W&F 2018/2

Welches Wissen(-)schafft Praxis?

Tagung des Arbeitskreises Junge AFK, 11-12. April 2018, Berlin

von Tim Bausch, Christine Buchwald, Lawreen Masekla und Michael Nann

Die Tagung »Welches Wissen(-)schafft Praxis?« wurde durch die Sprecher*innen der »Jungen AFK« (Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung) eröffnet, indem sie auf ein Gutachten des Wissenschaftsrates von 1970 Bezug nahmen. In diesem Dokument wird die Friedens- und Konfliktforschung als „engagierte Wissenschaft” (vgl. Koppe 2001, S. 213 f.) bezeichnet. Als Adressat*innen seiner Befunde werden dezidiert (auch) soziale Träger*innen genannt. Friedens- und Konfliktforschung wies demnach schon immer ein praktisches Anliegen und eine normative Ausrichtung auf. Auch die AFK konstatiert in ihrem Selbstportrait unter anderem die Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten als „Grundlage für eine am Frieden orientierte politische Praxis“ (AFK 2018, o.A.).

In den Anfängen der Friedensforschung war eine besondere Nähe zur Friedensbewegung festzustellen (vgl. Bogerts/Bo¨schen/Weller 2016). So war es den Organisator*innen der Tagung ein Anliegen, insbesondere Aktivist*innen zu integrieren und sich so ein Stück »back to the roots« zu bewegen. Personen aus dem Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung komplementierten die Tagung. So erklärten sich dann auch der wortspielerische Titel und die Leitfrage der Konferenz: »Welches Wissen(-)schafft Praxis?« Zur Beantwortung dieser Frage fanden sich rund 70 junge und junggebliebene Personen aus verschiedenen Wissensdomänen zusammen – von A wie »Aktivismus« bis Z wie »Zivile Konfliktbearbeitung«. Eine besonders große Anzahl von Workshops reflektierte ein grundlegendes Anliegen dieser Tagung: Die Genese und den Austausch von Wissen praktisch und didaktisch wertvoll zu gestalten.

Hintergrund | Wie entstand das Wissen zur Tagung?

Das Thema der Konferenz resultierte aus einer vorab durchgeführten Workshop-Reihe, in deren Rahmen verschiedene Standorte junger Friedensforschung besucht wurden.1 Das Projekt wurde prozessorientiert durchgeführt, indem die Befunde der jeweiligen Workshops in die Folgeveranstaltungen getragen wurden. So wurde ein standortübergreifender Diskurs initiiert. Die Workshop-Reihe verfolgte verschiedene Ziele; die Herausarbeitung eines Tagungsthemas war eines davon. Dementsprechend verfolgte die Workshop-Reihe einen Bottom-up-Ansatz, der in der Tagung seinen Höhepunkt fand.

Wissensgenese | Wer schafft wie Wissen?

Die Genese von Wissen ist zwangsläufig von Machtstrukturen durchdrungen. Viele Panelist*innen und Workshopgestalter*innen machten es sich entsprechend zur Aufgabe, diesen Umstand nicht nur kritisch zu reflektieren, sondern nach Lösungen zu suchen. So wurden in Panel 1 etwa klassische Formen der Politikberatung (Daniel Beck) durch Ansätze der so genannten „Artistic Research“ (Felix Koltermann) und einem alternativen Erkenntnismodell, das sein Wissen im ästhetischen Raum sucht (Tim Bausch), kontrastiert. Die darauf aufbauende Diskussion strukturierte sich unter anderem durch die Frage nach möglichen Adressat*innen. Während Daniel Beck sich für eine reflektierte Hinwendung zu politischen Entscheidungsträger*innen aussprach, setzte Tim Bausch auf die Gesellschaft als wesentliche Resonanzgruppe.

Miriam Bach und John Preuss reihten sich mit ihrem Workshop zu partizipativer Forschung in einen Diskurs ein, der Wirklichkeit nicht nur analysieren, sondern diese zum Vorteil des Forschungsgegenüber verändern möchte.

David Scheuning, Esther Binne und Daniela Pastoors gestalteten einen Workshop, der eine ähnlichen Richtung einschlug. Sie abstrahierten diverse Reflexionen über das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis bzw. Möglichkeiten der Verschränkungen. Auf große Resonanz stieß die didaktische Methode der »Kollegialen Beratung«, bei der zur Reflexion und Fallbearbeitung auf einer Metaebene angeregt wird. Konstitutiv ist dieser Methode eine prozess- und lösungsorientierte Gestalt, die weitestgehend ohne Hierarchien auskommt.

Wissenstransfer | Wie Wissenstransfer fair gestalten?

Christine Buchwald, Sebastian Grieser und Elise Kopper brachten durch zuvor geführte Interviews Stimmen aus der Friedensbewegung mit und boten so die Möglichkeit, deren Ansichten zu Forschung und das Verhältnis von Forschung und Bewegung zu reflektieren. Parallel dazu kamen in einem Panel die Aktivistinnen Ansar Jasim, Sophie Bischoff und Burcu Eke-Schneider mit den aktivistischen Wissenschaftler*innen Philipp Lottholz und Klaudia Rottenschlager zusammen. Dabei wurden aus deren jeweiliger Arbeitspraxis Beispiele kollaborativer Projekte vorgestellt. Jan Möller zeigte in seinem Workshop sehr praxisorientiert Werkzeuge für einen gewaltfreien Wissenstransfer und Prozesse des Self-Empowerments.

Kritische Selbstreflexion | Wie legitimiert sich Wissenschaft?

Auch wurde auf der Tagung bewusst der Finger in die bekannte Wunde gelegt. Alexander Engelsdorfer und Anne Menzel diskutierten selbstkritisch über die wissenschaftlichen Praktiken im Peacebuilding, über die Bedeutung der Policy-Relevanz und über die Rolle der/des Forschenden. Während Alexandra Engelsdorfer eine Änderung der Analysekategorien forderte, fragte sich Anne Menzel, wie man damit umgehen könne, zwischen kritischer Haltung und dem Nicht-gelesen werden „eingeklemmt“ zu sein.

Stella Kneifel und Sophie Bischoff trugen Erfahrungen aus dem Bildungsforum für Geflüchtete, das einen gemeinschaftlichen Lernrahmen für Menschen mit und ohne Fluchthintergrund bietet, in die Tagung. Aus besagtem Bildungsforum ging ein Ausstellungsprojekt hervor. Dies nahmen die beiden Verantwortlichen als Bezugspunkt für intensive Diskussionen über die orthodoxen Darstellungspraktiken des Wissenschaftsbetriebes und stellten die Frage nach möglichen Alternativen.

Anne Menzel und Mechthild Exo luden zu einem Dialog über den Nutzen und die Reichweite des Feminismus ein. In dem zweigeteilten Workshop boten dabei Nicola Popovic aus Sicht der Beraterin von Organisationen und Regierungen zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 und Leyla Imret als amtierende Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Cizre anfangs einen Input aus ihrer beruflichen Praxis. Im nachfolgenden World Café bot sich Diskussions- und Reflexionspotential über Feminismus in Alltags- und Wissenschaftspraxen.

Resümee | Welche Perspektiven bietet die Tagung?

Während der Tagung kristallisierte sich ein besonders hohes Interesse an partizi­pativen Forschungsmethoden heraus. Allgemein zeigt sich ein Bedürfnis, sozial­wissenschaftliche Methoden zu reformieren. Davon zeugen auch die Arbeiten der diesjährigen Preisträger des Christiane-Rajewsky-Preises: Philipp Lottholz und David Scheuing, reflektierten ihre Arbeit methodisch durch experimentelle Ansätze. Dadurch wird deutlich, dass alternative methodische Ansätze zwar Mut benötigen, aber die Qualität darunter nicht leiden muss.

Zudem zeigte sich sowohl während der Workshopreihe als auch auf der Tagung ein erhöhtes Bedürfnis, Wissen der Friedens- und Konfliktforschung praktisch anwendbar zu gestalten. Dieses Bedürfnis gestaltet sich wechselseitig: Während Forschende nicht nur staatstragenden Akteuren zuarbeiten wollen, sondern den Dialog mit Aktivist*innen und Friedensbewegten für praktisch relevante Lösungen suchen, wollen letztere wiederum auf Augenhöhe wahrgenommen werden und fordern die Anerkennung ihres praktischen Erfahrungswissen.

Dass Forschung und Aktivismus nicht getrennt sind, zeigt sich auch am politischen Zeitgeist während der Tagung: Junge Friedensforschung macht sich bemerkbar. Konkrete Forderungen werden »von unten« formuliert, wie die nach einem intensiveren Austausch zwischen Wissenschaft und deren praktischen Feldern (z.B. Aktivismus oder zivile Konfliktbearbeitung). Wissens­transfer wird dabei nicht als Einbahnstraße verstanden, sondern als oszillierender Prozess, der notwendigerweise kritisch reflektiert werden will.

Dass Kollaboration funktionieren kann, hat die diesjährige Tagung der Jungen AFK gezeigt. Nötig sind dafür keine vom modernen Fortschrittsglauben in die Höhe schießenden Türme (von Babylon), sondern synergetische Brücken zwischen den theoretischen und praktischen Domänen. Diese kollaborativen Brücken sollten nicht erst bei der praktischen Anwendung von Wissen zum Tragen kommen, sondern bereits bei der Wissensgenese. Die ­Junge-AFK-Tagung zeigt, dass junge Friedensforschung innovative und kreative Ansätze bietet. Bleibt zu hoffen, dass die entsprechenden Resonanzgruppen in Politik, Gesellschaft und Akademia diese Impulse wahrnehmen und das gegenwär­tige Potential nutzen.

Anmerkungen

1) Die Workshopreihe machte dabei an folgenden Stationen halt: Marburg, Jena, Berlin, Evangelische Akademie Villigst in Schwerte, Klagenfurt und Augsburg. Die Junge AFK dankt an dieser Stelle all den engagierten Teilnehmer*innen und den verschiedenen Kooperationspartner*innen vor Ort.

Literatur

AFK (2018): afk-web.de/afk-home/ueber-die-afk.html.

Bogerts, L.; Bo¨schen, S.; Weller, Ch. (2016): Politik, Protest, Forschung. Wie entstand die Friedensforschung in der BRD? Wissenschaft und Frieden 1-2016, S. 12-15.

Koppe, K. (2001): Der vergessene Frieden – Friedensvorstellungen von der Antike bis zur Gegenwart. Opladen: Leske + Budrich.

Tim Bausch, Christine Buchwald, Lawreen Masekla und Michael Nann

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2018/2 Wissenschaft im Dienste des Militärs?, Seite 61–62