W&F 2019/1

An allen Fronten – Auf allen Ebenen!

22. IMI-Kongress, Tübingen, 7.-9. Dezember 2018

von Jürgen Wagner

Der 22. Kongress der Informationsstelle Militarisierung fand, dieses Jahr etwas später als gewohnt, von 7. bis 9. Dezember 2018, wie immer in Tübingen, statt. Thema war – die Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel der NATO aufgreifend – »Deutschlands Aufrüstung: An allen Fronten – Auf allen Ebenen!«. Zwischen 70 und 140 Personen waren jeweils bei den Vorträgen präsent, insgesamt dürften über 200 Menschen Teile des Kongresses besucht haben. Viele Besucher*innen aus entfernteren Gegenden reisten bereits zur Auftaktveranstaltung am Freitagabend an, die in der Hausbar des Wohnprojekts Schellingstraße – einer ehemaligen Kaserne – stattfand. Dort wurde in einem kurzen Vortrag zu Beispielen der Konversion – also der zivilen Nutzung vormals militärischer Flächen – in die Thematik eingeführt. Anschließend gab es noch eine Art Kneipen-Quiz zu Ritualen bei der Bundeswehr, bei dem v.a. viel gelacht und eines klar wurde: Es gibt Weniges, was die Anwesenden sich vorstellen konnten und gelangweilte Soldat*innen nicht schon durchgeführt und ritualisiert hätten.

Der erste Veranstaltungsblock am Samstag beschäftigte sich mit dem Thema »Deutschland im Rüstungsfieber«. Dabei spielten der steigende Verteidigungshaushalt und die Großprojekte ebenso eine Rolle wie die planerischen Grundlagen der jüngsten Rüstungsbemühungen – »Konzeption« und »Fähigkeitsprofil« der Bundeswehr (siehe dazu Jürgen Wagner, Verschwimmende Grenze, auf S. 30 in dieser W&F-Ausgabe). Anschließend wurde auch auf die Veränderungen in der deutschen Rüstungslandschaft eingegangen. Ausführlich wurden in weiteren Panels die aktuellen Rüstungsvorhaben in den Bereichen Polizei, Informationstechnologie und Atomwaffen behandelt. Die Abendveranstaltung zur »EU auf dem Weg zur Rüstungsunion« wurde kurzfristig in einen von Aktivist*innen und Studierenden angeeigneten Hörsaal verlegt. Der Hörsaal war eine Woche zuvor im Anschluss an eine Demonstration gegen den Forschungscampus »Cyber Valley«, an dem auch die Rüstungsindustrie beteiligt ist, besetzt worden. Zu den Forderungen der Besetzenden gehörte u.a. eine Zivilklausel für die gesamte Stadt.

Der Sonntag stand zunächst ganz im Zeichen der »Gegenkonversion«, also der (Re-) Militarisierung von Flächen. Das Thema wurde zu Beginn anhand der »Militärischen Mobilität« und des geplanten NATO-Logistikkommandos in Ulm behandelt, und es wurde erläutert, wie auf dieser Basis künftig vermehrt Gelder nach militärischen Nützlichkeitserwägungen in Infrastrukturprojekte zur schnellen Verlegefähigkeit, insbesondere nach Osteuropa, gelenkt werden sollen. Im Anschluss ging es konkret um »Die militärische (Rück-) Eroberung der Fläche: (Re-) Aktivierung alter und neuer Liegenschaften«, die aktuell drei verschiedene Formen annimmt: erstens die Inbesitznahme ziviler Flächen durch das Militär, teilweise, um den Verlust von (anderen) Flächen, die einer zivilen Nutzung zugeführt werden sollen, auszugleichen; zweitens die Reaktivierung aufgegebener Flächen, Liegenschaften und Ressourcen; und drittens der Abbruch oder die Verzögerung eines Konversionsprozesses.

Das Abschlusspodium des diesjährigen Kongress fokussierte sich auf aktuellen Widerstand gegen Aufrüstung. Mit dabei waren Aktivist*innen aus Ulm gegen das geplante NATO-Logistikkommando sowie vom bundesweiten Jugendnetzwerk für politische Aktion (JunepA), vom Tübinger Bündnis gegen das »Cyber Valley« und vom Kassler antimilitaristischen Aktionsbündnis »Block War«. Abgesehen von der Darstellung der jeweiligen politischen Auseinandersetzungen und auch Erfolge, ging es darum, zu erörtern, wie die anti-militaristischen Bewegungen gestärkt werden können. Ein Fazit war, dass die Vernetzung mit Bewegungen aus anderen Spektren, wie den Wohnraumbündnissen und Naturschutzverbänden, intensiviert werden könnte.

Jürgen Wagner

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/1 70 Jahre NATO, Seite 58–59