 2004 erhob Tôkyô erneut Beschwerden gegen Pjöngjang. Es ging dabei um die sterblichen Überreste von Megumi Yokota. Megumi ist die Symbolfigur der von nordkoreanischen Agenten entführten Japaner. Sie wurde am 15. November 1977 als damals 13jähriges Mädchen verschleppt und soll sich nach nordkoreanischen Informationen im April 1994 in einem Krankenhaus das Leben genommen haben. Aber nach einer DNS-Analyse wurde deutlich, dass die Gebeine zu einem anderen Menschen gehören. Diese Täuschung hat die anti-nordkoreanische Stimmung in der japanischen Öffentlichkeit noch weiter verstärkt.

Ende 2004 unterstützen 63% der Japaner Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea (25% waren dagegen). 46% haben große und weitere 44% haben eine gewisse Angst vor einer atomaren Aufrüstung Nordkoreas.44 Das Thema Nordkorea ist in Japan inzwischen zu emotional geworden, um einen rationalen Dialog darüber zu führen.

Die USA nach den Terrorattentaten vom 11. September 2001 und Japan nach Koizumis Staatsbesuch in Nordkorea am 17. September 2002 weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Beide Nationen betrachten sich einseitig als Opfer. Sie ergeben sich dem Selbstmitleid und vergessen darüber ihre Tätervergangenheit. Der engstirnige Ethnozentrismus wird so sublimiert, dass kein Raum für eine andere Meinung bleibt. Der naive Dualismus »Wir sind gut, die anderen sind böse« ist allgegenwärtig. Das Hass- und Rachegefühl wurde so massiv geschürt, dass die Emotion die Vernunft überwältigt. Die Massenmedien haben sich freiwillig gleichgeschaltet. Die starke Staatsgewalt wird verherrlicht. Die Obrigkeit nutzt die Gesamtsituation aus, rüstet das Militär auf, bereitet sich für den Krieg vor und baut das innere Überwachungssystem aus.

Die japanischen Massenmedien reagieren auf den Regierungskurs äußerst unkritisch. Entweder sie schüren das Ressentiment gegen Nordkorea oder lenken durch Manipulation das Interesse der Bevölkerung von wichtigen politischen Themen ab. Es ist schon absurd, dass die Medien noch nicht einmal auf einen Gesetzentwurf zur Medienregulierung besonders kritisch reagierten.45

Fortschreitende Kriegsvorbereitung

Die japanische Regierung unterstützte sofort nach dem 11. September 2001 die Politik der USA und ihre Militäraktionen. In diesem Land ist das »japanisch-amerikanische Bündnis« das Zauberwort, um Gedanken an eine andere Diplomatie zu verbieten und dem »Imperium« blindlings zu folgen.46 Obwohl die Bush-Doktrin vom September 2002 (The National Security Strategy of the United States of America) mit der Absicht von Präventivkrieg und Regimewechsel den Charakter der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik grundlegend änderte, fällt Tôkyô nichts anderes ein, als die Bündnistreue zu ritualisieren.

Nachdem Bush am 7. Oktober 2001 den Afghanistan-Krieg begann, verabschiedete das japanische Parlament 22 Tage später ein Sondergesetz mit Antiterror-Maßnahmen, um den »Kampf gegen den Terrorismus« logistisch zu unterstützen. Aufgrund dieses Gesetzes wurde im Dezember 2002 ein Aegis-Zerstörer der so genannten Selbstverteidigungsstreitkräfte (Self Defense Forces = SDF) in den Indischen Ozean entsandt. Für die anglo-amerikanische Kriegsführung in Afghanistan hat Japan tatsächlich eine wichtige Rolle gespielt, weil Japan 40% des Flugbenzins für die Bombenangriffe bereitgestellte.

Auch beim Irak-Krieg unterstützte die japanische Regierung den Krieg und die Militärbesatzung der US-Amerikaner vorbehaltlos. Schon drei Tage vor Kriegsbeginn erklärte Ministerpräsident Koizumi, dass Japan die amerikanische Gewaltanwendung gegen den Irak auch ohne UN-Mandat unterstützen würde.

Nach dem Irak-Krieg wurde das Sondergesetz zur Unterstützung des »Wiederaufbaus« des Iraks am 26. Juli 2003 im japanischen Oberhaus durch eine Mehrheitsentscheidung mit Unterstützung der LDP und ihrer beiden Koalitionspartner verabschiedet. Damit wurden zum ersten Mal japanische Soldaten in ein Krisengebiet unter Verwaltung einer Besatzungsmacht entsendet.

Auf der Geberkonferenz für den Irak, die am 23. und 24. Oktober 2003 in Madrid stattfand, erklärte Japan seine Bereitschaft, insgesamt 5 Mrd. US-Dollar für den »Wiederaufbau« zu zahlen.47 Japan ist damit nach den USA (20,3 Mrd. Dollar) der zweitgrößte Geber, gefolgt von der Weltbank (3-5 Mrd. Dollar für 2004-2008) und IWF (2,5-4,25 Mrd. Dollar für 2004-2007). Dieser Betrag entspricht fast 10 Prozent der für 2004-2007 als notwendig geschätzten 55 Mrd. Dollar. Es ist mehr als 20 mal so viel wie der EU-Beitrag in Höhe von 236 Mio. Dollar für 2004. Anders als die EU interessiert sich Tôkyô wenig dafür, ob das Geld u.U. dazu verwandt wird, die Stationierungskosten der Besatzungsmächte zu decken.

Die Mehrheit der japanischen Bevölkerung ist mit dieser Regierungspolitik nicht einverstanden. Der populistische Ministerpräsident wird als Schoßhund von Bush verspottet. Nach dem Afghanistan-Krieg waren 48% der Bevölkerung gegen die Entsendung des Aegis-Zerstörers (40% waren dafür).48 Gleich nach Beginn des Irak-Krieges lehnten 59% ihn ab. 31% befürworteten ihn. 10 Tage danach vergrößerte sich die Diskrepanz (65%: 27%).49 Auch eine Soldatenentsendung in den Irak lehnte die Mehrheit ab (Tabelle 4).50

Was meinen Sie zur japanischen Soldatenentsendung in den Irak?
  Mai 03 Aug. 03 Okt. 03 Dez. 03
Ich bin dafür 33% 31% 32% 34%
Ich bin dagegen 55% 58% 55% 55%
Die enorme Finanzhilfe haben nur 32% akzeptiert (56% nicht).51

Unbeindruckt von Bedenken und Kritik seitens der Mehrheit der Bevölkerung beschloss das Kabinett am 9. Dezember 2003 die Entsendung von japanischen Soldaten in den Irak. Am 26. Januar 2004 erteilte die Regierung den Marschbefehl an das Hauptkontingent der Bodenstreitkräfte der SDF zur Unterstützung des »Wiederaufbaus« des Iraks sowie an die Seestreitkräfte zum Transport von Personal und Ausrüstung der Bodentruppen. Nun rückten japanische Soldaten de facto zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg ins Feld.

Als das Geleitschiff Murasame im Februar 2004 aus Yokosuka nach Kuwait auslief, verabschiedete es Tokuichirô Tamazawa, von Juni 1994 bis August 1995 Staatsminister des Verteidigungsamtes, mit den Worten: „Es hängt von dieser Schlacht ab, ob das Kaiserreich aufsteigt oder untergeht.“ Diese Äußerung stammt ursprünglich vom Oberbefehlshaber der Vereinigten Flotte, Heihachirô Tôgô, der im Mai 1905 die russische Flotte in der Seeschlacht bei Tsushima vernichtete. Diese Worte widersprechen der durchsichtigen Äußerung Koizumis, dass sich die SDF-Truppen keineswegs am Krieg beteiligen.

Auch dass drei japanische Zivilisten, die als NGO-Aktivisten bzw. freier Journalist vor Ort arbeiteten, im April 2004 von irakischen Aufständischen als Geiseln genommen wurden, hatte keinen Einfluss auf die Regierungspolitik.52 Die Kidnapper hatten mit der Ermordung der drei Japaner gedroht, sollte Japan seine Truppen nicht innerhalb von drei Tage aus dem Irak abziehen. Tôkyô lehnte dies sofort ab. Ministerpräsident Koizumi stellte lautstark klar, dass sich Japan nicht den Forderung der Entführer beugen werde.

Die Geiselopfer wurden eine Woche später freigelassen. Als sie gegen ihren Willen kurz danach im Heimatland ankamen, machten sie einen verängstigten Eindruck. Von der Regierung und den regierungsfreundlichen Massenmedien wurden die Geiselopfer samt ihren Familienangehörigen als »Landesverräter« und »Nestbeschmutzer« verleumdet. Es wurde sogar behauptet, das Geiseldrama sei von ihnen selbst inszeniert worden.

Als wenige Wochen später, im Mai 2004, zwei japanische Journalisten von den irakischen Aufständischen ermordet und als im Oktober 2004 der 24-jährige Shôsê Kôda enthauptet wurde, zeigte der japanische Premier keinerlei Betroffenheit.

Auch nachdem offensichtlich wurde, dass der anglo-amerikanische Angriff gegen den Irak unbegründet war, betreibt Premier Koizumi eine unglaubliche Sophisterei, um ihn zu rechtfertigen. Besonders verblüffend war seine Äußerung im Parlament im November 2004, wonach das Gebiet, in dem die SDF-Truppen tätig sind, Nichtkampfgebiet sei, obwohl bereits Granaten im Lager der SDF in Samawa eingeschlagen waren.

Am 9. Dezember 2004 schließlich beschloss Kabinett, dass die im Irak stationierten SDF-Truppen vorerst bis zum 14. Dezember 2005 bleiben sollen. Premier Koizumi hat keinerlei Bedingungen für einen Rückzug genannt.

Die Mehrheit der Bevölkerung bleibt gegenüber der Verlängerung des SDF-Einsatzes im Irak sehr skeptisch.53 In dieser Frage ist Ministerpräsident Koizumi nach Ansicht von 76 % der von der Asahi Shimbun befragten Personen seiner »Erklärungspflicht« nicht nachgekommen.

Trotzdem oder deshalb gelang es dem Kabinett Koizumi, auch innenpolitisch wichtige Gesetze zur Kriegsvorbereitung, die früher völlig unmöglich schienen, rasch durch das Parlament zu bringen. Im 2003 bewilligte das Oberhaus ein Medienregulierungsgesetz. Im Namen von »Datenschutz« und »Schutz der Menschenrechte« ist die für die Staatsgewalt unangenehme Informationsbeschaffung deutlich schwieriger geworden.

Im Juni 2003 passierten die Notstandgesetze das Oberhaus. Sie ermöglichen bereits bei Annahme eines Eventualfalls die Aussetzung von Freiheits- und Menschenrechten sowie die Errichtung einer Militärregierung durch den Ministerpräsidenten. Widerstand gegen die Regierung wird hart bestraft.

Ministerpräsident Koizumi besucht weiterhin den Hort des japanischen Militarismus, den Yasukuni-Schrein. Dieser Schrein verherrlicht die Kriege Japans als heilig und die Gefallenen samt Kriegsverbrecher als »heilige Helden«. Obwohl er beim ersten Besuch vom August 2001 heftige Kritik und tiefes Misstrauen aus dem In- und Ausland erntete, besuchte er ihn im April 2002, im Januar 2003 und im Januar 2004 erneut. Es geht dabei nicht nur um die revisionistische Geschichtspolitik. Die japanische Obrigkeit pflegt ihre Ehrerbietung für die »für das Vaterland« gefallenen Soldaten, damit dieser Seelentrost auch künftigen Opfern winkt. Die Regierung rechnet schon damit, dass von künftigen Truppenentsendungen ins Ausland zahlreiche Soldaten als Gefallene rücktransportiert werden.54

Laut der Zeitung Asahi Shimbun vom 30. November 2004 sind die Lager der Befürworter und Gegner des Yasukuni-Besuches Koizumis zahlenmäßig ungefähr gleich groß (38%: 39%). Es ist bemerkenswert, dass von den 20-29-Jährigen und den über 70-Jährigen mehr als 40% die Handlung Koizumis unterstützen. Hieran sieht man den Erfolg der Geschichts- und Schulpolitik der Ewiggestrigen (Tabelle 5).55

Es ist offensichtlich, dass der Wissensstand der jungen Generation über die Geschichte ziemlich miserabel ist. Bei den 20-30-jährigen ist es einerseits eine Selbstverständlichkeit, in einer Wirtschaftsgroßmacht zu leben; andererseits aber empfinden sie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität nach dem Platzen der »Seifenblasenwirtschaft« als ziemlich frustrierend. Sie sind irritiert, dass Japan ihrer Meinung nach nicht richtig behandelt und von den »unterentwickelten« Asiaten herabgesetzt wird. Offensichtlich ist dabei die Gefahr, dass sie von der nationalistisch-chauvinistischen Propaganda leicht beeinflusst und für einen Krieg mobilisiert werden.

Drang nach Atomwaffen?

Japan baut unbeachtet der Verfassung seine Rüstung aus. Nach Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI liegt das Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg als »Friedensstaat« seinen Neuanfang geschworen hatte, nun auf Rang 2 bezüglich der Militärausgaben; hinter den USA und vor Großbritannien, Frankreich und China.

Auch in den USA gibt es Stimmen, die sich für eine atomare Bewaffnung Japans aussprechen. So schrieb der neokonservative Publizist Charles Krauthammer im Januar 2003, Japan könne nicht lang ein atomar aufgerüstetes Nordkorea tolerieren. Wenn China nicht auf Pjöngjang Druck macht, den Marsch zur Atommacht zu stoppen, sollten die USA jeden japanischen Versuch unterstützen, ein eigenes atomares Abschreckungsarsenal zu schaffen. Wenn ein atomares Nordkorea für die USA ein Alpdruck wäre, sei ein atomares Japan für China ein Alpdruck. Es sei Zeit, die Alpdrücke zu teilen.57

Der Präsident der japanischen Wehrhochschule (Japan"s National Defense Academy), Masashi Nishihara, entwickelte ähnliche Gedanken.58 Würden die USA mit Nordkorea einen Nichtangriffsvertrag abschließen, so würde das dem US-japanischen Sicherheitsvertrag widersprechen, was eventuell eine atomare Aufrüstung Japans rechtfertigen könnte. Selbst wenn Pjöngjang auf Atomwaffen verzichte, bliebe dennoch die Gefahr eines Bio- und Chemiewaffenangriffs auf Japan weiter bestehen. Die USA wären auf Grund des Nichtangriffsvertrag mit Nordkorea nicht mehr in der Lage, Japan zu verteidigen, d.h. Japan könnte sich nicht mehr auf den Militärpakt mit den USA verlassen. Zur Abschreckung Nordkoreas müsste sich Japan also eventuell zur atomaren Aufrüstung entschließen.

Am 5. August 2003 billigte das Kabinett das »Verteidigungsweißbuch 2003«, das vom Staatsminister des Verteidigungsamtes, Shigeru Ishiba, vorgelegt worden war. In Bezug auf die künftige Wehrfähigkeit Japans betont das Weißbuch die Notwendigkeit, dass die Fähigkeiten, auf Terrorismus und Raketenangriffe antworten zu können, verbessert werden müssten. Das Weißbuch legt dar, dass Japan der Militärstrategie der einzigen Supermacht, der USA, weiter folgen solle und schlägt vor, sich an der amerikanischen Raketenabwehr zu beteiligen, aktiv Soldaten ins Ausland zu entsenden und ein ständiges Gesetz zu schaffen, das die Entsendung von SDF-Truppen ins Ausland erlaubt.

Im April 1967 hatte der Premier Eisaku Satô drei Prinzipien zum Waffenexport erklärt:

  • Japan exportiert keine Waffen an kommunistische Länder
  • Japan exportiert keine Waffen in Länder, in die Waffenlieferungen aufgrund der UN-Resolution verboten sind
  • Japan exportiert keine Waffen an (eventuelle) Parteien internationaler Konflikte.

Im Februar 1976 hatte Ministerpräsident Takeo Miki angeregt, den Waffenexport weiter zu drosseln. Am 10. Dezember 2004 hat die japanische Regierung beschlossen, diese Prinzipien zu lockern.

Um das Totalmobilisierungssystem durchzusetzen, steht ein neues Erziehungsrahmengesetz auf der Tagesordnung in der Hoffnung, dass junge Männer dann willig ihr Leben für den Staat opfern würden. Bei manchen Schulen wird im Zeugnis vermerkt, ob der/die SchülerIn patriotisch genug ist. Das Nachkriegscredo »Nie wieder Krieg!« hat in Japan offenbar keine Relevanz mehr.

Entwicklungshilfe im nationalen Interesse

Die staatliche Entwicklungshilfe Japans hat seit 1954 ihre eigene Geschichte: Sie war ursprünglich ein Ersatz für Kriegsreparationen.59

Der japanische Beitrag für Entwicklungshilfe belief sich 2001 auf 9,847 Mrd. US-Dollar. Das entsprach 19% der gesamten Beitragssumme aller Industriestaaten und 0,23% des japanischen Bruttosozialprodukts.60

Im selben Jahr stellte Japan für bilaterale Hilfe insgesamt 7,452 Mrd. Dollar bereit. Der größte Empfänger war Indonesien (860 Mio. Dollar), gefolgt von der Volksrepublik China (686 Mio. Dollar) und Indien (529 Mio. Dollar).61

Die japanische Entwicklungshilfe weist allerdings mehrere strukturelle Probleme auf. Erstens dient sie weniger zur Bekämpfung der Armut als der eigenen Exportoffensive.62 Sie wurde zweitens als Instrument benutzt, um die proamerikanisch-projapanischen Militärdiktaturen in Südkorea, den Philippinen, Indonesien und Birma zu unterstützen. Drittens werden manche Entwicklungshilfe-Projekte forciert, um japanischen und indonesischen Politikern und Bürokraten Bau- und Beratungsaufträge zugute kommen zu lassen, während die Existenzgrundlage der Einwohner dadurch gefährdet oder sogar vernichtet wird. Ein typisches Beispiel ist der Koto-Panjang-Damm in Indonesien, der 1996 auf der Insel Sumatra gebaut wurde.63

Um der Kritik entgegenzutreten, die japanische Entwicklungshilfe sei ideenarm und auf den eigenen Vorteil orientiert, erließ Tôkyô im Juni 1992 die »Richtlinien für öffentliche Entwicklungshilfe« (Official Development Assistance Charter). Sie verkündeten immerhin in ihrer Einleitung, dass die internationale Gemeinschaft nicht übersehen darf, dass in den Entwicklungsländern, die den größten Teil der Welt bilden, noch viele Menschen Hunger und Armut leiden.

Dieser humanitäre Gesichtspunkt ist inzwischen in den Hintergrund getreten. Im August 2003 beschloss das japanische Kabinett neue Richtlinien für die staatliche Entwicklungshilfe.64 Sie betonen unverkennbar den Nutzen der Entwicklungshilfe als ein dem »nationalen Interesse« dienendes Instrument. Erstes Ziel der Entwicklungshilfe ist es demnach, „zum Frieden und der Entwicklung der internationalen Gemeinschaft beizutragen und dadurch dem Erhalt der Sicherheit und des Wohlstandes unseres Landes zu dienen.“

Dieser Kurswechsel entspricht dem Wunsch der USA. Der amerikanische Botschafter, Howard H. Baker Jr., hatte schon zuvor appelliert, dass die USA und Japan bei der Entwicklungshilfe zusammenarbeiten sollten, um den Nährboden des Terrorismus auszutrocknen.65 Die beiden Länder seien verpflichtet, die Länder, die noch keine »gute Regierung« (good government) hätten, durch Entwicklungshilfe darauf hin zu orientieren.

Nun hat Japan offensichtlich die Absicht, Entwicklungshilfe als strategisch-machtpolitisches Mittel zu nutzen, um im Namen der »nationalen Interessen« dem globalen Kapital zu dienen. Das Stichwort ist »Friedensbildung« (Peace Building). Gemäß den neuen Richtlinien kann Entwicklungshilfe für aktive Interventionen in Konflikte eingesetzt werden. Das reicht von Maßnahmen zur Beendigung eines Konflikts über die Hilfe zur Friedensstabilisierung bis zum Wiederaufbau des Landes nach Beendigung eines Konflikts.

Die japanischen Steuergelder können folglich in der Konfliktregion dazu genutzt werden, durch Ausbau von Militär, Polizei und Spezialeinheiten sowie durch Einkauf von Waffen und Munitionen direkt die »Bekämpfung des Terrorismus« zu unterstützen. Als Beispiel werden Afghanistan, Aceh (Indonesien) und Mindanao (Philippinen) genannt.

Mit den neuen Richtlinien zielt die japanische Regierung darauf ab, auch in Zentralasien und im Kaukasus zu intervenieren. Die Öl- und Gasfelder in diesen Regionen sind sehr attraktiv. Immer mehr japanische Unternehmen beteiligen sich dort an der Erschließung der Energiequellen und am Bau der neuen Öl- und Gaspipelines. Das ist das »nationale Interesse«, das die neuen Richtlinien betonen.

Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat?

Im September 2004 erklärte der japanische Ministerpräsident Koizumi vor der UN-Vollversammlung, dass sich Japan einen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat wünscht. Am selben Nachmittag hatte er mit dem deutschen Außenminister Joschka Fischer, Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva und dem indischen Premier Manmohan Singhdem einen demonstrativen Händedruck vollzogen.

Japan scheint im wesentlichen vier Ziele zu verfolgen.

  • Die Streichung der Formulierungen von »Feindstaaten« aus der UN-Charta (Artikel 53 und 107). Es ist verständlich, dass Japan wie Deutschland es schon längst als ungerecht empfinden, als ehemalige Feindstaaten behandelt zu werden.
  • Finanzfairness. Japan ist der zweitgrößter Beitragzahler der UN. 2004 betrugt der UN-Haushalt etwa 1,5 Mrd. US-Dollar. Japan (19,5%) trägt wie Deutschland (8,7%) mehr zum Funktionieren der Weltorganisation bei als vier der fünf Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Das uralte Verfassungsprinzip »Keine Steuer ohne Stimmrecht« muss aus Sicht Japans endlich auch für die Weltorganisation gelten.
  • Bruch des Informationsmonopols. Die Ständigen Mitglieder monopolisieren verschiedentlich Informationen. Japan fühlt sich hierdurch benachteiligt bei multinationalen Verhandlungen.
  • Mit dem Vetorecht eines Ständigen Mitgliedes will Japan seine Souveränität deutlicher zeigen.

Es fehlt aber eine Vision, was Japan als Ständiges Mitglied für die Weltgemeinschaft beitragen will. Hier ist es geboten, dies anhand der drei wichtigen Funktionen der UN zu überdenken. Erstens: Zusammenarbeit und Aktionen für den Erhalt von Frieden und Sicherheit; zweitens: einen Beitrag leisten zur Besserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage; und drittens: Verbreitung universeller Normen und Werte.

Selbstverständlich ist, dass Japan bei den beiden letztgenannten Aspekten Spielraum für einen eigenständigen Beitrag hat. Trotz der andauernden ökonomischen Flaute ist Japan immer noch eine Wirtschaftsgroßmacht. Seine Technologie ist Weltspitze. Japan kann seine Ressourcen vorzüglich zur Armutsbekämpfung, für Umweltschutz oder Gesundheitsfürsorge einsetzen. Trotz aller Vorbehalte ist Japan berechtigt, der nicht-okzidentalen Welt seine Errungenschaften bei universellen Normen wie Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte und Demokratie zu zeigen.

Es wäre auch nicht bedeutungslos, sollte die einzige »Atombombenopfernation« in der UN eine Führungsrolle übernehmen. Die Ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat besitzen heute ausnahmslos Atomwaffen. Will die UN die weitere Ausbreitung der Atomwaffen mit größerer Legitimität verhindern, sollten Nicht-Atomwaffen-Mächte unter den neuen ständigen Sicherheitsratsmitgliedern vertreten sein. Als diejenige Organisation, die für den Weltfrieden große Verantwortung trägt, ist der Sicherheitsrat heute unausgewogen. Japan ist nicht nur Nicht-Atommacht, sondern auch das einzige Land, auf das Atombomben abgeworfen wurden. Die japanische Anti-Atombewegung, die nach dem amerikanischen Wasserstoffbombenversuch im Bikini-Atoll 1954 aktiv wurde, hat weltweite Bedeutung.66 Seit 1945 hat Japan (zumindest offiziell) keine kriegerische Auseinandersetzung geführt. Es ist weiterhin bemerkenswert, dass das Land seine Position als Wirtschaftsmacht ausschließlich durch die Zivilindustrie erreicht hat. Japan hat sich Jahrzehnte lang untersagt, vom Waffenexport zu profitieren.

Es scheint aber trotz dieser Tatsachen unwahrscheinlich, dass die japanische Regierung dieses politisches Kapital nutzen will. Statt dessen hat Japan durch den Militärpakt mit den USA den Charakter eines »Friedensstaates«, den es nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 der Weltöffentlichkeit geschworen hatte, systematisch unterminiert.

Japans Position in Nordostasien

Japans Außenpolitik nach 1945 zeichnet sich durch drei Charakteristika aus. Erstens: Japan hat immer noch keine Versöhnung mit seinen Nachbarstaaten und ehemaligen Kriegsgegnern erreicht. Zweitens: Die japanische Diplomatie orientiert sich ausschließlich auf Washington und hat wenig Interesse an regionaler Integration. Drittes: Japan ist dem »Imperium« gegenüber ein treuer Vasall. Deshalb kling es nicht sehr überzeugend, wenn Tôkyô von der Partnerschaft mit Asien spricht.

Beim Gipfeltreffen Japan-ASEAN (Association of South East Asian Nations) im Dezember 2003 in Tôkyô erklärte der japanische Premier seine Bereitschaft, einen Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit in Südostasien zu unterschreiben.67 China und Indien sind diesem schon beigetreten. Der Vertrag schreibt die friedliche Lösung von Konflikten und den Verzicht auf die Anwendung von militärischer Gewalt fest.

Um Vertrauen auf einer gleichberechtigten Grundlage aufzubauen, muss Japan verschiedene Probleme angehen.

  • Japan muss seine Vergangenheit aufarbeiten. Um Versöhnung mit den anderen asiatischen Völkern zu erreichen, muss es die Fehler der Expansionspolitik aufrichtig einräumen und die Kriegsschuld anerkennen.
  • Trotz aller Sophistereien Koizumis widerspricht die Truppenentsendung in den Irak ganz offensichtlich dem Grundsatz der friedlichen Lösung von Konflikten. Die Militarisierungsphänomene in Japan stiften Unsicherheit bei seinen Nachbarstaaten.
  • Japan sollte bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit anderen Ländern auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit Rücksicht nehmen. Es darf auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass seine Absicht doch nur darin besteht, seine hegemoniale Wirtschaftssphäre auszubauen.

Die Transformation der US-Streitkräfte und Japan

Im Oktober 2000 legte das Institute for National Strategic Studies bei der US-amerikanischen National Defense University den Bericht vor: »Die USA und Japan: Auf dem Weg zu einer reifen Partnerschaft« (The United States and Japan: Advancing Toward a Mature Partnership). Hier wird die anglo-amerikanische »special relationship« als Modell für die japanisch-amerikanische Allianz genannt. Richard L. Armitage, Vize-Außenminister der ersten Bush-Administration, war Hauptautor dieses Berichts.

Im August 2004 kündigte US-Präsident George W. Bush einen weitreichenden und weltweiten Umbau der US-Streitkräfte an. 60.000 bis 70.000 Soldaten, die heute noch in Europa oder in Südkorea stationiert sind, sollen in den kommenden Jahren in die USA verlegt werden. Mit ihnen werden rund 100.000 Familienangehörige und Zivilangestellte in die USA zurückkehren.

Das bedeutet aber nicht, dass auch Japan, vor allem Okinawa, durch die Transformation der US-Streitkräfte von US-Militärstützpunkten entlastet wird, ganz im Gegenteil. Dies ergibt sich aus den »Neuen Richtlinien zur nationalen Verteidigung« und dem »Mittelfristigen Verteidigungsprogramm"«, welche das japanische Kabinett im Dezember 2004 bestätigte. Sie setzen die Politik einer „multifunktionalen, flexiblen und effektiven Verteidigung“ fort, um auf neue Bedrohungen wie Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ballistische Raketen reagieren zu können.

Als Ziel der Sicherheit Japans definieren die Neuen Richtlinien „die Bekämpfung direkter Bedrohungen für Japan und die Verbesserung des internationalen Sicherheitsumfelds.“ Sie heben hervor, dass „Japan dieses Ziel, basierend auf der grundlegenden Aussage des japanisch-amerikanischen Sicherheitsbündnisses, u.a. durch die weitere Vertiefung der engen Zusammenarbeit mit den USA und die Schaffung eines effizienten Verteidigungspotentials, erreichen wird.“

Das bedeutet praktisch, dass Japan die Strategie der USA vorbehaltlos übernimmt und mitträgt. Zur „Verbesserung des internationalen Sicherheitsumfelds“ sollen SDF-Truppen weltweit vorrücken können, wenn die USA dies verlangen. Die US-Streitkräfte und die SDF-Truppen werden sich de facto vereinen und ihre Militärbasen eventuell gemeinsam nutzen.

Das gewaltige Erdbeben vor der Küste der indonesischen Insel Sumatra und die anschließende Tsunami-Katastrophe nutzte Japan, um die bislang größte Truppenentsendung von fast 1.400 Mann zu realisieren. Damit sind zum ersten Mal Land-, Luft- und Seestreitkräfte gemeinsam im Ausland im Einsatz. Sie sind aber keine reine Rettungsmission. Ihr Kommando befindet sich in Utapao (Thailand), wo auch die USA ihr Kommando haben.

Japan hegte schon lange den Wunsch, Truppen nach Indonesien zu schicken, das als Teil des »Bogens der Instabilität« betrachtet wird. Indonesien ist das Land, das bislang die größte Entwicklungshilfe von Japan erhalten hat. Ein Drittel des Erdgases, das Japan importiert, kommt von dort. Die Tanker mit dem Erdöl, das Japan aus dem Nahen Osten einführt, fahren durch die Malakkastraße.

Durch diese Region führt für Japan somit ein wichtiger Seeweg. Der Arbeitgeberverband Keidanren hat im Januar 2005 diese »Sea Lane« als die Lebensader unseres Landes bezeichnet und im gleichen Atemzug vorgeschlagen, den Verfassungsartikel 9 zu ändern, um SDF-Truppen ins Ausland schicken zu können. Die gegenwärtige SDF-Entsendung nach Indonesien kann also durchaus als Vorstufe von häufigeren Überseeaktivitäten betrachtet werden.

Vorwärts in die Vergangenheit? - Verfassungsvorschläge der LDP

Wie zu Beginn erwähnt, zeigt die Mehrheit der japanischen Bevölkerung Verständnis für eine Verfassungsänderung. Als Grund nennen die meisten (26%), dass sie in der heutigen Verfassung neue Rechte wie Umweltschutz und Privatsphäre vermissen. 14% wünschen sich eine »eigenständige Verfassung«.

Was den Verfassungsartikel 9 anbelangt, wollen 67% der Frauen ihn beibehalten, während 40% der Männer ihn ändern wollen. Zwischen den Generationen gibt es keinen wesentlichen Unterschied: etwa 60% wollen den Artikel 9 beibehalten und etwa 30% ändern.

Es ist kaum verwunderlich, dass die LDP versucht, die herrschende politische Stimmung auszunutzen, um ihr lang gehegtes politisches Ziel einer Verfassungsänderung endlich zu erreichen. Im November 2004 veröffentlichte der innerparteiliche Ausschuss die »Vorschläge zum Grundriss des Entwurfs einer Verfassungsänderung«. Der Vorsitzende des Ausschusses ist Gen Nakatani. Er war vom April 2001 bis September 2002 Staatsminister des Verteidigungsamtes.

Diese LDP-Vorschläge zielen darauf ab, SDF-Truppen zu jeder Zeit ins Ausland schicken zu können und eine Militärmacht Japan zu etablieren. Die Vorschläge messen dem Staat nicht nur ein individuelles, sondern auch ein kollektives Verteidigungsrecht zu, das die Regierung bisher immer als verfassungswidrig erklärt hat. Das japanische Militär soll sich aktiv an internationalen Militäreinsätzen beteiligen können. Um Widerstand gegen diese Politik der Militarisierung zu verhindern sollen die Bürgerrechte eingeschränkt werden. Gleichzeitig soll der Staat insgesamt autoritärer ausgerichtet werden. Dazu gehört:

  • dass wesentliche Entscheidungsbefugnisse vom Kabinett auf den Ministerpräsidenten übertragen werden,
  • dass das Oberhaus durch ein Ernennungssystem de facto machtlos wird,
  • dass der Kaiser wieder im patriachalischen Sinne souveräner Monarch wir,
  • dass sich Familie und Erziehung stärker an den traditionellen Werten - wie z.B. Vaterlandsliebe - orientieren.

Früher sprach die LDP von »Umweltrecht«, »Recht auf Privatsphäre« oder »Direktwahl des Ministerpräsidenten«, um möglichst breite Schichten der Bevölkerung für die Verfassungsdebatte zu gewinnen. In diesen Vorschlägen für eine Verfassungsänderung wird allerdings ihre wahre reaktionäre Grundposition sichtbar.

Als öffentlich wurde, dass Nakatani bei seiner »Verfassungsarbeit« von einem SDF-Offizier beraten wurde, hat die LDP ihre Vorschläge vorerst zurückgenommen. Die Partei ist aber weiterhin bereit, in der Verfassungsfrage mit der Demokratischen Partei einen Kompromiss einzugehen. In der größten Oppositionspartei gibt es, wie bereits erwähnt, ebenfalls genügend rechte Kräfte, die an einer grundlegenden Änderung der gültigen Verfassung interessiert sind.

Für die englische »Financial Times« ist der japanische Nationalismus schrill genug, um die Nachbarn des Landes zu beunruhigen. Für sie nehmen heute mehr und mehr japanische Politiker patriotische Themen auf, die früher Spezialgebiete der exzentrischen Rechten waren. Die pazifische Macht, die bereit sei, die Augen vor der ekelhaften Seite des japanischen Nationalismus zu verschließen, seien ironischerweise die USA, diejenige Nation, die Japan im Krieg besiegte und Japan eine pazifistische Verfassung diktiert habe. Japan und die USA kooperierten in der Annahme, dass die unmittelbare Gefahr aus Nordkorea und die langfristige Bedrohung aus China komme.68

Neue Tendenzen in der japanischen Friedensbewegung

Einen Tag nach Beginn des anglo-amerikanischen Angriffs gegen den Irak haben sich in Japan 50.000 Menschen an der Protestdemonstration gegen den Angriff beteiligt. Die Friedensbewegung in Japan war plötzlich wieder da. Am 15. Februar 2003, dem internationalen Aktionstag gegen den Irakkrieg, hatten in diesem Land nur 7.000 demonstriert.

Es war neu für Japan, dass vor allem junge Leute, oft Ehepaare mit Kindern, demonstrierten, die versuchten, den Aktionen einen optimistischen Charakter zu geben. Statt von Antikriegsdemonstration war von »Peace Parade« oder »Peace Walk« die Rede. Aber gegen diese »harmlosen« Friedensdemonstranten gibt es inzwischen zahlreiche Provokationen und Gewaltakte von Seiten der Polizei. Auch erleben wir immer mehr Willkürmaßnahmen gegen Friedensaktivisten.

Neben den Friedensdemonstrationen gibt es auch verschiedene langfristig angelegte Friedenskampagnen, wie z. B. die »Unverteidigte Orte«-Bewegung. »Unverteidigte Orte« ist ein Begriff aus Artikel 59 des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zum Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Zusatzprotokoll I).69 Die Initiatoren wollen den Frieden von unten erzielen.

Die erste Unterschriftenaktion zur Petition für eine »Erklärung zu einer atomfreien und unverteidigten Stadt« fand in der Stadt Ôsaka statt. 53.657 Bürger unterschrieben die Petition an das Stadtparlament, doch dieses lehnte die Petition mit großer Mehrheit ab (13: 75).

Die »Unverteidigte Orte«-Bewegung gibt es in zahlreichen japanischen Städten, obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, dass solch eine Petition von einem Parlament angenommen wird.

Ein weiteres Beispiel ist der »Verein für den Verfassungsartikel 9«, der im Sommer 2004 gegründet wurde.70

Im Gründungsaufruf des »Vereins für den Verfassungsartikel 9« vom Juni 2004 heißt es: „Aufgrund der Lehre des 20. Jahrhunderts und angesichts der heutigen Zeit, in der der Kurs des 21. Jahrhunderts festgelegt wird, ist es wiederum offensichtlich, wie wichtig der Verfassungsartikel 9 als Grundlage der Diplomatie ist. Es wird gefordert, aufgrund des Verfassungsartikels 9 Freundschaft und Zusammenarbeit mit den anderen Völkern vor allem in Asien zu vertiefen, eine Diplomatie, die nur im Militärbündnis mit den USA seine Priorität sieht, umzustellen und im Strom der Geschichte mit eigener Initiative realistisch zu handeln. Gerade der Verfassungsartikel 9 ermöglicht für dieses Land (Japan) friedliche Diplomatie, welche die Position anderer Länder respektiert und wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit möglich macht.“ Die neun Gründungsmitglieder appellierten damit an die Öffentlichkeit und an jeden Einzelnen, für eine friedliche Zukunft von Japan und der Welt, in diesem einen Punkt die japanische Verfassung zu verteidigen.

Innerhalb eines halben Jahres nach der Gründung des »Vereins für den Verfassungsartikel 9« wurden 1.000 entsprechender Gruppierungen gegründet. Es gibt z.B. einen »Verein der Bibliothekare für den Verfassungsartikel 9«, einen »Verein der Bankangestellten für den Verfassungsartikel 9«, einen Verein der Filmmacher, der Frauen usw. usf.

Schlussbetrachtungen

Japan versucht offensichtlich, im Zeitalter der Globalisierung der Hegemonialmacht USA gehorsam zu folgen. Einer Globalisierung, die »Freiheit und Demokratie« propagiert und bei der es um »freien Handel und freie Märkte« geht, die vor allem im Interesse eines Teils der multinationalen Unternehmen liegt und in der die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Die USA sind bereit in diesem Globalisierungsprozess zur Sicherung ihrer Interessen militärische Gewalt anzuwenden - auch ohne Rücksicht auf das Völkerrecht, wie der Irakkrieg zeigt. Und Japan steht im Prozess der wirtschaftlichen und militärischen Globalisierung eindeutig an der Seite des »Imperiums«.

Das führt zu Beunruhigungen in den Nachbarländern. So schreibt die südkoreanische Tageszeitung Han"gyòre in ihrem Leitartikel vom 11. Dezember 2004, Japan verfolgt seine alte imperialistische Militärstrategie jetzt unter den neuen Rahmenbedingungen des US-japanischen Militärpaktes. Die Südkoreaner sind mit Sicherheit nicht die einzige Nation, die vor einer »entfesselten Militärmacht Japan« Angst haben.

Wird Japan aber tatsächlich zu einem Kriegsstaat? Einer der neun Initiatoren des »Vereins für den Verfassungsartikel 9«, Shûichi Katô, schrieb schon 1958 selbstironisch: „Die Japaner sind eine Nation, die immer wieder unermüdlich die Frage stellt: Was sind die Japaner?«71 Der Autor wies darauf hin, dass die Japaner diese Fragestellung wiederholen, weil sie selber nicht klar wissen, was sie als Nation wollen. „Während sie sich den Frieden wünschen, tolerieren sie, dass eine politische Partei, die trotz der Verfassung die Wiederbewaffnung vorantreibt und offene Aufrüstung durch eine Verfassungsänderung beabsichtigt, bei jeder allgemeinen Wahl die Mehrheit gewinnt“

Die zweideutige Einstellung der Bevölkerung ermöglicht es, dass das pazifistische Prinzip der Verfassung Schritt für Schritt ausgehöhlt wird. Die Gefahr ist real, dass Japan in nächster Zukunft seine Verfassung ändert und dann auch zu einer militärischen Großmacht wird.

Okinawa - Spielball von Militärstrategen?

Eine Ausstellung des Deutsch-Japanischen Friedensforums

Die Ausstellung zeigt mittels Fotos und Videos die Geschichte Okinawas vom friedlichen, waffenlosen Königreich Ryukyu zu einem der bedeutendsten Militärstützpunkte der USA in der Gegenwart.

Das Königreich Ryukyu verzichtete im 15. Jahrhundert bewusst auf militärische Macht und entwickelte sich zum Zentrum eines weitgespannten Handelsnetzes in Südostasien. 1609 wurde es gegenüber den Fürsten von Satsuma in Südjapan tributpflichtig und schließlich 1879 zur japanischen Präfektur Okinawa. Nach der Besetzung durch die US-Streitkräfte und der Kapitulation Japans 1945 bauten die Amerikaner Okinawa zu einem Luftwaffenstützpunkt aus. Durch den Sicherheitsvertrag zwischen den USA und Japan wurde Okinawa 1972 wieder eine japanische Präfektur; an seinem militärischen Status änderte sich jedoch nichts. Bis heute dient Okinawa als Ausgangsbasis für US-Kriegseinsätze, wie z.B. in Korea, Vietnam und am Golf und für Aufklärungsflüge über China.

Seit Kriegsende gibt es Proteste der einheimischen Bevölkerung gegen die Militärstützpunkte. Die Ausstellung zeigt die Gründe dafür auf und verdeutlicht die Gefahren für die Menschen, die vor allem Opfer von Verbrechen und Umweltbelastungen werden. Die Gegner der Militärstützpunkte befürchten, dass die Okinawaner durch die Unterstützung von militärischen Aktionen der USA in Ostasien von Komplizen zu Opfern werden könnten.

Es werden ökonomische und ökologische Projekte für die alternative Nutzung der Stützpunkte vorgestellt, die die Ausstellungsbesucher anregen sollen, am Beispiel Okinawas über unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Konzepte des Zusammenlebens nachzudenken.

  • Technische Angaben: 47 Tafeln 95 x 95 cm mit Ausstellungssystem, wetterfestes Banner mit Hinweis auf die Ausstellung, Okinawa-Löwe aus Ton, Videofilme, Musik-CDs, Plakat, Katalog mit fast allen Tafeln.
  • Die Ausstellung kann unter www.djf-ev.de betrachtet und im Original ausgeliehen werden. Kontakt: Hans-Peter Richter, E-Mail: A-HPR@t-online.de

Anmerkungen

1) Playing with fire. Japan´s ruling party wants to inject patriotism into schools, in: The Economist, January 22, 2005, S. 62.

2) Vgl. Eiichi Kido, Der »Friedensstaat« Japan auf dem Weg zur Kriegsbereitschaft. Über die widerspruchsvolle Koexistenz der japanischen Verfassung und der Sicherheitsallianz mit den USA, in: Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft, Vol. 10, 2003, S. 191.

3) Dabei verwendete Nishimura für »Staat« nicht den neutralen Begriff kokka, sondern o-kuni, was man übersetzen könnte als »geheiligter Staat« oder »ehrenwerter Staat«. Und man sollte nicht außer Acht lassen, dass eine Änderung des Erziehungsrahmengesetzes auch auf die Leugnung eines universellen Rechts auf Erziehung und statt dessen auf eine neoliberal-sozialdarwinistisch elitenorientierte Schulerziehung zielt. Shumon Miura, von April 1985 bis August 1986 Staatsminister des Kulturamtes, sagte ganz offen, dass es ausreiche, wenn man weniger Begabte zu einem einfachen und simplen Geist erziehe.

4) Zum Wortlaut der japanischen Verfassung siehe Wilhelm Röhl, Die japanische Verfassung, Frankfurt a.M./Berlin 1963.

5) Asahi Shimbun, 1. Mai 2004.

6) In dieser Studie bleiben allerdings aus Platzmangel die Verhältnisse in Okinawa, wo sich die Probleme der Militarisierung konzentriert darstellen, kaum erwähnt.

7) Eiichi Kido, Der »Friedensstaat« Japan auf dem Weg zur Kriegsbereitschaft, a.a.O.

8) Benjamin Fulford, The Iron Kleptocracy. The Sun Never Rises Again, Tôkyô 2004.

9) http://de.wikipedia.org/wiki/Kleptokratie

10) Vgl. Zygmunt Bauman, Flüchtige Moderne, Frankfurt a.M. 2003.

11) Vgl. Tetsurô Katô, Der Neoetatismus im heutigen Japan, in: Prokla, Heft 66, März 1987, S.101f.

12) Kokuminsei Nanakakoku Hikaku (Sieben-Länder-Vergleich im Nationalcharakter), Tôkyô 1998, S.204.

13) The Institute of Statistical Mathematics, A Study of the Japanese National Character. The Tenth Nationwide Survey, March 1999, p.143.

14) Ebenda, S.144.

15) Asahi Shimbun, 2. November 2003

16) Vgl. Eiichi Kido, Der »Friedensstaat« Japan auf dem Weg zur Kriegsbereitschaft, a.a.O., S. 198-200.

17) Sekai no Kuni Ichiranhyô ( Liste der Länder der Welt), Tôkyô 2003, S. 9.

18) Ebenda, S. 38.

19) Die EU insgesamt 8.164 Mrd. Dollar (25,9%). Vgl. Le Monde diplomatique (Hrsg.), Atlas der Globalisierung, Berlin 2003, S. 46f.

20) Beim Wirtschaftsgipfel im September 1985 im New Yorker Plaza-Hotel haben sich die G5-Staaten (USA, Großbritannien, BR Deutschland, Frankreich und Japan) auf eine Aufwertung der übrigen Weltwährungen gegenüber dem Dollar geeinigt.

21) Vgl. Hans Jürgen Mayer, Die japanisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen: Von der pazifischen Partnerschaft zur Rivalität, in: Manfred Pohl/Hans Jürgen Mayer (Hrsg.): Länderbericht Japan, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Bonn 1998, S. 347-355.

22) Vgl. Wolfram Wallraf, Japan und Südostasion, in: Pohl/Mayer (Hrsg.), a.a.O., S. 392.

23) Vgl. Atlas der Globalisierung, a.a.O., S. 150-153.

24) Das Manko des Kriegsverbrechertribunals liegt nicht nur darin, die Kriegsschuld Hirohitos nicht in Frage zu stellen, sondern auch darin, sich nicht mit der Problematik der Kolonialherrschaft, der Zwangsarbeit, der »Trostfrauen«, des Einsatzes von Bio- und Chemiewaffen sowie Menschenversuchen zu beschäftigen.

25) Allerdings lies es die japanische Regierung von Anfang an zu, dass die USA Kernwaffen auf japanischem Boden lagerten. Vgl. Eiichi Kido, Die japanischen Nobelpreisträger und die Friedensfrage, in: Krieg und Literatur. Internationales Jahrbuch zur Kriegs- und Antikriegsliteraturforschung, Vol. VII, 2001, S. 36-38.

26) Der Premier Yasuhiro Nakasone hat für das Finanzjahr 1987/1988 diese Selbstbindung aufgegeben. Vgl. Tomohisa Sakanaka, Das japanische Verteidigungsbudget - ein politischer Zankapfel, in: Heinz Eberhard Maul (Hrsg.), Militärmacht Japan? Sicherheitspolitik und Streitkräfte, München 1991, S. 197-225.

27) Vgl. Eiichi Kido, Der »Friedensstaat« Japan auf dem Weg zur Kriegsbereitschaft, a.a.O., S. 200.

28) Asahi Shimbun, 13. April 1999.

29) Vgl. Ian Buruma, Erbschaft der Schuld. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan, München/Wien 1994, S. 45-64.

30) Ezra F. Vogel, Japan as Number One. Lessons for America, Cambridge/London 1979. Kritische Bemerkung dazu: z.B. Kerr, op.cit., S. 140 und S. 167.

31) Mira Choi/Regina Mühlhäuser, »Wir wissen, dass es die Wahrheit ist...« Gewalt gegen Frauen im Krieg - Zwangsprostitution koreanischer Frauen 1936-1945, Berlin 1996.

32) Report of the Special Rapporteur on violence against women, Ms. Radhika Coomaraswamy, on the mission to the Democratic People"s Republic of Korea, the Republic of Korea and Japan on the issue of military sexual slavery in wartime, E/CN.4/1996/53/Add.1, 4.1.1996.

33) Vgl. Eiichi Kido, Die japanischen Nobelpreisträger und die Friedensfrage, a.a.O., S. 31.

34) Dies liegt weniger an seiner Persönlichkeit als am strukturellen Manko des japanischen »Liberalismus«. Unter »Freiheit« versteht er ausschließlich die Wirtschaftsfreiheit. Wenn man sich in die innere Freiheit vertiefte, müsste man dem Kaisertum widersprechen, weil der Kaiser nach der schintoistischen Lehre ein Abkömmling der Götter ist.

35) Asahi Shimbun, 29. Mai 2001.

36) Das Volkstribunal fand im Dezember 2000 in Tôkyô statt. Etwa 5.000 Menschen nahmen daran teil, darunter 64 ehemalige »Trostfrauen« aus acht Ländern. Zeitungsberichte über dieses Tribunal gibt es in Deutschland wesentlich mehr als in Japan. Vgl. z.B. Angela Köhler, »Trostfrauen« prangern Japans Kriegsverbrechen an. Frühere Zwangsprostituierte fordern Entschädigung, in: Berliner Zeitung, 8. Dezember 2000, S. 9.

37) Eiichi Kido, Japan: Auf dem Weg zur Atommacht? Anti-Kernwaffen-Prinzipien in Frage gestellt, in: Neues Deutschland, 28. Juni 2002.

38) Die OECD hat im Bericht vom 14. April 1999 festgestellt, dass die japanische Deregulierung nicht genügt. Vgl. Regulatory Reform in Japan, Paris 1999.

39) Vgl. Tetsurô Katô, Der Neoetatismus im heutigen Japan, in: Prokla, Heft 66, März 1987, S. 96.

40) Asahi Shimbun vom 31. März und 1. April 2003.

41) Vgl. Eiichi Kido, Angst und Hass geschürt. In Japan wächst die Kriegsstimmung gegen Nordkorea, in: Junge Welt, 10. Juni 2003.

42) Auf der anderen Seite darf man aber nicht vergessen, dass die offiziellen Atommächte, vor allem die USA, trotz des seit 1970 geltenden Atomwaffensperrvertrages ihrer Pflicht, nuklear vollständig abzurüsten, nicht nachgekommen sind.

43) Asahi Shimbun, 26. September 2003.

44) Asahi Shimbun, 21. Dezember 2004.

45) Die Situation erinnert an die Bemerkung der französischen Philosophin, Simone Weil: „Die niederen Beweggründe sind eine größere Energiequelle als die höheren. Problem: wie kann man die den niederen Beweggründen zugefallene Energie auf die höheren überleiten?« Simone Weil, Schwerkraft und Gnade, München 1952, S. 11.

46) Vgl. Emmanuel Todd, Weltmacht USA. Ein Nachruf, München/Zürich 2003. Trotz der hervorragenden Analyse überschätzt der Autor die eigenständige Rolle Japans.

47) 1,5 Mrd. Dollar als Schenkung für 2004 und 3,5 Mrd. Dollar in Form von Darlehen für 2005-2007.

48) Asahi Shimbun vom 16. und 17. Dezember 2002.

49) Asahi Shimbun vom 22., 23. und 31. März und 1. April 2003.

50) Asahi Shimbun vom 22. und 23. Juli, 26. August, 24. Oktober und 12. und 13. Dezember 2003. Trotzdem ist die Bevölkerung im Grunde mit der Politik von Koizumi zufrieden. (im Juli: 42% dafür, 36% dagegen). Auch bei der Parlamentswahl vom 9. November 2004 wurde seine Amtsführung bestätigt.

51) Asahi Shimbun vom 24. Oktober 2003.

52) Vgl. Eiichi Kido, Treuer Handlanger des Imperiums. Japan: Als Alliierter der USA soll das Land in Asien eine Rolle wie Großbritannien in Europa spielen, in: Freitag, 7. Mai 2004, S. 2.

53) Asahi Shimbun, 30. November und 21. Dezember 2004.

54) Natürlich verspricht die Regierung den eventuellen Hinterbliebenen auch materielle Kompensation. Anfang November 2003 erhöhte die Regierung die Entschädigung für im Dienst getötete oder schwer behinderte Staatsbeamte (Offiziere, Soldaten, Diplomaten usw.) von 60 Mio. Yen auf 90 Mio. Yen (etwa 700.000 Euro).

55) Da spielen auch geschichtsrevisionistische Comics von Yoshinori Kobayashi eine große Rolle. Vgl. Eiichi Kido, Die japanischen Nobelpreisträger und die Friedensfrage, a.a.O., Anmerkung 1, und Ken Kurumisawa, Genocide Manga. Concerning the present relationship between »war and manga (comic book)«, in: Krieg und Literatur. Internationales Jahrbuch zur Kriegs- und Antikriegsliteraturforschung, Vol. VII, 2001, S. 45-64.

56) Asahi Shimbun Weekly AERA, 30. August 2004, S. 12-15.

57) Charles Krauthammer, The Japan Card, in: The Washington Post, 3. Januar 2003.

58) Masashi Nishihara, North Korea´s Trojan Horse, in: The Washington Post, 14. August 2003.

59) Offiziell hat Japan Kriegsreparationen nur an Birma, die Philippinen, Indonesien und Südvietnam bezahlt.

60) Es sei aber daran zu erinnern, dass die Vereinten Nationen vom September bis Dezember 1970 das Ziel formuliert haben, dass die Industrieländer 0,7% ihres Bruttosozialprodukts für öffentliche Entwicklungshilfe aufwenden sollten.

61) Sekai no Kuni Ichiranhyô, a.a.O., S. 38.

62) Vgl. Franz Nuscheler, Japans Entwicklungspolitik. Quantitative Superlative und qualitative Defizite, Hamburg 1990.

63) Im September 2002 brachten 3.861 Opfer in Tôkyô eine Klage zur Naturwiederherstellung (Abbau des 58m hohen und 258m langen Damms) und für Schadenersatz gegen die japanische Regierung und Unternehmen ein. Im März 2003 wurde von 4.535 Einwohnern und einer indonesischen Umweltschutzorganisation ein weiterer Prozess angestrengt.

64) Inoffizielle englische Übersetzung: http://www.mofa.go.jp/policy/oda/reform/revision0308.pdf.

65) Howard H. Baker, Jr., ODA is a vital diplomatic tool to fight terror, in: Asahi Shimbun, 7. Januar 2003; http://usembassy.state.gov/tokyo/wwwhamb20030108a1.html.

66) Vgl. Eiichi Kido, Die japanischen Nobelpreisträger und die Friedensfrage, a.a.O., S. 32f.

67) Den Vertrag unterschrieben 1976 zuerst Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand. Dann schlossen sich Brunei (1984), Vietnam (1995), Burma und Laos (1997) und Kambodscha (1999) an.

68) Victor Mallet, There are dangers in Japan´s search for normality, in: Financial Times, 15. Februar 2005.

69) „Art. 59 Unverteidigte Orte 1. Unverteidigte Orte dürfen - gleichviel mit welchen Mitteln - von den am Konflikt beteiligten Parteien nicht angegriffen werden. 2. Die zuständigen Behörden einer am Konflikt beteiligten Partei können jeden der gegnerischen Partei zur Besetzung offen stehenden bewohnten Ort in der Nähe oder innerhalb einer Zone, in der Streitkräfte miteinander in Berührung gekommen sind, zum unverteidigten Ort erklären. Ein solcher Ort muss folgende Voraussetzungen erfüllen: a) Alle Kombattanten sowie die beweglichen Waffen und die bewegliche militärische Ausrüstung müssen verlegt worden sein, b) ortsfeste militärische Anlagen oder Einrichtungen dürfen nicht zu feindseligen Handlungen benutzt werden, c) Behörden und Bevölkerung dürfen keine feindseligen Handlungen begehen und d) es darf nichts zur Unterstützung von Kriegshandlungen unternommen werden...“

70) Gründungsmitglieder des Vereins waren neun Intellektuelle und Prominente: Mutsuko Miki (Jg.1917, Witwe des Ex-Premier Takeo Miki), Shûichi Katô (Jg.1919, Philosoph), Shunsuke Tsurumi (Jg.1922, Philosoph), Takeshi Umehara (Jg.1925, Philosoph), Yasuhiro Okudaira (Jg.1929, Verfassungsrechtler), Hisae Sawachi (Jg.1930, Schriftstellerin), Makoto Oda (Jg.1932, Schriftsteller), Hisashi Inoue (Jg.1934, Dramatiker) und Kenzaburô Ôe (Jg.1935, Schriftsteller/Nobelpreisträger).

71) Wieder aufgenommen in: Shûichi Katô, Nihonjin towa Nanika (Was sind die Japaner?), Tôkyô 1976.

Eiichi Kido ist seit 1994 Assistenzprofessor an der Osaka School of International Public Policy (OSSIP), Universität Osaka. Von 2000 bis 2001 war er DAAD-Lektor am Institut für Politikwissenschaften der Universität Leipzig