W&F 1996/3

Nachhaltigkeit durch Kosteninternalisierung

Zur Analyse und Reform globaler Strukturen

von Mohssen Massarrat

Der Kapitalismus hat in den letzten 250 Jahren Reichtümer und Wohlstand großen Ausmaßes hervorgebracht. Bewirkt wurde dies durch die Wechselwirkung zwischen einer dynamischen Ressourcen-Mobilisierung und einer effizienten Allokation von Produktionsfaktoren, produzierten Gütern und Dienstleistungen durch Marktsteuerung, technischen Fortschritt, Ausbau des Handels und Nutzung von komparativen Kostenvorteilen. In diesem Sinne hat die klassische und neoklassische Ökonomie seit Adam Smith recht behalten. Nicht recht behalten hat diese Schule allerdings mit ihrem Postulat, daß die unsichtbare Hand des Marktes auch für den Ausgleich der Wohlstandsentwicklung zwischen reichen und armen Regionen und Nationen sorgt. Ganz im Gegenteil: Der Graben zwischen arm und reich ist tiefer geworden.

Der Widerspruch zwischen Theorie und Realität ist nicht zufällig: Die klassische und neoklassische Ökonomie unterstellt die Chancengleichheit zwischen allen (Welt-)Markt-Akteuren und schließt außerökonomische Faktoren, z.B. Machtungleichheit als Hebel von Wohlstandsvermehrung, aus. Sie vernachlässigt ferner den zur Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts führenden Umstand der Kapitalakkumulation und der Konsumsteigerung durch den kostenlosen Naturverbrauch.

Dieses methodische Ausschlußverfahren hat nicht nur für die Theorie, sondern vor allem für die Politik fatale Konsequenzen. Tatsächlich hat die Neoklassik für die größten Herausforderungen der Gegenwart, nämlich die soziale Ungleichheit im globalen Maßstab und für die ökologische Krise keine Lösungen. Die von ihr verordneten Einzelmaßnahmen, z.B. die Strukturanpassung des IWF, wirken oft eher so, daß sie die Probleme verstärken. Die Beschäftigung mit diesen fundamentalen Defiziten der dominanten ökonomischen Lehre ist daher eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Strategien einer globalen Reformperspektive.

In den folgenden Ausführungen wird (a) dargestellt, daß Wohlstand, Kostenexternalisierung, soziale und ökologische Krisen, Machtungleichheit und nichtnachhaltige Gesellschaftsstrukturen in enger Verbindung stehen, (b) versucht, Überlegungen zur Überwindung von nichtnachhaltigen Strukturen in der Weltgesellschaft zu formulieren.

Die zentralen Kategorien zur näheren Begründung dieser Thesen sind Kostenexternalisierung, strukturelles Dumping und (welt-)gesellschaftliches Dual-System.

Externalisierung sozialer und ökologischer Kosten

Neoklassische Ökonomen wie Alfred Marshall und Arthur C. Pigou befassen sich zwar mit einigen Aspekten der Kostenexternalisierung, eine detaillierte Analyse liefert jedoch erst William Kapp, der Gründer der institutionellen Ökonomie. Kapp definiert die externalisierten Kosten in seinem 1950 publizierten Werk »The Social Costs of Private Enterprise« als „alle direkten und indirekten Verluste, die Drittpersonen oder die Allgemeinheit als Folge einer uneingeschränkten wirtschaftlichen Tätigkeit zu tragen haben. Die Sozialkosten können in Schädigungen der menschlichen Gesundheit, in der Vernichtung oder Verminderung von Eigentumswerten und der vorzeitigen Erschöpfung von Naturschätzen zum Ausdruck kommen“ (Kapp, 1979: 10). Berücksichtigen wir daneben noch diverse Kosten der Umweltschäden wie die Vergiftung von Böden und Gewässern sowie Klimaveränderungen, und unterscheiden wir ferner zwischen sozialen und ökologischen Kosten, so könnten die externalisierbaren Kosten als soziale und ökologische Kosten aufgefaßt werden, die von Individuen, sozialen Gruppen und Nationen verlagert werden auf die Allgemeinheit, andere soziale Gruppen, Nationen und künftige Generationen, um eigenen Wohlstand und ökonomisches Wachstum über das Ergebnis von eigenen Leistungen und eigener Produktivität hinaus zu steigern.

Formen der Kostenexternalisierung

Es sind drei Hauptformen der Kostenexternalisierung zu unterscheiden: (a) Externalisierung durch kostenlose Belastung der Umwelt, (b) Externalisierung durch kostenlose Nutzung nicht erneuerbarer Rohstoffe und (c) Externalisierung von sozialen Kosten. Über die Externalisierung der Umweltkosten und deren monetäre Bewertung liegen inzwischen wichtige Arbeiten vor (dazu Leipert, 1989; van Dieren, 1995).

In der folgenden Analyse geht es um Formen sozialer und ökologischer Kostenexternalisierung, die bisher kaum beachtet, in der wissenschaftlichen wie der politischen Diskussion vielmehr systematisch verdrängt worden sind.

Externalisierung von sozialen Kosten im Frühkapitalismus

Die Vermehrung des Reichtums der Fabrikbesitzer im Zeitalter der industriellen Revolution, mithin die dynamische Expansion des Kapitalismus in Europa, beruhte zum einen auf technologisch bedingter Produktivitätssteigerung und Leistung, zum anderen aber auf flächendeckender Externalisierung sozialer Kosten durch sinkende Löhne, steigende Arbeitszeit und durch den Einsatz von Frauen und Kindern. Das Überangebot an Arbeitskräften, das aus dem massenhaften Zustrom aus dem vorindustriell agrarischen Hinterland in die Städte resultierte, rief eine gnadenlose Konkurrenz um die billigeren Arbeitskräfte ohne Rücksicht auf humane Arbeits- und Lebensbedingungen und auf die drastische Senkung des Lebensalters hervor und ermöglichte die Externalisierung sozialer Kosten vom Betrieb in die Familien und von der Stadt in das agrarische Hinterland. Hier liegt der Keim eines machtpolitisch-rechtlichen Dual-Systems von historischer Bedeutung. Erst nach jahrzehntelangen Kämpfen der Arbeiterbewegung konnte die Machtungleichheit größtenteils überwunden und der Externalisierung von sozialen Kosten in Europa ein Riegel vorgeschoben werden. Doch dadurch verschwanden weder das gesellschaftliche Dual-System noch das Externalisierungsproblem. Das Dual-System verlagert sich von Europa auf die Weltebene, die Wohlstandssteigerung erfolgt nunmehr im (welt-)gesellschaftlichen Dual-System.

Externalisierung sozialer Kosten durch kolonialistische Sklavenarbeit

An der Schwelle der industriellen Revolution entstanden in den Überseekolonien Plantagenbetriebe mit Sklavenarbeit, die Europa mit Nahrungs- und Genußmitteln zu Dumpingpreisen versortgen. Hinter den Dumpingpreisen verbergen sich soziale Kosten, die die Plantagenbesitzer den Sklaven vorenthalten und ihnen zumuten, die ganze Last durch drastische Reduzierung des Lebensalters auf sich zu nehmen. Während die einen, zur Rechtlosigkeit Verdammten, in dem nun etablierten globalen Dual-System ihr Dasein fristeten, erfreuten sich die anderen, die Sklavenhalter in den Kolonien und die Konsumenten in Europa, der Steigerung ihrer Genüsse und Vermehrung ihrer Reichtümer. Die Recht- und Machtlosigkeit der Sklaven in der Kolonie war die potenzierte Form der Rechtlosigkeit der arbeitenden Massen im Mutterland. Die extreme Form der Rechtsungleichheit, die notwendig war, um die extremste Form der Kostenexternalisierung durch Sklavenarbeit aufrechtzuerhalten, bedurfte einer ebenso extremen Form der Legitimation, nämlich der des Rassismus. Die internationale Arbeitsteilung und die daraus resultierenden Handelsströme lassen sich, würde man die Rechts- und Machtungleichheit der Teilsysteme gänzlich außer acht lassen, zwar mit dem klassischen und neoklassischen Theorie- und Denkgebäude als Ergebnis der komparativen Kostenvorteile bzw. der unterschiedlichen Faktorausstattung interpretieren. In Wahrheit verbirgt sich hinter dieser Form von Arbeitsteilung und Handel im globalen Dual-System vor allen Dingen das Prinzip, soziale Kosten mittels Gewalt und rassistischer Ideologie zum Wohl der privilegierten Minderheit im System zu externalisieren. Apartheid und Wanderarbeit, das dualistische Beieinander von Homelands, Wolkenkratzern und reichen Villenvierteln, von Rechtsprivilegien für die einen und Rechtlosigkeit für die anderen ist zwar die abgeschwächte Form der Sklaverei, jedoch ein bis in die Gegenwart praktiziertes Modell der Wohlstandsvermehrung durch Externalisierung sozialer Kosten.

Externalisierung sozialer Kosten durch Kinderarbeit

Der Einsatz von Kinderarbeit bedarf besonderer Hervorhebung, da diese Methode der Kostenminimierung in den letzten zwei Jahrzehnten mit beängstigenden Wachstumsraten gestiegen ist. Trotz der ILO-Konvention, die Kinderarbeit vor Erreichen des 15. Lebensjahres untersagt, arbeiteten 1986 weltweit schätzungsweise 200 Millionen Kinder, also viermal soviel wie sieben Jahre zuvor (Pollmann, 1988; Große-Oetringhaus/Strack (Hrsg.), 1995). Am Ende des 20. Jahrhunderts erleben wir offensichtlich eine Renaissance von totgesagten manchesterkapitalistischen Methoden, die sich nunmehr in zahlreichen Ländern des Südens durchsetzen. Kinderarbeit ist im Süden auch in vielen Wirtschaftssektoren, die für den Export in die Industrieländer produzieren, auf dem Vormarsch, so im Bergbau, in der Landwirtschaft und in der Textilindustrie. Eine neuere ILO-Studie belegt, daß in der Dritten Welt inzwischen jedes vierte Kind arbeitet (FR. v. 4./5. April 1996). Die Zunahme der Kinderarbeit in der indischen Teppichindustrie rief beispielsweise drastische Preissenkungen und einen ruinösen Wettbewerb unter den Anbietern auf dem Weltmarkt hervor. So sind handgeknüpfte Teppiche in den Industrieländern längst keine Luxusartikel mehr, sie sind mittlerweile zu einer Massenware geworden. Auch hier erkaufen wir mit geringem Aufwand ein Stück Wohlstand, weil wir die gnadenlose Konkurrenz zwischen Ländern des Südens zu nutzen in der Lage sind und weil wir die sozialen Kosten der Teppichproduktion nicht mitbezahlen und diese den indischen Kindern und Familien aufbürden, indem wir daran teilnehmen, daß unzählige Kinder durch Anämie, Müdigkeit und Schlafmangel der Gefahr von Erkrankung durch Infektionen und Tuberkulose ausgesetzt und durch Haltungs- und Bandscheibenschäden, Knochenschädigungen und Verschlechterung der Sehkraft verkrüppelt werden.

Externalisierung ökologischer Kosten durch den Raubbau der Ressourcen mit höherer Naturproduktivität

Die Naturproduktivität (Ergiebigkeit) von Ressourcen ist höchst unterschiedlich. Sie ist abhängig vom Konzentrationsgrad, von der chemischen Zusammensetzung, den physikalischen Bedingungen und der geographischen Lage. Die unterschiedliche Naturproduktivität ist bei erschöpfbaren Ressourcen, die sozusagen in Wert gesetzt werden, auch die Grundlage der Entstehung von Differentialrente. Die Jagd nach der Abschöpfung dieses auf höherer Naturproduktivität beruhenden Profits war auch die treibende Kraft bei der Kolonialisierung der Rohstoffländer und der Globalisierung der Rohstoffproduktion seit Anfang dieses Jahrhunderts und handfester Grund für die europäischen Großmächte und später auch für die USA, sich zu allen ergiebigen, profitträchtigen Naturreichtümern des Globusses einen freien Zugang zu verschaffen.

Das Wesen dieses teils durch Gewalt und teils durch ökonomischen und politischen Druck durchgesetzten Zugriffs auf ergiebige Ölquellen und mineralische Rohstoffe im Mittleren Osten, in Afrika und Südamerika bestand in der faktischen Ausschaltung der Rohstoffeigentümerstaaten, ihrer Marktsouveränität und Marktsteuerungsfunktion durch die global agierenden euro-amerikanischen Rohstoffkonzerne, also in der Herstellung struktureller Dominanz der Nachfrageseite. Fortan reguliert die Nachfrageseite nicht nur die Nachfrage, sondern auch unmittelbar die Angebotsmenge – ein Vorgang, der zwangsläufig zum Raubbau an knappen natürlichen Ressourcen, zur strukturellen Überproduktion, zu unelastischen Preisen auf niedrigem Niveau und zum Verlust von Knappheitssignalen bei erschöpfbaren Ressourcen hinleitet. So sinken die realen Rohstoffpreise über Jahrzehnte, statt, wie es bei erschöpfbaren Ressourcen und funktionierenden Marktsteuerungsmechanismen der Fall wäre, zu steigen (Näheres dazu Massarrat, 1993: 51f; derselbe 1994a). Hier fand historisch die erste Stufe der Globalisierung der Produktion statt, die auf Externalisierung der Kosten des Naturverbrauchs der Industrieländer in die Länder des Südens beruhte. Was für die Industrieländer als sinkende Kosten und höhere Wachstumsraten positiv zu Buche schlägt, erscheint bei den Rohstoffeigentümern des Südens als sinkende Einnahmen und Abnahme ihrer Rohstoffkapazitäten.

Externalisierungs- und Ausbeutungstheorie

Die Theorie der Kostenexternalisierung ist keine Umschreibung der Marxschen Ausbeutungstheorie. Beide Theorien beschreiben durchaus verschiedene Ebenen der national- und weltökonomischen Vorgänge, die sich allerdings ergänzen.

Im Mittelpunkt der Marxschen Ausbeutungs- bzw. Mehrwerttheorie steht das Produktionsverhältnis von sozialen Schichten innerhalb des Betriebes und innerhalb einer Volkswirtschaft. Dabei geht es in der Hauptsache um die Quelle der Wertschöpfung und die Verteilungsmechanismen unter normalen, d.h. gleichgewichtigen und symmetrischen Marktbedingungen. Gegenstand der Externalisierungstheorie ist dagegen die Verteilung von realen ökologischen und sozialen Kosten zwischen den Betrieben und sozialen Schichten einer Volkswirtschaft, zwischen Regionen und Nationen innerhalb der Weltwirtschaft unter ungleichgewichtigen und asymmetrischen Marktbedingungen sowie zwischen Generationen im universalhistorischen Kontext

Wachstum, Externalisierung, Globalisierung

Wachstumsmodelle, die ganz oder teilweise auf der Externalisierung sozialer bzw. ökologischer Kosten beruhen, sind nicht selbsttragend, daher auch nicht nachhaltig. Es handelt sich um Modelle des Verelendungs- oder Umweltzerstörungswachstums oder um eine Kombination von beiden.1 Die historischen Formen der Globalisierung (Rohstoffproduktion und agrarische Exportplantagen mit Sklavenarbeit) haben jeweils zur Etablierung dieser Wachstumsmodelle beigetragen. Die gegenwärtige Globalisierung hat dem Anschein nach unterschiedliche Wirkungen. Einerseits setzt sie einen Prozeß der Umverteilung der globalen Arbeitsplätze von Nord nach Süd in Bewegung, wobei Zweifel angebracht sind, ob durch die Arbeitsplatzverlagerung in den Süden hier tatsächlich selbsttragende Wachstumsprozesse in Gang kommen (dazu Neyer 1995). Andererseits verstärkt sie deutlich die Tendenz, die Sozialsysteme global gegeneinander auszuspielen, den relativ hohen Sozialstandard im Norden abzubauen, ohne den Sozialstandard im Süden gleichzeitig und automatisch zu heben.

Strukturelles Dumping

Setzen sich die ökologisch und sozial richtigen Marktpreise auf den Weltmärkten bei einer makroökonomischen Betrachtung unter der Annahme, daß Kostenexternalisierung nicht stattfindet, wie folgt zusammen:

Pc=MC + Er + Pnr (1),

wobei Pc die ökologisch und sozial richtigen (vollkommenen) Marktpreise, MC die betriebswirtschaftlichen Grenzkosten, Er die ökologischen Kosten von reproduzierbaren Umweltressourcen (zur Vermeidung bzw. Beseitigung von Umweltschäden) und Pnr den Knappheitspreis von nichtreproduzierbaren Ressourcen darstellen, so darf nach der Externalisierungstheorie konstatiert werden, daß es sich bei den aktuellen Marktpreisen auf den Weltmärkten nicht um die ökologisch und sozial richtigen Preise, sondern um makroökonomische Dumpingpreise handelt, die sich wie folgt zusammensetzen:

Pd=(MC – Ecl) + (E – ECrr) + (Pnr – Ecnr) (2),

wobei ECl die externalisierten Arbeitskosten bzw. den Sozialdumpingfaktor, ECrr die externalisierten Kosten von reproduzierbaren Umweltressourcen, ECnr die externalisierten Kosten von nichtreproduzierbaren Ressourcen (und ECrr + ECnr den Ökodumpingfaktor) darstellt (Näheres Massarrat, 1994a). Bei vollständiger Externalisierung der ökologischen Kosten (E=ECrr und Pnr=ECnr), wie dies in der Praxis weitgehend der Fall ist, und durch Externalisierung von sozialen Kosten bewegen sich die makroökonomischen Marktpreise nach der Externalisierungstheorie, wie die Gleichung 3 zeigt, unter dem Niveau der reinen betriebswirtschaftlichen Grenzkosten:

Pd=MC – ECl (3).

Da diese Dumpingpreise im (welt-)gesellschaftlichen Dual-System keine vorübergehende, sondern eine dauerhafte Erscheinung darstellen, muß somit bei allen produzierten und monetär bewerteten Endprodukten ein strukturelles Dumping in der Weltökonomie konstatiert werden. Einerseits verstärkt dieses durch Überausbeutung der menschlichen Arbeitskraft Armut, Krankheiten und Seuchengefahr und verhindert sozial nachhaltige Strukturen. Andererseits ist es durch den Raubbau des „Naturkapitals“ die zügellose Umweltbelastung und den verschwenderischen Konsum für die Entstehung von sozioökonomisch nichtnachhaltigen Strukturen verantwortlich.

Auf der Basis der Externalisierungstheorie könnte die Struktur des Pro-Kopf-Einkommens der Industrieländer in den letzten 250 Jahren schematisch in folgender Grafik demonstriert werden (siehe S. 31).

Die Darstellung beruht auf der begründeten Annahme, daß bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts der Sozialdumpingfaktor, das heißt also die Externalisierung von sozialen Kosten, die dominante Form der Externalisierung war, während nach dem Übergang des Manchester-Kapitalismus zur sozialen Marktwirtschaft (Ende des Zweiten Weltkrieges) hohe ökonomische Wachstumsraten und exponentiell ansteigender Wohlstand zum Teil durch Externalisierung von ökologischen Kosten erreicht worden sind.

(Welt-)gesellschaftliches Dual-System

Die klassischen Imperialismustheorien und die Dependencia-Theorien haben das Phänomen der durch strukturelles Dumping verursachten asymmetrischen Wohlstandsverteilung sowie die innergesellschaftlichen und intergenerativen Verteilungshebel vernachlässigt. Ihre analytische Reichweite beschränkt sich im wesentlichen auf das Verhalten zwischen Staaten und Regionen (Zentrum-Peripherie-Ansatz). Die Theorien des ungleichen Tauschs von Emmanuel (1969), Amin (1975) und anderen führten angesichts ihrer methodisch fragwürdigen Annahmen nicht zu eindeutigen Erkenntnissen über die ökonomischen Verteilungs- und Umverteilungsmechanismen (Näheres dazu Massarrat, 1978).

Die Dual-System-Theorie ist ein Versuch, die asymmetrische Wohlstandsverteilung auf Grund von Kostenexternalisierung und strukturellem Dumping systematisch zu analysieren, wobei die Machtungleichheit den Schlüsselbegriff dieser Theorie darstellt. In Anlehnung an frühere Überlegungen (Massarrat, 1993) werden im folgenden zunächst der Theoriekern und dann die vielfältigen Wirkungen des Dual-Systems in der realen Weltgesellschaft beschrieben.

Das (welt-)gesellschaftliche Dual-System besteht aus zwei organisch verflochtenen, jedoch qualitativ unterscheidbaren Sozialsystemen: Zum einen das Sozialsystem einer mit allen Macht- und Rechtsprivilegien ausgestatteten Minderheit mit einem auf individuelle Nutzenmaximierung orientierten Verhaltensmuster und Wertesystem; zum anderen das Sozialsystem einer mit deutlich schwächeren Machtpotentialen ausgestatteten Mehrheit, die in der Regel noch weitgehend tradierten Wertesystemen verhaftet ist und im Wettkampf mit dem erstgenannten dominanten Sozialsystem zu Strategien der Überlebenssicherung gedrängt wird. Eine eigene Nutzenmaximierung in diesem zweiten Sozialsystem ist weitgehend eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen. Die Grundlage für Interaktion und Kommunikation zwischen beiden Teilsystemen ist der (Welt-)Markt. In diesem Dual-System verlieren Marktteilnehmer des untergeordneten Sozialsystems ihre Marktsouveränität, werden als gleichberechtigt handelnde Akteure ausgeschaltet und sowohl als Anbieter wie als Nachfrager zu passivem Verhalten gedrängt, werden strukturell ungleichgewichtige Marktbeziehungen, asymmetrische Arbeitsteilung und Wohlstandsverteilung reproduziert, wird der Graben zwischen Armen und Reichen, die Spaltung zwischen sozialen Gruppen und Nationen in der Weltgesellschaft vertieft, werden regulative Marktsteuerungsmechanismen in Instrumente der Wohlstands- und Machtvermehrung des dominanten Systems umfunktioniert und in der Regel den Marktgesetzen zuwiderlaufende Effekte erzielt (Dual-System-Effekt). Die Kategorie Machtungleichheit bei diesem Theorieansatz umfaßt außer unterschiedlichen politisch-militärischen Interventionsmöglichkeiten auch ungleiche Möglichkeiten, ökonomische und kulturelle Instrumente, Institutionen und Regime zu nutzen, so daß das dominante Teilsystem dadurch zusätzlich Wohlstands- und Wachstumseffekte ohne eigene Leistung und Produktivität erzielen kann. Das dominante Teilsystem verbreitet und prägt Lebensstile und Konsumgewohnheiten und übt in umfassendem Sinne kulturelle Hegemonie aus.

Dual-System-Effekt

Das Charakteristische des (welt-)gesellschaftlichen Dual-Systems besteht darin, daß wirtschafts- und entwicklungspolitische Instrumentarien sowie Marktsteuerungsmechanismen in den Teilsystemen zu unterschiedlichen, teilweise sogar gegensätzlichen Resultaten führen, die ich als Dual-System-Effekte bezeichne:

  • Die Machtungleichheit im historischen (Manchester-)Kapitalismus bewirkt, daß Industrialisierung, Produktivitätssteigerung und Wirtschaftswachstum im dominanten Teil des Systems zu Wohlstandsvermehrung und Luxus, im schwachen Teil des Systems jedoch zu steigender Arbeitszeit, sinkenden Reallöhnen und zum Elend führen (Verelendungswachstum).
  • Aus der Ungleichheit der Marktsouveränität auf den globalisierten Ressourcenmärkten in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ergibt sich, daß die Nachfrageseite (dominantes Teilsystem) gleichzeitig auch die Angebotsmenge reguliert, die Ressourceneigentümer im schwachen Teilsystem (marktparadox) nicht über eine regulative Marktsteuerungsmacht verfügen. Knappheitssignale bei erschöpfbaren Ressourcen verlieren (ebenfalls marktparadox) ihre nachfrageregulierende Funktion, strukturelle Überproduktion und unelastische Weltmarktpreise werden zum Wesensmerkmal von globalisierten Ressourcenmärkten.2 Während im dominanten Teil des Dual-Systems dank Ressourcenüberfluß zu Dumpingpreisen hohe Wachstumsraten erzielt werden, letztlich auch das fordistische Konsummodell einen kräftigen Schub erhält, verliert der schwache Teil des Systems seine Ressourcenbasis und wird zum monostrukturellen Anhängsel des dominanten Teilsystems.
  • Die ökonomische Ungleichheit verursacht im Dual-System wirtschaftspolitisch gegensätzliche Wirkungen. Dies gilt insbesondere in der internationalen Geld- und Zinspolitik und im GATT-System. Die Leit- und Schlüsselwährungen (US-Dollar, DM, Yen, SFR) befinden sich im dominanten Teil des Dual-Systems. Volkswirtschaften dieses Teils weisen überwiegend Zahlungsbilanzüberschüsse auf und sind Gläubiger, während im schwachen Teilsystem überwiegend Schuldnervolkswirtschaften zu finden sind. Eine Hochzinspolitik im dominanten Teil führt in der Regel zu Kapitalimport und zu mehr Beschäftigung z.B. im öffentlichen Sektor. Für das schwache Teilsystem hat ein international hohes Zinsniveau jedoch fatale Folgen: a) Steigende Ausbeutung bei stagnierenden Rohstoffpreisen und -einnahmen (Zinsraten-Rohstoffpreis-Mechanismus, Massarrat, 1993: 76). b) Kapitalflucht, steigender Schuldendienst bei Schuldnervolkswirtschaften, hierdurch bedingt zusätzlich negative Wirkung auf Ressourcenausbeutung und Rohstoffpreise bei verschuldeten Rohstoffexporteuren. Eine Hochzinspolitik im schwachen Teilsystem könnte zwar bei einem deutlichen Zinsdifferential ebenfalls zum Kapitalimport, allerdings gleichzeitig zu beträchtlichen Investitionsbarrieren bei der inländischen Wirtschaft führen (dazu Waltraud Schelkle 1995). Die Strategie der Geldwertstabilität, die bei vielen Volkswirtschaften im dominanten Teilsystem durch Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse erzielt wird, setzt strukturelle Schuldnernationen mit Handelsbilanzdefiziten voraus, zementiert daher das geld- und finanzpolitische Dual-System.

Das GATT-System verschärft die asymmetrischen Wirkungen des Dual-Systems für die Entwicklungsländer. Während letzteren bei Verhandlungen oft Liberalisierungszwänge auferlegt werden, bleiben viele Einschränkungen zum Schutz der japanischen und der EU-Agrarprodukte sowie der US-Industrieprodukte gegen euro-japanische Konkurrenz unangetastet.

  • Neoliberale Entwicklungsstrategien wie die Exportförderungspolitik der Weltbank und die Strukturanpassungspolitik des IWF führen bei monostrukturellen Volkswirtschaften im schwachen Teil des Dual-Systems (über 70 Entwicklungsländer sind stark monostrukturelle Ökonomien) in der Regel zur Verfestigung von bestehenden Außenhandels-Asymmetrien (Rohstoffexporte gegen Fertigproduktimporte). Angestrebte Ziele wie Exportdiversifizierung, selbsttragendes Wachstum und positive Umweltwirkungen wurden bisher, wie neuere Studien belegen (Reed 1996), selten erreicht. Der Grund dafür ist die Überlebensstrategie der kleineren Anbieterstaaten (bei mineralischen Ressourcen) und der Kleinbauern (bei agrarischen Rohstoffen), die auf sinkende Preise durch erhöhte Arbeitsintensität bzw. den Raubbau von Ressourcen antworten, um so ihre Angebotsmenge zu steigern und ihre Einnahmen zu stabilisieren. Während ein Verdrängungswettbewerb im dominanten Teil des Dual-Systems in der Regel ein Marktgleichgewicht herbeiführt und der Preissenkung Grenzen setzt, führt im schwachen Teil des Dual-Systems derselbe Mechanismus marktparadox zu strukturellem Ungleichgewicht und Überproduktion. So wird die Marktsouveränität selbst eines scheinbar so mächtigen Ressourcenanbieters wie der OPEC unterhöhlt und diese nach einer kurzfristig erfolgreichen Souveränitätsperiode in ihre ursprüngliche Anhängsel-Rolle zurückgeworfen. Die Hochpreispolitik der OPEC ist längst der Überproduktions- und Dumpingpreispolitik gewichen.

Eine neuere Weltbankstudie (World Bank 1995) belegt, daß die Wachstumserfolge zahlreicher Entwicklungsländer (Ausnahme: Südasien) mit einem Raubbau an natürlichen Ressourcen einhergehen (Umweltzerstörungswachstum) (dazu auch Thomas Fues 1996).3

Das Gegenmodell bieten die ostasiatischen Schwellenländer Hongkong, Taiwan, Singapur und Südkorea, die ihren Wachstumserfolg nicht einer Importliberalisierung nach neoliberalem Muster verdanken, sondern einer Kombination von selektiver Importliberalisierung, selektivem Protektionismus und struktur- und geldpolitischer Regulierung zur Stärkung systemischer Wettbewerbsfähigkeit (dazu Eßer u.a., 1995), d.h. der Herstellung der eigenen Marktsouveränität und dem Abbau von Machtungleichheit.

Nach der Dual-System-Theorie kann in der Weltgesellschaft eine Art Stufenleiter von Dual-Systemen identifiziert werden: innerhalb einzelner Gesellschaften in vertikaler Richtung (Vermögensbesitzer, abhängig Beschäftigte, Subsistenzproduzenten, ethnische Minderheiten), zwischen den Regionen in horizontaler Richtung (Industrieländer, südliche und osteuropäische Schwellenländer, Entwicklungsländer). Universalhistorisch stehen künftige Generationen am Ende dieser Stufenleiter, da sie gegenüber den heutigen Generationen vollständig machtlos sind. Alle Stufen der Hierarchie durchdringt das geschlechtsspezifische Dual-System, das Patriarchat, das dem männlichen Geschlecht historisch gewachsene Sonderprivilegien in Familie und Gesellschaft gewährt, für das weibliche Geschlecht jedoch Doppelbelastungen, rechtliche Ungleichheiten und faktische Diskriminierungen bedeutet. Diese gewachsenen Strukturen sind grundsätzlich nicht nachhaltig. Alle Reformstrategien, die an diesen Strukturen vorbei konzipiert werden, müssen daher letztlich scheitern.

Globale Reformen für eine nachhaltige Weltgesellschaft durch Chancengleichheit

Der Darstellung von Lösungsmöglichkeiten, die sich aus der bisherigen Analyse herleiten lassen, werden drei Feststellungen vorausgeschickt: (a) Die Externalisierungs- und Dual-System-Theorie ist keine Theorie des globalen Nullsummenspiels. Sie soll der populären Auffassung, daß der Wohlstand der Industrieländer ausschließlich auf der Armut im Süden beruht, nicht Vorschub leisten. Dieser Wohlstand ist zu einem Teil das Ergebnis von eigener Leistung und Produktivitätssteigerung, aber eben nur zu einem Teil. (b) Die herrschende internationale Arbeitsteilung und alle damit zusammenhängenden Handels-, Geld- und Kapitalströme resultieren nicht nur aus dem Umstand unterschiedlicher Faktorausstattung und komparativer Kostenvorteile, sondern zu einem guten Teil auch aus der Strategie, soziale und ökologische Kosten zu externalisieren. (c) Internationale Arbeitsteilung und Freihandel sind per se nicht die Hauptursachen von strukturellen Defekten in der Weltwirtschaft, wie die Kritiker meinen. Andererseits ist der Freihandel auch keine heilige Kuh, die der Menschheit überall Wohlstand und Glück bringt.4 Der Freihandel ist ein wirksames Instrument marktwirtschaftlicher Allokation. In Verbindung mit der schrankenlosen Freiheit einer privilegierten Minderheit, Kosten zu externalisieren, verwandelt er sich entwicklungs- und umweltpolitisch allerdings zu einem effizienten Instrument zur Etablierung von nichtnachhaltigen Strukturen.5

Der UN-Bericht über menschliche Entwicklung (von 1992) lieferte erstmalig eine systematische Auflistung von unfreiwilligen Transferleistungen des Südens an den Norden. Im Bericht (von 1996) wird herausgearbeitet, daß das Wohlstandsgefälle zwischen den 15 extrem reichen und 70 extrem armen Nationen der Weltgemeinschaft dramatisch zugenommen hat. Das hier vorgestellte Konzept liefert die theoretische Grundlage für diese empirisch belegten Vorgänge. Während die Theorie der Kostenexternalisierung u.a. die unfreiwilligen Süd-Nord-Transferleistungen theoretisch untermauert, begründet die Dual-System-Theorie die zunehmende globale Spaltung zwischen Armen und Reichen.

Für den Aufbau nachhaltiger Strukturen ist daher die Überwindung des Dual-Systems die fundamentale Voraussetzung. Die dafür erforderlichen Reformen sind im wesentlichen politisch. Eine bloße Umkehrung der Ungleichheit in ein Gleichheitsprinzip führt angesichts der Vielfältigkeit von menschlichen und natürlichen Fähigkeiten und Potentialen in so unterschiedlichen Weltregionen praktisch auch in die Sackgasse. Der Schlüsselbegriff für zukunftsfähige globale Reformen ist nach meiner Überzeugung das Prinzip Chancengleichheit, das innerhalb von einzelnen Gesellschaften, zwischen Nord und Süd und zwischen den heutigen und künftigen Generationen herzustellen ist.

Herstellung vertikaler Chancengleichheit für die Gesellschaften im dominanten Teilsystem bedeutet die Vertiefung der Demokratisierung durch Teilnahme von sozialen Bewegungen an Entscheidungen und durch Mitwirkung von betroffenen Menschen an der Planung und Durchführung kommunaler Projekte.6 Für die Gesellschaften des schwachen Teilsystems bedeutet Herstellung von Chancengleichheit die umfassende Demokratisierung und zugleich Vertiefung demokratischer Strukturen analog zum dominanten Teilsystem, allerdings unter Berücksichtigung kultureller Besonderheiten. Chancengleichheit zwischen den Teilsystemen setzt als ersten Schritt die Einführung sozialer und ökologischer Mindeststandards voraus, einschließlich der universell zu vereinbarenden Sanktionsmechanismen zu ihrer Durchsetzung. Durch globale Mindeststandards für Arbeitszeit, Urlaub, soziale Absicherung, das Verbot von Kinderarbeit und die Aufhebung geschlechtsspezifischer Diskriminierungen sowie durch globale Mindeststandards im Umweltbereich soll verhindert werden, daß soziale und ökologische Kosten innerhalb der Hierarchie von Dual-Systemen von oben nach unten externalisiert und die Sozialsysteme der Kommunen, der Regionen gegeneinander ausgespielt werden können. Für die Sicherstellung der Marktsouveränität der Teilsysteme auf den globalen Märkten werden Mindeststandards vermutlich nicht ausreichen. Notwendig ist auf jeden Fall eine umfassende Entschuldung und die Gewährung von Krediten in Form von nur zinslosen und in der jeweiligen Landeswährung rückzahlbaren Krediten. Anderenfalls ist zu befürchten, daß die schwachen Teile des Dual-Systems der Schuldenfalle und der finanziellen Schlinge um den Hals niemals werden entrinnen können.

Chancengleichheit zwischen den Generationen bedeutet die Selbstverpflichtung der gegenwärtigen Generation, die Nutzung von Umwelträumen universell zu limitieren und Überschreitungen mit Sanktionen zu ahnden. Durch Anerkennung von substantiellen Rechtspositionen künftiger Generationen würden diese an allen existentiellen Entscheidungen der Gegenwart mit beteiligt, würde also eine Quasi-Marktsouveränität auch für sie hergestellt. Chancengleichheit im Verhältnis zur Umwelt erfordert, daß eine Neubewertung der Eigentumsrechte an existentiellen natürlichen Ressourcen (Gewässer, Wälder, Energie- und Rohstoffquellen) auf die Agenda der Weltgemeinschaft gesetzt würde.

Chancengleichheit tangiert die Interessen der Privilegierten im Norden sowie im Süden. Sie umfassend herzustellen bleibt so die zentrale Aufgabe einer globalen Reformbewegung. NGOs, engagierte Menschen in Kirchen, weitsichtige Gewerkschaftler und Unternehmer und Experten in den Institutionen, besorgte und verantwortungsbewußte Politiker und Politikerinnen unterschiedlicher Coleur und Menschen aus Wissenschaft und Kunst sind bedeutende Akteure dieser Bewegung.

Die universell umfassende Durchsetzung von Chancengleichheit würde erst die Rahmenbedingungen für neue globale Beziehungen herstellen, die durchaus Unterschiede der Lohnniveaus, der Lebensstile und Lebenswege einschließen könnten. Die produktive Nutzung von partizipatorischen Rahmenbedingungen für die Umgestaltung von nichtnachhaltigen zu nachhaltigen Strukturen systemischer Wettbewerbsfähigkeit (dazu Elmar Altvater) in den Einzelstaaten und Regionen wird so zur eigentlichen Herausforderung für souveräne Akteure. Offen bleibt über alle diese Reformüberlegungen hinaus dennoch die zentrale Frage, ob dadurch die inneren Triebe des kapitalistischen Wachstumszwangs tatsächlich zu bändigen wären.

Literatur:

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Bhagwati, Jagdish, 1994: Ein Plädoyer für freien Handel, in: Spektrum der Wissenschaft. Digest: Umwelt – Wirtschaft, S. 48-53.

Daly, Hermann E., 1994: Die Gefahren des freien Handels, in: Spektrum der Wissenschaft. Digest: Umwelt – Wirtschaft, S. 54-60.

Dieren, Wouter van (Hrsg.), 1995: Mit der Natur rechnen. Der neue Club-of-Rome-Bericht, Basel/Boston/Berlin.

Emmanuel, Arghiri, 1969: L'echange Inégal, Paris.

Eßer, Klaus/Hildebrand, Wolfgang/Messner, Dirk/Meyer-Stamer, Dirk, 1995: Systemische Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 1995/Nr. 10, S. 256-260.

Fues, Thomas, 1996: Wenn das Saatgut aufgegessen wird. Das neue Weltbank-Konzept vom Wohlstand der Nationen, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 1996/Nr. 2, S. 50-53.

Große-Oetringhaus, Hans-Martin/Strack, Peter (Hrsg.), 1995: Verkaufte Krindheit. Kinderarbeit für den Weltmarkt, Münster.

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Human Development Report (UNDP), 1996, New York/Oxford.

Kapp, K. William, 1979: Soziale Kosten der Marktwirtschaft, Frankfurt/M. (überarbeitete Originalfassung, 1963: Social Costs of Business Enterprise, Bombay/London).

Leipert, Christian, 1989: Die heimlichen Kosten des Fortschritts. Wie Umweltzerstörung das Wirtschaftswachstum fördert, Frankfurt/M.

Marshall, Alfred, 1890: Principles of Economics, London/Basingstoke.

Massarrat, Mohssen, 1978: Die Theorie des ungleichen Tausches in der Sackgasse. Versuch einer Erklärung der Terms of Trade, in: Die Dritte Welt, Nr. 1, S. 40-73.

Massarrat, Mohssen, 1993: Endlichkeit der Natur und Überfluß in der Marktökonomie, Marburg.

Massarrat, Mohssen, 1994a: Warum Rohstoffpreise sinken. Das Dumpingpreistheorem – Fallstudie Öl, in: Peripherie, Nr. 54 (1994), S. 79-100.

Massarrat, Mohssen, 1994b: Energiesteuer – Ökologie auf Kosten der Natur. Überlegungen zu Alternativen, in: Kommune, Nr. 7/1994, S. 42-50.

Pigou, Arthur, C., 1920: The Economics of Welfare, London.

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Pollmann, Guido, 1988: Zum Beispiel Kinderarbeit, Bornheim-Merten.

Reed, David (ed.), 1996: Structural Adjustment, The Environment, and Sustainable Development, London.

Schelkle, Waltraud, 1995: Die Theorie der geldwirtschaftlichen Entwicklung, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 1995/Nr. 10, S. 267-270.

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World Bank, 1995: Monitoring environmental progress – A report on Work in progress, Washington.

Anmerkungen

1) Der jüngste UNDP-Human Development Report unterscheidet zwischen fünf nichtnachhaltigen Typen ökonomischen Wachstums: Wachstum ohne neue Arbeitsplätze, Wachstum ohne Skrupel (die Reichen werden reicher, die Armen ärmer), Wachstum ohne Mitspracherecht, Wachstum ohne Wurzeln und Wachstum ohne Zukunft (da übermäßiger Verbrauch von Umweltressourcen) (Human Development Report 1996). Zurück

2) Wenn neoklassische Ökonomen über den langanhaltenden Trend der sinkenden Terms of Trade bei Rohstoffen seit beinahe vierzig Jahren spekulieren, ohne eine überzeugende Erklärung dafür zu liefern, so liegt dies daran, daß sie die Wirkung des Dual-Systems auf Marktbeziehungen aus ihrer Betrachtung ausblenden. Zurück

3) Das in Europa diskutierte Konzept ökologischer Steuerreform mit dem Ziel, den Verbrauch an Energie und mineralischen Rohstoffen zu reduzieren, setzt bei den Ressourcenanbietern des Südens denselben Dual-System-Mechanismus des Verdrängungswettbewerbs, der Produktionssteigerung und der Preissenkung in Gang, der aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch zur Steigerung des globalen Verbrauchs führt und so den beabsichtigten Klimaschutzeffekt ins Gegenteil verkehrt (Massarrat, 1994b). Zurück

4) >Vgl. dazu die Kontroverse zwischen Jagdish Bhagwati und Hermann E. Daly in Spektrum der Wissenschaft, Digest: Umwelt und Wirtschaft, 1994. Zurück

5) Erst wenn der Freihandel seine Allokationsfunktion auf der Basis von ökologisch und sozial komparativen Vorteilen ohne Konstenexternalisierung und strukturelles Dumping erfüllen könnte, dürfte es auch möglich sein, die von Hermann E. Daly geforderte Umkehrung des Prinzips „Integration von Volkswirtschaften durch Freihandel unter allen Bedingungen“ in das Prinzip „Integration und Freihandel soviel wie unbedingt nötig“ (Daly, 1994: 60) weltweit durchzusetzen. Zurück

6) Ausführlicher dazu siehe Politische Ökologie, 1996, Nr. 46; darin insbesondere die Beiträge von Wolf Dieter Narr, Martin Jänicke und Mohssen Massarrat. Zurück

Prof. Dr. Mohssen Massarrat lehrt Politikwissenschaft / Internationale Wirtschaftsbeziehungen am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/3 Leben und Überleben, Seite