W&F 1984/4

SIPRI – Ein Portrait

von Redaktion: Gespräch mit Michael Brzoska

In der bundesdeutschen Friedensdiskussion spielen die Arbeiten des Stockholm International Peace Research Instituts (SIPRI) schon seit langem eine große Rolle. Analysen und Dokumente des SIPRI waren für die Friedensbewegung eine große Hilfe, um Vernebelungsversuchen der Militärs entgegenzutreten.

Schon früher haben Veröffentlichungen des Stockholmer Instituts positive Wirkungen gehabt: die umfangreichen Arbeiten über die Gefahren und Folgen eines B- und C-Waffenkrieges 19 71 -19 74 dürften auch das Zustandekommen der Konvention von 19 72 über das Verbot der bakteriologischen Waffen mitbeeinflußt haben.

Zu wenig ist hierzulande über Geschichte, Aufbau und Wirkungsweise des SIPRI bekannt. Diesen Fragen sind wir nachgegangen in einem Gespräch, das wir mit Dr. Michael Brzoska führten. Brzoska ist Mitarbeiter des Instituts und in der Bundesrepublik durch zahlreiche Publikationen zur Rüstungsproblematik hervorgetreten.

Können Sie uns zunächst einiges zur historischen Entwicklung des Instituts sagen?

SIPRI wurde 1966 offiziell errichtet, demnächst haben wir also das 20-jährige Jubiläum. Aber natürlich war schon in den Jahren davor über die Errichtung diskutiert worden. Ich sehe wie auch bei der Initiierung der bundesdeutschen institutionellen Friedensforschung Ende der 60er Jahre dafür 2 Wz4rzeln: zum einen die akademische Kritik an der herrschenden (westlichen) Militärpolitik und zum anderen den damals noch in vielen Ländern zunehmenden Glauben an die Problemlösungskapazität " neuer " Gesellschaftswissenschaften. Die Kritik an der Strategie der massiven Vergeltung und an der US-amerikanischen Militärstrategie allgemein fand in den 50er und 60erJahren fast ausschließlich innerhalb der "strategischen Denkschulen" statt. Sie wurde von linken wie rechten Kritikern vorgetragen, wenn man etwa an die Namen Kissinger und Maxwell Taylor einerseits und die Gruppe um die US-amerikanischen Atomforscher, die das Bulletin of Atomic Scientists herausgeben, denkt. Allgemein wurde dadurch das Bewußtsein gesteigert, vor allem wohl bei liberalen Politikern und Akademikern, daß man durchaus über Militärpolitik diskutieren kann, auf abstraktem und hohem wissenschaftlichen Niveau. Das war für europäische Verhältnisse, wo Militärs diese Sparte zuvor vollkommen überlassen war, etwas Neues. Es traf zusammen mit dem Anfang der 60er noch sehr starken, intellektuell inspirierten Aufbruchwillen in einigen Ländern, gerade in Nordeuropa oder Mitteleuropa, mit stark0en sozialdemokratischen Parteien. Soziologie und Politologie hatten nicht den schlechten Ruf, den sie heute haben. Man traute ihnen zu, konkrete Vorschläge zur Lösung genereller gesellschaftlicher Probleme machen zu können. Ich glaube, beide Faktoren, Kritik an der herrschenden Militärstrategie und Hoffnung in sozialwissenschaftliche Lösungskonzepte, erklären zu einem Gutteil, warum Friedensforschungsinstitute in welchen Ländern gegründet wurden. Das erste jedenfalls war das Stockholmer nicht, z.B. das in Oslo ist älter. Und der Anlass, den man hier in Schweden hatte, bestand darin, daß Schweden 1966 150 Jahre lang nicht mehr direkt an einem Krieg beteiligt gewesen war, eine wahrlich erstaunliche und bewundernswerte Tatsache.

Man könnte der Friedensforschung eine Art Frühwarnfunktion zuordnen. Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie Forschungsschwerpunkte festgelegt werden. Wie sieht also die "Forschungspolitik" von SIPRI aus? Wie hängt sie mit Publikationsstrategien zusammen?

Das Forschungsprogramm, so wie es immer noch besteht, geht auf Diskussionen Ende der 60er Jahre zurück, an denen schwedische Wissenschaftler, US-amerikanische und britische Experten verschiedener Fachrichtungen beteiligt waren. Besonders wichtig waren 2 Denkrichtungen.ein struktureller ökonomischer Ansatz, den man vor allem mit dem Namen Gunnar Myrdal verbinden muß, und die naturwissenschaftliche Richtung innerhalb der US-amerikanischen Arms Control School. Der britische Einfluß zeigte sich vor allem in der Betonung des Sammelns von Daten, der Dokumentation. Diese Ausrichtung dient natürlich auch der Vermeidung von Kritik. Sie dürfte aber dafür verantwortlich sein, daß SIPRI unter den Friedensforschungsinstituten in der Welt einen besonders guten Ruf hat. Von Anfang an konzentrierte sich die Dokumentation auf Bereiche, die entweder mit ökonomischen oder naturwissenschaftlichen Kategorien beschrieben werden können, also Militärausgaben, Waffenhandel, neue Waffensysteme, Zahl der Nuklearwaffen etc. Dagegen wurde die politische Analyse absichtlich vernachlässigt, z.B. Konflikte nicht analysiert. Politikvorschläge wurden dann vor allem auf Grund der Datensammlungen auf relativ abstrakter Ebene oder konkret in sehr kleinen Bereichen gemacht, etwa wie bestehende Verträge verbessert werden könnten. Immer aber ging man davon aus, Vorschläge zu machen, die einigermaßen akzeptabel sein könnten. Besonders erfolgreiche Vorhaben waren das Projekt über den Waffenhandel und das Projekt über chemische Waffen, die beide Ende der 60erlAnfang der 70er Jahre gemacht wurden. Als großer, vielleicht größter Erfolg hat sich das zunächst durchaus nicht unumstrittene SIPRI-Jahrbuch herausgestellt. Es ist inzwischen weltweit zu einer anerkannten Quelle für verschiedene Datensätze geworden, und auch die wechselnden Arbeiten zu Einzelthemen gewinnen ein großes Publikum. Das Forschungsprogramm hat sich im Laufe der Jahre dann immer mehr an die Bedürfnisse des Jahrbuchs angepaßt. Das war insbesondere Mitte und Ende der 70er Jahre der Fall, als bürgerliche Regierungen das Wachstum SIPRIs bremsten. Neuerdings findet wieder mehr Aktivität außerhalb des Jahrbuchs statt, meist gewachsen aus "klassischen" SIPRI Themen, wie Weltraumrüstung, "No-First-Use" oder "Common Security".

Wie würden Sie die politische Stellung von SIPRI einschätzen? Welche Rolle spielen die Arbeiten des Instituts in der Abrüstungsdiskussion - global, regional?

Die oben genannte thematische Eingrenzung beruht auf einer Einschätzung des politisch Machbaren und wissenschaftlich Tragfähigen. Obwohl SIPRI für ein Friedensforschungsinstitut recht groß ist, mit ca. 25 wissenschaftlichen Mitarbeitern, ist es doch ein winzig kleines Institut im Vergleich zu den militärischen Forschungsinstituten oder den regierungsamtlichen strategischen Forschungsinstituten. Das heißt, daß kein Mangel an Forschungsthemen in den "klassischen" SIPRI-Themenfeldern besteht. Und hier liegt natürlich auch der komparative Vorteil von SIPRI im internationalen Wettbewerb. Trotzdem ist SIPRI immer wieder politisch heftig angegriffen worden. Die heftigsten Angriffe kommen eigentlich von NATO-Seite. Hier wird vorgeworfen, daß SIPRI die Bevölkerung mit den falschen Informationen füttere, daß man zu Themen Stellung nehme, die die "Zivilisten" bei SIPRI nicht ernsthaft behandeln könnten usw. Richtig daran ist, daß SIPRI tatsächlich häufig nicht die Arbeitskapazität hat, die nötig wäre, um "bessere" Daten und Analysen vorzulegen, als sie Privilegiertere machen können. Nur erfolgt das häufig nicht. SIPRIs Daten sind dann immer noch die besten Verfügbaren. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn alle Länder vernünftige Daten zum Waffenhandel vorlegen würden, dann bräuchte niemand mit SIPRIs zugegebenermaßen sehr unvollständigen Listen zu arbeiten. Das muß man auch Kritikern aus Mitgliedsländern des Warschauer Paktes sehr häufig vorhalten, deren Informationspolitik noch weit restriktiver ist. Oft wird kritisiert, daß SIPRI im wesentlichen US-amerikanische Geheimdienstdaten reproduziere, was nicht ganz falsch ist, aber eben deswegen, weil keine anderen verfügbar sind.

Die Intensität der Kritik hat viel mit der Wirkung von SIPRI zu tun. SIPRI hat eigentlich zwei Zielgruppen: politische Entscheidungsträger und die allgemeine Öffentlichkeit. SIPRI hat bei Entscheidungsträgern in der Dritten Welt und mit erheblichen Abstrichen auch im Osten einen guten Namen. Bei den meisten westlichen, aber auch vielen neutralen Regierungen hingegen ist SIPRI nicht sehr angesehen, hat dafür relativ viel Resonanz bei der Bevölkerung, die wir weder in der Dritten Welt noch im Osten haben. Westliche Regierungen bevorzugen die "strategischen Studien", etwa des Londoner Institutes, die als Grundlage die Verbesserung der Militärpolitik des Westens haben; die nicht wie SIPRI davon ausgehen, daß Grundsätzlich Waffen das problematischste Mittel zur Sicherung des Friedens sind und man daher wirklich alle anderen Mittel ausschöpfen sollte, bevor man auf sie zurückgreift.

SIPRI hat in den Ländern, in denen die Friedensbewegung in den frühen 80er Jahren besonders stark war, auch einen besonders guten Ruf bei der Bevölkerung, weil die Informationen als einigermaßen gesichert und neutral gelten. Allerdings lassen sich SIPRI-Angäben nicht überall als gemeinsam akzeptierte Grundlage in Diskussionen mit Regierungsvertretern heranziehen, weil SIPRI in vielen Ländern eben nicht diesen Ruf hat - bei den Regierungen. Die besondere Resonanz in der Bundesrepublik ist sicher darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung und auch die Presse SIPRI relativ ernst nehmen. In Frankreich hingegen hat SIPRI einen sehr schlechten Ruf in offiziellen Kreisen und wird auch in der Friedensbewegung kaum genutzt.

SIPRI hat ein sehr hohes Ansehen bei den Vereinten Nationen. Eigentlich hat SIPRI früher in vieler Hinsicht die Arbeit gemacht, die die UN gemacht haben. Seit einigen Jahren sind die UN selber in der Erstellung von Studien sehr viel aktiver geworden - dies übrigens vor allem auf schwedische Initiative. Da sie von den Regierungen abgenommen werden müssen, haben sie aber nicht selten auch politischen Kompromißcharakter. SIPRI versucht, von solchen Tendenzen freizubleiben, hat aber trotzdem versucht, die Chance zu nutzen, mehr in Bereiche hineinzugehen, in die die UN aus politischen Gründen nicht gehen können, wie z.B. die Frage des "No-First-Use" oder regionaler Sicherheitsprobleme.

In der Bundesrepublik wurde bisweilen beklagt, daß die offizielle Friedensforschung nur wenig zur Entwicklung der Friedensbewegung beigetragen hat. Wie ist das Verhältnis von SIPRI zur internationalen Friedensbewegung, und kann es Vorschläge für die politische Praxis machen?

SIPRI hat die Stärkung der Friedensbewegung sehr begrüßt und immer wieder als einzigen Lichtschimmer in einer ansonsten immer dunkler werdenden Situation bezeichnet. Andererseits sieht man die Schwierigkeit der Vermittlung der SIPRI-Forschungsergebnisse, deren Niveau natürlich unbedingt erhalten bleiben muß. Einige Ansätze, die Ergebnisse leserfreundlicher als im dicken SIPRI-Jahrbuch zu präsentieren, sind gemacht worden, wie z. B. in einer 50-seitigen Broschüre, die auf deutsch im UNO- Verlag herausgekommen ist, und im Deutschen Sprachraum durch den Rowohlt- Verlag, der ausgewählte Kapitel des Jahrbuchs druckt. Broschüren werden in den 6 oder 7 wichtigsten westlichen Sprachen, russisch und japanisch gedruckt, die Jahrbücher in Auszügen ins Französische, Deutsche, Holländische, Japanische und Spanische übersetzt.

Die Vorschläge, die SIPRI der Friedensbewegung gemacht hat und macht, bewegen sich im Rahmen der langjährigen SIPRI-Tradition, d.h. es sind sehr moderate Vorschläge, orientiert am kurzfristig Machbaren. Z.B. wurde der Meinung Ausdruck gegeben, daß der Verzicht auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen durch die NATO ein vorrangiges Ziel der Friedensbewegung sein könnte, das sowohl erreichbar scheint, als auch tatsächlich die atomare Kriegsgefahr mindern könnte. Außerdem verweist man schon durch die Forschungspalette darauf hin, daß zwar die Nuklearwaffen gegenwärtig ein drängendes Problem sind, daß aber andere Bereiche genauso beachtet werden müssen. Dies gilt z.B. für die Weltraumrüstung, wo eine Vermeidung weiterer Militarisierung möglich scheint, oder für die Veränderung militärischer Doktrinen, die gegenwärtig sowohl im Warschauer Pakt (Nuklearisierung im taktischen Bereich) und in der NA TO (Air-Land-Battle) im Gange sind.

Kollege Brzoska, wir danken für dieses Gespräch.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1984/4 1984-4, Seite