Zukunft des politischen Pazifismus
Symposium der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK, 28./29. Januar 2017, Frankfurt am Main
von Thomas Mickan
Der politische Pazifismus ist tot … zu dieser Schlussfolgerung könnte kommen, wer sich die Publikationen und Äußerungen in der deutschen Friedens- und Konfliktforschung anschaut. Zwar gibt es vereinzelte Arbeiten zum Thema, mitunter auch Zeitschriftenschwerpunkte (wie in W&F 1-2017, »Facetten des Pazifismus«), aber nur selten wird der politische Pazifismus in Arbeiten unserer Zunft aufgegriffen. Mit seiner Abhandlung in Heftschwerpunkten teilt der Pazifismus zuweilen etwas mit feministischen oder postkolonialen Ansätzen in der Friedensforschung: Sie sind entweder explizit im Fokus oder gar nicht.
Vom 28. bis 29. Januar 2017 führte die Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK ein Symposium durch, das sich, eher abseits akademischer Pfade, der Frage widmete, wie es denn nun explizit um die »Zukunft des politischen Pazifismus»« bestellt sei. Dieses Symposium bildete auch den Auftakt zum 125-jährigen Jubiläum der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) – heute Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). 1892 wurde die DFG u.a. durch die erste weibliche Friedensnobelpreisträgerin (1905) Bertha von Suttner und durch Alfred Hermann Fried, ebenfalls Preisträger (1911), ins Leben gerufen.
Die zweitägige Veranstaltung spürte am ersten Tag der Historie und den Strömungen des Pazifismus nach und beschäftigte sich am zweiten Tag mit aktuellen Handlungsfeldern des politischen Pazifismus. Diese Aufteilung war zwar einerseits spannend, weil es am ersten Tag konzeptionell um die Ideen des politischen Pazifismus ging und am zweiten Tag – quasi als dessen Urenkel – die heutige Praxis zu Wort kommen konnte. Andererseits blieb das Symposium damit aber auch ein wenig in ausgetretenen Pfaden, da gerade das Programm des zweiten Tages in ähnlicher Form auch auf anderen friedenspolitischen Tagungen, wie dem Kasseler Friedensratschlag oder dem Tübinger Kongress der Informationsstelle Militarisierung, jährlich vorzufinden ist. Hier wäre es spannend gewesen, die Betrachtung herumzudrehen und konkrete historische Anwendungsfelder zu diskutieren, um sich anschließend tatsächlich auch konzeptionell und begrifflich über die Zukunft des politischen Pazifismus auszutauschen.
Nichtsdestotrotz war das Symposium im gut gefüllten Saalbau Gutleut in Frankfurt am Main mit rund 70-100 Teilnehmer*innen gut besucht, und während des Symposiums mit seinem dicht gedrängten Programm konnte eine gute und erkenntnisreiche Diskussionskultur gepflegt werden. Exemplarisch seien hier nun zwei Beiträge herausgegriffen. Für einen dritten – den von Prof. Dr. Norman Paech zu Pazifismus und Völkerrecht – sei auf die letzte Ausgabe von W&F verwiesen, in der sein Beitrag in etwas überarbeiteter Form bereits erschien.
Den Auftakt zum Symposium gestaltete Dr. Susanne Jalka, die an der Universität für angewandte Kunst in Wien lehrt und unter anderem am Onlineprojekt »discoverpeace/vienna« mitgewirkt und zur Friedensgeschichte Wiens und Bertha von Suttners gearbeitet hat. Sie versteht „Frieden als eine Geisteshaltung“, eine Vorstellung also, die sich zunächst mit einem Pazifismusbegriff deckt, der so wahrscheinlich von vielen geteilt wird. Jalka führt den Begriff des Friedens am eigenen Bewusstsein, am Denken von Frieden, aus, wobei Frieden „kreative Ideen von Differenzen“ sei. Anhand des Projektes »Imagine Peace« illustrierte sie dies. Dabei wurden Schul- und Jugendgruppen aus ganz Europa zum 100. Jahrestag der Nobelpreisverleihung an Bertha von Suttner gebeten, ihre ganz persönlichen »Bilder« von Frieden zu Papier zu bringen. Die eingereichten Zeichnungen waren in der Regel entweder sehr harmonisch oder zeigten ganz im Gegenteil Bilder vom Krieg. Nur sehr wenige Bilder verdeutlichten die „Spannung von Frieden“ und zeigten damit, dass das Denken von Frieden, so Jalka, noch viel zu wenig Raum gewonnen hat und dieser nur in Abgrenzung zum Krieg oder als Harmonie gedacht werde. Der Referentin gelang es so, im Publikum die eigenen Vorstellungen von Frieden und Pazifismus aufzurufen und zu fragen: Wie stellt ihr euch Frieden vor und wie müssen wir an solchen Vorstellungen arbeiten.
Einen anderen Zugang bot Dr. Gernot Lennert an, der sich in seinem Beitrag mit den (historischen) Strömungen des Pazifismus beschäftigte. Lennert ist Historiker und Politologe und arbeitet als Bildungsreferent des DFG-VK Bildungswerks Hessen. Er verdeutlichte, dass Friedensbewegung, Antimilitarismus und Pazifismus nicht identisch sein müssen, und differenzierte dann zwischen Strömungen des Pazifismus. Vor dem Ersten Weltkrieg bildeten sich insbesondere vier Strömungen heraus: Erstens der bürgerliche Pazifismus oder organisatorische Pazifismus, der auf friedliche Konfliktlösungen zwischen Staaten, auf Abrüstung, Schiedsgerichte und internationale Organisationen setzte. Die vor 125 Jahren gegründete DFG sei das Paradebeispiel für eine Haltung, die den Staat und das Staatensystem nicht abgelehnt habe, die Kriegsdienstverweigerung (KDV) hingegen schon, und in der Verteidigungs-, mitunter auch Befreiungskriege opportun waren. Zweitens der radikale Pazifismus, der in seiner konsequenten Ablehnung jeglicher Gewalt vor allem religiös begründet war, aber – etwa durch die Quäker als politisch religiöse Bewegung – gewaltfreie Ideen in die Politik hineintrug. Auch Ideen von Leo Tolstoi oder Mahatma Gandhi oder auch der War Resisters’ International, deren Symbol das zerbrochene Gewehr ist, fanden hier ihre Heimat. Eine dritte Strömung war der anarchistische Pazifismus, der den Staat und den Kapitalismus ablehnte, die KDV vorantrieb und auf gewaltfreie direkte Aktionen, wie Produktionsniederlegung, setzte. Viertens schließlich, so Lennert, entstand noch der marxistische Pazifismus, der sich zwar auch gegen den Kapitalismus wandte, aber in der ersten Zeit die KDV ablehnte und Volksheere statt stehender Heere als Lösungsstrategie gegen den grassierenden Militarismus anbot.
Nach dem Ersten Weltkrieg näherten sich die Strömungen, so Lennert, einander an, besonders bei der Frage der KDV. Bemühungen, diese Ansätze etwa zum »revolutionären Pazifismus« zusammenzubringen, führten bei den Friedenstagungen zu heftigen Debatten, die Carl von Ossietzky, selbst Mitglied der DFG, 1924 als „ungeheures Blutbad“ beschrieb. Konfliktthema war u.a. die Rolle des Krieges: „Krieg als Störfaktor“, so verstanden es die bürgerlichen Pazifist*innen, die lediglich den geregelten Ablauf eines Staates in Gefahr sahen, versus der „kranke Staat“, bei dem der Militarismus nur ein Symptom einer tieferliegenden Krankheit ist und die Fehler nicht im System zu beheben waren, sondern dieses selbst der Fehler war.
Auch heute seien diese gewachsenen Strömungen in den „Denktraditionen immer noch vorhanden, aber nicht säuberlich getrennt“. Es gebe, so Lennert, jedoch ganz unterschiedliche Mischungsverhältnisse. Dem Referenten gelang es durch seine Ausführungen, mit der Vorstellung zu brechen, dass Pazifismus neben einer Geisteshaltung auch in verschiedenen Traditionen verschiedene ganz praktische Antworten zu verschiedenen Formen von Gewalt anbot und anbietet.
Nach weiteren, eher theoretischen Ausführungen anderer Referent*innen, etwa zu den »Anforderungen eines wirksamen Pazifismus« (Andreas Zumach), skizzierte dann der zweite Tag des Symposiums mit seinem friedenspolitischen Potpourri zahlreiche Anwendungsfelder des Pazifismus. Hier blieb u.a. der kurze Impuls der Öko-/Friedens-/Kletteraktivistin Cécile Lecomte im Gedächtnis, die über die Kraft der gewaltfreien Aktion sprach. Persönliche Authentizität und ihr Mut waren die Merkmale, die zu beeindrucken wussten, inspirierten und aus einem Erfahrungsschatz heraus »Wissen schafften«.
Nach den zwei Tagen konnte mensch zumindest konstatieren, dass der politische Pazifismus noch keineswegs an seinem Ende angelangt ist. Auch wenn das Symposium engagiert versuchte, eine historische Inventur zu führen und aktuelle Handlungsfelder aufzuzeigen, so blieben die theoretischen Zugänge doch eher konventionell. Tatsächlich neue und innovative Impulse oder Zugänge bot das Symposium leider kaum. Für den nächsten Anlauf wäre mehr Mut wünschenswert, beispielsweise für post- und dekoloniale Ansätze, popkulturelle Zugänge oder auch die Frage, warum pazifistische Ideen in wissenschaftlichen Debatten eher unterrepräsentiert stehen, das heißt in welcher Form hier epistemische Gewalt wirkt. Das Symposium hat so auf mehrfache Weise gezeigt, dass Potenziale für (neue) Ideen zum politischen Pazifismus gewiss vorhanden sind.
Thomas Mickan