Hijacking einer Revolution
von Damon Taleghani
„Debattieren können wir nach der Revolution“ – so der Tenor vieler Angehöriger der iranischen Diaspora im »Globalen Norden«. Jetzt ginge es erst einmal um Einheit, »etehad«, alles andere würde den gemeinsamem Kampf gegen die Islamische Republik nur unnötig schwächen. So dominieren von Beginn an auch eher solche Protagonist_innen die Medienberichterstattung, die einen vermeintlich objektiven Menschenrechtsaktivismus für sich beanspruchen. Da hat niemand Zeit für Debatten, im Gegenteil, zu viel Kritik ist tendenziell verdächtig. Verhindert werden aber kritische Auseinandersetzungen darüber, wofür hier eigentlich genau gekämpft und sich solidarisiert wird. Die Islamische Republik mordet unterdessen wie immer unbekümmert weiter.
Die Liste an bürgerlichen »Revolutions«-Influencer_innen ist lang, ihre Kontakte zu Regierungsparteien oder Organisationen wie der Deutschen Atlantischen Gesellschaft oder dem Pahlavi-nahen »Iran Transition Council« zahlreich. Die sozialen und politischen Positionen dieser Charaktere stehen dabei in krassem Gegensatz zu denen der oftmals ethnischen Minderheiten angehörenden Arbeiter_innen und mehrheitlich jungen Arbeitslosen, die in den ärmsten Provinzen Irans unter Einsatz ihres Lebens auf die Straße gehen, um für ein anderes Leben zu kämpfen.
Dieses »andere Leben« schließt auch Veränderungen der Besitzverhältnisse und des Wirtschaftssystems in Iran mit ein. Für diese grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderungen kämpften und starben Linke auch schon unter der Diktatur der Pahlavis und in den 1980ern, als die Islamische Republik Linke aller Parteien massakrierte. Diese historischen und sozialen Realitäten muss ein prokapitalistische »Iran-Bewegung« zwangsläufig relativieren oder verschweigen, weil sie sonst auch grundlegende Fragen zur Rolle Deutschlands im globalen Kapitalismus beantworten müsste. Weil das unangenehm wäre, hält nun ein „menschenrechtlicher Ausnahmezustand“, der in Wahrheit seit Jahrzehnten herrscht, als Legitimation für jede nur denkbare politische Allianz her, auch mit Politiker_innen von CDU und FDP, die sich jetzt unter dem linksradikalen PKK-Slogan »Jin Jiyan Azadi« ablichten lassen.
All diese selbsternannten deutschen Vertreter_innen der »Women, Life, Freedom«-Bewegung eint, dass sie die Bundesregierung oder wahlweise die Europäische Union als mögliche Befreier der Bevölkerungen Irans betrachten. Historische Beispiele für eine Befreiung und Demokratisierung irgendeines Landes in Westasien (oder der Erde) durch EU oder BRD gibt es natürlich keine – im Gegenteil, Deutschland ist weiterhin Irans Wirtschaftspartner Nr. 1 in der EU.
Aber ein gewisser »Iranischer Exzeptionalismus« – also im Grunde ein ganz alltäglicher Nationalismus, ein nationalistisches Überlegenheitsgefühl, gemischt mit politischem Opportunismus – dient als Grundlage für die Annahme, dass die geopolitische Realität für »uns« nicht gilt. Dieses nationale Selbstbild basiert, wie jeder andere Nationalismus auch, auf mächtigen Märchen, die gerade in den vergangenen Wochen wieder im Rückbezug auf die ehemals herrschende Pahlavi-Familie erzählt werden. So wie die Erzählung von der »jahrtausendealten Zivilisation der Perser«. In Wirklichkeit werden hier unzählige ethnisch, religiös und territorial völlig unterschiedliche Dynastien und widersprüchliche historische Fragmente zu einer Nationalerzählung verwoben, deren Hauptziel die »Einheit« der Nation, also die Unterwerfung aller ausgebeuteten Ethnien und Klassen durch ein Staatsprojekt, das äußerlich seine Form verändert, aber in seiner Essenz stets nationalistisch, kapitalistisch und auch militaristisch bleibt.
Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit wird historisch wie aktuell immer als erstes aus den Forderungskatalogen gestrichen, wenn Menschen gegen ihre Unterdrückung protestieren. So war es 1921 und nach der iranischen Revolution 1979.
Ende letzten Jahres forderte Düzen Tekkal vom Bundestag in einer Petition mit über 63.000 Unterschriften, dass Exil-Iraner_innen vom deutschen Verfassungsschutz »beschützt«, also wohl auch beobachtet werden sollen.
Vielleicht zeigt dieses Beispiel, was im Kleinen passiert, wenn Linke in Deutschland nicht ihre Stimmen gegen das »Hijacking« einer Bewegung der Entrechteten und Ausgebeuteten durch Eliten und ihre Helfershelfer_innen erheben und sich gegenseitig bilden. Gerade weil wir gewisse Freiheitsrechte und Ressourcen zur Verfügung haben, tragen wir auch die Verantwortung, uns kollektiv mit den geopolitischen Interessen der Staaten auseinanderzusetzen, in denen wir leben, von der BRD bis in die USA. Dafür ist es unerheblich, ob man Teil der iranischen Diaspora ist oder nicht. Wer »Freiheit« nicht nur für die besitzende Klasse fordert, ist hier gefragt.
Damon Taleghani ist Autor und Künstler.
Zur ausführlicheren Fassung dieses Kommentars: wissenschaft-und-frieden.de/blog