W&F 2006/3

Energie und Zukunft

Memorandum zur nachhaltigen Energieversorgung der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V.«

von NatWis

Die aktuelle Debatte um die weltweite Energieversorgung greift zu kurz: Sie sucht technische Lösungen und klammert weitgehend die Frage nach dem Wirtschaftssystem und der ihm entsprechenden Lebens- und Produktionsweise aus. Der Zusammenhang aber zwischen naturwissenschaftlich-technischen Fakten und dem heutigen Industrie- und Wirtschaftssystem insgesamt muss thematisiert werden, um Illusionen bzw. falsche Entscheidungen über zukünftige Möglichkeiten des Wirtschaftens und Lebens auf der Erde zu vermeiden und nachhaltige, zukunftsfähige Lösungen zu finden und zu realisieren. Die Naturwissenschaftler-Initiative möchte dazu mit diesem Memorandum einen Beitrag leisten.

Die bisherigen Bemühungen, die CO2-Emissionen zu reduzieren und somit den Klimawandel zu beeinflussen, haben ihr Ziel nicht erreicht. Global steigen die CO2-Emissionen weiter erheblich an: Allein 2005 um 4,5 %, so stark wie seit 1976 nicht mehr. Die neueste Klimaprognose des Umwelt-Bundesamtes fordert, um die Erwärmung der Atmosphäre wenigstens auf 2 Grad zu begrenzen, eine Reduzierung um 40% bis 2020, um 80% bis 2050. Dabei werden die heute schon auftretenden erheblichen Folgen des Klimawandels bereits einkalkuliert. Für Deutschland wurden die bis 2005 vorgesehenen bescheidenen Reduzierungs-Ziele um 25% zwischen 1990 und 2005 nicht erreicht. Die CO2-Emissionen der europäischen Industrienationen müssten aber um ein Mehrfaches dieses Wertes reduziert werden, denn die Europäer emittieren pro Kopf das fünffache Chinas, das zehnfache afrikanischer Länder.

Gas-Kraftwerke zur Verbesserung der energietechnischen Effizienz, verbunden mit der Kraft-Wärme-Kopplung, insbesondere als dezentrale Anlagen, sind heute technisch ausgereift und wichtige Projekte. Die CO2-Abscheidung, wenn sie sich als großtechnisch realisierbar erweisen sollte und die Lagerung geklärt wäre, könnte ebenfalls einen Beitrag leisten. Diese Entwicklungen sind jedoch, soweit sie auf fossilen Brennstoffen basieren, Übergangs-Technologien. Maßnahmen zur Steigerung des Anteils der Erneuerbaren Energien müssen beschleunigt ergriffen und diese Technologien weiter entwickelt werden.

Zusammengenommen können all diese Techniken jedoch die fossilen Energieträger wohl nur zum Teil substituieren. Den durch weiteres globales Wachstum erzeugten zusätzlichen Energiebedarf können sie auf keinen Fall decken. Atomenergie aus Kernspaltung, die zur Zeit als »Renaissance der Kernenergie« von interessierter Seite in Spiel gebracht wird, ist keine verantwortbare, aber auch keine im erforderlichen Umfang realisierbare Technik zur Energiegewinnung. Es gibt also nach unserer Einschätzung keinen rein technischen Ausweg aus der Energie-Krise: Das »perpetuum mobile« wird trotz intensiver Suche nicht gefunden werden.

Bereits das Problem begrenzter Ressourcen, aber auch die unerwünschten Nebenwirkungen ihrer Nutzung, erfordern deshalb grundlegende gesellschaftlich-ökonomische Veränderungen, die in ihrer Tiefe und Tragweite wohl einen Epochenwandel von ähnlicher Größenordnung bedeuten wie der Wandel zur Industriegesellschaft vor ca. 250 Jahren.

Derzeit sind in Deutschland erhebliche Investitionen in Großkraftwerke geplant. Damit werden technische, finanzielle und gesellschaftliche Entscheidungen getroffen, die die Energiepolitik für die nächsten Jahrzehnte festlegen. Entweder wird, geleitet durch die Interessen der dominierenden Energie-Großwirtschaft, die schon jetzt krisenhafte Entwicklung weiter betrieben – oder es werden Maßnahmen getroffen, die in Richtung einer grundlegenden Veränderung von Energiewandlung und Energienutzung führen und damit den notwendigen Epochenbruch einläuten.

Es ist höchste Zeit, zu handeln!

Die fossilen Energieträger werden knapp, die Auseinandersetzung um diese Ressource wird schärfer. Es haben bereits Kriege um Öl begonnen. Die Klimaerwärmung hat inzwischen messbare und dramatische Folgen. Nach Jahren, in denen warnende Stimmen aus Teilen der Naturwissenschaft und insbesondere der Klimaforschung überhört wurden, bleibt sehr wenig Zeit, um eine weitere Zuspitzung der globalen krisenhaften Entwicklung zu vermeiden. Folgende Notwendigkeiten aktueller Energiepolitik bestehen deshalb aus unserer Sicht:

Ausstieg aus der Atomenergie

Atomkraftwerke, wie andere Großkraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung auch, sind wenig effektiv, da sie nur Strom produzieren und 60% bis 70% ihrer Primärenergie ungenutzt verlieren. Das Risiko der Atomenergienutzung beruht im Wesentlichen auf den erheblichen Problemen in den Bereichen radioaktive Umweltbelastung von der Urangewinnung bis zum Kraftwerk, Anlagensicherheit und der bis heute offenen Frage des Umgangs mit den radioaktiven Abfällen. Bei den heutigen 443 weltweit betriebenen Reaktoren besteht das prinzipielle Risiko eines Unfallszenarios mit Kernschmelze und nachfolgender massiver Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt. Eine solche Reaktorkatastrophe ist mit extremen und langfristigen Folgen für Mensch und Umwelt verbunden. Dabei können Unfallszenarien sowohl durch die zugrunde liegende Technologie oder menschliches Versagen selbst bedingt sein (interne Ursachen), oder es können externe Ereignisse auslösend sein (Erdbeben, Flugzeugabstürze, terroristische Anschläge, Kriegseinwirkungen).

Die heutige zivile Kernenergienutzung ist janusköpfig: Sie verwendet Technologien, die speziell für die Atomwaffenprogramme der Kernwaffenstaaten entwickelt wurden und damit ein beständiges zivil-militärisches Dual-Use-Potenzial mit Proliferationsrisiko darstellen. So sind für die Anreicherung von Reaktorbrennstoff benötigte Anlagen prinzipiell auch in der Lage, hochangereichertes Uran für Waffenprogramme zu produzieren (siehe die aktuelle Diskussion um das iranische Zentrifugenprogramm). Wiederaufarbeitungstechnologien für abgebrannten Brennstoff schaffen Zugang zu Plutonium, welches ebenfalls in Kernwaffen verwendet werden kann (siehe die Diskussion um die Kernwaffenfähigkeit Nord-Koreas).

Die bei der Bestrahlung von Reaktorbrennstoff anfallenden hochradioaktiven Abfälle müssen über extrem lange Zeiträume sicher gelagert werden. Hierfür gibt es bislang weltweit keine technisch und gesellschaftlich tragfähige Lösung.

Bei einer Fortsetzung oder gar einem Ausbau der zivilen Kernenergienutzung würden diese Risiken und Probleme bestehen bleiben bzw. vervielfacht. Deshalb ist eine Fortsetzung der gegenwärtigen Kernenergienutzung oder eine Laufzeit-Verlängerung nicht verantwortbar. Der ins Feld geführte Beitrag der Atomenergie zur Lösung der Klimaproblematik wäre ohnehin gering – auch wegen der meist unerwähnt bleibenden »grauen Energie«, die vom Uran-Abbau bis zu den Herstellungsprozessen von Kraftwerken und Brennstoffen CO2 freisetzt. Der nukleare Anteil an der weltweiten Primärenergiebereitstellung liegt lediglich bei 5-6%. Selbst ein schneller Ausbau z.B. auf das Doppelte, der technisch kaum realisierbar ist (von der Planung zur Inbetriebnahme brauchte man im Schnitt 22 Jahre), würde also wenig zur Energieversorgung beitragen. Auch die in diesem Kontext diskutierten neuartigen Nuklearsysteme (vom Europäischen Druckwasserreaktor EPR bis zu Generation IV-Konzepten) lassen keine signifikanten Durchbrüche in den Bereichen der Sicherheit, der Nichtverbreitung und der Entsorgungsproblematik erwarten. Wir warnen eindringlich vor der Illusion, es könne ein inhärent sicheres Reaktorsystem und ein proliferationsresistentes nukleares Gesamtsystem ohne Entsorgungsproblematik entwickelt werden. Überdies würden bereits bei einer Fortschreibung der Kernenergienutzung auf dem gegenwärtigen Niveau die wirtschaftlich ausbeutbaren Uranlagerstätten in wenigen Jahrzehnten an eine Grenze stoßen. Daher sind Ausbauszenarien auch aus dieser Perspektive höchst fraglich.

Wegen der dafür erforderlichen riesigen Investitionsmittel würde die sich aktuell bietende Chance auf einen Umbau des deutschen Energiesystems finanziell über Jahre blockiert, der allein die Abhängigkeit von Energie-Rohstoff-Importen verringern kann.

Ob irgendwann Kernfusionsreaktoren ans Stromnetz gehen könnten, ist heute noch völlig ungewiss. Weder die technische noch überhaupt erst die wissenschaftliche Machbarkeit ist demonstriert, sie würden zudem extrem hohe Investitionskosten verursachen. Die Fusionsforschung bekommt aber – zusammen mit der nuklearen Sicherheitsforschung – immer noch knapp die Hälfte der öffentlichen Fördermittel für Energieforschung in Deutschland. Dies ist nicht zu rechtfertigen, denn es geht bei der Fusionsforschung eindeutig nicht um Effizienzsteigerung und Kostensenkung bei einer existierenden Technologie, wie in weiten Bereichen der regenerativen Technologien. Mit den Forschungsmitteln von zur Zeit jährlich etwa 500 Millionen Euro für die Fusion in Europa wird ein völlig ungedeckter Scheck auf die Zukunft ausgestellt. Denn die von den Proponenten reklamierten günstigen Eigenschaften der Fusion, die Lösungen für Probleme der heutigen Kerntechnologie versprechen, sind abhängig von einer ganzen Reihe wesentlicher technischer – insbes. auch materialtechnischer – Durchbrüche, von denen heute niemand weiß, ob sie so realisierbar sein werden. So droht beispielsweise nach heutigem Kenntnisstand auch der Fusion die Notwendigkeit einer langfristigen Endlagerung radioaktiver Abfälle, die aufgrund der Aktivierung der Reaktorstrukturmaterialien durch die harte Neutronenstrahlung entstehen. Auch wäre die Brennstoffkonzeption auf Basis des radiologisch problematischen und für Kernwaffenanwendungen begehrten Materials Tritium kritisch zu überprüfen.

Die Erfahrungen mit der Kernspaltung zeigen, dass die bei der Entwicklung in Aussicht gestellten Leistungen und die dann eingetretene Realität weit auseinanderklaffen. Mitte der 70er Jahre kündigten seriöse Wissenschaftler und Ingenieure die komplette Umstellung des Energiesystems bis zum Jahr 2000 auf Atomenergie mit 4000 bis 5000 Reaktoren weltweit an, „Stromzähler werden unnötig“. Heute haben wir 443 Reaktoren mit 5-6% Anteil, Tschernobyl hinter uns und möglicherweise bald Krieg wegen der »zivilen« Nutzung durch Iran und Nordkorea, die diese Länder kernwaffenfähig machen könnte.

Generell müssen Möglichkeiten im Wissenschafts- und Techniksystem gefunden werden, bei finanziell sehr aufwendigen Großprojekten rechtzeitig umzusteuern, wenn sich abzeichnet, dass die realen Möglichkeiten technisch und zeitlich weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleiben oder sich sicherheitsrelevante Probleme stellen. Heute ist daher eine Umschichtung der Forschungsfördermittel von Kernspaltung und Fusion zu regenerativen Energietechnologien anzuempfehlen.

Ausstieg aus der fossilen Energie durch deren politisch gesteuerte und sozial abgefederte Verteuerung

Die bisherigen niedrigen Energiekosten – im wesentlichen erreicht durch Nutzung der fossilen Vorräte und immer noch staatlich z.T. mit jährlichen Milliardenbeträgen subventioniert (z.B. deutsche Kohle) – haben dazu geführt, dass ohne jegliche ökonomische Hemmnisse CO2-Emmissionen produziert wurden. Damit verbundene Folgen der Klimaänderung sind inzwischen allgemein bekannt. Weniger bedacht wird, dass durch das Missverhältnis zwischen den Kosten menschlicher Arbeit und den niedrigen Energie- und Rohstoffkosten die technische Rationalisierung der Produktion in einem Ausmaß ermöglicht wurde, das inzwischen weit über sinnvolle technische Erleichterung menschlicher Arbeit hinausgeht und lediglich zur Steigerung der Renditen führt. So wurden in praktisch allen Ländern Massenarbeitslosigkeit und damit große soziale Probleme erzeugt.

Nur durch eine politisch entschiedene Verteuerung des fossilen Treibstoffs (über die durch den »Markt« schon heute erzeugte Verteuerung hinaus) kann dieses Missverhältnis korrigiert und die notwendige drastische Reduzierung des fossil betriebenen Verkehrs auf der Straße und in der Luft erreicht werden – insbesondere des Verkehrs, der lediglich durch ökonomische Kalküle bezüglich der Arbeitskosten erzeugt wird bzw. durch die Autobahnen als »just in time-Lager«. Dazu gehört auch die sonstige, technisch nicht erforderliche, ökonomisch erzwungene Mobilität (z.B. lange Wege zum Arbeitsplatz). Schließlich betreibt auch das Militär eine nicht verantwortbare Verschleuderung von fossiler Energie

Die Öko-Steuer sollte deshalb als richtiger Ansatz weiter entwickelt werden, und zwar sozial abgefedert und gezielt auf fossil erzeugte Energie und große Energieverbraucher bezogen, insbesondere in Verkehr (besonders Flugbenzin!) und Industrie. Soziale Abfederung heißt: Der Basis-Verbrauch der Haushalte für Heizung etc. bleibt günstig, Mehrverbrauch wird progressiv besteuert. Dies muss international durchgesetzt werden, um die ungleiche Inanspruchnahme von Energie zwischen Nord und Süd auszugleichen. Wie dies im einzelnen geschieht, ist in internationalen Projekten zu erarbeiten. So könnten Rahmenbedingungen geschaffen und finanzielle Mittel freigesetzt werden, um den aufgrund der Klimarisiken erforderlichen raschen Ausstieg aus dem Verbrauch fossiler Energieträger zu bewerkstelligen. Die Mittel aus einer solchen Steuer könnten zudem, wie in der Öko-Steuer bereits begonnen, für soziale und gesundheitliche Vorsorge eingesetzt werden und so die heute allein an die abhängige Arbeit gebundenen Sozialsysteme entlasten bzw. langfristig ersetzen. Zu diesem Instrumentarium gehört auch der Emissions-Zertifikate-Handel, vorausgesetzt, die Zertifikate werden schon heute drastisch und zukünftig schneller verknappt als bisher geplant und nicht wie bisher »umsonst« ausgegeben.

Förderung der Energieeinsparung

Im globalen Vergleich ist die Inanspruchnahme von Energiedienstleistungen pro Person in Deutschland und den anderen »alten« Industrieländern immer noch viel zu hoch (2003: USA rund 11 Kilowatt, Europa 6 kW, China rund 1 kW, Afrika unter 0,5 kW). Das Energie-Nutzungs-Niveau von USA oder Europa ist keineswegs übertragbar auf die gesamte Menschheit. Denn die maximale Tragfähigkeit des Biosystems für menschlich verursachten zusätzlichen Primär-Energie-Umsatz ist begrenzt und heute schon erreicht. Verträglich ist nach plausiblen Berechnungen (s. Global Challenges Network, H.P. Dürr) ein »Dauer-Leistungsbedarf« pro Person von etwa 1,5 kW – das entspricht etwa dem Niveau eines Schweizer Bürgers um 1967. Es geht also nicht nur um Energie-Effizienz, sondern im wesentlichen um Suffizienz auf immer noch hohem Niveau.

Zwar gibt es noch ein erhebliches Potential an Einsparmöglichkeiten durch technische Maßnahmen (ein Schritt in die richtige Richtung ist das Investitionsprogramm der Bundesregierung zur energetischen Sanierung von Bauten). Das wird jedoch nicht ausreichen; zudem hatten bislang Energie-Spar-Maßnahmen häufig einen quantitativen Schub zur Folge, der den Einspareffekt wieder aufhob (Rebound-Effekt). Neben der energietechnischen Optimierung (z.B. drastische Senkung des Verbrauchs bei Automobilen und Elektrogeräten) müssen also Änderungen der Wirtschaftsweise und des Lebensstils stattfinden. Zu den Änderungen des Lebensstils gehören die Beendigung der Billigfliegerei und die Reduzierung des Freizeitverkehrs, aber auch die großflächige Vermeidung unnötigen Verbrauchs im täglichen Leben. Hier hat die energetische Beratung und Aufklärung der Bevölkerung einen zentralen Stellenwert. Generell sind nach den schlechten Erfahrungen mit »Selbstverpflichtungen« der Wirtschaft entsprechende verbindliche Grenzwerte durch politische Entscheidungen festzulegen, die die Freiheit zur Verschleuderung von Energie einschränken. Aber auch eine Entwicklung langlebiger Güter und ihre Wiederverwendung nach Wiederaufarbeitung (Re-Manufacturing) zur Verlängerung der Lebenszyklen, besonders der hochtechnologischen Güter, tragen zum Energie-Sparen bei.

Ausbau der Erneuerbaren Energien

Der notwendige beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energie (EE) ist unstrittig. Dennoch werden im Verhältnis immer noch zu viele öffentliche und private Mittel für Forschung, Entwicklung, Förderung fossiler und nuklearer Energiequellen (inzwischen auch deren unvermeidbaren Rückbau) ausgegeben, anstatt sie in regenerative Energieträger umzulenken. Zudem gibt es immer noch viel zu wenig Aufklärungs- und Bildungsanstrengungen in Richtung nachhaltiger, erneuerbarer Energiesysteme, von der Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen zum bewussten Umgang mit Energie bis zu den Hochschulen, die noch zu wenige entsprechende Studiengänge anbieten. Viele Stellen, die sich bisher den Erneuerbaren gewidmet haben, werden derzeit an den Hochschulen nicht wieder besetzt.

Erneuerbare Energiesysteme haben neben der CO2-Neutralität den großen Vorteil, dass sie vielfältig gestaltet werden können – insbesondere dezentral, in räumlicher Nähe zu den Ressourcen und nahe an der Nutzung, vernetzt zum Ausgleich unterschiedlicher Lagen. Der Gewinn wird in der Region erwirtschaftet und dort auch wieder sinnvoll eingesetzt. Sie bergen damit ein ungleich geringeres Konflikt-Potential als die global sehr ungleich verteilten fossilen Ressourcen mit ihren langen Transportwegen oder gar die atomaren Energiewandlungsverfahren, mit ihren militärischen Risiken. Sie eröffnen damit auch die Chance, die Wirtschaft zu deglobalisieren, d.h. wieder stärker auf Regionen zuzuschneiden. So werden z.B. Forst- und Landwirte zu Energiewirten. Damit können EE durch die Struktur ihrer Erzeugung und Nutzung zum Abbau wirtschaftlicher Macht beitragen, die durch großtechnische Konzentration der Energieversorgung (in Deutschland im wesentlichen bei vier Konzernen) entstanden ist.

Technologisch weitgehend ausgereift ist im Bereich EE die Windenergie. Andere Techniken haben zum Teil noch Entwicklungsbedarf. Für solche Entwicklungen können an die jeweilige klimatische, kulturelle und soziale Situation angepasste technische und ökonomische Konzepte erarbeitet werden, die sich von den bisherigen Strukturen lösen. Dieses Potential ermöglicht auch dezentrale und kleinteilige Lösungen wie Mikro-Energie-Systeme, um strukturschwache Gebiete, die heute von einer ausreichenden Energieversorgung abgeschnitten sind, gemäß den lokalen Bedürfnissen schneller, sicherer und überdies weitaus preiswerter (Mikro-Finanzierung) zu versorgen als bisher. Dies betrifft rund zwei Milliarden Menschen insbesondere in den Ländern des Südens, die damit größere Chancen auf eine nachhaltige Entwicklung bekommen.

Ein Epochenwandel ist nötig und möglich

Neben den hier angeführten Maßnahmen, die heute bereits realisierbar sind, ist mittelfristig eine grundlegende Veränderung der global vorherrschenden Wirtschafts- und Lebensweise unabdingbar. Von vielen mag dies als »unrealistisch« angesehen werden.

Wir setzen aber zum einen darauf, dass die notwendigen Veränderungen politischer Natur und damit auch politisch durchsetzbar sind – in Deutschland z.B. gegen die großen Energie-Konzerne. Hier ist besonders die regionale Ebene angesprochen. Auch auf internationaler Ebene ist dies möglich, wenn die Entscheidungen treffenden Organisationen demokratisch aufgebaut und nicht unter einem nach der Wirtschaftskraft der beteiligten Länder abgestuften Einfluss stehen wie heute z.B. WTO und Weltbank. Weltweit gibt es zum anderen vielfältige Organisationen bzw. Bewegungen aus der Zivilgesellschaft, die sich zunehmend international vernetzen und vielfältige Formen des Wirtschaftens entwickeln oder schon praktizieren. Die heute noch dominierende neoliberal-kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise ist keineswegs alternativlos und schon gar nicht eine Art »Naturgesetz«; sie ist im globalen Maßstab erst durch politische Entscheidungen in den letzten Jahrzehnten ermöglicht worden und im übrigen erst rund 250 Jahre entfaltet in Betrieb. Große Länder des Südens haben in den letzten Jahren begonnen, sich von der Vorherrschaft dieses, die »Globalisierung« beherrschenden, Wirtschaftssystems zu lösen und Alternativen zu entwickeln.

Im Bereich Energie und Klima ist es besonders deutlich, dass die Naturgesetze und die stofflichen Restriktionen in einer endlichen Welt nicht verhandelbar sind, im Gegensatz zu ökonomischen, politischen und sozialen Systemen und Regeln. Hierauf sollte sich unser »Realismus« beziehen. Technik und Naturwissenschaft sind zu vielen großartigen Leistungen in der Lage, aber dauerhaft nur in »Allianz« (Ernst Bloch) mit der Natur. Viele Naturwissenschaftler neigen dazu, die »Machbarkeit« ihrer Visionen unabhängig von den praktischen Lebens-Bedingungen zu sehen, sich damit zu überschätzen und die durch die Realisierung verursachten Probleme für Mensch und Natur zu verdrängen. Auch die Technik hat gerade im Energiebereich Heilsversprechen abgegeben, die durch die Katastrophe in Tschernobyl bezüglich der Frage der technischen Sicherheit, insgesamt durch die heute deutlich gewordenen nicht intendierten negativen Folgen für die Natur und den Frieden widerlegt wurden. Naturwissenschaft und Technik sind also mit verantwortlich für die sich abzeichnende Krise im Energiebereich.

Nach diesen Erfahrungen steht es Naturwissenschaftlern und Technikern gut an, wieder mehr Realismus an den Tag zu legen, der seit jeher professioneller Standard von Naturwissenschaftlern und besonders von Ingenieuren ist. Das bedeutet auch, die hinter den angeblichen »Sachzwängen« der Ökonomie stehenden Interessen und die Ideologien der herrschenden neoliberalen Lehre nüchtern an den stofflichen Bedingungen zu messen.

Das zentrale Paradigma hinter den herrschenden ökonomischen »Gesetzen« ist das »Wachstum«, von dem die Lösung aller sozialen Probleme erwartet wird. Hier setzen wir aus naturwissenschaftlicher Sicht an:

Beendigung des Wachstums-Paradigmas

Auf die natürlichen »Grenzen des Wachstums« hat seit 1973 u.a. der Club of Rome hingewiesen. In vielen Punkten haben wir heute die Grenzen des materiellen Wachstums bereits überschritten. Die Vorstellung, dass die materielle Produktion sich weiterhin weltweit in Form der bisherigen Exponentialfunktionen steigern lässt, widerspricht grundlegenden Naturgesetzen und der Tatsache der Endlichkeit der Ressourcen. Das bisherige ökonomische Modell der Industrienationen ist also aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht global übertragbar und trägt die Logik des Misslingens in sich.

Es gilt daher, aus der bisherigen kapitalistisch geprägten Wachstums-Ökonomie auszusteigen und Modelle sozial und ökologisch angepasster Ökonomien und Techniken zu entwickeln. Solche Modelle werden beispielhaft bereits in einzelnen Ländern realisiert und müssen in internationaler Kooperation gestaltet werden, nicht in Konkurrenz der Länder und Menschen gegeneinander. Das heißt auch, dass in den bisherigen Industrieländern eine radikale Reduzierung der Inanspruchnahme energetischer und stofflicher Ressourcen erforderlich ist, um den Ländern des Südens die Möglichkeit zu geben, ihre materiellen Lebensverhältnisse zu verbessern – was ohne eine sinnvolle Steigerung der ihnen zur Verfügung stehenden Energie-Dienstleistung nicht möglich sein wird.

Weichenstellung zwischen ungesteuertem »Weiter so« oder bewusster Gestaltung der Zukunft

Nach wie vor wird von einem Großteil der politischen und wirtschaftlichen »Eliten« in den meisten Ländern die kapitalistische Wachstums- und Konkurrenz-Ökonomie für alternativlos gehalten. Der Glaube an den »Technischen Fortschritt«, der durch Wettbewerb und Markt angetrieben und damit im Sinne dieser Ökonomie und der hinter ihr stehenden Interessen geformt wird, konnte nur so lange halten, wie scheinbar unerschöpfliche Quellen der Natur zur Verfügung standen. 1986, als durch das Unglück von Tschernobyl das Scheitern des Technik-Optimismus deutlich wurde, der mögliche Folgen schlicht verdrängt, schien eine kurze Zeit lang wenigstens in einigen Ländern die Politik durch die erklärte Absicht zum Ausstieg aus der Atomenergie zu reagieren. Auch die wachsende Kenntnis von den ökologischen Folgewirkungen förderte Überlegungen, die bewusste Gestaltung des »Technischen Fortschritts« durch die Gesellschaft zum Programm zu machen.

Seit 1989/90 aber lässt sich die Politik von einer Wirtschaft mehr und mehr dominieren, die »die Märkte« zur maßgeblichen Orientierungsgröße und die ökonomische Konkurrenz zwischen Menschen und Nationen zum einzigen Antrieb machen will. Damit wird aber lediglich der uralte Kampf um die begrenzten Naturschätze verschärft, in dem heute die fossilen und nuklearen Energieträger eine zentrale Rolle spielen. Durch die ökologischen Folgewirkungen und die heutigen Möglichkeiten der Militär-Technik im atomaren, biologischen und chemischen Bereich kann dieser Kampf allerdings bis zur Vernichtung der Menschheit eskalieren.

Gegen dieses Szenario setzen wir die verantwortungsbewusste Gestaltung der Technik und des gesellschaftlichen Lebens auf der Basis nachhaltiger Entwicklung, die das ökologische und soziale Element vorrangig berücksichtigt und die Ökonomie daran anpasst. Naturwissenschaft, Technik und Ökonomie sind für die Menschen da, nicht umgekehrt. In dieser Phase der Geschichte wird von uns weltweite Nachdenklichkeit, Kreativität, Mut und Tatkraft verlangt, um international und lokal zu handeln.

Epochenwandel als Chance

Die notwendige säkulare Trend-Umkehr eröffnet die Chance, in den bisherigen Industrienationen Fehlentwicklungen der Wirtschaft zu korrigieren und gleichzeitig in den armen Nationen sozialen Wohlstand zu erzeugen, der von Anfang an unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit aufgebaut wird. Hat sich bisher der Wohlstand der reichen Nationen aus ihrer Ausbeutung der fossilen Rohstoff- und Energiequellen gespeist, wird ein künftiger Wohlstand für alle Menschen auskommen müssen mit dem, was die Erde uns an knappen Rohstoffen liefern kann und was wir durch die Einstrahlung der Sonne täglich an Energie geliefert bekommen.

Die Erkenntnis, dass die Ressourcen und damit auch die technischen Möglichkeiten begrenzt sind, kann innovative gesellschaftliche Dynamiken entfalten, die durch weltweite Verständigung über das Notwendige und Wünschenswerte gefördert werden. So kann eine Wissenschaft und Technik realisiert und finanziert werden, die sich mit den sozialen und ökologischen Zielen der »Nachhaltigkeit« organisch verbindet, indem sie außer Produktion und Konsum auch die Quellen der Ressourcen einbezieht und die möglichst weitgehende Rückführung der Güter in den natürlichen Kreislauf systematisch sowie regional und ökonomisch differenziert organisiert. Hier wird sich erweisen, ob unsere Zivilisation mit all ihrer Wissenschaft und Technik ihren Namen verdient und die Herausforderung annimmt, vor die uns die sich abzeichnende Energie- und Klima-Krise stellt

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2006/3 Konfliktherd Energie, Seite