Friedens- und Konfliktforschung vor der Abwicklung?
„…in Zeiten der Abrüstung auch mit Kürzungen in diesem Bereich leben.“ Kommentar zu einer Antwort der Bundesregierung
von Corinna Hauswedell
Das obige Zitat aus der Antwort der Bundesregierung (Drucksache des Bundestages 12/2446 v. 16.4.92) auf die Kleine Anfrage der SPD zu Stand und Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung (FuK) ist verräterisch. Zwar ist man einerseits des (Eigen)Lobes voll über den politischen und wissenschaftlichen Input der FuK in den letzten Jahren und die hierfür bereitgestellte Bundesförderung. So heißt es in der o.g. Drucksache: „Die Förderung hat zu einer positiven Verankerung der Friedens- und Konfliktforschung in der Wissenschaft geführt… Die Aufnahme dieser Fragestellungen (»global change«, Migration u.a., d.V.) und der erforderlichen interdisziplinären Kooperation… kann als Erfolg der problemorientierten Friedens- und Konfliktforschung angesehen werden.“ Und an anderer Stelle: „Die Friedens- und Konfliktforschung hat mit ihren Impulsen die öffentliche Auseinandersetzung über Frieden, Sicherheit und Bedrohung versachlicht. Bereits darin liegt ihre gesellschaftliche und politische Bedeutung… Auf dem Weg zu diesem Ziel (Erhaltung des Friedens, d.V.) braucht die Bundesregierung hochrangigen Rat und Kritik der Wissenschaft. Deshalb hält die Bundesregierung Friedens- und Konfliktforschung für unverzichtbar….“. Auch wenn sicherlich viele FriedenswissenschaftlerInnen neben der „Versachlichung“ der friedenspolitischen Auseinandersetzung auch den Gedanken der Aufklärung, Warnung und Mobilisierung demokratischen Engagements als bedeutsam hinzufügen würden, entnimmt die geneigte Leserschaft dem Text zunächst eine positive Würdigung der FuK und liest erfreut weiter: „…sie (die Bundesregierung, d.V.) wird diesen Forschungsbereich daher weiter fördern.“
Da könnte fast der konkrete Anlaß für die Kleine Anfrage in Vergessenheit geraten. Erinnern wir uns: Im vergangenen Jahr hatte eine intensive Debatte um neue Themen und Forschungsschwerpunkte der FuK nach dem Ende des Kalten Krieges begonnen. Von einem Paradigmenwechsel war die Rede; es schien beinahe Konsens, daß der trügerischen Euphorie von 1989/90, der Friede sei auf den Weg gebracht, nun eine Neukonzipierung zukünftiger Konfliktanalyse und -bearbeitung folgen müsse. Denn bedrohlich schoben sich die neuen „Gefahren“ in den Vordergrund, „deren Nährboden politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Instabilitäten, ethnische Konflikte, Minderheitenprobleme und Flüchtlingsströme sein könnten“ (so auch die Bundestagsdrucksache 12/2446). Der Tendenz, diesen potentiellen „Gefahren“ oder „Bedrohungen“ – denn um potentielle handelt es sich bei solcherart globalen Herausforderungen – mit einer Relegitimierung des militärischen Faktors (vergl. out-of-area-Debatte) zu begegnen, wollten viele FriedenswissenschaftlerInnen nicht folgen. Zu Jahresbeginn erschienen das Memorandum „Friedenssicherung in den 90er Jahren“, herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, ein Papier des Instituts für Friedens- und Sicherheitspolitik (IFSH) „Friedensforschung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts“ sowie eine Reihe weiterer ähnlich argumentierender Publikationen. Grundtenor: Die nach dem Kalten Krieg sichtbarer werdenden Konfliktpotentiale, vor allem zwischen den Industrienationen und der sog. Dritten Welt, seien durch neue Militäroptionen nicht zu bewältigen, vielmehr müsse ein neues ziviles Konfliktregulierungs-Know-How entwickelt werden, müßten die Ursachen der Konflikte einer vertieften Analyse unterzogen werden. Die FuK wolle die offensichtlicher werdenden Interdependenzen von internationalen und innergesellschaftlichen Prozessen vor allem im ökologischen und ökonomisch-sozialen Bereich mit interdisziplinärer Expertise begleiten. Mitten hinein in diese Diskussion kam zum Jahresende 1991 die Meldung von der Kürzung der Bundesmittel für FuK im Haushalt 1992: Von der ohnehin marginalen Summe von 3,2 Mio DM (im gleichen Haushalt 3,6 Millarden DM für Militärforschung – trotz Abrüstungstendenz!) wurden im parlamentarischen Verfahren 1 Mio. DM gestrichen. Die Bundesregierung verkenne nicht, daß dies „zu Beeinträchtigungen bei bereits laufenden Projekten führen kann…“, versichere aber, „für die Jahre ab 1993 sehen die Haushaltsanforderungen des Bundesministers für Forschung und Technologie in etwa den gleichbleibenden Betrag vor.“ In etwa? Hier wollte man offensichtlich beruhigen.
Denn jüngste Blicke hinter die Kulissen der mittelfristigen Finanzplanung verraten im Gegenteil, daß die Gelder für FuK bis 1995 auf Null gebracht werden sollen; vielleicht bleiben etwa 500.000 DM übrig – gerade soviel wie die Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn jährlich erhält, um ihre Service-Aufgaben zu erfüllen. Und da wird sicherlich ein findiger Ministerialbeamter die Frage stellen, wozu denn noch eine Servicestelle nötig ist, wenn keine gesonderten Forschungsvorhaben in diesem Bereich mehr gefördert werden.
Beides, die eigentlich anstehenden inhaltlichen Neuorientierungen in der FuK sowie die dem zuwiderlaufenden Kürzungen waren der SPD-Fraktion immerhin eine Kleine Anfrage wert. Man tut gut daran, die Antwort der Bundesregierung bis zum Ende zu lesen: „Im Vergleich zu den außeruniversitären Einrichtungen ist die Verankerung der Friedens- und Konfliktforschung an den Hochschulen nicht so gut vorangekommen. Es gibt nur wenige Lehrstühle…, Fragen der Friedensforschung werden überwiegend durch Ringvorlesungen und außeruniversitäre Curricula behandelt.“ Und auf die Frage „Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die fundamental veränderte sicherheitspolitische Lage eine qualitative und quantitative Ausweitung sowie eine grundllegende Neukonzipierung der Forschungsförderung im Bereich der FuK verlangt?“ heißt es schließlich: „Die Bundesregierung teilt nicht die der Frage offenbar zugrundeliegende Auffassung, daß die bisherige Friedens- und Konfliktforschung Probleme der tatsächlichen Weltentwicklung nicht genügend berücksichtige. Sie vertraut hierbei auf die Wissenschaft, die an der öffentlichen Diskussion teilnimmt. Die Diskussion oder Einleitung einer Neukonzeption ist vorerst nicht vorgesehen. Zunächst ist die für 1993 vorgesehene Evaluation durch den Wissenschaftsrat abzuwarten.“ Das klingt mehr nach Abwicklung als nach Aufwertung, allemal wenn man die Gerüchte aus der mittelfristigen Finanzplanung hinzunimmt.
Wenn sich diese pessimistische Sicht bewahrheitet, ist mit der Streichung der Sonderforschungsmittel für FuK innerhalb der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mehr gemeint als der endgültige Abbau einer sozialdemokratisch geprägten Reformruine. Hier wird – durchaus im Bewußtsein neuer Problemlagen – verzichtet auf politische Innovation; hier wird die »Selbstverwaltung der Wissenschaft« beschworen, wo Anforderungen aus dem politischen Raum gefragt wären. Diesen Mangel an neuer politischer Konzeptionsfähigkeit gerade in Bereich Friedens- und Sicherheitspolitik beklagen auch andere: die Bundeswehr allerdings und ihre Eingreifstrategen haben es leichter gehört zu werden – auch »in Zeiten der Abrüstung«. Und hier löst sich der scheinbare Widerspruch im Text der Drucksache 12/2446. Die Bundesregierung zitiert zwar in ihrer Antwort Argumente der Senatskommission der DFG, die wegen der Zivilisierungsleistungen für zukünftige Konfliktbewältigung der FuK eine noch höhere Bedeutung als im Kalten Krieg beimißt, sie teilt diese aber nicht. Sie beschwört die neuen „Gefahren und Unwägbarkeiten“ der internationalen Situation, wichtigste Aufgabe werde es sein, „Barrieren gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu errichten“ (aus der Antwort der Bundesregierung). Aus welchem Stoff diese „Barrieren“ aber sein müssen, um Frieden zu schaffen, – dazu wären Denkaufträge an FriedenswissenschaftlerInnen notwendig. Und zwar im Sinne der „systematischen Förderung von Zusammenhangwissen in den Bereichen Frieden, Sicherheit, Politik, Völkerrecht, Militär, Technologie, Ökonomie, Ökologie, Kultur und Gesellschaft“ (aus dem o.g. Memorandum). Eine solche interdisziplinär anzulegende Forschung (und Lehre) wird es aber, wenn die Streichung der Bundesmittel bis 1995 vollendet wird, noch viel schwerer haben, als dies bei den gegenwärtigen Schwerpunkten des DFG-Sonderforschungsbereichs FuK ohnehin schon der Fall war. Bereits bisher war es für neuere, auch naturwissenschaftlich inspirierte friedenswissenschaftliche Ansätze äußerst kompliziert, in die gesellschaftswissenschaftliche Domäne einzudringen.
Es bleibt zu hoffen, daß diese jetzt ins Haus stehende weitgehende „Bedrohung“ – dies ist wirklich eine – der Friedenswissenschaften und ihrer Forschungsergebnisse von den WissenschaftlerInnen als Chance begriffen wird, sich über fachliche und politische Grenzen hinweg zu einer »Evaluation von unten« zu entschließen und gegen die Pläne der Bundesregierung gemeinsam vorzugehen. Bereitschaft dazu scheint vorhanden zu sein.
Der vollständige Text der Antwort der Bundesregierung ist bei der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn erhältlich. Aber vielleicht sollten möglichst viele ihn direkt beim Bundesminister für Forschung und Technologie bestellen…
Corinna Hauswedell ist Vorsitzende der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn.