W&F 2014/2

Ein Bonner »Irrwitz«

Die Kissinger-Professur für Völkerrecht

von Lukas Mengelkamp

Seit einigen Monaten beschäftigt man sich an der Bonner Universität mit der Person Henry Kissinger, denn nach dem früheren Nationalen Sicherheitsberater und US-Außenminister soll eine Stiftungsprofessur benannt und im Wesentlichen mit Geldern des Verteidigungsministeriums finanziert werden.

Die jüngsten Auseinandersetzungen um Henry Kissinger finden in Bonn weniger in den Räumlichkeiten des Historischen Seminars der Universität statt, als vielmehr in Pressemitteilungen, Pamphleten und Zeitungsartikeln. Die Person Kissinger polarisiert. Während die einen ihn vor einem internationalen Gericht sehen wollen, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkerrechtsbruch, preisen ihn die anderen als einen großen Staatsmann.

In Bonn hat man Kissinger auserkoren, als Vorbild für die Forschung und Lehre des Völkerrechts zu dienen. Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, das Bundesverteidigungsministerium und das Auswärtige Amt gaben im Mai vergangenen Jahres bekannt, dass sie anlässlich des 90. Geburtstages eines „der großartigsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts“ (Thomas de Maizière) eine »Henry Kissinger Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrecht« einrichten wollen. In der Bekanntmachung konnte man weiter lesen, dass der damalige Außenminister, Guido Westerwelle, den Mann für einen „Meister der Kunst des Machbaren“ hält. Doch die Zahl der Kritiker der Professur wächst, sie reicht vom AStA und dem Studierendenparlament über Universitätsmitglieder und Alumni bis zu auswärtigen Wissenschaftlern.1

Henry Kissinger – Vorbild für Lehre und Forschung des Völkerrechts?

Der emeritierte Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke hat den Protest gegen die Professur in einem Interview mit dem Deutschlandradio als „Irrwitz“ bezeichnet.2 Dass man es mit einem »Irrwitz« zu tun hat, ist auch für die Kritiker der Professur klar, wenn auch in einem anderen Sinne. Denn für Kissinger war so einiges »machbar«, nicht zuletzt auch Handlungen, die gegen Internationales Recht verstießen, ebenso gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten und US-Gesetze. Besonders während der Präsidentschaft Richard Nixons waren solch hinderliche Nebensächlichkeiten wie Gesetze für Kissinger kein Problem. Sein Motto dabei: „The illegal we do immediately. The unconstitutional takes a little longer.“ 3

Keine Frage: Kissinger war mit seinem auf die Supermächte fixierten Gleichgewichtsdenken und seinem paranoiden Glauben, dass Moskau und Peking die kommunistischen Bewegungen in der ganzen Welt fernsteuerten, damals nicht alleine. Eine derartige Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben und Gesetzen wie bei Kissinger war aber auch in Zeiten des Kalten Krieges im Westen kaum ein zweites Mal zu finden. Dieses Denken entfaltete eine Wirkung auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, die erschaudern lässt.

Für Kissinger waren im Vietnamkrieg Massenbombardements der neutralen Staaten Kambodscha und Laos oder nordvietnamesischer Großstädte eine pure Notwendigkeit, um die Regierung in Hanoi unter Druck zu setzen. Dass unzählige Zivilisten dabei ihre Leben verlieren würden, dessen war man sich in Washington von Beginn an bewusst. Heute gehen konservative Schätzungen von 950.000 Toten allein in Kambodscha und Laos aus. Bis in die Gegenwart leidet die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten unter den Blindgängern und der anhaltenden Vergiftung ganzer Landstriche durch das hoch-toxische Entlaubungsmittel Agent Orange.

Die Aufnahme bilateraler Beziehungen zur Volksrepublik China wird von vielen als Henry Kissingers Meisterstück bezeichnet. Doch auch dies hat eine dunkle Seite, die man in Bonn nur zu gerne ignoriert. Da die USA und die VR China damals keine diplomatischen Beziehungen unterhielten, waren Vermittlerstaaten zur Kontaktherstellung notwendig. Einer davon war Pakistan. Wie der Princeton-Historiker Gary J. Bass in seiner jüngsten Studie »The Blood Telegram – Nixon, Kissinger and a Forgotten Genocide«4 über die Massaker des pakistanischen Militärs an den Bengalen und den darauf folgenden Bangladesch-Krieg von 1971 herausstellt, hielt Kissinger auch dann noch dem pakistanischen General und Staatspräsidenten Yahya Khan die Treue, als dieser in Dacca (heute Dhaka) massenhaft Zivilisten ermorden ließ. Kissinger war es nicht nur egal, dass dies mit US-amerikanischen Waffen geschah, Nixon und Kissinger gingen in ihrer Unterstützung für Yahya Khan sogar so weit, Lieferungen von F-104-Kampfflugzeugen nach Pakistan anzuordnen, obwohl dies gegen ein vom Kongress erlassenes Waffenembargo verstieß. In Kissingers Logik war die Unterstützung eines Völkermordes unumgänglich, da über Pakistan (aber auch über Rumänien) einer der geheimen Kanäle nach Peking verlief. Wie Bass herausstellt, waren Nixons und Kissingers Motive auch von Vorurteilen gegen Inder und Bengalen bestimmt, die nicht selten als rassistisch eingestuft werden müssen.

Die Liste mit Kissingers Verantwortung für Verbrechen, die in keiner Weise mit der Ehrung in Bonn in Einklang zu bringen sind, ließe sich noch fortsetzen: über die Unterstützung des Pinochet-Putsches und -Regimes in Chile und die Aufforderung an die argentinische Militärjunta, ihren »Schmutzigen Krieg« zu intensivieren, bis zur Billigung des indonesischen Angriffskrieges gegen Osttimor. Dieser kleine Ausschnitt sollte reichen, um zu verdeutlichen, warum eine »Henry Kissinger Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung« mehr als unangemessen ist. Allein, die Professur zeichnet sich nicht nur durch einen unerträglichen Namen aus, sondern auch durch eine unerträgliche Finanzierung.

Präzedenzfall Bundeswehr-Professur

Die klamme Universität Bonn bekommt für die Professur vom Bundesverteidigungsministerium auf fünf Jahre jährlich 250.000 Euro und vom Auswärtigen Amt 50.000 Euro. Ziel ist es, in Bonn einen neuen Schwerpunkt für Internationale Sicherheit aufzubauen. Die Professur soll hierbei als Fundament dienen für ein Netzwerk sowie einen Think-Tank. Warum ausgerechnet eine Professur an einer Universität dazu dienen soll, einen Think-Tank aufzubauen, ist schon fragwürdig. Wenn dieser Think-Tank dann auch noch hauptsächlich vom Bundesverteidigungsministerium bezahlt wird, dann muss man sich um die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre in Bonn sorgen. Nirgendwo sonst in der Bundesrepublik gibt es (bis jetzt) an einer zivilen Universität einen Lehrstuhl, der direkt vom Verteidigungsministerium finanziert wird.

Benannt nach einer Person, die das Völkerrecht missachtete, finanziert von einer militärischen Institution, soll sich diese Professur besonders dem Thema »Cybersecurity« widmen. In Zeiten der NSA-Affäre wirft der Zugriff des Verteidigungsministeriums auf die zivile Hochschullandschaft zusätzliche Fragen auf, denn eine kritische Auseinandersetzung mit der allumfassenden Überwachung ist sicher nicht zu erwarten.

Aus Sicht ihrer Kritiker steht die Professur im Dienste der Neuausrichtung der Bundeswehr als Interventionsarmee. Was sonst soll Völkerrechtsforschung im Schatten von Henry Kissinger sein? Schon nach der Rede von Bundespräsident Gauck auf der diesjährigen »Sicherheitskonferenz« in München jubelte die Interventionslobby: „Souveräne Staaten haben eine Armee, um sich selbst und ihre Interessen verteidigen zu können. […] Mit einer Ausnahme: Deutschland. […] Bis heute überwölben moralische und rechtliche Kriterien jede sicherheitspolitische Debatte. Gibt es ein Mandat des UN-Sicherheitsrates? Geschieht alles im Rahmen der Nato? Sind Out-of-area-Einsätze vom Grundgesetz gedeckt?“ 5 Jetzt will sich das Verteidigungsministerium auch noch einen Lehrstuhl zulegen, welcher einer interventionskonformen, wenn auch recht phantasievollen Auslegung des Grundgesetzes und des Völkerrechts die »wissenschaftliche« Legitimation liefern soll.6 Dass diese Vorgänge im Lichte der neuen deutschen machtpolitischen Ambitionen zu sehen sind, verdeutlichte auch ein Beitrag auf WDR5: „Eine Professur für Völkerrechtsordnungen nach Henry Kissinger zu benennen, zeugt schon von einer gewissen Chuzpe. […] Warum kann so jemand nun Pate stehen für eine Professur über internationale Beziehungen in Deutschland? Die politische Elite ist hierzulande gerade dabei, die Koordinaten der verteidigungspolitischen Diskussion zu verschieben hin zu dem Ideal einer robusten Außenpolitik, die den Einsatz des Militärs zur Wahrung der eigenen Interessen selbstverständlich mit einschließt.“ 7

Protest gegen die Professur

Im März 2014 wurde von der mittlerweile gegründeten »Initiative Zivile Universität Bonn« eine als Petition ausgelegte Erklärung gegen die Professur veröffentlicht. Im Sommersemester 2014 wird es Informationsveranstaltungen und Protestaktionen geben.8 Der Protest gegen die Professur wird so schnell nicht verebben, denn einerseits belegen die Fakten, dass Henry Kissinger nicht der zu bewundernde politische Pragmatiker ist, sondern jemand, der Gesetze und Werte demokratischer, rechtsstaatlicher Gesellschaften gebrochen hat, wann immer es ihm passte. Andererseits zeigt das Bonner Beispiel die immer weiter voranschreitende Einflussnahme Dritter auf Forschung und Lehre, eine Einflussnahme, die befördert wird durch eine katastrophale Bildungspolitik, die die Universitäten drastisch unterfinanziert zurücklässt.

Anmerkungen

1) Hier sei besonders verwiesen auf den Artikel von Klaus Meschkat: Der Fall Kissinger und die Uni Bonn. Blätter für Deutsche und Internationale Politik, 2/2014, S.91-92.

2) Interview geführt von Dirk Müller mit Christian Hacke: Gauck-Rede »Kein Freibrief für militärische Aktionen«. Deutschlandradio, 01.02.2013.

3) „Das Illegale machen wir sofort. Das Ungesetzliche dauert etwas länger.“ Henry Kissinger zum damaligen US-Botschafter in der Türkei, William Macomber. Gesprächsmemorandum eines Treffens mit Mitgliedern der türkischen Regierung vom 10. März 1975; wikileaks.org/plusd/cables/P860114-1573_MC_b.html#efmCS3CUB.

4) Garry J. Bass (2013): The Blood Telegram. Nixon, Kissinger and a Forgotten Genocide. New York: Alfred A. Knopf.

5) Malte Lehming: Gauck befreit Deutschland aus der politischen Pubertät. Tagespiegel, 01.02.2014.

6) Sabine Jaberg: Auslandseinsätze der Bundeswehr: Jenseits der grundgesetzlichen Friedensnorm. In: Thomas Nielebock, Simon Meisch, Volker Harms (Hrsg.) (2012): Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium. Hochschulen zum Frieden verpflichtet. Baden-Baden: Nomos, S.177-221.

7) Christoph Fleischmann: Kissinger ist kein Vorbild. WDR5, 06.03.2014.

8) Die Initiative gegen die Professur betreibt die Website zivile-uni-bonn.de mit einer Zusammenstellung der bisherigen Berichterstattung zum Streit um die Professur.

Lukas Mengelkamp ist Student der Geschichts- und Politikwissenschaft (B.A.) an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Mitglied des Studierendenparlaments.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/2 Gewalt(tät)ige Entwicklung, Seite 47–48