W&F 2016/4

Weltordnungskriege im Ost-West-Konflikt?

von Jost Dülffer

Kommunismus versus Kapitalismus oder Demokratie versus Diktatur? Wenn das die einzigen Ordnungsmuster der Weltpolitik über fast fünfzig Jahre gewesen wären, könnte man sich den folgenden Beitrag sparen. Gezeigt werden soll vielmehr, dass Kriege dieser Zeit (und danach) komplexeren Mustern auf mehreren Ebenen folgten. Nur so kann man zu annähernd hinreichenden Erklärungen kommen.

Der »Kalte Krieg« wurde im Laufe der Jahre zunehmend zum globalen Krieg. Er machte sich nicht nur im Norden, sondern auch im Globalen Süden in allen Bereichen von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur bemerkbar. Die Entwicklungen, deren Dynamiken durch die bipolare Konfliktordnung des Kalten Krieges überlagert und bisweilen erst auf Dauer gestellt wurden, wiesen aber auch eine eigene lokale und regionale Logik auf, und zwar keineswegs nur im Globalen Süden. Dies traf bereits seit den imperialen Eroberungen des 19. Jahrhunderts zu, galt aber auch für die Dekolonisation nach den beiden Weltkriegen.

Eine längerfristige Sicht auf die regionalen Konflikte im 20. Jahrhundert könnte lohnend sein, die diese genuinen und z.T. verdeckt gehaltenen Strukturen internationaler Subsysteme in den Blick nimmt und damit auch die Möglichkeit schafft, die in den letzten Jahrzehnten wichtig gewordenen Konflikte und Kriege als neue Erscheinung älterer Problemlagen zu erkennen. Es könnte sein, dass die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts, die einen entscheidenden Ausgangspunkt und Austragungsort in Europa hatten, so in längerer Perspektive weniger wichtig erscheinen und den bislang üblichen Blick von der nördlichen Halbkugel in den Süden verschieben.

Die beiden Weltführungsmächte USA und Sowjetunion und ihre Verbündeten trafen 1945 nur als Folge des sonst nicht zu stoppenden deutschen Hegemonial- und Rassenkrieges mitten in Europa aufeinander und schufen so die Voraussetzungen für die Entwicklung zum Kalten Krieg. Dieser Ost-West-Konflikt führte zur Bildung zweier Integrationsblöcke mit sehr unterschiedlichen Strukturen: „Das eine Imperium […] entstand durch Einladung, das andere durch Auferlegung“, formulierte John Lewis Gaddis.1 Zugleich luden beide Seiten mit zumindest propagandistischer moralischer Disqualifikation die jeweils andere Seite als »Reich des Bösen« auf – nicht erst durch Ronald Reagan.

Ich ziehe es vor, diese jahrzehntelange Auseinandersetzung (die sich, wenn auch in gewandelter Form, nach 1991 weiter beobachten lässt) als »Ost-West-Konflikt« zu bezeichnen, weil so dessen Intensivphasen mit dem Eindruck hoher Kriegsgefahr deutlicher hervortreten. Er beschränkte sich nicht auf Europa, sondern erstreckte sich von Beginn an auch auf Südost- und Ostasien (z.B. Indochina); in diesem Rahmen gab es etliche heiße Konflikte. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass zu einer Zeit, als man einen großen Krieg befürchtete, die eigentlichen »Kalten Kriege« an anderer Stelle stattfanden. Sie umfassten die Berlin-Blockade und den Koreakrieg 1948 bis 1951 – letzterer ein »heißer Krieg«, der auf Europa überzugreifen drohte –, die Berlin- und Kuba-Krisen 1959-1962 sowie die »Nachrüstungskrise« zwischen 1979 und 1984.2

Der Ost-West-Konflikt

Worum ging es im Ost-West-Konflikt, der von zahlreichen interpendenten Konfliktfeldern auf den Achsen Ost-West und Nord-Süd durchzogen war? Es war sicher ein ideologischer Konflikt, er lässt sich aber nicht darauf reduzieren. Umfassendere Interpretationen3 betonen zwei Modernisierungsstrategien, die sich in Ost und West verschiedener Methoden des Werbens und der aggressiven Ausbreitung bedienten. Fasst man unter die Ausbreitung auch Bereiche wie Wirtschaft, Kultur, Technologie und vor allem die militärische Aufrüstung, lässt sich annähernd das gesamte (in sich pluralistische) Muster von Lebensweisen erfassen.

Weitere Differenzierungen sind angebracht, um den vielschichtigen, ordnungsrelevanten Konfliktlagen näher zu kommen. Erstens verfolgte die Länder des »Westens«, voran die USA, das umfassende Ziel, die Weltwirtschaft zu rekonstruieren und zum eigenen Vorteil zu organisieren. Aber das multinationale Wirtschafts- und Finanzsystem, das immer stärker die globalen Strukturen der Welt bestimmte, wurde nur noch bedingt durch staatliche Institutionen gestaltet oder gar kontrolliert.4 Transnationalität auch zivilgesellschaftlicher Provenienz entwickelte sich quer zu den bisherigen staatlichen Ordnungen, wurde aber auch zum Vehikel der Durchdringung von »Zweiter« und »Dritter Welt« durch die »Erste«.5 Zweitens waren die USA und die Sowjetunion zwar die entscheidenden internationalen Mächte, im Westen gab es aber mit den ehemaligen Kolonialmächten, allen voran Großbritannien und Frankreich, zwei Subzentren, die sich – zumal in Fragen der Dekolonisierung – nur mühsam den tendenziell antikolonialen USA unterordneten. Die Sowjetunion wiederum hatte seit den späten 1950er Jahren mit der massiven Konkurrenz der Volksrepublik China zu rechnen, die sich seither in allen regionalen Konflikten des Südens bemerkbar machte. Die relative Autonomie der Regionalmächte zeigte sich schon bei den Konflikten um Griechenland und Jugoslawien 1944 bis 1949.

Daher muss man bei vielen Konflikten, die nach 1945 zu Kriegen führten, die verschiedenen Akteure auf unterschiedlichen Ebenen und ihr Verhältnis zueinander berücksichtigen. Dazu zählten neben lokalen, ggf. ethnischen Gruppen, vor Ort auch Nachbarländer in der jeweiligen Region mit eigenen Führungsansprüchen und bisweilen auch die weltpolitischen Ordnungsmächte.6 Einer seriösen Forschung zum Ost-West-Konflikt sollte es also darum gehen, Konflikte und Kriege in einem Mehrebenensystem7 zu verorten und die darin enthaltenen divergenten Binnenlogiken in den Blick zu nehmen.

Verlagerung der Konflikte in den Globalen Süden

Im Ost-West-Konflikt fanden konventionelle Kriege ganz überwiegend im Globalen Süden statt, wobei zwischenstaatliche und innerstaatliche Kriegsformen sehr häufig ineinander übergingen.8 Zwischen 1945 und 1990 gab es etwa 20 Millionen kriegsbedingte Tote, 99 % davon in der »Dritten Welt«.9 Der Globale Norden – von »nur« ca. 200.000 Kriegsverlusten betroffen – muss im Vergleich damit als relativ friedlich gelten Die Gründe lassen sich hier nur anreißen: Die Teilung Europas entwickelte sich langsam, in der Regel situativ und ungeplant. Auf der einen Seite gab es die Tendenz, die auch nach 1945 weiter bestehenden lokalen und europäischen Gewaltkonflikte im Osten der Sowjetunion zu überlassen.10 So ließ der Westen die Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR 1953 zu und entlarvte die noch im US-Wahlkampf 1952 vertretene Politik des »Roll back«, der Befreiung, als Illusion. Diese Akzeptanz der militärischen Herrschaftssicherung im gegnerischen Block setzte sich 1956 in Ungarn/Polen und 1968 in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) fort, führte jedoch bereits 1980/81 nicht mehr zur militärischen Niederschlagung der polnischen Solidarnosc-Bewegung.

Was sich schon im Zweiten Weltkrieg abgezeichnet hatte und von Winston Churchill und Josef Stalin informell anerkannt worden war, nämlich die Abgrenzung von Interessensphären, sicherte letztlich den Frieden in Europa. Am Verhandlungstisch wurden Entscheidungen getroffen, die einen weiteren großen Krieg nach den Verlusten des Zweiten Weltkrieges verhinderten. Spätestens mit dem atomaren Patt der frühen 1960er Jahre stabilisierte die Gefahr eines bewusst herbeigeführten Nuklearkrieges auf beiden Seiten den weiter aggressiv aufgeladenen Konflikt. Das war die europäische Ordnung des Kalten Krieges, die kriegsvermeidend wirkte.11 Weder die Sowjetunion noch die USA akzeptierten jedoch Parität im rüstungstechnischen Sinne, was ein groteskes Wettrüsten mit Trägersystemen und nuklearen Sprengköpfen zur Folge hatte; sie beachteten aber den territorialen Status quo.12 Die USA und die Sowjetunion machten Politik unter der Prämisse, dass ein notwendig eskalierender Nuklearkrieg nicht zu führen sei, drohten dennoch wiederholt verbal, zumal in der Doppelbeschlusskrise der 1980er Jahre, mit Krieg, was mehrmals zu fast fatalen Fehlinterpretationen führte. Die Methoden der Auseinandersetzung blieben daher auf die – im Osten und Westen je andere – Subversion und medial-kulturelle Einflussnahme beschränkt; es war aber gerade die westliche, auch an Menschenrechten orientierte Informations- und Kulturpolitik, die nachhaltig subversiv wirkte.

Die drohenden und akuten Kriege selbst verlagerten sich seit den 1950er Jahren stärker in die »Dritte Welt«. Dieser Terminus – ursprünglich einer des Aufbruchs13 – entwickelte sich bis heute zur Metapher für Abhängigkeit, Zerstörung und fortgesetzte Ausbeutung. Die Modernisierungsstrategien der »Ersten« und »Zweiten Welt« konkurrierten nun auch in diesen »Entwicklungsländern«, die geographisch nur zum Teil in der südlichen Hemisphäre liegen. Hier waren die Kalte-Kriegs-Imperien nicht schroff voneinander abgegrenzt, und hier engagierte sich die Sowjetunion wesentlich häufiger als im Norden »durch Einladung«, die USA stärker »durch Auferlegung«. Die USA, teilweise in Kooperation, häufig aber auch in Konkurrenz zu den (vormaligen) Kolonialmächten bzw. in deren Nachfolge, hatten sich zugleich mit ihrem Bestreben, die Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wieder anzukurbeln und sich Rohstoffquellen, vor allem Öl, zu erschließen, frühzeitig zum Aufbau eines Kranzes von maritimen Stützpunkten entschlossen, die ihnen starke Positionsvorteile einbrachten.14 Die Sowjetunion konnte sich demgegenüber auf in ihrem Sozialismus angelegte antiimperialistische Strategien stützen, die in der Dekolonisierung zum Wettbewerb mit der westlich-demokratischen Unterstützung (post-) kolonialer Eliten führte.

Es gab nur einen Krieg, in dem die Sowjetunion und die USA zwar unabhängig voneinander, aber unisono die antiimperialistische Karte zogen: Das war der 1956 von Frankreich, Großbritannien und Israel angezettelte Suezkrieg gegen Ägypten. Bei einem anderen, dem indisch-pakistanischen Krieg von 1966, agierte die Sowjetunion gar als von den USA erwünschter Friedensvermittler.15

Zumeist waren Konflikte weitaus antagonistischer. Sie begannen 1946 um den Iran oder die türkischen Meerengen und eskalierten erstmals im Koreakrieg 1950 bis 1953. Schon hier kann man kaum von einem »Stellvertreterkrieg« oder einem Krieg um die Weltordnung sprechen, andernfalls müsste der geographisch-hegemoniale Aspekt stärker betont werden. Der Koreakrieg hatte mehrfache Ursachen. So etablierten die beiden Großmächte nach 1945 zunächst sowjet- bzw. US-freundliche Machthaber im Norden bzw. Süden der Halbinsel, deren Alleinvertretungsanspruch von den Führungsmächten zunächst im Zaum gehalten wurde. Erst nach dem Sieg Mao Zedongs im chinesischen Bürgerkrieg 1949 erhielt der nordkoreanischen Präsident Kim Il-sung die sowjetische und zugleich die chinesische Unterstützung. Das war der Punkt, als die USA primär aus geostrategischen Gründen intervenierten und mit einem Mandat der Vereinten Nationen eine große »Koalition der Willigen« zustande brachten.16 Der hier und später noch oft gebrauchte Begriff des »Stellvertreterkrieges« trifft den Kriegsanlass und -grund nur unzureichend. Vielmehr müsste der geographisch-hegemoniale Aspekt stärker betont werden, wenn man von einem Ordnungskrieg sprechen will. Die USA erwogen in Korea mehrfach den Einsatz von Atomwaffen, stimmten aber letzlich im Juli 1953 einem ( bis heute anhaltender) Waffenstillstand auf der territorialen Basis der damaligen Kampflinien zu.

Lösungen nach Kriegen

Nach drei wichtigen kriegerischen Konflikten mit nachfolgender Teilung der Länder zeigten sich unterschiedliche nationale Friedenslösungen.

1. In Korea überdauerte die Existenz zweier Staaten das Ende des bisherigen Ost-West-Konflikts auch deshalb, weil die Volksrepublik China ein Interesse an der Stützung der spätkommunistischen Diktatur bewahrte. China hatte sich von einer weltrevolutionären Führungsmacht zu einer politisch-militärischen Weltmacht entwickelt, welche sich in den regionalen wie generellen Konflikten der Gegenwart auch als Militärmacht artikuliert. Ebenso wichtig wie dieser regionale Rahmen erscheint die Etablierung zweier sehr unterschiedlicher gesellschaftlicher Organisationsformen, von denen sich der Norden seither mit offenen, auch nuklearen, Kriegsrüstungen und -drohungen seiner Existenz versichert.

2. In der deutschen Frage, an der gefährlichsten Nahtstelle des Kalten Krieges angesiedelt und mit einer sonst kaum erreichten Militärdichte in beiden deutschen Staaten, fiel mit dem Entzug der sowjetischen Unterstützung und damit der Preisgabe eines wesentlichen Elements bisherigen hegemonialen Einflusses in Osteuropa die Teilung weg und führte zur Vereinigung von 1990 mit den bekannten Folgen bis heute.

3. In Indochina erlangte Frankreich 1945 seine Kolonialherrschaft militärisch zurück, konnte sich jedoch trotz US-Hilfe nicht überall im Lande durchsetzen, sodass das Land nach der französischen militärischen Niederlage von 1954 bis 1975 in Vietnam geteilt war (daneben gehören Laos und Kambodscha zu Indochina). Trotz des Pariser Friedensvertrages von 1973 mussten sich die USA zwei Jahre später schmachvoller als zuvor bereits die Franzosen geschlagen geben. Das war singulär und führte zur Wiedervereinigung beider Teile Vietnams. Der Vietnamkrieg folgte der Logik nationaler Befreiungskriege und wurde, obwohl von der Sowjetunion und der Volksrepublik China unterstützt, entscheidend von der Regionalmacht selbst gegen das US-geführte Bündnis gewonnen.17 Nach einigen regionalen Anschlusskriegen zur Erlangung eine regionalen Machtbalance konsolidierte sich das vom Norden her vereinigte Vietnam, das inzwischen guten Austausch mit dem Westen pflegt.

Die Entwicklung dieser drei durch Krieg geteilten Staaten gibt also drei unterschiedliche Verlaufsformen wieder: erstens eine andauernde feindliche Teilung, zweitens den friedlichen Kollaps einer Seite und drittens einen siegreichen Vereinigungskrieg. Man wird daher nicht von einer »Ordnung« des Kalten Krieges sprechen können.

Gegenüber der »Dritten Welt« verfolgten Westen und Osten unterschiedliche Entwicklungspfade, die sie z.T. militärisch unterstützten. Gerade die USA ließen sich dabei von einer Strategie der Glaubwürdigkeit tragen und intervenierten bisweilen nur, um künftige Vorteile der Gegenseite auszuschließen. Die von der Eisenhower-Administration für Südostasien entwickelte Domino-Theorie bildete ein Modell, das angesichts einer weltweit wahrgenommenen kommunistischen Gefahr auf viele Konflikte übertragen wurde. Auf sowjetischer Seite gab es bisweilen ähnliche Perzeptionen18 oder zumindest verbreitete sie propagandistisch Feindbilder von US-imperialistischen Verschwörungen, die bis zu einem bedrohlichen westdeutschen Neofaschismus reichten. Das sowjetische Äquivalent für die US-Niederlage in Vietnam wurde der Afghanistankrieg von 1979 bis 1989. Er wurde von Moskau nicht als Expansionskrieg für eigenen Einfluss und Ordnung geführt, sondern aus einer grundsätzlich defensiven Position, um nicht jeden Einfluss in der Region zu verlieren – mit dem bekannten negativen Resultat.19

Befreiungs- und Staatenbildungskriege im Globalen Süden

Die Kriege im Globalen Süden waren in der Zeit des Ost-West-Konflikts zumeist Befreiungs- und postkoloniale Staatsbildungskriege. Die USA wie die Sowjetunion boten den vielfach europäisch sozialisierten Eliten mit der Berufung auf liberalkapitalistische oder sozialrevolutionäre Ansätze einen Referenzrahmen für eigene politische Programme, die ihrerseits dazu dienten, die jeweilige Unterstützung der Supermächte in regionalen Kriegen zu erlangen. Walt W. Rostows »Stages of Economic Growth« von 1960 trug bereits den Untertitel »An Anticommunist Manifesto«. Er konstruierte im Hinblick auf die »Dritte Welt« fünf Stufen normativ gedachter Entwicklung im westlichen Sinn bis hin zum sich selbst tragenden Wachstum. Rostow stieg in den späten 1960er Jahren im politischen Apparat bis zum Nationalen Sicherheitsberater der Vereinigten Staaten auf, seine »ordnende« Blaupause scheiterte aber schon in ihren Ansätzen bei den Aufbauprogrammen für Vietnam, die – da von Anfang an militärisch begleitet – die USA letztlich in den Krieg schlittern ließen.20

Tatsächlich verlief die Konkurrenz der zwei von den Weltmächten betriebenen Entwicklungspfade chaotisch, gewaltförmig und letztlich kontraproduktiv für ihre jeweiligen Ziele. Wie der Krieg um die Unabhängigkeit des Belgischen Kongo zeigte, reichte noch 1960/61 die sowjetische militärische Unterstützung der Regierung Lumumba nicht zu deren Absicherung, was die Ermordung Lumumbas im belgischen Interesse mit CIA-Unterstützung ermöglichte. Danach und vor allem seit den 1970er Jahren intensivierte sich aber das sowjetische Engagement in afrikanischen Kriegen von der Unterstützung in Stellvertreterkriegen bis hin zu direktem militärischem Eingreifen.

Am Horn von Afrika sowie in Mo­zambique und Angola wurden Kriege unterschiedlicher Befreiungsbewegungen von der Sowjetunion wie vom Westen auch militärisch durch Berater, Geld und Soldaten unterstützt. Bei der jeweils durchaus vorhandenen Absicht, die soziale Lage der Bevölkerung zu verbessern, ging es primär um die Ausweitung des Einflusses, nicht um territoriale Gewinne.21 Hinzu kam, dass sich die Volksrepublik China z.B. in Angola seit den 1970er Jahren gegen die Sowjetunion militärisch positionierte. Da die USA unter der Reagan-Administration intensiver gegen den sowjetischen Einfluss überall auf der Welt vorgingen, nahmen besonders die afrikanischen Kriege an Zerstörungskraft zu. „Es sieht so aus, dass Afrika unter dem hohen geopolitischen Einsatz der Supermächte und ihrer ideologischen Konfrontation gegen Ende des Kalten Krieges schwere Kollateralschäden erleiden musste.“ 22 Das scheint mir jedoch eine Beschreibung zu sein, die eher für die in Kauf genommenen Folgen als für die gezielten Absichten der Sowjetunion23 und/oder der USA galten.

Sicherung der Einflusssphären

Ein »grand design« zur Ausbreitung der eigenen Ordnungen durch Krieg spielte eine geringere Rolle als das Bestreben, nur nicht an Einfluss zu verlieren, gestützt durch den Glauben an die je eigene welthistorische Überlegenheit und ökonomische Interessen. Dabei gerieten die Supermächte häufig in ein regionales Machtsystem, das sie mit ihrem militärischen Führungsanspruch zu überwinden oder doch zumindest nach dem eigenem Sieg von der Sinnhaftigkeit von Krieg zu überzeugen hofften. Das ging und geht bis heute fast immer schief – unter den krachenden Misserfolgen der G.W. Bush-Administration zur Etablierung einer solchen Ordnung24 leidet nicht nur der Mittlere Osten bis heute.

Anmerkungen

1) Gaddis, J.L. (1997): We Now Know – Rethinking Cold War History. Oxford: Oxford University Press, S. 52.

2) Dülffer, J. (2004): Europa im Ost-West-Konflikt 1945-1991. München: Oldenbourg.

3) Westad, O.A. (2005): The Global Cold War – Third World Interventions and the Making of Our Time. Cambridge: Cambridge University Press. Auch insgesamt im Folgenden zum Globalen Süden.

4) Ferguson, N. et al. (ed.) (2011): The Shock of the Global – The 1970ies in Perspective. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.

5) Iriye, A. et al. (2012): The Human Rights Revolution – An International History. Oxford: Oxford University Press.
ders.; Osterhammel, J. (Hrsg.) (2013): Geschichte der Welt 1945 bis heute – Die globalisierte Welt. München: C.H. Beck.

6) Für andere Zeiten entwickelt bei: Dülffer, J. u. a. (1986): Inseln als Brennpunkte internationaler Politik – Konfliktbewältigung im Wandel des internationalen Systems 1890-1984: Kreta, Korfu, Zypern. Köln: Wissenschaft und Politik.

7) Damit ist etwas anderes als das viel diskutierte Mehrebenensystem der europäischen Integration gemeint.

8) Typisierungen m Anschluss an Istvan Kende: Gantzel, K.J.; Schwinghammer, T. (1995): Die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1992 – Daten und Tendenzen. Münster: LIT.

9) Painter, D.S. (1995): Explaining U.S. Relations with the Third World. In: Diplomatic History 19, Nr. 3, S. 525-548, hier S. 525.

10) Lowe, K. (2014): Der wilde Kontinent – Europa in den Jahren der Anarchie 1943-1950. Stuttgart: Klett-Cotta.

11) Das ist der Sinn des Titels von Gaddis, J.L. (1987): The Long Peace – Inquiries in the History of the Cold War. Oxford: Oxford University Press.

12) Maddock, S. (2010): Nuclear Apartheid – The Quest for American Atomic Supremacy from World War II to the Present. Chapel Hill: The University of North Carolina Press.

13) Dinkel, J. (2015): Die Bewegung Bündnisfreier Staaten – Genese, Organisation und Politik (1927–1992). Berlin/München/Boston: De Gruyter Oldenbourg.

14) Leffler, M.P. (1991): A Preponderance of Power – National Security, the Truman Administration and the Cold War. Stanford: Stanford University Press.
Als Einstieg zu Öl u.a.: Painter, D.S. (2010): Oil, Resources and the Cold War, 1945-1962. In: Leffler, M.P.; Westad, O.A. (eds.): The Cambridge History of the Cold War. Cambridge: Cambridge University Press, 3 Bände, hier I, S. 486-507.

15) Dülffer, J. (2006): »Self-sustained conflict« – Systemerhaltung und Friedensmöglichkeiten im Ost-West-Konflikt 1945-1991. In: Hauswedell, C. (Hrsg.): Deeskalation von Gewaltkonflikten seit 1945. Essen: Klartext, S. 33-60; für den indisch-pakistanischen Krieg S. 55-59.

16) Stueck, W.S. (2002): Rethinking the Korean War – A New Diplomatic and Strategic History. Princeton: Princeton University Press.

17) Frey, M. (2004): Die Geschichte des Vietnamkrieges. München: C.H. Beck, 7. Auflage.

18) Hilger, A. (Hrsg.) (2009): Die Sowjetunion und die Dritte Welt – UdSSR, Staatssozialismus und Antikolonialismus im Kalten Krieg 1945–1991. München: De Gruyter Oldenbourg.

19) Kalinovsky, A. (2011): A Long Goodbye – The Soviet Withdrawal from Afghanistan. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.

20) Rostow, W.W. (1960): The Stages of Economic Growth – An Anticommunist Manifesto. Cambridge, Mass.: Cambridge University Press.

21) Westad, O.A. (Fußnote 4), S. 5.

22) Byrne, J.J. (2013): Africa’s Cold War. In: Robert McMahon (ed.) (2013): The Cold War in the Third World. Oxford: Oxford University Press, S. 101-123, hier S. 115.

23) Hilger, A. (Fußnote 18).

24) The White House (2002/2006): The National Security Stategy of the United States of America. Washington, D.C.

Prof. Dr. Jost Dülffer lehrte als Professor für Internationale Geschichte und Historische Friedens-und Konfliktforschung an der Universität zu Köln.

Der Autor dankt Claudia Kemper und Gottfried Niedhart für anregende Diskussionen zu diesem Beitrag.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/4 Weltordnungskonzepte, Seite 15–18