Entwicklung als Sicherheitstechnologie
17. Sitzung des AK Gewaltordnungen der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaften (DVPW), 23. April 2010, Bonn
von Katrin Radtke
Über den Zusammenhang zwischen Entwicklung und Sicherheit ist in den vergangenen Jahren viel diskutiert worden. Stellte noch in den 1980er Jahren entsprechend des Friedensparadigmas Entwicklung in vielen regionalen Kontexten geradezu das Gegenteil zu militärischen Handlungen dar, verschwammen in den letzten Jahren die Konturen zwischen beiden Bereichen. Unter dem Motto »keine Sicherheit ohne Entwicklung – keine Entwicklung ohne Sicherheit« wird geradezu ein kausaler Zusammenhang zwischen militärisch zu leistender Sicherheit und zivil zu leistender Entwicklung hergestellt. Gerade die Genese von rein militärischen Interventionen zu Friedens- und Staatsbildungsprojekten trug zu diesem Wandel bei.
Die theoretischen und praktischen Implikationen der kausalen Verknüpfung von Entwicklung und Sicherheit sind erheblich. Indem Entwicklung bewusst eingesetzt wird, um gewisse politische Ziele zu erreichen, die von den Interessen der Gebergemeinschaft definiert werden, verliert Entwicklung seine primäre sozialethische Ausrichtung und wird zu einem interessengeleiteten technischen Instrument der Politik. So schreibt Duffield pointiert „…development is a technology of security that is central to liberal forms of power and government“. 1 Gleichzeitig werden aber auch Sicherheitsfragen zunehmend zu einem rein technischen Problem degradiert und somit entweder explizit oder implizit depolitisiert. Das partikulare Abschrecken, Ertragen, Überleben und »Managen« von perzipierten Bedrohungen steht im Mittelpunkt, weniger die Identifizierung und Behandlung ihrer Ursachen. Sicherheitsstrategien verengen sich häufig auf bewaffneten Schutz, Mauern, Schranken, Alarmanlagen, Überwachungssysteme und Risikoanalysen.
Erstaunlicherweise hat bisher – abgesehen von wenigen Ausnahmen – keine wirklich systematische kritische Auseinandersetzung mit dieser Technisierung und ihren Folgen stattgefunden. In politischen Diskussionen dominieren pragmatische Ansätze. Unter dem Erfolgsdruck verschiedener staatlicher Wiederaufbauprojekte hat man sich der systemimmanenten Kritik verschrieben und versucht Stellschrauben im Detail zu justieren. Ein Ausdruck davon ist etwa die Tatsache, dass in Deutschland auch nach Jahren eine Evaluierung des Einsatzes in Afghanistan noch nicht erfolgt ist. Aber auch auf wissenschaftlicher Seite hat man sich bisher – trotz intensiver Auseinandersetzung mit dem »neuen Interventionismus« und Konzepten wie »menschlicher Sicherheit«, »integrierten Missionen« u.a. – kaum mit den (nicht-intendierten) Folgen der konzeptionellen Verknüpfung von Entwicklung und Sicherheit beschäftigt.
Die Beiträge auf der 17. Tagung des Arbeitskreises Gewaltordnungen beschäftigten sich aus theoretischer und praktischer Perspektive mit dieser Forschungslücke.
Die Kontinuität der Treuhandschaft: Von der Entwicklungs- zur militärischen Interventionspolitik
In Auseinandersetzung mit der Frage der Technisierung von Entwicklung führte Conrad Schetter, ZEF Bonn, den Begriff der »Entwicklung als Praktik« ein. Dass sich Entwicklung überhaupt in diese Richtung wandeln konnte sei nur dadurch möglich gewesen, dass der Begriff der Entwicklung immer weniger zur Auseinandersetzung über unterschiedliche Gesellschaftsvisionen und über den entsprechenden Weg dorthin diente, da das liberale Gesellschaftsmodell seit Ende des Kalten Kriegs nicht mehr in Frage gestellt worden sei. Begriffe wie »Human Security«, die seither zu einem zentralen Schlagwort der EZ geworden sind, kombinieren in der Folge den »weichen« Faktor Mensch mit dem »harten« Faktor Sicherheit. Staatliche Souveränität sei inhaltlich verwandelt worden von nationaler Autonomie in eine Rechenschaftspflicht gegenüber der internationalen Sphäre. Entwicklungszusammenarbeit habe in der Folge eine Reduktion auf ihren Projektcharakter erfahren – eben auf Entwicklung als Praktik unter dem einzigen Gesichtspunkt der unmittelbaren »Machbarkeit« einer von außen gesteuerten Verbesserung. Diese Machbarkeit wiederum müsse sich quantitativ messen lassen. In diesem Sinn seien etwa die »Millenium Development Goals« entworfen worden, die mit quantitativen Zielvorgaben, aber völlig ohne eine gesellschaftliche Vision formuliert sind. Die EZ sei zugleich immer mehr zum Teil von größeren Interventionen in Krisengebiete geworden, operiert also oft in einem Feld des politischen Ausnahmezustands. Hier übernehme sie treuhänderisch die Aufgaben eines souveränen Staats. Trotz des verbalisierten Anspruchs von »Partizipation« durch die Betroffenen werde die Angemessenheit von EZ-Maßnahmen immer stärker von außen, durch die intervenierenden Organisationen, definiert.
Ziellose Herrschaft – Humanitarismus and Peacekeeping im Kongo
In seinem Vortrag untersuchte Kai Koddenbrock, Universität Magdeburg, die normative Ordnung und das Verständnis von Temporalität von humanitären Helfern und von Angehörigen der UN-Friedensmissionen im Kongo. Diese Konzeptionen seien von großer Bedeutung für die Bildung epistemischer, produktiver Macht in der internationalen Ordnung.
Aufbauend auf den Ergebnissen seiner Feldforschung in der Demokratischen Republik Kongo stellte er die These auf, dass die untersuchten Akteure ihre Arbeit aufgrund einer Ästhetik der Wirkung aufgenommen hätten, die von einem ständigen Gefühl der Nutzlosigkeit konterkariert werde. Ihr Kongo-Bild sei von starker Undurchsichtigkeit bestimmt. Es werde wiederum durch eine pragmatische Vorstellung des Kongo als Arbeitsplatz und einer bloß nationalen Vorstellung des »Ressourcenfluchs« stabilisiert. Die übergeordnete normative Ordnung der Internationalen enthalte zwei Kernelemente: Eine Sprachlosigkeit über ihre eigene Normativität und eine Art Deonotologie. Diese Deonotologie stehe in enger Verbindung zum Zeitverständnis der Internationalen, das sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft als Handlungshorizont ausblendet.
Vor diesem Hintergrund erwiesen sich, so Koddenbrock, die Überlegungen Chandlers und McFalls zum »Empire in Denial« und zur »therapeutischen Herrschaft« als zu intentional. Darüber hinaus stellten seine Ergebnisse die Stabilität der Machtbeziehungen in Frage, die der Begriff der »therapeutischen Herrschaft« impliziere. Aus diesem Grund führte Koddenbrock den Begriff der »ziellosen Macht« als Begriff für die Macht der Internationalen im Kongo ein.
Vom »Freiheitskämpfer« zum »EZ-Empfänger«?
Katja Mielke vom ZEF Bonn referierte zum Thema: Vom »Freiheitskämpfer« zum »EZ-Empfänger«?– Gedanken zur Objektifizierung der ländlichen Bevölkerung Nordost-Afghanistans im Zuge der Intervention seit 2001.
Der Wandel von Frieden zu Sicherheit als Motivation von Entwicklung(smaßnahmen) und die Art und Weise wie Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft darüber reden, spiegelt eine zunehmende Objektifizierung der Betroffenen wieder. Inwiefern die Depolitisierung und Technisierung von Entwicklung als Praxis wiederum Raum für eine grassroot-Politisierung der objektifizierten Gruppen in den Zielregionen von Entwicklung schafft, ist bislang offen. Allerdings, so argumentierte Katja Mielke, kann die unintendierte Ermächtigung von lokalen Mitarbeitern ausländischer Entwicklungsakteure vor Ort als erster Indikator dafür gewertet werden. Inwiefern finden eigene Bedürfnisse der Objektifizierten – nämlich mit der Adressierung der Frage, um wessen Frieden, Entwicklung und Sicherheit es eigentlich geht – noch Eingang in die Diskussion?
Katja Mielke führte vor dem Hintergrund ihrer Feldforschung in Afghanistan aus, dass es in Afghanistan trotz partizipativer Rhethorik fraglich sei, ob eine Einbeziehung der Bevölkerung in Entwicklungsmaßnahmen stattfinde. Die Masse der Bevölkerung würde durch EZ-Maßnahmen nicht erreicht, weil sie von Mittelsmännern (lokalen Machtakteuren, sog. »Ältesten«) mediatisiert wird. In Auseinandersetzung mit dem Foucaultschen Diskursbegriff stellte sie die Frage, wie es überhaupt möglich sei, die Perspektive der Anderen von außen zu erfassen. Aus ihrer Sicht greife die Charakterisierung der Bevormundung der Anderen zu kurz und sei durch den eigenen Diskurs bestimmt. Die Komplexität werde dadurch erhöht, dass sich der eigene Diskurs wiederum rhetorisch auf den dominanten Diskurs der Entwicklungsakteure einstellt. Ein besseres Verständnis über die Zusammenhänge und Beschaffenheit von Diskursformationen würde ermöglichen, verschiedene Formen der Wirklichkeit und des Wissens zu identifizieren und aufgrund so sichtbar werdender Unterscheidungen der Technisierung und Depolitisierung durch diskursive Annäherungen, also die Beteiligung (inclusion) der afghanischen Bevölkerung am Entwicklungsdiskurs und schließlich in der Entwicklungspraxis entgegen zu wirken.
Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit im Kontext von fragiler Staatlichkeit und militärischen Interventionen
Katrin Radtke von der Deutschen Welthungerhilfe Bonn erläuterte deren Strategie.
In verschiedenen Untersuchungen ist in den vergangenen Jahren nachgewiesen worden, dass im Kontext von Krieg und Gewalt immer mehr Mitarbeiter(innen) von humanitären und entwicklungspolitischen Organisationen Opfer von Anschlägen werden. Obwohl die Zunahme der Gewalt auf einige wenige Regionen beschränkt ist (darunter Afghanistan, Sudan und die Demokratische Republik Kongo) hatte diese Tatsache erheblichen Einfluss auf die Sicherheitsstrategien von NRO. Hatten die meisten Hilfsorganisationen im Rahmen ihrer Sicherheitsstrategien bisher auf die Akzeptanz ihrer Arbeit bei allen Konfliktparteien gesetzt, wird dieser Ansatz zunehmend in Frage gestellt. Immer mehr Organisationen bedienen sich militärischer Strategien, um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten. Unter anderem drückt sich dies in der Einstellung militärisch geschulten Personals und dem Rückgriff auf private Sicherheitsdienstleister aus.
Vor diesem Hintergrund stellte Katrin Radtke den Entwurf für eine Position der Welthungerhilfe zur Arbeit in fragilen Staaten vor. Sie betonte, dass der Akzeptanzansatz nach wie vor zentraler Bestandteil der Strategie der Welthungerhilfe sei. Um Akzeptanz zu erreichen, müssten allerdings zahlreiche Bedingungen erfüllt sein, darunter eine sehr genaue Auseinandersetzung mit dem lokalen Kontext, die Identifizierung und der Kontakt zu allen Konfliktparteien und eine klare Unterscheidbarkeit von anderen (insbesondere militärischen) Akteuren. Seien diese Bedingungen erfüllt, so verfolge die Welthungerhilfe in fragilen Staaten einen dreigliedrigen Ansatz: die Förderung von lokalen Selbsthilfekapazitäten, die Förderung von lokalen Advocacy-Potentialen und die Gewaltprävention.
Kommerzielle Sicherheit: Garant oder Totengräber sozialer Ordnung?
In seinem Vortrag stellte Marc von Boemcken von Bonner Konversionscentrum die These auf, dass mit der Reduktion von Sicherheit auf ihren technischen Charakter einer fortschreitenden Kommerzialisierung von Sicherheitsproduktion der Weg geebnet werde. In vielen Entwicklungsländern werde Sicherheit nicht mehr als kollektives Gut bereitgestellt, sondern von kommerziellen Netzwerken als Ware gehandelt und folge damit eher einer Markt- als einer Redistributionslogik. Welchen Einfluss hat diese Praxis auf das Verhältnis von Sicherheit und Entwicklung? Kann kommerzielle Sicherheit überhaupt als Wegbereiter oder sogar Vorbedingung von Entwicklung gesehen werden? Inwiefern unterminiert diese Praxis sogar Entwicklungsanstrengungen?
Marc von Boemcken argumentierte vor diesem Hintergrund, dass kommerzielle Sicherheitsordnungen dazu neigen, Sicherheit als ein exkludierendes und rivalisierendes Gut bereitzustellen. Dies würde auch durch typische bauliche Maßnahmen kommerzialisierter Sicherheitstechnik sichergestellt und symbolisiert, also etwa durch Zäune und Mauern, die In- und Exklusion von Sicherheit herstellen. Insofern Menschen systematisch von Sicherheitsleistungen ausgeschlossen werden, wird der Gesellschaftskörper nachhaltig fragmentiert. Dies gehe häufig auf Kosten eher holistischer, entwicklungsorientierter und explizit politischer Lösungsansätze. Gleichzeitig könne aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass unter bestimmten Bedingungen kommerzielle Sicherheitsakteure auch einen konstruktiven Beitrag zur Bereitstellung öffentlicher Sicherheit leisten können. So seien kommerzielle Dienstleistungen häufig in größere Sicherheitsnetzwerke eingebunden, und könnten insofern auch komplementär wirken. Auch unintendierte Inklusion durch Entlastungseffekte – etwa wenn Nachbarschaften von der Sicherheitsbestellung Einzelner mitprofitieren – seien potentiell beobachtbar. Problematisch, so Boemcken, ist jedoch etwa die Verschlechterung der Sicherheitslage für marginalisierte Schichten, wie dies etwa durch »Crime displacement« aus wohlhabenderen in ärmere Stadtviertel geschehen könne. Insgesamt seien die konkreten gesellschaftlichen Auswirkungen eher unterschiedlich.
Coercive Security Governance. Der Fall des »Nationalkongresses zur Verteidigung des Volkes« (CNDP) in Nord Kivu (DR Kongo)
Sylvia Sergiou, FU Berlin, beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit alternativen Sicherheitssystemen. Insbesondere im Osten der Demokratischen Republik Kongo sei das staatliche Gewaltmonopol noch immer stark begrenzt. Verschiedene bewaffnete Gruppen forderten den Staat gewaltsam heraus und sorgten für ein hohes Unsicherheitsniveau. Die Rebellengruppe »Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes« (CNDP), angeführt durch den Dissidenten General Laurent Nkunda, formulierte entsprechend als eines ihrer Ziele die Herstellung von Sicherheit für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe, die ruandischsprachige Bevölkerung in den beiden Kivu-Provinzen. In den Gebieten unter Kontrolle der CNDP (Masisi und Teile von Rutshuru Distrikt) werde Sicherheit für diese Gruppe erreicht, wovon jedoch auch andere Bevölkerungsteile in diesen Regionen profitierten. Erreicht werde dies durch ein Ordnungssystem, dass darauf abhebe, die Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen organisatorisch zu durchdringen. So wurden etwa lokale staatliche Beamte kooptiert und bestehende Systeme der Sicherheitsregulation wie die traditionelle Gerichtsbarkeit und das »Zehn-Häuser«-System rekonstruiert. Insgesamt beließ es die CNDP aber bei geringen Eingriffen in das alltägliche gesellschaftliche Leben und konzentrierte sich stark auf die Herstellung von äußerer Sicherheit gegenüber verfeindeten bewaffneten Formationen. Vor diesem Hintergrund hob Sylvia Sergiou hervor, dass zerfallene Staatlichkeit nicht gleich zu setzen ist mit Ordnungslosigkeit und Unsicherheit. Es gebe Sicherheit jenseits des Staates und diese sei im Falle des Ostkongos effektiver als staatliche Sicherheit.
Anmerkung
1) Duffield, Mark (2007): Development, Security and Unending War: Governing the World of Peoples, Cambridge: Polity Press, S. viii.
Katrin Radtke