W&F 1986/1

Forschen um jeden Preis?

von Werner Buckel

Es gibt keine halbwegs klare Trennlinie zwischen militärischer Forschung und nicht-militärischer Forschung. Es gibt extreme Fälle, für die es leicht ist, sie einzuordnen. Ich will zunächst über einen solchen Fall reden, weil ich meine, daß wir, die Gemeinschaft der Wissenschaftler, selbst da oft nicht klar genug Stellung beziehen.

Die Entwicklung eines modernen Kampfgases ist rein militärische Forschung, zudem mit einem Aspekt der Massenvernichtung. Ich stehe nicht an, diese Art von Forschung strikt abzulehnen. Jeder, der hier mitarbeitet, muß sich den Vorwurf gefallen lassen etwas Verwerfliches zu tun. Wenn er dann meint, daß ihn das nicht berühre, weil er ja für die Verteidigung der Freiheit arbeiten würde, so muß er das mit seinem Gewissen ausmachen. Auch bei solchen krassen Fällen möchte ich nicht diskriminieren. Ich wage es nicht, einem Menschen, deren seinem Arbeitsplatz ohne sein Zutun mit solchen Entwicklungen konfrontiert wird, einen Vorwurf zu machen, wenn er nicht aktiv, etwa durch Kündigung des Arbeitsplatzes, gegen diese Entwicklung vorgeht. Wer könnte dieses Opfer fordern?

Es ist aber schon etwas anderes, wenn ein Wissenschaftler, weil er ein interessantes wissenschaftliches Problem sieht, diese Forschung betreibt, ohne danach zu fragen, was mit den Substanzen gemacht werden soll. Dies finde ich verwerflich. Hier können wir eine Behauptung erledigen, die häufig – ich meine als Schutzbehauptung aufgestellt wird, nämlich die Behauptung: „Die Erforschung von Zusammenhängen, die Sammlung neuen Wissens über die Natur sei grundsätzlich gut, weil sie aus einem Trieb des Menschen kommt, der überhaupt erst wissenschaftlichen Fortschritt erlaubt, nämlich der wissenschaftlichen Neugierde. Erst die falsche Anwendung mache eine naturwissenschaftliche Erkenntnis zu etwas Bösem.“ So einfach ist das nun wirklich nicht. Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, daß der Wissenschaftler für voraussehbar böse Folgen seiner Forschung durchaus verantwortlich ist. In dem einfachen Fall unseres Kampfgasentwicklers wird man schwerlich sagen können, daß diese Arbeit wertneutral ist.

Ich habe diesen krassen negativen Fall gewählt, weil ich meine, daß wir in unseren Wissenschaftlerkreisen noch viel zu wenig darauf hinweisen, daß wir diese Art der Forschung für ethisch nicht verantwortbar halten. Hier muß eine neue Atmosphäre geschaffen werden; wir dürfen nicht wegsehen.

Nun aber zu den weniger klaren Fällen. Ist es nicht wirklich so, daß wir heute etwas untersuchen, ohne auch nur im Entferntesten voraussehen zu können, ob einmal eine Anwendung überhaupt möglich ist, und morgen steht diese Anwendung plötzlich vor uns. Manchmal sehen wir eine friedliche, dem Menschen nützliche Anwendung. Aber die Medaille hat stets zwei Seiten. Der nützlichen Anwendung steht eine schädliche gegenüber. Lassen Sie mich da ein wohl etwas weniger bekanntes Beispiel anführen. Wir können heute mit Supraleitern Geräte bauen, die außerordentlich genaue Messungen von Magnetfeldern erlauben. Wir können Magnetfelder nachweisen und messen, die nur ein Millionstel des magnetischen Erdfeldes betragen. Diese Geräte werden zur Diagnose besonders von Erkrankungen im Gehirn entwickelt, da man mit ihnen Gehirnströme sehr gut messen und Anomalien sehr gut lokalisieren kann.

Natürlich haben solche Geräte auch eine potentielle Anwendung, etwa als Lenksysteme für Raketen. Es gibt zur Zeit hier wohl noch andere Möglichkeiten. Aber gesetzt den Fall, ein solcher Magnetfeldmesser, an dessen Entwicklung ich mitgearbeitet haben würde, fände einen Einsatz in Lenksystemen für Atomraketen. Muß oder soll ich wegen dieser nicht auszuschließenden Möglichkeit die Untersuchungen an diesen Geräten abbrechen?

Ich glaube, wir alle sehen, daß diese Konsequenz nicht die Lösung sein kann. Wir müßten alle LASER-Forschung einstellen und vieles andere. Wenn dies nicht die Konsequenz sein kann, was kann man dann überhaupt tun? Ich meine einiges.

  1. Wir könnten uns z. B. verpflichten, an unseren Hochschulen keine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durchzuführen, die unmittelbar militärische Anwendungen betreffen.
    Ich weiß, daß hier sofort der Einwand erhoben wird: „Aber wollen Sie, daß wir uns nicht. verteidigen? Unsere Forschung dient der Verteidigung.“ Oder „Wollen Sie unsere Soldaten weniger gut ausgerüstet kämpfen lassen?“ Hier möchte ich vorschlagen, hart zu bleiben. Militärische Forschung gehört nicht an unsere Hochschulen.
  2. Wir könnten darauf verzichten, Forschungsaufträge von militärischen Stellen anzunehmen. Hier bei uns ist, soweit ich das weiß, die Vergabe von Forschungsgeldern durch militärische Stellen wohl nicht so weitgehend entwickelt wie in den USA. Zustände, wie in den USA, wo es gang und gäbe ist, daß Wissenschaftler aus den Hochschulen für reine Grundlagenforschung Geld von agencies der Army oder der Navy bekommen, möchte ich hier nicht haben. Dadurch wird notwendig eine Abhängigkeit erzeugt und im Gefolge eine bestimmte innere Einstellung. Dies sollten wir vermeiden.
  3. Wir könnten fordern, daß die Gelder, die von dritter Seite für Forschungsaufgaben in die Hochschulen fließen, offengelegt werden. Mit den Geldern der DFG geschieht das wohl, zumindest in den Jahresberichten der DFG. Ich meine, daß eine Reihe unserer Kollegen, die mit solchen Geldern forschen, durchaus ein ungutes Gefühl haben, etwa in dem Sinne: „Ja, was soll ich denn machen, soll ich aufhören, meine Arbeiten weiterführen? Wenn ich diese Gelder nicht nehmen würde, müßte ich das.“ Vielleicht müßte man das in solchen Fällen. Bei diesem Problem erhält nun die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes einige Bedeutung. In dem Entwurf des BMBW sollen die Gelder Dritter, die für Forschungsaufgaben in die Hochschulen fließen, wieder direkter dem Begünstigten zur Verfügung stehen. Heute werden diese Gelder z.B. bei uns in Baden-Württemberg im Haushalt ausgebracht. Nun habe ich es begrüßt, daß hier die allzu große Bürokratisierung abgebaut werden soll. Im Zusammenhang mit unserem Thema kann man nun aber fürchten, daß damit die Transparenz, die ich gerne hätte, überhaupt unmöglich wird. Ich meine dennoch, daß die Grundtendenz der Entbürokratisierung richtig ist.

    In. Wir sollten an unseren Hochschulen keine Arbeiten durchführen, die geheim gehalten werden müssen. Wenn eine Arbeit geheim gehalten werden muß, dann ist sie entweder wirtschaftlich sehr interessant und sollte deshalb an einem Labor der Industrie gemacht werden, oder sie fällt unter die militärische Geheimhaltung und gehört damit nach meiner Meinung – auch nicht an die Hochschule.

Wie ich schon sagte, bin ich mir bewußt, daß diese Vorschläge sicherlich Widerspruch herausfordern. Darüber können wir diskutieren. Alles dies würde natürlich nur Rahmenbedingungen verändern, aber nicht die Frage der Verantwortung der Wissenschaftler lösen. Kann überhaupt der einzelne Wissenschaftler noch für die Folgen seiner Arbeit direkt verantwortlich gemacht werden? Ist unsere Forschungslandschaft nicht schon so komplex geworden, daß der Einzelne nicht mehr genügend Spielraum hat, um Verantwortung überhaupt geltend zu machen? Ich meine über das hinaus, was er durch eine schlichte Verweigerung erreichen kann.

Professor H. Lenk, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie an unserer Universität in Karlsruhe, diskutiert in diesem Zusammenhang die Entwicklung von Modellen mit ausgeprägter Kollektivverantwortung. Z.B. könnte diese Kollektivverantwortung von den wissenschaftlichen Verbänden getragen werden. Davon sind wir heute noch weit entfernt.. Es ist auch nicht ganz klar, wie man diese Kollektivverantwortung im Einzelnen wirklich realisieren könnte. Es gibt da die Gegenposition, die sagt, daß es eine Kollektivverantwortung grundsätzlich nicht gibt. Kollektive Verantwortung würde bedeuten, daß keiner Verantwortung hat. Sicher ist auch diese Position so nicht zu halten. Man darf doch annehmen, daß z.B. der Bundestag einige Verantwortung empfindet und auch hat. In dieser Richtung könnte man sicher noch einige Überlegungen anstellen. Aber dies setzt eine Atmosphäre voraus, in der eine Mehrheit der Wissenschaftler sich diesen Fragen stellen will. Diese zu schaffen, gilt es.

Werner Buckel ist Professor der Physik an der Universität Karlsruhe und Vizepräsident der European Physical Society. Den hier abgedruckten (leichtgekürzten) Vortrag hielt Prof. Buckel bei den Münsteraner Friedensgesprächen. 1985.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1986/1 1999: Ende der Atomwaffen?, Seite