W&F 2021/2

Globale Konfliktdynamiken

Eine Zusammenfassung des Konfliktbarometers 2020

von Maximilian Brien, Giacomo Köhler und Maximilian Orth

Mit der 29. Ausgabe des Konfliktbarometers setzt das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) seine jährlich erscheinende Studie zum weltweiten Konfliktgeschehen fort.

Im Jahr 2020 dokumentierte das HIIK weltweit 359 politische Konflikte, von denen 220 gewaltsam und 139 gewaltlos ausgetragen wurden. Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Zahl der erfassten Kriege von 15 auf 21 und erreichte damit den bisher als solchen verzeichneten Höchstwert von 2014. Von den im Jahr 2019 verzeichneten Kriegen de-eskalierten drei zu begrenzten Kriegen oder gewaltsamen Krisen, während 13 Kriege auf der gleichen Intensitätsstufe fortgesetzt wurden. Sieben weitere Konflikte eskalierten zu Kriegen und ein neuer Konflikt brach direkt auf Kriegs-Niveau aus.

Die Anzahl der begrenzten Kriege hingegen sank von 23 auf 19. Neun Konflikte setzten sich auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr fort. Zehn begrenzte Kriege de-eskalierten auf das Niveau einer gewaltsamen Krise, während wiederum acht gewaltsame Krisen zu begrenzten Kriegen eskalierten (vgl. Graphik 1).

Die Regionen im Einzelnen

  • Im Unterschied zum vorherigen Jahr war 2020 Sub-Sahara Afrika die Region mit den meisten Kriegen. In der Sahel-Zone, der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopien, Mosambik, Somalia, Südsudan sowie Nigeria wurden insgesamt elf Kriege beobachtet. Davon waren fünf neu: Konflikte zwischen islamistischen Gruppierungen und Regierungskräften in der Demokratischen Republik Kongo und Mosambik sowie innerstaatliche Konflikte im Südsudan und Äthiopien eskalierten auf Kriegs-Niveau. Des Weiteren brach in Äthiopien der Konflikt um die Tigray-Region direkt auf dem Niveau eines Krieges aus. Keiner der in 2019 beobachteten Kriege de-eskalierte. Die Zahl der begrenzten Kriege nahm um einen auf neun ab (vgl. im Weiteren Graphik 2).
  • In Westasien, Nordafrika und Afghanistan verringerte sich die Zahl der Kriege von acht auf sieben. Die Konflikte um die Sinai-Halbinsel sowie zwischen der Türkei und von ihr unterstützter syrischer Oppositionsgruppen mit dem Bündnis »Demokratische Kräfte Syriens« de-eskalierten. Gleichzeitig eskalierte der Sezessionskonflikt um die Region Südjemen. Die Zahl der begrenzten Kriege sank von vier auf einen. Insgesamt erlebte die Region also eine begrenzte Entspannung bezüglich der Anzahl an hochintensiven Konflikten.
  • In den Amerikas verblieb der Drogenkonflikt in Brasilien weiter auf der Intensitätsstufe eines Kriegs, während in Mexiko der Konflikt zwischen Drogenkartellen, Milizen und der Regierung zu einem begrenzten Krieg de-eskalierte. Die beiden begrenzten Kriege zwischen unterschiedlichen nichtstaatlichen Gruppen in Mexiko und Kolumbien setzten sich jeweils fort, während die gewaltsame Krise zwischen der Nationalen Befreiungsarmee und der kolumbianischen Regierung zu einem begrenzten Krieg eskalierte. Somit stieg die Zahl der begrenzten Kriege in der Region von drei auf vier.
  • In Asien und Ozeanien verzeichnete das HIIK wie in den vergangenen Jahren keinen Krieg. Die Zahl der begrenzten Kriege sank leicht von fünf auf vier. Während der Konflikt zwischen Indien und Pakistan sowie der Unabhängigkeitskonflikt um Papua in Indonesien de-eskalierten, eskalierten der Autonomiekonflikt in Myanmars Bundesstaaten Kayah und Karen sowie der Konflikt zwischen kommunistischen Rebellengruppen und der philippinischen Regierung.
  • Anders als in den letzten Jahren wurde mit dem Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien erstmals ein Krieg in Europa verzeichnet, während der Donbass-Konflikt in der Ukraine als begrenzter Krieg weitergeführt wurde.

Zwischenstaatliche Konflikte

Der Großteil der vom HIIK dokumentierten zwischenstaatlichen Konflikte wurde auch 2020 nicht gewaltsam ausgetragen. Verglichen mit den vergangenen zehn Jahren, wurde im aktuellen Untersuchungszeitraum jedoch ein markanter Anstieg gewaltsamer Konflikt-Dyaden verzeichnet. Während 2019 elf zwischenstaatliche Konfliktbeziehungen durch Gewalt gekennzeichnet wurden, stieg diese Zahl 2020 auf 19. Auch wenn der begrenzte Krieg zwischen Indien und Pakistan de-eskalierte, wurde mit der Auseinandersetzung zwischen Armenien und Aserbaidschan der erste zwischenstaatliche Krieg seit 2012 beobachtet.

Das jährliche Heidelberger Konfliktbarometer kann auf der Homepage des HIIK kostenlos heruntergeladen werden. Der Bericht erscheint in englischer Sprache.

Maximilian Brien hat Politische Ökonomik an der Universität Heidelberg studiert und ist Vorstandsmitglied und Co-Chefredaktor des Konflikt Barometers 2020.
Giacomo Köhler studiert im Master Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg und ist Vorstandsmitglied und Co-Chefredaktor des Konflikt Barometers 2020.
Maximilian Orth studiert im Master Security Risk Management an der Universität Kopenhagen und ist Vorstandsmitglied als Leiter des Kommunikations Gremiums.

Definitionen – Der Heidelberger Ansatz

Politischer Konflikt:

Ein politischer Konflikt ist eine Positionsdifferenz hinsichtlich gesamtgesellschaftlich relevanter, immaterieller oder materieller Güter – den Konfliktgegenständen – zwischen mindestens zwei als durchsetzungsfähig wahrgenommenen direkt beteiligten Akteuren, die mittels beobachtbarer und aufeinander bezogener Konfliktmaßnahmen ausgetragen wird.
Diese Maßnahmen gelten als konstitutiv für einen Konflikt, sofern sie außerhalb etablierter Regelungsverfahren liegen und eine staatliche Kernfunktion oder die internationale Ordnung bedrohen oder eine solche Bedrohung in Aussicht stellen.

Intensitätsstufen:

Es werden insgesamt fünf Intensitätsstufen unterschieden: Disput, gewaltlose Krise, gewaltsame Krise, begrenzter Krieg und Krieg.
Die gewaltsame Krise, der begrenzte Krieg und der Krieg bilden zusammen die Kategorie der Gewaltkonflikte, im Unterschied zu den gewaltfreien Konflikten.

Indikatoren:

Zur Ausdifferenzierung des Gewaltkonflikts werden als weitere Kriterien die zur Durchführung der gewaltsamen Konfliktmaßnahmen eingesetzten Mittel und die Folgen des Gewalteinsatzes herangezogen.
Die Dimension der Mittel umfasst die Indikatoren Waffeneinsatz und Personaleinsatz, die Dimension der Folgen ferner die Indikatoren Todesopfer, Zerstörung und Geflüchtete (Flüchtlinge sowie Binnenvertriebene).

Eine ausführliche Darstellung der Methodik findet sich unter hiik.de/hiik/methodik/.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2021/2 Völkerrecht in Bewegung – Von Kritik, Krisen und Erneuerung, Seite 41–42