W&F 2020/1

Frieden in schwierigen Zeiten

11. EuPRA-Konferenz, Catania, Italien, 10.-12. Oktober 2019

von Craig Robertson

Die European Peace Research Association (euprapeace.org) hatte ihre zweijährliche Zusammenkunft diesmal in Sizilien. Das Leitthema: »Frieden in schwierigen Zeiten – Herausforderungen für Europa und die Welt«.

Das dreitägige Treffen hatte rund hundertfünfzig internationale Konflikt- und Friedensforschungsinteressierte aus 27 Ländern zusammengeführt. Auf dem Programm standen dieThemenbereiche Globale Probleme; Flucht/Massenmigration; Kriege und Friedensprozesse; Terrorismus; Klimaveränderung; Friedenskonzepte; Friedensjournalismus; Friedenserziehung, Sport und Kunst.

Drei hochkarätige Keynotes eröffneten die täglichen Sitzungen:

Jeffrey Labovitz, Direktor »Operations and Emergencies«, International Organisation for Migration (IOM), begann mit einem aktuellen Überblick zum Thema Flucht. 2019 gab es weltweit 272 Mio. grenzüberschreitende Migranten, »freiwillige« und unfreiwillige. Aber »nur« rund 71 Mio. sind Internally oder Externally Displaced Persons (IDPs und EDPs). Letztere Gruppe stellt ein Drittel, die eigentlichen Refugees, in 2019 ca. 24 Millionen = 0,3 % der Weltbevölkerung. Beide Gruppen werden von IOM bewusst als »Survival Migrants« bezeichnet. Sie gehören meist zu den Schutzbedürftigsten und Ärmsten und werden von armen und ärmsten Ländern, wie Libanon, Kurdistan oder Bangladesch, aufgenommen – ein doppeltes Unrecht, das reiche Länder umso mehr verpflichten sollte.

Rune Ottosen, Oslo Metropolitan University, ernüchterte mit Norwegens Rolle bei den Luftschlägen der Alliierten gegen Libyen 2011. Norwegen, häufiges Paradebeispiel für friedliche Lösungen, hatte in diesem Fall einen wesentlichen Anteil daran, dass Libyen nicht nur zerstört, sondern auch „in einen »failed state« gebombt wurde“ – Einfallstor für islamistische Terrorgruppen.

Kirsi Henriksson, Gründerin des Crisis Management Center Finland (CMC), berichtete über tägliche Arbeit in (Nach-) Kriegsgebieten, wie Niger oder Mali. CMC bietet auch Trainingskurse an für Personen, die in solchen Gebieten arbeiten (wollen). Attraktiv für Studierende: CMC vergibt bezahlte Praktika.

Anschließenden wurden mehr als siebzig Papers diskutiert, hier eine kleine Auswahl: Hendrik Bullens, Eurasian National University, Kasachstan und langjähriges EuPRA-Board Member, eröffnete die Parallelsitzungen. Im ersten Vortrag ging es um die exorbitanten Ausgaben für Waffen und Militär, so hoch wie nie zuvor (1.822 Mrd. US$ in 2018). Andererseits »fehlen« Gelder für humanitäre Aufgaben, wie sie IOM oder UN-Flüchtlingskommissariat übernehmen: Deren Gesamtjahresbudget beträgt 11-12 Mrd. US$. Das sind 0,6 % der weltweiten Militärausgaben. Derartige Diskrepanzen verdeutlichen, wie dringlich eine systemische Konversion hin zu zivilen Alternativen ist.

Sein zweiter Vortrag befasste sich mit einem praktisch-politischen Projekt über Zwangsmigration (AD REM). Aufgabe ist es, acht bis zehn Beispiele von »Best Practice in Migration Management« aus der Türkei und Europa zu sammeln, als Buch zu veröffentlichen, begleitet von einem »Werbe«-Videoclip für die Medien. Ziel des Projektes ist es aufzuzeigen, dass und wie bessere Lösungen als die bisherigen möglich sind und das Potential haben, Anti-Asyl-Populismus zurückzudrängen.

Metin Ersoy, Eastern Mediterranean University, Nordzypern, und EuPRA-Präsidentin Daniela Irrera, Catania, stellten ein Projekt vor, das danach fragt, wie Medien gegenwärtige bewaffnete Konflikte rahmen (framing). Bezeichnend ist, welche Konflikte heute »proxy wars« genannt werden und welche nicht. So werden Israels Militäraktionen selten so bezeichnet, die von Russland dagegen schon.

Craig Brown, University of Amherst, USA, sprach über Friedensoptionen unter Bedingungen der Flüchtlingskrise in Tunesien. Untersucht wurde insbesondere die Rolle der Künste im »Arabischen Frühling« in Tunesien, Ägypten, Libyen und Marokko.

Charles Webel, American University of New York in Prag, Tschechische Republik, ein »Veteran« der Friedensforschung, gab mit seinem Paper »What is, and is not, ­Peace?« einen kritischen Überblick über unterschiedliche Interpretationen des Konzepts »Frieden« und hob dabei insbesondere die Differenzen zwischen »negativem« und »positivem Frieden« hervor. Welche Definition bevorzugt wird, hat starken Einfluss auf die jeweilige Forschung(stradition). Das erklärt u.a. Unterschiede zwischen der europäisch-skandinavisch orientierte »Galtung-Schule« (z.B. PRIO, EuPRA) und ihr Gegenstück, v.a. repräsentiert in der US-kanadisch geprägten Peace Science Society International.

Helen Ware, Universität Armidale, Australien, eine weitere Koryphäe der Friedensforschung, ging mit Beispielen aus Nigeria, Niger und der Sahelzone ein auf die komplexen Verknüpfungen von Bürgerkrieg, religionsbasiertem Terrorismus und Massenflucht in und aus Westafrika.

Itir Toksoz, Dogus University, Istanbul, diskutierte die militärische versus friedliche Nutzung der Raumfahrt. Sie unterstrich, dass diese »hardcore«-Themen mehr und v.a. mehr interdisziplinäre Beachtung brauchen. Die Friedensforschung, die sich weitgehend als sozial-wissenschaftlich basiert versteht, läuft sonst Gefahr, nicht auf der Höhe der bahnbrechenden natur-, ingenieurs- und informationswissenschaftlichen Veränderungen und deren nachhaltigen Einfluss auf Staat, Militär und Gesellschaft zu sein.

Stephanie Thiel, Universität Gießen, setzte sich mit den Beziehungen von Menschenrechten und Frieden auseinander. Untersucht wurden Korrelationen zwischen Einstellungen zu Menschenrechtsfragen und Meinungen zu Antisemitismus und antimuslimischen Gefühlen (sollte eher der neutralere Begriff »Antimuslimismus« verwendet werden anstatt das Reizwort »Islamophobie«?). Beispielsweise korrelieren zwar Pazifismus und die Einstellung zu Menschenrechten, jedoch nicht so hoch, wie man vielleicht erwarten würde.

Mit George Kent, University of Hawaii, lernte das Auditorium per Skype zugeschaltet ein weiteres langjähriges Mitglied der Friedensforschungsgemeinschaft kennen. Kent stellte sein jüngstes Buch vor, das von »caring communities« handelt. An vielen konkreten Beispielen erläuterte er den Ansatz »sich kümmernder Gemeinschaften« als möglichen Weg, weltweit den Hunger zu bannen und auch andere globale Probleme zu lösen.

Ebenfalls per Skype kam Marty Branaghan, University of New England, Australien, zu Wort. In seinem neuen Projekt geht es darum, das Potential der Künste, zum Frieden beizutragen, nutzbar zu machen. Er begann mit einer Kritik des gängigen Militarismus und der Gewalt, die tief in die menschlicher Natur bzw. Kultur eingewoben seien. Dem stellte er einige Gesellschaften gegenüber, die in einem positiven und nachhaltigen Frieden leben. Schließlich ging er auf die Rolle ein, die Friedensmuseen, Friedensjournalismus, Friedenserziehung und andere kulturelle Mittel, wie Musik etc., beim Aufbau von Friedenskulturen spielen können.

Ilaria Tucchi, Tampere University, Finnland, berichtete über ihr Aktivisten- und Theaterprojekt in Lampedusa, Transitinsel für viele Flüchtling. Sie besteht heute aus einer eigenartigen Mischung aus Flüchtlings-Gefangenenlager, Lokalbevölkerung, Militärbasis und Naturschutzgebiet. Viele zurückgelassene oder verlorene Objekte werden gesammelt. In Zusammenarbeit mit der Bevölkerung produziert das Projekt Gedichte und Theaterepisoden rund um solche Fundobjekte.

Thematisch verwandt, befasste Craig Robertson, Minon Institute, Japan, sich mit verschiedenen Konzepten bezüglich des therapeutischen Wertes von Musik für Menschen mit einem posttraumatischen Stresssyndrom in schwerwiegenden (Post-) Konfliktsituationen.

Nach den Vorstandswahlen beschloss die EuPRA-Mitgliederversammlung einstimmig, eine neue Sektion für Studierende und junge Wissenschaftler*innen zu gründen: »EuPRA Junior« (offen auch für Nicht-EuPRA-Mitglieder) wird von Firuze Simay Sezgin, Türkei, und Craig Brown, UK, koordiniert.

Die Konferenz 2021 wird vom Tampere Peace Research Institute und der Universität Tampere, Finnland, ausgerichtet.

Craig Robertson, bearbeitet und übersetzt von Hendrik Bullens

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/1 Atomwaffen – Schrecken ohne Ende?, Seite 49–50