Dossier 95

Weltraum zwischen Konflikt und Kooperation

von Jürgen Scheffran, Götz Neuneck, Dieter Engels, Regina Hagen, Arne Sönnichsen und Maximilian Bertamini

Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V. (IWIF)

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 4/2022

Geopolitik oder Gemeinsame Sicherheit im Weltraum?

von Jürgen Scheffran

Im März 2022 warnte der Chef der russischen Raumfahrtbehörde Ros­kosmos, Dmitri Rogosin, die 500 Tonnen schwere Internationale Raumstation (ISS) drohe abzustürzen. Er begründete dies mit den gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängten westlichen Sanktionen. Diese träfen auch die russische Raumfahrtindustrie, würden die Versorgung und Steuerung der ISS beeinträchtigen und das Risiko für mehr Weltraumschrott erhöhen. Während Rogosin eine Abkopplung und mögliche militärische Nutzung des russischen Moduls ins Spiel brachte, kündigte sein Nachfolger Juri Borissow im Juli 2022 gleich ganz den Ausstieg aus der ISS nach 2024 und den Bau einer eigenen Raumstation an (SPIEGEL 2022). Dies würde das Ende der ISS als gemeinsames Projekt Russlands mit westlichen Staaten besiegeln und eine jahrzehntelange zivile Zusammenarbeit im Weltraum beenden. Das erste Raumfahrt-Kooperationsprojekt zwischen den USA und der UdSSR, die Apollo-Sojus-Mission 1975, symbolisierte damals Entspannung und friedliche Zusammenarbeit im Weltraum. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein.

Dual-Use oder Dominanz des Militärischen?

Seit den Anfängen der Raumfahrt sind zivile und militärische Technologien und Infrastrukturen der Raumfahrt eng verflochten (Scheffran 1993). Die deutsche Raketenentwicklung in den 1930er Jahren erfolgte mit militärischer Unterstützung. Sie wurde während des Zweiten Weltkriegs zu einer Triebkraft für die Entwicklung der V2-Rakete in Nazi-Deutschland, die bei der Produktion im Konzentrationslager und beim Einsatz gegen europäische Städte tausende Menschen das Leben kostete. In den 1950er Jahren des Kalten Krieges dominierte – trotz öffentlich erklärter friedlicher Absichten – eine militärische Dimension des Rennens um den Weltraum. Das Janusgesicht der Raumfahrt wurde zum Synonym für technologischen Fortschritt und militärische Überlegenheit, was sich in Innovationen wie der präzisionsgelenkten Interkontinentalrakete, Aufklärungssatelliten und Mikroelektronik niederschlug. Neben der grundsätzlichen Faszination des Weltraums und den damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen erklärt doch am ehesten die ambivalente Beziehung zwischen Weltraum und Militär die enormen Summen für Weltraumprojekte und den Stellenwert, der diesem Raum in den internationalen Beziehungen zugemessen wird.

Zwischen 1957 und dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989 brachten die Supermächte mehr als 3.000 Objekte ins All, von denen etwa drei Viertel militärischen Zwecken dienten. Die militärische Nutzung des Weltraums wurde von Satelliten für Aufklärung, Frühwarnung, Wetterbeobachtung, Kommunikation und Navigation dominiert, die die Kriegsführung auf der Erde unterstützen sollten und auch zur Stabilität beitragen konnten, indem sie Transparenz schafften (Schrogl et al. 2015; Neuneck und Rothkirch 2006; Weeden 2019).

Konfrontation und Entspannung im Kalten Krieg

Bis in die 1960er Jahre stand der Weltraum weiter im Zeichen von Machtkämpfen um die militärisch-technologische Vorherrschaft im All. Hatte zunächst die Sow­jetunion mit dem Start des Sputnik-Satelliten 1957 und dem ersten Menschen im All (1961) die Nase vorn, mobilisierten die USA enorme Ressourcen für die zivile Raumfahrt, angespornt durch die Rede von US-Präsident John F. Kennedy am 12. September 1962 (kurz vor der Kuba-Krise), in der er die Nation auf die Mondlandung einschwor. Mit sechs Apollo-Mondfähren zwischen 1969 und 1972 erlangten die USA zwar einen Vorsprung, doch erlahmte danach zunächst das Inte­resse an teuren Raumfahrtprojekten, zumal ihr Nutzen für die Menschheit fraglich war. Erst in jüngster Zeit kehrte das Interesse an Reisen zu Mond oder Mars wieder auf die Agenda zurück.

Nach der Entspannung der 1970er Jahre und der damit verbundenen Abkommen (Weltraumvertrag 1967, SALT-Abkommen und ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr 1972) begann in den 1980er Jahren eine weitere Phase von Systemkonkurrenz und Konfrontation, die erneut den Weltraum erfasste und das Risiko eines Atomkriegs barg. In der sogenannten »Star-Wars«-Rede vom 23. März 1983 kündigte US-Präsident Ronald Reagan an, Atomwaffen durch einen Raketenschild im Weltraum unwirksam und obsolet machen zu wollen (Engels et al. 1984). Während viele Wissenschafler*innen die Machbarkeit bezweifelten, wurde die »Strategic Defense Initiative« (SDI) dennoch an den Start gebracht, und erreichte erwartungsgemäß dieses Ziel nicht. Milliardenschwere Ausgaben verstärkten die Weltraumrüstung, von kinetischen Antisatellitenwaffen (ASAT) bis zu La­serwaffen zur Raketenabwehr (siehe den Beitrag von Neuneck in diesem Dossier, S. 6). Nachdem der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow 1985 an die Macht gekommen war, verhandelten beide Supermächte über eine Beendigung des Wettrüstens auf der Erde und im Weltraum, und vereinbarten mit den INF- und START-Verträgen nukleare Abrüstungsschritte. Beide Seiten hielten sich lange an ein von Moskau vorgeschlagenes Moratorium für ASAT-Tests, bis die USA 2008 wieder testeten. Die erneute Entspannung und der Zusammenbruch der Sowjetunion schufen die Voraussetzungen für die Beendigung des Ost-West-Konflikts.

Nach dem Kalten Krieg

In den 1990er Jahren verlagerte sich die Aufrüstung und Nutzung des Weltraums auf Dual-use Projekte, um zivil-militärische Synergien zu nutzen (Liebert et al. 1994). Dies bedeutete aber keineswegs eine geringere militärische Nutzung des Weltraums: Bereits der Golfkrieg 1990/1991, von manchen als erster Weltraumkrieg bezeichnet, stellte dies unter Beweis, da Satelliten intensiv genutzt wurden und die Patriot-Abwehrrakete zum Einsatz kam. Gleichwohl versagten viele dieser High-Tech-Waffen (einschließlich Patriot). Entsprechendes gilt für die folgenden Militärinterventionen (Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Ukraine), mit immensen Schäden.

Mit dem schon 1985 von Reagan gegründeten »Space Command« verstärkten die USA dann nach den Anschlägen vom 11. September 2001 unter Präsident George W. Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erneut ihre klar militärisch geprägten Dominanzbestrebungen, vorgeblich um ein imaginäres »Pearl Harbor im Weltraum« durch Angriffe von »Schurkenstaaten« und »Terroristen« abzuwehren (INESAP 2002). 2002 kündigte Präsident Bush dann den ABM-Vertrag, um ungestört Raketenabwehr und Weltraumrüstung entwickeln zu können. Ähnliche Schritte der militärischen Expansion im Weltraum erfolgten unter Präsident Donald Trump, der 2019 eine eigene »Space Force« in der US-Armee etablierte und die Weltraumbudgets der entsprechenden Behörden erhöhte.

Doch die Vorherrschaft der USA im Weltraum ist nicht mehr unangefochten. Weitere Akteure haben mittlerweile Zugang zu Trägerraketen und Satelliten, was einerseits die militärische Nutzung vorantreibt und andererseits das Akteursgefüge zunehmend verkompliziert. Trotz einer Krise der russischen Raumfahrt und wachsender Konkurrenz im Weltraumtransport, verfügt Russland nach wie vor über beträchtliche technische und militärische Fähigkeiten im Weltraum, die auch modernisiert werden. Die Ambitionen dokumentierte der russische ASAT-Test vom 15.11.2021, der zahlreiche orbitale Trümmerteile hinterließ (Bugos 2021).

In Europa ist neben den industriellen, technologischen und wissenschaftlichen Kompetenzen sowie dem öffentlichen Interesse an der bemannten Raumfahrt auch eine zunehmende Aufmerksamkeit für militärische Fähigkeiten der Aufklärung, Navigation und Kommunikation zu beobachten, unter Ausnutzung von Dual-use fähigen Projekten (siehe den Beitrag von Hagen in diesem Dossier, S. 14). Dazu gehört die Einrichtung von militärischen Weltraumkommandos in einigen Staaten, wie in Frankreich und Deutschland. Ähnliche Entwicklungen sind in Japan zu beobachten (Yoshitomi 2019).

New Space Race: Globaler Süden und Kommerzialisierung

Die Dual-Use-Strategie im Weltraum spielt auch im Globalen Süden eine Rolle. Weltraumkooperation und Technologietransfer schufen Voraussetzungen für die Entwicklung und Produktion von ballistischen Raketen und Satelliten. Dies wurde deutlich, als der Irak im Golfkrieg Raketen einsetzte, die auch über Dual-Use-Technologieexporte entwickelt, getestet und produziert wurden (Scheffran 1991). Hier zeigten sich Abgrenzungsprobleme bei der Umsetzung von Abkommen wie dem Trägertechnologie-Kontrollregime (»Missile Technology Control Regime«, MTCR) von 1987, das die Verbreitung von Raketentechnologie durch Lieferländer einschränken sollte.

Die Volksrepublik China hat wie die Supermächte auch ballistische Raketen als Grundlage für Weltraumraketen verwendet. Seit 1970 verfügt China über eine wachsende Zahl von Satelliten und verfolgt Programme zur Abwehr von Raketen und Satelliten. Dies zeigte 2007 der erste chinesische ASAT-Test, der ebenfalls Tausende von Fragmenten in der Umlaufbahn hinterließ. Israel verfügt ebenso über leistungsstarke Trägerraketen und seit 1988 auch über Satelliten für Aufklärungs- und andere Zwecke. Auch Indien gehört zu den führenden Raumfahrtnationen, mit Trägerraketen, Satelliten und einem ASAT-Versuch 2019. Ebenso zum »Weltraum-Club« dazu gehören wollen die Atommacht Nordkorea und Iran, der im April 2020 erstmals einen Militärsatelliten in eine Umlaufbahn brachte.

Immer mehr Akteure drängen in den Weltraum, Rivalitäten nehmen zu, besonders zwischen den USA und der VR China (vgl. den Beitrag von Engels, S. 10). Weltweit investierten 2014 insgesamt 58 Länder jeweils mehr als 10 Mio. US$ in die Raumfahrt, 20 Staaten mehr als noch 2005 (Jetzke und Weide 2017). Gründe für das neue Weltraumrennen (»New Space Race«) sind die fallenden Kosten für Starts, die Wiederverwendbarkeit von Trägerraketen, die Serienproduktion von Kleinsatelliten und Effizienzsteigerungen im privaten Sektor.

Ende 2021 befanden sich nahezu 5.000 Satelliten in der Erdumlaufbahn, davon etwa 3.000 aus den USA, 500 aus China und rund 170 aus Russland (Statista 2021). Das Raumfahrtbudget der US-Regierung lag 2018 bei knapp 20 Mrd. US$, gefolgt von den Budgets Chinas, Europas und Russlands. Während die Raumfahrt früher fast ausschließlich von Staaten finanziert und von wenigen etablierten Unternehmen durchgeführt wurde, wird sie mit zunehmender Kommerzialisierung von privaten Akteuren geprägt, bis hin zum Weltraumtourismus (vgl. den zweiten Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 21). Zwischen 2005 und 2017 wuchs der Weltmarkt für raumfahrtbezogene Geschäfte mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 6,7 % pro Jahr. Die Raumfahrtindustrie erwirtschaftete 2005 einen Umsatz von rund 175 Mrd. US$, der sich bis 2040 verzehnfachen könnte (Kind et al. 2020).

Ukrainekrieg: Brennglas der Geopolitik im Weltraum-Zeitalter

Mit zunehmenden Investitionen wachsen auch die Sicherheitsambitionen im Weltraum, einem Schauplatz geopolitischer Rivalität, der zunehmend „komplexer, fragiler und letztendlich konfliktiver“ wird und gekennzeichnet ist durch Internationalisierung, Kommerzialisierung, Verdichtung und ungenügende Reglementierung (Rotter 2022, S. 18).

Der Ukrainekrieg und die anvisierte sicherheitspolitische Zeitenwende beeinflussen auch die Weltraumsicherheit und die zivile Zusammenarbeit. Seit russische Sojus-Starts vom Raumfahrtzentrum Guayana eingestellt wurden, was auch europäische kommerzielle Satelliten betrifft, braucht die ESA dringend eine alternative Trägerrakete. Direkt vom Krieg betroffen ist die Produktion von Triebwerken der europäischen Vega-Trägerrakete in der Ukraine. Die europäische Weltraumbehörde ESA stellte zudem die Zusammenarbeit mit den kommenden russischen Missionen ein, darunter das deutsch-russische Weltraumteleskop eROSITA und die Mars-Sonde ExoMars.

Im Ukrainekrieg wird der Weltraum von allen Beteiligten militärisch instrumentalisiert, für Aufklärung, Lageeinschätzung, Kommunikation und Navigation. Der Cyberangriff auf einen kommerziellen Satelliten des US-Unternehmens ViaSat zu Kriegsbeginn hatte Auswirkungen auf das Militär in der Ukraine und beeinträchtigte die Terminals ziviler Kunden in ganz Europa, darunter Tausende von Windkraftanlagen in Deutschland (ESPI 2022). Damit rückte die Verwundbarkeit und der Schutz der Weltrauminfrastruktur ins Rampenlicht.

Als Reaktion auf diese oben genannten Herausforderungen zielt der neue »Strategische Kompass für Sicherheit und Verteidigung« (EU 2022) darauf, das »geopolitische Erwachen« in eine dauerhaftere Strategie umzusetzen. Angestrebt wird, neue Mittel, Fähigkeiten und Technologien zu entwickeln, auch für den Schutz und die Resilienz der europäischen Weltraumressourcen in Krisenzeiten. Hierzu gehört die für 2023 angekündigte »Europäische Weltraumstrategie für Sicherheit und Verteidigung«. Vorgeschlagen werden Maßnahmen für Risikoeinschätzung und Krisenmanagement, Überwachung und Vernetzung im Weltraum, der Schutz kritischer Weltraum-Infrastrukturen, -Technologien und -Versorgungsketten, Dual-use-Innovationen und ein autonomer Zugang zum Weltraum (siehe weiter bei Hagen, S. 14). Damit verbunden sind verschiedene Rüstungsprogramme, da­runter auch ein Raketenabwehrsystem für Europa.

Weltraumrecht und Rüstungskontrolle

Die Rivalitäten zwischen den Großmächten und die Verschlechterung der internationalen Beziehungen wirken sich auf die künftige Zusammenarbeit im Weltraum ebenso aus wie auf multilaterale Verhandlungen und Abkommen des Völkerrechts. Entgegen der faktischen militärischen Nutzung hat die internationale Gemeinschaft den starken Wunsch zum Ausdruck gebracht, den Weltraum für Zusammenarbeit und friedliche Zwecke zu erhalten. Als Verhandlungsforen dienen der UN-Sonderausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS) und die Genfer Abrüstungskonferenz (CD) zur militärischen Weltraumnutzung.

Die Entwicklung des Weltraumrechts hat mit den raschen und komplexen Herausforderungen im Weltraum nicht Schritt gehalten (vgl. die entsprechenden Beiträge von Sönnichsen, S. 17 und Bertamini, S. 25). Hier sind neue Regelungen erforderlich, die über den Weltraumvertrag von 1967 hinausgehen und Risiken vermeiden, Investitionen erleichtern, Rechtssicherheit schaffen und nicht zuletzt Sicherheit und Frieden im Weltraum ermöglichen. Resolutionen der VN-Generalversammlung zur »Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum« (PAROS) konnten bislang auch noch nicht in konkrete Schritte umgesetzt werden. Durch passiven und aktiven Schutz und Verkehrsregeln im Weltraum könnten Risiken reduziert und die Überlebensfähigkeit von Weltraumobjekten verbessert werden. Bis zu einem gewissen Grad könnten auch andere vertrauensbildende Maßnahmen (VBM) zur Vermeidung von Unfällen und Missverständnissen mit zur Stabilisierung beitragen.

Da es bislang noch keine wirksamen Weltraumwaffen gibt, kann eine destabilisierende Bewaffnung und ein Wettrüsten im Weltraum durch präventive Rüstungskontrolle und Abrüstung noch verhindert werden (Hagen und Scheffran 2005). Seit den 1970er Jahren gab es Initiativen gegen die Bewaffnung des Weltraums, darunter Vorschläge Frankreichs, der Sowjetunion und der »Union of Concerned Scientists«. Deutsche Wissenschaftler legten 1984 auf einer Konferenz in Göttingen einen »Vertragsentwurf über die Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums« vor, der seinerzeit Gegenstand einer Bundestagsdebatte war (Fischer et al. 1984; Scheffran 2021). Ergänzend könnten ein Testverbot für ASAT-Waffen und/oder ballistische Raketen vereinbart werden.

In den letzten zehn Jahren wurden erneut verschiedene diplomatische Initiativen ergriffen, um einem Wettrüsten im Weltraum zu begegnen: ein Verhaltenskodex der EU für den Weltraum, Vorschläge Kanadas zur Nichtbewaffnung des Weltraums, ein gemeinsamer Vertragsentwurf Russlands und Chinas gegen Weltraumwaffen (siehe auch der erste Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 17). Die USA blockierten bislang entsprechende Verhandlungen grundsätzlich. Erst 2022 unter Präsident Joe Biden signalisierten sie die Bereitschaft zur Kontrolle von ASAT-Waffen.

Die Wirksamkeit eines Weltraumabkommens hängt von politischen Anforderungen und technischen Fähigkeiten der Verifikation ab, um die vereinbarten Regeln zu überprüfen und Vertragsverstöße rechtzeitig zu entdecken. Verschiedene Mittel können zu diesem Zweck genutzt werden (Scheffran 1986): Fernerkundung in verschiedenen Spektralbereichen; Bahnverfolgung; Sensoren vor Ort/an Bord; kooperative und institutionelle Verfahren (Informationsaustausch; Inspektion; VBM; eine internationale Agentur; Konsultationen). Einige dieser Mittel sind leicht verfügbar, andere wiederum erfordern Forschung und internationale Zusammenarbeit.

Gemeinsame Sicherheit im Weltraum

Die Chancen der Weltraumrüstungskontrolle hängen von den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ab. In einem feindseligen Umfeld ist Rüstungskontrolle notwendiger, wenn auch schwieriger, während in einem kooperativen Umfeld die Anforderungen an Rüstungskontrolle oft geringer sind. Die derzeitige geopolitische Landschaft mit multiplen Krisen, Feindseligkeiten und Instabilitäten steht im Widerspruch zu einer gelingenden internationalen Zusammenarbeit im Weltraum und einer dafür notwendigen breiten Unterstützung von VN-Resolutionen für eine friedliche Weltraumnutzung. Um ein neues Sicherheitsumfeld zu schaffen, müssen Spannungen und Anreize für eine Bewaffnung des Weltraums abgebaut werden, unterstützt durch Maßnahmen zur Risikominderung, Überwachung und Vertrauensbildung. Beim Übergang zu einem globalen Weltraum-Sicherheitsregime spielt die regionale Sicherheitsdynamik und -zusammenarbeit eine Rolle, als Antrieb und als Hindernis. Ohne ein stärkeres diplomatisches Engagement, kooperative Initiativen und ein neues Denken, wie es der kürzlich verstorben Michail Gorbatschow einst forderte, können daher Bedrohungswahrnehmungen und Sicherheitsdilemmata im Weltraum schnell übermächtig werden.

Nach Wolter (2006, S. 5) umfasst das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit im Weltraum „das Verbot aktiver militärischer Nutzungen mit zerstörerischem Charakter im gemeinsamen Raum; ein umfassendes Paket vertrauensbildender Maßnahmen mit multilateralen Satellitenüberwachungs- und -verifikationssystemen sowie ein Schutzregime für friedliche Weltraumobjekte auf der Grundlage von Immunitätsregeln für Satelliten, wie z.B. ‘Verkehrsregeln’ und ein ‘Verhaltenskodex’.“ Gemeinsame Sicherheit sucht also die gegenseitigen Interessen im Weltraum zu wahren und gemeinsame Partnerschaften für regionale Sicherheit, Rüstungskontrolle und Abrüstung anzustreben (ITUC et al. 2022). Hierzu gehört eine sichere und nachhaltige Nutzung des Weltraums, die die Integrität von Weltraumaktivitäten gegen Bedrohungen und Naturrisiken sicherstellt.

Umwelt, Zivilgesellschaft und nachhaltiger Frieden

Der Weltraum ist ein Gemeinschaftsgut, das zur Umwelt der Erde gehört und im Sinne erweiterter Sicherheit vor Aktivitäten zu schützen ist, die sie ausbeuten und zerstören (vgl. der Beitrag von Bertamini in diesem Dossier, S. 25). Krieg im All belastet diese Umwelt und seine Ressourcen. Raumfahrtaktivität schafft negative Nebenwirkungen für die Umwelt, u.a. Weltraummüll, Lichtverschmutzung, Unfallrisiken bei Start und Wiederkehr, Emission von CO2 und anderen Schadstoffen durch Raketenstarts und die dafür notwendige Infrastruktur. In Deutschland wurden ökologische Probleme der Raumfahrt schon seit 1988 untersucht (Wengeler 1993).

Richtig eingesetzt, kann die Raumfahrttechnologie zur Entwicklung der Menschheit und zur Bewahrung der Bio­sphäre beitragen. Für eine friedliche und nachhaltige Weltraumnutzung hatte ich acht Kriterien vorgeschlagen, die auch die sozialen und politischen Kräfteverhältnisse berücksichtigen (Scheffran 2001, siehe Kasten oben links). Neben der Erforschung und Nutzung des Weltraums richtet sich der Blick auf die Kommunikation und die Beobachtung der Erde über Satelliten in wichtigen Bereichen wie Landwirtschaft und Fischerei, Umweltüberwachung und Wettervorhersage, Geologie und Rohstofferkundung, Kartografie und Stadtplanung. So lassen sich wichtige Erkenntnisse über die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt gewinnen, für die nachhaltige Lösung globaler Probleme wie Klimawandel, Arten­sterben, Meeresforschung, Seenotrettung, Katastrophenmanagement und die Überprüfung internationaler Verträge. Satelliten liefern auch Erkenntnisse und Abwehrmöglicheiten gegen Gefahren aus dem All, etwa durch Zusammenstöße mit Asteroiden, wie zuletzt die Dart-Mission am 26.9.2022 zeigte.

Acht Kriterien für eine friedliche und nachhaltige Weltraumnutzung (nach Scheffran 2001):

1. Schwere Katastrophen vermeiden.

2. Militärische Nutzung des Weltraums begrenzen.

3. Risiken für menschliche Gesundheit und Umwelt minimieren.

4. Probleme und menschliche Bedürfnisse nachhaltig lösen.

5. Qualität, Effizienz und Zuverlässigkeit der Technologien sichern.

6. Technische Alternativen mit dem besten Nutzen-Kosten-Verhältnis entwickeln.

7. Sozialverträglichkeit gewährleisten und Zusammenarbeit stärken.

8. Projekte in öffentlichen Debatten unter Beteiligung der Betroffenen rechtfertigen.

In den Machtkämpfen des Raumfahrtzeitalters spielte die Zivilgesellschaft nur eine untergeordnete Rolle. Wie der Göttinger Vertragsentwurf und andere Initiativen zeigen, können Wissenschaft und Gesellschaft sich jedoch effektiv an Fragen der Weltraumsicherheit und Rüstungskontrolle beteiligen und die Sackgasse bei den Verhandlungen im Rahmen einer Weltraumdiplomatie überwinden helfen (Scheffran 2021). Um das öffentliche Bewusstsein und die Demokratisierung des Weltraums zu schärfen, ist ein öffentlicher Diskurs über die zugrundeliegenden Probleme und möglichen Lösungen erforderlich, der auf Offenheit, Transparenz, Fairness und gegenseitigem Respekt beruht. Initiativen (wie das »SichTRaum«-Netzwerk oder das »Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement«) können den Informationsaustausch und demokratischen Prozess zwischen Zivilgesellschaft, Medien und staatlichen Einrichtungen fördern und Unsicherheiten verringern helfen. Hierzu gehört die Entwicklung handlungsleitender Kriterien für die zukünftige Raumfahrtentwicklung, im Sinne nachhaltiger Entwicklung und einer friedlichen Nutzung des Weltraums.

Literatur

Bugos, S. (2021): Russian ASAT test creates massive debris. Arms Control Today 51(10), Dezember 2021.

Engels, D.; Scheffran, J.; Sieker, E. (1984): Die Front im All. Weltraumrüstung und atomarer Erstschlag. Köln: Pahl-Rugenstein.

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EU (2022): A Strategic Compass for Security and Defence. European Union.

Fischer, H.; Labusch, R.; Maus, E.; Scheffran, J. (1984): Entwurf eines Vertrages zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums. In: Labusch, R.; Maus, E.; Send, W. (Hrsg.): Weltraum ohne Waffen. Naturwissenschaftler warnen vor der Militarisierung des Weltraums. Gütersloh: Bertelsmann, S. 175-187.

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Jetzke, T.; Weide, S. (2017): Wettlauf in eine neue Weltraumära. Themenkurzprofil 13, Mai 2017. Berlin: Büro für Technikfolgenforschung.

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Liebert, W.; Rilling, R.; Scheffran, J. (Hrsg.) (1994): Die Janusköpfigkeit von Forschung und Technik – Zum Problem der zivil-militärischen Ambivalenz. Marburg: BdWi-Verlag.

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Scheffran, J. (2021): Arms control in outer space: Solving the impasse – The ‘Göttingen Treaty’ proposal revisited. In: Benkö, M.; Schrogl, K.-U. (Hrsg.): Outer space – Future for humankind: Issues of law and policy. The Hague: Eleven International Publishing, S. 141-174.

Schrogl, K.-U.; Hays, P. L.; Robinson, J.; Moura, D.; Giannopapa, C. (2015): Handbook of space security. New York et al: Springer.

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Wengeler, H. (1993): Umwelt- und technologiepolitische Aspekte der bundesdeutschen Raumtransporter-Entwicklung 1962-1991. In: Weyer, J. (Hrsg.): Technische Visionen – politische Kompromisse. Geschichte und Perspektiven der deutschen Raumfahrt. Berlin: Edition Sigma, S. 215-235.

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Jürgen Scheffran ist Professor für Integrative Geographie, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) an der Universität Hamburg und Mitglied der W&F-Redaktion.

Ein neues Wettrüsten im Weltraum?

von Götz Neuneck

Vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Machtrivalitäten zwischen den USA, Russland und China verschärft sich auch der Wettbewerb im und um den Weltraum, erst recht nach Beginn des Ukraine-Krieges. In einigen Technologiefeldern, insbesondere solchen mit militärischem Hintergrund, ist ein Wettrüsten zu beobachten. Ein Wettrüsten ist ein militärischer Wettbewerb zwischen zwei oder mehreren Staaten, um überlegene Streitkräfte aufzustellen, die über qualitative oder quantitative Vorteile verfügen. Allein die Vermutung, dass der potenzielle Gegner in Schlüsseltechnologien investiert, reicht z.B. für enorme Investitionen in militärisch relevante Raumfahrtprogramme wie Raketenabwehr, Laser oder Künstliche Intelligenz. Die führenden Weltraummächte beschuldigen sich auch gegenseitig, den Weltraum zu bewaffnen bzw. Angriffe gegeneinander durchzuführen, während sie Anti-Satelliten-Fähigkeiten testen (Trevithick 2021). Etwa 20 bis 25 % aller Satelliten werden heute direkt für militärische Zwecke genutzt, d.h. für Aufklärung, Frühwarnung, Kommunikation, Raketennavigation usw. Sie sind von zentraler Bedeutung für die Koordinierung globaler Militäroperationen und für den Einsatz von Waffen (Drohnen, Marschflugkörper), aber auch für die Aufrechterhaltung von Aufklärung und Frühwarnung. Ein Angriff auf Frühwarnsysteme hätte unabsehbare Konsequenzen im Krisenfall.

Mehr nationale Sicherheit im Weltraum und der Schutz kritischer Infrastrukturen sind das Gebot der Stunde für die führenden Weltraummächte (Harrison et al. 2018 und 2022). Die Einrichtung von Weltraumstreitkräften in Russland, China und den USA, die verstärkte russisch-chinesische Zusammenarbeit und die Erprobung von »Counter-Space«-Aktivitäten durch die drei führenden Weltraummächte sind Belege für die Vorbereitung einer heimlichen Bewaffnung des Weltraums, die im Kriegsfall eingesetzt werden oder sogar einen Krieg auslösen kann.

Die militärische Nutzung des Weltraums

Während des Kalten Krieges war die mili­tärische Nutzung des Weltraums eine der wichtigsten Triebfedern der Weltraumprogramme der Supermächte. Viele Entwicklungen, z.B. in den Bereichen Trägerraketen, Erdbeobachtung und Satellitentechnologie, verdeutlichen den doppelten Verwendungszweck der Raumfahrttechnologie, da ihre Operationen sowohl für militärische als auch für kommerzielle oder friedliche Zwecke genutzt werden können (vgl. auch den Beitrag von Hagen in diesem Dossier, S. 14). Wie William Burrows in seiner bahnbrechenden »Geschichte des ersten Weltraumzeitalters« formulierte: „Doch der Weltraum konnte nur durch Raketen erreicht werden, und die Schande daran war, dass Raketen immer wieder ausdrücklich dafür konzipiert wurden, beispiellose Zerstörung anzurichten und eine große Zahl genau der Menschen zu töten, deren Aufklärung und Erlösung sie versprachen“ (Burrows 1998, S. 4). Bereits in den späten 1950er Jahren begannen die USA und die UdSSR mit der Entwicklung und Erprobung kinetischer Anti-Satelliten-Technologien (ASAT). Nukleare Tests im Weltraum (z.B. Starfish Prime 1962) zeigten, dass durch den von Nuklearexplosionen ausgelösten Elektromagnetischen Impuls (EMP) nicht gehärtete Satelliten und Kommunikationsdienste massiv gestört werden würden.

Von der Erde aus können Angriffe mit direkt aufsteigenden Raketen auch Satelliten als Teil von Raketenabwehrsystemen kinetisch zerstören (über den Zusammenhang von Raketenabwehr und Weltraumverteidigung siehe Neuneck, Alwardt und Gils 2015). Eine andere Methode besteht darin, Satelliten in einer Umlaufbahn zu positionieren, sie in die Nähe von feindlichen Satelliten zu bringen und dann den anvisierten Satelliten zu zerstören – eine Methode, die langsamer und berechenbarer ist, aber auch höhere Umlaufbahnen erreicht. Solche »orbitalen« ASAT-Tests wurden vor allem von der UdSSR in den 1970er Jahren durchgeführt. Mit Reagans SDI-Rede 1983 und einer angenommenen sowjetischen ASAT-Bedrohung wurden die ASAT-Entwicklungen in den USA intensiviert. Immer wieder wurden von beiden Supermächten auch militärische Entwicklungen vorangetrieben, wie z.B. bewaffnete Raumstationen (USA: MOL und UdSSR: Almaz) oder Laserwaffen. Nach einigen Entwicklungs- und Testphasen wurden sie jedoch letztlich nicht dauerhaft eingesetzt: zu teuer im Unterhalt, ineffizient und zu gefährlich im Krisenfall waren die berechtigten Hauptargumente. Andere militärische Technologien wie die Aufklärung und Frühwarnung aus dem Weltraum wirkten eher deeskalierend. Sie verringerten das Risiko von Fehleinschätzungen und einer unerwünschten Eskalation im Krisenfall. Dieses Erbe steht heute auf dem Spiel, zumal die Entwicklungen sich nicht mehr alleine auf die Hauptakteure USA und Russland beschränken.

Was sind Weltraumwaffen?

Bereits während des Kalten Krieges verfolgten die USA und die Sowjetunion wiederholt Waffenprogramme und testeten Raumfahrzeuge mit Anti-Satelliten-Funktionen, setzten aber bisher »offiziell« keine Weltraumwaffen dauerhaft ein oder statio­nierten diese.

Unter Weltraumwaffen versteht man einerseits Objekte, die sich im Weltraum befinden oder in den Weltraum hineinwirken können und darauf ausgelegt sind, Satelliten zu beschädigen, funktionsunfähig zu machen oder sogar zu zerstören. Andererseits werden zunehmend neue manövrierfähige Flugkörper (»hyper-glide vehicles«) entwickelt, die auf der Erde starten, den Weltraum durchqueren und wieder Ziele auf der Erde bekämpfen können, also Waffen, die indirekt »aus dem Weltraum« operieren. Ein Überblick über die wesentlichen technologischen Voraussetzungen für Weltraumwaffen findet sich bei Neuneck (2022).

Im Prinzip gibt es verschiedene Technologien, um Objekte (primär Satelliten) im Weltraum zu treffen, zu stören oder funktionsunfähig zu machen. Satelliten kehren zyklisch zurück, so dass sie leicht zu verfolgen sind. Aufgrund ihrer Leichtbauweise sind sie sehr verwundbar und vor allem in niedrigen Orbitalhöhen zerstörbar, auch und gerade durch die in der Entwicklung befindlichen bodengestützten Raketenabwehrsysteme der USA, Russlands, Chinas und Indiens. Das Spektrum der Angriffsmöglichkeiten reicht von nuklearen Explosionen im Weltraum über elektromagnetische Störungen bis hin zu kinetischen Waffen (d.h. durch Explosion oder Kollision).

  • Eine in der Umlaufbahn ausgelöste Nuklearexplosion kann aufgrund der freigesetzten Strahlung Satelliten in einem großen Radius beschädigen oder zerstören und stellt langfristig ein erhebliches Problem dar.
  • Der Einsatz von Waffen mit gerichteter Strahlungswirkung (»directed energy weapons«), wie Laser, Mikrowellen, oder Störsender, erfordert erhebliche technologische Erfahrung (Stupl und Neuneck 2005). Ein Schutz gegen solche Auswirkungen ist begrenzt möglich, doch wird der Satellit dadurch schwerer. Einseitig verwendbar ist die bessere Abschirmung durch Schilde, den schnellen Austausch von Satelliten oder Redundanz. Die Fähigkeiten und Tests von Lasern zum Blenden von Satelliten und das elektronische Stören von fremden Satelliten schreiten bei den drei maßgeblich einflussreichen Weltraummächten voran. Hacker-Angriffe und Störsignale wurden auch schon aktiv bei militärischen Operationen eingesetzt, so im Rahmen des Ukraine-Krieges durch das Stören von GPS-Satellitendaten durch Russland.
  • Eine wichtige Kategorie sind kinetische Angriffe, die im Weltraum aufgrund der hohen Eigengeschwindigkeiten von Satelliten leicht durch Kollisionen erzielt werden können. Eine weitere Option ist die zunehmende Zahl von Kleinsatelliten, die zwar nur begrenzt manövrierfähig sind, aber wie eine »Weltraummine« wirken können. Größere »Kampfsatelliten« müssen durch ko-orbitale Manöver zum Ziel gebracht werden, was Treibstoff und Zeit erfordert. Diese Typen erfordern umfangreiche Tests, weltweit verteilte Bodenstationen und eine jahrelange Technologieentwicklung.
  • Zudem können Anti-Satelliten-Ab­fang­raketen von der Erde aus gestartet oder für längere Zeit im Weltraum stationiert und im Kriegsfall eingesetzt werden. Bodengestützte Raketen lassen sich im Rahmen der Raketenabwehr (»Ballistic Missile Defense«, BMD) auch direkt gegen bestimmte Satelliten einsetzen.
  • Ebenso können Satelliten direkt durch externe Manipulation oder eine Sprengladung funktionsunfähig gemacht werden.
  • Eine letzte Möglichkeit besteht darin, die Datenverbindung zu einem Satelliten zu unterbrechen oder zu kappen. Aufgrund des hohen Dual-Use-Potenzials der Raumfahrttechnologien verfügen vor allem die führenden Raumfahrtnationen über solche Fähigkeiten: Die Bahnen der Zielsatelliten müssen vermessen werden, was Radar- oder optische Bahnverfolgungssysteme, d.h. eine umfassende Weltraumüberwachung, erfordert.

»Counter Space«: Neue Anti-Satellitentests

Der internationale Weckruf für einen neuen Vorstoß in Sachen Weltraumwaffen war der chinesische Satellitentest im Januar 2007, als es der VR China gelang, mit einer bodengestützten Abfangrakete ihren eigenen Wettersatelliten Fengyun-1C zu zerstören (Neuneck 2008). Ein Jahr später setzten die USA ihre schiffsgestützte Abfangrakete SM-3 ein, um einen funktionsunfähigen US-Satelliten zu zerstören, und demonstrierten China und Russland damit ihre bereits vorhandenen Fähigkeiten. Russland testet die boden- und luftgestützten Abfangraketen »Nudol« und »Contact« zum Abfangen von Flugkörpern im niedrigen Orbit. China hat zwischen 2010 und 2018 seine eigenen Abfangraketen getestet. Auch die Nuklearmacht Indien ist in die Entwicklung von Antisatelliten-Abwehr eingestiegen. Am 27. März 2019 verkündete der indische Premierminister den ersten erfolgreichen ASAT-Test Indiens (»Mission Shakti«). Dabei hatte eine bodengestützte ASAT-Abfangrakete den indischen Testsatelliten Microsat R in 300 km Höhe zerstört. Ein indischer Sprecher erklärte, der Test sei nicht gegen eine Nation gerichtet gewesen und die Fähigkeit sei zu Abschreckungszwecken erworben worden.

Die Entwicklung von Counter-Space-Technologien (ASAT, Laser, elektronische Kriegsführung usw.) hat sich seit Ende der 2000er Jahre intensiviert (Secure World Foundation 2019). So werden auch zunehmend übliche zivile Satellitenexperimente zu Rendezvous-Zwecken durch die USA, China und Russland beobachtet. Diese »Rendezvous and Proximity Operations« (RPO) können gut getarnt sein, da sie zivilen Zwecken dienen können, wie z. B. der Betankung oder Reparatur anderer Satelliten. Während man bis vor kurzem glaubte, dass Satelliten in hohen geostationären Umlaufbahnen (36.000 km) unzugänglich und daher sicher seien, mehren sich die Hinweise, dass alle Weltraummächte auch Weltraumwaffen für hohe Umlaufbahnen entwickeln. Während die USA seit 2003 unbemannte Rendezvous-Technologien testen, operiert China seit 2021 mit dem Satelliten SJ-21 in der geostationären Umlaufbahn, um Weltraummüll einzusammeln (Harrison et al. 2022,24). Russland nutzte den Luch-Satelliten, um sich mehreren in der geostationären Umlaufbahn geparkten Satelliten zu nähern.

Im Jahr 2020 beschuldigte das Weltraumkommando der US-Streitkräfte Russland, einen Sub-Satelliten vom Typ »Cosmos-2543« abgesetzt zu haben, um einen US-Spionagesatelliten auszuspionieren. Im Juli 2020 wurde Russland vorgeworfen, dass dieser Satellit ein Projektil ausgestoßen habe, um einen ASAT-Test durchzuführen. Die USA werfen Russland und China vor, einerseits für Rüstungskontrolle im Weltraum einzutreten, andererseits aber heimlich ASAT-Waffen zu testen. Transparenz und Vertrauensbildung in diesem Sektor sind jedenfalls nicht mehr festzustellen.

Ein Krieg im Weltraum wird möglich

Die zunehmende Bedeutung der Weltraum­umgebung für militärische Zwecke wird auch durch einschlägige Dokumente, Programme und die Einrichtung von militärischen Weltraumkommandos und -zentren der führenden Weltraummächte unterstrichen. Im Juni 2018 erklärte der damalige Präsident Trump: „Wir brauchen eine amerikanische Dominanz im Weltraum“ (Lewin 2018). Die von Trump ins Leben gerufene neue 6. Streitkraft der »Space Force« verkündete: „Die Menschheit hat sich verändert, und die Handlungen unserer potenziellen Gegner haben die Wahrscheinlichkeit einer Kriegsführung im Weltraum deutlich erhöht“ (US Space Force 2020). Der Weltraum und damit verbunden auch der Cyber­space werden in der im März 2018 veröffentlichten »National Space Strategy« als neue „Kriegsführungsdomäne“ aufgeführt, was neue militärische Weltraumentwicklungen rechtfertigt und eine „durchdachte Antwort“ in Aussicht stellt (DoD 2018). Für 2020 hat das Pentagon eine eigene »Defense Space Strategy« zur Aufrechterhaltung der „Überlegenheit im Weltraum“ entwickelt (DoD 2020). Russland und China werden darin beschuldigt, die „Bewaffnung des Weltraums“ voranzutreiben, und ihre Programme und Dok­trinen werden als kommende strategische Bedrohung angesehen. Gleichzeitig sollen gemäß der Strategie »Weltraum-Kriegsführungsoperationen« in die operative Führung der USA integriert werden. Die Defense Intelligence Agency nennt in ihrem Bericht »Challenges to Security in Space« für 2019 auch Iran und Nordkorea als Herausforderer der US-Überlegenheit im Weltraum (DIA 2019).

Auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel 2021 widmete die NATO dem Weltraum einen eigenen Abschnitt und die Allianz hat inzwischen eigene Richtlinien veröffentlicht (NATO 2022). Einerseits will sie ein verantwortungsvolles Verhalten im Weltraum anstreben, andererseits kann ein Angriff im Weltraum nun auch als Bündnisfall betrachtet werden. In Ramstein wird seit 2020 ein NATO-Raumfahrtzentrum aufgebaut, das die Raumfahrtaktivitäten der NATO-Mitglieder koordinieren soll. Allerdings soll es keine direkten ­NATO-Operationen im Weltraum geben.

Russland setzt seine alte Raumfahrttradition fort und entwickelt seit 2010 verschiedene Programme. Oft sind die Ziele der verschiedenen Entwicklungen unklar. Seit 2015 organisiert Russland auch seine Luft- und Weltraumverteidigung neu. Die russische und die chinesische Raumfahrtindustrie befinden sich weitgehend in staatlicher Hand. Die Zusammenarbeit zwischen Russland und China sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich schreitet voran. Peking hat beschlossen, dass China „in jeder Hinsicht“ eine Weltraummacht werden will (PRC Space Programme 2021). Das Raumfahrtprogramm ist Teil des »chinesischen Traums« von Präsident Xi und umfasst drei Startzentren und den Betrieb einer eigenen Raumstation (vgl. den Beitrag von Engels in diesem Dossier, S. 10). Eine Beteiligung Chinas an der ISS wurde schon vor langer Zeit abgelehnt. Mond- und Marsmissionen unterstreichen Chinas ehrgeizige Ziele im Weltraum. Im Juli 2019 veröffentlichte China sein erstes Verteidigungsweißbuch seit 2015, in dem der Weltraum, der elektromagnetische Raum und der Cyberspace“ als Domänen für die nationale Verteidigung angesehen werden (State Council Information Office 2019). Ebenfalls seit 2015 werden diese Bereiche von den »Strategic Support Forces« verwaltet. Während seit 2018 keine direkten kinetischen ASAT-Tests durch China mehr beobachtet wurden, scheinen mehr nicht-kinetische Versuche (Laser, elektronische Angriffe) stattzufinden (Weeden 2022).

Zwischen diesen Weltraummächten herrscht, wie oben festgestellt, im militärischen Bereich keine Transparenz. Gegenseitige Verdächtigungen und Anschuldigungen dominieren die veröffentlichten Erklärungen und Doktrinen. Das unbemannte amerikanische Mini-Space Shuttle X-37B hat seit 1999 bereits sechs Langzeitmissionen mit unbekanntem Zweck absolviert und beunruhigt China und Russland ebenso wie umgekehrt die ASAT-Tests der VR China und Russlands. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung Biden ernsthafte Anstrengungen unternimmt, um internationale Regelungen voranzutreiben, neue Regeln für die Raumfahrt aufzustellen und für mehr Transparenz und Vorhersehbarkeit bei Militärprogrammen zu sorgen (Samson und Weeden 2020).

Dieser Text ist eine nachbearbeitete Übersetzung von Auszügen aus Neuneck (2022).

Literatur

Burrows, W. (1998): This new ocean. The story of the first space age. New York: Random House.

DIA (2019): Challenges to security in space. Defense Intelligence Agency (Januar 2019). o.O.: Eigenverlag.

DoD (2018): 2018 National defense strategy. U.S. Department of Defense.

DoD (2020): Defense space strategy. Summary. U.S. Department of Defense, Juni 2020.

Harrison, T.; Johnson, K.; Roberts, T.G. (2018): Space threat assessment 2018. Center for Strategic and International Studies, 12.4.2018.

Harrison, T.; Johnson, K.; Young, M.; Wood, N.; Goessler, A. (2022): Space threat assessment 2022. Center for Strategic and International Studies, 4.4.2022.

Lewin, S. (2018): Trump orders Space Force for ‘American dominance,’ signs space-traffic policy. Space.com, 18.6.2018.

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Neuneck, G. (2008): China’s ASAT test. A warning shot or the beginning of an arms race in space? In: European Space Policy Institute (Hrsg.): Yearbook on space policy 2006/2007: New impetus for Europe. Wien: Springer, S. 211-224.

Neuneck, G. (2022): A new arms race in space? Options for arms control in outer space. In: Peña, J. C. (Hrsg.): Security and defence: Ethical and legal challenges in the face of current conflicts. Cham: Springer, S. 23-36.

Neuneck, G.; Alwardt, Ch.; Gils, H. Ch. (2015): Raketenabwehr in Europa. Baden-Baden: Nomos.

PRC Space Programme (2021): China’s space program: A 2021 perspective. State Council, People’s Republic of China, 28.01.2022.

Samson, V.; Weeden, B. (2020): Enhancing space security: Time for legally binding measures. Arms Control Today 50(10), Dezember 2020.

Secure World Foundation (2019): The UN COPUOS guidelines for the longterm sustainability of outer space activities. Factsheet, November 2019.

State Council Information Office (2019): China’s national defense in the new era. People’s Republic of China, Juli 2019. Beijing: Foreign Languages Press.

Stupl, J.; Neuneck, G. (2005): High energy lasers: A sensible choice for future weapon systems? Security Challenges 1(1), S. 135-153.

Trevithick, J. (2021): U.S. satellites are being attacked every day according to Space Force general. The War Zone, 30.11.2021.

US Space Force (2020): Spacepower doctrine for Space Forces. US Space Force Headquarters, Juni 2020.

Weeden, B. (2022): Chinese Direct Ascent Anti-Satellite Testing. Secure World Foundation, Updated Mai 2022.

Götz Neuneck ist Physiker und Ko-Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

China und USA – Rivalen im Weltraum

von Dieter Engels

Die Nutzung des Weltraums, aber auch die astronomische Forschung und die Erkundungsprojekte von Mond und Mars, sind heute von großer und noch wachsender Bedeutung. Sie werden durch die politischen Konflikte auf der Erde und die daraus resultierenden militärischen Aktivitäten im Weltraum behindert, wenn nicht gar bedroht. Der russische Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 hat die Kooperationen zwischen Russland und den westlichen Staaten praktisch zum Erliegen gebracht. Die zivile Zusammenarbeit im Weltraum, lange ein symbolisches Element gegenseitigen Vertrauens zwischen politisch konkurrierenden Gesellschaften, liegt damit in Trümmern. Noch deutlich ernstere Probleme werden entstehen, wenn die sich in den Weltraum ausdehnenden Rivalitäten zwischen den USA und China nicht durch bilaterale oder internationale Abkommen eingedämmt werden.

Die Bedeutung des Weltraums für Machtdemonstrationen ist nicht neu. Das Apollo-Programm der USA mit sechs Landungen auf dem Mond (1969-1972) und das parallel dazu gescheiterte Programm der Sowjetunion manifestierte die Vorherrschaft der USA im Weltraumsektor. Diese Vorherrschaft wird heute aber mindestens durch Chinas Weltraumprogramm (Reichl 2022; Harvey 2019) in Frage gestellt, u.a. auch bei der Erforschung des Mondes. Neben dem Aufbau einer breiten Palette von Satellitensystemen (mit 541 ca. 10 % aller Satelliten weltweit, UCS 2022), wird in China systematisch an prestigeträchtigen bemannten Raumfahrtprogrammen, sowie an Erkundungsmissionen zu Mond und Mars gearbeitet (Reichl 2022).

Orbitale Programme Chinas

Mit Programmen zur Entsendung von Menschen in eine Umlaufbahn wurde offiziell bereits Anfang der 1970er Jahre noch unter Mao Zedong begonnen. Aber erst 2003 erreichte der Taikonaut Yang Liwei die Umlaufbahn in einer Shenzou Raumkapsel. Seitdem wurde das Raumfahrtprogramm parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung Chinas rapide vorangetrieben. Bereits 2011 und 2015 wurden die erste Raumstationen Tiangong 1 und 2 gestartet, die mehrfach von Taikonauten mit Hilfe der Shenzou-Kapseln jeweils für wenige Wochen besucht wurden. Dabei wurden zahlreiche Technologien getestet, die für den permanenten Betrieb einer solchen Station notwendig sind. Seit kurzem wird mit dem Aufbau von Tiangong 3 begonnen. Gestartet wurde am 21.4.2021 mit dem 22 Tonnen schweren Zentralelement »Tianhe«, das mit den notwendigen Antrieben, Versorgungseinheiten, sowie Unterkünften und sechs Andockstationen ausgestattet ist. Die erste dreiköpfige Crew besuchte die Station schon im Oktober 2021. Zu ihr gehörte Wang Yaping, Chinas zweite Frau im All, die als erste Frau bei ihrem Aufenthalt einen Außenbordeinsatz absolvierte. Weitere Elemente der Station werden zwei Labore sein, die in den nächsten Monaten gestartet werden sollen, und temporär angedockte »Tianzhou«-Frachtmodule, die zusätzlichen flexibel nutzbaren Raum für jeweils sechs Monate bieten. Die Station ist mit einer geplanten Gesamtmasse von ca. 100 Tonnen etwa nur ein Viertel so groß wie die Internationale Raumstation ISS und fliegt mit 340 bis 430 km in vergleichbarer Höhe. Konzipiert ist sie für eine Lebensdauer von 10 bis 15 Jahren. Mit einer permanenten Besatzung wird ab 2023 gerechnet. Ein Highlight der Station ist ein Weltraumteleskop »Xuntian«, das Ende 2024 gestartet werden soll. Es fliegt in geringem Abstand auf der gleichen Bahn wie Tiangong 3, und soll von dort aus gewartet werden können (Reichl 2022).

Mondprogramme Chinas und der USA

Das chinesische Monderkundungsprogramm wurde mit dem Start der ersten, nach der Mondgöttin Chang’e benannten Mondsonde 2007 begonnen (Reichl 2022, S. 30-33). Die ersten unbemannten Mondlandungen erfolgten 2013 und 2019 (Chang’e 3 und 4), und 2020 brachte die Mission Chang’e 5 dann 1,7 kg Mondgestein zur Erde zurück. Damit gelang China als drittem Land dieses Experiment, nach den USA und der Sowjetunion. Weitere drei Sonden mit Starts innerhalb der nächsten zehn Jahre sind in Planung. Parallel entwickelt China eine neue Raumkapsel, die die bisher verwendeten Shenzou Raumkapseln zur Versorgung der Raumstation ablösen soll, aber auch Menschen zum Mond bringen kann (Reichl 2022, S. 32). 2021 wurde angekündigt, in den 2030er Jahren eine Mondforschungsstation bauen zu wollen, an der auch Russland beteiligt sein soll und die Mitarbeit weiterer Länder erwünscht ist (ebd., S. 34; Jones 2021). Die Station soll robotisch arbeiten, und nur hin und wieder von Taikonaut*innen zur Wartung besucht werden (Zheng 2021).

Auf der anderen Seite nimmt »Artemis«, das Apollo-Nachfolgeprogramm der USA, mit dem für November 2022 geplanten Start der neuen Trägerrakete »Space Launch System« (SLS) an Fahrt auf. Die Geschichte von Artemis hat viel mit der Einstellung des Space Shuttle Programms 2011 zu tun. Obgleich umstritten, hatte der US-Kongress Jahr für Jahr Mittel für den Bau des SLS und einer Orion-Kapsel bewilligt, um die durch das Shuttle-Programm freiwerdenden Raumfahrtkapazitäten in mehreren Bundesstaaten zu erhalten. Die SLS-Rakete wird die Orion-Kapsel in einen 42-tägigen Testflug um den Mond schicken – eine Mission (Artemis 1), die in der Bergung der Kapsel innerhalb von nur zwei Stunden nach der Landung im Pazifischen Ozean gipfeln soll. Bei einem Erfolg der Mission, soll mit Artemis 2 der erste bemannte Flug (ohne Landung auf dem Mond) nicht vor Ende 2024 folgen. An den Artemis-Missionen sind auch Japan, Kanada und die europäische Raumfahrtagentur ESA beteiligt. Die ESA hat das Versorgungsmodul für die Orion-Raumkapsel beigetragen und wird fünf weitere bauen. Dafür werden den Ländern Mitflugmöglichkeiten geboten. Zwei der europäischen Astronaut*innen sollen sich mit Artemis 4 und 5 am Aufbau des von den USA angestrebten »Lunar Gateway« beteiligen, ein dritter soll bis 2030 den Mond betreten können (Foust 2022a, b). Bei dem Gateway handelt es sich um eine Raumstation in der Mondumlaufbahn, die u.a. als Umschlagplatz dienen soll, um eine ebenfalls geplante Station auf der Mondoberfläche zu versorgen.

Es ist abzusehen, dass die beiden Programme nicht im sportlichen Wettstreit miteinander den Mond erkunden werden. Neben Grundlagenforschung werden die Missionen auch Möglichkeiten (kommerzieller) Ausbeutung von Rohstoffen erkunden. Das generelle Misstrauen der USA in die chinesischen Weltraumaktivitäten macht deshalb auch vor der Mond­erkundung nicht halt, wobei bei den Anschuldigungen nicht gerade zimperlich vorgegangen wird. NASA-Leiter Bill Nelson warf China Anfang Juli 2022 in einem Interview der Bild-Zeitung vor, den Mond besetzen zu wollen (Both 2022): „Wir müssen sehr besorgt darüber sein, dass China auf dem Mond landet und sagt: Der gehört jetzt uns, und Ihr bleibt draußen.“ Weiter sagte er, Chinas Raumstation würde zum Training für Astronaut*innen dienen, die Satelliten von Anderen zerstören sollen, sowie dass die technologischen Erfolge Chinas lediglich durch geklaute Ergebnisse möglich gewesen seien.

China reagierte darauf empört. Der Sprecher des Außenministeriums, Zhao Lijian, bewertete Nelsons Vorwürfe als „rücksichtslos“ und eine „Lüge“. Andere chinesische Offizielle betonten, dass kein Interesse bestehe, den Mond zu militarisieren, und China eine Gemeinschaft (»community«) vieler Nationen unterstütze (Hughes 2022). Die Äußerungen Nelsons gelten für Kenner des chinesischen Weltraumprogramms als weit hergeholt. Die Inbesitznahme des Mondes durch Staaten ist durch den 1967 geschlossenen und auch von China unterzeichneten Weltraumvertrag rechtlich ausgeschlossen. Auch wäre der Aufwand immens um 39 Mio. km2 Oberfläche (fünfmal die Fläche Australiens) zu besetzen, zumal der Nutzen fragwürdig ist. China, dessen Raumfahrtbudget 2020 geschätzte 13 Mrd. US$ umfasste (etwa halb soviel wie das Budget der NASA), könnte dies allein nicht leisten, wie auch andere Nationen nicht (Ben-Hitzak und Hines 2022).

Die parallele Erkundung des Monds und der Aufbau von Forschungsstationen kann aber wohl zu Konflikten führen. Ein eventuelles Eindringen in die nähere Umgebung dieser Stationen wird sicher als unerwünscht angesehen, so wie auf der Erde das unautorisierte Eindringen von fremden Schiffen in die 200-Meilen Zone eines Küstenstaates. Damit würde eine de-facto Kontrolle über (kleine) Teilgebiete ausgeübt, die im Prinzip schrittweise ausgeweitet werden könnte. Streit könnte durch die Konkurrenz um besonders interessante Gebiete entstehen, z.B. mit Wasser-Eis-Vorkommen. Auszuschließen sind solche Szenarien nicht, da die in beiden Ländern diskutierten Landegebiete am lunaren Südpol für die bemannte Artemis 3 Mission der USA (geplanter Start Ende 2025) und auch für die unbemannte Mondsonde Chang’e 7 (geplanter Start 2024) Überschneidungen aufweisen (Jones 2022).

Herausforderungen der Satellitenverfolgung: klare Regelungslücken

Der Raum zwischen dem geostationären Orbit (GEO) und der Mondumgebung wird als »cislunarer Raum« bezeichnet, ist tausendmal größer als der erdnahe Raum (siehe Infokasten) – und wird bisher kaum überwacht. So ist die Chang’e 5 Raumsonde nach der Abtrennung der Rückkehr-Kapsel Ende 2020 aktiv geblieben, und im Herbst 2021 zum Lagrange Punkt L1 in der Nähe des Monds manövriert worden (zu den Fachbegriffen GEO, cislunar und ­Lagrange-Punkt, siehe Infokasten). Dieses unangekündigte Manöver ist nur durch die Aktivitäten einiger Amateure der Satellitenverfolgung bekannt geworden. Es gibt keine internationalen Regelungen, die die Meldung eines solchen Manövers verlangen. Jedoch zeigt dieser Fall, dass die Bewegungen von Weltraumfahrzeugen im cislunaren Raum zumindest für die Öffentlichkeit nur unzureichend bekannt sind (Schingler et al. 2022). Bestehende Weltraumüberwachungssysteme reichen bisher nur bis zur GEO-Bahn.

Lagrange-Punkte bzw. -Regionen

Im Erde-Mond- und Sonne-Erde-System gibt es ausgezeichnete Orte, in denen sich die Schwerkraft der beteiligten Körper gerade aufhebt. Diese an der Zahl fünf Orte werden nach dem italienischen Himmelsmechaniker J.-L. Lagrange (1736-1813) benannt. Von Interesse sind im Erde-Mond-System die Lagrange-Punkte L1 und L2, die sich auf der Verbindungsachse Erde-Mond vor und hinter dem Mond befinden.

Vor allem der L2 Punkt gilt als bevorzugter Ort für die Stationierung von Sonden. Diese Punkte sind aber instabil, so wie die Balance einer Kugel auf einer Spitze instabil ist. Sonden werden daher auf Umlaufbahnen um die L-Punkte gebracht. Es ist ausreichend Platz für verschiedene Bahnen, sodass ein gleichzeitiger Aufenthalt mehrerer Satelliten möglich ist. Der Begriff »Punkt« ist deshalb etwas verwirrend, genauer sind es Regionen.

Weltraum, GEO, LEO – eine Definition

Die Grenze zwischen der Erdatmosphäre und dem Weltraum ist fließend. Üblicherweise wird sie bei 80 bis 100 km oberhalb der Erdoberfläche gezogen. Satelliten müssen eine Mindesthöhe erreichen, damit sie nicht durch die Restatmosphäre zu schnell abgebremst werden und zur Erde zurückstürzen. Die meisten Satelliten und die Raumstationen umkreisen die Erde in Umlaufbahnen bis ca. 2.000 km Höhe (LEO = Low Earth Orbit).

Der Start in den LEO benötigt weniger Energie und der geringe Abstand erlaubt eine relativ hohe Auflösung bei den Aufnahmen zur Erdbeobachtung oder Aufklärung. Der Nachteil sind die kurzen Umlaufzeiten im Zeitraum von Stunden, die die kontinuierliche Beobachtung eines bestimmten Gebietes nur mit Hilfe mehrerer Satelliten erlauben.

Dieser Nachteil wird auf einer Bahnhöhe von 36.000 km (GEO = Geostationary Orbit) aufgehoben. Satelliten, die in dieser Höhe über dem Erdäquator umlaufen, befinden sich ständig oberhalb eines bestimmten Ortes auf der Erde. Mit Hilfe von drei im Winkelabstand von 120 Grad angeordneten Satelliten, lässt sich ständig die gesamte Erdoberfläche (außer den Polargebieten) im Blick behalten. Diese besondere Bahn ist deshalb der bevorzugte Aufenthaltsort der Kommunikations-Satelliten (Telefon, TV, …), aber auch von Frühwarnsatelliten, die Raketenstarts erfassen, und vor einem potentiellen Atomschlag warnen können.

Die Bahnen zwischen LEO und GEO werden von Satelliten(-Konstellationen) genutzt, die die speziellen Eigenschaften der LEO- und GEO-Bahnen nicht benötigen. Die kommerzielle und militärische Nutzung des Weltraums beschränkt sich bisher auf den »erdnahen Raum« innerhalb der GEO-Bahn. In den »cislunaren« Raum bis zum Mond in einer Entfernung von 384.000 km, in den interplanetaren Raum (bis 4,5 Mrd. km) und darüber hinaus sind bisher nur Sonden und (bemannte) Weltraumfahrzeuge zur Forschung und Erkundung vorgedrungen.

Mit den zunehmenden Aktivitäten Richtung Mond wird Transparenz bei den Bewegungen und Kommunikationskanälen zwischen den beteiligten Betreibern eine Voraussetzung sein, um auch unbeabsichtigte (Nahezu-)Kollisionen in Zukunft zu vermeiden (Byers und Boley 2022). Diese Kommunikation wird mit Hindernissen zu rechnen haben, weil im Hintergrund immer militärische Dienste die ausgetauschten Informationen abgreifen. So hat beispielsweise die US Air Force Zugriffsrechte auf die Daten, die der erst kürzlich gestartete CAPSTONE Kleinsatellit der NASA zur Erkundung geeigneter Mondumlaufbahnen für die geplante »Gateway«-Station überträgt (Schingler et al. 2022).

Vor diesem Hintergrund ist die in den USA aufgeflammte Diskussion, die Aktivitäten Chinas im cislunaren Raum oder auf dem Mond als neue Herausforderung für die US-amerikanischen Sicherheitsinteressen zu sehen, alarmierend (Bender 2022). Aus militärischen Kreisen wird bereits ein Überwachungssatellit (»Cislunar Highway Patrol System«) für den Raum zwischen Erde und Mond vorgeschlagen (Air Force 2022). Auch Forschungsprojekte auf der Mondoberfläche werfen Fragen auf (s. Abb. S. 11).

Umstrittene Projektvisualisierung zu Materialentwicklung auf dem Mond durch die ­Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), einer Behörde des US-Verteidigungsministeriums. Das von den DARPA Webseiten inzwischen entfernte Bild suggeriert geplante Aktivitäten des Militärs auf dem Mond. Im Einzelnen: Hitchens 2021a. (Quelle: DARPA NOM4D project image)

Die Diskussionen in China zu diesem Thema sind unbekannt. Der bereits erwähnte Weltraumvertrag, der als einziger der weltraumbezogenen Rüstungskon­trollverträge heute noch Bestand hat, beinhaltet Regelungen, die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung zu keinen praktischen Folgen führten, die aber heute aktuell sind. Der Vertrag ist ein Beispiel dafür, wie frühzeitige Verhandlungen verhindern, dass Partikularinteressen den Abschluss eines Abkommens blockieren. Knapp 20 Jahre später war es zum Beispiel nicht mehr möglich, breite Unterstützung für den 1984 in Kraft getretenen Mond-Vertrag zu erhalten, der auch die private Aneignung von lunaren Ressourcen verbieten sollte (O’Brien 2022). 2020 haben die USA mit den »Artemis Accords« immerhin eine Initiative gestartet, über bilaterale Abkommen zu Regulierungen für den Rohstoffabbau und zu Sicherheitszonen um mögliche Stationen zu kommen. 21 Ländern haben die »Accords« bisher unterzeichnet, nicht aber China, Russland und bisher auch nicht Deutschland. Kritiker*innen werfen den USA vor, ihre Rechtsauffassung durchdrücken zu wollen (Boley und Byers 2022; Seidler 2022), statt sich um internationale Abmachungen zu bemühen. Denn es droht eine Situation wie beim Goldrausch in Alaska: Wer auf dem Mond als erster gräbt, darf die Schätze behalten.

Initiativen für eine Aufnahme von internationalen Verhandlungen zu potentiell möglichen Konflikten bei der Erkundung des Mondes aber auch zu gegenseitigen Hilfsmaßnahmen in Notfällen wären wünschenswert. Die Weltraumüberwachung für den cislunaren Raum sollte international organisiert und maximale Transparenz zu den dort stattfindenden Aktivitäten für alle Staaten, aber auch für zivile Organisationen hergestellt werden. Solche Verhandlungen werden derzeit vermutlich eher zum Erfolg führen, als solche zu den Problemen im erdnahen Raum.

Die neue große Rivalität

Seit der Fokussierung der US-amerikanischen Außenpolitik auf den Ostasien-Raum (»Pivot to Asia«, Lippert und Perthes 2020; Müller 2021) und insbesondere während der Regierungszeit von Donald Trump (2017-2021) haben sich die Medienpublikationen vervielfacht, die sich mit Chinas angeblicher Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA auch im Weltraum beschäftigen. Sie begleiten die Gründung der »Space Force« Ende 2019, die die bisher verteilten militärischen Raumfahrtprogramme in einer eigenständigen Teilstreitkraft bündelte (David 2020). China wird aus US-amerikanischer Perspektive vorgeworfen, an Anti-Satelliten- und anderen Weltraum-Waffen zu arbeiten, sodass sich die USA auf Kampfhandlungen im Weltraum vorbereiten müssten (DIA 2021; Erwin 2021, Hitchens 2022a). In einem jährlich herausgegebenen Bericht des Pentagons (DoD 2021) werden Chinas raumfahrtbezogene Fähigkeiten als Teil seiner militärischen Fähigkeiten beschrieben, und die Raumstation, das Satelliten-Navigations-System Beidou, und die Gaofen Erdbeobachtungs-Satelliten zum Unwillen Chinas als militärische Einrichtungen angesehen (Wei et al. 2022). Dies sind typische Beispiele von Dual-Use-Projekten, wobei die nicht vorhandene Trennung von militärischer und ziviler Raumfahrt in China es kaum zulässt zu bestimmen, auf welchem Bereich der Schwerpunkt liegt. Der doppelte Verwendungszweck ist aber bei den westlichen Raumfahrtsystemen auch gegeben, sei es bei dem militärisch entwickelten Navigations-Satelliten-System GPS oder bei dem zivil entwickelten europäischen System Galileo (siehe dazu Demirel und Wagner 2021). Beide Systeme haben neben dem öffentlichen auch ein verschlüsseltes Signal, welches dem Militär und anderen Regierungsstellen vorbehalten ist (GPS 2019, 2020). Auch Erdbeobachtungs-Bilder, wie sie aktuell von kommerziellen Anbietern entwickelte Kleinsatelliten aufnehmen, werden an militärische Kunden verkauft oder, wie im aktuellen Fall der Ukraine, direkt an eine Armee weitergegeben (Hitchens 2022b).

China bestreitet vehement, sich in seiner Entwicklung des Weltraumprogramms von Rivalitäten mit den USA leiten zu lassen und sich an einem Wettlauf um die Vormacht zu beteiligen. Seine Verteidigungsfähigkeit im Weltraum würde entsprechend seiner generellen Präsenz im Weltraum ausschließlich dazu dienen, Chinas Souveränität im Weltraum sicherzustellen (Zheng 2021). Im Gegenzug wirft China den USA vor, selbst Waffen für den Einsatz im Weltraum zu entwickeln, den Weltraum als mögliches Schlachtfeld erklärt zu haben (Glenn 2020) und ihre langjährige Politik der Dominanz im Weltraum fortzusetzen. Die USA seien die Hauptverantwortlichen für die fortschreitende Militarisierung des Weltraums. Die angesprochenen Weltraumwaffen sind bekannte Programme, wie Laserwaffen und Störsender, aber auch der Geheimhaltung unterliegende Programme, von denen in 2021 gefordert wurde, sie zu Abschreckungszwecken öffentlich zu machen (Hecht 2019; Hitchens 2021b). Offizielle Stellen der VR China beklagen eine Welle von Versuchen, das chinesische Weltraumprogramm in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, und verweisen auf das Weißbuch von 2021 (SCIO 2022), das sich deutlich dafür ausspricht, den Weltraum für friedliche Zwecke zu nutzen und sich Bestrebungen zu widersetzen, den Weltraum in eine Waffe oder ein Schlachtfeld zu verwandeln, oder dort gar ein Wettrüsten zu beginnen.

Die gegenseitigen Anschuldigungen erinnern nur zu gut an den ständigen verbalen Schlagabtausch zwischen der Sowjetunion und den USA im Kalten Krieg. Trotzdem war es damals möglich zusammenzuarbeiten, wie der Aufbau der ISS mit Russland seit 1998 zeigt. Von solchen Projekten, die den verbalen Friedensbeschwörungen Glaubwürdigkeit verleihen würden, sind die USA und China jedoch aktuell noch weit entfernt.

Literatur

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Dr. Dieter Engels ist Astrophysiker und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg.

Ein doppelter Verwendungszweck

Die Nutzung des Weltraums in Europa

von Regina Hagen

Die Nutzung von Weltraumtechnologie gehört spätestens seit dem Golfkrieg 1991 zum Repertoire der aktiven Kriegsführung. Navigations-, Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten ermöglichten damals den US-Truppen die Orientierung im fremden Gelände, den schnellen Vormarsch in den Irak und vernichtende, hochpräzise Angriffe mit Marschflugkörpern und Kurzstreckenraketen auf (mitunter nur vermeintlich) militärische Ziele.

Im aktuellen Ukrainekrieg kommt militärischen wie zivilen Weltraumsystemen erneut eine entscheidende Rolle zu. Verbündete Staaten, wie die USA und Großbritannien, versorgten die Ukraine schon vor Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar 2022 mit militärischen und nachrichtendienstlichen Aufklärungsdaten und -berichten. Der russische Verteidigungsminister konstatierte sechs Monate nach Kriegsbeginn, „[w]ir sind wirklich im Krieg mit […] der NATO und dem kollektiven Westen“; dabei gehe es nicht nur um Waffenlieferungen an die Ukraine, sondern um „Kommunikationssysteme, […] Aufklärungssysteme und Spionagesatelliten“ (TASS 2022).

Die ukrainischen Streitkräfte setzen bei der Weltraumnutzung aber nicht nur auf die Hilfe befreundeter Staaten, sondern wurden selbst aktiv. Dazu zwei Beispiele:

  • Schon zwei Tage nach Beginn des Krieges vermeldete Elon Musk, Gründer und CEO von SpaceX (vgl. Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 21), die von der ukrainischen Regierung erbetene und von der US-Regierung mitfinanzierte und mitorganisierte Lieferung erster Starlink-Terminals an ukrainische Regierungsstellen, um die durch Russland gestörte Satellitenkommunikation zumindest teilweise wieder zu ermöglichen (Jin 2022). Einsatzkräfte an der Front nutzen das kommerziell betriebene, auf bislang gut 3.000 Kleinsatelliten basierende Breitbandsystem z.B. zur Kommunikation mit anderen Truppenteilen oder zur Übertragung von Zielkoordinaten an Artilleriegeschosse und bewaffnete Drohnen.
  • Unter anderem zur Festlegung dieser Zieldaten verfügt das ukrainische Militär seit Kurzem über den exklusiven, per Crowdfunding finanzierten Zugriff auf einen SAR-Kleinsatelliten der finnischen Firma ICEYE (ICEYE 2022) sowie die Rechte an der Datennutzung weiterer ICEYE-Satelliten. Synthetic Aperture Radar (SAR) liefert auch bei Wolken, Schnee, Nebel und Dunkelheit zuverlässig Bilder, in diesem Fall mit einer Auflösung von einem halben bis einem Meter. Diese können mit optischen Daten kommerzieller Satelliten kombiniert in relativ kurzen Abständen aussagekräftige Bilder für die Zielidentifikation liefern und Aufklärungsdaten befreundeter Streitkräfte und Geheimdienste, z.B. Großbritanniens, bestätigen oder ergänzen.

Die vollständige Integration der »Dimension Weltraum« in die Verteidigungsplanung und Kriegsführung war seit Langem abzusehen. In den USA gibt es mit der U.S. Space Force eine eigenständige Teilstreitkraft; in China sind die Weltraumprojekte der Strategischen Kampfunterstützungstruppe unterstellt; in Russland gehört der Weltraum zum Aufgabenspektrum der Воздушно-космические силы (Luft- und Weltraumkräfte). Diese militärischen Hauptakteure haben ebenso wie Indien in den letzten 15 Jahren mit Anti-Satelliten-Tests außerdem ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, gegnerische Weltraumobjekte zu zerstören (vgl. Neuneck in diesem Dossier, S. 6). Die NATO betreibt keine eigenen Satelliten, erklärte aber den Weltraum vor wenigen Jahren zum »Operationsbereich«, verabschiedete eine Weltraumstrategie (NATO 2022a) und eröffnete auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein ein Weltraumzentrum. Dabei setzt die NATO gezielt auf Dual-use – und auf die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union (NATO 2022b; Geoană 2020; EEAS 2020).

Europa und die Dimension Weltraum

Auch in Europa hat Raumfahrt schon lange einen hohen Stellenwert, wird von zahlreichen Akteuren betrieben und erzeugt einen relevanten kommerziellen Umsatz (2019: ca. 13 Mrd. Euro).

Der größte der europäischen Akteure ist die 1975 gegründete Europäische Welt­raum­agen­tur (European Space Agency, ESA) mit 22 Mitgliedstaaten, die nicht alle der EU angehören (was umgekehrt ebenso gilt), und einem Budget in Höhe von 7,15 Mrd. Euro für 2022. Die ESA hat relevante Niederlassungen in sieben europäischen Ländern und einen eigenen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana.

Schwerpunktmäßig beschäftigen sich die ESA-Projekte mit dem Bau von zivilen Raketen für große und kleine Nutzlasten, der Erforschung des tiefen Weltraums, der bemenschten Raumfahrt (u.a. Beteiligung an der Internationalen Weltraumstation), der Erd-, Klima- und Wetterbeobachtung, der Satellitennavigation und -kommunikation sowie der Suche nach Lösungen für die zunehmende »Vermüllung« des Weltraums (vgl. Beiträge von Sönnichsen und Bertamini in diesem Dossier, ab S. 21).

Laut Satzung wurde die ESA für „ausschließlich friedliche Zwecke“ gegründet (ESA 1975), öffnete sich seit der Jahrtausendwende jedoch zunehmend für »Sicherheits«-Themen, und zwar unter ausdrücklichem Verweis auf die »Petersberg-Erklärung«. In dieser hatte sich die Europäische Union, der zweite große Weltraumakteur in Europa, ab 1992 für gemeinsame Militäraktionen der Mitgliedstaaten bis hin zu „Kampfeinsätze[n] bei der Krisenbewältigung, einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens“ (WEU 1992) ausgesprochen.1

Inzwischen gehört die zivil-militärische Nutzbarkeit von Weltraumprogrammen ausdrücklich zum Verständnis von ESA und EU, ebenso die enge Kooperation zwischen den beiden Organisationen. Seit 2019 ist die Weltraumthematik der EU im Direktorat »Verteidigungsindustrie und Weltraum« angesiedelt und wird 2021-2027 mit knapp 15 Mrd. Euro finanziert.

Im Mai 2021 konstatierten das Europäische Parlament und der Europäische Rat: „Die Entwicklung der Weltraumwirtschaft ist seit jeher mit dem Bereich der Sicherheit verknüpft. In vielen Fällen haben die Ausrüstung, Komponenten und Instrumente, die in der Weltraumwirtschaft zum Einsatz kommen, sowie Weltraumdaten und -dienste einen doppelten Verwendungszweck.“ In diesem Sinne sollten „[d]ie Möglichkeiten, die die Raumfahrt im Hinblick auf die Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten bietet, […] insbesondere gemäß der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union vom Juni 2016 genutzt werden“ (EU 2021).

Im März 2022 kamen auch die Staats- und Regierungschefs der EU überein, „Synergien zwischen Zivil-, Verteidigungs- und Weltraumforschung und -innovation zu fördern und in kritische und neue Technologien und Innovationen für Sicherheit und Verteidigung zu investieren“ (EU 2022a). Im »Strategischen Kompass für Sicherheit und Verteidigung« vom März 2022 kommt dem Weltraum ebenfalls eine hohe Bedeutung zu (EU 2022b).

Europäische Dual-use-Projekte

Die ESA und/oder die EU betreiben eine Reihe von Weltraumprojekten mit dezidiert militärischem Nutzen. Einige davon werden nachfolgend beschrieben.

Satellitennavigation mit Galileo

Heute ist Kriegsführung ohne Satellitennavigation kaum noch denkbar. Panzer und Schiffe vergewissern sich mit Hilfe der Signale ihrer exakten Position und Geschwindigkeit; Raketen, Marschflugkörper und Drohnen werden präzise gelenkt; Minengürtel werden punktgenau verlegt; Nachschub erreicht die Truppen am richtigen Abschnitt der Front.

Galileo ist ein von der EU und der ESA gemeinsam betriebenes, mit dem US-amerikanischen Global Positioning System (GPS), dem russischen Glonass und dem chinesischen Beidou vergleichbares globales System, das zur exakten Positions- und Zeitbestimmung die Signale von Navigationssatelliten nutzt.

Galileo wurde, anders als GPS, Glonass und Beidou, als ziviles Programm aufgesetzt und als solches 2003 von den EU-Mitgliedstaaten genehmigt. 2008 allerdings stimmte das EU-Parlament auf Antrag des deutschen CDU-Abgeordneten Karl von Wogau einer Resolution zu, die „betont, dass Galileo für eigenständige ESVP-Operationen2 notwendig ist, wie auch für die Gemeinsame Außen- und Sicher­heitspolitik (GASP), für Europas eigene Sicherheit und für die strategische Autonomie der Union“ (EP 2008).

Entsprechend bietet Galileo neben den zivilen und offenen Nutzungsmöglichkeiten, z.B. der Positionsbestimmung mit dem Smartphone oder dem Einsatz im Bergbau, in der Landwirtschaft und im Vermessungswesen, einen geschützten Dienst mit einer höheren Ausfallsicherheit und vor allem einer höheren Genauigkeit. Auf diesen verschlüsselten »Öffentlichen Regulierten Dienst« können nur bestimmte Nutzergruppen zugreifen, darunter der Europäische Auswärtige Dienst, Streitkräfte, Polizei, Küstenwachen einschließlich FRONTEX sowie Nachrichtendienste.

Aktuell besteht Galileo aus 24 Satelliten in einer mittleren Erdumlaufbahn. Für den Betrieb von Galileo wurde eigens die Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm (EUSPA) gegründet.

Erdbeobachtung mit Copernicus

Aus dem Weltraum lassen sich die Erde und ihre Ökosysteme besonders gut und über lange Zeiträume beobachten. Der Zustand der Landmasse, der Meere und anderer Gewässer, der Pole, Eismassen und Gletscher, der Atmosphäre und der klimatischen Verhältnisse sowie deren Veränderungen stehen hier im Zentrum.

Für die Europäische Union ist Copernicus das zweite, ebenfalls in Kooperation mit der ESA betriebene, »Flaggschiff«-Projekt im Weltraum. Zusätzlich zu Satellitendaten bindet Copernicus Daten ein, die von land-, see- und luftgestützten Messstationen gesammelt werden. Die von Copernicus bereitgestellten Informationen sind in der Regel offen und kostenlos zugänglich; zu den Nutzergruppen gehören Behörden und Unternehmen ebenso wie Umweltämter und -verbände oder interessierte Bürger*innen.

Neben Land-, Meeres-, Atmosphären- und Klimaüberwachung bietet Copernicus zwei weitere »Kerndienste«: Katastro­phen- und Krisenmanagement sowie Sicherheitsdienste. Letzteres meint die gezielte Aufbereitung der mit Copernicus gewonnenen Daten zur Überwachung der EU-Außengrenzen (insbesondere zum Schutz vor »illegitimer« Migration), zur Unterstützung militärischer EU-Einsätze auch außerhalb Europas und zur Überwachung des Schiffsverkehrs (ESA 2014). Diese Daten können „geschützt“ und als „Verschlusssache“ behandelt (EU 2014) und somit bestimmten Nutzergruppen vorbehalten werden, die im Wesentlichen denen des regulierten Dienstes von Galileo entsprechen.

Copernicus umfasst mehrere systemspezifische, »Sentinel« (Wächter) genannte Satelliten sowie einige Instrumentenpakete an Bord von Wettersatelliten der europäischen Wettersatellitenbehörde EUMETSAT. Zu den eingesetzten Technologien gehören u.a. SAR- und Radar-Höhenmessungssysteme sowie optische Spektralkameras vom sichtbaren bis zum Infrarotbereich mit hohem militärischem Nutzungswert. Weitere Daten werden von bis zu 30 Fernerkundungs- und Spionage-Satelliten zugeliefert, die von nationalen, europäischen und internationalen Organisationen betrieben werden. Komplettiert wird das Gesamtsystem durch mehrere Boden- und Kontrollstationen.

Satellitenkommunikation mit EDRS

Das Europäische Daten-Relais-Satellitensystem (EDRS) nutzt zur Satellitenkommunikation stör- und abhörsichere Laserstrahlen mit einer besonders hohen Datenübertragungsrate. Die EDRS-Satelliten kreisen im geostationären Orbit, empfangen die Datenströme niedriger fliegender Satelliten oder Flugzeuge und übertragen diese nahezu in Echtzeit an andere Satelliten oder an die Bodenstationen, die sich alle auf EU-Territorium befinden (ESA 2022). Die damit mögliche Datenautonomie und die hohe Störresistenz sowie die Nahezu-Echtzeitfähigkeit machen das System attraktiv für militärische Anwendungen, wie Aufklärung oder die Datenübertragung an Kampfjets und Drohnen. Das komplette, unter dem Markennamen »SpaceDataHighway™« laufende, System gehört dem privaten Unternehmen Airbus Defence and Space und wird von diesem im Auftrag der ESA betrieben (Airbus 2022).

Sichere Regierungskommunikation mit GOVSATCOM

Governmental Satellite Communications (GOVSATCOM) ist ein EU-Programm für sichere Satellitenkommunikation „mit einer starken Sicherheitsdimension“ im Rahmen der »Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union« vom Juni 2016. Kern ist die Sicherstellung der Kommunikation in Regionen oder Situationen, in denen andere Kommunikationsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen oder gestört bzw. zerstört sind, oder anders formuliert die „Übertragungssicherheit kritischer Informationen mit adäquatem Schutz vor Störung, Abhörung, Eindringung und Cybersicherheitsrisiken“ (ENTRUSTED o.D.) zu garantieren. Zu den Anwendungsbereichen von GOVSATCOM gehören das zivile und das militärischen Krisenmanagement sowie die Überwachung der EU-Außengrenzen und der »illegitimen« Migration. Auch bei diesem Programm werden als Anwendergruppen ausdrücklich Polizei, Grenztruppen und „militärische Krisenkräfte“ identifiziert (EUSPA 2021).

Datenauswertung im Satellitenzentrum Torrejón

Die EU betreibt in Spanien ein eigenes Satellitenzentrum. Auf seiner Homepage führt sich das European Union Satellite Centre (EUSC) so ein: „Arbeiten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Im Kontext der Informationsflut und -verzerrung bietet SatCen eine schnelle und zuverlässige Analyse von Satellitendaten zur Bewältigung aktueller Sicherheitsherausforderungen.“ (EUSC o.D.)

Hier werden für EU-Behörden Satellitenbilder, insbesondere von Copernicus, und Luftbilder gesammelt und so aufbereitet, dass sie die Überwachung von Vorgängen und Aktivitäten außerhalb Europas ermöglichen. Dazu arbeitet das Zentrum eng mit der Europäischen Verteidigungsagentur zusammen und unterstützt mit seinen Analysen die zuständigen Behörden bei der Entscheidungsfindung im Bereich Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. EUSC ist direkt dem Hohen Repräsentanten der EU für Außen- und Sicherheitspolitik unterstellt.

Wohin führt der Weg?

Die militärisch relevanten Weltraumprogramme von EU und ESA reichen bei weitem nicht an die der größeren Akteure, wie USA, Russland oder China, heran. Auch sind in Europa bislang keine Tendenzen zur Weltraumbewaffnung zu erkennen. Am aktuellen Ukrainekrieg lässt sich aber wieder einmal erkennen, wohin der Trend zu gehen scheint: zur immer entgrenzteren Kriegsführung und zum Ausreizen aller technischen Möglichkeiten, auch der, die die Weltraumtechnologie bietet.

Bereits 2008 legte die EU der internationalen Gemeinschaft den Entwurf eines Internationalen Verhaltenskodex für Weltraumaktivitäten (International Code of Conduct for Outer Space Activities) vor, der 2012 und 2013 auf mehreren Expertentreffen diskutiert und daraufhin überarbeitet wurde. Der Kodex soll u.a. „die weitere friedliche und nachhaltige Nutzung des Weltraums für jetzige und künftige Generationen schützen“, dabei helfen, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern“, die weitere Entstehung von Weltraumschrott verhindern und „internationale Normen für verantwortliches Verhalten im Weltraum stärken“ (EEAS 2014). Zu echten Verhandlungen über diesen Vorschlag kam es bislang nicht, und die Gespräche bei der UN-Abrüstungskonferenz in Genf über die »Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum« (PAROS) kommen auch keinen Schritt voran.

Die Bemühungen um »Spielregeln« für die Weltraumnutzung sind löblich, die weitere Militarisierung des Weltraums werden sie aber nicht verhindern – ebenso wenig wie die zunehmende militärische Nutzung des Weltraums in der EU selbst.

Anmerkungen

1) Die »Petersberg-Erklärung« wurde ursprünglich von der Westeuropäischen Union (WEU), einem kollektiven Beistandspakt, verabschiedet. Die WEU wurde durch die Verträge von Maastricht (1997) und Nizza (2001) sukzessive in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bzw. die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union überführt.

2) ESVP = Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, entspricht GSVP.

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Regina Hagen ist ehemalige Redakteurin von W&F. Mit der Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke beschäftigt sie sich seit 25 Jahren.

Noch Chancen für Rüstungs­kontrolle im Weltraum?

Interdisziplinäre Antworten auf eine komplexe Frage

von Arne Sönnichsen

Wiederkehrende Tests von Anti-Satelliten-Waffen (ASAT) gelten in der Debatte um die Militarisierung des Weltraums als Indikator für eine zunehmende Militarisierung und Bewaffnung des Weltraums. Dabei nehmen Expert*innen aus der Physik und den Ingenieurwissenschaften, der Rechtswissenschaft und der Politikwissenschaft jeweils andere Facetten einer vielschichtigen Problematik wahr. Mit diesem Artikel soll ein Beitrag für einen Dialog zwischen diesen Disziplinen geschaffen werden. Das Argument ist, dass die Militarisierung des Weltraums nicht unausweichlich ist und sich einzigartige Perspektiven für die Rüstungskontrolle im Weltraum ergeben, wenn die verschiedenen Fachdisziplinen ihre Erkenntnisse kombinieren.

Durch eine zunehmende Zahl an Akteuren und Aktivitäten im Weltraum steigt nicht nur die Bedeutung des Weltraums für die Menschheit, sondern auch das Risiko seiner verstärkten Militarisierung. Dabei wird Militarisierung verstanden als „die Anwendung der Wissensbestände der Weltraumwissenschaften zur Formulierung und daraus folgenden Herstellung von In­stru­menten, Geräten und Maschinen, die in einem militärischen Kontext eine praktische Verwendung finden können“ (Sariak 2017, S. 52). Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich eine »passive« bzw. »defensive« Militarisierung – d.h. der Weltraum wird vom Militär etwa für nachrichtendienstliche Zwecke verwendet – und eine »aktive« bzw. »offensive« Militarisierung, wonach das Militär in, um, und durch den Weltraum offensive Waffen einsetzt (siehe z.B. Wolter 2006, S. 52ff.). In der Debatte wird häufig kolportiert, dass Rüstungskontrollmechanismen unzureichend seien, um diese Militarisierung einzuhegen. Die oben genannten Diszipli­nen liefern jedoch Teilantworten darauf, treten aber vielfach nicht in einen Dialog. In diesem Beitrag werden die Perspektiven dieser Disziplinen daher systematisch zueinander in Beziehung gesetzt, um die Chancen für Rüstungskontrolle zu verdeutlichen.

Technische Perspektive

Weltraumtechnologien, die für offensive Zwecke verwendet werden können, werden von der Secure World Foundation (SWF) als »Counterspace«-Technologien bezeichnet. Zu diesen Systemen zählen folgende Typen: Direct Ascent (DA), Directed Energy, Co-Orbital, Electronic Warfare und Cyber (Weeden und Samson 2022, S. xxxi) – also ballistische Abfang­raketen, Laser- und Mikrowellenwaffen, ko-orbitale »Killersatelliten« (siehe dazu ausführlicher Neuneck in diesem Dossier, S. 6ff.), elektronische Kriegsführung und Cyberattacken. Die SWF listet außerdem »Space Situational Awareness« (SSA), also die Überwachung des Weltraums, als defensive Kapazität auf. Für eine Verteilung der Kapazitäten unter den Ländern siehe die Tabelle (oben rechts).

Tabelle: 2022 Global Counterspace Capabilities.
Hinweis: Die SWF summiert Cyberwaffen unter »Electronic Warfare«
Quelle: Website SWF, abgedruckt mit der Zustimmung der Autoren.

Der Weltraum als militärisches Umfeld ist in verschiedener Hinsicht einzigartig: 1.) Weltraumtechnologien sind sehr komplex und teuer, und es ist deshalb wenig verwunderlich, dass lediglich die Weltraumgroßmächte USA und Russland, Europa und Japan, China und Indien nennenswerte Kapazitäten aufbauen konnten oder aufzubauen fähig sind; 2.) gegenüber den schwer nachweisbaren Cyber- und elektronischen Angriffen sind konventionelle Waffen (DA oder ko-orbital) äußerst transparent. 3.) Kriegsführung im Weltraum hat enorme Effekte für alle raumfahrenden Staaten, da die Gefahr der unkontrollierten Erzeugung von Weltraumschrott (»Space Debris«) durch Waffeneinsätze zum sogenannten Kesslersyndrom führen können, also zu Kaskadeneffekten der Schrotterzeugung (Su 2021, siehe auch Bentamini in diesem Dossier, S. 25).

Diese Faktoren stellen jedoch nicht per se ein Hindernis für ein Rüstungskontrollregime im Weltraum dar. Im Gegenteil: die generellen Kosten und Risiken der Raumfahrt, insbesondere hinsichtlich der weltraumspezifischen Waffentechnologien und den Kaskadeneffekten eines unkon­trol­lierten militärischen Schlagabtausches, liefern starke Anreize gerade für die stark involvierten Staaten, die Gefahren durch Rüstungskontrolle zu verhindern.

Rechtswissenschaftliche Perspektive

Das Völkerrecht spielt bei der Militarisierung des Weltraums vor allem in Gestalt möglicher Rüstungskontrollregime eine Rolle. Hierzu muss zunächst beantwortet werden können, was eine Waffe im Weltraum sein kann und wie das Völkerrecht im Allgemeinen an die Definition von Waffen herangeht. Das humanitäre Völkerrecht (HVR) fokussiert primär auf das ius in bello, also jene Regeln, die auf die Durchführung des bewaffneten Konflikts zielen. Im Kontext des HVR wird festgehalten, was ein bewaffneter Konflikt ist (Artikel 2 der Genfer Konventionen). In Ermangelung klarer Definitionen für Waffen lässt sich ein funktionaler Ansatz heranziehen, wonach jedes Objekt, welches dazu geeignet oder bestimmt ist, Schaden zu verursachen, unter den Waffenbegriff fällt. Ähnlich verfährt auch die Haager Landkriegsordnung, die jedenfalls solche Objekte unter den Waffenbegriff fasst, welche geschaffen werden, um Verletzungen und unnötiges Leid zuzufügen. Auch Art. 36 des ersten Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen deutet auf ein weites Verständnis des Waffenbegriffs hin.

Im Kontext kollektiver Sicherheit stellen die Vereinten Nationen (VN) und die VN-Charta (VNCh) die zentrale Referenz dar. Gewaltanwendung ist im Kontext der VN strikt untersagt, wobei die VNCh in Artikel 51 das Recht auf Selbstverteidigung einräumt. Was genau eine Waffe konstituiert, wird nicht bestimmt, doch in einer strikten Auslegung angesichts der hohen Schwelle, die die VNCh an legale Gewaltanwendung in Form der Selbstverteidigung knüpft, lässt sich argumentieren, dass die Anwendung jeden Mittels, das substanzielle Schäden zu verursachen vermag, ausreicht, um als Angriff gewertet zu werden. Damit greift auch die VNCh auf einen funktionellen Ansatz zurück, der international durch konkrete Beispiele präzisiert wurde, wie die Terror­angriffe von 9/11 und das NATO »Tallinn Manual« zu Cyberattacken.

Einer Vielzahl von Rüstungskontrollabkommen fehlt es an klaren Definitionen, was als Waffe definiert wird – dies gilt nicht allein für den Weltraum. Das betrifft beispielsweise den Vertrag über den Waffenhandel (ATT) von 2013 und den Nichtverbreitungsvertrag (NPT) von 1968. In der Biowaffenkonvention werden Wirkmittel beschrieben, die in bestimmten Quantitäten waffenfähig gemacht werden können, ebenso wie Mittel zum Transport dieser Wirkmittel – dies ähnelt einem funktionellen Ansatz. Die Chemiewaffenkonvention folgt dem Ansatz, eine spezifische Definition zu liefern, welche Substanzen waffenfähig sind. Unterscheidungsmerkmal zwischen einer legitimen und einer waffenmäßigen Verwendung ist in diesem Abkommen die Intention und die Quantität, in welcher diese vorhanden ist und verwendet wird.

Es zeigt sich, dass im internationalen Recht das funktionale Verständnis von Waffen – definiert als solche Objekte, die dazu geeignet oder bestimmt sind, Schaden oder Leid zu verursachen – den überwiegenden Teil ausmacht. Je nach Rüstungskontrollabkommen treten dann zusätzliche technologiespezifische Aspekte als Entscheidungsmerkmale hinzu.

Adaptiert könnte daher eine Definition von Weltraumwaffen lauten: Weltraumwaffen sind alle Mittel, welche absichtsvoll gebaut oder verwendet werden, um ein Objekt im Orbit zu schädigen oder zu zerstören, oder jedes weltraumbasierte Objekt, welches entworfen oder getestet wurde, um Ziele auf der Erde anzugreifen (Moltz 2019, S. 42f.; Grego 2012).

Im Bemühen um die Verregelung der Weltraumnutzung gab es wiederholt Versuche, Rüstungskontrollregime oder -mechanismen zu etablieren, die bislang jedoch alle erfolglos geblieben sind. Die Magna Charta der Raumfahrt, der Weltraumvertrag (WRV) von 1967, bannte einzig Massenvernichtungswaffen im Weltraum. 1978 und 1979 gab es eine Reihe von erfolglosen bilateralen ASAT-Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion. 1981 stieß die VN-Generalversammlung einen Prozess an, der 1985 als Aufgabe an die ständige Abrüstungskonferenz (»Conference on Disarmament«, CD) weitergeleitet wurde und Verhandlungen zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum (»Prevention of an Arms Race in Outer Space«, PAROS) anstieß. Auch dieser Prozess blieb und bleibt bislang erfolglos.

China und Russland versuchten 2008 mit einem Vertragsentwurf zum Verbot von Weltraumwaffen (PPWT 2008) einen eigenen Anlauf, der von den USA aber scharf zurückgewiesen wurde, da im Entwurf erdgebundene ASAT-Waffen weiterhin erlaubt geblieben wären. Einen Vorstoß hin zu einem »soft law«-Ansatz unternahm die Europäische Union 2008 mit dem Internationalen Verhaltenskodex für Weltraumaktivitäten (ICoC 2008). Dieser Prozess scheiterte ebenfalls 2015, diesmal am Widerstand der Länder des Globalen Südens. Einen ähnlichen Anlauf unternahm Kanada (2009). Neuer politischer Wind kommt dieser Tage aus den USA: Nach einem russischen ASAT-Test vom November 2021 kündigten die USA (im April 2022) und Deutschland (im September 2022) überraschend an, in Zukunft auf destruktive ASAT-Tests zu verzichten (The White House 2022, Auswärtiges Amt 2022).

Es besteht also weiter eine große Regelungslücke, nicht nur bei militärischen Weltraumaktivitäten. Die vielstimmigen Bemühungen sollten durchaus positiv stimmen, dass es im gemeinsamen Bestreben der Staaten mittelfristig zu einer Lösung kommen kann.

Politikwissenschaftliche Perspektive

Eine politikwissenschaftliche Perspektive fokussiert vornehmlich auf die Beziehungen zwischen den Staaten und berücksichtigt dabei im Unterschied zur rechtswissenschaftlichen Perspektive auch Beziehungen in einer weniger institutionalisierten Form. Debatten kreisen hier um den Begriff der Weltraumsicherheit (»space security«), die definiert ist als „Aggregat aller technischen, regulatorischen und politischen Mittel, die auf die Sicherung des ungehinderten Zugangs und der ungestörten Nutzbarkeit des Weltraums sowie die Nutzbarkeit des Weltraums für die Wahrung der Sicherheit auf der Erde abzielen“ (Antoni 2020, S. 15). Sechs raumfahrende Großmächte, die sich insbesondere durch ihre Autonomie auszeichnen und die zeithistorisch als Paare zu Akteuren der Raumfahrt aufstiegen, lassen sich identifizieren: die USA und die Sowjetunion/Russland, Europa und Japan, sowie China und Indien (Schrogl 2019). Zwischen diesen lassen sich vier zentrale Dynamiken identifizieren: Weltraumüberlegenheit, Sicherheitsdilemma, Weltraumclub und zivile Nutzung. Es zeigt sich, dass diese abhängig von der geografischen und geopolitischen Situation des jeweiligen Akteurs ausgespielt werden:

Weltraumüberlegenheit:

  • Dies betrifft vor allem die USA, Russland und China, die allesamt einen geopolitischen Führungsanspruch erheben. Die Machtverteilung ist auch hier unterschiedlich, wobei die USA die umfangreichsten Kapazitäten und das meiste Know-How besitzen, dicht gefolgt von Russland, welches jedoch durch Budgetrestriktionen von seiner Substanz zehrt. China dagegen ist eine aufstrebende Weltraumgroßmacht, die ihre Kapazitäten beständig ausbaut (Space Security Index 2019, S. 136ff.). Andere Staaten rüsten ebenfalls auf, etwa Frankreich und Indien. Insbesondere der geopolitische Konflikt zwischen den USA und China und die von beiden klar artikulierte Führungsrolle könnten sich als Konflikttreiber herausstellen.

Sicherheitsdilemma:

  • Ein Sicherheitsdilemma ist ein klassischer Fall internationaler Politik, in der sich Staaten durch gegenseitiges Misstrauen genötigt fühlen, in militärische Sicherheit zu investieren. Dieses Phänomen korreliert teilweise mit der Dynamik der Weltraumüberlegenheit, ist jedoch regional eingegrenzt, wobei der Hotspot derzeit der asiatische Raum ist, in dem sich die drei Staaten China, Japan und Indien in einem solchen Sicherheitsdilemma sehen. China strebt deutlich nach einer Führungsrolle, während Indien und Japan sich zusehends in eine defensive Rolle gedrängt sehen (Khan und Khan 2019).

Space Club:

  • Das Konzept des »Space Club« (Paikowsky 2017) beschreibt die symbolische Bedeutsamkeit von Staaten. Staaten versuchen demnach durch die Mitgliedschaft in technologischen »Clubs« anderen Staaten zu signalisieren, dass sie als Großmächte anerkannt werden wollen. Zwei Beispiele: Der Wettlauf ins All der 1960er Jahre hatte explizit Konnotationen eines »Space Clubs« in Bezug auf die globale technologische Führungsrolle (Musgrave und Nexon 2018) – wer im Rennen um den Weltraum mit dabei war, konnte sich international als Großmacht geben. Ähnliches trifft auf den indischen ASAT-Test 2019 zu, der gewertet werden kann als Versuch, einen Platz am Verhandlungstisch für einen potenziellen ASAT-Vertrag zu erzwingen, seinen direkten Nachbarn China und Pakistan die militärischen Fähigkeiten zu beweisen, innenpolitisch Stärke zu zeigen und zugleich auf dem internationalen Parkett als verantwortungsvoller Akteur wahrgenommen zu werden (Sönnichsen und Lambach 2020).

Zivile Nutzung:

  • Die zivile Nutzung war lange Zeit der zentrale Handlungstreiber der europäischen Staaten bzw. der europäischen Raumfahrtagentur (ESA) mit ihrer expliziten Zivilklausel, aber auch für Japan. Einige der Länder des Globalen Südens kopierten den Ansatz, die Raumfahrt vor allem zur sozio-ökonomischen Entwicklung zu verwenden, etwa Indien (Harding 2013). Auch wenn die ESA und Japan weiterhin an der zivilen Raumfahrt festhalten, zeigt sich, dass die zunehmende sicherheitspolitische Neubewertung auch hier Einzug hält. So wird die Zivilklausel der ESA durch die europäischen Staaten dadurch umgangen, dass die tendenziell militär- und sicherheitspolitischen Komponenten in die neue EU-Raumfahrtagentur (»European Union Agency for the Space Programme«, EUSPA) ausgelagert werden (Klimburg-Witjes 2021). Auch zeigen Länder wie Frankreich, Indien (Aliberti 2018) und Japan (European Space Policy Institute 2020) verstärkte Tendenzen einer sicherheitspolitischen Neubewertung.

Diese Entwicklungen zeigen, dass die Raumfahrt zunehmend in sicherheitspolitischen Dimensionen gedacht wird. Sie zeigen auch, dass gerade die Konfliktlinien, die am deutlichsten zwischen USA/Russland, USA/China, China/Indien, China/Japan hervortreten, Bewegungen hin zu gemeinsamen und effektiven Rüstungskontrollbestrebungen aushebeln. Dennoch liegt in dieser Analyse der Dynamiken auch eine Chance, sich dieser bewusst zu werden und sie gezielt auszuspielen, um ein Rüstungskontrollregime zu schaffen, welches potenziell desaströse Effekte vermeiden könnte.

Der ABM-Vertrag: Handlungsleitendes Beispiel?

Der 1972 zwischen den USA und der Sow­jet­union vereinbarte und 2002 durch US-Präsident George W. Bush aufgekündigte ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (Anti-Ballistic Missiles, ABM) stellt ein Beispiel für die Herausforderungen eines Rüstungskon­trollregimes dar, das häufig als Referenz für die Probleme bei der Regulierung der Militarisierung der Raumfahrt genannt wird. Die Überlegung hinter dem Abkommen lautete, dass ein Erstschlag wahrscheinlicher wäre, wenn ein Staat über umfangreiche Defensivkapazitäten verfügte und die begründete Vermutung hätte, dass er einen Gegenschlag überleben könnte. Durch die Aufgabe dieser Fähigkeit wären beide Staaten einem Gegenschlag ausgeliefert, was den Anreiz eines Erstschlags verringern sollte. Die Verifikation, also die (gegenseitige) Überprüfung der Einhaltung der Abrüstungsleistungen der Vertragsparteien, ist das Herzstück von Rüstungskontrollregimen und wurde beim ABM-Vertrag in dreifacher Weise realisiert: Beide Vertragspartner erarbeiteten eine funktionell-absichtsbezogene Definition einzelner Bauteile, legten also mithin fest, auf welche Systeme sich das Abkommen bezog. Die Regelbefolgung wurde durch Überwachungsmaßnahmen wie Fotoaufklärungssatelliten bewerkstelligt. Eine ständige Beratungskommission (Art. XIII) konnte angerufen werden, sollte es einen Verdacht geben, dass eine Partei ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Dieser Dreiklang schuf die Grundlage, dass die Vertragspartner den ABM-Vertrag umsetzen konnten und könnte deshalb auch als Beispiel für einen ASAT-Vertrag herhalten (Mutschler 2013).

Fazit

Drei Ergebnisse lassen sich festhalten:

1. Weder technisch noch rechtlich konnten wir Hindernisse feststellen, die die Schaffung eines Rüstungskontrollregimes verhindern – vielmehr deuteten die Bedürfnisse einer Verhinderung (der Kosten) von Kaskadeneffekten und die erkennbaren Regelungsversuche auf ein allgemeines Kontrollbemühen hin. Wohl jedoch ließ sich feststellen, dass die eskalierenden Dynamiken wahrgenommener Sicherheitsdilemmata und Überlegenheitsansprüche zwischen den Staaten das größte Hindernis darstellen.

2. Rechtlich und politisch ist es möglich, gemeinsame Ziele für die beteiligten Akteure zu formulieren, das beweist die Schaffung der ABM-Vertrags.

3. Die Kosten von Weltraumtechnologie sind derzeit ein Flaschenhals, doch es ist zu erwarten, dass mit zunehmender symbolischer Bedeutung der Raumfahrt (»Space Club«) und sinkenden Kosten das Risiko sich verstärkender sicherheitspolitischer Dynamiken steigen wird: die Militarisierung wird zunehmen.

Im Lichte der widersprüchlichen Bewegungen in der aktuellen Politik zwischen der Ankündigung der USA, auf destruktive ASAT-Tests zu verzichten, auf der einen Seite und der durch den Ukrainekrieg steigenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen auf der anderen Seite, ist eine abschließende Einschätzung zu den Chancen für Rüstungskontrolle im Weltraum schwierig. Grundsätzlich zeigen jedoch alle oben geschilderten Erkenntnisse, dass Rüstungskontrolle im nationalen Interesse aller raumfahrenden Staaten ist und Kooperation auf lange Sicht den (auch eventuell unbeabsichtigten) de­struk­tiven Effekten der Militarisierung entgegenwirken kann. Nur gemeinsam bleibt der Weltraum eine „Domäne der gesamten Menschheit“, wie es im Weltraumvertrag heißt.

Dieser Beitrag basiert in Teilen auf einem Artikel, der im Kontext des SichTRaum Netzwerkes (sichtraum-netzwerk.de) entstand und zur Veröffentlichung in »Die FriedensWarte« angenommen ist (­Sönnichsen et al, 2022). Hier finden sich weitere Literaturangaben.

Literatur

Aliberti, M. (2018): India in space: Between utility and geopolitics. Cham: Springer.

Antoni, N. (2020): Definition and status of space security. In: Schrogl, K.-U. (Hrsg.): Handbook of space security. Policies, applications and programs. 2. Aufl. Cham: Springer, S. 9-33.

Auswärtiges Amt (2022): Deutschland erklärt in Genf Verzicht auf Tests mit Anti-Satelliten-Raketen. Beitrag auf der Homepage des Ministeriums, 13.09.2022.

European Space Policy Institute (2020): Securing Japan. An assessment of Japan’s strategy for space. Wien: Webpublikation, 21.7.2020.

Grego, L. (2012): A history of anti-satellite programs. Union of Concerned Scientists (UCS), Webpublikation, Januar 2012.

Harding, R. C. (2013): Space policy in developing countries. The search for security and development on the final frontier. London, New York: Routledge.

ICoC (2008): Draft International Code of Conduct for Outer Space Activities. CD, 2008, 17175/08.

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Khan, Z.; Khan, A. (2019): Space security trilemma in South Asia. Astropolitics 17(1), S. 4-22.

Klimburg-Witjes, N. (2021): Shifting articulations of space and security: boundary work in European space policy making. European Security 30(4), S. 526-546.

Moltz, J. C. (2019): The politics of space security. Strategic restraint and the pursuit of national interests. 3. Aufl. Redwood City: Standford University Press.

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Mutschler, M. (2013): Arms control in space. Exploring conditions for preventive arms control. New York: Palgrave Macmillan.

Paikowsky, D. (2017): The power of the Space Club. Cambridge: Cambridge University Press.

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Schrogl, K.-U. (2019): Die strategische Bedeutung des Weltraums für die Großmächte. Zeitschrift für Politikwissenschaft 29(4), S. 517-524.

Sönnichsen, A.; Lambach, D. (2020): A developing arms race in outer space? De-constructing the dynamics in the field of anti-satellite weapons. Sicherheit und Frieden 38(1), S. 5-9.

Sönnichsen, A.; Hadley, S.; Altmann, J.; Bertamini, M.; Mutschler, M.; Scheffran, J. (2022, im Erscheinen): The militarization of space. Unique opportunities for arms control. Die Friedens-Warte 95 (3-4), S. 247-266.

Space Security Index (2019): Space Security Index 2019. Featuring a global assessment of space security by Brian Weeden. 16. Aufl. Ontario.

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Weeden, B.; Samson, V. (2022): Global counterspace capabilities: An open source assessment. Secure World Foundation. Broomfield.

Wolter, D. (2006): Common Security in outer space and international law. Geneva: UNIDIR.

Arne Sönnichsen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik der Universität Duisburg-Essen. Er befasst sich im Rahmen seiner Dissertation mit den Auswirkungen von Technik auf Governance am Beispiel der Raumfahrt und koordiniert das Forschungsnetzwerk »SichTRaum – Sicherheit, Technologie, Weltraum«.

Kommerzialisierung als Sicherheitsherausforderung?

Der Aufstieg des »New Space«

von Arne Sönnichsen

Seit die Trägerrakete Falcon 9 im Juni 2010 erstmals erfolgreich in den Himmel startete, steht der exzentrische Milliardär Elon Musk und mit ihm sein Unternehmen SpaceX für eine neue Weltraum-Ära, die auch als »New Space« bekannt ist und im Widerspruch zum »Classic Space« gesehen wird (Paikowsky 2017). Analyst*innen überschlagen sich, prognostizieren sprunghaftes Wachstum der weltweiten Weltraumausgaben um das Achtfache, von 339 Mrd. US$ in 2017 auf bis zu 2,7 Bio. US$ in 2045 (Tran et al. 2017). Es scheint, als habe ein neuer Goldrausch“ (Pelton 2017) eingesetzt, in dem Milliardäre wie Elon Musk, Jeff Bezos und Richard Branson mit ihren Unternehmen SpaceX, Blue Origin und Virgin ganz vorne mit dabei sein wollen. Damit hat das Zeitalter der privaten kommerziellen Nutzung (und Ausbeutung) des Weltraums begonnen – mit allen sicherheitsrelevanten, ökologischen und sozialen Konsequenzen. Kommerzielle Aktivitäten im Weltraum lassen sich unterscheiden in 1.) etablierte Aktivitäten: Satelliten, Trägersysteme und Satellitenkommunikation; 2.) in der Entwicklung befindliche Aktivitäten: Weltraumtourismus, Serviceleistungen im Weltraum und die Entsorgung von Weltraummüll (»Space Debris«); 3.) prospektive Aktivitäten: Produktion im Weltraum, Asteroidenbergbau und Weltraumhabitate (Kind et al. 2020).

Der Artikel skizziert die rechtlichen Regelbereiche der Weltraumgovernance und blickt beispielhaft auf die Genese eines kommerziellen Marktes für Trägersysteme sowie den Weltraumtourismus und den Asteroidenbergbau. Dabei stehen die sicherheitsrelevanten Folgen dieser Entwicklungen im Fokus, die im Kontext der weiteren Versicherheitlichung und Militarisierung des Weltraums nicht unterschätzt werden dürfen.

Die Ursprünge der Kommerzialisierung

Es dauerte gerade einmal fünf Jahre, nach dem Start des Weltraumzeitalters mit Sputnik, bis kommerzielle Akteure nicht nur als Zulieferer von Weltraumtechnologie, sondern auch als Projektpartner fungierten: Am 10. Juli 1962 startete die NASA für AT&T und Bell Telephone Laboratories den ersten kommerziell finanzierten und entwickelten Satelliten Telstar I. Noch im selben Jahr schuf die US-Regierung den »Communications Satellite Act«, der den kommerziellen Betrieb von Satelliten rechtlich verankerte.

Dieses Bemühen um Regulierung einer aufkommenden Kommerzialisierung drückt sich auch in diversen Abkommen aus. Ab 1967 wurde mit dem Weltraumvertrag (WRV) die Beteiligung von nicht-staatlichen Akteuren unter die Überwachung der entsendenden Staaten gestellt. In Artikel VI heißt es: „Die Aktivitäten nichtstaatlicher Körperschaften im Weltraum, einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper, bedürfen der Genehmigung und ständigen Überwachung durch den zuständigen Vertragsstaat.“ Auch die weiteren weltraumbezogenen Verträge, das Weltraumrettungsübereinkommen (1968), das Übereinkommen über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände (»Space Liability Convention«, 1972), und das Weltraumregistrierungsübereinkommen (1976) finden prinzipielle Anwendung auf kommerzielle Akteure. Der Mond-Vertrag von 1979 gilt dagegen wegen seiner geringen Unterstützung als gescheitert und findet insofern keine Anwendung.

Der Durchbruch der kommerziellen Satellitenkommunikation lässt sich auf die 1980er Jahre datieren und allem Anschein nach bleibt die Satellitenkommunikation bis auf weiteres auch das hauptsächliche Betätigungsfeld. Insbesondere in den USA ergeben sich starke Tendenzen, die Kommerzialisierung auch in anderen Bereichen zu entwickeln, dicht gefolgt von Europa und Japan, die zunehmend Programme zur Förderung kommerzieller Raumfahrt einrichten. Russland bewegt sich hier eher in eine Regression, indem es kommerzielle Aktivitäten zunehmend verstaatlicht, während China und Indien die Raumfahrt stets in den Dienst sozioökonomischer Entwicklung stellten (Kind et al. 2020, S. 21-25). Der zweite »Durchbruch« war die zunehmende Kommerzialisierung in den 2010er und 2020er Jahren, die alle Raumfahrtnationen ernst nahmen. Heute machen privatwirtschaftliche Kommunikationsaktivitäten rund ein Drittel und Erdbeobachtung ein weiteres Drittel aller Satellitenkapazitäten aus (Kind et al. 2020, S. 49).

»Lift Off« für kommerzielle Aktivitäten und Trägersysteme

Auch wenn Telstar I in Kooperation mit den Telekommunikationspartnern entwickelt wurde, übernahm die NASA die Kernaufgabe der Beschaffung der Trägersysteme ebenso wie die der Starts. Dieses Vorgehen sollte der Modus Operandi bis in die 1980er Jahre bleiben. Mit der Mondlandung am 20. Juli 1969 wähnten sich die USA als Sieger des »Space Race«, und das Interesse der US-Öffentlichkeit am Weltraum schwand zunächst, nicht zuletzt infolge von Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg und geopolitischer Entspannungspolitik (Logsdon 2015, S. 114f.). In den 1970er und 1980er Jahren nahmen zwei Projekte Fahrt auf, die die Raumfahrt kommerzialisieren wollten. Die deutsche OTRAG (Orbital Transport- und Raketen Aktiengesellschaft) versuchte ab 1975 eine simple, aus mehreren Flüssigraketen bestehende Trägerrakete zu bauen und zu vermarkten. Neben Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit führten politischer Druck der USA und der Sowjetunion, aber auch Frankreichs, das eine direkte Konkurrenz zur staatlich getragenen Europa-Rakete/Ariane fürchtete, zum Ende der OTRAG 1986 (Schwehm 2018).

Das Space Transportation System (STS), besser bekannt als Space Shuttle, wurde zeitgleich das neue Prestigeprojekt der NASA, die dazu das Weiße Haus von einem wiederverwendbaren Raumgleiter überzeugte, der Operationen der zivilen NASA, des Militärs und kommerzieller Unternehmen übernehmen sollte. Die Versprechungen waren riesig, die Enttäuschung umso größer: Acht jährliche Starts bei rund 10.000 US$/kg (Preise 2020) waren angepriesen, realisieren konnte man im statistischen Mittel 4,7 Starts jährlich bei Kosten um 65.000 US$/kg (Logsdon 2015, S. 257; Jones 2018). Das Shuttle erlangte trotz explosionsartiger Kostensteigerung 1981 seine Startlizenz, bis die Regierung von Ronald Reagan ihr 1986 diese Lizenz infolge der Explosion des Shuttles »Challenger« wieder entzog und später den Einsatz der Shuttles auf zivile Missionen der NASA begrenzte. Militärische wie kommerzielle Akteure wechselten zu Einweg-Trägerraketen (»Expendable Launch Vehicles«).

Das Scheitern des Shuttles führte zu einem jähen Einbruch amerikanischer Starts, die von dem multinationalen Unternehmen Arianespace und ihrer Ariane-Raketenfamilie (ab 1983) aufgefangen wurden. Dies gilt auch heute als Startschuss für kommerzielle Trägersysteme – wenn auch mit nationalstaatlicher Absicherung. Die Dominanz der ­Ariane wurde erst nach dem Fall der Sow­jetunion geschmälert, als nun auch die russischen Folgeunternehmen mit der Soyuz-, ­Angara-, Proton-Raketenfamilie und der ukrainischen Zenit kommerzielle Raketenstarts anboten, infolge eines durch die Raumstationen MIR und ISS eingeschränkten Budgets und getrieben durch die generellen ökonomischen Nöte der postsowjetischen Länder.

US-amerikanischer Markt für Weltraumstarts

Aufgrund der Bereitschaft für die Öffnung, der hegemonialen Stellung der USA in diesem Bereich und der entsprechend finanzstarken Akteurslandschaft lohnt ein Blick auf die Entwicklung des US-amerikanischen Marktes für Weltraumstarts, um das Phänomen der Kommerzialisierung besser einordnen zu können. Ein kommerzieller Markt für Startkapazitäten entwickelte sich auch dort zunächst nicht, trotz Deregulierung durch die Regierung von Präsident Reagan. Erfolge wie die Conestoga I der Firma Space Science Inc., die am 9. September 1982 erfolgreich abhob, ignorierte die NASA. 2003 führte das Space Shuttle abermals zur Neujustierung des Marktes, als die Raumfähre »Columbia« beim Wiedereintritt verglühte. Die sogenannte Aldridge-Kommission, die der 2004 verkündeten »Vision for Space Exploration« von George W. Bush, jr. folgte, plädierte entschieden dafür, von der bisherigen Praxis der Beschaffung der Startkapazitäten durch die NASA Abstand zu nehmen: statt eines »Kosten Plus«-Modells sollten privat-kommerzielle Startkapazitäten als Public-Private Partnerships nach einem festgelegten Preis eingekauft werden (Solomon 2008, S. 25-29). Im klassischen Modus waren aufgeblähte Hierarchien, Kostensteigerungen und Verzögerungen üblich (Paikowsky 2017), auch hatte sich zwischen NASA und Raumfahrtindustrie eine »Drehtür« für Manager etabliert. De facto blieben sowieso nur zwei Konzerne übrig: Boeing und Lockheed Martin (Berger 2021, S. 192).

Direkte Konsequenzen zeigten sich für die NASA noch nicht, wohl jedoch für ein 2002 gegründetes Weltraumunternehmen. Elon Musk, der durch den Verkauf eines Softwareunternehmens zu einigen Millionen US$ gelangt war, zeigte sich unzufrieden mit den ambitionslosen Zielen der NASA, sodass er kurzerhand sein eigenes Raumfahrtunternehmen, Space Explorations bzw. SpaceX, gründete. 2003 klagte SpaceX gegen die Vergabe eines Auftrags der NASA über 227 Mio. US$ zur Versorgung der ISS, der ohne Ausschreibung an das beinahe bankrotte Unternehmen Kistler Aerospace gegangen war. Die NASA verlor den Prozess, zog den Vertrag mit Kistler zurück und schuf die Programme COTS (»Commercial Orbital Transport Services«) und CRS (»Commercial Resupply Services«), welche finanzielle Mittel an die teilnehmenden Firmen ausschütteten, die zuvor gesteckte Ziele erreicht hatten. Am 28. September 2008 führte SpaceX einen vierten, endlich erfolgreichen Start seiner Falcon 1 durch und wurde mit einem 1,9 Mrd. US$ schweren Vertrag zur Versorgung der ISS belohnt, der das Unternehmen zugleich vor dem Bankrott bewahrte (Vance 2015; Berger 2021).

Damals noch belächelt, transformiert SpaceX seitdem den Markt durch seine der traditionellen Raumfahrt diametral entgegengesetzten Praktiken: so hat SpaceX flache Hierarchien und Entscheidungsprozesse, produziert in-house und verwendet kommerziell verfügbare Bauteile. Käufer bezahlen einen fixen Preis, die Kosten liegen pro kg bei 2.400 US$ (Jones 2018), was vor allem zu einer zunehmenden Marktmacht von SpaceX beiträgt. Auch experimentiert SpaceX mit wiederverwendbarer Technologie und setzt mit Falcon Heavy (Jungfernflug 2018) und der Entwicklung des Gleiters Starship erneut Akzente. Damit ist SpaceX auch zur Chiffre des »New Space« avanciert. Das Unternehmen beweist nicht nur die Agilität und Innovationsfähigkeit von Start-Ups, es beweist, dass Risikoarmut und ein auf Sicherheit getrimmtes Businessmodell für die Frühzeit der (bemannten) Raumfahrt bestimmend war, jedoch zunehmend überholt ist. Dieser Trend wird durch viele nachahmende Unternehmen im Bereich der sogenannten »Microlauncher« kopiert, etwa Electron und Firefly in den USA, oder HyImpulse, RFA und Isar Aerospace in Deutschland.

Weltraumtourismus: Der nächste Schritt?

Beim Weltraumtourismus reisen Personen, die nicht in die Organisationsstrukturen staatlicher Stellen eingebunden sind, gegen Bezahlung in den Weltraum. Der erste Weltraumtourist war Dennis Tito, ein amerikanischer Multimillionär, der 2001 mit einer russischen Soyuz für 20 Mio. US$ zur ISS flog. Generell ist zu unterscheiden zwischen mehrtägigen Aufenthalten im Weltraum, etwa auf der ISS oder in anderen speziellen Habitaten, die Unternehmen wie Bigelow Aerospace planen, und suborbitalen Flügen, bei denen der Rand der Atmosphäre für einige Minuten erreicht wird, bevor das Raumfahrzeug zur Erde zurückfällt. In Zahlen ausgedrückt: Bis Juni 2022 flogen 13 Personen für 8-17 Tage zur ISS und bezahlten zwischen 20 und 35 Mio. US$ an das Unternehmen Space Adventures. 26 Personen unternahmen zehnminütige suborbitale Flüge mit Blue Origin, die rund 200.000 bis 300.000 US$ kosten sollten. Vier Personen blieben mit SpaceX drei Tage im LEO. Während die Aufenthalte von Space Adventures alle ein bis zwei Jahre stattfanden, entsendet Blue Origin seine Raumfahrzeuge annähernd monatlich, d.h. alle 26 Personen, die bislang einen suborbitalen Flug absolvierten, taten dies innerhalb eines Jahres.

Regulativ ist die derzeitige Form des Weltraumtourismus unproblematisch. Staaten haften für die Durchführung der Flüge, und da auf der ISS das jeweilige Landesrecht gilt, obliegt die Entscheidung darüber, wer Zugang zur ISS erhält, dem entsendenden Staat. Ein handfestes politisches Problem betrifft Fragen der (Klima-)Gerechtigkeit. Es wird geschätzt, dass ein einfacher suborbitaler Flug, der bereits deutlich weniger Beschleunigung und damit weniger Abgase und CO2 erzeugt als ein orbitaler Flug, immer noch das 50-100fache eines regulären transkontinentalen Fluges freisetzt. Hier steht der Weltraumtourismus unter einem nicht unerheblichen Rechtfertigungsdruck, da eine Ausweitung der weltraumtouristischen Unternehmungen faktisch nur durch eine höhere Umweltbelastung zu haben ist.

Asteroidenbergbau: ein neuer Extraktivismus?

Der Asteroidenbergbau, d.h. das Einfangen von Asteroiden und der Abbau der enthaltenen Mineralien, ist noch in den Bereich der Science-Fiction einzuordnen, hat jedoch ein signifikantes Transformationspotential. So wäre es möglich, dass der 1852 entdeckte Asteroid Psyche 16 in seinem Inneren Goldvorkommen im Wert von heute rund 600-700 Trillionen US$ mit sich trägt. Zum Vergleich: Der irdische Goldmarkt umfasste 2019 rund 317 Bio. US$. Grundlegende Technologien zum Abbau sind realisierbar und der ESA-Satellit Rosetta demonstrierte schon 2016, dass eine Landung möglich ist. Dennoch sind die Kosten derzeit kaum realistisch zu kalkulieren, die Chancen auf Erfolg mehr als unsicher. Trotzdem wird geforscht und investiert.

Zwei internationale Rechtsnormen werden in diesem Kontext zitiert: Artikel I WRV beschreibt den Weltraum als „Domäne der Menschheit“ und schreibt diesem ähnliche Charakteristika zu wie bei den Globalen Gemeingütern (»Global Commons«). Artikel II WRV verbietet nationale Aneignungen im Weltraum. Gemeinsam entfalten diese beiden Artikel einen Effekt, der darauf hindeutet, dass Asteroidenbergbau auf Basis des derzeitig gültigen Rahmens internationaler Normen nicht legal ist bzw. nicht ausreichend reguliert ist. Diese Lücke haben die USA 2015 und Luxemburg 2017 durch nationale Gesetze gefüllt, die Unternehmen das Recht einräumten, geplünderte Mineralien zu behalten. Als Absicherung von Investitionen sind diese Gesetze plausibel, doch ist damit noch nicht die Gerechtigkeitsproblematik ausgeräumt, die vermutlich dann folgt, sobald Asteroidenbergbau faktisch realisiert werden kann (Svec 2022).

Trägersysteme als Anstoß für weitere kommerzielle Aktivitäten

Die durchgreifenden Veränderungen im Markt der Trägersysteme gehen mit tiefgreifenden Veränderungen aller kommerziellen Aktivitäten einher, die zu weiten Teilen erst möglich sind, seit es kostengünstige Zugänge zum Weltraum gibt. Die Ausweitung von Satellitenstarts, von Satellitenanwendungen, dem Weltraumtourismus und der durch Miniaturisierung forcierte Aufbau von Satellitenschwärmen und Konstellationen aus vielen kleinen Satelliten (Konecny 2004) mit dem Ziel, größtmögliche Redundanz und Resilienz zu schaffen (etwa bei StarLink von SpaceX und dessen globalem Internetangebot), sind maßgeblich auf fallende Startpreise zurückzuführen. Damit kommen auch kommerzielle Dienstleistungsaktivitäten im Weltraum, wie etwa die Durchführung von Wartungsarbeiten an Objekten im Weltraum, erst in Frage. Zugleich entstehen durch diese Ausweitung auch signifikante Sicherheitsgefahren, hier weniger in der traditionellen Dimension militärischer und nationaler Sicherheit (»Security«), vielmehr in den Dimensionen der sicheren Nutzung des Weltraums (»Safety«).

Je mehr Objekte sich im Weltraum befinden, desto höher ist die von ihnen ausgehende Gefahr von kaskadierenden Zusammenstößen, die die Raumfahrt praktisch völlig zum Erliegen bringen könnten. Deshalb ist das Thema Weltraummüll für die Raumfahrt im Zusammenhang mit der Kommerzialisierung zu einem prioritären Thema der Raumfahrtdiplomatie avanciert (siehe den Beitrag von Bertamini in diesem Dossier, S. 25). Entsorgungskonzepte werden bereits als Designmerkmal von Raumfahrzeugen entwickelt, während eine Art aktiver Müllabfuhr im Weltraum Thema politischer Verhandlungen ist. Kommerzielle Akteure wie ClearSpace sind hier auf dem Vormarsch, aber globale Übereinkommen zur Entfernung von Weltraummüll stellen zurzeit noch eine größere politische Herausforderung dar, als Weltraummüll schlicht zu vermeiden. In diesem Kontext wird seit einigen Jahren auch eine Regulierung des Weltraumverkehrs (»Space Traffic Management«) vorangetrieben, um die Vielzahl an Problemen anzugehen (IAA 2016).

Kommerzialisierung als Katalysator oder Dämpfer von Konflikten?

Die Kommerzialisierung beschert der Raumfahrt eine erhöhte Aufmerksamkeit, die vornehmlich auf SpaceX und dessen technologischen Errungenschaften sowie den fallenden Startpreisen beruht. Die Vervielfältigung von Weltraumaktivitäten in Quantität und Qualität nimmt bereits zu, wenngleich eine nachhaltige Demokratisierung im Sinne einer Neujustierung der Machtverhältnisse unwahrscheinlich ist (Rementeria 2022).

Es muss aber bei allem Enthusiasmus auch konstatiert werden, dass die kommerziellen Aktivitäten weiterhin auf einem moderaten Niveau stattfinden. So gibt es zwar einen Aufwärtstrend in der Zahl an Raketenstarts und der gestarteten Objekte (2016: 221; 2021: 1807), und auch insgesamt ist der Satellitenmarkt weiterhin der bedeutsamste hinsichtlich kommerzieller Aktivitäten. Die meisten der gestarteten Objekte werden jedoch weiterhin vornehmlich von staatlichen Akteuren finanziert – hier haben Unternehmen wie SpaceX lediglich im Bereich der Trägersysteme staatliche und halbstaatliche Akteure wie Roskosmos und Arianespace bei der Beförderung verdrängt.

Für die konkrete Umwelt des Weltraums ist die Vervielfältigung an kommerziellen Aktivitäten daher bedeutsam, da sie auch explizit (sicherheits-)politische Verwerfungen durch eine Verschärfung der Abfallproblematik nach sich zieht. Zudem zeigt sich ein Überkreuzen geopolitisch staatlicher Interessen und kommerzieller Aktivitäten: StarLink von SpaceX wird von Staaten wie Russland und China wegen der Verwicklungen im Ukraine­krieg und auch wegen seines unzensierbaren Zugriffs auf das Internet argwöhnisch beobachtet, teilweise sogar aktiv durch Weltraummüll gestört (Sönnichsen 2021) oder gar mit expliziten Ankündigungen bedroht, diese Satelliten abzuschießen (Bhatia 2022). Dass Konstellationen wie StarLink das Potenzial haben, in Krisenregionen eine Kommunikationsinfrastruktur aufrecht zu erhalten, oder dass die Erdbeobachtung unschätzbare Informationen hinsichtlich Klimafolgen, Katastrophen und Menschenrechtsverletzungen liefert, ist gerade im Kontext eines breiten Sicherheitsbegriffes (»human security«) von Relevanz.

Durch die Volatilität der Kommerzialisierung ist eine abschließende Bewertung schwierig. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Kommerzialisierung a.) keineswegs ein neues Phänomen, sondern eine Evolution darstellt, die dazu transformativ wirkt; dass b.) die Kommerzialisierung eng mit der Geschichte der Trägersysteme verbunden ist, an deren Anfang wir erst stehen; und c.) die Kommerzialisierung unterschiedliche Rückwirkungen auf Politik und Sicherheit nimmt. Erwartbar ist, dass die technische Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, es deshalb zu weiteren geopolitischen Konflikten kommen wird und es daher regulativer Eingriffe bedarf, um klare Leitplanken für kommerzielle Aktivitäten im Weltraum herzustellen.

Literatur

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Schwehm, O. (Regie) (2018): Fly, Rocket, Fly. Mit Macheten zu den Sternen. Dokumentarfilm. Hamburg: Lunabeach TV und Media GmbH. Online verfügbar unter otrag.com.

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Arne Sönnichsen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik der Universität Duisburg-Essen. Er befasst sich im Rahmen seiner Dissertation mit den Auswirkungen von Technik auf Governance am Beispiel der Raumfahrt und koordiniert das Forschungsnetzwerk »SichTRaum – Sicherheit, Technologie, Weltraum«.

Ressourcenabbau, Weltraumschrott und der Weltraum als Teil der »Umwelt«

Eine rechtswissenschaftlich-ökologische Betrachtung

von Maximilian Bertamini

Die Bedeutung des Weltraums für den internationalen Frieden ist breiter gefächert, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn nicht nur eine fortschreitende Militarisierung schafft Konfliktpotenziale im All, sondern auch Wettläufe um Ressourcen und die stetige Verknappung nutzbarer Orbits durch Weltraumschrott. Im Sinne des Friedensbegriffs der Vereinten Nationen ist Frieden nicht nur die weitgehende Abwesenheit militärischer Konflikte, sondern darüber hinaus auch das Vorherrschen von Bedingungen, die Konflikten vorbeugen und unter denen Frieden fortbestehen kann. Dazu zählen sozio-ökonomische, humanitäre und ökologische Faktoren (VN Sicherheitsrat 1992), die weitestgehend auch menschenrechtlich verbürgt sind. In Hinblick auf diese Faktoren sind auch Dynamiken friedensrelevant, die nicht militärisch geprägt sind.

Anhand der Regulierung von Ressourcenabbau im Weltall und der Problematik des Weltraumschrotts soll im Folgenden gezeigt werden, inwiefern diese beiden Bereiche Herausforderungen für den richtigerweise breit verstandenen internationalen Frieden sind. Der Beitrag endet mit Überlegungen dazu, ob und inwieweit diese Dynamiken mit einer Einordnung des Weltraums als Teil der natürlichen Umwelt vereinbar wären.

Konfliktpotenzial Ressourcenabbau im Weltall

Auch wenn es nach Science Fiction klingen mag: Der Abbau von natürlichen Ressourcen im Weltraum, z.B. von Aste­roiden und anderen Himmelskörpern, ist ein Vorhaben, dem Unternehmen, Raumfahrtbehörden und Wissenschaft seit einigen Jahren mehr Aufmerksamkeit schenken denn je. Waren 2019 noch ca. 20.000 erdnahe Asteroiden bekannt, so sind es zum Zeitpunkt dieser Publikation bereits ca. 30.000 (CalTech 2022). Viele dieser Himmelskörper verfügen über reichhaltige Vorkommen an Platin und anderen wertvollen Rohstoffen, die jeweils Milliarden von US$ wert sind (Yarlagadda 2022). Neben Mineralien hält der Weltraum auch nennenswerte Vorkommen an Wasserstoff in Form von Eis bereit (etwa in den Polkappen des Mondes) (NASA 2018), die das Interesse verschiedener Akteure wecken. Aus dem Eis kann Wasserstoff extrahiert und in Treibstoff umgewandelt werden, wodurch ein erneutes Auftanken von Raumfahrzeugen ermöglicht würde (TU Berlin 2021). Diese Möglichkeit, in Verbindung mit der Wiederverwendbarkeit moderner Raketen, könnte die Kosten der Raumfahrt derart senken, dass damit ein neues Weltraumzeitalter losgetreten würde. Entsprechend groß ist das wirtschaftliche und wissenschaftliche Interesse am Abbau natürlicher Ressourcen im All.

Angesichts des großen Potenzials von Weltraumbergbau droht allerdings auch ein Wettrennen um die Ressourcen, die mit den jeweils aktuellen technischen Möglichkeiten schon erreichbar sind. Dabei ist zu befürchten, dass das Ringen um die besten Abbaumöglichkeiten nicht nur nach dem Prinzip »first come, first serve« vonstatten geht, sondern dabei auch Konflikte über die extrem wertvollen Rohstoffvorkommen entflammen können. Diese Befürchtung wird dadurch verstärkt, dass der Weltraumvertrag (WRV) von 1967, der einen Großteil der Rechte und Pflichten von Staaten im Weltraum regelt, das Thema Ressourcenabbau nicht explizit behandelt und die freie Nutzung und Erkundung des Weltraums für alle garantiert, was Raum für eine Wild-West-Mentalität lässt (siehe auch Engels in diesem Dossier, S. 12). Der umstrittene rechtliche Status von Ressourcen im All wird im Folgenden skizziert.

Artikel II WRV legt fest, dass der Weltraum keiner nationalen Aneignung unterliegt, sei es durch Souveränitätsansprüche, Besetzung, Benutzung oder auf anderen Wegen. Was in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich behandelt wird, ist der Umgang mit Rohstoffen einerseits und mit Privateigentum andererseits. Die Meinungen in der juristischen Fachliteratur darüber, welche Objekte und Rechte von Art. II WRV erfasst sind, gehen teils diametral auseinander. Eine klarere Position zur Frage der Rohstoffnutzung bezieht Art. 11 des Mondvertrages – welcher übrigens einen deutlich weiteren Anwendungsbereich hat, als sein Name vermuten lässt. Laut Art. 11 sind auch Ressourcen im Weltraum ausdrücklich vom Aneignungsverbot erfasst, was so bleiben soll, bis die Vertragsstaaten sich auf Regelungen für ihren Abbau und die Verteilung der daraus resultierenden Vorteile einigen können. Allerdings sind lediglich 18 Staaten Vertragsparteien des Mondvertrages, darunter keine der großen Raumfahrtnationen. Beobachter*innen führen die mangelnde Popularität des Mondvertrages unter anderem auf seinen restriktiven Umgang mit Rohstoffen zurück (Anderson et al. 2019; Coffey 2009, S. 127).

Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass manche Staaten bereits nationale Regelungen erlassen haben, die sich die offene Rechtslage zu Nutzen machen und es den eigenen Staatsangehörigen erlauben, Eigentum an Ressourcen im Weltraum zu erwerben. Insbesondere der US Commercial Space Launch Competitiveness Act (CSLC 2015) und das Luxemburgische Gesetz zur Erkundung und Nutzung der Ressourcen des Weltraums (Luxemburg 2017) sind hier nennenswert (vgl. den Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 21). Was mit einzelnen Gesetzen begann, findet heute seine Fortführung in den »Artemis Accords« (2020), einem unverbindlich-politischen Vertragswerk unter Schirmherrschaft der USA, demzufolge der Abbau und die Nutzung von Weltraumressourcen nicht per se das Aneignungsverbot in Art. II WRV verletzen. Im gleichen Geiste steht das 2022 erschienene McGill Manual on International Law Applicable to Military Uses of Outer Space (Jakhu und Freeland 2022), welches aktuell geltendes internationales Weltraumrecht wiedergeben soll. Darin heißt es in Regel 128, dass die Ressourcen des Weltraums erkundet und genutzt werden dürfen. Auch wenn die Formulierungen der Artemis Accords und des McGill Manuals vorsichtig gewählt sind und nicht ausdrücklich eine kommerzielle Nutzung von Weltraumressourcen gestatten, stellen sie als derzeit aktuellste Stellungnahmen zur rechtlichen Regelung der Thematik auch keine Hürde für diese dar. Es wird zwar jeweils betont, dass der Weltraum, wie auch in Art. IV WRV vorgesehen, nur zu friedlichen Zwecken genutzt werden darf. Allerdings betrifft diese Einschränkung nur die jeweilige Weltraumnutzung. Das Konfliktpotenzial, das sich aus dem Wettbewerb um ebendiese Nutzungen ergeben kann, findet keine Erwähnung.

Die dargestellte Rechtslage kann Akteure dazu ermutigen, sich die Ressourcen des Weltraums unilateral zu eigen machen zu wollen. Dies betrifft vor allem diejenigen Staaten und Unternehmen, die technologisch und finanziell entsprechend ausgestattet sind – nicht selten auf der Grundlage großer eigener Rohstoffvorkommen (Öl, Gas, Kohle, Seltene Erden, Sand, usw.) auf der Erde, wie etwa im Falle Russlands, Chinas oder der USA. Der Drang nach Festigung und Erweiterung geopolitischer Macht durch weitere oder das erneute Erschließen bereits erschöpfter Rohstoffe kann das Verhältnis der großen Raumfahrtnationen zueinander gefährden und dazu führen, dass Ungleichheiten gegenüber den weniger entwickelten Staaten fortgesetzt und vertieft werden. Zwar betonen das internationale Weltraumrecht, die Artemis Accords und das McGill Manual die Pflicht zur Kooperation und gegenseitigen Rücksichtnahme, aber wie die aktuellen Spannungen zwischen Russland und den USA um die ISS (vgl. Scheffran in diesem Dossier, S. 2) und Chinas Alleingang beim Bau ihrer eigenen Raumstation zeigen, verkommen diese Pflichten nur allzu schnell zu Lippenbekenntnissen. Ein Wettrennen der Großmächte um die Ressourcen des Weltraums bleibt daher sehr bedenklich, insbesondere vor dem Hintergrund eines anspruchsvollen Friedensbegriffs. Es droht Konflikte und Instabilität zu fördern, statt sie einzudämmen, insbesondere auch auf der sozio-ökonomischen Ebene. Angesichts der theoretisch unendlichen Verfügbarkeit von Ressourcen im Weltall eine ernüchternde Vorstellung.

Konflikte um begrenzte Orbits und Weltraumschrott

Eine ähnliche Dynamik droht im Zusammenhang mit dem knapper werdenden nutzbaren Raum im Erdorbit. Mit der stetig steigenden Nutzung des Weltraums durch staatliche und in letzter Zeit auch immer mehr private Akteure steigt auch die Zahl an ausrangierten Satelliten, Trümmerteilen und Kleinstteilen, die unter dem Begriff Weltraumschrott zusammengefasst werden. Insbesondere das fortschreitende Testen von Anti-Satelliten-Raketen ist hier problematisch. Aber auch bei nichtmilitärischer Nutzung entsteht Weltraumschrott, etwa dadurch, dass Objekte technische Defekte erleiden oder sich kleinere Partikel bei Raketenstarts ablösen. Auch das Betreiben von Weltraumbergbau wäre wohl kaum möglich, ohne dass dabei Weltraumschrott entstünde. Im Frühjahr 2022 befanden sich rund 130 Millionen erkennbare Teile Weltraumschrott im Erd­orbit, von denen ca. 100.000 größer als 1cm und ca. 36.500 größer als 10cm sind (SatelliteXplorer 2022). Diese erreichen Geschwindigkeiten von rund 28.000km/h (ebd.), wodurch selbst kleinste Teile bei Kollisionen mit aktiven Weltraumobjekten erhebliche Schäden anrichten können. Je mehr Weltraumschrott anfällt, desto schwieriger wird eine sichere und langfristige Nutzung des Weltraums.

Bestrebungen, die Verursachung von weiterem Weltraumschrott zu verhindern und schon vorhandenen zu beseitigen, verfolgen sowohl staatliche als auch private Akteure. Diese Bemühungen stecken aber jeweils noch in ihren Kinderschuhen (vgl. ebd.). Verheerend an Weltraumschrott ist, dass sich dessen Zahl auch ohne menschliche Einwirkung weiter vervielfacht. Der NASA-Physiker Donald Kessler beschrieb bereits 1978 ein Phänomen, das seitdem als das Kessler-Syndrom bekannt ist (Kessler und Cour-Palais 1978). Seine These ist, dass Teile von Weltraumschrott früher oder später miteinander kollidieren, wodurch weitere kleinere Teile produziert werden, die wiederum mit anderen kollidieren und eine (zunächst langsam eskalierende) Kettenreaktion auslösen. Da auch kleinste Teile Weltraumschrott angesichts ihrer extremen Geschwindigkeit enorme Schäden an funktionsfähigen Weltraumobjekten anrichten können, ist das Kessler-Syndrom ein großes Problem für die langfristige Nutzbarkeit des Weltraums.

In Ermangelung kurzfristiger Lösungen für die Weltraumschrottproblematik und der steigenden Anzahl an Weltraumakteuren wird der Weltraum zunehmend »enger«. Diese Entwicklung erzeugt Druck auf Weltraumakteure und verschärft damit den Drang danach, das meiste aus der eigenen Weltraumnutzung herauszuholen, solange dies noch effizient möglich ist.

Ähnlich wie auch beim Thema des Ressourcenabbaus im Weltraum ist die veraltete Rechtslage eher ein Teil des Problems als der Lösung. Der Weltraumvertrag enthält nur eine einzige Klausel mit einer umweltbezogenen Dimension und damit einen Bezug zur Verschmutzung des Weltraums. Artikel IX WRV spricht davon, dass bei der Erkundung und Erforschung des Weltraums auf die Interessen anderer Staaten Rücksicht zu nehmen ist und verbietet in diesem Sinne auch die Kontaminierung der Erde und anderer Himmelskörper durch Stoffe aus dem Weltraum. Diese Vorschrift ist ihrem Wortlaut nach allerdings in zweierlei Hinsicht beschränkt: Zum einen erstreckt sie sich nicht auf Weltraumnutzungen außerhalb von Erforschung und Erkundung (d.h. nicht auf wirtschaftliche oder militärische Nutzung) und zum anderen werden durch den Fokus auf Himmelskörper die Umlaufbahnen und der »offene« Raum um die Erde nicht in den Anwendungsbereich einbezogen.

Dementsprechend kommt auch das McGill Manual in Regel 129 zu dem Schluss, dass das Völkerrecht keine ausdrücklichen Regeln zur Verursachung von Weltraumschrott enthält. Die Regel enthält aber auch das Zugeständnis, dass sich Pflichten mittelbar aus anderen Normen als denen des Weltraumrechts ergeben können – jedoch ohne diese konkret zu benennen. Auf der politischen Ebene haben sich immerhin die 20 Unterzeichnerstaaten der Artemis Accords in Abschnitt 12 zur Eindämmung von Weltraumschrott verpflichtet.

Der Weltraum als natürliche Umwelt

Neben Perspektiven, die den Weltraum als wirtschaftliche Ressource, militärische Domäne oder Forschungsobjekt betrachten, wird auch immer wieder vorgeschlagen, den Weltraum insbesondere in Hinblick auf das Thema Weltraumschrott als Teil der natürlichen Umwelt zu begreifen (statt vieler s. Bertamini 2021; Shrivastav 2020). Dabei steht im Vordergrund, den Weltraum in zweierlei Hinsicht für zukünftige Generationen zu erhalten: Einerseits als nutzbaren Raum (wirtschaftlich, wissenschaftlich, etc.) und andererseits als kulturellen und spirituellen Bezugspunkt (vgl. hierzu die »Dark and Quiet Skies«-Initiative des VN-Weltraumbüros, UNOSA 2021). Da der Umweltbegriff dynamisch ist und davon abhängt, was die Menschheit zu einem gegebenen Zeitpunkt unter »Umwelt« versteht, sprechen keine kategorischen Erwägungen gegen die Einordnung des Weltraums als Umwelt.

Den Weltraum als Teil der natürlichen Umwelt zu verstehen, würde bedeuten, Erwägungen zum Umweltschutz und zur nachhaltigen Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen auf den Weltraum auszudehnen. Das hätte auch Implikationen für Weltraumbergbau und Weltraumschrott. Für den Umgang mit Weltraumschrott würde die Einordnung des Weltraums als Umwelt vor allem bedeuten, den Fokus weg von Verantwortlichkeit für Schäden durch Weltraumschrott hin zu dessen Prävention zu verschieben. Denn das internationale Umweltrecht, das in weiten Teilen gewohnheitsrechtlich und damit annähernd universell gilt, verlangt den Schutz gemeinschaftlich genutzter Ressourcen und fordert von Staaten die Prüfung einer jeglichen geplanten Maßnahme, die sich negativ auf den Zustand der Ressource auswirken könnte (IGH 2010, Rn. 204). Auch die Übernutzung von Ressourcen wäre dann eindeutig rechtswidrig. Umweltrechtliche Kooperations- und Konsultationspflichten könnten hier die vergleichsweise vagen und engen Pflichten aus dem Weltraumrecht stärken und konkretisieren. Auch in Hinblick auf militärische Nutzungen des Weltraums und den dadurch direkt und indirekt entstehenden Weltraumschrott wäre eine umweltrechtliche Perspektive förderlich. Denn das humanitäre Völkerrecht enthält verschiedene Pflichten zum Schutz der Umwelt in bewaffneten Konflikten (vgl. Art. 55 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen vom 12. August 1949).

Mit Blick auf den Weltraumbergbau würde die Einordnung des Weltraums als natürliche Umwelt vor allem globale Abstimmung und fairen Zugang einfordern. Im Interesse der Rechtssicherheit wäre hier aber ein ausdrückliches Regelwerk mit klaren Vorgaben, Bedingungen und Verteilungsquoten wünschenswerter.

Eine umwelt(recht)liche Perspektive auf den Weltraum hat das Potenzial, die oft unspezifischen Regeln des Weltraumrechts in manchen Punkten zu konkretisieren und bestehende Pflichten als solche zu betonen. Mindestens als Übergangslösung, bis zur Schaffung konkreter Spezialregeln für die modernen Herausforderungen der Weltraumnutzung, wäre angesichts der erheblichen Bedeutung des Weltraums für das Leben auf der Erde ein »Umweltmindset« angebracht. Durch den vorherrschenden umweltbewussten Zeitgeist lässt sich das Potenzial dieser Perspektive heute besser entfalten als je zuvor.

Literatur

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Maximilian Bertamini ist Doktorand im internationalen Weltraumrecht und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (Bochum).