W&F 2016/4

Soziale und politische Herausforderungen

29. Jahrestagung des Forum Friedenspsychologie,
8.-10. Juli 2016, Landau in der Pfalz

von Jana Meyer und Nadine Knab

»Social and Political Challenges: Research, Action, & Policy« – dies war das Motto, unter dem die 29. Jahrestagung des Forum Friedenspsychologie am Campus Landau der Universität Koblenz-Landau stattfand. Die dreitägige Tagung wurde von der Arbeitseinheit für Sozial- und Wirtschaftspsychologie sowie von der Friedensakademie Rheinland-Pfalz, Akademie für Krisenprävention und Zivile Konfliktbearbeitung, organisiert.

Radikalisierung, Verlust von Vertrauen in Politik und soziale Vielfalt sind nur einige Themen, die Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen im Umgang mit friedenspsychologischen Prozessen vor neue Herausforderungen stellen. Rund 70 Teilnehmer*innen kamen zur Vorstellung aktueller Forschung und interdisziplinärer Vernetzung in Landau zusammen. Die Zusammensetzung der Tagungsgemeinschaft reichte von Studierenden über Wissenschaftler*innen bis hin zu Praktiker*innen aus Politik, Zivilgesellschaft und Medien, wobei einige Teilnehmende aus Chile, England, Russland und den USA angereist waren.

Zu Beginn der Tagung gestaltete Jens Hellmann einen »Science Slam«-Workshop. Science Slam stellt eine neue Art der Forschungspräsentation dar, in dem es nicht um bloße Ergebnisdarstellung für ein Fachpublikum geht, sondern um die kreative und interessante Kurzdarstellung der eigenen Studie vor Laienpublikum, ähnlich einem Poetry Slam. Folglich hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, neue Kompetenzen im Bereich Wissenschaftskommunikation zu erlangen. Sie zeigten sich begeistert, Forschung auf eine völlig andere Art und Weise publikumswirksam präsentieren zu können.

Hauptbestandteil der Tagung waren die insgesamt 30 wissenschaftlichen Panelbeiträge, welche eine große thematische Bandbreite aufwiesen. Es wurden theoretische Modelle und Annahmen vorgestellt, wie bspw. der Vorschlag von Prof. em. Dr. Gert Sommer und Dr. Jost Stellmacher, den Begriff des »Menschenrechtsmissbrauch« in die UN-Menschenrechtscharta aufzunehmen.

Des Weiteren wurden in einem Symposium Untersuchungen zu Protestverhalten vorgestellt, u.a. vor dem Hintergrund des Bahnhofprojektes »Stuttgart 21«. In eine ähnliche Richtung gingen die beiden Symposien zu politischem Vertrauen bzw. Misstrauen. Im ersten Symposium standen Persönlichkeitsmerkmale im Vordergrund. Hier wurde erläutert, welche Merkmale Politiker*innen auszeichnen, denen vertraut wird, aber auch, welche Merkmale Protestbürger*innen besitzen und welche Auswirkungen dies auf ihre politische Partizipation hat. Im zweiten Symposium wurde u.a. der Frage nachgegangen, inwiefern soziale Vielfalt in politischen Gruppen die Wahrnehmung von Vertrauen beeinflusst. Die Studie zeigte, warum soziale Vielfalt von Politiker*innen für bestimmte Personen bedrohlich wirkt und deshalb zu einem Vertrauensverlust führen kann. In weiteren Vorträgen wurde auch die Rolle einer globalen Identität diskutiert (d.h. der Identifikation mit der gesamten Menschheit). Studien legen nahe, dass Personen mit einer höheren globalen Identität eher positiv gegenüber der Umwelt eingestellt sind und sich solidarisch mit Geflüchteten zeigen. Die Entwicklung erfolgreicher Strategien zur Förderung einer globalen Identität bleibt weiterhin eine Aufgabe für die Wissenschaft.

Ebenfalls diskutiert wurden Möglichkeiten zur Implementierung von Friedenspädagogik. Hier stellte unter anderem Inga Seifert vom Zivilen Friedensdienst (ZFD) die Versöhnungsschulen in Peru vor. In Versöhnungsschulen bearbeiten Teilnehmende ihre eigenen Gewalterfahrungen und lernen soziale Auswirkungen von Gewalt und die gesellschaftliche Dimension von Vergebung kennen. Dabei werden Täter-Opfer-Identitäten hinterfragt, Opferrollen verlassen und Handlungsalternativen für Täter*innen aufgezeigt. Die Besonderheit dieser Methode ist, dass sowohl Opfer als auch Täter*innen gemeinsam eine Gruppe bilden.

Der Frage, welche Verantwortung Wissenschaft und Politik bei der Entstehung, Kommunikation und Nutzung von Forschung haben, wurde am Freitagabend auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion nachgegangen. Eingeladen waren Dr. Simon Meisch vom Internationalen Zentrum für Ethik und Wissenschaften, Bernhard Docke, ehemaliger Anwalt des Guantánamo-Inhaftierten Murat Kurnaz und Mitglied im Menschenrechtsausschuss der Bundesanwaltskammer, Dr. Sascha Werthes, Geschäftsführer der Friedensakademie Rheinland-Pfalz, sowie der Politikwissenschaftler Prof. em. Dr. Ulrich Sarcinelli, ehemaliger Vizepräsident der Universität Landau und Vorsitzender der Friedensakademie Rheinland-Pfalz e.V. Die Veranstaltung moderierte SWR-Redakteurin Doris Maull. In der Diskussion ging es vor allem um Schwierigkeiten und Hürden in der Kooperation zwischen Wissenschaft, Medien, und Politik. So sei es beispielsweise enorm schwierig, friedenswissenschaftliche Erkenntnisse in den Medien zu platzieren. Einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion bildete der Aspekt der Wissenschaftsethik und die kritische Betrachtung von Kooperationen zwischen Politik und Forschung. Hierbei brachte Bernhard Docke mit seinem Wissen zu den Verstrickungen der American Psychological Association bei der Entwicklung und Durchführung von Foltermethoden in Guantánamo wertvolle Einschätzungen ein.

Abgerundet wurde das Tagungsprogramm durch die Verleihung des Gert-Sommer-Preises und den danach folgenden Keynote-Talk von Arie Kruglanski. Der Gert-Sommer-Preis des Forum Friedenspsychologie für die beste Abschlussarbeit wurde dieses Jahr an Katharina Neumann übergeben. Neumanns herausragende Masterarbeit beschäftigt sich mit der medialen Darstellung der rechten Szene und rückwirkenden Prozessen auf diese (siehe Artikel S. 44).

Im Anschluss an die Preisverleihung hielt der Radikalisierungsexperte Arie Kruglanski einen Keynote-Talk mit dem Titel »The Psychology of Radicalization and De-radicalisation«. Kruglanski ist Professor der University of Maryland und für seine Grundlagenforschung sowie seine Expertise im Bereich gewaltsame Radikalisierung bekannt.

Radikalisierung zeichne sich, so Kruglanski, erstens durch graduelle Abstufung (einstellungsbezogene Unterstützung von Gewalt bis hin zur selbst ausgeführten Gewalt) und zweitens durch die subjektive Beurteilung der Gruppe, welche Gewalt als Norm für wichtig erachtet, aus. Sein (De-) Radikalisierungsmodell baut auf drei Komponenten: Motivation, Ideologie und soziales Netzwerk. Auf Basis der empirischen Untersuchungen wurde ein Deradikalisierungsprogramm erarbeitet, das auf Sri Lanka in einem Gefängnis durchgeführt wurde. Teilnehmende waren Mitglieder der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE). Der wichtigste Faktor ist die Vermittlung der eigenen Bedeutung in der Gesellschaft, die nicht an Gewalt gebunden ist, sowie eine Wiedereingliederung in diese. Kruglanski ließ ein nachdenkliches Publikum zurück, welches sich auf Basis der vorgestellten Studien auch fragen musste, welche Rolle die Gesellschaft spielt, wenn sich junge Menschen radikalisieren. Wo unser Alltag häufig von Abwertung und Ausgrenzung anderer geprägt ist, steht letztendlich jede*r in der Verantwortung, sich anderen gegenüber wertschätzend und anerkennend zu verhalten.

Den Abschluss der Tagung bildeten die offene Mitgliederversammlung und die Vorstandsversammlung des Forum Friedenspsychologie am Sonntagnachmittag.

Organisiert wurde die 29. Jahrestagung von Prof. Dr. Melanie C. Steffens, Dipl.-Psych. Franziska Ehrke, Dipl.-Soz. Julia Dupont und M.Sc. Nadine Knab. Die Organisatorinnen bedanken sich für die Unterstützung durch Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Amnesty International Hochschulgruppe, Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (dgvt), Fachgruppe Sozialpsychologie (FGSP), Freundeskreis der Universität Koblenz-Landau in Lan­dau/Pfalz e.V., Friedensakademie Rheinland-Pfalz sowie Forschungsschwerpunkt »Kommunikation, Medien und Politik« (KoMePol) der Universität Koblenz-Lan­dau.

Jana Meyer und Nadine Knab

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/4 Weltordnungskonzepte, Seite 53–54