W&F 2017/2

Konflikte analysieren – wie, was und wozu?

Workshop der AFK, 28./29. Oktober 2016, Augsburg

von Lina Knorr und Christoph Weller

Wozu und auf welche Weise machen wir Konfliktanalysen? Wenn auch nur selten der Nutzen einer Konfliktanalyse prinzipiell in Frage gestellt wird, unterscheiden sich doch die Herangehensweisen fundamental: Wollen die einen den analysierten Konflikt lösen, befriedigen andere lediglich ihre wissenschaftliche Neugier, und wieder andere thematisieren den (politischen) Einfluss, den die Analysen selbst auf die Transformation von Konflikten nehmen.

Um solche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten des Konfliktanalysierens herauszuarbeiten, hatte die Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) in Kooperation mit dem Augsburger Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung und dem Friedensbüro der Stadt Augsburg für den 28./29. Oktober 2016 zu einem Workshop nach Augsburg eingeladen. An dessen Ende wurde offensichtlich, dass die jeweilige Antwort auf das »Wozu?« für die größten Unterschiede zwischen den verschiedenen analytischen Zugängen zu Konflikten verantwortlich ist: auf der einen Seite die sozialwissenschaftliche Neugier (Köhler) oder der Anspruch, Konfliktdynamiken zu verstehen (Schilling), auf der anderen die Reflexion der in Sprache und Struktur unserer Konfliktanalysen enthaltenen Kurzschlüsse über fremde Kulturen (Hussak/Saulich) oder noch grundsätzlicher die Reflexion des gesellschaftspolitischen Eingriffs jeder Konfliktanalyse auf die ständige Transformation politischer Konflikte (Gulowski). So schien das gesamte Spektrum konfliktanalytischer Herangehensweisen bei diesem – von der Stiftung »quid verum« und dem »Haus der Stifter« finanziell geförderten – Workshop vertreten und lieferte ausreichenden Konfliktstoff für intensive wissenschaftliche Debatten (für das Workshop-Programm siehe afk-web.de).

Friedrich Glasl (Salzburg) eröffnete mit seiner Keynote die inhaltlichen Diskussionen, nachdem der städtische Kulturreferent Thomas Weitzel und die AFK-Geschäftsführerin Christine Schnellhammer die insgesamt über 70 Teilnehmer*innen im Augsburger Zeughaus begrüßt hatten. Weil es gewissermaßen die Abschiedsveranstaltung der AFK-Geschäftsstelle in Augsburg war (sie ist im November 2016 an die Hochschule Rhein-Waal nach Kleve umgezogen), betonten beide die außerordentlich fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit in den zurückliegenden sechseinhalb Jahren.

Vor dem Hintergrund des Workshop-Titels mit den Fragen »Wie, was und wozu?« hob Glasl in seiner Präsentation die spezifischen Funktionen einer Konfliktanalyse im Rahmen einer auf Einladung der Konfliktparteien stattfindenden Konfliktintervention hervor. Hierbei machte er detaillierte Angaben zu seinem Modell und stellte unterschiedliche Interventionsrichtungen, Eskalationsgrade und Dimensionen seiner Konfliktanalyse vor. Zentraler Aspekt sei jedoch, dass eine solche Konfliktanalyse lediglich auf Einladung der Konfliktparteien durchgeführt werden könne.

An diese Diskussionen mit Prof. Glasl schloss unmittelbar das erste Panel an, in dem Svenja Gellert (München) ihre Arbeit bei der Organisation AKIM (Allparteiliches Konfliktmanagement in München) vorstellte. Ähnlich wie bei der interventionsorientierten Konfliktanalyse nach Glasl setzt das AKIM ebenfalls auf die Einladung der Konfliktparteien. Auch wenn die Mitarbeiter*innen teilweise teilnehmende Beobachtungen durchführen, so werden sie im Allgemeinen erst tätig, wenn sie von Betroffenen dafür angefragt werden. Im Gegensatz zu Glasl jedoch setzt das AKIM nicht auf Intervention von außen, sondern auf das Zustandekommen einer unmittelbaren Zusammenarbeit der Konfliktparteien mit dem Ziel einer gemeinsamen Gestaltung des Sozialraums.

Dieser Ansatz einer kommunalen Konfliktmanagement-Institution wurde kontrastiert durch eine akteursorientierte Konfliktanalyse, die Janpeter Schilling (Hamburg/Koblenz-Landau) am Beispiel seiner Forschungsarbeiten in Kenia vorstellte. Mit seiner Herangehensweise zielt er darauf ab, die Anbindungsfähigkeit etablierter Konfliktanalysekonzepte zu prüfen und gegebenenfalls konzeptionelle Schwachstellen aufzuzeigen. Übergeordneter Zweck ist ein verbessertes Verständnis für Konfliktdynamiken und die Weiterentwicklung entsprechender Forschungsansätze.

Auch im zweiten Panel lag der Fokus auf »fernen« Konflikten, und bezogen darauf wurden unterschiedliche Analysetools diskutiert. Cordula Reimann (Bern) berichtete von der Arbeit ihrer Organisation »core. consultancy & training in conflict transformation«. Ihr liegt das Ziel zugrunde, Konflikte zu transformieren, gegebenenfalls durch Intervention, jedoch immer mit der Prämisse des »Do No Harm«-Ansatzes. Reimann setzt in ihrer Arbeit auf Prozessgestaltung und systemische Konfliktanalysen. Als eine der Hauptherausforderungen in der Analyse von Konflikten beschrieb sie die Erfassung der Komplexität angesichts der Notwendigkeit der Reduktion in der Transformationsberatung.

Aus einer ganz anderen Perspektive beschrieb Wolfgang Schreiber (Hamburg) seine Forschung und die Probleme, die er in der Konfliktanalyse sieht. Selbstkritisch machte Schreiber auf die Probleme bei der Erstellung von Datenbanken aufmerksam und wies durch Vergleiche auf die Schwachstellen unterschiedlicher Konflikt-Datenbanken hin. Deutlich wurde, dass auch bei solch quantitativ ausgerichteten Analysen die Subjektivität der Analysierenden bzw. Autor*innen einen maßgeblichen Einfluss auf den Datenkorpus haben kann. Dieser Problematik wird jedoch – so Schreiber – nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Gleichzeitig werden manche Datenbanken durch den Zwang zur Erstellung von Kurztexten über die einzelnen Konflikte – beispielsweise um die Aufmerksamkeit von Massenmedien zu erreichen –, deren Komplexität nicht gerecht. Die sich anschließende Diskussion fokussierte dann stark auf die Kompatibilität von Kriegsstatistiken mit massenmedialen Logiken im Hinblick auf politische Wirkung dieser Form von Konfliktanalysen.

Der zweite Tag des Workshops brachte das Thema der Gewalt in Konflikten näher in den Fokus der Diskussion. Jan Köhler (Berlin), der seit längerer Zeit in Afghanistan forscht, verdeutlichte in seiner Präsentation, dass Konfliktanalysen uns ein Verständnis über gesellschaftliche Ordnung vermitteln, weshalb Konflikte nicht als negative Ereignisse klassifiziert werden sollten, sondern lediglich die Gewalt, die in ihnen aufkommen kann. Das »Wozu« seiner Forschung siedelte er vor allem in seiner sozialwissenschaftlichen Neugierde an, während anschließend Marcus Linde (Sozialarbeiter in Köln) die Gewaltverhinderung in den Mittelpunkt seines Referats stellte. Er thematisierte die Gewalt als zentrale Herausforderung, sowohl die Gewaltanwendungen gegen ihn und seine Kolleg*innen als auch die Gewalt, die von Sozialarbeiter*innen selbst ausgehen kann. Er bezeichnete Sozialarbeit als eine Form der gewaltvollen Arbeit in beide Richtungen. Die Aufgabe von Sozialarbeiter*innen sei es daher, die Konflikte zu analysieren, um im nächsten Schritt aktiv Gewaltgefahren zu minimieren. Konfliktanalysen dienen ihm daher als Seismographen oder auch als »Feuerlöscher« für Gewalt.

Im vierten und letzten Panel des Workshops wandten sich Nicolas Schwank (CONIAS, Mannheim), Rebecca Gulowski (Augsburg), Melanie Hussak und Christina Saulich (Koblenz-Landau) den epistemologischen (erkenntnistheoretischen) Aspekten von Konfliktanalysen zu. Schwank thematisierte die Herausforderung der externen Finanzierung von Analysen: Bei der Arbeit von »Conias Risk Intelligence« gehe es darum, Geschäftsrisiken durch Einschätzungen politischer Konflikte besser einordnen zu können. Konfliktanalysen werden daher nach den Erwartungen von Auftraggebern entwickelt. Der zentrale Aspekt sei hierbei die Feststellung von Kriegsrisiken in bestimmten Territorien, aber nicht, wer diese produziert oder wie sie sich reduzieren ließen.

Eine ganz andere Perspektive auf Konfliktanalysen brachte Rebecca Gulowski (Augsburg) ein. Ihre Forschung basiert auf der erkenntnistheoretischen Prämisse, dass das forschende Subjekt auch immer Teil der Objektwelt ist, die Forscher*in also auch selbst in den Fokus der Analyse fällt und fallen muss, gerade bei der Analyse von Gewalt als Konfliktaustragungsform. Dafür erweitert sie ihre Analysen um die verkörperte, sinnlich erfahrbare Erkenntnis und bezieht damit auch nicht sprachlich Gefasstes in ihre Forschung mit ein. Ganz anders als bei den vorhergehenden Konfliktanalysen wird hier nicht »der Konflikt« analysiert, sondern was »wir«, die Analysierenden, als »Konflikt« wahrnehmen.

Auch in der Präsentation von Melanie Hussak und Christina Saulich (Koblenz-Landau) stand die Epistemologie der Konfliktanalyse im Zentrum. Ihrer Ansicht nach sind Weltanschauungen, Konfliktanalyse und Konfliktbearbeitung nicht voneinander trennbar, sondern untereinander abhängig und beeinflussen sich wechselseitig – wissenschaftlich formuliert: Sie sind innerhalb eines ontologischen und epistemologischen Holismus miteinander verbunden. In Anknüpfung an einen »Local Turn« der Konfliktanalyse, der versucht, lokale und kulturelle Kontexte in die Forschung miteinzubeziehen, betonten sie die Bedeutung auch der eigenen kulturellen Prägungen und daraus resultierende Blindstellen. Das »Wozu? « liegt demnach weder im verbesserten Verständnis für Konfliktdynamiken noch in der deeskalierenden Intervention, sondern in der Reflexion der eignen Vorentscheidungen und Kurzschlüsse über »fremde« Konflikte und Konfliktkulturen.

Zum Abschluss des Workshops verdeutlichte Christoph Weller (Augsburg) mit seinem Versuch, die unterschiedlichen Antworten aller Präsentationen auf die Frage »Wozu Konfliktanalyse?« in eine Ordnung zu bringen, die große Breite und Vielfalt der Zielsetzungen von Konfliktanalysen. Hierbei wurde deutlich, dass ein einheitliches Modell oder eine vereinheitlichende Methode von Konfliktanalysen weder zu erwarten noch anzustreben sei. Dass aber der intensive Austausch zwischen den unterschiedlichen Ansätzen außerordentlich hilfreich und weiterführend ist, war breiter Konsens unter den aktiven wie passiven Teilnehmer*innen.

Lina Knorr und Christoph Weller

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/2 Flucht und Konflikt, Seite 60–61