W&F 2018/1

Peacebuilding durch internationale Organisationen

ASPR State of Peacebuilding Conference, 29.-30.11.2017, Stadtschlaining/Wien

von Andrea Warnecke

In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung internationaler Organisationen (IO) bei der Gestaltung globaler Policy-Diskurse und -Praktiken in Feldern wie Konfliktbearbeitung, nachhaltige Entwicklung oder Wahrung der Menschenrechte beständig zugenommen. Dabei verfolgen zwischenstaatliche und nichtstaatliche Organisationen, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE) oder das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), und große internationale Nichtregierungsorganisationen, wie Oxfam oder Saferworld, einerseits grundlegend verschiedene Aufgaben und weisen entsprechend unterschiedliche Satzungen und Mandate auf. Auf der anderen Seite haben zahlreiche internationale Organisationen in den vergangenen zwei Jahrzehnten damit begonnen, sich zusätzlich zu ihren traditionellen Aufgaben, beispielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit oder humanitären Hilfe, in der Friedenskonsolidierung (peacebuilding) in Nachkriegsstaaten zu engagieren. Dabei reicht ihre Rolle und Gestaltungsmacht weit über bloße Implementierungsmaßnahmen hinaus: Internationale Organisationen leisten zentrale Beiträge bei der Entstehung und Ausdifferenzierung von Friedenskonsolidierung in Nachkriegsstaaten als eigenem internationalen Politikfeld an der Schnittstelle von Konfliktbearbeitung, Entwicklung, humanitärer Hilfe und Peacekeeping.

Diese Ausweitung der Akteursbasis und die zentrale Rolle internationaler Organisationen bei der Gestaltung von Ansätzen und Programmen führten zu einer intensivierten Diskussion von Fragen nach der Legitimität und Rechenschaft internationaler Organisationen in Nachkriegsstaaten. Zugleich erhält diese Diskussion in den letzten Jahren durch die Versuche zahlreicher nationaler Regierungen, das Handeln internationaler staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen in ihrem Hoheitsgebiet einzuschränken, eine neue Dringlichkeit. Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich die jährliche »State of Peacebuilding«-Konferenz des Austrian Study Centre for Peace and Conflict Resolution (ASPR) mit dem Thema »The Practices, Politics, and Paradigms of IO Peacebuilding«. Vom 29.-30. November 2017 diskutierten 25 internationale Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen auf der Burg Schlaining die normativen und praktischen Herausforderungen internationaler Organisationen in der Konfliktbearbeitung. Die »State of Peacebuilding«-Konferenz wurde im Rahmen des »Conflict. Peace. Democracy«-Clusters mit Beteiligung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz, des Demokratiezentrums Wien sowie des Instituts für Konfliktforschung organisiert.

Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass (zwischen-) staatliche und nichtstaatliche internationale Organisationen in den vergangenen Jahren eine zunehmend eigenständige Rolle bei der Ausgestaltung von Projekten und Programmen im Themenfeld Friedenskonsolidierung eingenommen haben. Die Konferenz setzte sich zum Ziel, die Diskurse und Praktiken internationaler Organisationen aus soziologischer, rechtswissenschaftlicher und politikwissenschaftlicher Perspektive zu hinterfragen. Die meisten internationalen Organisationen in diesem Feld haben einen institutionellen Hintergrund bzw. Kernmandate in den Feldern Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Daher versuchte die Konferenz, die Herausforderungen von IO-Peacebuilding vor dem Hintergrund der Spannungsfelder zwischen den Ursprungsmandaten und Friedenskonsolidierung aufzugreifen.

Die Konferenz gliederte sich in einen Eröffnungsvortrag von Dr. Véronique Dudouet (Berghof Foundation, Berlin) zum Thema »International Support for Inclusive Political Settlements. A Critical Assessment« gefolgt von drei thematischen Paneldiskussionen: 1. »Practices: IO Trajectories and Peacebuilding Practices«, 2. »Politics: IOs and Sovereignty between Consent and Contestation« sowie 3. »Paradigms: Paradigmatic Shifts as Manifestations of Consent and Contestation«. Die Diskussionen wurden durch ein Abschlusspanel zu den methodischen und epistemologischen Herausforderungen der Analyse internationaler Organisationen abgerundet.

Im Rahmen des ersten Panels setzten sich Priyal Singh (Institute for Security Studies, Johannesburg), Dr. Benedikt Harzl (Karl-Franzens-Universität Graz), Dr. Maria Stage (Universität Kopenhagen) und Dr. Andrea Warnecke (ASPR) mit den historischen Entstehungszusammenhängen der Definition von Peacebuilding in Nachkriegsstaaten in den frühen 1990er Jahren auseinander. Unter welchen Annahmen und Umständen übernahmen entwicklungspolitische und humanitäre internationale Organisationen, wie UNDP, die Bretton-Woods-Institutionen und zahlreiche humanitäre staatliche und nichtstaatliche Organisationen, Schlüsselrollen in der Friedenskonsolidierung innerhalb von Staaten? In welcher Form haben diese Organisationen Friedenskonsolidierung in ihre bisherigen Mandate integriert? Inwieweit hat die Erweiterung des Aufgabenspektrums die Praktiken und Positionen dieser Organisationen verändert? Die Diskussion beschäftigte sich insbesondere mit den rechtlichen Rahmenbedingungen von IO-Peacebuilding vis-à-vis staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, den unterschiedlichen institutionellen IO-Mandaten und dem Handlungsspielraum gegenüber Regierungen, der sich daraus ergibt, sowie der Wissensgenerierung und –vermittlung und dem Reformprozess innerhalb der UN-Peacebuilding-Architektur.

Im zweiten Panel diskutierten Prof. Oliver Ramsbotham (University of Bradford), Jan Daniel (Institute of International Relations Prag), Dr. Paula Drumond (Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro) und Prof. Hubert Isak (Karl-Franzens-Universität Graz) das Spannungsverhältnis zwischen IO-Handeln und staatlicher Souveränität in der Friedenskonsolidierung. Wichtige Fragen betrafen die Charakterisierung der rechtlichen und/oder politischen Machtverhältnisse zwischen externen internationalen Organisationen und staatlichen Akteuren und Strategien zur Generierung legitimer Autorität. Nicht nur in Fällen, in denen die Regierung des Zielstaats als Konfliktpartei auftritt, stellt dies internationale Organisationen vor die Herausforderung, Projekte zu gestalten, die sich einerseits mit kontroversen Themen, wie Menschenrechten und Ungleichheit, beschäftigen, jedoch zugleich von der Kooperation der jeweiligen Regierung abhängig sind.

Vor diesem Hintergrund untersuchten im dritten Panel Dr. Nicolás Lemay-Hébert (University of Birmingham), Dr. Gezim Visoka (Dublin City University), Dr. Jan Pospisil (ASPR) und Dr. Maximilian Lakitsch (Karl-Franzens-Universität Graz) die Entwicklung dominanter Peacebuilding-Paradigmen in Diskurs und Praxis internationaler Organisationen.

Das abschließende vierte Panel rundete diese Diskussionen mit einer kritischen Reflexion zur Epistemologie und Methodologie sowohl in der Peacebuilding-Praxis internationaler Organisationen als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung damit ab. Dr. Anna Danielsson (Universität Uppsala), Dr. Juan Masullo (Jacobs Universität Bremen) und Andy Carl (London) diskutierten die Herstellung epistemologischer Autorität und Hierarchie in der Peacebuilding-Praxis, die Implikationen unterschiedlicher (quantitativer und qualitativer) methodischer Ansätze für das Verständnis von Konflikten sowie innovative praxisorientierte Ansätze zur Überwindung solcher Hierarchien/Hegemonien in der konkreten Arbeit internationaler Organisationen.

Ein ausführlicher Konferenzbericht befindet sich in Vorbereitung und wird über aspr.ac.at zu beziehen sein.

Andrea Warnecke

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2018/1 USA – eine Inventur, Seite 60–61