Editorial
von Christiane Lammers
In den Tagen, als dieses Heft entstand, wurden im Bundestag gerade mit der Kanzlermehrheit die sogenannten Sparbeschlüsse verabschiedet. Der öffentliche Protest dagegen war nicht sehr groß, die Ergebnisse der Niedersachsenwahlen bestätigten den Eindruck, daß in unserer Gesellschaft anscheinend keine Alternativen zu dieser Politik gesehen werden.
Ich halte diesen Beschluß – der sicherlich nur der Anfang sein wird – für fatal. Nicht allein wegen der Auswirkungen, die zu Lasten der Einkommensschwachen gehen, als vielmehr noch wegen des Denkens, das sich darin ausdrückt. Die Losung, die dahinter steht, heißt, »Augen zu und durch«. Es wird nicht wahrgenommen, daß wir uns nicht in einer Talsohle des berühmten Wirtschaftszyklus befinden, daß Investitionen nicht Arbeitsplätze schaffen, sondern zerstören, daß die Umverteilung zu Gunsten der Einkommensstarken weiter voranschreitet. Zufällig wurde zeitgleich in den Zeitungen die Meldung verbreitet, daß die Anzahl der Millionäre in Deutschland im letzten Jahr stark zugenommen hat.
Ohne eine apokalyptische Vision an den Himmel malen zu wollen, kann davon ausgegangen werden, daß mit zunehmender Verarmung von großen Gruppen in den Industrieländern die gesellschaftlichen Konflikte gravierender werden, die Gewalttätigkeit direkt oder indirekt zunehmen wird. Die US-amerikanische Gesellschaft ist hier ein eindrucksvolles Beispiel. Wenn der Lebensstandard in den Industrieländern – wie zu vermuten – mittels staatlicher »Sozial"hilfen auf einem Mindestmaß gehalten wird, geschieht dies doch weiterhin auf Kosten der sogenannten Entwicklungsländer. Zudem verliert Politik an Gestaltungsfähigkeit zugunsten der Mechanismen und Akteure des Marktes. Demokratie als konstituierendes Element eines dauerhaften Friedens wird zur Farce.
Ein wichtiger Faktor, der zu diesen Problemen geführt hat, wird unter dem Stichwort Globalisierung behandelt. Wissenschaftliche Expertise hierzu ist zwar z.T. vorhanden, aber zu wenig werden die gesellschaftlichen Auswirkungen berücksichtigt. Zu wenig werden auch Handlungsmöglichkeiten offeriert und in der politischen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt. Bisher muß »Globalisierung« lediglich als Begründung herhalten für zweifelhafte Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands.
Auch die deutsche Friedens- und Konfliktforschung tut sich schwer damit, Konflikte, die infolge der sozialen und ökonomischen Entwicklung und im Wechselspiel zwischen Gesellschaft und Weltmarkt entstehen, in ihre wissenschaftliche Diskussion einzubeziehen.
Ein Grund hierfür mag darin liegen, daß sich der Streit auch darum rankt, ob von einem weiten oder engen Friedensbegriff auszugehen sei, sprich: was denn nun ihr eigentlicher Gegenstand sei. Die Unmöglichkeit eine »Allwissenschaft« zu betreiben, wird in diesem Zusammenhang oft thematisiert.
Ein anderer Grund liegt aber auch in der Tabuisierung gesellschaftskritischer Ansätze infolge der Wende nach 1989. Dieses zu bewältigen, halte ich für eins der schwierigsten Kapitel der Friedensforschung.
Der alleinige Blick auf die politische Staaten-Weltordnung, der innergesellschaftliche Krisen und schwelende Bürgerkriege erst miteinschließt, wenn es zu Bundeswehr-, Nato- oder UN-Einsätzen kommt, folgt einem zu eingeschränkten Blickwinkel, um nachhaltige Friedenswissenschaft zu betreiben. Konfliktursachenforschung, die wichtige Hinweise für die Konfliktprävention geben könnte, wird heute zu wenig berücksichtigt. Um nicht in das Fahrwasser einer reinen Konfliktnachsorge zu geraten, müßte sich die Friedens- und Konfliktforschung diesen Themen widmen und an der Entwicklung zukunftsweisender Modelle mitwirken.
Interessanterweise hat ausgerechnet Greenpeace zu seinem 25jährigen Bestehen als Selbstanforderung die Notwendigkeit einer Öffnung für die soziale Gesellschaftsentwicklung formuliert. Die Ökologiebewegung hat offensichtlich erkannt, daß es isolierte Lösungen nicht (mehr) geben kann.
In diesem Sinne wurde in den letzten Jahren am Konzept des »Sustainable Development« gearbeitet, das ökologische und entwicklungspolitische Anforderungen verknüpft. Mit der UN Umwelt-Konferenz in Rio 1992 erlangte der Gedanke eine große Verbreitung, wenngleich die dort beschlossenen Verpflichtungen bisher keineswegs in die Realität umgesetzt wurden. Unzureichend berücksichtigt wurden zunächst auch die notwendigen innergesellschaftlichen Veränderungen in den Industrienationen selbst. Forschungsarbeiten, z.B. die des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie haben versucht, diese Lücken zu füllen.
Der »Nachhaltigen Entwicklung« ist unter dem Titel „Leben und Überleben“ der Schwerpunkt dieses Heftes gewidmet. Daß dies im Rahmen einer friedenswissenschaftlichen Zeitschrift geschieht, zu einem relativ späten Zeitpunkt, ist nicht zufällig. Konzepte sollten nicht aus Gründen der Unvollständigkeit von der Tagesordnung genommen werden, sondern durch weiterführende Expertise sinnvoll ergänzt, vervollständigt und – vor allem – umgesetzt werden.
Ihre Christiane Lammers