W&F 2015/4

Im/Mobilität und Konflikt

Internationale Konferenz bei der HSFK, 2.-4. September 2015, Frankfurt

von Sabine Mannitz

Als hätten sie die aktuelle Zuspitzung des Migrationsdrucks auf die EU geahnt, veranstalteten das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), das Institut für Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt und das europäische Netzwerk Peace and Conflict Studies in Anthropology (PACSA) Anfang September in Frankfurt eine internationale Konferenz zum Thema »Im/mobilities: Products and Generators of Conflict«. Im Mittelpunkt stand die Ambivalenz von Mobilität und Immobilität: Während die Welt zunehmend von der Wanderung und Zirkulation von Menschen, Ideen und Gütern geprägt ist, rufen dieselben Prozesse auch Einschränkungen, Exklusion und Immobilität hervor. Um zu beleuchten, wie solche Dynamiken in Konflikt- und in Friedenssituationen wirken, lag der Fokus thematisch auf der (Re-) Produktion von Machtbeziehungen und Identitäten in der sozialen Alltagspraxis.

Ein Eröffnungsvortrag von Professor Tobias Kelly, University of Edinburgh, unter dem Titel »The immobility of human rights« bildete am 2. September den Auftakt. Er beleuchtete das Dilemma, dass die Menschenrechte, die zu den global am weitesten gereisten Ideen zählen, auf der Praxisebene an konkrete Akteure und Orte gebunden sind und auch die Wahrnehmung und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in spezifische soziale und kulturelle Kontexte eingebettet ist. Die daraus resultierenden Ungleichgewichte der Dokumentation und Repräsentation lassen wiederum nur einen Teil der Fälle in den globalen Kommunikationsfluss wandern, während ein weitaus größerer Teil als ortsgebundene Praxis bagatellisiert und damit zugleich »immobilisiert« wird: Wo alltägliche Gewalterfahrungen an der Tagesordnung sind, werden Menschenrechtsverletzungen nicht unbedingt als solche wahrgenommen. Gerade weil die Menschenrechte »von weit her kommen« und zu den prominentesten Aushängeschildern der Vereinten Nationen zählen, haftet ihnen ein Nimbus an. Nicht wenige Opfer von Folter und Gewalt bringen das Menschenrechtskonzept daher nicht mit ihren eigenen Belangen in Zusammenhang.

Mehr als dreißig Teilnehmer/innen aus elf Ländern präsentierten und diskutierten im Verlauf der beiden anschließendenTage ihre Forschungsarbeiten zu sozialen Erscheinungsformen und Handlungsstrategien sowie Ursachen, Wirkungen und Widersprüchen von Im/mobilitätsprozessen aus der Perspektive einer ethnologischen Friedens- und Konfliktforschung. Mobilität ist ein Schlüsselkonzept der zeitgenössischen ethnologischen Theoriebildung: Der globale »travel of ideas« und daran anschließende Prozesse der Übersetzung, Lokalisierung oder Anpassung von Normen, Konzepten und Handlungsstrategien bildeten dementsprechend einen thematischen Schwerpunkt. Während unter den Anwesenden große Einigkeit darüber herrschte, dass diese kulturellen Bearbeitungsformen als Rahmenbedingungen politischen Handelns verstanden sein wollen, scheint ein Großteil der (insbesondere entwicklungs-) politischen Praxis weiterhin von Modernisierungstheorien und einem Denken in Modellen geleitet zu sein, die Probleme der Passfähigkeit erzeugen.

Eine große Anzahl der Konferenzbeiträge widmete sich überdies verschiedenen Aspekten des globalen Migrationsgeschehens. Dass Wanderungsprozesse zur Geschichte der Menschheit gehören und dies trotz nationalstaatlicher wie auch internationaler Bestrebungen um Steuerung und Kontrolle weiterhin so bleiben wird, ist unter EthnologInnen unstrittig. Mehr und mehr lassen sich jedoch im Umgang mit Migration neben der Hierarchisierung von erwünschten (vornehmlich den hochqualifizierten) gegenüber unerwünschten (Armuts-) MigrantInnen auch folgenreiche Praktiken expliziter Immobilisierung feststellen: Von der Errichtung physischer Grenzen über die Internierung von Flüchtlingen bis hin zur Verweigerung von Aufenthaltstiteln, welche zu Mobilität berechtigen sowie den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt ermöglichen, ist ein Instrumentarium an Restriktionen zur Governance-Routine geworden, das den geografischen, sozialen, politischen und kulturellen Bewegungsraum der betroffenen Menschen empfindlich einschränkt.

Bei diesem Thema wurde deutlich, dass ethnografische Forschung sich in besonderer Weise eignet, die Unwägbarkeiten von Im/mobilitäts-Dynamiken offenzulegen. In Anbetracht der bestehenden Restriktionen entwickeln »immobilisierte MigrantInnen« Strukturen der Selbstorganisation und investieren in Techniken der Grenzüberschreitung, die sie teilweise Pioniere sein lässt, wo sie zu Parias gemacht werden. So stieß ein niederländisches Projektteam in seiner Forschung in Zentralafrika auf Kriegsflüchtlinge, die mittels mobiler Informations- und Kommunikationstechnologien transnationale Brücken zwischen ihrem Leben im Exil und den verschiedenen Herkunftsregionen schlagen, auf denen Wissen über das Konfliktgeschehen an verschiedenen Orten, Informationen über Versorgungs- und Zufluchtsmöglichkeiten oder Rückkehroptionen ausgetauscht werden. Als Vermittler, die zwischen den Friedensräumen und den Konfliktzonen Zentralafrikas Verbindungen schaffen, übernehmen sie für die soziale Bewältigung der Konfliktfolgen eine wichtige Funktion und bieten zugleich strukturelle Anknüpfungspunkte für Friedensinitiativen.

Sabine Mannitz

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/4 Deutsche Verantwortung – Zäsur oder Kontinuität?, Seite 50–51