Globale/lokale Krisen im Blick
52. Kolloquium der AFK, Online-Veranstaltung, 17.-19. März 2021
von Claudia Cruz Almeida, Alexander Kusnezow, Elke Verlinden
Im März 2021 fand das 52. AFK-Kolloquium unter dem Titel »Globale/lokale Krisen als Herausforderung für die Friedens- und Konfliktforschung« in Kooperation mit der Universität Magdeburg statt. In ihrer Einleitung erinnerte die AFK-Vorsitzende Prof. Dr. Bettina Engels an die pandemiebedingte Absage des Kolloquiums 2020, weshalb das Kolloquium 2021 das gleiche Schwerpunktthema behandelte, das aber keineswegs weniger relevant geworden sei. Das letzte Jahr habe vielmehr gezeigt, so Engels, wie eine globale Krise strukturelle Ungleichheiten und Populismus verstärken könne und wie viele Konflikte und strukturelle Konfliktursachen im Kontext einer globalen Krise in Vergessenheit geraten können. Der Leiter des Magdeburger Organisationsteams Prof. Dr. Alexander Spencer hob die große Resonanz auf die Tagung hervor. Mit über 250 internationalen Teilnehmenden erreichte die AFK die größte Teilnehmendenzahl eines Kolloquiums in ihrer Geschichte.
Keynote: Kritische Analyse von Machtverhältnissen
Die Keynote zum Thema »Global/Local Crises as Challenges for Peace and Conflict Studies: A Feminist Perspective from the African Continent« hielt Prof. Dr. Amina Mama (University of Ghana). In ihrem Vortrag zeigte sie auf, wie die Vergangenheit kolonialer Herrschaft in vielen afrikanischen Staaten und Gesellschaften weiterhin vielfach sichtbar sei und ebenso noch stets Konsequenzen trage. So sei ein fortbestehender Militarismus eine dieser Folgen der höchst militarisierten kolonialen Herrschaft und noch heute zentrale Antriebskraft hinter vielen gewaltsamen Konflikten, Armut und genderbezogener Gewalt. Mit Beispielen, unter anderem von den (zwangsweisen) Einsätzen afrikanischer Soldaten in beiden Weltkriegen, den heutigen Konditionen für internationale Unterstützungsprojekte, der geostrategischen Stationierung US-amerikanischer Soldat*innen auf dem afrikanischen Kontinent, des Extraktivismus und der Waffenexporte, legte Prof. Dr. Mama dar, wie Staaten aus dem globalen Norden noch immer zur Militarisierung und Abhängigkeit afrikanischer Staaten beitragen. Sie betonte auch, dass diese Kultur der Gewalt mitunter durch Popkultur weiter verbreitet wird.
Sie rief dazu auf, kritisch zu hinterfragen, wer von Kriegen und militärischen Konflikten profitiere, und den Trend steigender Budgets für Militärausgaben umzukehren. Hierfür seien transdisziplinäre und transnationale Forschungs- und aktivistische Ansätze nötig. Solche müssten gleichermaßen die lokale wie die globale Vernetzung der Akteure betrachten, aber auch den Blick über Gewalt hinaus darauf werfen, welche Machtkonstellationen bestehen und welche Kontextfaktoren Gewalt begünstigen.
Roundtable zur Evaluierung der Friedens- und Konfliktforschung
Zur durch den Wissenschaftsrat erfolgten Evaluierung der Friedens- und Konfliktforschung organisierte der AFK-Vorstand einen Roundtable. Nach einleitenden Beiträgen von Dr. Conrad Schetter (BICC), Prof. Dr. Margit Bussmann (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Malte Göttsche (RWTH Aachen, FONAS) diskutierten die Teilnehmenden intensiv über zentrale Themen der Evaluation, unter anderem über die Stärkung der naturwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland, über das Spannungsfeld von politischer Nähe und Relevanz sowie über die BMBF-Förderlinie zur Vernetzung der Friedens- und Konfliktforschung, die im Nachgang der Evaluierung veröffentlicht wurde. Mit dem Roundtable sollte ein Anstoß zur weiteren Diskussion möglicher Entwicklung der Friedens- und Konfliktforschung sowie zu Überlegungen zur (interdisziplinären) Vernetzungsarbeit der AFK, auch zwischen Standorten, gegeben werden.
Panels und Arbeitskreise: Zentrale Themen in der Erforschung »glokaler« Krisen
Inhaltlich deckten die Beiträge zum AFK-Kolloquium ein breites Spektrum an Themen, Ansätzen und Methoden ab. Panelübergreifend können einige zentrale Themen herausgestellt werden: So waren die verschiedenen Machtkonstellationen im Verhältnis des Globalen Norden zum Globalen Süden ein zentrales Element diverser Panel-Diskussionen. Hierbei wurden in den Beiträgen sehr häufig postkoloniale und feministische Perspektiven eingenommen, um ein Thema weitreichend wissenschaftlich beleuchten, diskutieren und analysieren zu können. Die besagten Perspektiven dienten nicht nur als Diskussions- und Analysegrundlagen, sondern eröffneten neue Wege für das Verständnis von Gewalt, Macht und Frieden in den jeweiligen Fallbeispielen. Auch wurden viele Themen als »glokal« eingeordnet und entsprechend in dieser Multidimensionalität besprochen.
Ein besonderes Augenmerk wurde zudem auf grundsätzlichere Fragen und Herausforderungen geworfen. Hier stachen die Relevanz von Vertrauen in der lokalen Bevölkerung für Aktionen und Engagement jeder Art, Diskussionen zum potentiell systemstabilisierenden Charakter von Aktivismus und den allgemeineren Problemen von internationalisiertem Aktivismus (beispielsweise die Frage, ob die Projekte als Ausdrücke eines internationalisierten Arbeitsmarktes gesehen werden können) hervor. Angesichts der unterschiedlichen Machtkonstellationen wurde u.a. dafür plädiert, intersektionale Analysen durchzuführen, die diese berücksichtigen.
Ein weiteres zentrales Thema der Konferenz war die Frage, inwiefern Gender-sensitive und feministische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung noch weiter vertieft und für die Erlangung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse genutzt werden können. Bei mehreren Gelegenheiten wurde Besorgnis über populistische Bewegungen geäußert, die Gender als »symbolic glue«1 betrachten, und über Länder, in denen ganze Forschungsrichtungen wie »Gender Studies« verboten wurden. Viele Tagungsteilnehmer*innen werteten diese Entwicklungen als eine Gefahr für Freiheiten und individuelle Rechte. Angesichts dieser Herausforderungen schlugen die Sprecher*innen beispielsweise einen starken Zusammenschluss verschiedener Akteur*innen, die Entwicklung eines Netzwerks, um die Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter weiter zu fördern und zu festigen, sowie generationsübergreifende Bündnisse und Allianzen mit allen Arten von Bewegungen, Frauen*, Männern und LGBTQI+ Kollektiven vor.
Zusätzlich zu den klassischen Panelformaten und alternativen Formaten zum Tagungsthema fanden auch darüber hinausgehende Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung ihren Platz. So wurden ein Workshop zur Bearbeitung von Dilemmata in politischen Krisen und Konflikten, eine Fishbowl zur Rolle von Theorie für und in der Friedens- und Konfliktforschung sowie ein Panel zu »Data Constraints and Biases in Peace and Conflict Studies« angeboten. Zudem organisierten die Frauenbeauftragten der AFK einen Workshop zur strategischen Zukunftsgestaltung des »Netzwerks Friedensforscherinnen«.
Trotz der Online-Veranstaltung ist es zudem gelungen, ein breites Angebot an alternativen, interaktiven Formaten anzubieten, in denen das interaktive Element sehr gut funktionierte. Insgesamt umfasste das AFK-Kolloquium nicht weniger als acht Fishbowls, Roundtables, Workshops, Storytellings und andere Formate sowie nicht zuletzt die Treffen der Arbeitskreise.
Die Arbeitskreise innerhalb der AFK sind für die Vernetzung und thematische Zusammenarbeit von Friedens- und Konfliktforschenden auch außerhalb der jährlichen AFK-Kolloquien von großer Bedeutung. Während im vergangenen Jahr viele Workshops und Treffen ausfallen mussten, kamen im Rahmen des 52. Kolloquiums wieder viele Arbeitskreise zusammen.
Christiane-Rajewsky-Preis und Mitgliederversammlung
Jährlich vergibt die AFK einen Nachwuchspreis an junge Wissenschaftler*innen, die mit ihrer Masterarbeit oder Dissertation einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben. Der Preis ist dem Andenken der Friedensforscherin Prof. Christiane Rajewsky gewidmet. Die Preisjury vergab den diesjährigen Nachwuchspreis unter Vorsitz von PD Dr. Gabi Schlag an drei junge Forscherinnen: Theresa Leimpek (ETH Zürich) erhielt die Auszeichnung für ihre Dissertation »A Theory of Internal Displacement in Civil War: Rebel Control and Civilian Movement in Sri Lanka«; Annalena Pott (University of Oxford) wurde für ihre Masterarbeit »Pride or Prejudice? Exploring the Construction of Homosexuality in post-Euromaidan Ukraine« ausgezeichnet; an Eva Willems (Universiteit Ghent) ging der Preis für ihre Dissertation »Open Secrets & Hidden Heroes. Violence, Citizenship and Transitional Justice in (Post-)Conflict Peru«.
Aufgrund der Absage des AFK-Kolloquiums 2020 wurden in diesem Jahr die Preisverleihungen für die Jahre 2020 und 2021 gemeinsam ausgerichtet. In einer digitalen Abendveranstaltung führten Dr. Werner Distler (Jury-Vorsitzender 2018-2020) und PD Dr. Gabi Schlag mit den drei diesjährigen Preisträgerinnen sowie jenen aus 2020, Anne-Katrin Kreft und Pia Falschebner, ein Podiumsgespräch.
Während der diesjährigen AFK-Mitgliederversammlung, die ebenfalls online stattfand, wurden die Wahlergebnisse der Vorstandswahl bekannt gegeben. Die Wahl hatte im Vorfeld digital stattgefunden. Zur ersten Vorsitzenden und Nachfolgerin von Prof. Dr. Bettina Engels, die nicht mehr kandidierte, wurde Dr. Simone Wisotzki (HSFK) gewählt. Zweite Vorsitzende wurde Prof. Dr. Eva Maria Hinterhuber (Hochschule Rhein-Waal). Als Beisitzer*innen wurden außerdem in den Vorstand gewählt: Prof. Dr. Andrea Schneiker (Zeppelin Universität Friedrichshafen), Prof. Dr. Nils Weidmann (Universität Konstanz) und Prof. Dr. Timothy Williams (Universität der Bundeswehr München). Als Frauenbeauftragte wurden Christine Buchwald (Universität Koblenz-Landau) und Madita Standke-Erdmann (Universität Wien) gewählt. Prof. Dr. Alexander Spencer (Beisitzender 2018-2021) sowie Lena Merkle (Frauenbeauftragte 2018-2021) schieden aus dem Vorstand aus. Nachwuchssprecher*innen sind David Haase (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg), Astrid Juckenack (ZfK Marburg), Lilli Kannegießer (Universität Augsburg) und Stefanie Wesch (Potsdam Institute for Climate Impact Research).
Besonderheiten einer online-Veranstaltung und 30 Jahre Netzwerk Friedensforscherinnen
Um den sozialen Charme eines unter normalen Umständen stattfindenden Kolloquiums zumindest in seinen Grundzügen zu erhalten, wurde das Online-Tool »Gather.town« verwendet. Dies erlaubte es allen Teilnehmenden, sich in einem offenen Raum in der digitalen Sphäre zu treffen, frei zu bewegen und auszutauschen. Das Angebot war während der gesamten Veranstaltung nutzbar und wurde sehr gut angenommen. Neben Unterhaltungsräumen und einer virtuellen Bar konnten interessierte Personen eine digitale Ausstellung zum 30+1-jährigen Bestehen des »Netzwerks Friedensforscherinnen« besuchen. Weiterhin bestand die Möglichkeit, sich an zwei Ständen zur ZeFKo sowie zur Zeitschrift Wissenschaft und Frieden zu informieren und sich mit den jeweiligen Herausgeber*innen und Redakteur*innen auszutauschen.
Auch wenn ein digitales AFK-Kolloquium eine Präsenzveranstaltung in keiner Weise ersetzen kann, ist durch die vielfältigen Austauschmöglichkeiten und Formate dennoch eine lebendige Tagung mit vielen persönlichen Kontaktmomenten gelungen.
Anmerkung
1) Der Begriff soll verdeutlichen, wie sich rechtspopulistische Bewegungen als Antwort auf die neoliberale Krise und mit dem Ziel der Wählermobilisierung um eine »Anti-Gender«-Haltung organisieren und Geschlechtergleichheit als »Ideologie« präsentieren.
Claudia Cruz Almeida, Alexander Kusnezow, Elke Verlinden