Die Seele heilen

Die Seele heilen

Die Kraft des Theaters

von Georg Genoux

Können Theater und Film als kreatives Mittel zur Konfliktbearbeitung und Friedensschaffung genutzt werden? Welche Herausforderungen ergeben sich durch die Arbeit in Krisenregionen? Und was können Schüler*innen aus unterschiedlichen Lebenswelten und Kontexten durch friedensorientierte Theaterarbeit voneinander lernen? Der Theater- und Filmregisseur Georg Genoux ermöglicht im Folgenden einen persönlichen Einblick in die Praxis friedensbildender Theaterarbeit. Er zeigt Potentiale auf, die aus künstlerischen Prozessen entstehen können, diskutiert aber auch die Grenzen von Kunst in repressiven gesellschaftspolitischen Kontexten.

Als »gewöhnlicher« Theaterregisseur lernte ich mein Handwerk: das Publikum zu unterhalten, dabei ordentlich aufzumischen, gezielt zu schockieren und mit Tabubrüchen zu provozieren. Nach acht erfolgreichen Theaterjahren in Moskau empfand ich eine tiefe Leere angesichts dieser Tätigkeit. Ich fragte mich: Wie kann die große gedankliche und emotionale Kraft des Theaters genutzt werden, um Menschen und Orte, die sich in großen Krisen befinden, zu heilen und mit ihnen Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln?

Ausgehend von einer Grundüberzeugung, dass die positive Kraft einer stark entwickelten Seele und Persönlichkeit viel schöner als jedes noch so perfekte Bühnenbild ist, wollte ich etwas Neues versuchen.

Die Zeit kurz nach der Jahrtausendwende war eine politisch und gesellschaftlich sehr schmerzhafte Zeit in Russland. 2006 inszenierte ich daher am Teatr.doc in Moskau mit zwei russischen Psycholog*innen das interaktive Theaterprojekt »Demokratia.doc«. In diesem erarbeiteten wir gemeinsam mit den Zuschauer*innen, welche Auswirkungen die vergangenen fünfzehn Jahre Demokratie in Russland auf die Menschen gehabt hatten. Die Arbeit war ein großer Publikumserfolg in Moskau und in vielen anderen Städten. Wohl auch, weil die russische Staatsmacht ab 2006 immer deutlicher anfing, die Errungenschaften der Demokratie wieder zu zerstören: Medien wurden immer mehr kontrolliert und wir trafen auf ein immenses Bedürfnis vieler Russ*innen, sich auszusprechen oder zumindest nicht mit ihren Gefühlen der Angst und Ohnmacht allein zu sein.

In dieser Inszenierung standen die Bürger*innen selbst auf der Bühne und hatten dort die Möglichkeit, ihre Welt selbst zu gestalten beziehungsweise Kraft dafür zu sammeln, dies in der »realen« Welt umzusetzen. Acht Jahre »spielten« wir das interaktive Projekt und die Erfahrungen und Begegnungen aus dieser Zeit inspirierten mich für meine zukünftigen Aktivitäten.

Theaterarbeit in Konfliktgebieten

Aufbauend auf den Erfahrungen in Russland entwickelte ich die Idee eines heilenden Theaters weiter, derzeit in ehemaligen und teilweise aktuellen Kriegs- und Konfliktgebieten in der Ukraine. Diese Arbeit begann direkt nach der Maidan Revolution 2014, gemeinsam mit den ukrainischen Dramatiker*innen Natalia Vorozhbyt und Den Gumenii. Damals suchten wir nach anderen Wegen für unsere Form des Theaters als die einer geplanten Theatergründung. Natalia und ich arbeiteten als Volontäre für die Organisation »Neuer Donbass« in einer Schule in der Kleinstadt Nikolajewka im Osten der Ukraine. Die Organisation versuchte, diese Schule wieder aufzubauen. Hauptaugenmerk unserer Arbeit dort war die Frage, wie Theater im schrecklichen Kriegsalltag Menschen vor Ort helfen kann, mit eben dieser Situation fertig zu werden.

Zusammen mit dem Kriegspsychologen Alexei Karachinskii gründeten wir in der Folge das »Theatre of Displaced People«, das in Kiew seither als Zentrum für Binnenflüchtlinge fungiert. Wir versuchten durch Methoden des Theaters mit Betroffenen ihre teilweise traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten, mit ihnen neue soziale Kontakte im fremden Kiew zu finden und neue Lebensperspektiven zu entwickeln. Zudem verwirklichten wir über dreißig künstlerische Projekte mit Schüler*innen, Bürger*innen und Soldat*innen.

Wir reisten dazu mit dem Theater durch Städte im Osten der Ukraine und im Anschluss daran mit diesen Projekten aus dem Osten in den Westen der Ukraine. Dabei zeigte sich, wie fremd sich Menschen aus dem Westen und Osten sind. Für die Verarbeitung des Erlebten und Erfahrenen hilft die ganz eigene Theatersprache, die dabei entwickelt wurde. Sie ist zum Beispiel in der Theaterinszenierung »Mein Nikolajewka« mit Schüler*innen sehr deutlich erkennbar: Persönliche Gegenstände von Protagonist*innen wurden darin zu »Medien«, durch die die Schüler*innen ihre Geschichten des Erwachsenwerdens im Krieg erzählten. Die Gegenstände stützten die jungen Menschen und wirkten wie die Hand eines Freundes in ihren Händen. Den Bühnenraum gestalteten wir gemeinsam mit den Jugendlichen zu ihrem persönlichen Schutzraum, in dem sie sich mit ihren Erfahrungen und Geschichten sicher und die Unterstützung der anderen fühlten. Ziel unserer Arbeit war, dass sich die Schüler*innen durch das Mitteilen nicht mehr als Opfer, sondern als »Held*innen ihrer Geschichten« empfinden.

Konflikttheater zwischen Begegnung und Vereinnahmung

Theater und Friedensarbeit ist jedoch nie frei von äußeren, gesellschaftlichen Einflüssen, sondern spiegelt und reflektiert vorhandene Spannungsfelder vielmehr – insbesondere in Krisen- und Konfliktgebieten. Diese Spannung zeigte sich in unserem Projekt »Kinder und Krieger*innen «. Hier sollte durch das Theaterspielen ein Erstkontakt zwischen Schüler*innen und dort stationierten Soldat*innen ermöglicht werden. Die Kinder waren traumatisiert und hatten Angst vor den bewaffneten Menschen. Diese wiederum spürten oft den Hass der Bevölkerung, die sie eigentlich verteidigen sollten.

Diese Begegnungen im Theater führten zum einen zu einem tiefen Dialog und zu einer neuen Ebene zwischen Schüler*innen und Soldat*innen, was Angst auf beiden Seiten abzubauen half. Sie lernten sich als Menschen kennen und es entstanden dadurch sogar ungewöhnliche Freundschaften zwischen einzelnen Schüler*innen und Soldat*innen, die bis heute andauern.

Nie werde ich beispielsweise den Telefonanruf eines Kommandanten vergessen, der an unserer Inszenierung teilnahm. Am Tag nach der Premiere rief er Natalja Vorozhbyt an und sagte:
„Heute Morgen haben uns die Schüler*innen hier besucht. Man kann von hier sogar ihre Häuser sehen. Wenn mein Nachfolger hier ankommt und ich ihm das Kommando übergebe, werde ich ihm sagen: Siehst du diese Fenster dort? Dort wohnt Oleg und dort wohnt Marina. Das sind unsere Freunde. Bitte beschütze sie.” Zuvor hatte er nie mit einem Menschen aus diesem Ort persönlich gesprochen.

Zum anderen gab es aber leider auch Versuche, dieses Projekt für Propagandazwecke oder persönliche Karriereziele zu missbrauchen. So sollte es in Kiew als Gastspiel in Form eines patriotischen Ereignisses gezeigt werden. Ich bin mir sicher, dass diese Form der Theaterarbeit nur Sinn mit den Menschen vor Ort ergab und es graute mir davor, das Leid dieser Menschen in Kiew auszustellen und damit unsere ganze Arbeit vor Ort wieder kaputt zu machen. Ich konnte dieses Gastspiel zwar verhindern, aber es führte schließlich zum Bruch zwischen mir und meinen Kolleg*innen und ich übergab die Leitung einem Team jüngerer ukrainischer Kolleg*innen.

An einem zweiten Standort des Theatre of Displaced People in Kiew, an dem ein Zentrum für alle eröffnet worden war, die sich vom Krieg betroffen fühlten und sich durch Theater aussprechen oder neue soziale Kontakte knüpfen wollten, wurde weiteres Spannungsgefüge sichtbar. Denn auch dort gelang es nicht, trotz all der Umstände und der persönlichen Not der Betroffenen, einen selbstkritischen Blick auf das staatliche Handeln der Ukraine oder die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation zu werfen.

Die Erfahrungen an beiden Standorten zeigten in der täglichen Praxis vor Ort die Grenzen auf, die Theater als Friedens- und Konfliktarbeit in Kriegs- und Krisengebieten haben kann: War die Bereitschaft aller Beteiligten immens, den Menschen in ihrer Not mit Mitge­fühl zu begegnen, war die kritische Auseinandersetzung über die Ursachen dieser Not ein Tabu, solange sie nicht die Welt in klare Feindbilder – Russland/Ukraine – unterteilte. Obwohl ich dies menschlich nachvollziehen kann, legt es der friedensfördernden Theaterarbeit enge Grenzen auf, es durchbricht schöpferisches Arbeiten und eine beginnende Transformation des Konflikts. Ich denke, nur wo auch kritisches und besonders selbstkritisches Denken und Handeln stattfindet, kann Heilung beginnen.

Theaterarbeit mit Schüler*innen

Dem sei ein anderes Projekt gegenübergestellt. Anders als das Theatre of Displaced People stellten die Künstler*innen des »PostPlay Theaters« aus Kiew schon seit Beginn ihrer Gründung 2015 in ihren Inszenierungen und Performances auch sehr unbequeme Fragen zu dem, was politisch und gesellschaftlich in der Ukraine geschieht. Dies bedeutete nicht, die militärische Intervention Russlands in der Ukraine zu verharmlosen. Aber die Künstler*innen waren von der Notwendigkeit überzeugt, die Position der Anderen zu hören. Theater ist dafür ein idealer Ort, gerade zu Zeiten, in denen dies im »wirklichen Leben« so nicht möglich scheint.

Als Regisseur verbindet mich mit dem PostPlay Theater das Projekt »Misto to go«. Seit 2019 bin ich zusammen mit dem Team in sechs verschiedenen Städten in den Kriegsgebieten im Osten der Ukraine unterwegs, um mit Schüler*innen zu arbeiten.1 Mit den Schulen und ihren Lehrpersonen führen wir zudem internationale Schulaustauschprogramme mit europäischen Schulen durch. Ein Projekt darunter ist eine »Misto to go School«, in der die Schüler*innen selbst kulturelle Projekte für Dialog und Friedensstiftung in ihren Regionen aufbauen. Zudem werden gemeinsame Projekte mit Schüler*innen in Deutschland entwickelt, die sich etwa den Themen »Soziale Medien« und »Überlebende des Holocaust« widmen.

Das Ergebnis einer Improvisation bei einem solchen Austausch war beispielsweise, dass aus persönlichen Geschichten ein Dokumentartheaterprojekt entwickelt wurde, das die Entstehung von Hass und Gewalt thematisierte. Während die ukrainischen Schüler*innen mit den Kriegshandlungen im Osten der Ukraine konfrontiert sind, erleben etwa die deutschen und österreichischen Schüler*innen die Auseinandersetzung zum Umgang mit Geflüchteten. Durch die Verarbeitung beider Lebenswelten in einem Theaterstück wurden friedenspädagogische Lernprozesse für beide Schüler*innengruppen angestoßen.

Diese neuen Kontakte und das Kennenlernen von jungen Menschen mit ganz anderen Erfahrungen und Lebenswelten wirkt auf die ukrainischen, aber auch die deutschen und österreichischen Schüler*innen als immenser Impuls – das eigene Leben zu durchdenken und neue Ideen zu entwickeln, „was ich mit meinem Leben anfangen kann“. Gleichzeitig – und hierüber soll Theater ja auch nicht hinwegtäuschen – bleibt der Schmerz aufgrund des im Krieg Erlebten.

Unvergessen bleibt für mich dabei auch eine Erfahrung während unseres Filmprojektes »Tell me your Story« in Potsdam.2 Die deutschen und ukrainischen Schüler*innen sollten sich kennenlernen, indem sie übereinander und miteinander kleine Videos auf ihren Handys drehten. Bei dieser Begegnung entstand plötzlich ein Dialog und gemeinsamer Film einer ukrainischen und einer russischen Schülerin (die seit vier Jahren in Potsdam lebte). Es war für beide das erste Mal seit Beginn des Kriegs, mit jemanden »von der anderen Seite« ins Gespräch zu kommen. Es war für uns alle ein sehr emotionaler Moment, als ein eigenständiger Prozess zwischen den beiden begann: Die Schülerinnen verzichteten auf Schuldzuweisungen und konzentrierten sich ganz auf das Nachvollziehen der Position der anderen bzw. ihren Gefühlen. Von außen wurde der Prozess nur insoweit unterstützt, für die Schüler*innen dabei eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich frei und sicher fühlen.

Die Kraft des Theaters

Für Schüler*innen in Krisengebieten kann die Begegnung mit Künstler*innen wie bei »Misto to go«, die sich ihren Lebenserfahrungen widmen, für ihr weiteres Leben prägend sein. Allein die Tatsache, dass sie im Alltag im Osten der Ukraine nicht vergessen und sie mit ihren Sorgen nicht allein gelassen werden, wirkt heilend. Aber mehr noch: Man kann als begleitender Künstler Zeuge werden, wie in diesen Schüler*innen durch die Auseinandersetzung mit der Kunst neue Welten geboren und erobert werden. Noch nie habe ich so eine Kreativität und Witz erlebt, wie bei den ost­ukrainischen Schüler*innen.

Einige unserer ehemaligen Schüler*innen und Projektteilnehmenden reisen mittlerweile als Tutor*innen mit uns in unseren Projekten in den Osten der Ukraine und unterstützen andere aufgrund ihres großen Erfahrungsschatzes. Dieses sich Mitteilen und Weitergeben von Erfahrungen unterstützt die von Theater- und Filmarbeit hervorgebrachten Friedensprozesse.

Theater kann zu einem idealen Ort werden, um in Krisengebieten neue soziale Kontakte zu knüpfen, Traumata zu bearbeiten und auch neue Perspektiven zu erarbeiten. Dabei wirkt es auf Ebene des Individuums ebenso wie im Dialog und Begegnung mit anderen und hat das Potential, sich nicht zuletzt durch die Einbeziehung des Publikums auch in gesellschaftliche Prozesse fortzusetzen. Gerade in Konflikten, die sich politisch vielleicht nicht so schnell verändern werden, ist das Aufbrechen des Schweigens durch die Mittel des Theaters wichtig, um nicht weitere Konflikte entstehen zu lassen. Dabei ist es zentral, politischer Vereinnahmung vorzubeugen, oder diese zu verhindern – eine Leistung, die das Theater allein an sich nicht schaffen kann.

Die öffentlichen Veranstaltungen eines Theaters sind wichtig, um die örtliche Bevölkerung mit in die Konflikttransformation auf der Bühne einzubeziehen. Das Publikum nimmt an dem Prozess nicht weniger teil als die Darsteller*innen. Erinnern und Anteilnahme kann ein genauso intensiver Prozess sein, wie mit der eigenen Geschichte auf der Bühne zu stehen. Eine soziale Handlung ist eine ästhetische Handlung. Sie verändert die Wahrnehmung für alle Beteiligten. Diese Veränderung kann grausam, schön, emotional und ein Moment eines »Durchbruchs« sein. Theater ist dabei das Instrument, das diesen Prozess der eigentlichen Kunst, also die Veränderung der Wahrnehmung der Menschen, fördern und provozieren kann. Die eigentliche Kunst ist das, was mit dem Menschen geschieht, also etwas sehr Reales.

Anmerkungen

1) Das Theaterprojekt wird im Programm »Östliche Partnerschaften« vom Auswärtigen Amt der BRD unterstützt. Auf der Homepage des Projektes schreiben teilnehmende Schüler*innen über ihre Eindrücke: mistotogo.com

2) Das Filmprojekt wurde von der Stiftung EVZ gefördert.

Der Hamburger Regisseur Georg Genoux arbeitet seit über zwanzig Jahren mit Schüler*innen, Soldat*innen und Ortseinwohner*innen in osteuropäischen Krisengebieten in Theater-, Film- und Dialogprojekten. Er ist Leiter der »Agency for Safe Space« und entwickelte über achtzig Theaterprojekte, die mehrfach ausgezeichnet wurden.

Schreckensbilder für den Frieden?

Schreckensbilder für den Frieden?

Zur Rolle gewaltvoller Bilder in Geschichte und Gegenwart

von Michaela Zöhrer

Rechtfertigt die Realität von Gräuel und Leid das Zeigen und Betrachten gewaltvoller Bilder? Die Zurschaustellung von Schreckens- und Elendsbildern gewinnt ihre Legitimität, wenn überhaupt, oft erst daraus, dass sie im Namen des Friedens, der Gerechtigkeit oder Menschlichkeit erfolgt. Denn es gibt Vorbehalte, dass insbesondere drastische, grausame Bilder von den Betrachtenden als unzumutbar erlebt und den dargestellten Menschen mit ihren jeweiligen Erfahrungen nicht gerecht werden, sie vielmehr zu Objekten degradieren. Was also spricht für, was gegen ein Zeigen gewaltvoller
Bilder? Und wie verhält es sich mit Bildern, die vermeintlich Harmloses ausstellen und doch Gewalt antun und bezeugen? Anhand konkreter Beispiele setzt sich der Beitrag mit hoffnungsfrohen bis kritischen Wirkmächtigkeitszuschreibungen an Bilder auseinander, welche die Praxis der Zurschaustellung in Geschichte und Gegenwart begleiten.

Friedensbilder, verstanden als Bilder für den Frieden, sind oftmals Bilder von Leiden und Gräuel, die auf bestehende Missstände aufmerksam machen, die anklagen, um Veränderungen anzumahnen. So ist es bereits seit mehreren Jahrhunderten üblich, Bilder des Krieges ebenso wie des Hungers, der Verstümmelung und Vernichtung sowie der Verelendung anzufertigen und zu verbreiten – und das eben nicht ausschließlich zu Propagandazwecken im Kontext andauernder Konflikte und Herrschaftsbeziehungen. Verfolgt wird über das Zeigen von Schreckens- und Elendsbildern
oftmals das Ziel, Mitglieder entscheidungsbefugter Gruppen sowie die Öffentlichkeit zu informieren und zu bewegen – sowohl »innerlich« als auch zum Handeln. Begegnet werden soll so aktuellen Missständen, und/oder es geht um die Schaffung einer friedfertigen (Erinnerungs-) Kultur.

Es ist kein Zufall, dass nach Möglichkeit Bilder gezeigt werden, wenn es darum geht, Menschen zu bewegen. Zu beobachten ist ein bis heute beinahe ungebrochener Glaube an die Macht der Bilder, nicht zuletzt von Fotografien, ganz nach dem Motto »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«.

Bilder als Gegenwaffe

Im Jahr 1926 vermerkte Kurt Tucholsky in »Die Weltbühne«: „Es gibt kein kriminalistisches Werk, keine Publikation, die etwas Ähnliches an Grausamkeit, an letzter Wahrhaftigkeit, an Belehrung böte. […] Geschriebene Bücher schaffen es nicht. Kein Wortkünstler, und sei er der größte, kann der Waffe des Bildes gleichkommen.“ (Friedrich 2015, S. LXXIV) Tucholsky schrieb dies mit Blick auf das bis heute populäre Fotobuch »Krieg dem Kriege« (Erstausgabe 1924) von Ernst Friedrich. Friedrich, der pazifistische, anti-nationalistische, anarchistische und
kapitalismuskritische Ideen verfolgte, bemühte sich um die Verbreitung des Pazifismus, mindestens aber der Kriegsdienstverweigerung. Seine Kritik an einem zu Unrecht glorifizierten Militarismus suchte er über die visuelle Konfrontation des Publikums mit den Schrecken und Opfern des Krieges zu erreichen. Es war ihm ein Anliegen, Männer (und ihre Ehefrauen) darauf zu stoßen, dass sie Bauernopfer und Spielfiguren mächtiger Instanzen sind, die sich selbst die Finger nicht dreckig machen.

Tucholsky preist nicht nur die große Macht der Bilder, die er als „Gegenwaffe“ begreift (Friedrich 2015, S. LXXV). Zugleich deutet er Friedrichs Vorstoß als eine propagandistische Gegenwehr gegen die Zensur machthabender Eliten, denen er ein Interesse bescheinigt, die Gräuel des Krieges zu verbergen: „Das böse Gewissen, mit dem die Offiziere und Nationalisten aller Art verhindern und natürlich verhindern müssen, daß das wahre Gesicht des Krieges bekannt werde, zeigt, was sie von solchen Veröffentlichungen zu befürchten haben. (Tucholsky in
Friedrich 2015, S. LXXIV)

Tatsächlich hebt sich »Krieg dem Kriege« gegenüber zeitgenössischen Publikationen, welche ihrerseits die Schrecken des Krieges zu Aufklärungszwecken vorführten, aufgrund der abgedruckten Fotos entstellter Gesichter ab, der so genannten »gueules cassées« (zerschlagenen Fressen). Gezeigt werden zwei Dutzend Porträts von Soldaten, deren Gesichter an der Front zerfetzt wurden, von jenen „Menschen ohne Gesicht“, die zur gleichen Zeit von der restlichen Zivilbevölkerung abgeschnitten in Spezialkliniken einquartiert waren, „weil ihr Anblick nicht aushaltbar war und ist“ (Krumeich in
Friedrich 2015, S. XXX).

Auch heute kann es im Interesse machthabender Instanzen liegen, dass keine Bilder gewaltvoller Realitäten existieren, vorliegende Bilder gar nicht erst den Weg in die Öffentlichkeit finden, Gezeigtes als Fälschung und/oder Zeigende als Lügner*innen diskreditiert werden.

»War Porn«!?

Bilder, vor allem Fotografien, sind in der Lage, ein breites Spektrum an positiven wie negativen Gefühlen hervorzurufen. Das Auslösen von Gefühlen, wie Mitleid oder Empörung, gilt gemeinhin als erster Schritt, um ein Umdenken und Handeln einzuläuten. Zugleich wird aber auch angenommen, dass wir mit der Zeit und über eine andauernde Konfrontation mit den immer gleichen Schreckens- und Elendsbildern abstumpfen (Mitgefühlsmüdigkeit) – als medienkonsumierende Individuen wie auch als Gesellschaft. Kritisch hinterfragt wird zudem, ob bestimmte, grausame Bilder nicht sogar vorrangig unsere
Sensations- und Schaulust befriedigen (Voyeurismus).

Entsprechende Vorbehalte werden heute zur Rechtfertigung des eigenen Nichthandelns herangezogen (Cohen 2001). Ferner stärken sie Positionen, die sich gegen das Zeigen von Schreckens- und Elendsbildern aussprechen.

Kritik an der Zurschaustellung von Gräuel und Leid wird immer häufiger unter Rückgriff auf den provokanten, reißerischen Anglizismus »Porn« formuliert. Christoph Bangert problematisiert entsprechende Sicht- und Zugangsweisen mit seinem Fotobuch »War Porn«, in dem Kriegsfotografien abgedruckt sind, deren Veröffentlichung renommierte Zeitungen mitunter aufgrund ethischer Bedenken abgelehnt hatten. Es sind ähnlich drastische, verstörende Bilder dabei wie in »Krieg dem Kriege«. Dennoch ist die angepeilte Provokation in diesem Fall eine andere: Bangert stellt weniger die wirkmächtigen,
habitualisierten Vorstellungen und Einstellungen von Menschen gegenüber dem Krieg infrage, als jene gegenüber Kriegsbildern. Dem Fotojournalisten geht es um eine Problematisierung dessen, was hier und jetzt als zeigbar gilt. Wie viele andere vor ihm, die sich für das Zeigen auch grausamer Bilder ausgesprochen haben, hinterfragt Bangert Entscheidungen, Bilder nicht zu zeigen (etwa weil diese vorgeblich »War Porn« seien), letztlich mit Verweis auf die grausamen Realitäten jenseits der Bilder: Wie können wir es ablehnen eine schiere Repräsentation – ein Bild –
eines entsetzlichen Ereignisses zur Kenntnis zu
nehmen, während andere Personen gezwungen sind, dieses schreckliche Ereignis zu durchleben?“ (Bangert 2014, S. 5) (Zu »War Porn« von Bangert siehe auch Koltermann 2014.)

Und doch steht die Frage im Raum, inwieweit Bilder den dargestellten Menschen und ihren Erfahrungen gerecht werden können. Neben möglichen (befürchteten) Betrachtenden-Reaktionen werden insbesondere Gefahren einer Dehumanisierung, Objektivierung und Ausbeutung der gezeigten Personen aufgeführt, um das Nicht-Zeigen bestimmter Bilder zu begründen oder deren Zurschaustellung zu verurteilen.

Humanitäre Bilderwelten

Bilder können uns für ferne Wirklichkeiten interessieren, die sich jenseits unserer sinnlichen Reichweite, unserer sozialen Nahkreise und Lebenswelten und letztlich jenseits unserer wahrgenommenen Einflusssphären abspielen. Bilder, vor allem Fotografien, dienen einerseits als Beweise: »etwas ist passiert«; andererseits wird ihnen zugetraut, nicht nur geographische, sondern soziale Distanzen zu überbrücken. So wird mitunter davon ausgegangen, dass Bilder uns eine Identifikation mit uns unbekannten Anderen ermöglichen, auch mit jenen, mit denen wir keine partikularen sozialen Bindungen,
jedoch unsere universale Menschlichkeit und Verletzlichkeit teilen. So bedienten sich bereits humanitäre Reformprojekte und soziale Bewegungen des späten 18. und 19. Jahrhunderts schriftlicher und visueller Zeugnisse von Gräuel, Leiden und Verwundbarkeit (Laqueur 2009).

Betrachtet man das historische Beispiel des Abolitionismus, zeigt sich, dass zuerst der verbreiteten rassistischen Vorstellung entgegengewirkt werden musste, Afrikaner*innen würden Schmerzen – gemäß der behaupteten Hierarchie der »Rassen« – nicht wie andere Menschen fühlen: „Die Schilderung der Schmerzen eines Sklaven war ein Beleg für die Ähnlichkeit des menschlichen Körpers über rassische Grenzen hinweg. (Clark 2007, S. 71) Wichtiges Beispiel für Bilder, die den Kampf gegen die Sklaverei maßgeblich stützten, sind die in den 1860er Jahren
verbreiteten Darstellungen jenes Mannes, der als »Gordon aus Mississippi« bekannt wurde, eigentlich aber wohl Peter hieß und von einer Baumwollplantage aus Louisiana geflohen war (Abruzzo 2011, S. 201). Im Rahmen der Anti-Sklaverei-Bewegung wurden Bilder des von Narben gezeichneten Rückens des vormals versklavten Peter verbreitet, mit deren Hilfe die Grausamkeit der Sklavenhalter*innen nach Jahrzehnten des Berichtens endlich gezeigt und dergestalt belegt werden konnte: Die Fotografie »The Scourged Back« (Der gepeitschte Rücken) wurde als »Carte de Visite« verteilt und diente zudem als
Vorlage für einen im Juli 1863 in der Zeitung »Harper’s Weekly« abgedruckten Stich.

Die große Ausstrahlungskraft der Bilder, die den Blick auf körperliche Versehrtheit richten, lenkte trotz aller unter Abolitionist*innen geäußerten Vorbehalte die Aufmerksamkeit auf die grausame Behandlung versklavter Menschen. Argumente, die auf Menschenrechte, Gleichheit sowie das Unrecht zielten, Menschen als Eigentum zu betrachten und zu behandeln, rückten in der Folge in den Hintergrund (Abruzzo 2011, S. 205). Entsprechend waren Peter als Person und seine Erfahrungen kaum von Belang, sondern lediglich sein von Narben gezeichneter Rücken als Verkörperung eines übergreifenden Leidens. Er
wurde ähnlich wie viele heutzutage von Not und Gewalt betroffene Menschen im Zuge visueller Repräsentationspraxis zu einem objektivierten Beweis von Grausamkeit, zum vorgeführten Prototyp des hilfsbedürftigen Opfers, zu einem generischen, letztlich auf seine Körperlichkeit reduzierten Emblem.

Zur Gewaltsamkeit vermeintlich harmloser Bilder

Doch Bilder müssen keine Gräueltaten oder Elendsszenarien zeigen, um gewaltsam zu sein bzw. zu wirken. Oftmals sind es die Entstehungs- und Zurschaustellungskontexte der Bilder, die von Gewalt durchzogen sind. Beispiele hierfür finden sich unter anderem in visuellen Repräsentationen, die im Kontext »Kolonialismus« standen und stehen. Bilder stehen stets in sozialen Rahmen, die sie selbst mit aufzuspannen helfen. Es sind sprachliche, materielle, institutionelle, historische und/oder diskursive Rahmungen, welche die uns möglichen Lesarten maßgeblich informieren, wenn auch nicht festlegen.

Bilder werden nicht zuletzt von denjenigen, die sie zeigen, in spezifische Kontexte gestellt. Auf der Homepage des Projekts »Kolonialismus im Kasten« ist ein wenige Jahre altes Foto zu sehen, das die Vitrine zur Kolonialgeschichte des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin zeigt (Abb. 1). »Kolonialismus im Kasten« stellt einen alternativen, von postkolonialen Ansätzen informierten Audio-Guide zur Dauerausstellung des DHM zur Verfügung und ist damit ein Beispiel jener vielfältigen Initiativen, die die koloniale Vergangenheit und Verantwortung Deutschlands aufs Tapet bringen.

In der Mitte der gezeigten Vitrine hängt ein Plakat aus dem Jahr 1913, das eine Völkerschau bewirbt. Das Plakat titelt »Passage Panoptikum. 50 wilde Kongoweiber. Männer und Kinder in ihrem aufgebauten Kongodorfe. Ohne extra Entrée«. Die Macher*innen von »Kolonialismus im Kasten« halten zum Zeigen des benannten Plakats im Rahmen der DHM-Ausstellung Folgendes fest: „Auch hier stellt sich die Frage, ob – und wenn ja, wie – ein Museum ein Objekt präsentieren sollte, das so offensiv rassistische und sexistische Botschaften vermittelt. Der Begleittext erwähnt
zwar die Zurschaustellung von Menschen
als ‚exotische Sehenswürdigkeiten‘ oder zu ‚propagandistischen Zwecken‘, doch über diese Menschen, ihren Alltag und ihre Geschichten erfahren wir nichts […]. Die Platzierung des Plakats als auffälliger Blickfang im Zentrum der Vitrine trägt nicht dazu bei, den kolonialen Blick zu brechen – im Gegenteil, es scheint, als sollte das Plakat abermals den Zweck erfüllen Publikum anzulocken, nur diesmal eben Museums- statt Panoptikumsbesucher*innen. (Kolonialismus im Kasten o.J.)

Das erneute, weitgehend unkritische Zeigen historischer Bilder, die ursprünglich im Kontext »Kolonialismus« standen, sowie allgemeiner die Reproduktion jener Weltenbilder, die einen kolonialen Blick formieren, stören jedenfalls den sozialen Frieden, insofern sie Eurozentrismus, Paternalismus und (Alltags-) Rassismus befördern. Vielerlei gegenwärtige Kritiken am Zeigen gewaltvoller Bilder sind nicht als Aufforderung zur Zensur zu begreifen. Ausgesprochen wird sich nicht pauschal gegen jedwede (Wieder-) Ausstellung entsprechender Bilder. Gefordert wird jedoch, deren Zurschaustellung vorrangig
als problematisch und rechenschaftspflichtig anzusehen (und damit möglichst zu vermeiden). Wenn man sich dennoch für das Zeigen entscheidet, sollte das Gezeigte jedenfalls in einen Kontext gestellt werden, der nicht nur historisch rahmt, sondern auch unreflektierte Sehgewohnheiten irritiert und problematisiert. Damit einhergehen sollte nach Möglichkeit ein Angebot neuer Sicht- und Zugangsweisen.

Literatur

Abruzzo, M. (2011): Polemical Pain – Slavery, Cruelty, and the Rise of Humanitarianism. Baltimore: Johns Hopkins UP.

Bangert, Ch. (2014): War Porn. Heidelberg: Kehrer Verlag.

Clark, E.B. (2007): „Die heiligen Rechte der Schwachen“ – Schmerz, Mitgefühl und die Kultur individueller Rechte in Antebellum Amerika. In: van der Walt, S.; Menke, Ch. (Hrsg.): Die Unversehrtheit des Körpers. Frankfurt a. M.: Campus, S. 57-86.

Cohen, S. (2001): States of Denial – Knowing about Atrocities and Suffering. Cambridge: Wiley.

Friedrich, E. (2015, Erstausgabe 1924): Krieg dem Kriege. Neu herausgegeben vom Anti-Kriegs-Museum Berlin. Mit einer Einführung von Gerd Krumeich. Berlin: Ch. Links Verlag.

Kolonialismus im Kasten (o.J.): Kolonialismus im Kasten revisited. Online unter kolonialismusimkasten.de/kik-revisited/.

Koltermann, F. (2014): Bilderkrieger im »War Porn?«? W&F 4-2014, S. 44-45.

Laqueur, Th.W. (2009): Mourning, Pity, and the Work of Narrative in the Making of »Humanity«. In: Wilson, R.A.; Brown, R.D. (eds.): Humanitarianism and Suffering – The Mobilization of Empathy. Cambridge: Cambridge University Press, S. 31-57.

Michaela Zöhrer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg.

»Verblendung« als Aufklärung

»Verblendung« als Aufklärung

Eine Gedenkinstallation für die Opfer der »Marburger Jäger«

von Anne Maximiliane Jäger-Gogoll

Der Umgang mit den allenthalben im öffentlichen Raum vorhandenen Kriegsdenkmalen insbesondere aus der Zeit nach 1870/71 und 1918 ist eine weithin offene Frage. Einerseits Orte der Trauer und des Gedenkens für die Hinterbliebenen, die oftmals die Denkmale durch Spenden finanzierten, repräsentieren die Monumente andererseits ein militaristisches Denken und eine Verherrlichung von Töten und Sterben im Krieg, die einer zeitgemäßen Kommentierung bedürfen. Das Beispiel des 1923 errichteten »Jägerdenkmals« in Marburg, dem auf Initiative einer breiten zivilgesellschaftlichen Bewegung
im Auftrag der Stadt eine kritische Kommentierung in Form einer »Gedenkinstallation« direkt zur Seite gestellt werden soll, ist ein Beispiel für Möglichkeiten einer politisch-künstlerischen Ausein­andersetzung mit Kriegsdenkmalen in der Gegenwart, aber auch für die Hemmnisse, die ihr entgegenstehen.

Mit dem hessischen Städtchen Marburg an der Lahn wird man gemeinhin sein mittelalterliches Stadtbild, seine ehrwürdige Universität und möglicherweise deren exponierte Rolle in den Auseinandersetzungen der 1968er Jahre eher verbinden als Militarismus und Krieg. Gleichwohl steckt der Universitätsstadt ihre Vergangenheit als Garnisonsstandort nach wie vor in den historischen Knochen; dies wirkt sich bis heute in öffentlichen und politischen Diskussionen aus.

1866 war unter preußischer Federführung das »Jäger-Bataillon Nr. 11« (später »Hessisches« bzw. »Kurhessisches Jäger-Bataillon Nr. 11«; vgl. Friedrich et al. 2014, S. 12) in Marburg stationiert worden. Erst in den 1990er Jahren, als die beiden großen Kasernen im Stadtzentrum und im Stadtwald aufgelöst und zivil umgewidmet wurden, endete die direkte militärische Präsenz in der Stadt. Während das sogenannte Südviertel, welches sich um die gründerzeitliche »Jägerkaserne« und ihre Aufmarschrouten herum zum modernen Quartier entwickelte, heute zu den begehrtesten Wohngegenden der Stadt gehört,
ist die Frage nach einem zeitgemäßen Umgang mit der von den »Marburger Jägern« repräsentierten und nach der Auflösung des Bataillons im Jahr 1919 vor allem von Militärangehörigen und lokalen Soldatenverbänden weitergetragenen militärischen bzw. militaristischen Tradition nach wie vor umstritten, man kann sogar sagen: umkämpft.

In jüngster Zeit hat sich das vor allem in der Diskussion um den »Kunstwettbewerb für eine Gedenkinstallation für die Opfer der ‚Marburger Jäger‘« niedergeschlagen, der im Dezember 2016 vom Marburger Stadtparlament beschlossen und im Juni 2018 mit der Auswahl des zu errichtenden künstlerischen Entwurfs vorläufig abgeschlossen wurde. Im Moment der Niederschrift dieses Artikels, rund ein Jahr nach der Bekanntgabe des ausgewählten Entwurfs, ist nicht nur der Zeitpunkt seiner Umsetzung, sondern auch die genaue Form ungewiss – angesichts der aufgeladenen Diskussion sicher kein Zufall,
sondern vielmehr ein instruktives Beispiel für die Probleme (friedens-) politisch motivierter Kunst im öffentlichen Raum.

Das »Jägerdenkmal«

Die geplante Installation bezieht sich auf ein bestehendes Denkmal, das 1923 im »Schülerpark«, einem öffentlichen Park im Zentrum Marburgs, errichtet wurde. Das insgesamt acht Meter hohe Monument besteht aus einer ca. sechs Meter hohen Sandsteinsäule, die auf einer kreisförmigen, über Stufen begehbaren Aufschüttung nebst Sockel steht und von der Relieffigur eines wunden oder sterbenden Hirschs gekrönt wird, über dem ein Messingkreuz angebracht ist.1 Gewidmet ist es Den tapferen Marburger Jägern 1914-1918“, erinnert also an die
Angehörigen des Marburger Jäger-Bataillons, die während des Ersten Weltkriegs den Tod gefunden haben. Bemerkenswert ist, dass die Getöteten nicht, wie sonst bei Gefallenendenkmalen meist üblich, auf der Vorderseite, sondern lediglich auf der Rückseite des Sockels benannt werden. Schon damit zeigt sich das Denkmal nicht in erster Linie als Ort, an dem Hinterbliebene der Getöteten gedenken können, sondern als einer, der soldatisches Leben und Sterben pathetisch-affirmativ verherrlicht und in den Dienst einer fortgesetzten militaristischen Ideologie
stellt.2

Das bestätigen die Reden, die während der feierlichen Eröffnung des Monuments im September 1923 gehalten wurden. So rief etwa der ehemalige Jägerkommandeur General a.D. Karl von Borries die junge Generation dazu auf, es „den Vätern gleichzutun“, wenn die „Kriegstoten dermaleinst auferstehen“ und „unsichtbar einherschreiten“ werden „vor Deutschlands Streiterscharen, wenn unser Volk wieder erwachen wird […]“ (in Friedrich et.al. 2014, S. 125). Revanchismus, Kriegsverherrlichung und die mentale Vorbereitung auf einen nächsten, dann grausame Realität
werdenden Zweiten Weltkrieg sind hier bereits mitgedacht.

Das Ärgernis, das die Sandsteinsäule im Schülerpark in der Marburger Diskussion bedeutet, resultiert freilich nicht aus der nationalistisch-revanchistischen Begleitmusik seiner Einweihung allein. Brisant wird sie zusätzlich dadurch, dass das Jäger-Bataillon im Lauf seines Bestehens nicht nur in »normale« Kriegshandlungen involviert war – es kämpfte in Russland, Belgien, Italien, Polen, Rumänien, Palästina, Estland, Mazedonien, Litauen und Serbien3 –, sondern, als Ganzes oder in Teilen, auch in manifeste Kriegsverbrechen. Angehörige des
Bataillons waren beteiligt an der Niederschlagung der Pariser Commune 1871, der Niederschlagung des so genannten Boxer-Aufstandes gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Ost-China 1900/1901, dem Völkermord an den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) 1904-1907, dem Massaker an der Zivilbevölkerung im belgischen Dinant 1914 und der Niederschießung demonstrierender Arbeiter im schlesischen Königshütte im Rahmen von »Grenzschutzaufgaben« im Jahr 1919.4

Diese dunkle Geschichte wird unter dem positiven Überhöhungsgestus des Jägerdenkmals ebenso affirmativ subsumiert wie in der späteren Traditionspflege, die seit 1979 von der »Kameradschaft Marburger Jäger – 2. PzGrenDiv. [Panzergrenadierdivision] e.V.« organisiert und mit regelmäßigen Feierlichkeiten u.a. am Marburger Jägerdenkmal begangen wurde, an denen bis in die 2010er Jahre hinein immer wieder auch prominente Angehörige der Marburger Stadtgesellschaft und -politik teilgenommen haben (vgl. Friedrich et al. 2014, S. 173 f.). Der »Rundbrief« der Kameradschaft vom Jahresbeginn 2002
nennt die „Geschichte des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11“ ein „Beispiel für großartiges Soldatentum u. deshalb vorbehaltlos tradierbar“ (ebd., S. 193). Eine Distanzierung, etwa auch vom Fortleben dieser Tradition im Namen der Marburger SA-Einheit »Standarte Jäger 11« zwischen 1933 und 1945 (Friedrich et al. 2014, S. 135), fehlt bis heute.

Etappen der Kontroverse

Kritik an den Aktivitäten der »Kameradschaft Marburger Jäger« wird in Marburg vor allem seit Mitte der 1980er Jahre laut. Sie kristallisiert sich in bemerkenswerter Weise an künstlerischen Objekten im öffentlichen Raum. Anfang September 1989 stellen Mitglieder der Marburger Geschichtswerkstatt während der Vorbereitungen zum jährlichen »Jägertag« auf der Rasenfläche gegenüber dem Jägerdenkmal das von Jo Kley neu geschaffene »Denkmal für Deserteure« auf. Es besteht aus einem auf eine Panzersperre gefesselten menschlichen Torso, der dem Kriegsdenkmal als weithin sichtbarer kritischer
Kontrapunkt entgegengestellt wird.

Wenngleich das ­Deserteursdenkmal schon am folgenden Tag von den Stadtwerken beseitigt und in den städtischen Bauhof verbracht wird, ist in dieser beeindruckenden künstlerischen Stellungnahme gegen die einseitige Verherrlichung von Krieg und Soldatentum die Grundidee des späteren »Kunstwettbewerbs Gedenkinstallation« bereits enthalten. 27 Jahre später wird es im Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom Dezember 2016, der auch dem Ausschreibungstext des Wettbewerbs zugrunde liegt, heißen: „Die Stadtverordnetenversammlung bittet den Magistrat, einen Kunstwettbewerb für
eine Gedenk­in­stalla­tion im Schülerpark auszurichten. Die Installation soll an die
Opfer der Untaten der Marburger Jäger erinnern und ihnen einen sichtbaren, materiell fassbaren, künstlerischen Ausdruck im öffentlichen Raum geben – in direkter Kommunikation/Konfrontation mit dem dort bereits bestehenden Kriegsdenkmal […].“ (Niederschrift StVV, 16. Dez. 2016)

Der Prozess, der das kritische Begehren von Teilen der Marburger Zivilgesellschaft in politisches Handeln der Lokalpolitik und dieses wiederum in die mit dem Kunstwettbewerb eingeleitete ästhetische Manifestation einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen militaristischen Geschichte und Tradition transformiert, ist lang. Es dauert zehn Jahre, bis die rot-grüne Stadtregierung im Jahr 1999 dem Deserteursdenkmal einen Platz auf dem Marburger »Kämpfrasen« zuweist, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Standortkommandantur der ehemaligen
Jägerkaserne.5

Während die kritische Auseinandersetzung mit der militaristischen Tradition mit diesem Mahnmal im Herzen der Stadt angekommen ist, sorgt im Jahr 2011 die Aufstellung eines weiteren Gefallenendenkmals durch die Marburger »Jäger-Kameradschaft« in einem Kleingarten im Marburger Stadtteil Bortshausen bei Anwohner*innen und Friedensbewegung für neue Empörung. Es entzündet sich eine verschärfte Kontroverse um Tradition und Aktivitäten der Kameradschaft, die in dem dörflichen Ortsteil mittlerweile auch ein Fachwerkhaus zur »Jägerkaserne« erklärt und mit Erinnerungsstücken aus der Geschichte des
Bataillons ausgestattet hat. Gegen die Aufstellung des Denkmals gründet sich die Bürgerinitiative »Kein Kriegsdenkmal in Bortshausen«; im April 2012 führt nach mehr als zehnjähriger Pause der erste »Osterspaziergang« des Marburger Friedensbündnisses in den Ortsteil und zum Denkmal. Seine Aufstellung wird als Zeichen des unkritischen Festhaltens an militaristischen Denkweisen, gepaart mit antidemokratischen und rechtsnationalen Tendenzen und insgesamt einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft, kritisiert (vgl. Oberhessische Presse, 5.4.2012).

Die daraufhin von der Stadt verfügte und zunächst vom Verwaltungsgericht Gießen unterstützte Abrissverfügung wird nach einer Klage der Jäger-Kameradschaft vom Hessischen Wirtschaftsministerium revidiert. Unterdessen gibt die Stadt Marburg bei der Geschichtswerkstatt eine Studie über die Geschichte der »Marburger Jäger« in Auftrag. Die 2014 erschienene Stadtschrift »Zur Geschichte der ‚Marburger Jäger‘« dient auch als Vorgabe für den »Kunstwettbewerb für eine Gedenkinstallation für die Opfer der ‚Marburger Jäger‘«, der schließlich dank der fortgesetzten Bemühungen vonseiten des breiten
zivilgesellschaftlichen Bündnisses der Marburger Friedensbewegung auf Antrag von LINKEN, SPD und GRÜNEN im Dezember 2016 beschlossen wird.

Indem der Auftrag für die Gedenkinstallation „die Opfer der Untaten der Marburger Jäger“ ins Zentrum rückt, bezieht er eine eindeutige Gegenposition zum rückwärtsgewandten und kriegsverherrlichenden Kult des bestehenden Denkmals und fordert vehement die verleugnete Seite des historischen Gedenkens ein. Konkret auf die Opfer bezogen, weist die Intention der Installation gleichwohl ins Allgemeine: „Die Stadtverordnetenversammlung betrachtet die Einrichtung einer solchen Gedenkinstallation nicht nur als einen wichtigen Beitrag für die Aufarbeitung der Geschichte
des Militarismus in Marburg und für die
Aufklärung kommender Generationen, sondern auch als einen lokalen Beitrag für eine Kultur des Friedens und der Völkerverständigung.“ (Niederschrift StVV, 16. Dez. 2016)6

Die »Gedenkinstallation«

Die Umsetzung dieses Beschlusses ist nicht nur künstlerisch, sondern auch organisatorisch eine Herausforderung. Der Beirat, der unter Federführung des Marburger Fachdienstes Kultur im Frühjahr 2017 seine Arbeit aufnimmt, setzt sich aus Vertreter*innen von Geschichtswerkstatt, Friedensbewegung und Konfliktforschung, Künstler*innen und Kunsthistoriker*innen, aber auch den entsprechenden Fachleuten aus den Fachdiensten Kultur, Stadtgrün und Denkmalschutz zusammen – eine Kombination, die nicht nur interdisziplinäre Expertise, sondern auch die Durchlässigkeit zwischen Zivilgesellschaft,
Politik und Stadtverwaltung garantieren soll. Erarbeitet wird eine internationale Ausschreibung, die sich eng an den Beschlusstext der Stadtverordnetenversammlung hält.7 Zusätzlich werden Künstler*innen aus den von Kriegsverbrechen der »Marburger Jäger« betroffenen Ländern und Orten – Namibia, China, Paris und Dinant – sowie aus dem lokalen Umfeld Marburgs zur Teilnahme eingeladen.

Auf die Ausschreibung gingen fristgerecht 55 Bewerbungen ein. Das ist sicherlich ein Zeichen für die reizvolle und alles andere als alltägliche Fragestellung dieser künstlerisch-politischen Installation. Das große Interesse an dem Wettbewerb mag aber auch zeigen, wie drängend sich nicht nur in Marburg die Frage nach einem zeitgemäßen Umgang mit Kriegsdenkmalen als Sinnbildern für militaristisches Denkens und für ein unaufgearbeitetes Verhältnis zur Tradition kriegerischer Aggression stellt. Gefordert wird hier eine nicht nur politische, sondern zugleich ästhetische und im öffentlichen Raum
sichtbare Gegenposition, welche die reale Seite des Krieges, welche massenhaftes oder auch gezieltes Töten und Sterben unter dem Vorzeichen militaristischer Logik präsent macht, ohne ihrerseits in falsches Pathos oder aggressive Destruktivität zu verfallen, und den Opfern ein Denkmal setzt, ohne sie ein weiteres Mal, und dann endgültig, allein zu »Opfern« zu stempeln.

Es wäre eine eigene Darstellung wert, den Sichtungs- und Auswahlprozess und die engagierte interdisziplinäre Diskussion aufzuzeichnen, die sich über mehrere Monate hinweg erstreckte. Acht Entwürfe kamen schließlich in die Endauswahl und wurden durch die Künstler*innen bei einem »Kunstforum« der Öffentlichkeit präsentiert.8 Auf der Basis dieser Präsentation und der Rückfragen des Publikums traf der Beirat schließlich die Entscheidung über die drei erstplatzierten Entwürfe, deren erster für die Umsetzung ausgewählt wurde.

»Verblendung«

Heiko Hünnerkopfs Entwurf unter dem mehrdeutigen Titel »Verblendung« begibt sich in unmittelbare Konfrontation und Kommunikation mit dem bestehenden Denkmal. Auch wenn dessen Körper unberührt bleibt, schafft der Künstler mittels einer tatsächlichen Verblendung der Säule durch eine im Halbrund vor ihr angebrachte Doppelreihe von Stahlstäben eine neue, gebrochene Perspektive, die das Kriegsdenkmal halbtransparent einhegt und mit der Aufschrift Verblendung. Gegen Militarismus und Heldenmythos. Zur Erinnerung an die Opfer der Marburger Jäger die ideologischen
Hintergründe wie die realen Opfer der Aktivitäten des Jäger-Bataillons in die Wahrnehmung des*der Betrachter*in einblendet. Zwischen den beiden Reihen begehbar, tragen die Stahlstreben auf ihrer Rückseite Tafeln, die an die Orte der Kriegsverbrechen in Paris, Namibia, Ost-China, Belgien und Polen/Schlesien erinnern und den Opfern, wie im Beschluss des Marburger Stadtparlaments gefordert, einen Namen und einen „fassbaren […] Ausdruck im öffentlichen Raum“ geben. Die Stadt Marburg stellt sich damit auf anspruchsvolle Weise ihrer Geschichte als Garnisonsstadt und als Gemeinwesen, das von
der Präsenz des Jäger-Bataillons tiefgreifend geprägt worden ist, und gibt sie auf neuer Ebene für eine zukunftweisende Diskussion frei. „Indem die aktuelle künstlerische Verblendungsmaßnahme die ideologische Verblendung der Täter und der denkmalsetzenden Gesellschaft entlarvt, formuliert das Denkmal nun die Kritik an sich selbst. So öffnet sich das rückwärtsgewandte Mal der Zukunft […].“ (Kimpel 2019, S. 369)

Es war und ist freilich vorauszusehen, dass eine solche Maßnahme nicht ohne Gegenwind und handfeste Kontroverse bleiben kann. Auf die Pressemitteilung zur Auswahl und zeitlichen Umsetzungsperspektive der Installation hin hat die Jäger-Kameradschaft prompt reagiert und bereits juristische Schritte zu ihrer Verhinderung angekündigt. Doch auch von anderer Seite gibt es noch zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Berichts irritierendes Störfeuer. Einerseits stellt die Bauwirtschaft offenbar unangemessen hohe Forderungen für die Realisierung des Fundaments, welche die Stadt schon aus formalen
Gründen nicht akzeptieren kann. Andererseits wurde im Nachgang zum Auswahlprozess die (zentrale) Inschrift der Gedenkinstallation stillschweigend, hinsichtlich ihrer Gesamtaussage allerdings gravierend, verändert: Auf Anregung der für die Umsetzung zuständigen Personen sollte der Künstler den ursprünglich vorgesehenen Schriftzug (s.o.) in die verkürzende und verallgemeinernde Formulierung Verblendung. Zur Erinnerung an die Opfer des Militarismus“ ändern. Dass diese Änderung vor der Fertigstellung der Installation dem Beirat durch Zufall noch rechtzeitig bekannt wurde,
kann man nur als eine Art »List der Vernunft« betrachten.

Aufgrund einer neuerlich aufgemachten, heftig kontroversen Diskussion ist nun zwar die letzte Änderung des Textes wieder revidiert worden. Zugleich wurde jedoch eine der ursprünglichen drei Inschrift-Zeilen gestrichen. Die neue Formulierung lautet jetzt lediglich Verblen­dung. Zur Erinnerung an die Opfer der Marburger Jäger“. Damit ist zwar die unpolitische Verallgemeinerung der ersten Änderung zurückgenommen, sind auch die „Opfer der Untaten der Marburger Jäger“ wieder in den Fokus gerückt. Die explizite Botschaft der Installation erhält jedoch mit der
verkürzten Inschrift einen Doppelsinn, der zuvor nicht in dieser Weise sichtbar war. Wenn man es denn so lesen will, weist die neue, verkürzte Form der Inschrift mit der „Erinnerung an die Opfer der Marburger Jäger“ nun auch auf deren eigene »Opfer« zurück, für die, wenn auch in seinem unguten Sakralgestus für die weitere Kriegsverherrlichung missbraucht, das Denkmal ursprünglich errichtet worden war.9 Ob der dergestalt veränderte Gestus der »Verblendung« die weiterhin zu erwartende Kontroverse um sie verändert, ob daraus eine differenziertere
Rezeption und Auseinandersetzung auch in weiteren Teilen der Marburger Bevölkerung resultiert, wird die Zukunft zeigen.

Anmerkungen

1) Eine Abbildung des Denkmals im Originalzustand aus dem Jahr 1923 findet sich in Kimpel (2019), S. 369.

2) Diese Ambivalenz der Figuration hat insbesondere Burghard Fischer, der zweitplatzierte Preisträger im »Kunstwettbewerb Gedenkinstallation«, hervorgehoben und zum Ausgangspunkt seines hochinteressanten Entwurfs unter dem Titel »Die Anderen« gemacht. Auf Fischers Entwurf kann hier aus Platzgründen nicht ausführlich eingegangen werden, seine Präsentation durch den Künstler ist aber in einer Filmaufzeichnung anzusehen unter youtube.com/watch?v=UFphN9sHyaw.

3) Zu entnehmen der 1929 am Portal der Alten Jägerkaserne in Marburg angebrachten Gedenktafel (vgl. Friedrich et al. (2014), S. 127). Die Tafel befindet sich heute im Militärhistorischen Museum Stadtallendorf.

4) Sämtliche historischen Informationen sind der Studie von Friedrich et al. (2014) entnommen.

5) Damit steht das Denkmal für die Deserteure auch in unmittelbarer Nachbarschaft des Ortes, wo „abweichendes Verhalten von Soldaten registriert und den Militärgerichten gemeldet wurde“ (Rede von Michael Heiny beim Marburger Ostermarsch 2019). In seinem Redebeitrag führte Heiny weiter aus, dass unter den insgesamt rund 30.000 Todesurteilen, welche die Wehrmachtsjustiz während des Zweiten Weltkriegs verhängte, ca. 6.000 Verfahren am Marburger Kriegsgericht geführt und über 100 davon hier vollstreckt wurden. Im Herbst
2018 beschloss das Marburger Stadtparlament die weitere räumliche und inhaltliche Aufwertung des Deserteursdenkenkmals, deren Realisierung freilich ebenso noch aussteht wie eine Dokumentation zum Schicksal von Deserteuren in Marburg und vor dem Marburger Kriegsgericht.

6) Seit 2017 führen die »Osterspaziergänge« der Marburger Friedensbewegung vom Deserteursdenkmal im Südviertel zum »Jägerdenkmal« im Schülerpark. 2017 wurde dabei eine improvisierte Installation am Denkmal errichtet.

7) Der Ausschreibungstext steht auf der Website marburg.de (siehe Literaturverweise). Hier finden sich auch Bild- und Filmmaterialien zum vorhandenen Denkmal sowie zu den Entwürfen und ihrer Präsentation durch die Künstler*innen im Zuge der Endauswahl.

8) Die Präsentationen sind als Film nachzuverfolgen auf der Website marburg.de (siehe Literaturverweise).

9) Während des Ersten Weltkrieges wurden rund 4.000 Angehörige des Marburger Jäger-Bataillons getötet, auch dies für eine Stadt von der Größe Marburgs wie natürlich für jedes Gemeinwesen und jede betroffene Familie eine fürchterliche Bilanz. Vgl. Friedrich et.al. (2014), S. 122.

Literatur

Eine Internetdokumentation zu Beschluss, Ausschreibung und Wettbewerb lässt sich sich mit den Suchbegriffen Kunstwettbewerb, Gedenkinstallation, Schülerpark unter marburg.de finden.

Friedrich, K.-P.; Kirschner, A.; Lützoff, C.; Nickel, K. (Hrsg.) (2014): Zur Geschichte der »Marburger Jäger«. Marburg: Rathaus-Verlag, Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur Bd. 101.

Kimpel, H. (2019): Kurt Schmelz. Denkmal für die gefallenen Jäger von 1914-1918. Marburg 1923. In: Buchholz, K.; Oswalt, Ph. (Hrsg.) (2019): 100 Jahre Moderne in Hessen – Von der Reichsgründung bis zur Ölkrise. Ein Architekturführer. Berlin: JOVIS, S. 369.

Stabsstelle Kommunale Gremien/Büro der Stadtverordnetenversammlung/Fachdienst 09: Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Marburg vom 16. Dezember 2016. Marburg, 21.12.2016.

PD Dr. Anne Maximiliane Jäger-Gogoll, Privatdozentin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Siegen und langjährige Lehrbeauftragte am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg, war als Vertreterin des Bündnisses »Nein zum Krieg« im Beirat des »Kunstwettbewerbs Gedenkinstallation« tätig.

Der zerbrochene Spiegel des Krieges

Der zerbrochene Spiegel des Krieges

Der kolumbianische Bürgerkrieg im Werk von Jesús Abad Colorado

von Claudia Maya und Stefan Peters

Kolumbien ist ein von Gewalt gezeichnetes Land. Auch deshalb waren die Hoffnungen auf ein Ende der Gewalt nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Regierung und Guerilla (FARC-EP) im Jahr 2016 groß. Angesichts zahlreicher Herausforderungen benötigt der Friedensprozess heute allerdings die Unterstützung aus Politik und Zivilgesellschaft. Der vorliegende Artikel zeigt am Beispiel einer Ausstellung des Künstlers Jesús Abad Colorado, dass die künstlerische Repräsentation und Dokumentation der Verbrechen durch die Fotografie ein wirkmächtiges Plädoyer für den Frieden
sein kann, da es den Menschen die Gewalt der vergangenen Jahrzehnte und deren Konsequenzen aufzeigt.

Die Erforschung der Ursachen, Dynamiken und Folgen des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien brachte umfangreiches Material in Form von systematischen Berichten verschiedener Institutionen zur Aufarbeitung der Vergangenheit, wissenschaftlichen Abhandlungen, journalistischen Texten etc. hervor (z.B. CNMH 2013). Dessen ungeachtet besteht bei vielen Kolumbianer*innen eine breite Unkenntnis über den Konflikt und seine Opfer. Dieses Amalgam aus Indifferenz, Wegschauen und Ignorieren möchte der kolumbianische Fotograf und Journalist Jesús Abad Colorado in der von María
Belén Sáenz de Ibarra kuratierten Ausstellung »El Testigo« (Der Zeuge) aufbrechen. In den Worten von Abad Colorado hält die Ausstellung der Gesellschaft den Spiegel vor: einen vom Krieg zerbrochenen Spiegel. „Dies ist ein Land, das es nicht gewohnt war, sich selbst in dem zu betrachten, was ich den zerbrochenen Spiegel des Krieges nenne.1 Die Zerbrechlichkeit des Spiegels zeigt metaphorisch die Fragilität der von Gewalt zerrissenen Gesellschaft, und der zerbrochene Spiegel zeigt notwendigerweise ein
fragmentiertes und unvollständiges Bild. Die Kunst ist kein Ersatz für die wissenschaftliche Dokumentation und Systematisierung. Sie besitzt jedoch eine Eindringlichkeit, die es mehr als wissenschaftliche Abhandlungen, Statistiken oder offizielle Berichte vermag, der Gesellschaft die Gräuel des Krieges und damit die Notwendigkeit des Friedens vor Augen zu führen.

Die Fotoausstellung von Abad Colorado wird im ehemaligen Kloster San Agustín im Zentrum der Hauptstadt Bogotá direkt neben dem Präsidentenpalast gezeigt. Die Ortswahl ist kein Zufall. Für Abad Colorado haben nicht nur seine Fotos, sondern auch der Ausstellungsort eine politische Aussage: „Diese politische Klasse schloss die Augen, hielt sich die Ohren zu und hatte keine Stimme, um die Opfer des Krieges zu begleiten. Warum? Weil viele der Klasse der Politiquera2 unseres Landes Komplizen der bewaffneten Gruppen waren.3

Für seine politische Botschaft bedient sich Abad Colorado mit der Fotografie eines wirkmächtigen Mediums für die Konstruktion von Erinnerung: „Das Gedächtnis braucht […] Bilder, an die sich die Geschichte als eine erinnerte und erzählbare knüpft. (Welzer 1995, S. 8) Genau diese Bedeutung der Fotografie, die aufgrund der Authentizität der Darstellung zur Schaffung von Empathie und als Mittel gegen das Vergessen und Ignorieren wirkt, greift Abad Colorado in seiner Ausstellung auf. Etwa 500 seiner Fotografien aus den Jahren 1992 bis 2018 zeigen einen
Ausschnitt des kolumbianischen Bürgerkrieges. Die Fotos nehmen explizit die Sicht der Opfer ein und dokumentieren das Leid der gewaltsamen Vertreibung, der Entführungen, des Verschwindenlassens, der Massaker, sexueller Gewalt und weiterer Gewalttaten. Sie zeigen auch, dass der Krieg zwar alle gesellschaftlichen Gruppen zu Opfern gemacht hat, sich aber dennoch sozial nicht neutral auswirkt. Die Landbevölkerung, indigene und afro-kolumbianischen Bevölkerungsgruppen sowie im Allgemeinen sozial benachteiligte Menschen litten überproportional stark unter der Gewalt (Bello 2016) und prägen auch
die Fotos der Ausstellung. Dies ist keineswegs banal. Gerade das Leid dieser Opfergruppen wird oft vergessen bzw. beschwiegen, weil die soziale Benachteiligung ihre Möglichkeit einschränkt, eine Stimme zu haben bzw. sich Gehör zu verschaffen (Peters 2015).

Abad Colorado möchte dieses Schweigen brechen. In einem der Begleittexte erinnert er sich an die Situation nach einem Angriff der Guerillaorganisation ELN auf eine Ölpipeline, der in einem Brand endete und bis zu 84 Menschen das Leben kostete: „Sie sagten mir, dass ich die Kamera nicht auf sie richten sollte, und ich habe dies respektiert. Aber danach sagte ich zu ihnen: ‚Ich muss das machen. Denkt an die Bilder aus Vietnam und von den Konzentrationslagern der Nazis mit den Gaskammern und den Tausenden Toten. Ohne diese Zeugnisse würde man die Taten
nicht kennen, und irgendjemand würde sie abstreiten
.‘“ 4 (Abb. 1)

Kriegsfotografie zwischen Spektakel und Empathie

Das genannte Foto wirft die Frage der Ästhetik des Leids auf und verweist auf den Januscharakter der Gewalt: „Gewalt ist faszinierend. Sie wird universell verdammt und findet sich doch überall. Die meisten von uns sind von ihr fasziniert und entsetzt. (Litke 1992, S. 173) Insbesondere die Schöpfer*innen audiovisueller Repräsentationen von Krieg und Gewalt verfallen oft der Versuchung, diese Faszination für die Obszönität des Schreckens – etwa aus kommerziellen Gründen – auszuschlachten. Im Gegensatz dazu zeigen die Bilder von Abad
Colorado die Folgen der Gewalt auf eine Weise, die sich der Versuchung des Spektakulären widersetzt und stattdessen die Kamera als Werkzeug zur Erzeugung von Empathie nutzt: „[D]ie Fotos gehen uns nahe, sie schauen dem Gegenüber in die Augen. Mit anderen Worten, sie erzeugen Intimität und Komplizenschaft, Empathie. Und es sind Fotos, die jeder Mensch machen könnte, wenn er mit dem Herzen schaut.5

Die Mehrzahl seiner Fotos in der Ausstellung sind Schwarzweißaufnahmen. Für Abad Colorado ist dies eine Frage des Respekts für die Opfer. Die Ausstellung zeigt auch die Aktualität der Gewalt. Beispielweise findet sich am Beginn der Ausstellung ein überlebensgroßes Portrait, das an den kürzlich ermordeten sozialen Aktivisten Aquileo Mecheche erinnert. Die farbige Großaufnahme bezweckt genau das, was sich Abad Colorado mit der Ausstellung wünschte: den Opfern ein Gesicht geben. Ebenso sind Fotos von Menschen auf der Suche nach verschwundenen Familienangehörigen in Farbe zu sehen; sie zeigen
das fortwährende Leid der Angehörigen. Tatsächlich gelingt es den Bildern, die Menschen hinter der abstrakten Zahl von weit über acht Millionen Opfern des kolumbianischen Bürgerkrieges in den Fokus zu rücken. Die Fotos erzählen Geschichten, die es ermöglichen, sich in das Leid der Opfer hineinzuversetzen, und erzeugen so Empathie.

Anhand einer Bildreihe aus dem Jahr 2007, die die Ausgrabung der 2001 von den Paramilitärs ermordeten Gloria Milena Aristizábal dokumentiert, kann man Abad Colorados Arbeitsweise verdeutlichen: In vier verschieden Bildern wird der Ausgrabungsprozess durch die staatlichen Behörden dokumentiert. Das Augenmerk gilt nicht der forensischen Arbeit, sondern Gloria Milenas Tochter, Yeimy, und Mutter, Rosalba, die die Ausgrabung beobachten. Das erste Bild zeigt eine Halb-Nahaufnahme von Yeimy gemeinsam mit einem Militär während der Ausgrabung. Das kleine Mädchen, etwa sieben oder acht Jahre alt,
schaut fast teilnahmslos ins Grab. Es folgt eine Nahaufnahme, die Yeimy und ihre Großmutter zeigt, wie sie in das Grab schauen (Abb. 2). Das Kind hat seinen Kopf an den Arm der Großmutter gelehnt. Die Großmutter sieht, was das Kind nicht fassen kann. Die fehlende Generation wird in dem dritten Bild in einer Großaufnahme gezeigt: Ein im Grab gefundener Rosenkranz identifiziert die tote Mutter und Tochter (Abb. 3). Das vierte Bild, eine Halbtotale, zeigt die Beamten der Kriminalpolizei bei der Ausgrabung von Gloria Milena. Die Bildreihe folgt einem filmischen Ablauf und zieht die
Ausstellungsbesucher*innen in das Geschehen: das Heranzoomen an ein Ereignis, die Auflösung des Ereignisses durch ein Bild und das abschließende Herausgehen aus einer Szene, die sich in Kolumbien tagtäglich wiederholt.

Erinnerung und Repräsentation

Die Ausstellung zeigt die faszinierende Diversität und die schreienden Ungleichheiten Kolumbiens. Die Bilder sollten das Land aus der Bequemlichkeit des Nicht-sehen-wollens herausreißen und die Besucher*innen zur Erinnerung an die Gewalt sowie zur Reflektion über die Vergangenheit und Gegenwart animieren. Abad Colorado positioniert sich mit der Ausstellung explizit gegen die gerade sehr prominent diskutierten Thesen von David Rieff (2016) zur heilenden Kraft des Vergessens. Abad Colorado versteht seine Arbeit ausdrücklich als Beitrag gegen das weitverbreitete Verdrängen und Beschweigen der
Vergangenheit. Sein Fokus auf die historisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist überdies ein Beitrag zur Demokratisierung der Erinnerung. Seine Fotos laden dazu ein, den Friedensprozess als Chance zu nutzen, damit sich das Land über geographische, soziale und kulturelle Grenzen hinweg kennenlernt und gemeinsam über die Geschichte der Gewalt spricht und trauert.

Gleichzeitig drängt sich bei der Betrachtung des Werkes von Abad Colorado geradezu die zentrale Frage postkolonialer Kritik auf: „Can the Subaltern Speak (Spivak 2017) – haben die Subalternen eine Stimme? Tatsächlich bleibt Abad Colorado der dokumentierende Fotograf, vollzieht damit einen Akt der Repräsentation und verharrt bei einem vergleichsweise traditionellen Zugang. Er greift nicht auf partizipative Formen der Schaffung von Kunstwerken mit den Opfern à la Doris Salcedo6 zurück oder auf innovative Formen eines invertierten
Blicks, der die Subalternen zu Subjekten (statt Objekten) der Kunst macht (siehe hierzu Corona Berkin 2018). Dennoch findet sich in den Fotos eine besondere Nähe zu den Menschen, die sich aus seinem spezifischen Feldzugang ergibt. Abad Colorado ist kein Weltreisender auf der Jagd nach Kriegsfotos, er ist ein Kind des bewaffneten Konfliktes: Er ist der Sohn von gewaltsam Vertriebenen; zwei seiner Cousins gehören zu den mehr als 80.000 Verschwundenen in Kolumbien. Er selbst wurde von der FARC bei einer seiner Reisen in die abgelegenen Orte des Landes, in denen der Krieg besonders grausam
tobte, entführt.

Ihm erlaubt aber nicht nur sein persönlicher Hintergrund, sondern auch seine Arbeitsweise, eine besondere Nähe zu den Menschen herzustellen, die er fotografiert. Er begleitet die Menschen, hält Kontakt und kehrt zurück an die Orte seiner Fotografien. Diese Arbeitsweise unterscheidet sich vom Mainstream und ist auch jenseits des Journalismus, etwa für die Wissenschaft, instruktiv. Es geht ihm nicht um einen oft als wissenschaftlichen Extraktivismus beschriebenen Zugang, der das Wissen der lokalen Gemeinschaften für eigene wissenschaftliche oder journalistische Erfolge ausbeutet, sondern um
Reziprozität.

Kunst und Pädagogik

Die Ausstellung erfuhr ein breites und meist enthusiastisches Medienecho. Zudem wurde Abad Colorado im September 2019 mit dem Preis der Stiftung des verstorbenen kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez gewürdigt. Eine Dokumentation seines Werks mit dem Titel »El Testigo« (Horne 2018) war zu diesem Zeitpunkt bereits auf den Kinoleinwänden und bei Netflix zu finden, wo sie dank englischer Untertitel auch einem internationalen Publikum einen intimen Einblick in den kolumbianischen Bürgerkrieg ermöglicht. Doch vor allem ist die Ausstellung im Herzen Bogotás ein
Publikumsmagnet: Bereits in den ersten Monaten besuchten weit über eine halbe Million Menschen seine Ausstellung. Das Publikum ist dabei äußerst divers: Hochrangige Politiker*innen und Intellektuelle besuchen die Ausstellung ebenso wie Tourist*innen, Opfer des bewaffneten Konfliktes, die interessierte Öffentlichkeit sowie unzählige Schulklassen.

In einem Land, das auf ein Schulfach Geschichte verzichtet und in dem die Diskussion über den Friedensprozess von einer heftigen Polarisierung gekennzeichnet ist,7 übernimmt die Ausstellung des Fotografen Jesús Abad Colorado eine wichtige pädagogische Funktion. Die Ausstellung endet mit einem klaren Plädoyer für den Frieden als Bedingung für ein Ende der Gewalt und des Leids der Opfer.

Abad Colorado versteht sich als Fotograf des kolumbianischen Konflikts, der andere Konflikte nicht dokumentieren könne. Dennoch geht sein Plädoyer für den Frieden über die kolumbianischen Grenzen hinaus. Seine Aufnahmen von geflüchteten kolumbianischen Kindern könnten auch in anderen Teilen der Welt aufgenommen werden. Abad Colorados Bilder zeigen die grausamen Konsequenzen eines Konflikts, der stets zuerst die Schwächsten der Gesellschaft trifft. Die Ausstellung und der Standort sind somit ein Statement gegen das Verdrängen des Leids der Opfer durch die Politik sowie eine Anklage gegen die
Teile der Politik, die mit der Gewalt verstrickt sind (Romero 2007). Abad Colorado sagt dazu: „Die Ausstellung hierherzubringen ist für mich eine Form [den Politikern] zu sagen: ‚Dies ist Teil Ihrer Verantwortung, Sie sind dafür verantwortlich, was in Kolumbien über Jahrzehnte passiert ist, weil Sie nicht das Herz und das Bewusstsein für die Bedeutung der Beendigung des Krieges hatten.‘“ 8

Die Bilder von Jesús Abad Colorado führen eindringlich vor Augen, warum Kolumbien die historische Chance des aktuellen Friedensprozesses nicht vergeben darf.

Anmerkungen

1) Interview mit Jesús Abad Colorado, 18.6.2019 in Bogotá.

2) Politiquero*a bezeichnet in Kolumbien eine Person, die die Politik für ihre eigenen Interessen nutzt.

3) Interview mit Jesús Abad Colorado, 18.6.2019 in Bogotá.

4) Begleittext zur Ausstellung »El Testigo« im Claustro de San Agustín in Bogotá.

5) Interview mit Jesús Abad Colorado, 18.6.2019 in Bogotá.

6) Doris Salcedo ist eine kolumbianische Künstlerin, die mit Performanzaktionen sowie mit dem Kunstwerk »Fragmentos« aus eingeschmolzenen Waffen der FARC den bewaffneten Konflikt künstlerisch verarbeitet. Im August 2019 wurde sie mit dem Possehl-Preis für internationale Kunst ausgezeichnet.

7) Vgl dazu die folgenden Texte in W&F: Cárdenas, M.: „Nicht ohne uns!“,W&F 2-2019; Londoño, A: »Gender-Ideologie« in Kolumbien Oder: Wie man Ängste schürt, um den Frieden zu behindern, W&F 3-2018; Naucke P. und Oettler A.: Kolumbien – Frieden in Gefahr? W&F 2-2018.

8) Interview mit Jesús Abad Colorado, 18.6.2019 in Bogotá.

Literatur

Bello, M.N. (2016): Colombia – La guerra de los otros. Nueva Sociedad, N° 266, S. 140-146.

CNMH (2013): Basta ya! Colombia – memorias de guerra y dignidad. Bogotá: Centro Nacional de Memoria Histórica.

Corona Berkin, S. (2018): Del retrato al selfie wixárika – Una historia visual nuestra. Temáticas, Vol. 1, Nr. 2; encartesantropologicos.mx.

Horne, K. (2018): El Testigo. Dokumentarfilm, 73 Minuten.

Litke, Robert F. (1992): Violence and Power. International Social Science Journal, Vol. 44, Nr. 2, S. 173-183.

Peters, S. (2015): Die Zukunft der Erinnerung in Lateinamerika. In: ders.; Burchardt, H.-J.; Ohlschläger, R. (Hrsg.): Geschichte wird gemacht – Vergangenheitspolitik und Erinnerungskulturen in Lateinamerika. Baden-Baden: Nomos, S. 185-197.

Rieff, D. (2016): In Praise of Forgetting – Historical Memory and its Ironies. New Haven: Yale University Press.

Romero, Mauricio (2007): Parapolítica – La ruta de la expansión paramilitar y los acuerdos políticos. Bogotá: Arco Iris-Asdi.

Spivak, G. (2017): Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien: Turia + Kant.

Welzer, H.: Das Gedächtnis der Bilder – Eine Einleitung. In: ders. (Hrsg.): Das Gedächtnis der Bilder – Ästhetik und Nationalsozialismus. Tübingen: diskord.

Claudia Maya, Master of Arts in Media, Communication and Cultural Studies, Universität Kassel und Université Stendhal Grenoble 3, ist Assistentin der Öffentlichkeitsarbeit des Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ).
Stefan Peters ist Professor für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Direktor des Instituto CAPAZ.

Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit

Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit

Kunst und Kultur in der sudanesischen Revolution

von Christina Hartmann

Die im Dezember 2018 gestarteten Proteste der sudanesischen Bevölkerung gegen das seit 30 Jahren herrschende Regime von Präsident Baschir führten im April zu dessen Sturz. Am 17. August 2019 einigten sich Militär und zivile Revolutionsführer*innen schließlich auf die Einsetzung einer Übergangsregierung, bis freie Wahlen abgehalten werden. Ziel dieses Artikels ist es zu zeigen, wie künstlerische Widerstandsformen und Symbole der Friedfertigkeit in der Revolution genutzt wurden, den Zusammenhalt der Demonstrant*innen stärkten und letztlich eine Übergangsregierung mit
paritätischer Beteiligung der Opposition erkämpften.

Im Dezember 2018 brachen in Atbara im nördlichen Sudan Proteste aus, die sich auf mehrere Städte ausbreiteten. Zunächst eine spontane Reaktion auf gestiegene Brotpreise und Mangel an Weizen, Benzin und Bargeld, richteten sich die Proteste bald gegen das Regime des seit fast 30 Jahren herrschenden Präsidenten Umar al-Baschir. Versuche der Sicherheitskräfte, die sich mehrenden Demonstrationen mit Tränengas und scharfer Munition zu stoppen, schlugen fehl. Immer mehr Sudanes*innen schlossen sich den Demonstrationen an.

Am 6. April marschierten in der Hauptstadt Khartum mehrere Zehntausend Protestierende zum Hauptquartier der Armee und riefen die Soldaten dazu auf, sich auf die Seite der Demonstrant*innen zu stellen. Die Demonstrierenden blieben vor dem Hauptquartier, bis das Militär schließlich am 11. April Präsident Baschir entmachtete und selbst die Herrschaft übernahm. Für die nächsten zwei Monate bildete sich auf den Straßen vor dem Militärhauptquartier ein riesiges Protestcamp, mit dem die Militärführung dazu bewegt werden sollte, die Macht an eine zivile Regierung abzugeben. Nach dem Scheitern der
Verhandlungen ließ das Militär den Platz am 3. Juni gewaltsam räumen. Mehr als hundert Menschen kamen nach Angaben eines sudanesischen Ärztekomitees bei der Räumung ums Leben; weitere wurden vergewaltigt und verletzt. Für die nächsten Wochen wurde das Internet landesweit abgestellt.

Trotz des gewaltsamen Vorgehens des Regimes rief die »Sudanese Professionals Association«, ein Gewerkschaftsdachverband, der maßgeblich an der Organisation der Proteste beteiligt war, für den 30. Juni landesweit friedliche Demonstrationen aus, an denen mehrere Hunderttausend Menschen teilnahmen. Auf internationalen Druck und unter Mediation der Afrikanischen Union sowie Äthiopiens einigten sich Militär und Zivilist*innen am 17. August auf eine Übergangsregierung. Obgleich der weitere Verlauf bis zu den für 2022 vorgesehenen freien Wahlen abzuwarten bleibt, sind der Sturz von Machthaber
Baschir und die zivile Repräsentation im Übergangsrat Erfolge der Demonstrant*innen.

Ziviler Widerstand als Erfolgsmodell

Die Friedensforscherinnen Chenoweth und Stephan (2011) und ihr Team untersuchten über 200 Kampagnen für einen Regimeumbruch. Das Ergebnis: Friedliche, gewaltfreie Kampagnen waren im Untersuchungszeitraum von 1900 bis 2006 doppelt so erfolgreich wie gewaltsame Umsturzversuche. In 53 % der Fälle führten sie zu politischem Wandel. Dabei waren die gewaltfreien Revolutionen nicht nur erfolgreicher, sie waren langfristig auch stabiler als gewaltsame. Eine Erklärung für dieses Ergebnis ist, dass gewaltfreie Revolutionen mit höherer Wahrscheinlichkeit eine größere Anzahl Unterstützer*innen aus
breiten Teilen der Gesellschaft gewinnen. Physische und psychische Barrieren sind bei gewaltfreien Aktionen deutlich niedriger als bei gewaltsamen und erlauben so mehr Menschen eine Beteiligung.

Je größer die Anzahl von Unterstützer*innen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das öffentliche Leben durch zivilen Ungehorsam beeinträchtigt wird und die Machthaber zum Einlenken gezwungen werden. Je größer der Bevölkerungsanteil, der an den Protesten teilnimmt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich unter diesen Familienangehörige oder Freund*innen der Sicherheitskräfte und Regimevertreter*innen befinden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für ein gewaltsames Vorgehen gegen Demonstrierende senkt. Dabei äußert sich Protest
nicht nur durch die Teilnahme an Demonstrationen und Streiks, sondern auch durch Stellungnahmen in sozialen Medien.

Demonstrationen, Proteste, Sit-ins und Streiks

Chenoweth und Stephan (2011) weisen in ihrer Studie darauf hin, dass für den Erfolg eines friedlichen zivilen Widerstands nicht nur eine möglichst große Mobilisierung maßgeblich ist, sondern auch eine angepasste und diversifizierte Strategie. So werden durch Demonstrationen, Sit-ins und Streiks verschiedene Teile des Staates getroffen; außerdem haben sie unterschiedliche Teilnahmeschwellen und damit ein unterschiedliches Mobilisierungspotential; sie sprechen also verschiedene Bevölkerungsschichten an.

Im Sudan wurden mehrere Formen des friedlichen zivilen Ungehorsams angewandt. Von Dezember 2018 bis Anfang April 2019 kam es hauptsächlich zu organisierten Demonstrationen in den großen Städten des Landes sowie in der Hauptstadt Khartum. Obwohl bis April mehrere Dutzend Menschen durch Sicherheitskräfte getötet wurden, blieben die Proteste friedlich. Demonstrierende, die Gebäude verwüsten oder Steine auf Sicherheitskräfte werfen wollten, wurden von den anderen Teilnehmenden zurückgehalten. Die Slogans Tasqut bas“ (Fall einfach!) und „huriya, salama, adala“ (Freiheit,
Frieden, Gerechtigkeit) wurden während der Protestmärsche als Motivationsgesänge gerufen und später von mehreren Künstler*innen musikalisch verarbeitet.1 Auch bei dem Sit-in vor dem Armeehauptquartier, das sich über eine Länge von ca. 3 Kilometer erstreckte, achteten Demonstrierende darauf, den Sicherheitskräften und dem herrschenden Militärrat keinen Anlass zu liefern, die Straßen zu räumen. Protestierende organisierten Eingangskontrollen und nahmen Eintretenden spitze Gegenstände sowie Waffen ab. So sollte Gewalt verhindert werden.

Selbst nach der gewaltsamen Auflösung des Sit-in am 3. Juni blieben die Organisator*innen der Protestbewegung bei ihrer gewaltfreien Strategie. Als Gruppen einer paramilitärischen Einheit kurze Zeit später in der Krisenregion Darfur mehrere Menschen töteten, kam in den sozialen Medien der Hashtag Wir sind alle Darfur“ auf. Durch die Gewalt in der Hauptstadt entstand eine Solidarisierung und Identifikation mit Menschen in anderen Landesteilen, die schon länger staatlicher Gewalt zum Opfer fielen. Zum ersten großen landesweiten Protestmarsch nach Auflösung des Protestcamps
am 30. Juni setzte sich der Hashtag #KeepEyesonSudan durch. Dieser rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, in Zeiten, in denen das Internet im Sudan abgeschaltet war, auf Gewalt gegen Demonstrierende zu achten.

Nachdem der Militärrat Unterstützung durch Saudi-Arabien und die Emirate erhielt, prangerte die Protestbewegung die Regimegewalt an und betonte die eigene Friedfertigkeit, um sich ihrerseits Unterstützung zu sichern. Insgesamt wurde versucht, bei allen Protestformen dem Revolutionsslogan Silmiya“ (Frieden/friedlich) gerecht zu werden und das Konzept der Gewaltfreiheit mit der Identität der Bewegung zu verknüpfen.

Kunst und künstlerischer Widerstand

Kunst und Kultur begleiten gesellschaftlichen Wandel; durch die Ansprache von Emotionen kann das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden. Darüber hinaus können durch Kunst und Kultur die Geschehnisse in Richtung gesellschaftlichen Wandels eingeordnet werden (Lee & Lingo 2011). Kunst und Kultur sind eine Mobilisierungsstrategie, die mehr Menschen anspricht als textbasierte Aufrufe zu Demonstrationen und zivilem Ungehorsam. Durch Kunst sowie die Konstruktion einer gemeinsamen Identität und eines Gefühls der Zugehörigkeit kann ein positives emotionales Verhältnis zur Revolution und ihren
Zielen sowie ihren Unterstützer*innen aufgebaut werden. Diese gemeinsame Identität kann selbst auf die Sicherheitskräfte übergehen, mit der Folge, dass diese Hemmungen haben, Gewalt gegen Demonstrierende anzuwenden.

Kunst und Künstler*innen waren treibende Kräfte hinter der Revolution im Sudan. Spielte sich sich die Kunst in der Anfangsphase hauptsächlich in den sozialen Medien ab, so drang sie im Laufe des Sit-in ins Straßenbild vor. Während der Protestmärsche verbreiteten sich vor allem Symbole des friedlichen Widerstands. Neben politischen Cartoons bekannter Künstler, wie Khalid Elbeih oder Boushra, die Humor als verbindendes Element einsetzten, wurden auch Bilder neuer digitaler Künstler*innen online geteilt.

In den sozialen Medien verbreiteten sich insbesondere solche Bilder, die den sozialen Zusammenhalt der Protestgemeinschaft widerspiegeln und beispielsweise die gegenseitige Unterstützung der Demonstrant*innen zeigen. Sogar die Flagge des Sudan war Gegenstand der digitalen Kunst. Mehrere Künstler*innen animierten das Foto eines Demonstranten, der auf einem Pick-up liegend von Sicherheitskräften abtransportiert wurde und dabei weiter die sudanesische Flagge hochhielt. Der Slogan Tasqut bas“ wurde vielfach künstlerisch in den Alltag eingebaut, und entsprechende Bilder wurden in
den sozialen Netzwerken geteilt. So wurde der Slogan aus Steinen gelegt, auf Hochzeiten mit Gewürzen auf Speisen des Buffets geschrieben oder aus leeren Tränengasdosen und Patronenhülsen gestaltet, womit gleichzeitig eine friedliche Umdeutung der Gewaltinstrumente stattfand. Tränengasdosen wurden zu Blumenvasen oder Stifthaltern umfunktioniert, während aus gefeuerter Munition Ringe gebastelt wurden. Mit der Verbreitung solcher Fotos in sozialen Medien wurde die Notwendigkeit eines friedlichen Vorgehens bei den folgenden Demonstrationen beworben.

Auf dem Sit-in wurde Kunst ins öffentliche Straßenbild gebracht, wobei ebenfalls auf friedliche Symbole geachtet wurde, etwa in einer Wandmalerei, in der Projektile von Bäumen abgefangen, also im Bild unschädlich gemacht wurden. Ebenfalls wurden Zukunftsvorstellungen dargestellt. Wandgemälde bildeten viele Frauen ab sowie Angehörige ethnischer Minderheiten, insbesondere afrikanischer, die bisher unter der ethnisch arabischen Regimeführung unterdrückt wurden. Dies beförderte ein Gemeinschaftsgefühl und verstärkte das Bild eines vereinten Sudan, der sich friedlich gegen das Regime wehrt.

Neuinterpretation des Märtyrerbegriffs

Wie im »Arabischen Frühling« fand auch im Sudan eine Umdeutung des Märtyrerbegriffs statt, weg vom Religiösen hin zum Sich-opfern für den Umbruch und die Gesellschaft. Das alte Regime verlor die Deutungshoheit darüber, wer als Märtyrer angesehen wird, an die Protestbewegung. Der Märtyrer gilt nicht mehr als Held, der sich für eine Ideologie opfert, sondern als unnötiges Opfer staatlicher Gewalt (Buckner und Khatib 2014). Märtyrerportraits und ihre Geschichten werden zur weiteren Mobilisierung verwendet. Dabei ist besonders wichtig, dass die Märtyrer gewöhnliche Menschen repräsentieren.
Durch die (mehr oder weniger) zufällige Gewalt des Regimes und die Tatsache, dass auch andere Demonstrierende in der Rolle eines Märtyrers hätten enden können, wird erneut das Gemeinschaftsgefühl gestärkt.

Die künstlerische Darstellung und das Porträtieren von Opfern der Gewalt der Sicherheitskräfte fand im Sudan im öffentlichen Raum ebenso wie in den sozialen Medien statt. Die einen tauschten in den sozialen Netzwerken ihr Profilbild gegen das Portrait eines »Märtyrers« aus; die anderen zeichneten die Gesichter von Opfern auf Wände des Sit-in-Geländes. Ein Statement wurde über die Landesgrenzen bekannt: Freund*innen und Familienangehörige von Mohamed Mattar, der während der gewaltsamen Auflösung des Protestcamps am 3. Juni von einer paramilitärischen Einheit erschossen wurde, färbten ihr
Profilbild in dessen Lieblingsfarbe blau. Mehrere Millionen Nutzer*innen sozialer Medien taten es ihnen weltweit gleich (#BlueForSudan). So wurde mit einem einfachen Symbol – der Farbe blau – Solidarität und Einigkeit ausgedrückt. Die internationale Unterstützung, selbst wenn diese nicht immer politisch war, motivierte viele Mitglieder der Protestbewegung, erneut auf die Straßen zu gehen.

Eine andere Variante der Verehrung von im Protest Getöteten durch die Bewegung ist die Einbeziehung der Familien von »Märtyrern«, vor allem ihrer Mütter. Regelmäßig wurde bei Demonstrationen oder dem Sit-in gefilmt, wie die Mütter der »Märtyrer« die Menge dazu aufriefen, nicht auf die Gewalt der Sicherheitskräfte einzugehen, sondern friedlich zu bleiben. Mit dem Slogan „Die Mutter des Märtyrers ist auch meine Mutter“ solidarisierten sich die Demonstrierenden wiederum mit den Verstorbenen und stifteten ein Zusammengehörigkeitsgefühl.

Die genannten Beispiele zeigen, wie sich die Protestbewegung im Sudan selbst verstand und versteht: als friedliche und gewaltfreie Bewegung, als Gegenbild zum Regime, das gestürzt werden sollte. Durch friedlichen Widerstand erreichte die sudanesische Protestbewegung mit der Einigung auf eine Übergangsregierung einen vorläufigen Teilerfolg. Ob der Sudan die These von Chenoweth und Stephan stützt, nach der ein friedlicher Widerstand längerfristig die Ziele der Protestierenden erreicht, bleibt abzuwarten.

Anmerkung

1) Beispielsweise NasJota feat. Mista D. »Tasgot Bas«, Voice of Sudan »System must fall«, Ahmed Amin »madania, huriya, salama«.

Literatur

Chenoweth, E.; Stephan, M. (2011): Why Civil Resistance Works. New York: Columbia University Press.

Buckner, E.; Khatib, L. (2014): The Martyrs’ Revolution – The Role of Martyrs in the Arab Spring. British Journal of Middle Eastern Studies, Vol. 41, Nr. 4, S. 368-384.

Lee, C.W.; Long Lingo, E. (2011): The “Got Art?” paradox – Questioning the value of art in col­lective action. Poetics, Vol. 39, S. 316-335.

Christina Hartmann ist Promotionsstudentin im Fach Politikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Theaterräume und die Kunst des Sehens


Theaterräume und die Kunst des Sehens

Friedensressource Kultur

von Hannah Reich

Wie können sich Menschen sicher fühlen, eine andere Identität annehmen, dem Alltag auch einmal entfliehen und damit die Konfrontation auch mit anderen Narrativen aushalten? Im Artikel wird Kultur als Ressource hierfür dargestellt. Insbesondere wird auf die Ausdrucksform des Theaters und seine Möglichkeiten der Konflikttransformation eingegangen.

Friedensbildung verlangt Arbeit: Arbeit an den bestehenden Machtverhältnissen, Rechtssystemen und Ressourcenverteilungen, den Weltanschauungen und Beziehungen, einschließlich der sie formenden Einstellungen, Handlungen und Haltungen. Diese Arbeit kann auch mittels kultureller Ausdrucksformen vorangetrieben werden. Dazu möchte ich auf die Kraft des “ästhetischen Raumes” (Boal 2000, S. VI) der interaktiven Theaterform »Forumtheater«1 als eine ergründende, verbindende und ermächtigende Ressource in Friedensbildungsprozessen verweisen. Die Wirkkraft dieses Raumes entsteht dadurch, dass er einen gemeinschaftlichen »Liminalraum« darstellt, in dem ein vom gewohnten Alltag zu unterscheidendes Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln praktiziert werden kann.

Nicht zuletzt durch den starken Einfluss von Paolo Freires Befreiungspädagogik erfüllt das Forumtheater die Erfordernisse der Konflikttransformation nach einem „entlockenden Ansatz“ (engl. elicitive approach) nach John Paul Lederach (vgl. z.B. Lederach 1995). Dieser Ansatz kann eine gewisse universelle Gültigkeit in Anspruch nehmen, während er gleichzeitig den Unterschieden in den sozio-kulturellen Gegebenheiten und Kontexten Rechnung trägt. Hierbei ist zu betonen, dass der Schlüssel zur erfolgreichen Transformation in der komplexen Gemengelage von Friedensbildungsprozessen nicht allein in dem Grundsatz der Partizipation zu finden ist. Denn es besteht die Herausforderung, eine Beteiligung und Aneignung der Prozesse zu ermöglichen, ohne dabei lediglich die geläufigen Narrationen, Mythen und Formen der Geschichtenerzählung zu verstärken, die bereits im Konfliktgefüge zirkulieren (Thompson 2004). Auf Grund des »entlockenden Charakters« wundert es nicht, dass interaktive Theaterprojekte vermehrten Eingang in den Bereich der Konflikttransformation finden.

Die Kunst des Sehens lernen

In einem Gruppenprozess interaktives Theater zu spielen, erlaubt es unter dem Deckmantel, als »Schauspieler« zu agieren, andere Facetten der eigenen Identität ins Scheinwerferlicht zu stellen als die, die im Alltag unter Umständen stark von dominierenden Gruppenzugehörigkeiten geformt werden, und lässt andere Verhaltens- und Sichtweisen des »Ich« in den Vordergrund treten. Außerdem ermöglicht der interaktive Ansatz des Forumtheaters eine sorgfältige Durchleuchtung erlebter Beziehungsverhältnisse durch die Darstellung, welche eine erfahrbare und dennoch distanzierte Reflektion der Interaktionen erlaubt. Die Arbeit am »Selbst« und seiner Wahrnehmung sowie auch die Vergegenwärtigung und Bewusstwerdung über die Beziehungsverhältnisse in der Gemeinschaft bedingen sich gegenseitig und münden in einem individuellen und gleichzeitig kollektiven Transformationsprozess.2 Wobei gerade auch die non-verbale Dimension der Kommunikation einen Ausdruck findet. Dreh und Angelpunkt ist hierbei die Art und Weise des Sehens, des Blickes auf sich, auf das Kollektiv und auf die Welt. Die »Kunst des Sehens« zu lernen, stellt ein Kernstück der Arbeit dar. Dieses Sehen erlaubt neue Perspektiven und damit auch neue Handlungsmöglichkeiten. Die zu erlernende Kunst des Sehens unterscheidet sich von einem normalen Schauen bezüglich folgender Aspekte:

1. Präsenz: Das Sehen erwartet ein Wahrnehmen, in dem der Sehende ganz und gar präsent ist und nicht mit seinen Gedanken in der Vergangenheit oder der Zukunft umherwandert, sondern ganz dem Hier und Jetzt zur Verfügung steht. Dies bedeutet auch ein Wahrnehmen mit allen Sinnen, einschließlich des Riechens, Schmeckens, Fühlens, Hörens und des sechsten Sinn.

2. Wertschätzung: Dies bedeutet von einem urteilenden zu einem nicht-urteilenden, sondern annehmenden Blick zu gelangen, in dem das Beobachtete so, wie es sich zeigt, wahrgenommen werden kann.

3. Sich als Teil eines Größeren wahrnehmen und die Wahrnehmung von Details: Durch dieses kollektive Bewusstsein kann das Erlebte in einen kollektiven Zusammenhang gestellt werden, in dem die Erfahrung als eine dem menschlichen Kollektiv zugehörige wertgeschätzt werden kann. Gleichzeitig verlangt dieses Sehen nicht nur ein Rauszoomen, sondern auch ein fokussiertes Wahrnehmen kleiner Veränderungen in der Haltung und Gestik, in Blicken, Stimmlage und Redeweise. Dadurch kann eine kleine Veränderung überhaupt als Änderung wahrgenommen werden, welche im Alltag leicht übersehen würde.

Diese Kunst des Sehens kennzeichnet das Sehen – und nicht nur das Darstellen – als eine aktive Handlung, ein »aktives Sehen»« mit allen Sinnen. D.h. es wird nicht nur der/die Schauspieler*in als aktiv am Prozess beteiligt konzipiert, sondern als genauso aktiv – wenn auch still sitzend – wird der/die präsente, wahrnehmende, bezeugende Zuschauer*in gewertet.

Die Kunst des Sehens wird in einem Gruppenprozess geübt, in dem Körper­übungen gemacht, Spiele gespielt und Meditationstechniken und Sprechweisen trainiert werden. Der wertschätzende, präsente Blick ermöglicht, dass die Teilnehmer*innen mehr und mehr die Alltagsmasken fallen lassen und sich in all ihrer Blöße und Verletzlichkeit in der Gruppe zeigen. Es entsteht eine Stimmung, in der sich alle der Gruppe zugehörig fühlen können, obwohl die Einzelnen sehr unterschiedlich sind. Denn das gemeinsame Handeln, das körperliche Interagieren verbindet trotz möglicher großer Differenzen bezüglich bestimmter Werte und Normen, und es ermöglicht die Öffnung für ein kollektives Bewusstsein der Zugehörigkeit ohne Homogenisierung. Mittels der Kunst des Sehens kann ferner gelernt werden, auch kleine Veränderungen als Veränderungen wahrzunehmen, da der Beobachter nicht so sehr mit Urteilen beschäftigt ist als damit, mit allen Sinnen alles auf der Bühne bewusst aufzunehmen. Gleichzeitig wird diese Erfahrung auf der Bühne mithilfe einer Mittlerfigur, dem »Joker«, gemeinschaftlich reflektiert und diskutiert.

Dabei möchte ich auf die komplexe Beziehung des Darstellens und Geschichtenerzählens in Bezug auf das Sicherheitsgefühl und die Integrität einer Person gerade in kriegsgeprägten Gesellschaften verweisen. Wie James Thompson deutlich gezeigt hat, basiert das interaktive Theater auf der Idee, dass unterschiedliche Geschichten in einer Performance gezeigt werden können, und impliziert das Recht jeder Geschichte, erzählt zu werden (Thompson 2004). Die Essenz des Prozesses liegt darin, dass sich aus einer Geschichte andere Geschichten entwickeln können, mit einem anderen Ende, und dass nicht nur eine Geschichte die Wahrheit beanspruchen kann. Das verlangt besondere Achtsamkeit in Kontexten, in denen lineare Geschichten als Überlebensstrategie Schutz vor Scham und Schuld bieten und Schmerz, Verlust und Leid erträglich machen. Im Licht einer Kunst des Sehens nähert man sich sensiblen Themen achtsam. Dies erzeugt manchmal ein Dilemma, da somit auch Stereotype des Anderen und generalisierte Erzählungen stehen gelassen werden, die es aber zur Konflikttransformation zu dekonstruieren gilt. Der Akt des Geschichtenerzählens und des Darstellens in der komplexen Gemengelage von Konfliktgefügen verlangt weitere Untersuchungen. Die Kunst des Sehens kann nicht mehr als eine Richtung aufzeigen, in der deutlich wird, welche Kraft für Veränderung in dem Blick, im Ansehen und der Anerkennung steckt, und die wieder mal betont, wie wichtig für eine konstruktive soziale Veränderung die Entwicklung qualitativer Beziehungen ist, die in dem Gruppenprozess interaktives Theater entstehen können.

Kultur als Ressource für Sicherheit

Warum hat diese Ressource »Kultur« auch mit Sicherheit zu tun – am besten noch mit Sicherheit in Deutschland?

Hierbei möchte ich auf drei Aspekte verweisen, die m.E. in Diskussionen um »Sicherheit« zu kurz kommen:

Erstens die Tatsache, dass das individuelle Gefühl von (Un-) Sicherheit eng verknüpft ist mit dem Beziehungsgefüge, in dem sich die Person befindet und das ihr (Un-) Sicherheit gibt. Dies ist wichtig zu betonen, denn es erlaubt, auf die Abwesenheit von Beziehung, das Fehlen von qualitativ hochwertigen Beziehungen zu verweisen, in denen eine konstruktive Konfliktkultur3 herrscht, wenn Menschen sich unsicher fühlen. Und dieses qualitative Netzwerk von Beziehungen entsteht nicht durch das Aufstellen von Videokameras, bewachten Mauern und/oder Zäunen. Ein qualitatives Beziehungsnetz entsteht durch Beziehungsarbeit, durch gemeinschaftliche Tätigkeiten und in fragmentierten Gesellschaften durch Arbeit der Vertrauensbildung. Hierbei können kollektive Rituale eine Bedeutung bekommen und auch gemeinschaftliche Praktiken, wie z.B. durch kulturelle Veranstaltungen, Musik, Sport oder vielleicht auch interaktives Theater. Wirkliches Vertrauen verlangt jedoch ein Vertrauen in sich selbst und ein einigermaßen gesundes Selbstwertgefühl. Dies führt zum nächsten Aspekt:

Zweitens: Bedrohung ist ein komplexes Konstrukt, welches individuelle Gefühle, Wahrnehmungen und Erfahrungen genauso umfasst wie die kollektiven Darstellungen, Konstruktionen und medialen Repräsentationen. Dies bedeutet, dass das Sicherheitsgefühl von Personen schwer objektiv gemessen werden kann. Der subjektive Aspekt der Bedrohung ist eng mit dem objektiven Aspekt verwoben: der wirklich existierenden Desintegration, Konflikten und Gewalt. Dabei ist es unmöglich, beide Aspekte voneinander zu trennen, und es wird deutlich, wie sehr der wahrgenommene »subjektive« Aspekt auch in objektiv ungefährlichen Situationen gewalttätige Handlungen unterstützt und somit mehr Unsicherheit schafft. Zusätzlich muss man festhalten, dass der »subjektive« Aspekt nicht in dem Sinne subjektiv ist, dass er individuell ist, sondern er ist verwoben mit kollektiven und kulturellen Erinnerungen, Bedeutungssystemen und Verhaltensweisen.4 Das vorhandene kulturelle Kapital ist also sehr wichtig dafür, ob eine Situation als subjektiv gefährlich wahrgenommen wird und ob sich jemand von einer Politik der Angst verführen lässt. Denn auf der anderen Seite kann sogar in objektiv sehr gefährlichen Situationen ein kulturelles Wissen uns daran hindern, Handelnde der Angst zu werden.5 Dies führt zu dem letzten Aspekt:

Drittens: Ich möchte Sicherheit auf ganz direkte Weise mit der Frage der Bildung, verstanden als Faktenwissen und als wissensgenerierende Praxis, verknüpft sehen. D.h. es geht einerseits um das Wissen, welches hilft, sich gegen Stereotype und allzu schemenhafte »grandes narrations« der Welterklärung zu wenden und diese zu ergänzen bzw. zu dekonstruieren. Aber vielleicht noch viel wichtiger ist die Frage, welches Wissen dazu in der Lage ist, Menschen auf den Weg eines Bewusstwerdungsprozesses zu führen, der es ihnen erlaubt, individuell erlebte Erfahrungen von Angst, Verlust und Verzweiflung zu überwinden und sich selbst als wertvollen und würdigen Teil des menschlichen Kollektivs sinnvoll handelnd wahrzunehmen. Hier, denke ich, kann die Ressource Kultur, wie z.B. die Wissensgenerierung durch interaktives Theater – welches einerseits Geschichten hervorgräbt, die anderes Wissen als das gängig gehörte auf die Bühne bringen, und andererseits auf einem Gruppenprozess basiert, der kollektive Erfahrungen, Bewusstwerdung und Selbst-Gewahrwerdung impliziert – durchaus einen Beitrag leisten.

Kultur kann als Ressource gesehen werden, um Sicherheiten zu schaffen und Frieden zu bilden. Dafür eignet sich gerade die Gemeinschaftskunst des interaktiven Theaters, wo kollektive Zugehörigkeiten konstituiert werden, welche auch konstruktive Kommunikationsformen und Konfliktbearbeitung trainieren können. Gerade durch die Möglichkeit, non-verbal zu kommunizieren und körperlich zu agieren, kann auf der Beziehungsebene auch eine Qualität hergestellt werden, die es erlaubt, auf der Sachebene Differenzen auszuhalten, ohne sich zu distanzieren. Auf der Basis kultureller Praktiken kann ein Gemeinschaftsgefühl kreiert werden, das es ermöglicht, eine konstruktive Konfliktkultur zu üben und zu praktizieren. Diese Prozessorientierung kann die Ambiguitätstoleranz ebenso stärken wie die Fähigkeit, mit ungeordnetem, chaotischen Zuständen umzugehen.

Ambivalenz von Kunst und Kultur

Spätestens hier wird deutlich, dass Kunst und Kultur nicht per se zur Friedensbildung beitragen. Im Gegenteil, diese Medien können als soziale Ausdrucksmittel genauso gut zur Polarisierung und Fragmentierung der Gesellschaft wie auch zur Eskalation von Konflikten verwendet werden, wie anhand der rechten Musikszene in Deutschland einleuchtend vor Augen geführt werden kann.

Genauso muss man betonen: Eine konstruktive Verwendung der Ressource Kultur kann nicht eine sozio-ökonomische und politische Re-Strukturierung der globalen Regierungsführung ersetzen. Wird Kultur aber konstruktiv und bewusst eingesetzt, kann sie dazu beitragen, die Qualität des sozialen Gefüges zu verbessern und andere Formen des Wissens in die Gesellschaft einspeisen.

Wenn Diana Francis sagt, „Konflikttransformation bedeutet Kulturtransformation für uns alle“, dann erkennt sie an, dass es an der Zeit ist, sich neue Räume der Wissensgenerierung anzueignen, in denen neben Faktenwissen Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung und der persönlichen und kollektiven Bewusstwerdung einen Raum haben, und dass es an der Zeit ist, soziale Orte zu konzipieren, in denen kollektive Zugehörigkeiten praktiziert werden können, ohne dass die Teilnehmenden notwendigerweise sozio-politisch einer Meinung sind. Hier können kulturelle Praktiken eine Vorreiter­rolle spielen.

Anmerkungen

1) Zur Funktionsweise des Forumtheater siehe Reich, H. (2010): Die friedensbildende Kraft interaktiver Theaterräume. W&F 4-2010, S. 40-43.

2) Ich beziehe mich auf den Forumtheater-Prozess, der dadurch gekennzeichnet ist, dass eine von den Teilnehmern als ungerecht erlebte Situation auf der Bühne bis zu einem Krisenpunkt dargestellt wird und im Anschluss daran das Publikum gebeten wird, auf die Bühne zu kommen und als einer der Charaktere das Stück zu einem anderen Ende zu bringen, während es nochmal von vorne gespielt wird.

3) Siehe dazu auch Heitmeyer, der deutlich macht, dass Gewalt nicht durch Toleranz verhindert werden kann, sondern durch „kontinuierliche Handlung“ (Heitmeyer 2002, S. 276).

4) Um diesen Punkt deutlich zu machen: Wenn wir nur die Narration kennen, „helle Frauen mit Stirnband sind bereit, sich in die Luft zu jagen“, dann wird, selbst in objektiv nicht gefährlichen Situationen, das Sicherheitsgefühl durch die Anwesenheit einer Frau mit Stirnband erschüttert werden. Wenn jetzt diese Geschichte durch die Narration „eine rothaarige Frau mit Gewehr wird uns schützen“ vervollständigt wird, dann wird die Anwesenheit einer rothaarigen Frau wiederum das Sicherheitsgefühl erhöhen.

5) Gerd Spittler hat zum Beispiel gezeigt, dass in objektiv sehr gefährlichen Situationen, wie Hungerkatastrophen, eine „kulturelle Vitalität“, die kulturelles Gedächtnis und sozio-kulturelle Aktivitäten einschliesst, die Tuaregs im Niger dazu befähigt hat, trotz dieser Bedrohung ihre Würde zu erhalten (Spittler 2004).

Literatur

Boal, A. (2000): Rainbow of Desire. The Boal method of theatre and therapy. London: Routledge.

Heitmeyer, W. (2002): Deutsche Zustände – Folge 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Lederach H.P. (1995): Preparing for Peace – Conflict Transformation Across Cultures. Syracuse, NY: Syracuse University Press.

Spittler, G.; Probst, P. (eds.) (2004): Between Resistance and Expansion – Explorations of local vitality in Africa. Münster: LIT.

Thompson, J. (2004): Digging up stories – An archaeology of theatre in war. The Drama Review, Vol. 48, No. 3, S. 150-164.

Prof. Dr. Hannah Reich ist Hochschullehrerin am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt.