W&F 1997/2

Deutschland und die Atomwaffen

Konferenz 40 Jahre nach dem Göttinger Appell

von Jürgen Scheffran

Einige hundert Teilnehmer hatten am 11. April 1997 den Weg ins Audimax der Ludwig-Maximilian-Universität in München gefunden, um drei Physikern die Reverenz zu erweisen. Anlaß war der 40. Jahrestag der Göttinger Erklärung von 18 Atomwissenschaftlern gegen die Atombewaffnung der Bundesrepublik, die im April 1957 für Furore gesorgt hatte. Carl-Friedrich von Weizsäcker, der die Erklärung seinerzeit initiiert hatte, konnte eindrücklich von den z.T. heftigen Reaktionen der Adenauer-Regierung berichten, wobei der damalige Atomminister Franz-Josef Strauß vor Kraftausdrücken gegenüber den Größen der Physik wie Otto Hahn und Werner Heisenberg nicht zurückschreckte. Es half aber alles nichts: Der Besitz der Atombombe blieb deutschen Politikern vorenthalten.

Zweifellos konnte der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) von 1970 Deutschland und Japan die Verfügung über Atomwaffen verweigern, doch ist der Vertrag auf lange Sicht nicht geeignet, die Verbreitung der Atomwaffen zu verhindern, geschweige denn, diese abzuschaffen, solange den fünf Atommächten ein Sonderstatus eingeräumt bleibt. Dies machte, Joseph Rotblat, Pugwash-Präsident und Friedensnobelpreisträger des Jahres 1995, deutlich. Er verwies auf zahlreiche Bestrebungen für eine atomwaffenfreie Welt aus der jüngsten Zeit und zeigte, daß erste Schritte unverzüglich eingeleitet werden können. Rotblat unterstützte die Bemühungen um den Modellentwurf einer Nuklearwaffenkonvention, der nur vier Tage zuvor bei der Vorbereitungskonferenz zum NVV in New York von einem Komitee von Nichtregierungsorganisationen (NROs) vorgestellt worden war, wobei er den Beitrag deutscher Wissenschaftler hervorhob. Er betonte, wie auch schon am Tag zuvor bei einem von IANUS organisierten Vortrag an der Technischen Hochschule Darmstadt, daß die Abschaffung der Atomwaffen ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Abschaffung des Krieges sei.

Hans-Peter Dürr, Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), forderte schließlich dazu auf, mit dem atomaren Wahnsinn Schluß zu machen, der Ausdruck eines rücksichtslosen Umgangs mit Mensch und Natur sei. Vehement setzte er sich für ein Ende des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfs ein und forderte eine Umkehr in Richtung auf eine friedliche und nachhaltige Entwicklung.

Die öffentliche Veranstaltung, die neben der VDW und der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« von international agierenden NROs (IALANA, INESAP, IPPNW) und dem Münchner Friedensbündnis organisiert worden war, diente zugleich als Auftakt für eine zweitägige Konferenz »Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!«, an der mehr als 150 Menschen teilnahmen. Während Vorträge und Diskussionen Samstag- und Sonntagvormittag im Plenum durchgeführt wurden, wurde am Samstagnachmittag in fünf Arbeitsgruppen diskutiert.

Es zeigte sich, daß die Konferenz gerade zur rechten Zeit stattfand. Bezüge zur Situation vor vier Jahrzehnten waren nicht zu übersehen. Während es damals um die Atombewaffnung der Bundeswehr ging, nachdem die Remilitarisierung bereits politisch durchgesetzt war, geht es heute um die Frage, ob Deutschland eine größere Verfügungsgewalt über Atomwaffen erlangen soll, nachdem Auslandseinsätze der Bundeswehr inzwischen von großen Teilen der Gesellschaft akzeptiert werden. So ging es in München dann auch um die Frage, wie deutsche Zugriffe auf die Atombombe verhindert werden können, etwa in der NATO und einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, wie sie etwa in der deutsch-französischen Erklärung vom 9. Dezember 1996 vorgedacht wurde.

Verschiedene Vorschläge wurden diskutiert, von Protestaktionen an Atomwaffenstandorten (Büchel), über atomwaffenfreie Zonen und Kommunen in Europa bis hin zum globalen Konzept einer Nuklearwaffenkonvention. Besondere Beachtung fanden die von Renate Reupke (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms, IALANA) vorgestellten »Zeichen der Ermutigung«, die vom Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Illegalität der Atomwaffen über neue atomwaffenfreie Zonen und den Atomwaffenteststopp bis zum globalen Netzwerk Abolition-2000 und den UNO-Resolution für eine Nuklearwaffenkonvention reichten. Der niederländische Brigadegeneral Henny van der Graaf war eingeladen worden, um von der Erklärung der Generäle für die Abschaffung der Atomwaffen zu berichten, die in NATO-Kreisen für Unruhe sorgt.

Um den politischen Impuls für die Abschaffung der Atomwaffen zu verstärken, wurden in der abschließenden Podiumsdiskussion Handlungsperspektiven aus deutscher Sicht diskutiert, wobei neben FriedensaktivistInnen auch zwei Politikerinnen zu Wort kamen. Während Uta Zapf (SPD) vorschlug, sich Schritt-für-Schritt der atomwaffenfreien Welt zu nähern, machte sich Angelika Beer (Bündnis 90/Die Grünen) für den umfassenden Ansatz einer Nuklearwaffenkonvention stark. In der Diskussion wurde betont, hier keine künstlichen Gegensätze enstehen zu lassen; Verhandlungen über einer Nuklearwaffenkonvention könnten dazu dienen, bereits mögliche Einzelmaßnahmen zu realisieren und so »schrittweise« und »umfassende Ansätze« zu verbinden. Die Abschlußerklärung des Kongresses (siehe blaue Seiten) forderte, in Anknüpfung an den Göttinger Appell, u.a. den Ausstieg Deutschlands aus der Atomwaffenstrategie der NATO, den Abzug der Atomwaffen von deutschem Boden und den Abschluß einer Atomwaffenkonvention.

Der Bezug zur Region München wurde an zwei Punkten deutlich. Zum einen hatten die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) die Konferenz dazu genutzt, ihre Studie über die Möglichkeiten und Folgen von Atomwaffeneinsätzen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Feststellung, der Abwurf einer relativ »kleinen« Uranbombe vom Hiroshima-Typ auf die Münchner Innenstadt würde bereits am ersten Tag 28.000 Menschenleben kosten, rief in Erinnerung, was zu Hochzeiten der Friedensbewegung Gemeingut war. Daß das für Bombenzwecke nutzbare waffentaugliche Uran direkt vor den Toren Münchens im Garchinger Forschungsreaktor eingesetzt wird, war Anlaß für eine Demonstration in der Münchner Innenstadt. Bei der Kundgebung, die die zivil-militärische Verflechtung der Atomtechnologie zum Gegenstand hatte, wurde eine Torte verspeist, die als Geschenk zum 150. Geburtstag von Siemens gedacht war, dem Betreiber des Garchinger Reaktors. Bei der Gelegenheit wurde die Aufforderung zum Siemensboykott erneuert.

Daß die Tagung ein wichtiger Beitrag war, um die Atomwaffenproblematik bundesweit aus dem Dornröschenschlaf zu wecken, zeigte sich insbesondere am unerwartet großen Medienecho. Der Pressespiegel enthält mehr als 100 Artikel in der regionalen und überregionalen Presse, hinzu kommen Berichte in Fernsehen (Tagesschau) und Radio. Mit diesem Wind im Rücken könnte es gelingen, das der Atomwaffenfrage zustehende öffentliche Interesse erneut zu wecken, wenn weitere Aktivitäten auf kommunaler, nationaler, europäischer und globaler Ebene folgen. Künftige Kristallisationspunkte sind etwa die Jahrestage von Hiroshima und Nagasaki, der erste Jahrestag des IGH-Gutachtens am 8.Juli, an dem zugleich der NATO-Gipfel in Madrid stattfindet, sowie die am 13.-15. Juni im Friedenszentrum Burgschlaining in Österreich stattfindende NGO-Konferenz für ein atomwaffenfreies Europa. In einer weltweiten Bewegung für die Abschaffung der Atomwaffen liegt die einmalige Chance, die weiter bestehende atomare Bedrohung zur Jahrtausendwende endgültig zu beseitigen.

Dr. Jürgen Scheffran ist Wissenschaftlicher Assistent in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der Technischen Hochschule Darmstadt und Herausgeber des INESAP Information Bulletin.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1997/2 Quo vadis Europa, Seite