W&F 2012/1

Bremer Universität bestätigt Zivilklausel

Wichtiges Signal für Verantwortung in der Wissenschaft

von Ralf E. Streibl

„[…] But there are other areas of scientific research that may directly or indirectly lead to harm to society. This calls for constant vigilance. […]“ (Joseph Rotblat 1995)

Ausgesprochen erfreulich – und für viele erkennbar überraschend – hat nach monatelanger, intensiver und oft kontroverser Diskussion der Akademische Senat der Universität Bremen als höchstes beschlussfassendes Gremium der Universität Bremen in Bestätigung der Grundsätze früherer Beschlüsse am 25. Januar 2012 für die nachstehende Zivilklausel votiert und zugleich die Leitziele der Universität präzisiert. Die Entscheidung fiel mit überwältigender Mehrheit in allen Gruppen – bei nur drei (professoralen) Enthaltungen und einer (studentischen/RCDS) Gegenstimme:

„Der Akademische Senat steht weiterhin zu den Grundsätzen des Beschlusses Nr. 5113 (X/24. Sitzung v. 14. Mai 1986, insbesondere zur Ablehnung jeder Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung: Forschungsthemen und -mittel, die Rüstungsforschung dienen könnten, sind öffentlich zu diskutieren und sind ggfls. zurückzuweisen) und des Beschlusses Nr. 5757 (XIII/6. Sitzung vom 26.06.1991; Verpflichtung der Universität Bremen auf zivile Forschung). Der Akademische Senat stellt fest: Die Universität Bremen ist dem Frieden verpflichtet und verfolgt nur zivile Zwecke. Dies ist Bestandteil der Leitziele der Universität.“

Vorangegangen waren Monate mit Diskussionen im Akademischen Senat, in der Universität und in der Öffentlichkeit. Mehrere Informations- und Diskussionsveranstaltungen sowie diverse Presseberichte bildeten den Rahmen. In den Debatten vermengten sich dabei viele verschiedene Diskussionsstränge, u.a. über Sinn und Gefahren fremdfinanzierter (Stiftungs-) Professuren, über konkrete Firmenkooperationen, über die veränderte politische Lage nach dem Ende des Kalten Krieges, über „neue Sicherheitspolitik“, über Pazifismus, über Bildung für den Frieden, über Wissenschaftsfreiheit, über Dual-use, über Zivilklauseln an Hochschulen allgemein sowie ihre Operationalisierbarkeit im Besonderen und – nicht zuletzt – über Verantwortung in der Wissenschaft. All diese Themen haben inhaltlich miteinander zu tun, jedoch wurde die Diskussion durch die Verquickung sachlicher, politischer und emotionaler Aspekte zeitweise stark erschwert.

Vor dem Hintergrund der langen, durchaus kontrovers geführten Debatte mag es verwundern, dass am Ende ein solch klarer, deutlicher Beschluss für die Zivilklausel erfolgte. Zu seinem Zustandekommen mag auch ein wachsendes Verständnis für die zwei Ebenen der rechtlichen Dimension und der moralischen Bedeutung einer Zivilklausel beigetragen haben.

Wissenschaftsfreiheit

Die Freiheit der Wissenschaft ist sowohl im Grundgesetz als auch in der Verfassung des Landes Bremen garantiert (Einschränkungen ergeben sich nur durch andere in der Verfassung garantierte Grundrechte):

GG Art. 5: „(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

BremVerf Art. 11: „(1) Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.“

Das Bremische Hochschulgesetz wird dazu etwas ausführlicher. In §7 „Freiheit von Wissenschaft und Kunst, Forschung, Lehre und Studium“ heißt es u.a., dass das Land und die Hochschulen im Rahmen ihres Haushalts sicherzustellen haben, dass die Mitglieder der Hochschulen diese verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechte wahrnehmen können. Entscheidungsbefugnis der Hochschulorgane in Fragen der Forschung ist nur hinsichtlich der Organisation des Forschungsbetriebes, der Förderung und Abstimmung von Forschungsvorhaben sowie bei der Bildung von Forschungsschwerpunkten gegeben.

Im Bremischen Hochschulgesetz ist ferner geregelt, dass Forschungsergebnisse aus Drittmittelprojekten innerhalb eines absehbaren Zeitraums veröffentlicht werden müssen (§75(5)).

Rechtliche Reichweite einer Zivilklausel

Eine Universität kann selbstverständlich keine Beschlüsse fassen, die verfassungsgemäße Rechte außer Kraft setzen würden. Insofern trifft die seitens des Rektors der Bremer Universität, Prof. Dr. Wilfried Müller, zu Beginn der Akademischen Senatssitzung getroffene Feststellung zu, dass einem Professor oder einer Professorin im Falle eines Verstoßes gegen die Zivilklausel keine dienstrechtlichen Folgen drohen würden.

Gerade weil kein grundsätzliches Verbot einer Beteiligung an einer Forschung mit militärischer Nutzung ausgesprochen wird, ist die Zivilklausel der Universität Bremen vereinbar mit Art. 5(3) GG und den entsprechenden anderen gesetzlichen Regelungen. Ein Vorwurf, die Existenz der Zivilklausel gefährde die Wissenschaftsfreiheit, geht somit ins Leere.

Völlig ohne dienstrechtliche Relevanz ist die Zivilklausel dennoch nicht. Sollte beispielsweise ein Hochschullehrer sich entscheiden, rüstungsrelevante Forschung zu beginnen, und Mitglieder seiner Arbeitsgruppe würden die Mitarbeit daran unter Verweis auf die im Akademischen Senat beschlossene Zivilklausel verweigern, so wäre die Universitätsleitung gefordert, sich schützend vor diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stellen, wenn ihnen seitens des Hochschullehrers dienstrechtliche Schritte angedroht würden.

Auf organisatorischer Ebene kann die Universität ferner beschließen, dem entsprechenden Hochschullehrer angesichts solcher Projekte keine weiteren, über die garantierte Grundausstattung hinausgehenden Forschungsgelder, Fördermaßnahmen o.ä. zur Verfügung zu stellen.

Moralischer Appell – gesellschaftliche Verantwortung

Die universitäre Zivilklausel – so die Rechtsstelle der Universität Bremen in einer den Mitgliedern des Akademischen Senats zur Kenntnis zugeleiteten Vorlage für die Landesrektorenkonferenz (Banik 2011) – beinhalte einen „grundsätzlich sanktionslosen moralischen Appell“. Dennoch könne die Zivilklausel „mittelbar Wirkungen auf das Verhalten der Forscherinnen und Forscher“ entfalten, z.B. durch den möglichen moralischen Druck der akademischen Gemeinschaft im Falle einer Missachtung.

Dies ist – was mögliche Wirkungen angeht – richtig, greift jedoch m.E. in der Gesamtbetrachtung zu kurz. Aus dem Fokus gerät dabei der Signalcharakter einer solchen Selbstverpflichtung: Wenn eine große Institution solch einen Beschluss fasst, hat dies eine andere Außenwirkung, als wenn einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – so erfreulich dies ist – für sich individuelle Entscheidungen treffen. Die Existenz solch einer Selbstverpflichtung kann beispielsweise im Rahmen von Berufungsverfahren thematisiert werden und ebenso bei Kontaktgesprächen mit möglichen Kooperationspartnern (beides geschieht übrigens in Teilen der Universität Bremen seit Jahren). Zum anderen muss dringend das Augenmerk auf den eigentlichen Hintergrund solch einer Selbstverpflichtung gerichtet werden: Es geht dabei um praktizierte gesellschaftliche Verantwortung für Auswirkungen und Folgen eigenen wissenschaftlichen Handelns.

Im Bremischen Hochschulgesetz ist dieser Verantwortungsaspekt erfreulicherweise direkt in den bereits genannten §7 zur Wissenschaftsfreiheit eingewoben: „(1) […] Alle an Forschung und Lehre Beteiligten haben die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisse mitzubedenken. Werden ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Hochschule Forschungsmethoden oder -ergebnisse bekannt, die die Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das friedliche Zusammenleben der Menschen oder die natürlichen Lebensgrundlagen bedrohen können, soll dies öffentlich gemacht und in der Hochschule erörtert werden.“

Vor diesem Hintergrund greift auch der seitens eines Kritikers der bisherigen Zivilklausel in den Diskussionen der letzten Monate mehrfach geäußerte Vorwurf nicht, dass eine Zivilklausel ohne klare Kriterien dazu führen könne, dass alle möglichen Forschungsprojekte »skandalisiert« werden. Der Begriff der »Skandalisierung« enthält hier bereits eine Negativ-Wertung, die die zentrale Frage nach Einschätzung und (Selbst-) Reflexion der Forschung beschädigt. Unabhängig davon, ob es an einer Hochschule des Landes Bremen eine Zivilklausel gibt oder nicht, sind bereits durch das Hochschulgesetz ohnehin alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt aufgefordert, ein Augenmerk auf Forschungen und ihre möglichen Folgen zu haben und mögliche Bedenken oder Probleme publik zu machen und zur Diskussion darüber aufzufordern.

Bildung

Häufig wird als Argument gegen Zivilklauseln die Schwierigkeit ihrer Operationalisierung angeführt: A-priori-Definitionsversuche, welche Forschungsprojekte unbedenklich seien und welche nicht, sind zum Scheitern verurteilt. Hinzu kommen unzählige »zivil-militärischen Grauzonen«, die Wolfgang Liebert anschaulich beschreibt: „Was früher noch eindeutig »schwarz« erschien und nur militärischen Interessen dienlich war, hat auch Einzug in zivile Zusammenhänge gehalten. Umgekehrt werden ehemals für »weiß« gehaltene Forschungsbereiche mit dem (oft unzutreffenden) Argument, ökonomisch günstiger auch militärische Zielvorgaben erfüllen zu können, in die Grauzone hineingeführt.“ (Liebert 2009, S.445) Würde dadurch eine Zivilklausel nicht obsolet?

Ganz im Gegenteil: Gerade vor dem Hintergrund der geschilderten Problematik und Notwendigkeit des Umgangs mit Ambivalenz in der Forschung gewinnt die Reflexion enorm an Bedeutung – nicht zuletzt auch im Sektor der Lehre. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind in der Pflicht, hinsichtlich ihrer Forschungen und Entwicklungen frühzeitig mit einer antizipativen Analyse zu beginnen, „die Fragen stellt nach Intentionen, wissenschaftlich-technischen Potentialen, normativen Rand- und Vorbedingungen, ambivalenten Entwicklungslinien, gewollten Wirkungen, nicht-intendierten Folgen und sichtbaren Entwicklungsrisiken“ (Liebert 2009, S.448).

Die Existenz einer Zivilklausel fordert alle Beteiligten in Forschung und Lehre dazu auf, sich selbst – und anderen – in der Institution entsprechende Fragen zu stellen und damit in einen stetigen und öffentlichen Diskurs zu treten (vgl. Streibl 2011).

Insofern steht weder zu erwarten noch wäre dies wünschenswert, dass mit dem nun gefassten Beschluss die inhaltlichen Debatten an der Universität Bremen enden. Für die weiteren Gespräche ist das aktuelle Bekenntnis zu ziviler Forschung eine gute gemeinsame Basis und eine konkrete Ausgangsposition.

Literatur

Banik, P./Rechtsstelle Universität Bremen (20.07.2011): Vereinbarkeit der Zivilklausel mit dem geltenden Recht. Vermerk für die Sitzung des Landesrektorenkonferenz (LRK) am 25.07.2011.

Liebert, W. (2009): Umgang mit Dual-Use von Technologien und Ambivalenz in der Forschung. In: Albrecht, S.; Bieber, H.-J.; Braun, R.; Croll, P.; Ehringhaus, H.; Finckh, M.; Graßl, H.; von Weizsäcker, E.U. (Hrsg.): Wissenschaft – Verantwortung – Frieden: 50 Jahre VDW. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, S.445-450.

Rotblat, J. (1995): Remember your Humanity. Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises. pugwash.org/award/Rotblatnobel.htm.

Streibl, R.E. (2011): Für eine zivilisierte Bildung und Wissenschaft. In: FIfF-Kommunikation, 28 (4), S.44-50.

Ralf E. Streibl

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/1 Schafft Recht Frieden?, Seite 58–59