Dossier 80

Feindbilder und Konflikteskalation

von Claudia Haydt, Karin Kulow, Karin Leukefeld und Gert Sommer

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 4-2015
Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden in Zusammenarbeit mit dem Forum Friedenspsychologie e.V.

Editorial

Eskalierende Feindbilder sind wichtige Indikatoren für die Verschärfung von Konflikten bis hin zur Kriegsvorbereitung; in Kriegen sind sie ein wesentlicher Bereich psychologischer Kriegsführung. Gert Sommer erläutert in diesem Dossier wesentliche Merkmale von Feindbildern, Bedingungen für ihr Entstehen, zudem ihre wesentlichen Funktionen – von Selbstwerterhöhung über das Stabilisieren von Gesellschaften bis zur politischen Manipulation hin zum Krieg. Einige Möglichkeiten zum Feindbildabbau werden skizziert.

Claudia Haydt zeigt auf, wie Politiker und Medien Bedrohungen inszenieren, Kriegsgegner diskreditieren und bei der Vorbereitung von Kriegen schnelle Siege suggerieren. Kriegsfolgen, insbesondere das Ausmaß menschlichen Leids und dessen Urheber, werden hingegen allzu selten thematisiert. In ihrem Beitrag nennt sie Beispiele für unseriöse Berichterstattung über den Ukrainekonflikt, beschreibt die allzu enge Verbindung von Journalisten und politischen Eliten und gibt abschließend Hinweise für Friedensjournalismus.

Die Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld zeigt am Beispiel des Syrienkrieges, wie aus innerstaatlicher Unzufriedenheit ein Krieg entwickelt werden kann, an dem inzwischen viele ausländische Mächte beteiligt sind. Zentral ist dabei die Konstruktion des Feindbildes Bashar al-Assad und -damit zusammenhängend – die Forderung, dieser müsse die Macht abgeben. Ergänzt wird dies durch das Torpedieren jeglicher gewaltfreien Konfliktlösungsversuche, eingeschlossen der der Vereinten Nationen.

Karin Kulow sieht eine wesentliche Funktion des westlichen Feindbildes »Islam« darin, das Dominanzverhalten gegenüber der islamischen Welt zu rechtfertigen. Sie belegt die doppelbödige Politik des Westens bezüglich Terrororganisationen: Am Beispiel von al Kaida und IS zeigt sie, dass diese als Kooperationspartner galten, solange sie im Interesse des Westens agierten. Entsprechend intransparent erscheint die derzeitige US-Politik. Kulow plädiert für eine Neuausrichtung der westlichen Politik gegenüber der islamischen Welt.

Die Beiträge in diesem Dossier zeigen, dass Feindbilder nicht die alleinige Ursache für Konflikte sind. Feindbilder – und damit korrespondierend Selbst- und Freundbilder – können aber bedeutsame psychologische Waffen sein, um Konflikte zu eskalieren und Kriege vorzubereiten.

Gert Sommer

Zur Psychologie von Feindbildern

von Gert Sommer

Politisches Bewusstsein und Handeln werden stark vom Feind-Freund-Denken beeinflusst, also von den kontrastierenden Bildern, die sich Politiker und die Bevölkerung von politisch relevanten Akteuren machen.

Feindbilder, Feinde und Gegner

Feindbilder sind sozial vermittelte Deutungsmuster (Bilder) für gesellschaftliches und politisches Geschehen; sie sind negative Vorurteile, die sich auf Gruppen, Völker (Ethnien), Staaten und deren Repräsentanten, Ideologien o.ä. beziehen. Feindbilder können durchaus einen »wahren Kern« haben, die negative Bewertung aber wird stark übertrieben (vgl. den US-Sozialpsychologen Allport 1971, S.10: „von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken“). Im Alltagsgebrauch und auch in wissenschaftlichen Publikationen wird »Feindbild« bisweilen verstanden als negatives Bild. Dies scheint uns unangemessen; denn es gibt auch reale Feinde (d.h. realistische negative Bilder), die eine Gruppe, Nation oder Ethnie politisch, kulturell, wirtschaftlich und/oder militärisch bekämpfen oder gar zu vernichten versuchen, z.B. das faschistische Deutschland u.a. für Juden und Kommunisten oder der »Islamische Staat« für alle »Nichtgläubigen«.

Im menschlichen Zusammenleben sind unterschiedliche Interessen und damit Konflikte üblich. Die damit befassten Kollektive können sich als Gegner verstehen, die (friedlich) um eine Lösung ringen. Diese Unterscheidungen zwischen Feindbild, Feind und Gegner sind idealtypisch, es gibt fließende Übergänge (Weller 2001). Zudem kann (wissenschaftstheoretisch) nicht »die Realität« abgebildet werden; es gibt nur perspektivische Annäherungen, soziale (Re-) Konstruktionen.

Merkmale ausgeprägter Feindbilder

Feindbilder können unterschiedlich intensiv ausgeprägt sein. Insbesondere bei Spannungen, Konflikten und Krisen kann es zu einem Eskalationsprozess kommen, in dem die Fremdgruppe zunehmend pauschal negativ bewertet wird. Die Distanz zwischen Feindbild und positivem Selbstbild, die Un-Ähnlichkeit wird immer größer. Allein die Nennung des »Feind«-Namens (z.B. Juden, Muslime, Putin, Assad) führt zu einem Bündel negativer Bewertungen und Gefühle. Das Bild vom Anderen enthält letztlich (fast) ausschließlich negative Attribute (z.B. Unfreiheit, Brutalität, Terrorismus, Fundamentalismus, Primitivität).

Den Eskalationsprozess bei der Entwicklung von Feindbildern konzeptualisieren Spillmann und Spillmann (1990) in Anlehnung an Freud und Piaget als progrediente (fortschreitende) emotionale und kognitive Regression: Informationsaufnahme und -verarbeitung werden zunehmend weniger differenziert, die Gegenseite wird immer negativer bewertet (siehe Kasten).

Aus Gründen der Prägnanz beschreiben wir im Folgenden wesentliche Merkmale eines ausgeprägten Feindbildes, wie sie insbesondere in Kriegs- und Vorkriegszeiten zu beobachten sind: negative Bewertung, Entmenschlichung, Schuldzuschreibung, Nullsummendenken, Gruppendenken, Spiegelbilder.

Negative Bewertung

Der »Feind« wird als böse, grausam, hinterhältig und (moralisch) minderwertig dargestellt und entsprechend als bedrohlich wahrgenommen. Im anderen werden hauptsächlich oder ausschließlich negative Merkmale gesehen.

Beispiele:

  • US-Präsident Reagan bezeichnete 1981 die Sowjetunion als »Reich des Bösen« und sah Anzeichen dafür, dass die Zeit der Entscheidungsschlacht zwischen Gott und dem Teufel (Armageddon) gekommen sei.
  • In Vorbereitung militärischer Interventionen wurden verschiedene Regierungschefs in westlichen Medien als »neuer Hitler« o.ä. bezeichnet, u.a. Slobodan Milosevic (Jugoslawien), Saddam Hussein (Irak), Muamar al-Ghaddafi (Libyen), Baschar al-Assad (Syrien).
  • Die USA führten Kuba von 1982 bis 2015 auf ihrer Liste von »Terrorstaaten«.

Entmenschlichung und Empathieverweigerung

Da der »Feind« als böse und unsere Werte bedrohend interpretiert wird, wird ihm die Menschlichkeit abgesprochen (z.B. Ratte, Monster, Teufel). Er wird als anonymer Teil einer »feindlichen« Gruppe gesehen (De-Individualisierung); das Vorhandensein unterschiedlicher Meinungen und Verhaltensweisen in der Gruppe des »Feindes« wird nicht wahrgenommen. Menschliche Opfer auf der eigenen Seite sind „wertvoll“ (worthy victims; Herman and Chomsky 1988), da sie die Bösartigkeit des »Feindes« beweisen und die eigene »Wehrhaftigkeit« fördern; Opfer der anderen Seite sind kaum erwähnenswert (»Kollateralschaden«). Übliche moralische Normen (z.B. das Tötungsverbot) gelten nicht mehr. Gezieltes und bewusstes Schädigen und Töten von Menschen ist erlaubt oder sogar gefordert, die Täter gelten in diesem Fall als »Helden«. Dies bedeutet, dass mit der Entmenschlichung des Gegners – häufig kaum bemerkt – auch die eigene Menschlichkeit verloren geht.

Schuldzuschreibung

Dem »Feind« wird einseitig die Schuld zugeschrieben für negative Ereignisse, Konflikte und Krieg; er wird zum (allein verantwortlichen) Sündenbock. Häufig wird ein äußerst negatives Verhalten des »Feindes« antizipiert (Worst-case-Denken); seine Äußerungen und Handlungen werden negativ interpretiert. So kann z.B. ein sinnvoll erscheinender Vorschlag zu Friedensverhandlungen negativ umgedeutet werden, indem er als Propaganda, als nicht ernst gemeint, als durch Schwäche oder äußere Umstände begründet oder als böse Absicht (z.B. »unser« politisches Lager zu spalten) wahrgenommen oder interpretiert wird.

Weitere Prozesse bzw. Strategien sind (Flohr 1991): selektive Wahrnehmung bzw. selektive Unaufmerksamkeit (White 1992); Betonen und Erinnern negativer Merkmale des »Feindes« sowie Abschwächen oder Verschweigen positiver Merkmale; selektives Gedächtnis für relevante geschichtliche Ereignisse, die dem eigenen Geschichtsbild entsprechen; Interpretation negativer Handlungen als »typisch« für den »Feind«. Diese einseitigen Erwartungen können im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung langfristig tatsächlich das Verhalten des »Feindes« negativ verändern.

Beispiel:

  • Der Ukrainekonflikt und die militärischen Auseinandersetzungen werden von westlichen Medien und Politikern häufig einseitig den »pro-russischen Rebellen«, »Russland« und/oder der Person Wladimir Putin zugeschrieben. Dabei werden großzügig die westlichen Anteile an diesem Konflikt »übersehen« oder verschwiegen, u.a. der Druck auf die ukrainische Regierung, sich zwischen Europäischer Union und Russland zu entscheiden, die Osterweiterung der NATO, der Aufbau von US-Raketenstellungen in Polen, das Nichteingehen auf die Kooperationsvorschläge von Präsident Putin – u.a. im Deutschen Bundestag (vgl. dazu die kenntnisreiche und medienkritische Darstellung von Krone-Schmalz 2015).

Progrediente emotionale und kognitive Regression

Spillmann und Spillmann (1990) unterscheiden fünf Stufen, von denen wir die drei höheren zusammenfassen:

Stufe 3: Druck und Entschlossenheit nehmen zu; Sachfragen treten allmählich in den Hintergrund, die Gegenseite wird mit negativen Stereotypen charakterisiert, Empathiebereitschaft nimmt ab; innerhalb der eigenen Gruppe steigt der Konformitätsdruck.

Stufe 4: Der emotionale Abstand zwischen den Gruppen nimmt weiter zu, die andere Seite wird als bedrohlich und böse wahrgenommen; die gegenseitigen, verzerrenden Bilder beherrschen Denken und Handeln.

Stufe 5: Die Konflikte werden umfassend ideologisiert, die Gegnerschaft wird als total erlebt, „die Wahrnehmung der Gegenseite erstarrt zum Feindbild“ (S.275); Drohungen und Gewaltakte nehmen zu bis zur totalen Vernichtung und Selbstvernichtung; der Feind wird entmenschlicht, eigene Verantwortung entfällt.

Nullsummendenken und doppelter Standard

Da vom »Feind« grundsätzlich Bösartiges erwartet wird, dominiert das Nullsummendenken: Politische und militärische Aktionen werden nach dem Schema bewertet, dass für die eigene Seite all das gut ist, was dem »Feind« schadet, und umgekehrt. Entsprechend ist des Feindes Freund unser Feind und des Feindes Feind unser Freund, mögen diesem früher auch noch so negative Eigenschaften zugeschrieben worden sein. Gemeinsamer Nutzen und gemeinsamer Schaden werden nicht mehr wahrgenommen. Dies führt z.B. dazu, dass der gesellschaftliche Schaden, der aus den immensen Militärausgaben folgt, nicht angemessen berücksichtigt wird.

Vergleichbare Handlungen der eigenen Seite und des »Feindes« werden gänzlich unterschiedlich bewertet (Doppelmoral oder doppelter Standard). So ist die eigene Rüstung vermeintlich nur zu Verteidigungszwecken da und somit gut, die des »Feindes« ist aggressiv und dient Expansionsgelüsten; eigene Gewalttaten sind berechtigt und beweisen Tapferkeit, Gewalt des »Feindes« demonstriert dessen Grausamkeit und Unmenschlichkeit.

Beispiele:

  • Der gesellschaftliche Schaden, der daraus folgt, dass ungeheure Gelder, Materialien und Problemlösungskapazitäten in Militär und Kriege investiert werden (anstatt in die Verbesserung der Lebensbedingungen), wird nicht angemessen berücksichtigt.
  • Die kosovarische UÇK mutierte in der westlichen Wahrnehmung kurz vor dem Jugoslawien-Kosovo-Krieg von einer Terrororganisation zur Organisation von Freiheitskämpfern.
  • Die Terrororganisation al Kaida wurde mit westlicher Hilfe zur Bekämpfung der sowjetischen Truppen in Afghanistan etabliert.
  • Der »Islamische Staat« ist u.a. eine Folge des von den USA initiierten Irakkrieges 2003; er wurde militärisch gefördert, u.a. um einen Regimewechsel in Syrien zu erreichen. Die Zusammenarbeit mit Terroristen wird also als »legitim« eingestuft, solange sie den eigenen Interessen zu dienen scheint.

Gruppendenken

Bei Spannungen umgeben sich politische Führer häufig mit Personen, die ihre Meinung und Ideologie bezüglich der Wir-Gruppe und des »Feindes« teilen. Dadurch besteht eine Tendenz zur Vereinheitlichung von Meinungen (Janis [1972] nannte dies „groupthink“), die für einen erfolgreichen Problemlösungsprozess erforderliche Denkvielfalt wird reduziert, und Fehlentscheidungen werden wahrscheinlicher. Abweichende Meinungen werden gar nicht erst geäußert oder von der Gruppe sanktioniert.

Beispiel:

  • Personen oder Gruppen, die den Ukrainekonflikt differenziert bewerteten, wurden von Politikern und Medien als »Putinversteher« oder »Russlandversteher« diffamiert.

Spiegelbilder

Feindbilder können sich wechselseitig negativ entwickeln, die beteiligten Gruppierungen nehmen sich gegenseitig vergleichbar negativ wahr (Bronfenbrenner [1961] spricht von „mirror image“). Der US-Psychologe Bronfenbrenner stellte bei seinem Besuch 1961 und den vielen Gesprächen in der Sowjetunion folgende Gemeinsamkeiten in den wechselseitigen Bewertungen von USA und Sowjetunion fest: Die anderen sind der Aggressor; ihre Regierung beutet das Volk aus; die Mehrheit der Bevölkerung steht nicht hinter der Regierung; man kann ihnen nicht trauen; ihre Politik grenzt an Wahnsinn. Seine Erkenntnis, dass nicht nur die Sowjetunion ein verzerrtes Bild von den USA hatte, sondern offensichtlich auch die USA von der Sowjetunion, beschrieb Bronfenbrenner als „langsamen und schmerzhaften“ Prozess (1961, S.46). Eigene Feindbilder aufzugeben ist offensichtlich ein äußerst schwieriges Unterfangen.

Entstehung von Feindbildern

Bei der Entstehung von Feindbildern wirken individuelle, soziale und politische Faktoren, die eng miteinander verwoben sind (Flohr 1991).

Individuelle Faktoren

Da die Realität sehr komplex ist und da Menschen nur in beschränktem Maße Komplexität wahrnehmen und verarbeiten können, müssen vorhandene Informationen reduziert werden. Dies geschieht durch die Bildung von Kategorien, z.B. Männer vs. Frauen, Christen vs. Muslime, Weiße vs. Schwarze. Die Bildung von Kategorien ist eine kognitive Notwendigkeit zur individuellen Orientierung; ein wesentlicher Nachteil besteht darin, dass Kategorien die reale Komplexität simplifizieren und kategoriale Unterschiede konstruieren, wo Kontinuität und fließende Übergänge vorhanden sind. Eine politisch besonders relevante Kategorie sind Feindbilder (gegenüber Freundbildern und dem Selbstbild). Die nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang wichtigste Kategorie internationaler Politik war »West« gegenüber »Ost« (»Demokratie« vs. »Sozialismus«; »Freiheit« vs. »Unterdrückung« u.ä.); sie strukturierte und vereinfachte die (politische) Welt.

Um die bestehenden Kategorien zu stabilisieren, werden passende, sie bestätigende Informationen bevorzugt gesucht (Konsistenz-Prinzip; vgl. Lilli 1992). Wird ein Land oder eine Gesellschaftsform häufig mit einem konkreten Ereignis in Verbindung gebracht, greift das Gedächtnis schneller auf diese Verknüpfung zurück und produziert entsprechende Bewertungen.

Beispiele:

  • Bei »China« erinnern sich Menschen in Deutschland leicht an die gewaltsame Unterdrückung von Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens (»Tiananmen-Massaker« 1989).
  • Bei »USA« und dem Datum »11.9.« denkt die überwältigende Mehrheit an die Terroranschläge vom 11.9.2001 (inzwischen stilisiert zu »Nine Eleven«); nur wenige Menschen wissen um die US-Beteiligung am Sturz des demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Allende am 11.9.1973 mit anschließender mehrjähriger Militärdiktatur in Chile.
  • Bei »Iran« denken Menschen im Westen an »Islam«, »Mullahs« und »Unterdrückung«, sehr viel seltener an den demokratisch gewählten Präsidenten Mossadegh, der 1953 nach der Verstaatlichung der mehrheitlich im britischen Besitz befindlichen Ölindustrie u.a. mit Hilfe der Geheimdienste CIA (USA) und MI6 Großbritannien) gestürzt wurde.

Soziale Bedingungen

Menschen streben als soziale Wesen nach sozialer Zugehörigkeit und sozialer Identität, nach Kohäsion bzw. »Wir-Gefühl«. Psychologisch erleichtert wird die Konstruktion der »Wir-Gruppe« durch die Konstruktion einer Gruppe der anderen, der Un-Ähnlichen, Fremden (Tajfel and Turner 1986). Entsprechende Gruppenbildungen sind bei Feindbildern rigide und mit starken Emotionen besetzt: positive Gefühle bezüglich der Wir-Gruppe, negative gegenüber der Außengruppe (Wagner und Butenschön 2014).

Politische Bedingungen

Die skizzierten individuellen und sozialen Bedingungen sind Grundlage für die Bildung von (sozialen) Kategorien.

Eine große Bedeutung bei Entstehung und Festigung von Feindbildern kommt dabei Medien zu, die neben Fakten – häufig kaum bemerkt – Bewertungen mitliefern. Bildern kommt eine besondere Relevanz zu, da sie intensive Emotionen hervorrufen können, indem sie u.a. menschliches Leiden hervorheben.

Überdies werden Kriege häufig mit Lügen begründet.

Beispiele:

  • Ukraine-Konflikt 2014/2015. Die verschärften Sanktionen von USA und EU gegen Russland wurden wesentlich damit begründet, Präsident Putin bzw. Russland seien verantwortlich für den Abschuss des Flugzeuges von Linienflug MH17 der Malaysia Airlines. Dafür liegen auch nach Veröffentlichung des abschließenden Ermittlungsberichts des niederländischen Sicherheitsrats keine belastbaren Belege vor.
  • Jugoslawien-Kosovo-Krieg 1999. Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen zeigte vor Beginn des Jugoslawien-Kosovo-Krieges immer wieder kosovo-albanische Flüchtlingsgruppen, und mit dem Argument der »systematischen Vertreibung« begründete die NATO wesentlich den Krieg gegen Jugoslawien als »humanitäre Intervention« bzw. als Verhindern einer »humanitären Katastrophe« (z.B. Sommer 2001). Mit Kriegsbeginn, d.h. als Folge des Krieges, ergriffen erheblich mehr Menschen die Flucht – darüber wurde kaum berichtet. Nach Kriegsende wurden etwa 200.000 Serben und 100.000 Roma von den Kosovo-Albanern vertriebenen – darüber wurde nahezu gar nicht mehr berichtet (s.o. » Nullsummendenken und doppelter Standard«; zur Rolle des Fernsehens siehe Prümm 2001).
  • Zweiter Golfkrieg 1990/91. Der irakische Diktator Saddam Hussein hatte u.a. Oppositionelle und Minderheiten unterdrückt und ermordet sowie im Krieg gegen den Iran (Erster Golfkrieg 1980-1988) völkerrechtlich geächtetes Giftgas eingesetzt. Vom Westen wurde dies ignoriert oder sogar unterstützt, z.B. mit Waffen, da Hussein als Schutzschild gegen den Iran bzw. Islam galt (er war der Feind »unseres« Feindes). Erst als er im August 1990 das Nachbarland Kuwait überfiel und damit westliche Interessen (am Erdöl) gefährdete, wurde er vom Westen, insbesondere den USA, zum bedrohlichsten Feind erklärt (Sommer 1991) und in deutschen Medien u.a. als »Irrer von Bagdad« bezeichnet; er avancierte „gleichsam über Nacht vom hofierten Partner zum neuen Hitler“ (Krell 1991, S.139). Die zunächst zögerliche Kriegsbereitschaft in den USA bekam eine entscheidende Wende durch Berichte über Gräueltaten und die dadurch provozierte Empörung: Irakische Soldaten hätten in Kuwait Brutkästen aus Frühgeborenenstationen entfernt und damit 312 Babies ermordet. Diese Berichte wurden u.a. im US-Menschenrechtsausschuss und im UN-Weltsicherheitsrat vorgetragen und von Medien weltweit verbreitet. Erst nach Ende des Zweiten Golfkrieges wurde der »Brutkastenmord« als Propagandalüge entlarvt, die von der großen US-Werbeagentur Hill and Knowlton im Auftrag der kuwaitischen Regierung produziert worden war (MacArthur 1993).

Dritter Golfkrieg (2003). Der völkerrechtswidrige Krieg wurde von den USA damit begründet, dass Irak Massenvernichtungswaffen besitze und Terrorgruppen unterstütze – beide Behauptungen konnten nicht belegt werden (Becker und Wulf 2008). Es gibt aber Belege dafür, dass die USA nach dem 11.9.2001 sieben Kriege planten (gegen Irak, Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und schließlich Iran), um den Nahen und Mittleren Osten »umzukrempeln« und US-freundliche Regierungen zu installieren.1

Funktionen von Feindbildern

Etablierte Feindbilder leisten vielfältige Beiträge auf individueller und gesellschaftlicher Ebene; sie sind ein wichtiger und »nützlicher« Faktor in Politik und psychischer Hygiene (Nicklas 1992; Sommer 1992). Die wesentlichen Funktionen werden im Folgenden erläutert.

Individuelle Funktionen

1. Positives Selbstbild: Individuen erfahren durch die erlebte Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Ethnie, Nation etc.) soziale Sicherheit und Identität. Bei vorhandenem Feindbild entwickeln sie durch Identifikation mit den »Guten« und durch Abgrenzung von den »Bösen« und »Minderwertigen« einen erhöhten Selbstwert, ein positive(re)s und idealisiertes Selbstbild.

2. Vermeidung psychischen Aufwands: Übernimmt ein Individuum die in seiner Gruppe bzw. Gesellschaft vorherrschenden Feindbilder, dann vermeidet es den psychischen Aufwand, sich eine eigene, eventuell von der Mehrheit abweichende, Meinung zu bilden und sozial ausgegrenzt zu werden.

3. Ängste erklären und Gewalt rechtfertigen: Ängste unterschiedlichsten Ursprungs können mit der Existenz eines bedrohlichen Feindes «erklärt« werden. Tatsächliche oder fantasierte aggressive Handlungen, z.B. Foltern und Morden, werden nicht bestraft, sondern erlaubt, gefordert und legitimiert. Sie werden von der Gruppe und/oder den Herrschenden u.a. mit hohem Ansehen (z.B. Heldenstatus) oder materiellen Vergütungen belohnt. Dies geschieht insbesondere, nachdem es gelungen ist, den »Feind« zu entmenschlichen. Ein schlechtes Gewissen wird beruhigt, da das Opfer (der »Feind«) letztlich selbst für sein Schicksal verantwortlich ist.

Gesellschaftliche Funktionen

1. Meinungen manipulieren: Etablierte Feindbilder implizieren Fehlinformationen, mit denen die öffentliche Meinung manipuliert wird. Dies geschieht in autoritären Staaten durch Zensur der Medien; in Krisensituationen ist dies aber auch immer wieder in Ländern mit Pressefreiheit zu beobachten. Dabei ist nicht immer klar, ob die betreffenden Medien und Journalisten eher »Täter« oder »Opfer« sind (vgl. Golfkrieg). Die Wahrheit über entscheidende Ereignisse wird häufig erst sehr spät enthüllt, nachdem Fehlinformationen bereits ihre Wirkung erzielt haben. Kriege werden häufig mit selbst inszenierten, d.h. vorgetäuschten gegnerischen Angriffsplänen bzw. Angriffen »begründet«. Für den Krieg der NATO gegen Jugoslawien 1999 war dies u.a. der »Hufeisenplan«, mit dem die geplante Vertreibung der Kosovo-Albaner bewiesen werden sollte; es gibt aber deutliche Hinweise darauf, dass dieser »Plan« im deutschen Verteidigungsministerium ausgedacht wurde (vgl. Becker und Brücher 2000).

2. Militär stärken und Rüstung erhöhen: Ein starkes Feindbild trägt dazu bei, die Bedeutung des Militärs in einer Gesellschaft zu erhöhen. Dabei werden auch sehr hohe eigene Militärausgaben gerechtfertigt. Militärische Aktionen bis hin zum Völkermord werden legitimiert als notwendige Handlungen, um das Böse in der Welt zu bekämpfen. Die negativen Folgen von Rüstung und Krieg, insbesondere menschliches Leid, werden hingegen unzureichend bilanziert (z.B. Berghold 2015; Sommer und Becker 2012).

3. Gesellschaft stabilisieren: Der Verweis auf die Bedrohung durch einen »Feind« lenkt die Öffentlichkeit von relevanten Problemen in der eigenen Gesellschaft ab (z.B. Arbeitslosigkeit, Armut, Zensur, Unterdrückung). Zudem wird durch die Bekämpfung des »Bösen« das Selbstbild der eigenen Gruppe, Gesellschaft oder Ethnie aufgewertet (Nolting 1992). Das Erleben einer gemeinsamen Bedrohung erhöht die Gruppenkohäsion. Innergesellschaftlich bedingte Unzufriedenheit kann gegen den »Feind« kanalisiert werden. Wegen der großen »Bedrohung« durch den »Feind« wird der Druck auf Personen und Gruppen mit abweichenden Meinungen verstärkt, und es kann auch legitim erscheinen, die innergesellschaftliche Opposition zu diffamieren, zu unterdrücken, zu verfolgen und zu vernichten. Feindbilder schaffen Einigkeit nach innen und dienen der Herrschaftssicherung – eine wichtige Voraussetzung für effektives Handeln gegenüber dem »Feind«.

4. Internationale Probleme vereinfachen: Internationale Probleme und Konflikte unterschiedlichster Art werden in das Feind-Freund-Denken hineingepresst. So wird eine angemessene Wahrnehmung und Bearbeitung vieler Probleme verhindert.

Beispiele:

  • US-Präsident Reagan bezeichnete die Sowjetunion 1983 als »Reich des Bösen« und Nord-Korea, Kuba und Nicaragua als »terroristisches Mördersyndikat«; Kuba ließ Präsident Obama erst 2015 von der Liste der »Terrorstaaten« streichen.
  • US-Präsident G.W. Bush sprach nach den Flugzeuganschlägen in den USA am 11.9.2001 von einem „monumentalen Kampf zwischen Gut und Böse“, einem „Kreuzzug gegen den Terrorismus“. Die USA seien die „strahlendste Fackel der Freiheit und der Selbstverwirklichung“ in der Welt (Frankfurter Rundschau 13.9.2001). Und bei seiner Rede vor dem deutschen Bundestag am 23.5.2002: „Wir bauen eine Welt der Gerechtigkeit“ und mit „[unseren] Freunden werden wir das Haus der Freiheit bauen – für unsere Zeiten und für alle Zeiten.“
  • Kriminelle Schlepperbanden werden 2014/154 als Hauptursache für die »Flüchtlingsströme« aus Afrika benannt. Vernachlässigt wird dabei, dass westliche Staaten eine erhebliche Mitschuld an den Flüchtlingsbewegungen haben, u.a. durch die vom Westen initiierten bzw. forcierten Kriege in Irak, Libyen und Syrien; durch Subventionen von Agrarexporten und Fischtrawlern, so dass einheimische Bauern und Fischer sich und ihr Familien nicht mehr ernähren können; durch Zusammenarbeit mit korrupten und diktatorischen Regimen, die sich nicht um die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung kümmern; durch willkürliche Grenzfestlegungen in Zeiten des Kolonialismus, die mit zu regionalen Spannungen und Kriegen beitrugen (Lüders 2015).

Abbau von Feindbildern

Der Abbau von Feindbildern ist erheblich weniger erforscht als deren Aufbau. Wir skizzieren im Folgenden einige Strategien (z.B. Lilli 1992; Whitley und Kite 2006), die sich zum Teil ergänzen und die von individuellen bis zu gesellschaftlichen Prozessen reichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass etliche Ansätze langfristig angelegt sind, dass sie vom politischen Willen der Entscheidungsträger, aber auch von gesellschaftlichen Bewegungen abhängen und dass es erheblich leichter erscheint, Feindbilder auf- als abzubauen.

  • Selbstregulation zur Sensibilisierung gegenüber Vorurteilen: z.B. Bewusstwerden von Gefühlen und Verhaltensweisen, die nicht dem eigenen Wertesystem entsprechen (Devine 1989).
  • Wechsel der Bezugsgruppe: Verlassen der bisherigen Gruppe, weil sie den eigenen Überzeugungen nicht mehr entspricht.
  • (Wieder-) Aufnahme einer angemessenen Informationssuche und -verarbeitung.
  • Kontaktaufnahme zwischen verfeindeten Gruppen: Damit Kontakte erfolgreich zum Vorurteilsabbau beitragen, sollten u.a. die folgenden Bedingungen erfüllt sein (Lemmer und Wagner 2015): gleicher oder ähnlicher Status der Kontaktpersonen; freiwilliger Kontakt; Gruppenmitglieder als Individuen wahrnehmen; der Kontakt sollte institutionell unterstützt werden, also z.B. durch Autoritäten oder Regierungen; Kooperation, um gemeinsame Ziele zu erreichen; Partnerschaften zwischen Städten, Berufsgruppen, Universitäten etc.
  • Gemeinsame Aufgabe: Ein Problem finden, das beide Seiten (bzw. alle Konfliktparteien) betrifft, aber nur gemeinsam gelöst werden kann, z.B. Verhindern eines Krieges, Bekämpfen von Armut, Beenden von Umweltzerstörung.
  • Modelle: Repräsentanten gesellschaftlicher Organisationen (z.B. religiöse Gemeinschaften, Parteien, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Arbeitgeber), Wissenschaftler, Prominente aus Kultur und Unterhaltung können durch ihr Verhalten, z.B. öffentliche Stellungnahmen, für den Abbau von Feindbildern und die gewaltfreie Austragung von Konflikten eintreten.
  • Erziehung zu Toleranz, Empathie (Ropers 1990) und Perspektivenübernahme.
  • Friedensjournalismus: Politisch relevante Ereignisse in Medien so darstellen, dass sie zur Deeskalation beitragen, u.a. umfassend, zumindest nicht einseitig informieren, Perspektiven und Interessen aller Konfliktparteien darstellen, Hintergründe und Geschichte des Konflikts berücksichtigen, Transformationsmöglichkeiten des Konfliktes aufzeigen.
  • Unterschiede zwischen Gruppen und Nationen wahrnehmen und akzeptieren, aber auch eine gemeinsame Identität finden oder konstruieren (z.B. über die UN-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) mit dem Verständnis, dass grundlegende menschliche Bedürfnisse (z.B. Sicherheit, Identität, Gerechtigkeit, Freiheit, Nahrung, Wohnen, Arbeit) befriedigt werden müssen; Kooperation statt globaler neoliberaler Konkurrenz (Berghold 2007).
  • Das Selbstbild einer Gruppe oder Nation nicht überhöhen und so differenziert gestalten, dass es auch negative Anteile enthält.

Ausblick

Feindbilder können von Herrschenden (wider besseres Wissen) gezielt hergestellt werden, um politische, wirtschaftliche und militärische Handlungen gegenüber der eigenen Bevölkerung und/oder dem Ausland durchzusetzen. Das Bedeutsame an Feindbildern ist, dass sie als Grundlage für die Politik dienen, selbst wenn sie weitgehend realitätsfern sind. Auch wenn einer Gruppierung berechtigt viele negative Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben werden, kann es doch lohnend sein, auf die Wirkung von Feindbildern zu achten: Kein Objekt besteht nur aus negativen Attributen, und das Auffinden und Berücksichtigen positiver Merkmale kann wichtig sein, um eine gewaltfreie Konfliktaustragung zu ermöglichen.

Nicht Feindbilder, sonden (echte oder vermeintliche) Konflikte sind die Ursache von Spannungen, Rüstung und Krieg. Bei der Durchsetzung einseitiger Interessen aber kommt Feindbildern eine wesentliche psychologische Mittlerfunktion zu, sie sind dann die ideologische Hauptwaffe.

Anmerkungen

Wir geben im vorliegenden Text Beispiele aus unserem Kulturkreis, um für das Phänomen Feindbild zu sensibilisieren. Damit unterstellen wir nicht, dass Feindbilder hier besonders ausgeprägt seien.

1) Kriege gegen den Irak, Iran, Syrien und Libyen seit langem geplant. youtube-Video, hochgeladen am 20.3.2011. Ein informativer Film über US-Kriegslügen ist Faking It: How the Media Manipulates the World into War. auf corbettreport.com hochgeladen am 1.2.2012.

Literatur

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Becker, J.M. und Brücher, G. (Hrsg.) (2000): Der Jugoslawien-Krieg – eine Zwischenbilanz. Münster: LIT.

Becker, J.M. und Wulf, H. (Hrsg.) 2008. Zerstörter Irak – Zukunft des Irak? Münster: LIT.

Berghold, J. (2015): Militarismus unter dem Blickwinkel des Realitätsverlusts in einer „nicht mehr eroberbaren Welt“. In Bruder, K. & Hein, J. (Hrsg.): Krieg um die Köpfe. Gießen: Psychosozialverlag, in Druck.

Berghold, J. (2007): Feindbilder und Verständigung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

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Gert Sommer ist Professor i.R. für Klinische Psychologie und Gemeindepsychologie, Universität Marburg. Seine Schwerpunkte in Friedenspsychologie sind Menschenrechte sowie Feindbilder. Er war Mitbegründer und Vorsitzender (1986-2005) des Forum Friedenspsychologie, Mitbegründer und derzeit im Direktorium des Zentrum für Konfliktforschung, Universität Marburg. 1991-2014 arbeitete er im Vorstand von Wissenschaft und Frieden.

Medien und Konflikteskalation

von Claudia Haydt

Im Folgenden werden einige Mechanismen der medialen Kriegspropaganda vorgestellt, wie sie nicht nur in autoritären Staaten mit Zensur, sondern auch in Demokratien zu beobachten sind.1

Aufmerksamkeit steuern und Bedrohung inszenieren

Die Menschheit steht global vor massiven Herausforderungen und Bedrohungen, die dringend bearbeitet werden müssten: Millionen Menschen sterben an Hunger,2 obwohl Lebensmittel im Überfluss produziert werden; sie sterben an Krankheiten, die mit einfachen Mitteln geheilt werden könnten; der Klimawandel stellt für große Bevölkerungsgruppen und manche Länder eine existentielle Bedrohung dar; die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt weiter zu; etwa 60 Millionen Menschen weltweit sind auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit. Und das »Bulletin of the Atomic Scientists« wies Anfang 2015 erneut auf die Gefahr eines Atomkrieges hin, die im öffentlichen Diskurs kaum mehr präsent ist: „... die globale Modernisierung der Atomwaffen und übergroße Atomwaffenarsenale stellen eine außergewöhnliche und unbestreitbare Gefahr für die fortgesetzte Existenz der Menschheit dar, und die führenden Politiker haben dabei versagt, mit der Schnelligkeit und dem Umfang zu agieren, die nötig wären, um die Bürger vor der möglichen Katastrophe zu schützen. Dieses Versagen der politischen Führung gefährdet jeden Menschen auf dieser Erde.“ 3

Was hier (Atom-) Wissenschaftler, darunter viele Nobelpreisträger, feststellten, ist an Dramatik kaum zu überbieten. Es spiegelt sich dennoch weder in der Berichterstattung noch in der politischen Debatte oder gesellschaftlichen Stimmung der Menschen in Deutschland wider – dort stehen die Angst vor Naturkatastrophen, vor Terror, vor einem Pflegenotstand im Alter und vor Spannungen durch Zuwanderung im Vordergrund.4 Die Berichterstattung schafft es selten, sich von einem medialen Tunnelblick (auch als CNN-Effekt bekannt)5 zu verabschieden. Anstatt die globale Bedrohungssituation und damit auch die globalen Aufgaben ernsthaft zu bearbeiten, werden einzelne Konfliktkonstellationen herausgegriffen, und es wird sowohl politisch als auch medial ein Handlungszwang inszeniert.6

Beim letzten NATO-Gipfel in Wales (4./5.9.2014) zum Beispiel spielte die Frage der globalen (atomaren) Abrüstung nahezu keine Rolle. Im Zentrum stand vielmehr die Mobilisierung gegen Russland. Die meisten Medien konzentrierten sich in ihren Berichten über das Gipfeltreffen auf die Kampfansage an Russland, wie etwa die FAZ (»Einig in Wales«, 5.9.2014: „Es bleibt die große Frage, ob eine Politik der Konflikteindämmung ausreicht, um Wladimir Putin zur Umkehr zu bewegen.“), BILD („Grünes Licht für Schnelle Eingreiftruppe“, 5.9.2014) und die Süddeutsche Zeitung („So wappnet sich die NATO gegen Russland“, 1.9.2014). Die medial damit zumeist verbundene explizite Schuldzuschreibung an Russland erscheint knapp ein Jahr später in einem anderen Licht: Der NATO-Vertreter der Bundesrepublik in Brüssel, Martin Erdmann, äußerte, „dass die Nato aktuell ‚sehr einseitig" [...] ausgerichtet sei“, u.a. durch intensive Manöver im Osten, „verstärkte Luftraumüberwachung über dem Baltikum sowie den Ausbau der schnellen Eingreiftruppe NRF“.7 Zudem tagte der 2002 gegründete NATO-Russland-Rat, der Vertrauen herstellen soll, zuletzt im Juni 2014.

Glaube an das Militär und an militärische Lösungen fördern

Wer zu Kriegen (»Interventionen«, »Missionen« etc.) aufruft, verknüpft damit nahezu immer die Botschaft des wahrscheinlichen und schnellen Sieges. Schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges im August1914 stand auf vielen Bahnwaggons, in denen die Soldaten an die Front fuhren, mit Kreide geschrieben: „An Weihnachten wieder zu Hause.“

Auch jüngere Beispiele zeugen von ähnlichen militärischen Allmachtsphantasien: Die deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg begann 2001 kurz vor Weihnachten mit einer Entscheidung des Bundestags, in deren Kontext der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder erklärte, die deutsche Forderung nach einer Begrenzung des Mandats auf sechs Monate sei erfüllt worden; er ergänzte siegessicher, die Zahl von 1.200 Soldaten werde voraussichtlich gar nicht ausgeschöpft.8 Sein damaliger Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer war noch optimistischer und kündigte an: „Es besteht jetzt die große Chance, diesen Krieg bzw. Bürgerkrieg dauerhaft zu beenden.“ 9 Die Realität sieht anders aus: Der ISAF-Einsatz wurde zwar offiziell am 31.12.2014 für beendet erklärt, dennoch bleiben Tausende internationale Soldaten im Land, und Krieg und Bürgerkrieg sind weiterhin allgegenwärtig, wie im September 2015 die vorübergehende Eroberung von Kundus durch die Taliban bewies. Die UN-Unterstützungsmission UNAMA10 berichtete, dass 2014 (bei einer hohen Dunkelziffer) mehr als 10.000 Zivilistinnen und Zivilisten bei den Kämpfen in Afghanistan getötet oder verwundet wurden; das ist die höchste Zahl, seit UNAMA 2009 mit der Berichterstattung über zivile Opfer begann.

Um militärische Stärke und damit verbundene politische Erfolge vorzeigen zu können, bemüht sich die Politik, häufig eng flankiert von den Medien, darum, siegreiche Momente in Szene zu setzen. So verkündete US-Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln in einer vielfach ausgestrahlten Rede, dass nun alle Militäroperationen im Irak beenden seien, und auf dem Kriegsschiff wurde das Banner „Mission accomplished“ gehisst. Die meisten zivilen und militärischen Opfer des Irakkrieges waren allerdings erst nach dieser Erfolgsinszenierung zu verzeichnen.

Ein weiteres Beispiel: Als im Oktober 2011 libysche Aufständische mit massiver Unterstützung durch NATO-Truppen die Hauptstadt Tripolis eroberten, titelten im Gleichklang zahlreiche Zeitungen ähnlich wie die taz: „Es war ein rauschendes Fest“ (24.10.2011). Und für Julia Gerlach war die Ermordung Gaddafis „Ein Grund zu feiern“ (Frankfurter Rundschau, 20.10.2011). Über die darauf folgende Desintegration des Staates Libyen, den bis heute andauernden Bürgerkrieg, das Leid der Bevölkerung seit diesem Zeitpunkt wird bestenfalls auf den hinteren Seiten der Zeitungen berichtet, und die mitverantwortlichen westlichen Politiker und Militärs werden dabei kaum einmal erwähnt.

Für die Kriege werden von den verantwortlichen Politikern und Militärs jeweils scheinbar überzeugende Gründe geliefert. Dass diese sich später häufig als unangemessen oder als Lügen herausstellen, ist inzwischen hinreichend belegt.11 Besonders bedeutsam ist, dass Kriegskosten und Kriegsfolgen nur selten evaluiert werden.

Die internationale Ärzteorganisation IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) resümierte 2012 prägnant: „Die schrecklichen Kriegseskalationen der letzten 11 Jahre, von Afghanistan über Irak bis Libyen, haben in den betroffenen Regionen Hunderttausenden von Menschen das Leben gekostet, ganze Landstriche verwüstet und chaotische, völlig der Willkür ausgelieferte gesellschaftliche Zustände produziert.“ 12

Wir geben im Folgenden einige Beispiele für zu wenig beachtete Kriegsfolgen:

  • Durch völkerrechtswidrige Kriege (insbesondere Jugoslawienkrieg 1999 und Irakkrieg 2003) wurden das Völkerrecht und die Vereinten Nationen geschwächt.
  • Im dritten Golfkrieg starben zwischen 2003 und 2007 nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 150.000 und 650.000 Zivilisten. Eine neue Studie der IPPNW schätzt die Anzahl der Kriegsopfer im Irak zwischen 2003 und 2012 auf 1,2-1,8 Millionen Menschen.13
  • Die US-amerikanischen Physicians for Social Responsibility berichteten für den Irakkrieg, dass zwischen 2003 und 2007 mehr als 60.000 Angehörige des US-Militärs Verletzungen erlitten, viele davon schwerste Polytraumata (u.a. Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen, Verbrennungen, Amputationen). Bei den mehr als 1.500.000 eingesetzten US-Soldaten müsse bei mindestens 30 Prozent mit schweren psychischen Störungen gerechnet werden, u.a. mit Posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit.14 Dieses hier genannte Leid bezieht sich nur auf US-Soldaten – das Leid der Bevölkerung in den von Kriegen heimgesuchten Ländern ist kaum bekannt und wird in Medien selten thematisiert.
  • Zu den Kriegskosten zählen zudem soziale Folgen wie erhöhte Gewalt, geringerer Gesundheits- und Bildungsstand, zerstörte Infrastruktur (Wohnhäuser, Fabriken, Schulen, Krankenhäuser, Verkehrswege, Versorgungsinfrastruktur für Wasser, Heizung und Elektrizität, Zerstörung des Ökosystems).
  • Durch die Vergeudung von Intelligenz, Kreativität, Geld und Materialien für Kriege und ihre Vorbereitung gehen wichtige Ressourcen zum Gestalten menschenwürdiger Lebensbedingungen verloren.

Diese wenigen Beispiele sollen reichen: Kriege sind also – unter humanitärer Perspektive – in aller Regel eine gigantische Verschwendung von Geld und Materialien und sie produzieren unendliches Leid.

Trotz dieser Bilanz und des wiederholten Scheiterns von NATO- und EU-Militäreinsätzen hält die deutsche außenpolitische Elite an der Überzeugung fest, Bundeswehreinsätze in aller Welt seien nötig und sinnvoll. Verteidigungsministerin von der Leyen kündigte an, es solle künftig bei der Durchsetzung von Interessen „keine Tabus“ 15 mehr geben. Dabei geht es weniger um die häufig beschworene Durchsetzung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten, sondern vielmehr um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen, wie Sicherung von Rohstoffen, Zugang zu Märkten und ggfs. auch Ausschalten von nicht kooperierenden Regimen. Schon in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« von 1992 wird als Ziel von Bundeswehreinsätzen offen „[d]ie Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt [...]“ genannt.16

Sprache verzerren und Konflikte formatieren

Nicht nur in Kriegs- und Vorkriegszeiten arbeiten Medien mit Verkürzungen, Zuspitzungen und Etikettierungen. Im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen können solche sprachlichen Verzerrungen besonders verheerende Auswirkungen haben. Wörter werden dabei zu Symbolen, sie funktionieren als Marker, die weitere Erklärungen unnötig machen. So können die gleichen Aufständischen einmal als Freiheitskämpfer auf Unterstützung hoffen, ein anderes Mal als Terroristen bekämpft werden. Abhängig ist eine solche Etikettierung weniger von den Handlungen der jeweiligen Gruppierungen, sondern vielmehr von politischer Opportunität. So wurden in Afghanistan bestimmte Gruppen finanziell, propagandistisch und mit Waffenlieferungen vom Westen unterstützt, solange sie gegen die Sowjetunion kämpften – einige Jahre später wurden sie von den NATO-Militärs mit allen Mitteln als Terroristen bekämpft. Ähnlich verhielt es sich mit der kosovarischen UÇK: Sie mutierte von einer Terrororganisation zur Freiheitsbewegung (im Kampf gegen die jugoslawische Milosevic-Regierung); inzwischen werden dem Führer der Kosovo-Regierung, Hashim Thaci, vom Europarat Kriegsverbrechen, kriminelle Machenschaften und Korruption vorgeworfen, er spiele „bei der Koordinierung der kriminellen Netzwerke eine zentrale Rolle“.17

Sprachliche Marker signalisieren den Medienkonsumenten eindeutig, auf welcher Seite sie zu stehen haben. Wichtige Beispiele sind »Demokratie«, »Menschenrechte«, »Frauenrechte«, »Verantwortung«, »Sicherheit«, »westliche Wertegemeinschaft« und ganz besonders »Freiheit«. Die „Gefährdung des freien und ungehinderten Welthandels“ 18 wird in westlichen Sicherheitsstrategien zu einer allgemeinen Gefährdung der Sicherheit umgedeutet und damit zu einem Kriegsgrund erklärt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2014 fügte Bundespräsident Gauck diesen Zusammenhang zu einer Art Glaubensbekenntnis zusammen. „Im außenpolitischen Vokabular reimt sich Freihandel auf Frieden und Warenaustausch auf Wohlstand.“ 19 Nicht nur Gauck blendet aus, dass »freier Handel« gerade ökonomisch schwächere Regionen noch tiefer in Armut stürzen und globale Ausbeutungsverhältnisse zementieren kann.

In einem politischen und medialen Diskurs aber, in dem »wir« die Verteidiger von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten etc. sind, ist es kein Wunder, dass die Barbaren immer die anderen sind. Dass auch »unser« Handeln von den Betroffenen der westlichen Kriege als Barbarei wahrgenommen werden kann, das wird zu häufig ausgeblendet. Militärische Konfrontationen, Kriege und Bürgerkriege sind immer auch mediale »Schlachten«, in denen die Barbarei der Gegner herausgestellt und die eigene weitgehend ausgeblendet oder als bedauerliches Versehen dargestellt wird. Empathie und Rollenübernahme, also sich in die Lebenslagen, Wahrnehmungsmuster und Interessen der jeweils anderen Seite hineinzuversetzen, gehen in Krisen und Kriegen allzu schnell verloren.

Kriegsgegner diskreditieren und demotivieren

Menschen, die sich gegen Kriege aussprechen, sehen sich häufig dem Vorwurf der Parteilichkeit, gar der Unterstützung des jeweiligen Gegners ausgesetzt. Wer sich weigert, den Krieg als notwendig zu akzeptieren und die vorgebliche moralische Überlegenheit der jeweils eigenen Seite ungefragt zu akzeptieren, wird schnell als »fünfte Kolonne« stigmatisiert.

Eine Bevölkerung, die nicht kriegsbegeistert ist oder sich gar aktiv gegen Kriege organisiert, ist für ihre kriegsbereite Regierung bedrohlich. Richard Nixon bezeichnete während des Vietnamkriegs in einer Ansprache vor Kriegsveteranen die Opposition gegen den Krieg als „die stärkste Waffe gegen die Vereinigten Staaten“.20 Kriegsgegner werden deswegen als »Wenige«, »Weltfremde« oder »Spinner« marginalisiert. Sie werden moralisch ins Abseits gedrängt, als Feiglinge oder Drückeberger stigmatisiert oder bestenfalls zu naiven Gutmenschen erklärt. Im Ukrainekonflikt wurden Menschen, die die Rolle Russlands zu verstehen versuchten, als „Putin-Versteher“ 21 abqualifiziert.22

Durch die argumentative Verknüpfung des Begriffs »Verantwortung« mit militärischen Interventionen sind Kriegsgegner schnell dem Vorwurf ausgesetzt, verantwortungslos zu handeln, und sie müssen in einer Umkehr der Beweislast begründen, warum sie nicht schießen (lassen) wollen.23

Beispiel Ukrainekonflikt

Der Ukrainekonflikt belastet seit 2014 die Beziehungen zwischen der Europäischen Union, den USA und der NATO einerseits und Russland andrerseits schwer. Neben verbalen Anschuldigungen,24 dem Ausschluss von den G8-Treffen und Sanktionen werden von westlicher Seite Ängste vor Russland geschürt und es wird militärische Bereitschaft demonstriert. In den deutschen Medien gibt es dazu gelegentlich ausgewogene Informationen,25 meist aber herrscht eine einseitige prowestliche Berichterstattung vor. Entsprechend übten viele Leser, Zuschauer und Hörer in zuvor kaum bekanntem Ausmaß scharfe Kritik an den Medien. Diese Kritik wiederum wird nicht selten »abgeschaltet« oder diskreditiert.26

Wir zeigen die Problematik der Berichterstattung hier an wenigen Beispielen auf.

Flug MH17

Das Flugzeug von Linienflug MH17 der Malaysia Airlines wurde am 17.7.2014 über der Ukraine von einer Flugabwehrrakete des Typs BUK getroffen und stürzte ab; es gab 298 Opfer. Auch mehr als ein Jahr später und nach Veröffentlichung des abschließenden Ermittlungsberichts des niederländischen Sicherheitsrates27 gibt es viele Vermutungen, aber keine verlässlichen Informationen über die Urheber des Abschusses. Der ukrainische Präsident Poroschenko aber sprach schon am Abend des Absturzes von einem „terroristischen Akt“ prorussischer Rebellen,28 und US-Außenminister Kerry machte sehr bald Russland verantwortlich, da es die Raketen, mit denen das Flugzeug abgeschossen wurde, an die Rebellen gegeben haben soll.29 Zudem forderte er härtere Sanktionen gegen Russland – die angekündigten »harten Beweise« für die Schuldzuschreibung fehlen bis heute. Bald folgten mehrere deutsche Printmedien mit dramatischen Schlagzeilen, etwa BILD: „Wann stoppt die Welt endlich Putin? – Die Todes-Rakete kam aus Russland“ (21.07.2014). Sehr ähnlich der SPIEGEL-Titel mit dem Bild Putins im Vordergrund, dahinter Fotos der beim Absturz Verstorbenen und in großen Buchstaben „Stoppt Putin jetzt!“ (29.7.2014). Im Leitartikel der Ausgabe steht, es seien auch „seine Toten“. Er zeige sein „wahres Gesicht“; er stehe enttarnt da als „Paria der Weltgemeinschaft“. Der Abschuss sei eine „direkte Folge davon, dass Russland die Separatisten [...] militärisch aufgerüstet hat. Er ist ein Symbol für die Ruchlosigkeit Putins [...].“ Solche Aussagen lassen sich kaum mit dem Anspruch des SPIEGEL, Qualitätsjournalismus zu betreiben, in Einklang bringen. US-Präsident Obama äußerte sich noch Monate später, am 15.11.2014, in Queensland, Australien, ganz ähnlich: „Russland stellt eine Bedrohung für die ganze Welt dar. Das zeigt der Abschuss der MH 17 ganz deutlich.“ 30

Es ist nicht das erste Mal, dass mit einem Flugzeugabschuss riskante Politik gemacht wird. Wir erinnern an ein vergleichbares Ereignis, das die politischen Beziehungen zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion schwer belastete. Wir zitieren einen Artikel der FAZ vom 4.9.1996, also dreizehn Jahre nach dem Ereignis, mit der Überschrift »Jumbo-Abschuß falsch dargestellt?«: „Der Abschuß eines koreanischen Passagierflugzeuges im August 1983 durch ein sowjetisches Kampfflugzeug ist von der amerikanischen Regierung bewußt falsch dargestellt worden. [...] Die amerikanische Regierung hatte nach dem Abschuß des Flugzeugs einen Dokumentarfilm produzieren lassen, in dem nur ein Teil der empfangenen Funksprüche wiedergegeben wurde. Dieser Film wurde dann im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gezeigt. Nach Darstellung Snyders [des früheren Leiters der Fernsehabteilung der amerikanischen Informationsbehörde] haben die Amerikaner die Darstellung im Film gefälscht, um die Sowjetunion als unberechenbare Macht erscheinen zu lassen, gegen die man aufrüsten müsse.“

Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es empfehlenswert ist, gegenüber offiziellen Verlautbarungen skeptisch zu sein – insbesondere dann, wenn es um Krieg und Kriegsvorbereitung geht.

Odessa und Rechte Kräfte

Am 2.5.2014 kamen in Odessa mindestens 48 Menschen ums Leben, viele wurden verletzt.31 Prorussische Demonstranten waren vor Mitgliedern des »Rechten Sektors« in ein Gewerkschaftshaus geflohen, das anschließend von den Rechten mit Molotowcocktails angezündet wurde. Menschen verbrannten, stürzten zu Tode, wurden erschlagen oder erschossen. Während am 2.5. in den Berichten bei ARD und ZDF noch Täter und Opfer genannt wurden, »verschwanden« diese aber bald. Jetzt „[...] geriet ein Gebäude [...] in Brand“ (Tagesschau, 3.5.); es gab Tote, „die in einem brennenden Haus umkamen“ (Tagesthemen, 3.5.); „[...] starben bei Ausschreitungen und dem anschließenden Brand [...] mehr als 40 Menschen“ (ZDF heute, 4.5.). Nach dem Brand waren nur Kiew-kritische Personen von der Polizei festgenommen worden. Als versucht wurde, diese zu befreien, wurde daraus „[e]in mit Knüppeln bewaffneter pro-russischer Mob“ (ARD Tagesthemen, 4.5.), und „[p]ro-russische Banden greifen das Polizeigebäude an“ (ZDF heute-journal, 4.5.).32

Bei der Feindbild-Produktion ist es eine übliche Strategie, Täter nicht zu benennen (z.B. ein Haus brennt; Panzer greifen ein ...) und den »Feind« mit negativen Attributen zu versehen (Mob, Banden...) – Qualitätsjournalismus ist dies nicht.

Prominenten-Aufruf

Schon bei den (fehlenden oder verharmlosenden) Berichten über rechte Kräfte in führenden politischen und militärischen Positionen der Ukraine wurde eine wichtige Strategie der Feindbild-Produktion deutlich: Über nicht erwünschte Ereignisse wird nicht berichtet. Die Strategie des Auslassens oder Verschweigens wird auch am Beispiel des eindringlichen Aufrufs »Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!« deutlich, den ursprünglich etwa 60 Prominente unterschrieben, darunter Ex-Bundeskanzler Schröder, Ex-Bundespräsident Herzog, die Ex-Regierungschefs Diepgen und Stolpe und Ex-SPD-Vorsitzender Vogel. Der Aufruf wurde zwar von ZEIT Online veröffentlicht, danach aber weitestgehend ignoriert. Dabei enthält er bedeutende Aussagen: USA, EU und Russland trieben „unausweichlich“ auf einen Krieg zu, „wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten“. Und: „Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern.“ 33

Medien- und Meinungsmacht

Es ist auch in Demokratien immer wieder erstaunlich, in welchem Ausmaß Leitmedien ähnliche Informationen und Meinungen verbreiten, selbst wenn Kontroverses möglich oder naheliegend ist. Wie sind die übereinstimmenden Meldungen zu erklären? Neben häufig diskutierten Ursachen – u.a. Medienkonzentration; Arbeitsbedingungen für Journalisten, die kaum Recherchen ermöglichen; Abhängigkeit von Unternehmen, die Werbung schalten, und von Werbeagenturen; Gefangensein in der eigenen Kultur und in politischen »Selbstverständlichkeiten«; ideologische Voreingenommenheit – zeigte der Medienwissenschaftler Uwe Krüger (2013) für deutsche Medien einen weiteren Punkt auf: die enge Verbindung von Journalisten zu den politischen Eliten.34 Er untersuchte die Rolle von Elitenetzwerken, da diese häufig so genannte Spitzenjournalisten mit integrieren. Führt ein enger Umgang dazu, dass die Perspektiven, die Problemanalysen und die blinden Flecken der Politik in die Berichterstattung über diese übernommen werden? Krüger konzentriert sich dabei auf das Thema Auslandseinsätze, da hier die Kluft zwischen Bevölkerungsmeinung und veröffentlichter Meinung besonders augenfällig ist.

In einer umfangreichen Analyse untersuchte Krüger außenpolitische Leitartikel und Kommentare der vier am häufigsten zitierten Journalisten im Ressort Außenpolitik: Josef Joffe (DIE ZEIT), Stefan Kornelius (Süddeutsche Zeitung), Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) und Michael Stürmer (DIE WELT). Bei den Kommentaren und Leitartikeln dieser vier Journalisten, die häufig in außenpolitischen Netzwerken (z.B. Münchner Sicherheitskonferenz) als Teilnehmer (also nicht als Journalisten) aktiv sind, fand Krüger „große Schnittmengen in ihren Argumenten“.35 Zu den von allen vier geteilten Argumentationsmustern (Frames) gehört u.a. der erweiterte Sicherheitsbegriff: Bedrohungen werden in ganz ähnlicher Weise wie in den offiziellen Dokumenten thematisiert; zu ihnen werden – ohne dies kritisch zu diskutieren – Rohstoffe, Handelswege, Finanzkrise, Terrorismus, zerfallende Staaten, organisierte Kriminalität, ökologische Katastrophen und Epidemien gezählt. Ein weiterer Argumentationsstrang lautet, Deutschland müsse das Bündnis mit den USA pflegen und mehr Engagement in der NATO zeigen; Deutschland habe seine militärischen Notwendigkeiten vernachlässigt und die zögernde Bevölkerung müsse überzeugt werden. Krüger fordert dazu auf, die Frage eines „Sicherheitsabstand[es]“ 36 zwischen Journalismus und Politik als Teil der journalistischen Ethik-Kodizes zu diskutieren. Wer sich in Elitennetzwerken trifft, sollte auch Treffen mit Vertretern von Gegenpositionen suchen. Dort wo Journalisten außerdem Funktionen in Organisationen und Netzwerken übernehmen, sollte sich eine Berichterstattung darüber von selbst verbieten.

Friedensjournalismus

Friedensjournalismus ist ein noch junges Konzept mit dem Ziel, den Einfluss der Medien zur konstruktiven, gewaltfreien Austragung von Konflikten zu nutzen.37 Thematisiert werden die Konfliktgegenstände (einschließlich Konfliktparteien, Konfliktanlass und -geschichte) und wie diese so transformiert werden können, dass ohne Gewaltanwendung eine allseits zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann. Dabei können u.a. folgende Strategien genutzt werden:

  • alle Beteiligte zu Wort kommen lassen und humanisieren;
  • die Interessen und Beweggründe aller Konfliktparteien darstellen;
  • Propaganda, Unwahrheiten ebenso wie Gräueltaten und Leid aller Seiten thematisieren und asymmetrische Kräfteverhältnisse nicht ausblenden;
  • nicht den Gegner, sondern den Krieg als Problem darstellen;
  • versöhnungsbereite politische Eliten und Bevölkerungssegmente zu Wort kommen lassen.

In jedem Fall gilt es, Feindbilder und Fremdbilder genauso kritisch zu reflektieren wie die »eigene« Position, die einer Berichterstattung zugrunde liegt.

Friedensjournalismus unterscheidet sich damit deutlich von dem üblichen Journalismus, bei dem ein Aggressor (natürlich immer die andere Partei) benannt und thematisiert wird, wie dieser gestoppt werden kann – dabei wird militärischen Mitteln eine hohe Priorität gegeben. Werden auch nur einige der o.g. Ansätze des Friedensjournalismus genutzt, dann sind die Medien auf einem guten Weg hin zum Qualitätsjournalismus.

Anmerkungen

1) Wir bringen hauptsächlich Beispiele aus Deutschland und den USA, um für das Thema zu sensibilisieren. Damit ist nicht impliziert, dass die Mechanismen in diesen Ländern – verglichen mit anderen – besonders ausgeprägt sind.

2) Über 8.000 Kinder sterben jeden Tag, die Hälfte davon an Mangelernährung; siehe UNICEF: Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind. 13. September 2013; unicef.de.

3) Bulletin of the Atomic Scientists (2015): Timeline – It is 3 minutes to midnight; thebulletin.org.

4) Die Ängste der Deutschen 2015. Eine Studie des Infocenters der R+V Versicherung. September 2015.

5) Siehe dazu Brüggemann, N. & Weßler, H. (2009): Medien im Krieg. Das Verhältnis von Medien und Politik im Zeitalter transnationaler Konfliktkommunikation. In: Marcinkowski, F. & Pfetsch, B. (Hrsg.): Politik in der Mediendemokratie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Politische Vierteljahresschrift Sonderhefte.

6) Relativierend zu dieser Aussage muss festgestellt werden, dass die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Anfang August 2015 einen Aktionsplan »Programm für eine nachhaltige Entwicklung bis 2030« verabschiedeten, mit dem eine Welt u.a. ohne Armut und Hunger erreicht werden soll (Frankfurter Rundschau, 4.8.2015). Die nötigen finanziellen Mittel dafür werden jedoch, wie schon zuvor für die Millenniumentwicklungsziele, nicht in ausreichendem Maße bereitgestellt.

7) Zitat laut dpa-Meldung vom 31.7.2015.

8) Breite Mehrheit für Afghanistan-Einsatz – Scharping: Soldaten erst nach Weihnachten nach Kabul. FAZ.net, 23.12.2001.

9) Protokoll Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001.

10) United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA): Newsupdate. 18.12.2014.

11) Zum Jugoslawien-Kosovo-Krieg z.B. der ARD-Film »Es begann mit einer Lüge – Deutschlands Weg in den Kosovo-Krieg« vom 8.2.2001. Für Kriege der USA siehe z.B. die ausführliche Dokumentation »War made easy – Wenn Amerikas Präsidenten lügen« auf youtube.

12) Westliche Militärinterventionen beenden – IPPNW-Jahrestreffen in Braunschweig. IPPNW-Pressemitteilung vom 22.4.2012.

13) IPPNW: Body Count. Operzahlen nach 10 Jahren »Krieg gegen den Terror Irak – Afghanistan – Pakistan. Berlin, Mai 2012.

14) Kanter, E. (2007): Shock and Awe Hits Home – U.S. Health Costs of the War in Iraq. Washington D.C.: Physicians for Social Responsiblity.

15) Rede der Verteidigungsministerin anlässlich der Auftaktveranstaltung »Weißbuch 2016«. Berlin, 17.02.2015; bmvg.de.

16) Der Bundesministerium der Verteidigung: Verteidigungspolitische Richtlinien 1992. Bonn, 26. November 1992.

17) Banditengast des Tages: Angela Merkel. junge welt, 20.12.2011.

18) Vergl. u.a. Weißbuch 2006 der Bundeswehr oder Nationale Sicherheitsstrategie 2002 der USA.

19) Deutschlands Rolle in der Welt: Anmerkungen zu Verantwortung, Normen und Bündnissen. Rede von Bundespräsident Joachim Gauck bei der Münchener Sicherheitskonferenz, 31.1.2015.

20) „greatest single weapon working against the United States“. Simon und Garfunkel bauten diese Ansprache in den Antikriegssong »Silent night« ein.

21) Dieser Kampfbegriff begann seine (ursprünglich auf Gerhard Schröder gemünzte) Karriere mit dem ZEIT-Artikel »Der Machtwechsel in der Ukraine lässt zu viele Fragen offen« von Robert Leicht (24.2. 2014) und wurde dann von nahezu allen Mainstream-Medien übernommen.

22) Siehe dazu Krone-Schmalz, G. (2015): Russland verstehen – Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens. München: C.H. Beck.

23) Vgl. Pfeifer, H. & Spandler, K.: The Reponsibility to be Responsible – Über Außenpolitik und Verantwortung. W&F 4-2014, S.36-39.

24) Z.B. sagte Kanzlerin Merkel bei ihrem Moskaubesuch anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Zweiten Weltkriegs im Mai 2015, die deutsch-russische Zusammenarbeit habe „durch die verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die militärische Auseinandersetzung in der Ostukraine [...] einen schweren Rückschlag erlitten“. Zitiert nach Die Bundesregierung: Im Wortlaut – Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Putin am 10. Mai 2015 in Moskau.

25) Siehe dazu einen guten Überblick in Schiffer, S. (2015) Einspruch unerwünscht. Kritische Stimmen in der Ukraine-Berichterstattung. In: Thoden, R. & Schiffer, S.: Ukraine im Visier – Russlands Nachbar als Zielscheibe geostrategischer Interessen. Frankfurt a. M.: Selbrund.

26) Vgl. Schreyer, P.: Leserkommentare abschalten? Telepolis, 14.11.2014.

27) Dutch Safety Board: MH17 Crash – Crash of Malysia Airlines Flight MH17, Hrabove, Ukraine, 17 July 2014. The Hague, October 2015.

28) Absturz einer Malaysia-Airlines-Maschine in Ukraine – USA gehen von gezieltem Abschuss aus. Süddeutsche Zeitung/sz.de, 18. Juli 2014.

29) Rushe D. & Walker S.: MH17 crash: Kerry lays out evidence of pro-Russia separatists" responsibility. The Guardian, 20 July 2014.

30) Zitiert nach Krone-Schmalz, G. (2015): Russland verstehen – Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens. München: C.H. Beck, S.135.

31) Siehe dazu ebenfalls Krone-Schmalz, G., op.cit.

32) Sämtliche Zitate aus: Das Massaker von Odessa in den deutschen Staatsmedien. Posted by Dok am 9. Mai 2014 in propagandaschau.wordpress.com.

33) „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ Roman Herzog, Antje Vollmer, Wim Wenders, Gerhard Schröder und viele weitere fordern in einem Appell zum Dialog mit Russland auf. ZEIT ONLINE dokumentiert den Aufruf. 5.12.2014.

34) Krüger, U. (2013): Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse. Köln: Herbert von Halem Verlag.

35) Ebenda, S.173.

36) Ebenda, S.264.

37) Kempf, W. (2004). Friedensjournalismus. In: Sommer, G. & Fuchs, A. (Hrsg.): Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinberg: Beltz, S.439-451. Siehe dazu auch Bilke N. & Pecojon Deutschland (o.J.): Sieben Thesen zum Friedensjournalismus. friedensjournalismus.de.

Claudia Haydt, Religionswissenschaftlerin und Soziologin, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Im Rahmen ihrer Schwerpunktthemen deutsche und europäische Militärpolitik, Medienanalyse sowie Friedens- und Konfliktforschung ist Claudia Haydt international tätig – als Aktivistin, Referentin und Autorin zahlreicher Fachbeiträge.

Bashar al-Assad

Ein Feind wird gemacht

von Karin Leukefeld

Bis zum Frühjahr 2011 galt der syrische Präsident Bashar al-Assad in Syrien und international als Hoffnungsträger. Heute gilt er als »Schlächter von Damaskus«. Mit dem Menschen und Politiker Assad hat das wenig zu tun.

Mehr als zwölf Millionen Einträge zeigt die Suchmaschine von Google im Internet an, wenn man »Bashar al-Assad« eingibt. „Wie weite Teile der syrischen Elite gehört Assad der Religionsgemeinschaft der Alawiten an“, weiß Wikipedia, das bei den Suchergebnissen prominent die halbe Seite auf dem Bildschirm einnimmt. Am unteren Rand, unter der Rubrik »Wird auch oft gesucht«, zeigt Google neben Fotos seiner Ehefrau, Asma al-Assad, des Vaters Hafez und des Bruders Maher auch die ehemaligen Regierungschefs von Libyen, Muammar Ghaddafi, und des Iraks, Saddam Hussein.

Dass den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad – ebenso wie seinen Vater – mit den beiden Politikern eher nichts verband, geht aus der Zuordnung nicht hervor. Darum geht es auch nicht. Die Nennung der Namen und die Fotos sollen suggerieren, dass Assad das Schicksal der beiden Politiker teilen könnte oder wird. Sowohl Saddam Hussein als auch Muammar Ghaddafi wurden gestürzt, gejagt und getötet. Und alle drei – und das haben die bundesdeutschen Leitmedien und Portale im Internet hinreichend klar gemacht – sind „Despoten, [die] ihr Volk abschlachten“, wie es beispielsweise bei einer Diskussion auf SPIEGEL ONLINE im Juni 2014 hieß. Dem »Hitler von Bagdad« (Saddam Hussein) folgte der »irre Potentat Ghaddafi« (Muammar al Ghaddafi), der wiederum vom „Schlächter von Damaskus“ (Bashar al-Assad) abgelöst wurde.1 Der Oppositionelle Haitham al-Maleh, der im März 2011 im Zuge einer Amnestie freigelassen worden war und nach Deutschland ausreisen konnte, spielte sich im Januar 2012 zum Richter über den syrischen Präsidenten und seine Familie auf. Dem Londoner »The Telegraph« erklärte der Jurist: „Assad und seine Familie werden in Syrien umgebracht [...] Sein Ende wird sein, dass er getötet wird, wie Gaddafi.“ 2

Am 11. Juli 2011 – die innersyrischen Unruhen dauerten gerade vier Monate – erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton, der syrische Präsident Bashar al-Assad habe alle Legitimität verloren und sei „nicht lebensnotwendig“ für Syrien. Er halte sein Wort nicht und werde trotz der zunehmenden Proteste keine Reformen umsetzen.3 Nur wenige Tage zuvor (8.7.2011) war der US-Botschafter in Syrien, Robert Ford, mit seinem französischen Amtskollegen Eric Chevallier nach Homs gefahren, um eine große Protestkundgebung zu besuchen. Die ausländischen Diplomaten besuchten Oppositionelle sowie Beerdigungen, die zumeist zu neuen Demonstrationen wurden. Wo immer etwas im Land geschah, waren die Botschafter früher oder später präsent, um anschließend Berichte für ihre Regierungen zu verfassen. Nach internationalen diplomatischen Gepflogenheiten sollten Botschafter solche Aktivitäten unterlassen, da sie vom Gaststaat – in diesem Fall Syrien – als »Einmischung in innere Angelegenheiten« verstanden werden könnten.

Im August 2011 sagte der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (6.8.2011), er glaube nicht, dass es noch eine „politische Zukunft für Assad geben“ könne. Angebote zum Dialog könnten nicht ernst genommen werden, so Westerwelle: „Die massive Anwendung von Gewalt zeigt, dass das Regime für seinen Machterhalt vor nichts zurückschreckt.“ 4 Unter Berufung auf »Aktivisten« und Berichte, die über eine »Social Media Website« die internationale Öffentlichkeit erreicht hatten, erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton zeitgleich, die syrischen Sicherheitskräfte seien für den Tod von mehr als 2.000 Demonstranten verantwortlich.5

Syrien verurteilte die Erklärungen von Clinton und bezeichnete sie als »Aufwiegelung«, doch Frankreich, Großbritannien, die Türkei und Jordanien folgten mit ähnlichen Stellungnahmen. Die Kontakte zur syrischen Regierung wurden eingefroren, die Botschaften Anfang 2012 geschlossen.

Zu diesem Zeitpunkt begannen Reporter der New York Times mit einer Langzeitrecherche, die sie im März 2013 veröffentlichten. Der Bericht6 erläutert, wie und welche Mengen Waffen aus Katar, Saudi Arabien und Kroatien in die Türkei und nach Jordanien geliefert und – unter den Augen der NATO und der Geheimdienste – von den Flughäfen in Ankara und Amman ins Grenzgebiet nach Syrien transportiert wurden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass der innersyrische Konflikt, der intern hätte gelöst werden müssen und können und der noch nicht das Ausmaß eines »Bürgerkrieges« angenommen hatte, vom Ausland her befeuert wurde. Demonstrationen, die gegen die Macht von Geheimdiensten, für mehr politische und wirtschaftliche Teilhabe und einen Rechtsstaat organisiert worden waren, wurden von regionalen Staaten mit Waffenlieferungen angeheizt und instrumentalisiert. Das Ziel war, die syrische Regierung zu isolieren Das beschreibt ein Bericht des US-Militärgeheimdienstes, dessen Veröffentlichung im Sommer 2015 juristisch erstritten worden war.7

Zurück nach Damaskus Ende 2011. Regierung und Präsident hatten mit der regionalen und internationalen Abwendung und der raschen Eskalation nicht gerechnet. Seit Bashar al-Assad seinen Vater 2000 in einem undemokratischen, allerdings von Europa und den USA wenig kritisierten Verfahren beerbt hatte, hatte Syrien eine bis dahin nicht gekannte Öffnung erlebt. Assad kündigte Reformen an und forderte die Bevölkerung auf, ihn dabei zu unterstützen. Der Damaszener Frühling (2001) brachte die innenpolitische Erstarrung in Bewegung, die allerdings bald vom Geheimdienst gebremst wurde, der Assad seine »rote Linie« aufzeigte. Der strebte die Öffnung nach Westen an, insbesondere Richtung Europa, verweigerte aber eine Beteiligung an der Irakinvasion 2003. Europa öffnete Syrien über die Mittelmeerunion, den Barcelona-Vertrag und ein EU-Assoziierungsabkommen die Tür nach Westen, was die Regierung in Damaskus positiv aufnahm. Bilaterale Projekte zwischen EU-Staaten und Syrien im Handels-, Bildungs- und Ausbildungsbereich schossen aus dem Boden. Der wirtschaftliche Aufschwung in Syrien wurde durch die Öffnung des Landes für ausländische Investitionen angekurbelt; die WTO sagte 2010 voraus, dass Syrien 2015 die fünftstärkste Wirtschaftskraft der arabischen Welt sein würde.

Öffnung und wirtschaftlicher Aufschwung wurden teuer erkauft, denn innenpolitisch hielten die Reformen nicht Schritt mit den wirtschaftlichen Veränderungen. Die rasche wirtschaftliche Öffnung zur Türkei zerstörte die nationale Wirtschaftsstruktur, in der viele Klein- und Familienunternehmen Arbeitsplätze geschaffen und ein bescheidenes Auskommen gewährleistet hatten. Eine lang anhaltende Dürre hatte zudem die Existenz vieler Bauern und Viehzüchter vernichtet. Landflucht und ein enormes Bevölkerungswachstum ließen Satellitenstädte um die Wirtschaftszentren Aleppo, Homs und Damaskus entstehen. Jeder hatte ein Dach über dem Kopf und musste – dank subventionierter Grundnahrungsmittel und sehr geringer Preise – keinen Hunger leiden. Doch die westlichen Partner drängten auf Privatisierung und Subventionsabbau, was im Land scharf kritisiert wurde.

Auch wenn das ungezügelte Agieren der Geheimdienste seit 2000 eingedämmt worden war, kamen innenpolitische Reformen nicht voran. Während Privatuniversitäten eine neue Elite förderten, ließ die Liberalisierung des Bildungssektors in den Satellitenstädten Koranschulen entstehen, die immer mehr Einfluss gewannen. Angesichts der Ereignisse in Tunesien und Ägypten (2010/2011) lagen bei etlichen Nutznießern des syrischen Systems – vor allem bei den Geheimdiensten – die Nerven blank. Das sorgte Mitte März 2011 für die Eskalation in Deraa.8 Der Zorn der Menschen, die auf die Straße gingen, wandte sich nicht gegen Präsident Assad. Ihr Zorn richtete sich gegen die auf Profit und Gewalt basierende Machtstruktur eines »Regimes«, das seit 50 Jahren Bestand hatte. Das schwere Erbe seines Vaters – einen auf der Macht der Geheimdienste basierenden Staat – hatte Bashar al-Assad in den zehn Jahren seiner Amtszeit (bis 2011) nicht reformieren können.

„Bashar al-Assad muss stürzen und er wird stürzen“

Dass westliche Politiker den direkten Kontakt mit der syrischen Regierung und Präsident Assad vermieden und sich stattdessen über die Medien öffentlich und Partei nehmend äußerten, folgte einer politischen Absicht. Deutlich machen das Debatten im französischen Außenministerium, die allerdings erst im Herbst 2014 in dem Buch »Les Chemins de Damas«9 bekannt wurden.

Das Buch befasst sich mit 40 Jahren syrisch-französischer Beziehungen.10 In einem Kapitel (»Streit am Quay d"Orsay«, dem französischen Außenministerium) wird beschrieben,11 wie der französische Präsidentenpalast die französischen Diplomaten und Geheimdienste unter Druck setzte, um die Außenpolitik – entgegen deren Erkenntnissen – dem Ziel unterzuordnen, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Berichtet wird von einem Treffen im Frühling 2011, an dem der (damalige) Stabschef im Außenministerium (Hervé Ladsous), der Botschafter in Syrien (Eric Chevallier) und der Berater von Präsident Nicolas Sarkozy für den Mittleren Osten (Nicolas Galey) teilnahmen. Daneben waren weitere hochrangige Beamte und Diplomaten anwesend, die mit Syrien zu tun hatten. Der Botschafter in Damaskus, Eric Chevallier, erklärte, wie er schon zuvor schriftlich mitgeteilt hatte, dass nach seinen in Syrien gesammelten Erkenntnissen „das Assad-Regime nicht stürzen wird und Assad stark ist“. Nach allem, was er in Syrien „erlebt und gehört habe – und er habe verschiedene Regionen Syriens bereist“, habe er nicht den Eindruck „dass das Regime zerbricht“. Der Berater des Präsidenten habe ihn daraufhin abrupt und geradezu „feindselig“ unterbrochen: „Hören Sie auf, solchen Unsinn zu reden. Wir sollten uns nicht an die Fakten halten, sondern wir müssen über unsere Nasenspitzen hinausblicken“, wird Nicolas Galey wiedergegeben. Der Stabschef im Außenministerium, Hervé Ladsous, äußerte gegenüber den Autoren Malbrunot und Chesnot, er sei über den Ton „schockiert“ gewesen. Der Präsidentenberater sei „nicht zu dem Treffen gekommen, um an einer Beratung teilzunehmen, sondern um einen bestimmten Auftrag zu erfüllen: [nämlich] die Ansicht durchzusetzen, dass der Sturz von Assad unausweichlich sei“. Jeder der Anwesenden sollte verstehen, dass davon abweichende Meinungen in der französischen Diplomatie nicht mehr geduldet würden, so Ladsous.

In dem Kapitel wird ein harscher Wortwechsel zwischen Chevallier und Galey wiedergegeben. Auslöser dafür waren unterschiedliche Angaben der Inlands- und Auslandsgeheimdienste Frankreichs. Während der Inlandsgeheimdienst einen rapide ansteigenden Einfluss von Salafisten und Jihadisten bei den Unruhen in Syrien festgestellt hatte, schickte der Auslandsgeheimdienst ausschließlich Berichte, in denen die syrische Regierung um Präsident Assad dämonisiert wurden.

Chevallier erklärte dazu, er habe sich wiederholt mit syrischen Oppositionellen in Syrien getroffen und dass „das Regime überleben wird und viel ausländische Unterstützung“ habe. Der Präsidentenberater Galey habe daraufhin erklärt: „Ihre Informationen sind uns egal.“ Botschafter Chevallier stellte daraufhin fest: „Sie wollen, dass ich etwas anderes aufschreibe. Aber meine Aufgabe als Botschafter ist weiterhin, das zu sagen, was ich bereits geschrieben habe, und das ist, was tatsächlich geschieht.“ Präsidentenberater Galey antwortete, im Präsidentenpalast sei man nicht an den Informationen des Botschafters interessiert: „Bashar al-Assad muss stürzen und er wird stürzen.“

Systematische Eskalation

Der »Sturz des Regimes« wurde zum Inbegriff des politischen Wandels für Syrien. Und da das »Regime« mit der Familie al-Assad gleich gesetzt wurde, ging es nur noch um den »Sturz von Assad«. Ohne diesen Sturz könne und werde sich nichts in Syrien ändern, wiederholten Politiker im Westen, in der Türkei, in den Golfstaaten und von der syrischen Auslandsopposition.12

Letztere verfügte mit der »Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte« über ein allgegenwärtiges Sprachrohr, das für die internationale Presse zu einer zentralen Quelle für Nachrichten aus Syrien wurde. Das Logo auf der Webseite dieser »Beobachtungsstelle« zeigt deutliche Sympathie, wenn nicht sogar Zugehörigkeit, zu dem Teil der syrischen Opposition, der die alte syrische Nationalfahne (aus der Zeit des französischen Mandats) als Erkennungsmerkmal gewählt hat.13 Diese Fahne wurde vom syrischen Nationalrat gezeigt, aus dem die vom Westen, der Türkei und den Golfstaaten unterstützte syrische »Nationale Koalition« (Etilaf) mit Sitz in Istanbul hervorging; auch die »Freie Syrische Armee« nutzt diese Fahne. Dennoch heißt es in der Selbstdarstellung der »Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte«, man sei „mit keiner politischen Partei verbunden“.

Gegründet nach eigenen Angaben 2006, wird dieses Informationsbüro von einer Person mit dem Pseudonym »Rami Abdel Rahman« geleitet. Sein richtiger Name ist Osman Sleiman. Er ist politischer Flüchtling aus Syrien und sitzt in einem Büro in Coventry (GB). Per Telefon sammelt er Informationen über die Ereignisse in Syrien bei einem „weiten Netzwerk von Informanten“, die er in oder um Syrien herum befragt. Diese Informationen werden an Medien und Interessierte weitergeleitet. Wiederholt erhielt die Beobachtungsstelle finanzielle Unterstützung vom »Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte«.14

Trotz des häufigen Zusatzes, dass sich die Angaben nicht unabhängig überprüfen ließen, berufen sich fast alle Meldungen zumindest deutscher Medien auf diese Beobachtungsstelle. Amnesty international sagt, das Büro stelle „die besten Statistiken“ zusammen.15 Allerdings muss man sich fragen, wie es sein kann, dass die Beobachtungsstelle, die weitab vom Geschehen in England sitz, stets rasch Berichte, Fotos und Opferzahlen von Orten erhält, an denen es Überfälle, Angriffe, Gefechte oder Massaker gab oder gibt. Wie ist es möglich, dass »syrische Aktivisten« in Kampfgebieten, in denen die Infrastruktur zerstört ist oder wird, über Telefonverbindungen verfügen? Ein syrischer Offizier erklärte dazu: „Hier in Syrien sind so viele internationale Geheimdienste unterwegs, mit den Kampfgruppen und ohne. Sie rufen dort an und geben ihre Meldungen durch.“ Auf die Nachfrage, dass die Beobachtungsstelle sich angeblich auch auf Quellen aus der syrischen Armee berufe, antwortete er mit einem Verweis auf die öffentlichen Armee-Bulletins.16 Im August 2012 war allerdings bereits bekannt geworden, dass deutsche und britische Abhördienste im östlichen Mittelmeerraum vor der Küste Syriens und auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik (nahe Adana) „Informationen über die Bewegungen der syrischen Regierungstruppen [sammeln], die dann zu den Rebellen gelangen“.17 Vieles deutet darauf hin, dass die britische »Beobachtungsstelle« in dieses Aufklärungsnetz eingebunden ist.

Die Katapulte gegen Bashar al-Assad waren in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Washington, in der Türkei und in den Golfstaaten schon in Stellung gebracht, bevor die syrische Opposition sich im Juni 2011 zu einer großen Konferenz im Damaszener Hotel »Semiramis«18 versammelte. Jede politische Initiative, jedes Gesprächsangebot der syrischen Regierung an die innersyrische Opposition, die Aufhebung des langjährigen Ausnahmezustands, jede eingeleitete Reform wurde vom Tisch gefegt. Als die innersyrischen Oppositionellen auf der Semiramis-Konferenz dennoch für Dialog plädierten, denunzierte man sie als „Marionetten des Regimes“ 19 oder »vom Regime geduldet«. Und wenn Journalisten – wie die Autorin dieses Artikels – aus dem Land über die innersyrischen Debatten und den skizzierten Dialog berichteten, wurden sie zum „Handlanger des Regimes“.20 Im Spätsommer 2011, als die syrische Regierung und die innersyrische Opposition noch versuchten, eine Gesprächsbasis zu finden, folgten Auslandsopposition und die sie unterstützenden Staaten, die sich Anfang 2012 zu den »Freunden Syriens« zusammenschlossen, einer klassischen Eskalationsstrategie (im Folgenden nach Gugel und Jäger).21

  • Mit der Gründung einer »Freien Syrischen Armee« in der Türkei, die die Opposition unterstützte, wurden Tatsachen geschaffen, die die Militarisierung unmittelbar beschleunigten. Beleidigende Sprache gegen den Präsidenten und die Regierung fanden sich bei Facebook, YouTube und Twitter, die von der Opposition extensiv genutzt wurden. Die persönliche Integrität des Konfliktpartners wurde untergraben, er wurde bloßgestellt, wie unzählige Spottlieder auf und Karikaturen über den syrischen Präsidenten und die Regierung, aufpeitschende Reden und Stellungnahmen auch westlicher Politiker dokumentieren. Wann immer sich der syrische Präsident äußerte, wurde er von der Opposition beschimpft. Besonders häufig machte man sich über das Lispeln von Bashar al-Assad lustig.
  • Am 30. Juni 2012 unterzeichneten die Außenminister der Vetomächte des UN-Sicherheitsrates (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA) in Genf eine Vereinbarung, die der damalige UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Kofi Annan, ausgearbeitet hatte. Darin wurden ein Waffenstillstand und eine Konferenz aller Kriegsakteure zur Bildung einer Übergangsregierung vorgeschlagen. Für Präsidenten Assad wurde keine Rolle vorgesehen; in der Vereinbarung wurde nicht einmal sein Name erwähnt. Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Dokuments legte die damalige US-Außenministerin, Hillary Clinton. eine eigene Interpretation der Vereinbarung vor, die fortan jeden politischen Prozess in Syrien blockierte: Voraussetzung für die Umsetzung der Genfer Vereinbarung sei, dass der syrische Präsident Bashar al-Assad abtreten müsse, gab Clinton die Marschrichtung vor, der alle US-Bündnispartner in Europa und am Golf ebenso folgten wie die Türkei und die bewaffneten Oppositionsgruppen. Kofi Annan trat kurz darauf zurück.22
  • Es gab keine Trennung zwischen Sache und Person, sondern Bashar al-Assad wurde für alles verantwortlich gemacht, was im Land geschah, auch wenn die Umstände des Geschehens oft unklar waren. »Er« bombardiert Bäckereien, Krankenhäuser, Schulen, »er« wirft Fassbomben, schlachtet sein eigenes Volk ab und vergiftet es, heißt es bis heute von der syrischen Auslandsopposition und sie unterstützenden Organisationen.
  • Der Machtkampf und die Unsicherheit über das weitere Vorgehen innerhalb der (Auslands-) Opposition führten schließlich dazu, dass das Büro des UN-Sondervermittlers für Syrien in Damaskus 2000 oppositionelle Gruppen gelistet hatte, die angaben, „die Mehrheit der Syrer zu vertreten“.23 Internationale Organisationen (Vereinte Nationen, Arabische Liga) wurden zwar in die Konfliktlösung einbezogen, aber die Auslandsopposition und die sie unterstützenden Staaten (und Medien) erklärten jede ihrer Initiativen24 für gescheitert, noch bevor sie begonnen hatten. Es wurden von der Auslandsopposition und den sie unterstützenden Staaten (und Medien) nur einseitige Interessen berücksichtigt, die zumeist völlig außen vor ließen, dass ein großer Teil der syrischen Bevölkerung den syrischen Präsidenten unterstützt oder zumindest nicht die Opposition – und auf keinen Fall bewaffnete Gruppen – als eine erstrebenswerte Alternative ansah. Spätestens mit dem Griff zur Waffe machten auch Oppositionsgruppen klar, dass existentielle Bedürfnisse nicht anerkannt wurden.
  • Für die Missachtung des Völkerrechts waren vor allem die Nachbarländer Syriens und deren internationale Partner verantwortlich, die über die Landesgrenzen Kämpfer und Waffen nach Syrien schleusten und inzwischen offen Kampfverbände ausbilden.25
  • Der »Rücktritt von Assad« wurde von der Auslandsopposition und den sie unterstützenden Staaten (und Medien) zur Bedingung für alles gemacht, was den bewaffneten Konflikt in Syrien hätte beilegen können. Die Forderung führt bis heute zu einer tiefen Lagerbildung nach dem Motto »wer nicht für uns ist, ist gegen uns«.26
  • Die mangelnde Gesprächsbereitschaft der Auslandsopposition und der sie unterstützenden Staaten führte dazu, dass die syrische Regierung und die Inlandsopposition politisch vom Westen immer mehr isoliert wurden, ihnen wurde kein Ausweg gelassen. Selbst die UN-Sondervermittler für Syrien wurden dafür kritisiert, dass sie sich in Damaskus mit dem syrischen Präsidenten trafen.27 Die Wirtschaftssanktionen der EU (seit 2011) und der USA führten dazu, dass die syrische Regierung sich immer mehr an denen orientierte, die sie weiter unterstützten: Iran, Russland und China.
  • »Ungeschriebene Regeln verletzen« trägt nach Gugels und Jägers Konzept von »Eskalation und Deeskalation« ebenfalls dazu bei, dass ein Konflikt eskaliert und Gesellschaften zerrüttet werden. In Syrien geschah das vor allem über die enorme Konfessionalisierung des Konflikts, die radikale Prediger (und Medien) vorantrieben. Es hieß, der syrische Präsident „tötet die Sunniten“,28 und weil Bashar al-Assad der Konfession der Alawiten angehört, einer Strömung des schiitischen Islam, wurde er mitsamt seiner Glaubensgemeinschaft zu „Ungläubigen“ 29 erklärt, die getötet werden sollten. Verheiratet ist Bashar al-Assad mit einer Sunnitin aus Homs, die zudem noch britische Staatsbürgerin ist. Das Paar respektiert die religiösen Regeln Syriens, lebt aber eine moderne säkulare Ehe, wie es vor allem in den großen Städten des Landes üblich ist. Syrien ist ein säkularer Staat, wo der Respekt vor der Religion des anderen eine ungeschriebene Regel ist. Durch die Darstellung des Geschehens in Syrien als »Krieg zwischen Sunniten und Schiiten« werden nicht nur das Jahrhunderte lange Zusammenleben der Bevölkerung, sondern auch interreligiöse Ehen, die in Syrien sehr häufig sind, negiert. Die uralte Tradition der religiösen Toleranz in Syrien wird auf eine harte Probe gestellt.

Dekonstruktion eines Hoffnungsträgers

Die Entmenschlichung und Dämonisierung von Feinden hat eine lange Tradition. In Konflikten wird der politische Gegner lächerlich gemacht, in Kriegen wird der Gegner entstellt. Das dient dem „Zusammenhalt des eigenen Lagers“, wie es beispielsweise während des Ersten Weltkriegs der bekannte Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle formulierte. „Hass stählt den Geist und verbürgt Entschlossenheit, so wie es kein anderer Gemütszustand tut“, schrieb Doyle.30 In allen öffentlichen Einrichtungen und Geschäften sollten – so ein Vorschlag dieses Autors – Bilder mit (angeblichen oder tatsächlichen) Gräueltaten der Gegner aufgehängt werden, um sie (die feindlichen Deutschen, KL) als Volk von Barbaren zu stigmatisieren.31

Wie oben dargestellt, fing die Entstellung von Bashar al-Assad schon im Frühjahr 2011 im Ausland an. Zu diesem Zeitpunkt dachten die meisten Syrer, ob Oppositionelle oder nicht, gar nicht daran, dass Assad gestürzt werden könnte. Als eine Al-Jazeera-Reporterin (Zeina Khodr) Ende März 2011 einen Demonstranten in Deraa fragt, „Ist dies eine Revolution gegen das Regime“, antwortet dieser: „Nein, nein.“ Und worum geht es dann, fragt die Reporterin. „Es geht darum, dass einige Regeln (Gesetze) geändert werden, einige ungerechtfertigte Regeln, nur darum.“ Bei den Protesten seien Worte wie „Freiheit, Gerechtigkeit und Reformen“ zu hören, sagt die Reporterin in ihrem Bericht. „Bisher gibt es keine Rufe nach dem Sturz des Regimes, zumindest bis jetzt.“32

Tatsächlich war Präsident Assad bei der Bevölkerung sehr beliebt. Er sei jung, im Westen ausgebildet und weder geld- noch machtgierig, so die Ansicht vieler Syrer. Er habe die Probleme des Landes von seinem Vater geerbt, meinte Ghassan Khoury, ein Kunsthändler in der Altstadt von Damaskus: „Die Reformen sind nur so gut, wie wir Syrer, ich Ghassan, sie umsetzen.“ 33

Wenn der syrische Präsident stürzen sollte, wie es die französische Regierung bereits im Frühjahr 2011 als politische Perspektive formuliert hatte, musste das positive Bild von Bashar al Assad, das auch in der westlichen Öffentlichkeit herrschte, zerbrochen werden. Nur so konnte man die Weigerung begründen, angesichts einer innenpolitischen Krise diplomatisch, politisch und persönlich mit dem syrischen Präsidenten zu kommunizieren. Assad wurde auf Titelbildern und in Karikaturen offen dämonisiert. Exemplarisch sei hier der Titel des SPIEGEL (7.10.2013, Nr. 41/2013) genannt, wo es heißt: „Wie leben Sie mit dieser Schuld, Herr Assad?“. Ein aufschlussreiches Interview, das der Publizist Jürgen Todenhöfer mit dem syrischen Präsidenten für die ARD (8.7.2012) führte, wurde im Anschluss von zwei bekannten Nahostkorrespondenten (ARD und SPIEGEL) »eingeordnet«. Die Antworten Assads seien ein „dreistes Beispiel für Realitätsverweigerung“ und gingen über „Gaddafi oder Mahmud Ahmadinedschad hinaus“, sagte der eine. Der andere bezeichnete es als „Zynismus“, den syrischen Präsidenten überhaupt zu Wort kommen zu lassen. Die Berliner »tageszeitung« schrieb, die beiden Korrespondenten hätten „die Dekonstruktion des Assad-Todenhöfer-Gesprächs“ geliefert.34

Die Dekonstruktion des Interviews folgte der Linie, den einstigen Hoffnungsträger Syriens, Bashar al-Assad, zu zerlegen und unglaubwürdig zu machen. Die Dämonisierung Assads wiederum führte dazu, Regierung und Armee – und damit den staatlichen Strukturen des Landes – die Rechtmäßigkeit zu entziehen. Mainstream-Medien und Medien der Auslandsopposition folgten dieser Darstellung, die bis heute den syrischen Konflikt dominiert. Andere Meinungen und Analysen werden mit dem Bannstrahl »Handlanger des Regimes/Assads« zu sein, zum Schweigen gebracht.

Beschämendes Symbol

Ende Juli 2015 legte der nunmehr dritte UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan De Mistura, dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon einen Bericht über Beratungsgespräche vor, die er vier Monate lang mit den verschiedensten Kriegsakteuren in Syrien, regionalen und internationalen Staaten, der EU und den Vetomächten des UN-Sicherheitsrates geführt hatte, um ein Ende des Krieges in Syrien zu erreichen.35 Das Ergebnis ist im Wesentlichen das, was bereits in der Genfer Vereinbarung (Juni 2012) niedergeschrieben war: Waffenstillstand, Verhandlungen, Bildung einer Übergangsregierung. Der UN-Generalsekretär forderte die Staaten im UN-Sicherheitsrat auf, den Vorschlag von De Mistura zu unterstützen. Das Gemetzel in Syrien dauere länger als vier Jahre und sei ein „beschämendes Symbol für die Zerrissenheit und das Scheitern der internationalen Gemeinschaft“. Der Sicherheitsrat habe einst einstimmig der Genfer Vereinbarung zugestimmt, erinnerte der UN-Generalsekretär. Er sei jederzeit bereit, eine „internationale Konferenz auf höchster Ebene“ einzuberufen, um eine politische Lösung zu finden.36

Schlussbemerkung

„Sie stellen Assad zu positiv dar, ich vermisse Kritik daran, dass er sein Volk abschlachtet, dass er ein Diktator ist, dass er das Land zerstört“, höre ich immer wieder von Redakteuren oder bei Veranstaltungen.37

Richtig ist, dass ich den syrischen Präsidenten als politisch Verantwortlichen eines souveränen Landes, Syrien, ansehe und entsprechend berichte. Wenn Oppositionelle oder politische Gegner Bashar al-Assad beschuldigen, erniedrigen, lächerlich machen oder dämonisieren, so tun sie das, weil sie ihn politisch entmachten wollen. Als Akteure verlangt niemand von ihnen, »Beweise« vorzulegen für das, was sie vortragen. Als tatsächliche oder vermeintliche Opfer staatlicher Gewalt und Unrechts ist die Sympathie der „Empörungsgesellschaft“ 38 auf ihrer Seite.

Als Journalistin ist es meine Aufgabe, über die Lage, Konflikte und Ereignisse in einem Land umfassend zu berichten. Meine Aufgabe ist es nicht, politisch Partei zu ergreifen, weder für die eine noch für die andere Seite. Meine Aufgabe ist es, Informationen zu liefern, um das, was geschieht, verstehen zu können, um sich dann eine Meinung zu bilden. Mein Schwerpunkt liegt auf dem „Leben im Hintergrund der Schlagzeilen“.39 Dazu gehört es ebenso, über das Leid der Bevölkerung zu berichten, über ihren Zorn und ihre Hoffnungen, wie politisch Verantwortliche zu Wort kommen zu lassen – von allen Seiten. Die Realität in Syrien ist vielschichtig, und gewaltfreie syrische Oppositionelle haben immer wieder auf die Gefahren hingewiesen, wenn der Konflikt militärisch und konfessionell eskaliert. Bis heute spielt bei ihnen die Person Bashar al-Assad eine untergeordnete Rolle.40

Tatsache ist, dass ich Bashar al-Assad nie getroffen habe, trotz wiederholter Anfragen. Die Journalisten westlicher Medien, die ihn interviewt haben (u.a. mehrmals DER SPIEGEL, ARD) beschreiben den syrischen Präsidenten als nachdenklichen, geduldigen, offenen Gesprächspartner, immer höflich, nie weiche er einer Frage aus. Im Februar 2015 wurde Assad von dem BBC-Reporter Jeremy Bowen interviewt, der ihm 66 Fragen stellte.41

Syrer, die Bashar al-Assad getroffen haben, zeigten sich von seiner zurückhaltenden Freundlichkeit beeindruckt. Andere Syrer, die ihn aus politischen Zusammenhängen kennen (Baath-Partei, Beratungsgespräche), sagen, er werde seinem Vater immer ähnlicher.42 Der Krieg hat aus dem »Reformer Assad« einen »Machthaber« gemacht.

Anmerkungen

1) Gerlach J.: Der Schlächter von Damaskus. FOCUS 25/2011, 20.6.2011.

2) McElroy D.: Syria: Bashar al Assad and family „will be killed like Gaddafi“. The Telegraph, 30.1.2012.

3) US Department of State: Remarks [of Secretary of State Hillary Rodham Clinton] With European Union High Representative for Foreign Affairs and Security Policy Catherine Ashton After Their Meeting. Washington, D.C., 11.7.2011.

4) Syrien – Westerwelle: Keine Zukunft für Assad. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung bzw. faz.net, 6.8.2011.

5) Hillary Clinton in einem mit dem in Fußnote 4 genannten FAS-Artikel verlinkten Video von Reuters.

6) Chivers D.J. and Schmitt E.: Arms Airlift to Syrian Rebels Expands, with Aid from C.I.A. New York Times, 24.3.2013.

7) Judicial Watch: Defense, State Department Documents Reveal Obama Administration Knew that al Qaeda Terrorists Had Planned Benghazi Attack 10 Days in Advance. 18.5.2015; dort steht auch das DIA-Dokument online. Deutsche Übersetzung des DIA-Papiers: »Salafistisches Fürstentum«. Bericht des US-Militärgeheimdienst[es] DIA aus dem Jahr 2012: Westliche Unterstützung für Aufständische in Syrien befördert Entstehen eines »Islamischen Staats«. junge Welt, 28.5.2015.

8) Schuljungen schrieben eine regierungsfeindliche Parole auf eine Schulwand und wurden verhaftet. Die Eltern wurden beleidigt und wandten sich an die örtliche Moschee, die half, Proteste zu organisieren. Geheimdienste schossen in die Menge, die Lage eskalierte. Eine von Assad entsandte Regierungsdelegation nach Deraa konnte die Lage beruhigen, Polizeichef und Gouverneur wurden abgesetzt. Doch die Eskalation ging weiter. Siehe dazu: Leukefeld K. (2015): Flächenbrand. Köln: Papyrossa.

9) Malbrunot G. et Chesno C. (2014)t: Les Chemins de Damas – Le dossier noir de la relation franco-syrienne. Paris: Robert Laffont.

10) Mit einem Mandat des Völkerbundes war Frankreich Mandatsmacht in Syrien von 1922-1946. Diese Zeit hat das Verhältnis beider Staaten nachhaltig beeinflusst und sorgt bis heute für tiefes gegenseitiges Misstrauen.

11) Hier nach Ayoub S.:. »The Roads of Damascus« -How the Elysee manipulated chemical weapons reports. Al Akhbar English, 13.10.2014.

12) Über die Hauptakteure der syrischen Auslandsopposition verfasste der britische Journalist Charlie Skelton eine sehr informative Recherche für den britischen Guardian: The Syrian opposition: who"s doing the talking? 12.7.2012.

13) Siehe syriahr.com/en. Die syrische Nationalfahne trägt von oben nach unten die Farben rot, weiß und schwarz; in dem mittleren, weißen Streifen sind zwei rote Sterne abgebildet

14) European Commission – Development and Cooperation, EuropeAid: Tortured & terrorized but not silenced – Delivering on Human Rights Defenders. Highlights of the Semester January-June 2012. S.11.

15) MacFarquhar N.: A Very Busy Man Behind the Syrian Civil War"s Casualty Count. New York Times, 9.4.2013.

16) Der Offizier war nicht autorisiert über das Thema zu sprechen und bleibt daher anonym. Das Gespräch führte die Autorin in Damaskus, April 2015.

17) Einsatz vor der syrischen Küste – Deutsches Schiff hilft Rebellen. n-tv.de. 19.8.2012.

18) An der Konferenz im Damaszener Hotel »Semiramis« am 27. Juni 2011 nahmen rund 200 Oppositionelle teil. Sie sprachen sich für einen Dialog mit der Regierung aus und forderten die Einstellung jeder Gewalt, eine Untersuchungskommission zur Aufklärung der Todesfälle und die Freilassung der im Zusammenhang mit den Protesten Festgenommenen.

19) Avenarius T.: Oppositioneller zur Lage in Syrien – „Assad soll neue Regierung führen“. Süddeutsche Zeitung, 31.01.2012.

20) Meisner M.: Mit Assads Duldung – „Ich kann weitgehend frei berichten“. Der Tagesspiegel, 21.2.2012.

21) Die Eskalationsstrategien sind hier dargestellt nach Gugel G. und Jäger U.: (2002): Konflikte XXL – Konstruktive Konfliktbearbeitung als Gewaltprävention.Tübingen: Institut für Friedenspädagogik und Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. CD-ROM.

22) Die Syrien-Falle – Deutschland und der Krieg gegen Assad, Dokumentation von Hubert Seipel, ARD 13.2.2013, 45 Minuten. Die informative Dokumentation wurde schon vor der Ausstrahlung im SPIEGEL zerrissen: In der Fakten-Falle, Raniah Salloum. DER SPIEGEL, 13.2.2013.

23) Mokhtar Lamani, Stellvertreter des UN-Sondervermittlers für Syrien Lakdar Brahimi, im Gespräch mit der Autorin, Damaskus, September 2013.

24) Dazu gehörten die Beobachterdelegation der Arabischen Liga (2011/12), ein von den Vereinten Nationen vermittelter Waffenstillstand (Mai 2012) sowie das Genfer Abkommen (Juni 2012), das der UN-Sondervermittler Kofi Annan ausgehandelt hatte.

25) Die US-Administration bildet in der Türkei und Jordanien »moderate Rebellen« aus, die in Syrien gegen den »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« kämpfen sollen. Bisher haben nur wenige die Aufnahmeprüfung bestanden, weil die meisten Anwärter vor allem gegen die syrische Armee und Bashar al-Assad kämpfen wollen.

26) US-Präsident George W. Bush sagte nach dem 11. September 2001 in einer Rede vor dem US-Kongress: „Jeder Staat, der Terroristen unterstützt, wird von den USA als feindliches Land angesehen. Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für den Terrorismus.“ Zitiert nach The White House, Office of the Press Secretary: Address to a Joint Session of Congress and the American People. United States Capitol, Washington, D.C., September 20, 2001.

27) Revolutionary Command Council Criticizes De Mistura. Syrian Observer, 19.2.2015,.

28) Sherlock R.: Bashar al-Assad"s militias »cleansing« Homs of Sunni Muslims. The Telegraph, 22.7.2013.

29) Nordhausen F.: Syrien-Konflikt – „Unser Gott heißt Bashar“. Frankfurter Rundschau, 5.9.2012.

30) Zitiert nach Read, J.M. ([1941]/1972): Atrocity Propaganda 1914-1919. New York: Arno Press, S.7ff.

31) Zitiert nach Beham M.: (1996): Kriegstrommeln – Medien, Krieg und Politik. München: dtv, S.27.

32) Full AlJazeera report on Daraa and Syrian protests on 26th March 2011. Von GoaFerris auf YouTurbe hochgeladen am 22.8.2011.

33) Gespräche der Autorin in Syrien 2011.

34) Grimberg S: ARD-Interview mit Assad – Shakespeare statt kritischer Nachfragen. tageszeitung, 9.7.2012.

35) Interview: „Every conflict has an end, and this conflict... has to come to an end after five years“ – UN envoy for Syria Staffan de Mistura. UN News Center, 30.7.2015.

36) [United Nations] Secretary-General Ban Ki-moon: Remarks to the Security Council on the situation in Syria. 29.7.2015.

37) Aussage eines Teilnehmers auf einer Veranstaltung der Autorin in Pfaffenhofen (Ilm) am 28.7.2015.

38) Walter, F. und Lühmann, M.: Zukunft der Demokratie -: Die Empörungsgesellschaft. ZEIT ONLINE, 17.03.2010.

39) leukefeld.net.

40) Am 24.Juli 2015 gaben Vertreter von zwei wichtigen Oppositionsbündnissen, die sehr unterschiedliche Positionen vertreten, in Brüssel eine Pressekonferenz. Während der Vertreter der Nationalen Koalition (Etilaf, Sitz Istanbul), Hisham Marwa erklärte, „keine Rolle für Assad oder Mitglieder seiner Regierung in einer Übergangsregierung“ zu sehen, sagte der Vertreter des in Damaskus ansässigen Nationalen Koordinationskomitees für Demokratischen Wandel in Syrien (NCC), Khalad Dahoud, das Wichtigste wäre eine Gesamtvereinbarung, nicht die Rolle von Assad. Und sein Kollege Safwan Akkash fügte hinzu „Assads Rolle kommt erst an zweiter Stelle.“ Middle East Online berichtet am gleichen Tag „Syrian Opposition Groups agree: Assad must go“ (Syrische Oppositionsgruppen sind sich einig, dass Assad gehen muss), über die Pressekonferenz. Die Überschrift dieser Meldung orientiert sich so sehr an dem Anti-Assad-Trend in den Medien, dass sie direkt dem widerspricht, was auf der Pressekonferenz tatsächlich gesagt wurde.

41) Syria conflict – BBC exclusive interview with President Bashar al-Assad (FULL). Von BBC News auf YouTube hochgeladen am 9.2 2015.

42) Gespräche der Autorin in Syrien 2011-2015.

Karin Leukefeld studierte Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften. Seit 2000 berichtet sie als freie Journalistin aus dem Nahen und Mittleren Osten für Tages- und Wochenzeitungen sowie den Hörfunk. Seit 2010 ist sie in Syrien akkreditiert. Zuletzt erschienen: »Flächenbrand: Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat« (Köln: PapyRossa, 230S., März 2015).

Islamischer Staat – ein willkommener Feind?

Entstehung und Missbrauch eines Feindbildes

von Karin Kulow

Als sich Mitte Februar 2015 Vertreter von mehr als 60 Staaten – vor allem in Reaktion auf die Terroranschläge in Paris – auf Einladung von US-Präsident Obama in Washington D.C. versammelten, um sich über einen Aktionsplan zur Bekämpfung der sunnitisch-islamistischen Terrorgruppierung »Islamischer Staat« (IS) zu verständigen, suchte US-Außenminister John Kerry dabei die Welt auf einen „neuen Krieg gegen einen neuen Feind“ einzuschwören.1 UN-Generalsekretär Ban Ki-moon charakterisierte das Erscheinen einer neuen Generation von transnationalen Terrorgruppierungen als „große Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit“.2 Spätestens seit IS im Juni 2014 die irakische Millionenstadt Mossul überrannt und danach – unter Missachtung der bisherigen Staatsgrenzen von Irak und Syrien – auf den dort eroberten Gebieten sein Kalifat »Islamischer Staat« ausgerufen hatte, verkörpert sich vor allem in dieser Gruppierung der neue Feind. Und dies umso mehr angesichts dessen brutalen, menschenverachtenden Vorgehens gegen Andersgläubige, insbesondere gegen Schiiten, Jesiden und Christen. Deshalb stößt IS auch innerhalb der islamischen Welt mehrheitlich auf scharfe Kritik und deutliche Ablehnung.

Es wird aber nicht ausreichen, diesem IS – dem offensichtlich bislang gefährlichsten Phänomen des islamistischen Extremismus – wieder nur mit Krieg zu begegnen; zumal IS erst im Ergebnis des von US-Präsident George W. Bush angezettelten und über mehr als ein Jahrzehnt andauernden weltweiten »Kriegs gegen Terror«, darunter der 2003 begonnene Krieg gegen Irak, entstanden ist. Es verfestigt sich zudem der Eindruck, dass dieser »neue Krieg« gegen den »neuen Feind« dem Westen und seinen Verbündeten in der nahöstlichen Welt – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven – noch zu anderen Zwecken dienen soll. So bezeichnete der designierte US-Generalstabschef, General Joseph Dunford, vor dem US-Kongress Russland als „eine noch größere Bedrohung für die USA als die Terrormiliz Islamischer Staat“.3

Bei aller notwendigen Bekämpfung des IS darf nicht übersehen werden, dass es hier um grundsätzliche, strukturelle Probleme geht. Nicht zufällig hat der politische Islam oder Islamismus als politisch-ideologische Strömung über die Jahrzehnte innerhalb der islamischen Welt stetig an Einfluss gewonnen. Insbesondere die salafistische Ausrichtung, eine Variante des sunnitischen Islamismus, ist sichtlich im Vormarsch begriffen. Das Anliegen der Salafisten lässt sich knapp so zusammenfassen: Sie wollen die Folgen kolonialer bzw. neokolonialer Unterordnung ihrer Länder durch eine Renaissance der idealisierten Frühzeit des islamischen Staatswesens überwinden. Der Islam als eine der drei monotheistischen Weltreligionen fungiert dabei lediglich als eine Art Aushängeschild.4 Ungeachtet aller gebotenen Trennung zwischen Islamismus als politisch-ideologischer Kategorie und Islam als Religion sind etliche Problemfelder auszumachen, die besonders im westlichen islamkritischen Diskurs nicht umsonst immer wieder moniert werden. Dies betrifft in erster Linie Fragen wie die Glaubens- und Meinungsfreiheit, die Stellung der Frau in der Gesellschaft, das zumindest partiell noch auf Körperstrafen beruhende Rechtssystem oder das Prinzip Einheit von Religion und Staat, welches religiöse wie ethnische Minderheiten per se ausgrenzt.

Die Geister, die man rief

Die westliche Politik hat sich seit den 1990er Jahren zur Gefangenen ihrer eigenen Prophezeiung gemacht, indem sie nach dem Verschwinden des Ostblocks und dem dazugehörigen Feindbild den islamistischen Extremismus als ihr neues Feindbild ausgab. Nach Wegfall der vom Westen bis dahin postulierten kommunistischen Gefahr seien die westlichen Werte jetzt durch den islamistischen Extremismus bedroht. Dies wurde vom damaligen NATO-Generalsekretär, Willi Claes, Anfang 1995 ausdrücklich bekräftigt,5 zuvor aber beispielsweise schon im französischen Verteidigungsweißbuch festgeschrieben.6 Die inhaltliche Grundlage dafür hatte Samuel P. Huntington bereits mit seinem 1993 unter dem Titel »The Clash of Civilizations?« publizierten Pamphlet (von Werner Ruf treffend als „Fluch“ 7 bezeichnet) geliefert. Nach dem Ende der Bipolarität sollte es gemäß Huntington nicht mehr in erster Linie um Kriege zwischen Staaten gehen, sondern vielmehr um den Zusammenstoß von »Kulturen«. Gleichzeitig desavouierte er die islamische Zivilisation, der er in verantwortungsloser Weise eine besondere Gewaltaffinität unterstellte.

Nachdem sich die Warschauer Vertragsorganisation aufgelöst hatte, sollte mit diesem neuen Feindbild sicherlich auch die Fortexistenz der NATO als westliches Verteidigungsbündnis legitimiert werden. Hauptsächlich aber ging es wohl darum, mit diesem neuen Feindbild das Dominanzverhalten des Westens gegenüber der islamischen Welt zu rechtfertigen – einschließlich der Orientierung auf die Beseitigung missliebiger Regimes durch gezielt betriebene »Regimewechsel« (vgl. die geheimen Pentagonpläne von 2001 für sieben Kriege, u.a. gegen Irak, Libyen, Syrien und Iran).8 Die von den USA angeführte westliche Welt sah angesichts des zusammengebrochenen Realsozialismus die Gelegenheit, nunmehr auch innerhalb der islamischen Welt die Implementierung der westlichen Gesellschaftsvorstellungen offensiv zu befördern. Was US-Präsident Bush sr. in seiner Rede vor den beiden Kammern des US-Kongresses im Herbst 1990 noch als neue Ära anpries, als „eine Ära, in der die Völker der Welt, Ost und West, Nord und Süd, prosperieren und in Harmonie leben können, [...] in der der Starke die Rechte des Schwachen respektiert“,9 wurde von seinem Sohn George W. allerdings in ein klar neokonservatives Paradigma übersetzt: Danach gehe es der Welt besser, wenn die USA als einzig verbliebene hegemoniale Supermacht für weltweite Ordnung sorgten.

Die Realität in weiten Teilen der islamischen Welt sieht heute allerdings alles andere als stabil und harmonisch aus – gerade auch wegen des hegemonialen US-Gebarens. Anstelle von Stabilität herrschen in immer mehr Ländern des Nahen und Mittleren Ostens Krieg und Zerstörung sowie kaum noch zu ermessendes menschliches Leid. Das Völkerrecht gilt immer weniger; Drohnenangriffe gehören nahezu zum Alltag, Opfer sind u.a. Tausende unbeteiligter Zivilisten; gezielte Tötungseinsätze erfolgen durch US- oder andere verbündete Elitesoldaten ohne Rücksicht auf staatliche Integrität oder Recht und Gesetz. In der westlichen Politik gilt immer wieder zweierlei Maß: Sanktionen werden für missliebige Staaten und Regimes bereit gehalten, Verbündete bleiben jedoch davon verschont – selbst, wenn diese entweder, wie Israel, über Jahrzehnte Völkerrecht brechen oder, wie Saudi-Arabien und Ägypten, den so hoch gehaltenen westlichen Werten von Demokratie und Menschrechten Hohn sprechen. Hauptsache, sie gelten im Verständnis westlicher Politik als Stabilitätsanker und sind prowestlich eingestellt.

Mit ihrem von Huntington inspirierten Feindbildkonstrukt haben sich die Urheber – ob gewollt oder nicht – zum Mitauslöser einer neuen Welle antiislamischer Stimmungen gemacht, darunter auch bei uns in Deutschland. Nicht selten wird aus dem Feindbild islamistischer Extremismus dann gleich auch noch das Feindbild Islam. Vor allem Rechtspopulisten, wie Geert Wilders oder seine Pegida-Bewunderer, die ohnehin nicht zwischen Islam als Religion und Islamismus als politisch-ideologische Strömung differenzieren, sehen sich dadurch in ihrer Panikmache bestärkt.

Islam und Islamismus in einen Topf zu werfen, den Islam gar noch mit dem Extremismus gleichzusetzen, hat vor allem zum Ziel, den Islam als eine Gewalt befördernde Religion zu diskreditieren. Speziell darauf anspielende Mohamed-Karikaturen – gerechtfertigt mit der Meinungsfreiheit in demokratischen Rechtsstaaten – belasten das Zusammenleben mit den Muslimen in Deutschland wie anderswo dann zusätzlich spürbar. Wer sich als Muslim dadurch in seinem Glauben angegriffen fühlt, wird schnell als rückwärtsgewandt und unfähig zur Akzeptanz demokratischer Grundwerte, wie Pressefreiheit, abgestempelt.

Der von US-Präsident Barack Obama mit seiner Kairoer Rede Anfang Juni 200910 versuchte Brückenschlag zwischen westlicher und islamischer Welt und der darin enthaltene Aufruf zu einem Neuanfang zwischen beiden Welten in gegenseitigem Respekt, zur Beendigung des Kreislaufs von Argwohn und Zwietracht sowie seine dezidierte Bekräftigung des Islam auch als Teil US-Amerikas vermochte nicht lange nachzuwirken. Mit Worten allein sind die noch aus der Kolonialzeit herrührenden Kluften sowie vor allem die neokolonialistisch geprägten Strukturen der Ungleichstellung sowie die sich darauf gründende westliche Arroganz gegenüber der islamischen Welt nicht aus der Welt zu schaffen – obwohl gerade damit islamistischen Extremisten der Boden für deren eigenes, antiwestliches Feindbild mit am wirksamsten zu entziehen wäre.

Fragwürdiger Umgang

Nicht zu verkennen ist die Tatsache, dass sich westliche Politiker und islamistische Extremisten im jeweiligen Feindbild gegenseitig bedienen. Für die westliche Politik ist der islamistische Extremismus offenkundig sowohl Popanz als auch willkommener Erfüllungsgehilfe.

Wie anders ließe sich beispielsweise der doppelbödige Umgang mit Osama bin Laden erklären? Solange dieser nämlich – ausgestattet mit reichlich saudischem Geld – mit der von ihm ins Leben gerufenen Terrororganisation al Kaida gegen die sowjetische Militärpräsenz in Afghanistan zu Felde zog, sahen neben den Saudis u.a. auch die USA in ihm einen Verbündeten. Auch störte nicht, dass bin Laden sich Mitte der 1980er Jahre mit dem Ägypter Aiman al-Zawahiri – heutiger al-Kaida-Chef – und dessen damaliger »Bewegung islamischer heiliger Krieg« zusammentat. Schließlich war al-Zawahiris Nutzen groß, da er die Anwerbung und den Transfer einer immer größeren Zahl von Kombattanten, mithin die Erhöhung der antisowjetischen militärischen Schlagkraft, gewährleistete. Während sich die Saudis durch die Sowjets in ihrer eigenen salafistisch-wahhabitischen Ausbreitungsmission gestört sahen, waren die USA um die Veränderung der geostrategischen Balance zu ihrem Nachteil besorgt. Da war bin Laden also durchaus willkommen.

Erst als er die USA und das mit ihnen verbündete saudische Herrscherhaus vor allem wegen des 1991 in Saudi-Arabien errichteten US-Militärstützpunkts ins Visier seiner Terrorattacken genommen hatte, mutierte er zu beider Feind – bis hin zu seiner extralegalen Tötung im Jahr 2011. Der bin Laden zugeschriebene Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 diente dann bekanntlich als Rechtfertigung für einen – unter Missachtung grundlegender Normen des Völkerrechts geführten – weltweiten Krieg gegen terroristische Kräfte (US-Präsident Bush: „War on Terror“) und missliebige Regimes. Auch die deutsche Sicherheit sollte gemäß SPD-Verteidigungsminister Struck fortan am Hindukusch verteidigt werden.

Ähnlich doppelbödig ist die westliche Politik gegenüber IS. Die Obama-Administration wusste spätestens 2012 von IS-Aktivitäten in Syrien. Unlängst auf Drängen der konservativen US-amerikanischen Bürgerrechtsorganisation »Judical Watch« in Auszügen freigegebene Dokumente des militärischen Geheimdienstes »Defence Intelligence Agency« (DIA) vom 12. August 2012 bestätigen mindestens zweierlei: Zum einen, dass IS auf syrischem Boden von den USA damals nicht nur geduldet, vielmehr seitens westlicher Staaten, der Türkei und der Golfstaaten auch unterstützt wurden. Zum anderen, dass die bereits 2012 erkennbaren Bestrebungen zur Errichtung eines sunnitisch-salafistischen Emirats im Osten Syriens, an der Grenze zu Irak, als strategische Chance zur Zurückdrängung des iranischen und mithin schiitischen politischen Einflusses in der Nah- und Mittelostregion gewertet wurden.11 (Pikanterweise hatte sich der heute als »Kalif Ibrahim« bekannte Abu Bakr al-Baghdadi schon 2010 selbst zum »Emir des Islamischen Staates von Irak« ernannt.) Die Enthüllung von Judicial Watch veranlasste selbst konservative Medien, wie DIE WELT, zu der Schlagzeile: „Nahmen die USA den IS-Aufstieg billigend in Kauf?“ (27. Mai 2015)

Dabei darf nicht übersehen werden, dass auf syrischem Boden noch viele weitere, teilweise scharf miteinander rivalisierende regionale wie globale Mächte aktiv sind. Die Auseinandersetzung wird dort hauptsächlich um das weitere Schicksal des Assad-Regimes geführt. Dies kann zwar einerseits auf die Unterstützung durch Iran und Russland bauen; andererseits gibt es mit Saudi-Arabien, der Türkei und Katar regionale Gegenmächte, die unbedingt den Sturz des syrischen Präsidenten Bashar al-Assads erzwingen wollen. Von diesem Konflikt hat IS schon erheblich profitiert.

Die Doppelbödigkeit westlicher Politik im Umgang mit IS wird auch an einem anderen Beispiel deutlich: IS wurde im Irak rigoros bekämpft, sein Ausweichen nach Syrien aber wurde durchaus geschätzt, weil sich seine Attacken dort nicht gegen die US-Besatzungsmacht richteten, sondern eben gegen das Assad-Regime – dessen Sturz alle in der »Gruppe der Freunde Syriens« Versammelten spätestens seit Februar 2012 angestrebten. Deshalb wurden Aktivitäten islamistischer Extremisten, obwohl diese auf dem syrischen Schlachtfeld längst das Heft des Handelns übernommen hatten, von westlichen Politikern und Mainstream-Medien so gut wie gar nicht thematisiert. Die Rede war lange nur von moderaten, liberalen, säkularen und demokratischen Aufständischen sowie davon, dass Waffen nicht in die falschen Hände geraten dürften – obwohl sie dort zumeist schon längst gelandet waren. Dies änderte sich mit dem Vormarsch gen Mossul schlagartig, weil es dort auch um die Gefährdung westlicher Interessen ging.

Auch wenn dies in westlichen Gesellschaften kaum verstanden wird: Westliche Politik trägt eine erhebliche Mitverantwortung dafür, dass sich IS in Syrien zu der heutigen erheblichen Gefahr entwickeln konnte. Dies liegt vor allem daran, dass die Suche nach einer politischen Lösung des Syrienkonflikts auf der Grundlage des »Genfer Kommuniqués vom 30. Juni 2012« systematisch verschleppt wurde. Dadurch ähnelt dieses einst stabile Land inzwischen einem »zerfallenden Staat«. Ebenso erging es auch Irak, dessen Zerstörung als einheitlicher Staat mit dem US-Krieg 2003 begann, u.a. manifestiert in den von den US-Besatzern um Paul Bremer verfügten neuen Strukturen auf Basis der Konfessionalisierung von Politik und Gesellschaft entlang sunnitisch-schiitischer Trennlinien. Zudem verbrüderten sich die verjagten Eliten des gestürzten Regimes von Saddam Hussein aus Staat, Armee und Sicherheitsapparaten – ungeachtet aller Unterschiede – mit den sich formierenden al-Kaida-Islamisten. Dadurch entstand ein Kader, der nunmehr das strategische Rückgrat von IS bildet und in hohem Maße auch dessen Professionalität erklärbar macht. Die Konsequenzen für die Region sind noch gar nicht abzusehen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die westliche Politik kraft des » Rechts des Stärkeren« zur Verantwortung gezogen werden wird – vielmehr haben die Folgen hauptsächlich die betroffenen Völker mit dem Zerfall gesellschaftlicher Strukturen und mit hohem Blutzoll zu tragen.

Intransparente Obama-Strategie

Die Obama-Administration setzt im Kampf gegen IS erneut vor allem auf Krieg; die zugrunde liegende längerfristige Strategie bleibt weiterhin unklar. Manche Experten haben den Eindruck, dass der US-Präsident vor allem auf innenpolitischen Druck sowie auf Druck seitens seiner nahöstlichen arabischen strategischen Verbündeten handelt – die Einbindung letzterer war ein wichtiges Element zur Legitimierung dieses im August 2014 begonnenen Luftkrieges.

Es wird geschätzt, dass zum IS etwa 30.000 Kämpfer aus aller Welt gehören. Trotzdem ist erstaunlich, dass IS nach vielen Monaten alliierter Luftangriffe gegen IS-Stellungen sowohl in Irak als auch in Syrien zwar einige empfindliche Rückschläge hinnehmen musste, z.B. in Kobani, aber dennoch weiterhin zu strategischen Landgewinnen auf syrischem und auf irakischem Boden in der Lage ist. Beispielsweise konnte IS Ende Mai 2015 Tadmur (Palmyra) in Syrien erobern und die Kontrolle über die Provinzhauptstadt Ramadi in Irak übernehmen. Mittlerweile umfasst das »IS-Kalifatstaatsterritorium« ein nahezu schon kompaktes Gebiet, nämlich fast 40 Prozent der Fläche Syriens und eine knappes Drittel von Irak mit einer geschätzten Bevölkerung von um die acht Millionen Menschen. Für den nahöstlichen Kolumnisten Rami G. Khouri verkörpert IS deshalb möglicherweise schon „die am schnellsten wachsende politische Bewegung in der arabischen Welt“.12

US-Präsident Obama geht von einem länger andauernden Krieg aus, mit entsprechend hohem Verlust an Menschenleben, insbesondere für die jeweilige einheimische Bevölkerung. Der seit mehr als vier Jahren andauernde Krieg in Syrien hat bereits etwa 250.000 Menschenleben gefordert; zudem droht Syrien zu zerfallen. Dies wird gefördert durch die Bewilligung weiterer Unterstützungsmaßnahmen, mit dem erklärten Ziel, IS in Syrien einzudämmen und gleichzeitig die syrischen Regierungstruppen zu bekämpfen – auch wenn das zuvor beabsichtigte und für drei Jahre ausgelegte Ausbildungsprogramm für jährlich 5.000 Kämpfer mangels geeigneter Bewerber inzwischen ad acta gelegt worden ist.

Damit stellt sich die Frage, ob die Obama-Administration – ungeachtet ihrer Orientierung auf den Krieg gegen IS – weiterhin an ihrem vordergründigen Ziel eines Assad-Sturzes festhält. Oder ob sie ihn, wie seit einiger Zeit schon aus US-Sicherheitskreisen zu hören war, inzwischen doch eher als »kleineres Übel« ansieht. Zumal sich seit Ende September 2015 nun auch noch Russland in den Anti-IS-Kampf eingeschaltet und so nicht nur die militärische Position der Regierung Assad sichtlich gestärkt hat.

Die Assad-Frage ist für US-Präsident Obama gerade im Verhältnis zu den drei US-Verbündeten in der Region – Saudi-Arabien, Katar, Türkei – besonders heikel. Nach der Vereinbarung mit Iran über den Atomstreit werden diese, ebenso wie Israel, nachdrücklich Zugeständnisse von ihm einfordern, so das Festhalten am Sturz von Assad zur gleichzeitigen Schwächung Irans. Nicht umsonst hatten sich die drei genannten Staaten jüngst auf ein spezielles Unterstützungsprogramm für die sunnitischen Aufständischen jeglicher Couleur mit Ausnahme des IS, die unter dem Label »Fatih-Armee« agieren, geeinigt. Deren erstes Kampfziel sollte es sein, die syrischen Regierungstruppen restlos aus Aleppo zu vertreiben und dort eine Art sunnitischen Ministaat zu errichten, um sich anschließend gen Damaskus zu bewegen.

Saudi-Arabien verspricht sich vom Sturz des Assad-Regimes vor allem eine Schwächung Irans sowie des schiitischen Faktors; die Türkei und Katar optieren eher auf eine Machtübernahme der syrischen Muslimbruderschaft, der sich beide ideologisch besonders verbunden fühlen. Und die Türkei sucht vor allem zu verhindern, dass die Kurden in Syrien ihre drei Kantone entlang der türkischen Grenze – Cesire, Kobani und Afrin – territorial zusammenschließen und ihr Autonomie- und demokratisches Selbstverwaltungsprojekt erfolgreich weiter betreiben und dadurch als beispielgebendes Modell für die Kurden in der Türkei wirken.

Während sich Saudi-Arabien und Katar von Anfang an dem von den USA angeführten Anti-IS-Kampf angeschlossen hatten sowie IS und al Kaida zumindest offiziell auf ihre Terrorgruppenliste setzten, zierte sich die Türkei unter Präsident Erdogan auffällig. Angeblich wollte sie sich dem Anti-IS-Kampf erst anschließen, wenn dieser mit dem Sturz von Assad verbunden würde. Angesichts der vielfältigen Verbindungen zwischen der Türkei und IS ist dies ein durchschaubares Täuschungsmanöver, und die neuerdings zur Schau gestellte Bereitschaft der Türkei, gegen IS vorzugehen, ist irreführend und skrupellos. Zudem wirft sie ein bezeichnendes Licht auf die Zwiespältigkeit der Anti-IS-Politik der Obama-Administration. Als Gegenleistung für die jetzige Erlaubnis zur Nutzung der Luftwaffenbasis im türkischen Incirlik für US-Lufteinsätze gegen IS wurde der Türkei eine – auch von der NATO gedeckte – Blankovollmacht für die Verfolgung ihrer nach innen wie außen gerichteten Anti-Kurden-Strategie gewährt, einschließlich der Errichtung einer seit längerem angestrebten »humanitären Schutzzone« auf syrischem Gebiet zur Vereitelung dortiger kurdischer Autonomiebestrebungen. Dies birgt die Gefahr, einen regionalen Flächenbrand auszulösen und die NATO darin zu involvieren.

Ein weiterer Problembereich zwischen Obama und seinen nahöstlichen Verbündeten wird dessen künftiges Verhältnis zu Iran sein. Insbesondere Israel und Saudi-Arabien werden nichts unversucht lassen, die durch das Atomabkommen gewonnene Aufwertung Irans zu unterlaufen. Allem Anschein nach hat allein Iran ein uneingeschränktes Interesse an der Zurückdrängung von IS: Zum einen möchte er seinen Einfluss auf die Politik in Bagdad und Damaskus nicht wieder verlieren; zum anderen fürchtet er angesichts der betont anti-schiitischen Attitüde von IS, selbst auch zum Angriffsziel zu werden.

Anderer Umgang mit der islamischen Welt

IS allein mit Luftangriffen und Krieg begegnen zu wollen, führt mit Sicherheit nicht zum Erfolg. Dies belegt schon der 14-jährige »Anti-Terror-Krieg«, der in der islamischen Welt zu großen Verwerfungen und Tragödien geführt hat. Wenn westliche Regierungen dem IS als Spielart des islamistischen Extremismus wirklich beikommen wollten, so müssten sie sich zunächst fragen, inwieweit die eigene Politik, das fixierte Feindbild eingeschlossen, eine Mitverantwortung an dem heutigen Dilemma trägt.

Notwendig wäre ein genereller Paradigmenwechsel im Umgang mit der islamischen Welt, der auf einer komplexen Analyse der Ursachen und Hintergründe für die wachsende Ausbreitung des islamistischen Extremismus in allen seinen konkreten Erscheinungsformen basiert. Es müsste endlich Schluss gemacht werden mit der Arroganz des Stärkeren und der Doppelbödigkeit in der Politik sowie mit den auf Ungleichheit basierenden ökonomischen Austauschverhältnissen. Denn Terrorismus wächst und gedeiht gerade als Ergebnis willkürlicher Gewaltanwendung und unter den Bedingungen von Armut, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Ungerechtigkeit. Den Terrorismus bekämpfen zu wollen, aber gleichzeitig die Rüstungsspirale vor allem durch den Export von Rüstungsgütern in diese Spannungsregion beständig weiterhin kräftig anzuziehen, ist schlicht fahrlässig.

Es darf keine Fortsetzung der gescheiterten, gefährlichen Herangehensweise der zurückliegenden Jahre geben. Das Feindbild IS darf nicht länger zur Durchsetzung eigener Interessen missbraucht werden.

Anmerkungen

1) John Kerry, Secretary of State: Outlining an Action Agenda to Counter Violent Extremism. Rede auf der vom Weißen Haus einberufenen internationalen Antiterrorkonferenz » Summit on Countering Violent Extremism« am 19. Februar 2015 in Washington D.C.

2) Secretary-General Ban Ki-moon: Remarks at Summit for Countering Violent Extremism am 19. Februar 2015 in Washington D.C.

3) US-General: Russland größere Bedrohung als IS-Terrormiliz. Süddeutsche Zeitung, 10. Juli 2015.

4) Siehe dazu Kulow, K.: Der Aufstieg des politischen Islamismus in der arabisch-islamischen Welt. Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 100, Dezember 2014, S.127-134. Dieselbe: Sunnitischer Islamismus im politisch-ideologischen Spannungsfeld zwischen Tradition und Modernität. Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 102, Juni 2015, S.57-68.

5) Interview von Willi Glaes mit der britischen Tageszeitung »The Independent« vom 8. Februar 1995.

6) Livre Blanc sur la Défense 1994 (Verteidigungsweißbuch der Republik Frankreich). Paris, S.18.

7) Ruf, W.: Djihadismus – Religiöser Fanatismus oder Business? Der Fluch des Samuel P. Huntington. Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 102, Juni 2015, S.83.

8) Kriege gegen den Irak, Iran, Syrien und Libyen seit langem geplant. youtube-Video, hochgeladen am 20.3.2011.

9) George H. W. Bush: Address Before a Joint Session of Congress. September 11, 1990.

10) The White House, Office of the Press Secretary: Remarks by the President at Cairo University. June 4, 2009. Siehe auch Thumann M.: Eine Rede mit Lücken. ZEIT ONLINE, 3.9.2009.

11) Judicial Watch: Defense, State Department Documents Reveal Obama Administration Knew that al Qaeda Terrorists Had Planned Benghazi Attack 10 Days in Advance. 18.5.2015; dort steht auch das DIA-Dokument 14-L-0552/DIA/291 online.

12) Khouri, Rami G.: If Joe Biden calls, head for the hills. Beiruter Tageszeitung »Daily Star«, 27.5.2015.

Prof. Dr. sc. phil. Karin Kulow, Studium der Arabistik und Islamwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Langjährige Forschungs- und Lehrtätigkeit zur Entwicklung politischer Systeme in arabischen Nahostländern an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Berlin (Ost). Vielfältige ehrenamtliche Tätigkeit, darunter als Mitglied im »Gesprächskreis Frieden« der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Das Forum Friedens- psychologie e.V. (FFP)

Das FFP, vormals »Friedensinitiative Psychologie – Psychosoziale Berufe«, wurde 1982 im Zusammenhang mit der Diskussion um die Aufrüstung der NATO mit Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern gegründet.

Mit dem Ziel der Friedenssicherung werden psychologische Aspekte von Krieg und Frieden erforscht und publiziert. Das FFP führte seit 1983 vier große Kongresse durch und seit 1988 jährliche Fachtagungen zu spezifischen Themen. Daraus gingen zahlreiche Publikationen hervor, u.a. »Gewaltfreie Konfliktaustragungen«, »Feindbilder im Dienste der Aufrüstung«, »Menschenrechte und Frieden«, »Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt und Friedenspsychologie«.

Seit 1985 gab es den regelmäßigen Rundbrief »Bewußt-Sein für den Frieden«, der 1991 zugunsten der Mitarbeit beim interdisziplinären »Informationsdienst Wissenschaft und Frieden« (nunmehr »Wissenschaft und Frieden«) beendet wurde. Das FFP hat bisweilen Stellungnahmen zu aktuellen Themen herausgegeben, z.B. zu Folter oder zum Irak-Krieg.

Seit 2007 vergibt das FFP den Gert-Sommer-Preis für Friedenspsychologie, mit dem friedenspsychologische akademische Abschlussarbeiten geehrt werden. Das FFP verfolgt seine Ziele vor allem durch Forschung, die Veröffentlichung von Büchern und wissenschaftlichen Artikeln sowie Fachtagungen.