Dossier 55

50 Jahre Göttinger Erklärung - 50 Jahre Pugwash-Konferenzen

Wissenschaftler für den Frieden

von Klaus Gottstein, Andreas Henneka, Martin Kalinowski, Götz Neuneck und Ulrike Wunderle

Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden in Zusammenarbeit mit der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW)

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50 Jahre Pugwash - 50 Jahre Göttinger Erklärung

von Götz Neuneck

Das Jahr 2007 markiert den 50. Jahrestag der Göttinger Erklärung und 50 Jahre Arbeit der »Pugwash Conferences on Science and World Affairs«, zwei Ereignisse an denen Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen in besonderer Weise beteiligt waren und die einen starken Einfluss auf nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie die Beendigung des Wettrüstens der Supermächte hatten. Bereits im Juli 1955 hatten Bertrand Russell und Albert Einstein in ihrer später berühmt gewordenen Erklärung die Gemeinschaft der Wissenschaftler aufgefordert, sich angesichts des Wettrüstens und der globalen Kriegsgefahr mit Fragen der nuklearen Abrüstung zu beschäftigen. Die Wissenschaftler sollten sich „zur Aussprache zusammenfinden, um die Gefahren, die aufgrund der Entwicklung der Massenvernichtungsmittel entstanden sind, abzuschätzen“ und sie sollten Wege zur Konfliktbeilegung, Abschaffung der Nuklearwaffen und letztlich zur Beseitigung des Krieges an sich diskutieren und beschreiten.1 Dies war der Beginn weltweiter Initiativen, denen sich Naturwissenschaftler, aber später auch andere Berufszweige wie Mediziner oder Ingenieure, anschlossen. Naturwissenschaftler waren in besonderer Weise gefordert, da einige von ihnen selbst am Zustandekommen der Nuklearwaffen beteiligt waren und über das technische und institutionelle Wissen verfügten, um die Verbreitung und den Einsatz dieser monströsen Waffen zu verhindern bzw. die anwachsenden Arsenale abzurüsten. Wissenschaftler erfreuen sich zudem einer gewissen Reisefreiheit, sehen sich öfters bei Tagungen, sprechen oft eine gemeinsame Sprache und sind zu Objektivität, Humanität und Internationalität verpflichtet.

Das Russell-Einstein-Manifest warnte Regierungen und Öffentlichkeit vor den Gefahren des Einsatzes von Nuklearwaffen und stellte die Frage: „Sollen wir der Menschheit ein Ende setzen oder soll die Menschheit dem Krieg entsagen?“ Das Dokument verweist auf die Chancen und Gefahren, die der wissenschaftlich-technische Fortschritt für Krieg und Frieden mit sich bringt: „Vor uns liegt, wenn wir es wählen, stetiger Fortschritt in Glück, Wissen und Weisheit. Sollen wir statt dessen den Tod wählen, weil wir unseren Streit nicht vergessen können?“ Albert Einstein hatte noch wenige Tage vor seinem Tod am 18. April 1955 die Erklärung unterzeichnet, ebenso wie zehn bedeutende Wissenschaftler, darunter Max Born, Joseph Rotblat und Frédéric Joliot-Curie.2 Trotz aller Warnungen beschleunigte sich der Kalte Krieg: Wasserstoffbomben mit der tausendfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe wurden entwickelt und ein Ressourcen verschleißendes Wettrüsten setzte ein, das in seinen immer gewaltigeren Dimensionen erst durch das Ende des Ost-West-Konfliktes 1989 gestoppt wurde. Seit dem Manifest aber wird der Aufruf »Scientists should assemble in conferences« durch Tagungen, Workshops und Treffen konkret in die Tat umgesetzt und wach gehalten.

Das Russell-Einstein-Manifest ist das Gründungsdokument der »Pugwash Conferences on Science and World Affairs«, bei denen schließlich im Juli 1957 zum ersten Mal Wissenschaftler in dem kleinen Fischerdörfchen in Neuschottland/Kanada zusammen kamen, um zu beraten, wie die durch das Russell-Einstein-Manifest vorgegebene Agenda umzusetzen sei. Das Treffen wurde durch einen kanadischen Großindustriellen ermöglicht. Joseph Rotblat spielte bei den Vorbereitungen eine wesentliche und treibende Rolle, wie auch in den darauf folgenden Jahrzehnten.3 Einige Tage diskutierten 22 hochrangige Wissenschaftler aus zehn Nationen in drei Arbeitsgruppen, darunter Leo Szilard, Victor Weisskopf, Alexander V. Topchiev und Hideki Yukawa.4 Die Themen des ersten Treffens waren die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaftler, die Gefahren der Nuklearenergie und die Kontrolle der Nuklearwaffen.

Seit dem ersten Treffen kamen in über 320 international besetzten Konferenzen und Workshops renommierte und einflussreiche Wissenschaftler und Politikberater zusammen, um Beiträge zu Fragen der atomaren Bedrohung, zu bewaffneten Konflikten und Problemen der globalen Sicherheit zu leisten. »Pugwash International« veranstaltet neben Jahrestagungen verschiedene Workshops zu Themen wie der nuklearen Abrüstung, den B- und C-Waffen, regionalen Konflikten der Weiterverbreitung von Waffentechnologien und der sozialen Verantwortung der Naturwissenschaftler. Durch die vertiefte Behandlung des jeweiligen Themas, die Möglichkeit, vertraulich mit regierungsnahen Beratern und Politikern zusammenzutreffen gelang es oft, Dialoge in Gang zu setzen oder zumindest Verständnis für die unterschiedlichen Positionen zu wecken. Während des Kalten Krieges gelang es insbesondere, die Beratereliten der USA und der Sowjetunion zu vertraulichen Gesprächen zusammenzubringen. Jerome Wiesner, später Wissenschaftsberater unter John F. Kennedy und maßgeblich beteiligt am Zustandekommen des begrenzten Teststoppabkommen (1963), war ebenso Teilnehmer wie Hans Bethe, Isidor Rabi oder Freeman Dyson. Auch russischen Physikern wie Andrej Sacharow oder Jevgenij Velichov kommt ein großer Anteil an den rüstungskontrollpolitischen Fortschritten der letzten Jahrzehnte zu. Auf den Konferenzen wurden wichtige Beiträge zu Rüstungskontrollverträgen wie dem Raketenabwehrvertrag (ABM-Vertrag, 1972), den Kernteststoppverträgen (1963 und 1996) oder den Übereinkommen zur Begrenzung von B- und C-Waffen (1972 und 1993) sowie dem Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE, 1990) geleistet. Verfahrensvorschläge zur Verifikation von Rüstungskontrollabkommen wurden ebenso erarbeitet wie alternative Vorschläge zur strukturellen Nichtangriffsfähigkeit von Streitkräften. Herauszuheben sind auch die Bereiche Kriegsfolgen und internationale Sicherheit, strategische Analysen, Technologiefolgenabschätzung, Weiterverbreitung und Konversion. In diversen Monographien und Berichten wurden Wirkungen und Leistungen von Pugwash aufgearbeitet.5

Während sich die amerikanischen Kernphysiker auf internationaler Ebene zusammenschlossen, wandten sich 1956/57 die deutschen Atomphysiker zunächst an die eigene Regierung, später an die Öffentlichkeit.

Pugwash und die Göttinger Erklärung

Carl Friedrich von Weizsäcker beschrieb das Zustandekommen der Göttinger Erklärung6 so: „Im Herbst 1956 wurde uns deutschen Atomforschern klar, dass erste Vorbereitungen getroffen wurden, die Bundeswehr atomar auszurüsten.“ 7 Die deutschen Atomwissenschaftler schrieben im November 1956 einen Brief an Minister Franz-Josef Strauß, und am 29. Januar 1957 kam es zum Gespräch mit ihm. Der Minister hatte zuvor eine Atombewaffnung der europäischen NATO-Mitglieder befürwortetet, auch bestand die Gefahr, dass die Atomphysiker in militärische Forschungen hineingezogen würden. Für von Weizsäcker war außerdem die Gefahr der Weiterverbreitung von Atomwaffen in kleinere Staaten ein wichtiger Aspekt. Vor allem wurde den deutschen Wissenschaftlern klar, dass ein Abrüstungsappell alleine nicht ausreichen würde: „Deshalb mussten wir auch insbesondere öffentlich sagen, dass keiner von uns persönlich bereit wäre, Bomben zu machen, zu erproben oder anzuwenden.“ 8 Am 12. April 1957 forderten die »Göttinger 18« auf Initiative von Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg in der »Göttinger Erklärung« den Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf Atomwaffenbesitz. (Siehe Beitrag von Martin Kalinowski). Die Unterzeichner erklärten auch ihre Entschlossenheit, sich nicht „an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.“ Ihre Motivation bezogen die Physiker aus der Tragweite ihrer eigenen Forschung und der Wirkung einer Atomwaffenexplosion. Als sicher darf gelten, dass die Erfahrungen im »Dritten Reich« einen wichtigen Hintergrund für die öffentlich ausgesprochene Verweigerung darstellten. Eine eigene nukleare Bewaffnung der Bundeswehr war, nachdem sich die führenden Kernphysiker für solche Zwecke öffentlich verweigert hatten, extrem schwierig geworden. Die Erklärung hatte eine weit reichende innenpolitische Wirkung aber auch internationale Reaktionen zur Folge.9 Die Debatte über die Nuklearbewaffnung und ihre Konsequenzen für Deutschland und Europa sollte bis in die 1980er Jahre andauern.

Die deutschen Pugwash-Aktivitäten

Zwischen der sich formierenden Pugwash-Bewegung und der Gruppe der »Göttinger 18« kam es zu intensiven Kontakten.10 Von Weizsäcker reiste im März/April 1958 in die USA, nach Kanada und England, um u.a. an der zweiten Pugwash-Konferenz in Lac Beauport bei Quebec teilzunehmen. Hier wurde er im Kreise international tätiger Wissenschaftler mit neuen Ideen zu Abrüstung und Rüstungskontrolle (Arms Control) konfrontiert. Ergebnis dieser Reise ist der mehrteilige Aufsatz »Mit der Bombe leben«, der im Mai 1958 in der Wochenzeitschrift »Die Zeit« veröffentlicht wurde. Wichtige Ideen zur Abrüstung wie die Abschaffung der Atomwaffen oder Vorschläge zur Rüstungskontrolle wie das Nukleartestverbot, die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen oder die Verifikation wurden in einen längerfristigen, politischen Kontext gesetzt und in die deutsche Debatte eingeführt. Am 1. Oktober 1959 wurde zudem nach dem Vorbild der »Federation of American Scientists« die »Vereinigung Deutscher Wissenschaftler« (VDW) gegründet. An der deutlich größeren und mehr an die Öffentlichkeit gerichteten dritten Pugwash-Konferenz in Kitzbühl und Wien nahm neben westdeutschen Wissenschaftlern wie Max Born, Helmut Burkhardt und Werner Kliefoth auch zum ersten mal ein ostdeutscher Vertreter, der Sekretär der Akademie der Wissenschaften der DDR Günter Rienäcker, teil. Offiziell wurde die Pugwash-Gruppe der DDR 1963 gegründet und bei der Akademie der Wissenschaften angesiedelt, entsprechend kam es in den Folgejahren am Rande von Pugwash-Konferenzen immer wieder zu Kontakten zwischen west- und ostdeutschen Wissenschaftlern. Schon in dieser Anfangsphase lassen sich unterschiedliche Orientierungen in der Arbeit der Pugwash-Gruppen ausmachen: Die eher »regierungsnahe« Linie wurde vor allem von v. Weizsäcker, Heisenberg und der Mehrheit der »Göttinger 18« vertreten. Sie wollten ihre politische Unabhängigkeit als Wissenschaftler wahren und eher als beratende Experten für eine Verbesserung der internationalen Beziehungen wirken. Die stärker »öffentliche« Linie, wie sie von Born, Burkhardt und Kliefoth vertreten wurde, setzte stärker darauf, die öffentliche Meinung durch entschiedenes Auftreten zu beeinflussen und so politischen Druck für abrüstungs- und friedenspolitische Initiativen zu entwickeln. Ohne die Kombination von öffentlichem Druck und tiefgehender technischer Analyse wären sicher viele Abrüstungsentwicklungen, die sich nach einiger Zeit durchgesetzt haben, nicht möglich gewesen.

In den 1960 und 1970er Jahren wurden in der neu gegründeten Hamburger VDW-Forschungsstelle wichtige Studien veröffentlicht, so das Memorandum »Ziviler Bevölkerungsschutz« (1962) oder die Studie »Kriegsfolgen und Kriegsverhütung« (1971), die erstmalig mit systemanalytischen Methoden arbeitete. Das Ergebnis war eindeutig: Im Falle eines Atomkrieges auf deutschem Boden würde das zerstört, was eigentlich geschützt werden soll: das Territorium Deutschlands. Aus diesen Arbeiten entsprangen später weitere sicherheitspolitische Arbeiten des 1970 gegründeten »Starnberger Institutes zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt«, deren Direktor von Weizsäcker zwischen 1970 und 1980 war.

In Deutschland bildeten die Göttinger Erklärung und die Starnberger Arbeiten immer wieder den Bezugspunkt für Wissenschaftler, auf dem Gebiet der atomaren Abrüstung und der Rüstungskontrolle aktiv zu werden. Im Jahr 1983 wurde von 23 Naturwissenschaftlern und Ärzten der Mainzer Appell »Verantwortung für den Frieden« beschlossen, der auf die Folgen eines Atomkrieges in Europa, die Beschleunigung des Wettrüstens durch neue Waffentechnologien und die daraus entstehenden ökonomischen Folgen hinwies. Die »Naturwissenschaftler-Initiative« hat in den Zeiten des so genannten Nachrüstungsbeschlusses durch Kongresse wichtige Beiträge zu gesellschaftlicher Aufklärung geleistet und eine wesentliche Rolle in der Friedensbewegung gespielt.

In den Jahren nach Gründung der VDW wurden die Pugwash-Aktivitäten in der Bundesrepublik vor allem durch VDW-Mitglieder wie Horst Afheldt, Helmut Glubrecht, Siegfried Penselin, Klaus Gottstein (siehe seinen Beitrag in diesem Dossier) oder Hans-Peter Dürr weiter betrieben. In Westdeutschland wurden acht Workshops und zwei Jahrestagungen (München 1977; Berlin 1992) veranstaltet. In der DDR fand der erste Workshop 1971 in Leipzig statt, drei weitere folgten, insbesondere zur C-Waffenproblematik. Vor allem Hans-Peter Dürr, seinen Mitarbeitern und der Workshop-Serie »Conventional Forces in Europe« gelang es Mitte der 1980er Jahre, wesentliche Beiträge zur Beendigung der konventionellen Überrüstung in Europa zu leisten, indem das von der Starnberger Gruppe entwickelte Konzept der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit von Präsident Michail Gorbatschow aufgegriffen und neue Stabilitätskriterien zur Grundlage für konventionelle Abrüstungsinitiativen wurden. Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) ist im Wesentlichen durch die Bereitschaft konventioneller Abrüstung durch den Warschauer Pakt und einen neuen Abrüstungsrahmen zustande gekommen. Er half einen Rahmen für die Umbrüche in Osteuropa zu kreieren. Pugwash erhielt 1995 gemeinsam mit Joseph Rotblat den Friedensnobelpreis »für ihre Bemühungen, den Anteil, den Atomwaffen in der internationalen Politik spielen, zu verringern und längerfristig diese Waffen zu eliminieren.“ Es ist sofort einsichtig, dass diese Mission nur zum Teil umgesetzt wurde. Hervorgehoben wurde in Oslo aber auch die »Pugwash-Methode«: „Sie brachten Wissenschaftler und Entscheidungsträger zusammen, um jenseits politischer Trennungen durch konstruktive Vorschläge die nukleare Gefahr zu reduzieren.“11 Angesichts tief liegender Konflikte u.a. im Mittleren Osten oder Asien, die zu einem Nuklearwaffeneinsatz führen können, ist die Pugwash-Methode weiterhin gefragt.

Die Pugwash-Bewegung heute

Liest man also die erwähnten Dokumente genau, stellt man fest, dass viele Forderungen bis heute nicht vollständig umgesetzt sind. Michail Gorbatschow stellte in seinem Statement zum 50. Pugwash Jubiläum fest: »Wir benötigen eine intellektuelle Grundlage für Abkommen, die drastisch die Nuklearwaffenarsenale auf dem Weg zu ihrer vollständigen Eliminierung reduzieren und einen Rüstungswettlauf im All verhindern.»12 50 Jahre nach dem ersten historischen Treffen wurde bei einer Zusammenkunft von 25 internationalen Wissenschaftlern in Pugwash eine Erklärung verabschiedet, die deutlich aufzeigt, dass die Gefahren nuklearer Zerstörung keinesfalls gebannt sind: »Wenn Nuklearwaffen existieren, werden sie eines Tages auch eingesetzt werden“, so der Tenor des Workshops, an dem auch Hiroshimas Bürgermeister Tadatoshi Akiba teilnahm. Vor dem Hintergrund der Krise des Nichtverbreitungsvertrages, eines möglichen Einsatzes von Nuklearwaffen durch Terroristen und übervoller Nukleararsenale (ca. 27.000 Nuklearwaffen) fordern die Teilnehmer eine „Wiederbelebung der Kampagne, die sich dafür einsetzt, Nuklearwaffen als »illegal und unmoralisch« einzustufen und sie zu reduzieren bzw. endgültig abzuschaffen«. Sie schlagen den Politikern u.a. folgende konkrete Schritte vor:13

  • sofortiges »De-alerting«, d.h. Rückstufung der Alarmbereitschaft tausender Nuklearwaffen und Aufbau wirksamer Frühwarnsysteme,
  • offizielle Erklärung, Nuklearwaffen nicht als erste einzusetzen (»No First Use«), und verbindliche Abgabe von »negativen Sicherheitsgarantien« durch die Nuklearwaffenstaaten,
  • unverzügliche Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur Abrüstung auf 1.000 oder weniger Nuklearwaffen,
  • verstärkte Bemühung zur Vernichtung überflüssigen Nuklearmaterials und Beginn von Verhandlungen zu einem globalen Verbot der Produktion von Spaltmaterialien,
  • vollständiges Verbot von Weltraumwaffen,
  • politisches Übereinkommen der NATO, die US-Atomwaffen aus Europa abzuziehen,
  • volle Finanzierung und Implementierung des umfassenden Teststoppvertrages schon vor seinem offiziellen Inkrafttreten und
  • die Zustimmung aller Staaten für die vollständige Abschaffung aller Atomwaffen durch ein multilateral verifizierbares Instrument wie eine »Nuklearwaffenkonvention«.

Nach Meinung der Teilnehmer kann nur aufeinander abgestimmter politischer Wille und öffentlicher Druck „die unvermeidbare Katastrophe“ eines Nuklearwaffeneinsatzes verhindern.

Schwerpunkt der Pugwash-Aktivitäten war in den vergangenen fünf Jahren insbesondere der Mittlere Osten und Südasien. Neue Anstrengungen durch Workshops, Dialogprojekte und öffentliche Aufklärung sind nötig, um die Agenda, die das Russell-Einstein-Manifest und die Göttinger Erklärung gesetzt haben, in die Tat umzusetzen.

Prof. Dr. Götz Neuneck ist Leiter des Interdisziplinären Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien (IFAR²) am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität Hamburg, Mitglied des Pugwash Councils und Deutscher Pugwash-Beauftragter der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

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Nukleare Nichtverbreitung in Deutschland

von Martin Kalinowski

Die Göttinger Erklärung von 1957 war ein Meilenstein in der öffentlichen Wahrnehmung von Verantwortung durch Naturwissenschaftler, und sie wird als ein Startpunkt für die Bürgerbewegung gegen Kernwaffen wahrgenommen, denn ein Jahr nach ihrer Publikation bildete sich die Bewegung »Kampf dem Atomtod«. Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), die 1959 gegründet wurde, sieht in der Göttinger Erklärung ihren Ausgangspunkt und hat sich deren Thematik zu eigen gemacht.

Die NATO begann Mitte der 50er Jahre unter dem Stichwort »Umrüstung« die Ausrüstung ihrer in Europa stationierten Soldaten mit so genannten taktischen Kernwaffen. Deutsche Politiker sahen die Notwendigkeit, dass sich Deutschland der geplanten Stationierung von taktischen Kernwaffen in europäischen Mitgliedstaaten der NATO anschließen müsse.

Der zweite und dritte Absatz der Göttinger Erklärung stellen einige Fakten richtig, die von interessierter Seite oft falsch dargestellt wurden. Der Verharmlosung taktischer Kernwaffen wird mit einer Beschreibung ihrer zerstörenden Wirkung entgegen gewirkt. Dann wird verdeutlicht, dass ein Schutz großer Bevölkerungszahlen vor der von Kernwaffen verbreiteten Radioaktivität nicht möglich wäre. Die Fragen um die Folgen eines Kernwaffeneinsatzes und die begrenzten Möglichkeiten für Zivilschutz, aber auch die Kernenergienutzung und die Verantwortung der Wissenschaftler im Allgemeinen wurden später in detaillierten wissenschaftlichen Studien untersucht, die Carl Friedrich von Weizsäcker1 und die VDW2 durchgeführt und publiziert haben.

Die politischen Aussagen sind der »unerhörte« Teil des Textes. Hier wagen es Wissenschaftler, Aussagen außerhalb ihres fachlichen Kompetenzgebietes zu machen. Für diese mutige Grenzüberschreitung wurden sie heftig angefeindet. Gerade damit haben sie aber ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst genommen und eine Forderung aus den vorher genannten Fakten abgeleitet. Sie beschränken sich auf eine explizite Forderung, die sie bewusst auf das eigene Land beschränken: Deutschland soll „ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichten.“

Die Erklärung enthält aber noch eine zweite bemerkenswerte politische Aussage: „Wir leugnen nicht, dass die gegenseitige Angst vor den Wasserstoffbomben heute einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt und der Erhaltung der Freiheit in einem Teil der Welt leistet.“ Damit werden die Abschreckungsdoktrin und die dafür bereit gestellten Kernwaffen grundsätzlich positiv bewertet. Die Erklärung hat also einen Doppelcharakter, da zum einen Kernwaffen in deutschem Besitz abgelehnt werden, andererseits die strategischen Kernwaffen befürwortet werden. Der Zuspruch wurde jedoch im unmittelbar folgenden Satz relativiert: „Wir halten aber diese Art, den Frieden und die Freiheit zu sichern, auf die Dauer für unzuverlässig, und wir halten die Gefahr im Falle des Versagens für tödlich.»

Die Erklärung enthält am Ende eine weitere Forderung, nämlich „die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern.“ Mit diesem Satz gewinnt der Text eine zweite Ambivalenz, die mit der zivil-militärischen Doppelverwendbarkeit von nuklearen Materialien und den zu ihrer Produktion geeigneten Technologien zusammen hängt.

Der dritte Bestandteil der Göttinger Erklärung ist die darin enthaltene Selbstverpflichtung: „Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.“ Dieser freiwillige Verzicht verlieh der Erklärung eine besondere Glaubwürdigkeit. Mit ihrer persönlichen Gewissensentscheidung stellen sich die Kernphysiker als Vorbilder für eine politische Entscheidung gegen Kernwaffen dar.

Die Selbstverpflichtung wurde eingehalten. Die zivile Nutzung der Kernenergie wurde umfangreich realisiert, jedoch später wieder zurück gefahren. Deutschland unterzeichnete den Nichtverbreitungsvertrag und gelangte nicht in den Besitz eigener Kernwaffen. Aber taktische Kernwaffen der NATO-Partner USA und Großbritannien wurden in Westdeutschland stationiert, und unser Land wurde im Rahmen der nuklearen Teilhabe in deren Einsatz mit einbezogen. Man musste davon ausgehen, dass Deutschland in einem nuklear geführten Krieg weitgehend zerstört und radioaktiv verseucht würde.

Nach dem Ende des Kalten Krieges zogen Großbritannien und Russland alle Kernwaffen aus Deutschland wieder ab, die USA hält noch heute geschätzte 20 Kernwaffen in unserem Land am Standort Büchel stationiert. Ramstein und Nörvenich sind nach wie vor bereit, Kernwaffen jederzeit wieder aufzunehmen. Im Falle eines Einsatzes würden diese Kernwaffen auch mit Trägersystemen der Bundeswehr, den Tornados, und von deutschen Piloten ins Ziel gebracht. Die Piloten werden auch in Friedenszeiten dafür ausgebildet. Deutschland wird im Rahmen der nuklearen Planungsgruppe in die Entscheidungsprozesse einbezogen. Nur die Kernwaffen selbst sowie die Kontrolle über deren Zündung verbleibt bei den US-Streitkräften.

Dass es keinen dritten Weltkrieg gab und dass nach Hiroshima und Nagasaki keine Kernwaffen im Krieg mehr eingesetzt wurden, ist kein Beweis für die These, dass die nukleare Abschreckung funktioniert und den Frieden garantiert hat.

Dem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag von 1996 zufolge ist der Einsatz von und sogar die Drohung mit Kernwaffen völkerrechtswidrig.3 Mit jeder Stationierung ist die Drohung eines Einsatzes verbunden. Damit ist auch die nukleare Teilhabe Deutschlands nicht mit dem Völkerrecht vereinbar.

Schon Adenauer hat darauf hingewiesen, dass Deutschland keinen Alleingang durchführen könne. Auch heute können die in Deutschland lagernden Kernwaffen nicht isoliert betrachtet werden. Die Standardantwort der Bundesregierung auf die Aufforderung, die US-Kernwaffen abziehen zu lassen, bezieht sich auf die NATO-Verpflichtungen: „Am 20. April 1999 wurde das Strategische Konzept der NATO von den Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten verabschiedet. Es enthält eine umfassende Darstellung der Bündnisstrategie, die alle Bündnispartner bindet und die auch von der Bundesregierung ohne Einschränkung mitgetragen wird.“4

Heute dürfte sich eine Göttinger Erklärung diesen internationalen Verknüpfungen gegenüber nicht entziehen und müsste die Forderung nach Abrüstung der Kernwaffen auf alle Länder beziehen, die Kernwaffen besitzen. Sie dürfte allerdings auch nicht zulassen, dass sich die Bundesregierung hinter den Bündnisverpflichtungen versteckt. Es macht durchaus Sinn, im Alleingang mit gutem Beispiel voran zu gehen, so wie Griechenland das vor einigen Jahren bereits erfolgreich getan hat.

Die Selbstverpflichtung in der Göttinger Erklärung ist sehr kräftig formuliert: „Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.“ Gleichzeitig wird in der Erklärung betont, „dass es äußerst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern.“

Diese beiden Forderungen sind nicht miteinander vereinbar. Aufgrund der Doppelverwendbarkeit (dual use) von Kernmaterialien und -technik für zivile und militärische Zwecke kann es nicht gelingen, eine nukleare Proliferation zu verhindern, wenn man die zivilen Anwendungen uneingeschränkt mit allen Mitteln betreibt. Die zivile und militärische Verwendbarkeit der Kerntechnik sind nicht trennbar. Dieser Umstand wird gegenwärtig am eskalierenden Streit um das vorgeblich rein zivile Nuklearprogramm des Iran deutlich.

Aufgrund der vorstehenden Betrachtungen zur zweifachen Ambivalenz der Göttinger Erklärung soll nun skizziert werden, welcher Aufklärungsbedarf und welche politischen Forderungen heute von einer Erklärung thematisiert werden müssten, die sich in der Tradition der Göttinger 18 sieht und einen Doppelcharakter vermeiden will.

Ganz im Sinne von Carl Friedrich von Weizsäcker wird heutzutage von engagierten Naturwissenschaftlern nicht nur Aufklärung geleistet, sondern auch naturwissenschaftlich orientierte Friedensforschung betrieben.5 Als konkrete und aktuelle Themen können genannt werden:

  • Fehlende Transparenz über die Menge deutscher Plutoniumbestände und die offene Frage, ob diese angesichts der vorgesehenen Restlaufzeiten der Kernkraftwerke noch vollständig in Form von MOX-Brennelementen bestrahlt und damit einem direkten Zugriff für Waffenzwecke entzogen werden können.
  • Umrüstbarkeit des Münchener Forschungsreaktors FRM II von hoch angereichertem Uran (HEU) auf nicht waffenfähigen niedrig angereicherten Brennstoff (LEU). Die Konzepte dafür liegen vor und die politischen Vorgaben erfordern die Umstellung. Nur die Realisierung ist nach wie vor fraglich..
  • Die Modernisierungen der Arsenale der fünf anerkannten Kernwaffenstaaten; insbesondere sei auf die immer wieder in den USA ins Gespräch gebrachten so genannten »mini nukes« hingewiesen.
  • Die aktuellen Gefahren von Kernwaffen, beispielsweise die Risiken eines Nuklearkrieges »aus Versehen« aufgrund der nach wie vor aufrecht erhaltenen Alarmbereitschaft; auch das Szenario eines »nuklearen Winters« ist aufgrund des Umfangs der nuklearen Arsenale sogar bei einem begrenzten regionalen Nuklearkrieg immer noch möglich.
  • Wenn es bei der Abrüstungskonferenz in Genf endlich zu Verhandlungen über einen Produktionsstopp für Kernwaffenmaterialien (Fissile Materials Cut-off Treaty, FMCT) kommen sollte, entsteht Bedarf an Informationen über die Verifizierbarkeit und den notwendigen Umfang des Verbotes.
  • Neue technische Mittel zur Entdeckung von heimlichen Nuklearaktivitäten.
  • Proliferationsgefahren neuer Nukleartechnologien wie Spallationsneutronenquellen und Fusionsreaktoren.
  • Die technischen Probleme von neuen Raketenabwehrsystemen: Einerseits funktionieren sie nicht effektiv und andererseits bringen sie neue Risiken mit sich.
  • Die Gefahren eines Wettrüstens im Weltraum.

Die konkreten politischen Forderungen, die heute zu stellen wären, sind vor allem,

  • den Abzug der US-Kernwaffen aus Deutschland zu veranlassen und
  • den Forschungsreaktor FRM II umzurüsten auf niedrig angereichertes Uran.

Mit der Erfüllung der ersten Forderung würde Deutschland zur Abrüstung von Kernwaffen einen Beitrag leisten, mit der zweiten Forderung würde sich Deutschland wieder einreihen in die internationale Norm zur Nichtverbreitung durch eine Minimierung der zivilen Bestände von kernwaffenfähigen Materialien.

Von grundsätzlicherer Art wären zwei Zielsetzungen. Die erste bezieht sich auf die nukleare Abrüstung, die zweite reagiert auf die zivil-militärische Doppelverwendbarkeit von Nukleartechnik und nuklearen Materialien.

Die völkerrechtliche Verpflichtung, Kernwaffen abzurüsten, muss baldmöglichst umgesetzt werden. Die deutsche Außenpolitik sollte sich dafür einsetzen, dass Verhandlungen zu einer Nuklearwaffenkonvention begonnen werden.6 Konkrete Schritte in diese Richtung sind

  • das Inkrafttreten des Umfassenden Kernwaffenteststoppvertrages,
  • Verhandlungen über ein Verbot zur Produktion von nuklearen Kernwaffenmaterialien,
  • tiefe Einschnitte in nukleare Arsenale,
  • Abschalten der Alarmbereitschaft von Kernwaffen,
  • verbindliche Erklärungen zum Nicht-Ersteinsatz,
  • Verzicht auf Raketenabwehrsysteme
  • und die Schaffung weiterer kernwaffenfreier Zonen.

Mit der somit zunehmenden Marginalisierung von Kernwaffen kann der Boden bereitet werden für die Abschaffung dieser Massenvernichtungswaffen.

Die Proliferationsrisiken sollten bei der Diskussion über die zukünftige Nutzung von Kernenergie zur Sicherung des zukünftigen Energiebedarfs und zur Reduktion der CO2-Emissionen ernsthaft bedacht werden. Zur Minimierung dieser Risiken gibt es das Konzept der Proliferationsresistenz. Die sicherste Methode ist die Vermeidung von kernwaffenfähigen Materialien. Insbesondere bedeutet dies den Verzicht auf die Nutzung von Plutonium. Bei einer längerfristigen Nutzung von Kernenergie und einer Ausweitung der derzeitigen Kapazitäten würde man jedoch nicht ohne die Produktion von Plutonium in Schnellen Brütern auskommen. Durch die dann deutlich umfangreicher werdende Plutoniumwirtschaft würden die Risiken erheblich steigen. Die damit verbundenen größeren Vorräte an Kernwaffenmaterial, die vielen involvierten Anlagen und die zahlreichen Transporte würden die Risiken von Proliferation, Nuklearschmuggel und möglichen Zugriff durch Terroristen drastisch erhöhen.

Dr. Martin B. Kalinowski ist Kernphysiker und Friedensforscher. Er ist seit März 2006 Carl-Friedrich von Weizsäcker-Professor für Naturwissenschaft und Friedensforschung und Leiter des gleichnamigen Zentrums an der Universität Hamburg. Zuvor war er sieben Jahre bei der Teststoppvertragsorganisation in Wien und zehn Jahre bei IANUS an der TU Darmstadt tätig.
Dieser Text basiert auf einem Vortrag, den der Autor auf der Festveranstaltung von VDW und IALANA zum 50. Jahrestag der Göttinger Erklärung am 14. April 2007 in Berlin gehalten hat.

Weitere Informationen zur Pugwash Bewegung

  • Reiner Braun, Robert Hinde, David Krieger, Harold Kroto, Sally Milne (Editors): Joseph Rotblat - Visionary for Peace, John Wiley, Mai 2007. In dem englischsprachigen Buch »Joseph Rotblat - Visionary for Peace« beschäftigen sich prominente Autoren wie Martin Rees, Michail Gorbachow, Jack Steinberger, Mohamed ElBaradei, Paul J. Crutzen, und Mairead Corrigan mit Wirken, Leben und Thesen des britischen Physikers und Friedensnobelpreisträgers Sir Joseph Rotblat (1908-2005), der als einziger Wissenschaftler aus moralischen Gründen das Manhattan-Projekt zur Fertigung der ersten Nuklearwaffen verlassen hatte und zu einem der profiliertesten Kritiker des nuklearen Wettrüstens wurde. Rotblat war ein entscheidender Gründer der Pugwash Konferenzen.
  • Götz Neuneck/Michael Schaaf (Hrsg.): Zur Geschichte der Pugwash-Bewegung in Deutschland, Preprint 332, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, 2007, 93 Seiten. Die Geschichte der deutschen Pugwash-Gruppe wurde im Rahmen eines Symposiums der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) am 24. Februar 2006 im Harnack-Haus durch Vorträge beleuchtet. Die Vorträge von D. Hoffmann, K. Gottstein, U. Wunderle, Götz Neuneck u.a. wurden in dem Tagungsband zusammengefasst, der im Rahmen der Preprint Reihe des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte Nr. 332 erschienen ist. Er kann unter folgender Internet-Adresse als PDF-Version geladen werden: http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/Preprints/P332.PDF
  • Waging Peace. The Story of Joseph Rotblat and 50 Years of the Pugwash Conferences on Science and World Affairs, DVD von Hero´s Stone Productions in association with The Pugwash Conferences on Science and World Affairs, 2007. 21 Minuten, PAL-Version. Der Film erzählt in Rückblenden, Interviews und Dokumentaraufnahmen die Geschichte von Pugwash und Joseph Rotblat, dem Mitgründer von Pugwash und späteren Friedensnobelpreisträger. Die DVD kann gegen eine Spende bei G. Neuneck, c/o IFSH, Beim Schlump 83, 20144 Hamburg, bestellt werden. Das Video ist auch als Podcast auf dem Internet zugänglich: http://www.pugwash.org/media/wage.htm.
  • Wichtige Internet-Adressen zu Pugwash Internationale Homepage mit vielen Materialien und aktuellen Nachrichten: http://www.pugwash.org. Homepage der Deutschen Gruppe: http://www.pugwash.de

Kontakt: Prof. Dr. Götz Neuneck · c/o IFSH Beim Schlump 83, D-20144 Hamburg · neuneck@ifsh.de

Atomwissenschaftler gegen deutsche A-Bombe

Die Göttinger Erklärung von 1957

Die Pläne einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr erfüllen die unterzeichnenden Atomforscher mit tiefer Sorge. Einige von ihnen haben den zuständigen Bundesministern ihre Bedenken schon vor mehreren Monaten mitgeteilt. Heute ist eine Debatte über diese Frage allgemein geworden. Die Unterzeichnenden fühlen sich daher verpflichtet, öffentlich auf einige Tatsachen hinzuweisen, die alle Fachleute wissen, die aber der Öffentlichkeit noch nicht hinreichend bekannt zu sein scheinen.

1. Taktische Atomwaffen haben die zerstörende Wirkung normaler Atombomben. Als »taktisch« bezeichnet man sie, um auszudrücken, dass sie nicht nur gegen menschliche Siedlungen, sondern auch gegen Truppen im Erdkampf eingesetzt werden sollen. Jede einzelne taktische Atombombe oder -granate hat eine ähnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die Hiroshima zerstört hat. Da die taktischen Atomwaffen heute in großer Zahl vorhanden sind, würde ihre zerstörende Wirkung im ganzen sehr viel größer sein. Als »klein« bezeichnet man diese Bomben nur im Vergleich zur Wirkung der inzwischen entwickelten »strategischen« Bomben, vor allem der Wasserstoffbomben.

2. Für die Entwicklungsmöglichkeit der lebensausrottenden Wirkung der strategischen Atomwaffen ist keine natürliche Grenze bekannt. Heute kann eine taktische Atombombe eine kleinere Stadt zerstören, eine Wasserstoffbombe aber einen Landstrich von der Größe des Ruhrgebietes zeitweilig unbewohnbar machen. Durch Verbreitung von Radioaktivität könnte man mit Wasserstoffbomben die Bevölkerung der Bundesrepublik wahrscheinlich schon heute ausrotten. Wir kennen keine technische Möglichkeit, große Bevölkerungsmengen vor dieser Gefahr sicher zu schützen.

Wir wissen, wie schwer es ist, aus diesen Tatsachen die politischen Konsequenzen zu ziehen. Uns als Nichtpolitikern wird man die Berechtigung dazu abstreiten wollen; unsere Tätigkeit, die der reinen Wissenschaft und ihrer Anwendung gilt und bei der wir viele junge Menschen unserem Gebiet zuführen, belädt uns aber mit einer Verantwortung für die möglichen Folgen dieser Tätigkeit. Deshalb können wir nicht zu allen politischen Fragen schweigen. Wir bekennen uns zur Freiheit, wie sie heute die westliche Welt gegen den Kommunismus vertritt. Wir leugnen nicht, dass die gegenseitige Angst vor den Wasserstoffbomben heute einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt und der Freiheit in einem Teil der Welt leistet. Wir halten aber diese Art, den Frieden und die Freiheit zu sichern, auf die Dauer für unzuverlässig, und wir halten die Gefahr im Falle des Versagens für tödlich. Wir fühlen keine Kompetenz, konkrete Vorschläge für die Politik der Großmächte zu machen. Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, dass es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet. Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen. Gleichzeitig betonen wir, dass es äußerst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken.

12. April 1957

Fritz Bopp, Max Born, Rudolf Fleischmann, Walther Gerlach, Otto Hahn, Otto Haxel, Werner Heisenberg, Hans Kopfermann, Max v. Laue, Heinz Maier-Leibnitz, Josef Mattauch, Friedrich-Adolf Paneth, Wolfgang Pauli, Wolfgang Riezler, Fritz Straßmann, Wilhelm Walcher, Carl Friedrich Frhr. v. Weizsäcker, Karl Wirtz

zum Anfang | Erinnerungen

Wenn es die Pugwash-Konferenzen nicht gäbe, müssten sie erfunden werden

von Klaus Gottstein

Wenn ich darstellen soll, welche Erinnerungen ich an die Frühzeit der Pugwash-Konferenzen habe, dann muss ich zunächst gestehen, dass die 42 Pugwash-Konferenzen, -Workshops und -Symposien, an denen ich teilgenommen habe, alle in den Jahren 1976 bis 2002 stattfanden, während die Serie der Pugwash-Konferenzen schon 1957 in dem inzwischen berühmten kanadischen Fischerdorf Pugwash begann und seitdem ununterbrochen fortgesetzt wurde. Ich wurde allerdings bereits 1962 in die mir bis dahin unbekannte Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), also in die deutsche Pugwash-Gruppe aufgenommen, nachdem ich Carl Friedrich von Weizsäcker eine im Sommerurlaub verfasste Denkschrift überreicht hatte, der ich den Titel »Über die Wissenschaft von der Politik« gab und in der ich zu dem Schluss kam, dass es die Pflicht der Wissenschaft sei, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und Methoden, frei von machtpolitischen Einflüssen und sachfremden Ideologien, an der Lösung der bedrohlichen Probleme unserer Zeit zu arbeiten. Ich hatte nämlich in meinem Fach, der Elementarteilchenphysik, die Möglichkeiten ideologiefreier internationaler Zusammenarbeit kennen gelernt, die es Wissenschaftlern aus Ost und West und aus so genannten Entwicklungsländern gestattete, auch während des Kalten Krieges friedlich und erfolgreich an gemeinsamen Projekten zur Erforschung der kosmischen Strahlung und der Eigenschaften der Elementarteilchen zu arbeiten. Woran also lag es, dass die Politiker diese erfolgreichen Methoden noch nicht entdeckt hatten, wenn ihnen wirklich, wie sie ja behaupteten, an Frieden und am Wohlergehen der Menschheit gelegen war? Ich schlug vor, eine selbständige und unabhängige internationale »Gelehrtenrepublik« zu gründen, um wirklich unbeeinflusste Untersuchungen und Stellungnahmen zu den zu lösenden Problemen zu ermöglichen. In der Physik gab es eine solche »Gelehrtenrepublik« ja bereits, warum also nicht in der regierungsberatenden Politikwissenschaft?

C. F. von Weizsäcker befürchtete nach der Lektüre, dass eine solche »Gelehrtenrepublik« auch nicht in der Lage sein würde, Lösungen für die schweren politischen Konflikte der Zeit zu finden, befürwortete aber meinen Eintritt in die VDW, in der ich Gesprächspartner für die mich beschäftigenden Probleme finden würde. So nahm ich in der VDW, bald in deren Arbeitsausschuss, später im Vorstand, an den Diskussionen teil, die u.a. die Beteiligung an den Pugwash-Konferenzen und an den dort auf der Tagesordnung stehenden Fragen der Rüstungskontrolle, Abrüstung und Friedenserhaltung betrafen. Dabei waren natürlich auch die nicht immer übereinstimmenden Meinungen zu den auf den Pugwash-Konferenzen abzugebenden Stellungnahmen zu diskutieren, wenn es auch Prinzip der Pugwash-Konferenzen war und ist, dass jeder Teilnehmer nur seine eigene Meinung vertritt und nicht Delegierter einer Organisation oder gar seiner Regierung ist. Während Wissenschaftler aus westlichen Ländern nicht selten die Politik ihrer eigenen Regierung scharf kritisierten, befanden sich die »Privatmeinungen« der Wissenschaftler aus der Sowjetunion und aus den Ländern des Warschauer Paktes allerdings stets in völliger Übereinstimmung mit den letzten Stellungnahmen ihrer Regierungen, und es war ein offenes Geheimnis, dass einige der sowjetischen »Wissenschaftler« den Apparaten des Geheimdienstes und des Zentralkomitees angehörten und die echten Wissenschaftler überwachten. Dies wurde hingenommen, wobei man sogar den positiven Aspekt sah, dass auf diese Weise jede Verlautbarung und Empfehlung der Pugwash-Konferenzen in erwünschter Weise wortgetreu zur Kenntnis der maßgeblichen Stellen in Moskau gelangen würde. Auch war mit den »echten« Kollegen bei Spaziergängen, Kaffeepausen, Busfahrten usw. manchmal ein unkontrolliertes Wort möglich. Natürlich berichteten auch die westlichen Teilnehmer ihren Regierungen. Das war ja der Zweck der Übung.

Für mich hatte die Teilnahme an den Pugwash-Konferenzen selbst zunächst keine hohe Priorität. Mein Beruf als Abteilungsleiter im Max-Planck-Institut für Physik ließ mir nicht genug Zeit für andere Aktivitäten größeren Umfangs. Ich erinnere mich, dass ich 1964 zur 13. Pugwash-Konferenz nach Karlsbad hätte reisen können, aber absagte. Erst als ich 1974 nach meiner Rückkehr aus Washington, wo ich drei Jahre lang als Wissenschaftsattaché an der Deutschen Botschaft gearbeitet hatte, von Prof. Penselin, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der VDW, gefragt wurde, ob ich nicht als Pugwash-Beauftragter der VDW die Vorbereitung der für 1977 geplanten großen Pugwash-Konferenz in München übernehmen wolle, sagte ich zu. Von da an war ich ein regelmäßiger Teilnehmer an fast allen Veranstaltungen, die von Pugwash in aller Welt ausgerichtet wurden.

Die Konferenz in München, bei deren Vorbereitung und Durchführung ich viele fleißige Helfer hatte, war mit 223 Teilnehmern die bis dahin größte. Sie wurde erst 1992 durch die von Frau Falter im Namen der VDW organisierte Konferenz, ebenfalls eine Quinquennial Conference, mit 274 Teilnehmern übertroffen. Die Konferenz wurde durch Bundesforschungsminister Matthöfer eröffnet, dessen Haus für die VDW die Finanzierung der Konferenz übernommen hatte. Der Bundespräsident (Walter Scheel), der Bundeskanzler (Helmut Schmidt) und der Generalsekretär der Vereinten Nationen (Kurt Waldheim) sandten Grußbotschaften. Acht parallel tagende Arbeitsgruppen befassten sich sodann mit sämtlichen Themen, die sich zu der Zeit auf der Bearbeitungsliste von Pugwash befanden. 1977 waren das die folgenden Themen, die bis heute aktuell geblieben sind:

  • nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung
  • Rüstungskontrolle und Abrüstung im nicht-nuklearen Bereich
  • Koexistenz, Entspannung und Kooperation zwischen Nationen und Systemen
  • Sicherheit von Entwicklungsländern
  • Entwicklungsprobleme ökonomisch schwacher Länder
  • Energie, Weltressourcen und Trends beim Bevölkerungswachstum
  • Umweltgefahren mit globalen Auswirkungen
  • Wissenschaft, Wissenschaftler und Gesellschaft

Was die Pugwash-Konferenzen für mich besonders erfreulich und attraktiv machte, war zum einen die streng wissenschaftliche Atmosphäre, an welche die teilnehmenden, oft sehr prominenten Wissenschaftler von Hause aus gewöhnt waren und die es erlaubte, ohne diplomatische Rücksichten »laut zu denken« und nach praktikablen Lösungen für die heiklen politischen Probleme zu suchen, um die sich die Politiker vergeblich bemühten. Zum anderen waren es die nahezu freundschaftlichen Beziehungen, die sich im Laufe der Jahre und nach vielen heißen Diskussionen auch zwischen Vertretern ganz unterschiedlicher politischer Systeme und Weltanschauungen entwickelt hatten und die es gestatteten, offen zu sprechen und zu fragen. So konnten Wege aufgezeigt werden, die die Politiker später in ihren Abrüstungsverhandlungen beschritten haben, natürlich ohne sich auf Pugwash zu beziehen. In Deutschland haben das Auswärtige Amt (AA), das Verteidigungsministerium (BMVg) und die einschlägigen Ausschüsse des Bundestags die Berichte über die Ergebnisse der Pugwash-Veranstaltungen immer gern entgegengenommen. Ich selbst habe mich bemüht - darin dem Vorbild von C.F. von Weizsäcker folgend - vor Pugwash-Workshops deren Tagesordnung mit leitenden Vertretern des AA und des BMVg zu besprechen, um bei den nachfolgenden Pugwash-Diskussionen die Positionen der Regierung und die sich daraus ergebenden Hindernisse, für deren Überwindung eine Lösung gesucht werden müsse, erläutern zu können. Schon Bundesaußenminister Willy Brandt hatte einige VDW-Vorstandsmitglieder zum Meinungsaustausch empfangen, bevor diese zu einer Pugwash-Konferenz abreisten. Ich konnte mit General Altenburg, damals Generalinspekteur der Bundeswehr, im Bundesministerium der Verteidigung auf der Hardthöhe die deutsche Haltung zu Abrüstungsfragen besprechen, um auf einer damals bevorstehenden Pugwash-Konferenz in Polen von der konkreten Lage ausgehen zu können. Mehrfach hatte ich Gespräche mit Referatsleitern des Auswärtigen Amtes, und in einem Fall nahm einer von diesen als Gast an einem Pugwash-Workshop in Genf teil, um seine Gedanken dort in die Diskussion einbringen und die Ansichten insbesondere der Ostblock-Teilnehmer direkt zur Kenntnis nehmen zu können. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Meyer-Landrut, vorher - und später noch einmal - Botschafter in Moskau und Staatssekretär des Bundespräsidialamtes zur Zeit von Bundespräsident Richard v. Weizsäcker, gab für den gesamten Vorstand der VDW ein Arbeitsessen in den Räumen des Auswärtigen Amtes und brachte auch dadurch das gute Arbeitsverhältnis zwischen der Beratung suchenden Regierung und den deutschen Pugwash-Vertretern zum Ausdruck. Im Ausland besuchte ich, wenn immer möglich, die deutschen Botschaften in den Gastländern der Pugwash-Konferenzen - so in Ottawa, Mexico City, Moskau, Warschau, Sofia - , deren Mitarbeiter im allgemeinen sehr an den Mitteilungen über die Konferenzergebnisse interessiert waren.

Abschließend darf ich als kurze Schlussfolgerung aus meinen Erinnerungen an eine jahrzehntelange Mitarbeit bei »Pugwash« festhalten: Wenn es die Pugwash-Konferenzen noch nicht gäbe, müssten sie erfunden werden, natürlich in der optimalen Form, in der kompetente Wissenschaftler Brücken schlagen, die sich dann als begehbar für die politischen Entscheidungsträger erweisen. Die zu überbrückenden Probleme werden leider niemals ausgehen, denn der wissenschaftliche Fortschritt ist unaufhaltsam und wird nicht nur Segen bringen sondern stets unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben und - wie alle menschliche Tätigkeit - die Möglichkeit zu falscher Anwendung und Missbrauch schlimmsten Ausmaßes in sich tragen. Die soziale Verantwortung der Wissenschaft, für die Pugwash eintritt, wird immer gefordert bleiben.

Prof. Dr. Klaus Gottstein war Mitglied der Direktion des Max-Planck-Institut für Physik, Werner Heisenberg Institut, München und Sprecher der Pugwash-Gruppe der BRD von 1975 bis 1987

zum Anfang | Junge WissenschaftlerInnen in der Pugwash Bewegung

von Ulrike Wunderle und Andreas Henneka

Die »Pugwash Conferences on Science and World Affairs« ermöglichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den internationalen und zunehmend interdisziplinären Austausch über Probleme internationaler Sicherheit und friedlicher Konfliktregulierung. In ihrem Ansatz ist die Pugwash-Bewegung dem Russell-Einstein-Manifest von 1955 verpflichtet: Angesichts der Gefahr einer thermonuklearen Konfrontation zwischen den Blockführungsmächten des Kalten Krieges appellierten elf führende Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete nicht nur an die politisch Verantwortlichen, die bestehenden Konflikte auf friedlichem Wege zu lösen und auf die Abschaffung von Atomwaffen hinzuwirken, sondern auch an die Wissenschaftler selbst, sich untereinander - und über Konfliktgrenzen hinweg - mit der neuen Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen auseinanderzusetzen. Damit wurde das Russell-Einstein-Manifest zum geistigen Fundament und Bezugspunkt der seit 1957 stattfindenden »Pugwash Conferences on Science and World Affairs«.

Schon bald interessierten sich auch junge WissenschaftlerInnen, die im Zuge ihrer akademischen Ausbildung mit Fragen gesellschaftlicher Verantwortung von Wissenschaft konfrontiert wurden, für die Arbeit der Pugwash-Bewegung. In den späten 1970er Jahren formierten sich in den USA und Kanada die ersten Student-Pugwash-Gruppen. Joseph Rotblat, der langjährige Vorsitzende der Pugwash-Bewegung, und die nationalen Pugwash-Gruppen unterstützten dieses Engagement, so dass sich bis heute mehr als 30 nationale Student-Pugwash-Gruppen herausbildeten, die sich - gewissermaßen parallel zur Pugwash-Bewegung - unter dem Dach der »International Student/Young Pugwash« (ISYP) zusammenschlossen. Im Umfeld der Pugwash-Jahrestagung findet auch die »Student/Young Pugwash Conference« statt, für die sich StudentInnen und DoktorandInnen aus allen Ländern der Welt bewerben können.

Auf der Pugwash-Jahrestagung 2005 in Hiroshima - 60 Jahre nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki - erarbeitete ISYP ein eigenes »Mission Statement«, in der sie sich deutlich auf das Russell-Einstein-Manifest bezieht, zugleich aber darüber hinaus geht: „Geleitet vom Einstein-Russell-Manifest führt ISYP internationale Studenten und junge Wissenschaftler zusammen, die sich mit globalen Problemen und der gesellschaftlich verantwortungsvollen Anwendung von Wissenschaft und Technologie beschäftigen. Durch die Auseinandersetzung mit sehr unterschiedlichen Disziplinen, Kulturen und Weltsichten entwickeln die ISYP-Mitglieder schon früh in ihrer akademischen Ausbildung gemeinsame Ansichten und Arbeitsweisen und motivieren sich gegenseitig in ihrem Engagement für die Ideale der ISYP.“ Gemeinsam mit der »Senior«-Pugwash-Bewegung wendet sich ISYP folglich den grundlegenden Problemen und Symptomen globaler Sicherheitsrisiken zu.

In Deutschland geht die formale Gründung einer Studenten-Pugwash-Gruppe auf das Jahr 1984 zurück, die zuerst unter dem Engagement von Martin Kalinowski und später von Ulrike Jordan große Aktivität entwickelte. Im Jahr 2003 fanden sich schließlich wieder StudentInnen und DoktorandInnen zusammen, die die »Bundesdeutsche Studenten Pugwash« (BdSP) neu belebten. Regelmäßige Treffen in Berlin und Hamburg führten zu einer kontinuierlichen Diskussion unter den beteiligten StudentInnen über Wissenschaft und Frieden. In den Jahren 2005 und 2006 fanden erste organisierte Gesprächskreise in Berlin statt. Zum Überprüfungszyklus des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages und dem iranisch-amerikanischen Verhältnis wurden Referenten aus dem Umfeld der Pugwash-Bewegung und ein weiterer Kreis interessierter StudentInnen und DoktorandInnen eingeladen. In Hamburg arbeiten Studenten der BdSP an einem deutschen Beitrag zur »Nuclear Awareness Campaign«. Seit Beginn 2007 bemüht sich der BdSP-Vorstand verstärkt, durch Veranstaltungen und Stellungnahmen zu aktuellen Themen die Basis für ein nachhaltiges Engagement junger Wissenschaftler in Deutschland für Abrüstung und Frieden zu schaffen. Der BdSP-Gegenstandpunkt »Zur Diskussion um das Für und Wider der amerikanischen Raketenabwehrpläne« zeugt hiervon ebenso wie die Akademie »Ansätze zu einer gerechten Energieverteilung im Kontext sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Interessenskonflikte: Probleme und Lösungsoptionen«, welche die BdSP in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und mit Unterstützung des VDW-Vorstands vom 31. August bis 1. September 2007 in Berlin organisierte. Ziel war es, StudentInnen und DoktorandInnen unterschiedlicher Fachrichtungen, Forschungsinstitutionen, Organisationen und Firmen zusammenzubringen, um die Chancen des interdisziplinären Dialogs über Sicherheit und Frieden aufzuzeigen. Die Anregungen der geladenen Referenten und die problemorientierte Gruppenarbeit unterstützte die intensive Diskussion zu Fragen der gerechten Energieverteilung, an welche die BdSP nun anknüpfen kann.

Die Aktivitäten der Bundesdeutschen Studenten Pugwash Gruppe sind in der Entstehung begriffen. Daher bieten sich vielfältige Möglichkeiten für StudentInnen, DoktorandInnen und weitere Interessierte, Ideen einzubringen und deren Realisierung aktiv mitzugestalten. Beiträge sind herzlich willkommen!

Ulrike Wunderle, VDW-Beauftragte BdSP (Kontakt: ulrike.wunderle@uni-tuebingen.de); Andreas Henneka, 1. Vorsitzender BdSP (Kontakt: gistar@zedat.fu-berlin.de). Weitere Informationen zu International Student/Young Pugwash finden sich im Internet unter www.student-pugwash.org

Anmerkungen

Neuneck, Götz: Remember your Humanity: 50 Jahre Pugwash - 50 Jahre Göttinger Erklärung

1) Siehe Text unter http://www.pugwash.org/about/manifesto.htm.

2) Zur Geschichte der Manifestes siehe: The Origins of the Russell-Einstein Manifesto, by Sandra Ionno Butcher, Pugwash History Series, Number One May 2005

3) Reiner Braun, Robert Hinde, David Krieger, Harold Kroto, Sally Milne (Editors): Joseph Rotblat - Visionary for Peace, John Wiley, Mai 2007.

4) Mehr Informationen zur ersten Pugwash-Konferenz unter http://www.pugwash.org/about/conference.htm

5) Siehe z.B. M. Evangelista: Unarmed Forces oder Joseph Rotblat: The Early Days of Pugwash, in: Physics Today 54/6 2001.

6) Siehe dazu das an Materialien reiche Buch von Elisabeth Kraus: Von der Uranspaltung zur Göttinger Erklärung, Würzburg 2001 und die Kurzfassung »Atomwaffen für die Bundeswehr?« In: Physik Journal Vol. 6, 2007 Nr.4 S.37-41.

7) Die Atomwaffen, Vortrag »Die Verantwortung der Wissenschaft im Atomzeitalter«, Bonn 29. April 1957, abgedruckt in: Der bedrohte Friede, S.31-42, hier S.34.

8) Ebenda, S.39.

9) Siehe dazu ausführlich Friedensinitiative Garchinger Naturwissenschaftler: 30 Jahre Göttinger Erklärung. Nachdenken über die Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft, Schriftenreihe Wissenschaft und Frieden Nr.11, Oktober 1997

10) Kraus 2001: S.66 und S.311.

11) Nobelpreis Homepage: http://nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/1995/press.html

12) Zitiert nach International Herald Tribune, 8.Juli 2007.

13) Revitalizing Nuclear Disarmament: Policy Recommendations of the Pugwash 50th Anniversary Workshop Pugwash, Nova Scotia, 5-7 July 2007http://www.pugwash.org/reports/nw/pugwash-mpi/Pugwash-MPI-Communique.htm

Kalinowski, Martin: 50 Jahre nach der Göttinger Erklärung - Nukleare Nichtverbreitung in Deutschland

1) Als Autor: Atomenergie und Atomzeitalter, Fischer Bücherei 1957; Die Verantwortung der Wissenschaft im Atomzeitalter, Vandenhoeck & Ruprecht 1957; als Herausgeber: Kriegsfolgen und Kriegsverhütung, München 1971.

2) Ziviler Bevölkerungsschutz heute. Frankfurt 1972.

3) Literaturangaben zu Veröffentlichung über das Gutachten finden sich unter » http://www.ialana.de/veroeffentlichungen.html«.

4) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich, Paul Schäfer (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 16/424). Deutscher Bundestag Drucksache 16/568 vom 8. Februar 2006.

5) Siehe Forschungsverband Naturwissenschaft, Technik und Internationale Sicherheit (FONAS), www.fonas.org

6) Einen Vertragsentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention legten bereits 1997 etliche Nichtregierungsorganisationen vor. Bei der Konferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Mai 2007 wurde den Delegierten eine überarbeitete Fassung des Textes vorgestellt. IALANA, INESAP, IPPNW (Hrsg.), Securing our Survival (SOS). The Case for a Nuclear Weapons Convention, 2007, 206 Seiten; ISBN 978-0-646-47379-0.