Dossier 71

Rüstungsexporte

von Bernhard Moltmann, Jerry Sommer, Siemon T. Wezeman, Herbert Wulf

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 4/2012
Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden

Waffenhandel außer Kontrolle?

von Herbert Wulf

Der Waffenhandel boomt. Weltweit werden zig Milliarden umgesetzt. Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI schätzt, dass der Waffenhandel in den letzten fünf Jahren um ein Viertel anstieg (siehe hierzu den Beitrag von Siemon Wezeman in diesem Dossier). Alles, was schwimmt, fährt und fliegt, ist im Angebot: atomwaffentaugliche U-Boote für Israel, Panzer für Saudi-Arabien, Kampfflugzeuge für Indien, Kleinwaffen für die syrischen Rebellen, Waffen aus den geplünderten libyschen Lagern, die jetzt in Mali auftauchen. Wer Geld hat und Waffen kaufen will, hat kein Problem, sich ein modernes Arsenal zuzulegen. Ist der Waffenhandel außer Kontrolle geraten?

Die Antwort darauf ist ein eindeutiges Nein! Nur der geringste Teil der Waffen wird auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Die Waffentransferdaten von SIPRI, das Register der Vereinten Nationen für den Handel mit konventionellen Waffen, der Exportbericht der EU oder auch die jährliche Analyse des Waffenhandels mit Entwicklungsländern durch den amerikanischen Kongress – all diese Datensammlungen und Analysen zeigen, dass das Gros der Waffen mit Wissen und auf der Grundlage von Lizenzen staatlicher Stellen gehandelt wird. Der Waffenhandel ist nicht außer Kontrolle, im Gegenteil: Die Regierungen forcieren die Expansion des Waffenhandels gezielt und geplant. Sowohl die Regierungen der Exportländer als auch die der Importländer wissen sehr wohl Bescheid, was wohin exportiert und importiert wird.

Wie diese Waffenhandelspolitik funktioniert, lässt sich eindrücklich am Beispiel Libyen demonstrieren.1 Fast alle Länder, die 2011 im Namen der NATO libysche Truppen bombardierten, waren vorher maßgeblich an der Bewaffnung dieser Truppen beteiligt gewesen. Und auch Länder, die die Interventionspolitik der NATO kritisierten, waren Komplizen der Aufrüstung Libyens. Im Frühjahr 2011, nach dem Ausbruch der Rebellion, entdeckten die Regierungen plötzlich ihre Empörung über Muammar al-Gaddafi als Mörder am eigenen Volk – zuvor hatte sie nichts davon abgehalten, dem Regime Waffen zum Verkauf anzubieten. Im November 2010, nur wenige Monate vor dem Krieg in Libyen, stellten über 100 Firmen aus 24 Ländern auf der Waffenmesse »Libdex« in Tripolis ihre Waffen aus – darunter Firmen aus Großbritannien, Frankreich, Italien und Russland. Die Regierungschefs dieser Länder wurden bei ihren Besuchen in Libyen von Managern der Rüstungsfirmen begleitet. Italien, das Land, das die Hauptbasis für die militärischen Operationen der NATO gegen Libyen war, fungierte zuvor als Hauptlieferant für Geräte zur Überwachung der libyschen Grenzen. Der damalige französische Präsident Sarkozy war der erste, der die aktive Politik umkehrte und für militärische Aktionen gegen Gaddafi eintrat. Diese Entscheidung fiel unmittelbar nachdem die letzten französischen Ingenieure, die an Rüstungskontrakten arbeiteten, heimgekehrt waren. Die Ukraine lieferte über 100.000 Gewehre. In scharfer Konkurrenz zu einigen EU-Ländern versuchte Russland, Kampfflugzeuge und modernisierte weitreichende S300-Flugabwehrsysteme an Gaddafi zu verkaufen, und bot Reparatur- und Modernisierungspakete für Kampfpanzer und Kampfflugzeuge an. Gemäß dem offiziellen Rüstungsexportbericht der EU genehmigte die deutsche Regierung allein im Jahr 2009 Lizenzen über 53 Millionen Euro für den Export von Rüstungsgütern nach Libyen, vor allem für Fahrzeuge und Elektronik.2

Gesetze und Richtlinien

Seit langem gibt es Bemühungen, im Waffenhandel für mehr Transparenz zu sorgen. Nach jahrelangen Vorbereitungen verhandelten im Juli 2012 die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen über einen Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty) – doch ohne Erfolg. Mehr Transparenz im Waffenhandel wird es vermutlich so schnell nicht geben, und dies ist von zahlreichen Regierungen so gewollt. Denn mehr Transparenz würde sicherlich mehr Gegenwehr gegen die Rüstungsexporte zur Folge haben.

Nehmen wir das Beispiel Deutschland: Kenner der Szene behaupten, dass manches Exportgeschäft nicht zustande gekommen wäre, wenn der Bundessicherheitsrat, der über kritische Ausfuhren von Waffen zu entscheiden hat, nicht im Geheimen beraten und entscheiden könnte, sondern sich gegenüber dem Parlament zu verantworten hätte. Meist werden die Exportgeschäfte erst Jahre nach der Entscheidung publik und dann in den Medien und der Öffentlichkeit skandalisiert, wie beispielsweise die U-Boot-Lieferungen Deutschlands an Israel oder der geplante Leopard-Panzerexport nach Saudi Arabien, möglicherweise auch nach Katar und Indonesien (zu den deutschen Exporten siehe den Beitrag von B. Moltmann in diesem Dossier).

Wenn der Protest gegen die Panzerexporte die Regierung nicht noch zum Einlenken bringt, steht zu erwarten, dass die Rüstungsexportrichtlinien in Zukunft noch lockerer als bisher ausgelegt oder sogar aufgeweicht werden – und dies auf zwei Ebenen.

Erstens arbeitet die Regierung zur Zeit daran, die deutschen Richtlinien den etwas weicheren der EU anzupassen. In der EU werden Entscheidungen über Rüstungsexporte weitgehend der Auslastung der jeweils nationalen Rüstungsproduktionskapazitäten untergeordnet. Angesichts der riesigen öffentlichen Verschuldung sind manche Rüstungsaufträge für die eigenen Streitkräfte gekürzt, verschoben oder gestrichen worden. Auch in Griechenland ist dies entgegen anders lautender Presseberichte geschehen, wie in dem Beitrag von Jerry Sommer in diesem Dossier veranschaulicht wird. Die Industrie versucht diese Politik durch entsprechende Exportanstrengungen zu kompensieren, und die Regierungen zeigen sich für solche Anliegen zunehmend offen. Es ist zu befürchten, dass die Rüstungskontrollmechanismen bei der jetzt fälligen Überprüfung des »Gemeinsamen Standpunktes«3 der EU zum Rüstungsexport weiter geschwächt werden und dass die deutsche Rüstungslobby die Regierung erfolgreich dazu überredet, die deutschen Richtlinien denen der EU anzupassen.

Zweitens hat die Bundesregierung im August 2012 eine Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes vorgelegt. Darin wird u.a. auf die weicheren Richtlinien der EU verwiesen und der erleichterte Export von so genannten Dual-use-Gütern, die militärisch und zivil verwendbar sind, vorgesehen. Vor allem Elektronik und Produktionsgüter, die für die Herstellung von Waffen und anderen Rüstungsgütern verwendbar sind, könnten so in Zukunft noch leichter exportiert werden. Die Konsequenzen sind fatal. Rüstungsgüter sind äußerst langlebig. Noch in 20 oder 30 Jahren könnten Waffen in Kriegen und Konflikten zum Einsatz kommen, die heute mit deutscher Technologie produziert werden. Und einmal gelieferte Produktionstechnologie vermindert die Kontrolle über die anderswo hergestellten Waffen weiter. Das Beispiel der zahlreichen Produktionsstandorte für Gewehre von Heckler & Koch in Krisenländern sollte eine Lehre sein.4

Wie stichhaltig sind die Argumente für Rüstungsexporte?

In Deutschland werden von Befürwortern der Rüstungsexporte ständig drei unterschiedliche Argumente angeführt: der Erhalt von Arbeitsplätzen, die Auslastung der Rüstungsproduktionskapazitäten und (eher hinter vorgehaltener Hand) strategische Überlegungen.

Erstens Arbeitsplätze: Rund 80.000 Arbeitsplätze, so wird geschätzt, hängen in Deutschland von der Rüstungsproduktion ab, vielleicht die Hälfte hiervon vom Export. Damit ist diese Branche in Deutschland gesamtvolkswirtschaftlich marginal. Angesichts des Fachkräftemangels wäre es volkswirtschaftlich sogar nützlich, wenn die in der Regel sehr gut ausgebildeten Fachkräfte aus dem Rüstungsbereich anderen Branchen zur Verfügung stehen würden. Die wenigen Tausend vom Waffenexport abhängigen Beschäftigten würden in der Mehrzahl andere qualifizierte Arbeitsplätze finden. Für einige spezialisierte Unternehmen (z.B. Panzerbau, Kleinwaffen, Werften) sind die Produktion und der Export jedoch existenziell. Aber soll man, darf man, wegen des Geschäftsinteresses einiger weniger Firmen außen- und sicherheitspolitische Erwägungen und Prinzipien zum Schutz der Menschenrechte über Bord werfen und in Krisen- und Spannungsgebiete liefern, wie dies zur Zeit geschieht?

Zweitens Kapazitätsauslastung: Es ist zweifellos richtig, dass der nationale Bedarf der Streitkräfte nirgendwo (mit Ausnahme der USA) ausreicht, die vorhandenen Produktionskapazitäten auszulasten.5 Auf Deutschland und die EU bezogen kann die Konsequenz nur heißen, endlich zu beginnen, die Duplizierung von Waffenentwicklungen und Produktionskapazitäten zu beseitigen und die jeweils nationalen Kapazitäten in den Hauptproduktionsländern Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien herunterzufahren und so den Druck für weitere Waffenexporte zu reduzieren. Wenn europäische Politiker glauben, weiterhin die gesamte Palette an Waffensystemen für Streitkräfte herstellen zu müssen (und dafür auch weiterhin Mehrheiten in der Bevölkerung zu erhalten und gewählt zu werden), dann sollten sie zumindest die seit langem in der EU propagierte Zusammenarbeit ernst nehmen und nicht mehr zulassen, dass mehr als ein Dutzend unterschiedliche Typen gepanzerter Fahrzeuge, mehrere Kampfpanzer- und Kampfflugzeugmodelle und in einem halben Dutzend EU-Ländern entworfene Fregatten produziert werden, die irgendwann in den Händen von Diktatoren landen.

Drittens strategische Überlegungen: Insider mit Kenntnissen über Entscheidungen des Bundessicherheitsrats behaupten, das ausschlaggebende Argument für Rüstungsexporte seien oftmals strategische Überlegungen. Panzer nach Saudi Arabien und Katar (beide in der Krisenregion Nahost) zu liefern bedeute, die Ölversorgung für die Zukunft zu sichern. Waffen auch in Indien anzubieten, trotz der ungelösten Grenzkonflikte Indiens mit Pakistan und China, bedeute, mit einer aufstrebenden Regional- wenn nicht Globalmacht gute Beziehungen zu pflegen. U-Boote nach Israel zu liefern erklärt die Kanzlerin zur deutschen Staatsräson.

Die verheerenden Folgen von Waffenlieferungen haben vor allem die Menschen in Krisen- und Spannungsgebieten zu tragen. Die Problematik hat sich im arabischen Raum bewiesen. Mehr als drei Jahrzehnte unterstützten die USA korrupte Regime im arabischen Raum, so auch in Ägypten, mit vielen Milliarden Dollar Militärhilfe und der Lieferung moderner Waffen. Deutschland will noch immer mit Fregattenlieferungen an Algerien Politik machen. Wie kurzsichtig derartige Politikkonzepte sind, haben die Umbrüche in der arabischen Welt gezeigt. Die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzten Waffen sind nur der offensichtlichste Beleg für die verfehlte Exportpolitik.

Augenscheinlich will auch die deutsche Regierung davon nicht lassen – trotz der jüngsten Erfahrungen in Libyen und mit den russischen Waffen in Syrien. Es sei denn, sie wird von der Bevölkerung, die mehrheitlich Waffenexporte in Krisengebiete ablehnt, eines Besseren belehrt.

Anmerkungen

1) Herbert Wulf: Libyen: Land voller Waffen. In: Johannes M. Becker und Gert Sommer (Hrsg.) (2012): Der Libyen-Krieg. Berlin: Lit Verlag, S.237-255.

2) European Council: Thirteenth Annual Report According to Article 8(2) of Council Common Position 2008/944/CFSP Defining Common Rules Governing Control of Exports of Military Technolgy and Equipment. Brüssel, 30. Dezember 2011, S.160-162.

3) Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. In: Amtsblatt Nr. L 335 vom 13/12/2008 S.0099-0103. Siehe auch die kritische Analyse in: Bernhard Moltmann: Die Zange, die nicht kneift. Der EU-Gemeinsame Standpunkt zu Rüstungsexporten – Chancen und Risiken seiner Überprüfung. HSFK-Report Nr. 3/2012.

4) Jürgen Grässlin (2003): Versteck dich, wenn sie schießen. Die wahre Geschichte von Samiira, Hayrettin und einem deutschen Gewehr. Droemer Knaur, München 2003.

5) Europäische Kommission (2008): Rüstungsindustrie – Umfassende Sektoranalyse der neuen Kompetenzen und der wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb der Europäischen Union. Brüssel. Siehe ferner Christian Mölling: Pooling and Sharing in the EU and NATO. SWP-Comments 18, Juni 2012.

Prof. Dr. Herbert Wulf war von 1994 bis 2001 Leiter des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC), er forschte am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg (IFSH) und bei SIPRI in Stockholm. Er ist heute Senior Fellow am Käte Hamburger Kolleg, Universität Essen/Duisburg und arbeitet über indische Außen- und Sicherheitspolitik.

Der Waffenhandel 2007-2011

von Siemon T. Wezeman

Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI registriert in einer Datenbank den Handel mit Großwaffen seit 1950 (siehe Kasten). Anhand der Daten lässt sich präzise festhalten, welche Länder in welchen Zeiträumen Waffen ein- oder ausführen. Der nachfolgende Artikel zieht Bilanz des globalen Waffenhandels im Zeitraum 2007-2011 und ergänzt die Angaben gelegentlich um Vergleichszahlen aus dem Jahrfünft 2002-2006. Sämtliche Angaben in diesem Artikel beziehen sich ausschließlich auf den Handel mit konventionellen Großwaffen.

SIPRI-Datenbank zu Waffenhandel

Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) sammelt und analysiert Daten über den internationalen Handel mit konventionellen Großwaffen. Jährlich werden die neuen Daten veröffentlicht, das letzte Mal im März 2012. Die Datenbank erfasst momentan den Zeitraum von 1950 bis 2011. Da es keine allgemein verbindlichen Definitionen für Großwaffen gibt, legt SIPRI eine eigene Definition zugrunde.

In der Datenbank sind alle Transfers seit 1950 (Verkäufe, Geschenke, Leasing oder Verleih) von und an Staaten, internationale Organisationen und bewaffnete nicht-staatliche Gruppen (Rebellen) erfasst. Da in der Regel keine vollständigen, zuverlässigen und brauchbaren Daten über das Finanzvolumen der Waffendeals verfügbar sind, hat SIPRI zur Darstellung statistischer Trends ein eigenes System entwickelt, den SIPRI Trend Indicator Value (TIV). Der TIV misst relative Veränderungen des Waffenhandels von einem Jahr zum anderen sowie die relative Stellung von Export- und Importländern und deren Waffenhandelsbeziehungen. Die in diesem Artikel verwendeten Zahlen beruhen auf konkreten Lieferungen von Großwaffen gemäß der Definition von SIPRI; die Finanzvolumina und die Prozentsätze basieren auf dem SIPRI TIV.

SIPRI verwendet für seine Datensammlung ausschließlich öffentlich zugängliche Quellen. Der Zugriff auf die SIPRI Arms Transfers Database unter sipri. org ist frei.

Der Waffenhandel nahm laut SIPRI-Statistik in den letzten fünf Jahren um 24% zu (siehe Abb. 1) und erreichte 2011 das höchste Handelsvolumen seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Zahlen sind zwar immer noch niedriger als in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, als sie ihr Nachkriegshoch erreicht hatten. Dennoch gefährdet der erneute globale Anstieg des Waffenhandels – vor allem die starke Zunahme in krisenanfälligen Regionen wie Südostasien, Nordafrika, dem Golf und dem indischen Subkontinent – die Stabilität. Die Waffenkäufe sollten politischen Entscheidungsträgern Anlass zu Bedenken geben, besonders in der Handvoll Exportländer, die den Waffenhandel dominieren. Wichtig wären Strategien, um in diesen Spannungsgebieten mehr Vertrauen aufzubauen. Dafür wäre mehr Transparenz bei Waffenkäufen eine wichtige Voraussetzung – genau daran hat es aber in den letzten Jahren mehr denn je gemangelt, ebenso wie an einer politischen Debatte über die Frage, warum Länder eigentlich Waffen kaufen.

Der Handel mit Großwaffen – Trendverlauf 2002-2011

Abb. 1: Der Handel mit Großwaffen – Trendverlauf 2002-2011

Die Lieferländer

SIPRI identifizierte mindestens 59 Länder, die 2007-2011 Großwaffen lieferten. Die Top-20 der Waffenexporteure blieben relativ stabil: Sie lieferten mal mehr, mal weniger Waffen, führen aber fast immer die Liste der größten Waffenexporteure an. Eine Ausnahme ist China: Seine Bedeutung als Waffenexporteur stieg signifikant an.

Die fünf größten Lieferländer waren die Vereinigten Staaten, Russland, Deutschland, Frankreich und Großbritannien (siehe Tab. 1). Die USA und Russland blieben mit 30% bzw. 24% der gesamten Waffenlieferungen mit Abstand die größten Waffenexporteure. Damit veränderte sich bei den Top-5 der Lieferländer fast nichts: 2007-2011 entfielen auf diese fünf Länder 75% des Waffenexports; 2002-2006 waren es 78%. Werden die Mitgliedsländer der Europäischen Union als ein Block gerechnet, so rückte die EU mit 32% sogar an die Spitze der globalen Waffenexporteure.

Tab. 1: Die fünf größten Lieferländer von Großwaffen und ihre Empfängerländer 2007–2011

Lieferland Anteil am Waffenhandel Hauptempfänger
(Anteil am Gesamtexport des Lieferanten)
1. 2. 3.
USA 30% Südkorea (13%) Australien (10%) VAE (7%)
Russland 24% Indien (33%) China (16%) Algerien (14%)
Deutschland 9% Griechenland (13%) Südkorea (10%) Südafrika (8%)
Frankreich 8% Singapur (20%) Griechenland (10%) Marokko (8%)
Großbritannien 4% Saudi-Arabien (28%) USA (21%) Indien (15%)
Quelle: SIPRI Arms Transfers Database; sipri.org

Tab. 2: Die fünf größten Empfängerländer von Großwaffen und ihre Hauptlieferanten 2007–1011

Empfängerland Anteil am Waffenhandel Hauptlieferanten
(Anteil am Gesamtimport der Empfängerländer)
1. 2. 3.
Indien 10% Russland (80%) Großbritannien (6%) Israel (4%)
Südkorea 6% USA (74%) Deutschland (17%) Frankreich (7%)
Pakistan 5% China (42%) USA (36%) Schweden (5%)
China 5% Russland (78%) Frankreich (12%) Schweiz (5%)
Singapur 4% USA (43%) Frankreich (39%) Deutschland (8%)
Quelle: SIPRI Arms Transfers Database; sipri.org

Größter Einzelexporteur blieben die USA mit 30% der globalen Lieferungen; ihre Rüstungsexporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 16%. 45% der US-Lieferungen gingen nach Asien und Ozeanien, 27% in den Nahen und Mittleren Osten und 18% nach Europa. Die USA lieferten Waffen in mindestens 79 Länder sowie an die NATO (als Organisation) – und damit an weit mehr Länder als jeder andere Waffenexporteur. 63% der US-Lieferungen waren Flugzeuge (im Durchschnitt aller Lieferländer machen Flugzeuge 46% der Exporte aus). Im Jahr 2011 lieferten die USA 64 Kampfflugzeuge ins Ausland, darunter elf F-15E an Südkorea, sieben F-15SG an Singapur, neun F/A-18E an Australien, zwölf F-16C an die Türkei und 16 F-16C an Marokko. Die größte Lieferung der letzten 20 Jahre gab Saudi-Arabien in Auftrag, das 2011 bei den USA 84 neue F-15SG-Kampflugzeuge sowie die Aufrüstung von 70 F-15E im vorhandenen Arsenal bestellte.

In den letzten Jahren richteten die USA ihre Waffenexportpolitik vor allem an ihren strategischen Prioritäten in Asien aus; dabei ging es hauptsächlich darum, Chinas wachsendem Einfluss etwas entgegenzusetzen. Von ihren fünf größten Kunden – Südkorea (13% des Lieferumfangs), Australien (10%), Vereinigte Arabische Emirate (VAE, 7%), Pakistan (6%) und Singapur (6%) – liegen vier in Asien und Ozeanien. Im August 2011 lehnte die US-Regierung zwar den Verkauf von 66 neuen Kampfflugzeugen des Typs F-16 an Taiwan ab, vor allem um die Beziehungen zu China nicht weiter zu belasten, stimmte aber dem Verkauf von Aufrüstsätzen für 145 F-16 in Taiwans Flotte zu.

Waffenlieferungen an Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrates sind integraler Bestandteil der US-Sicherheitspolitik im Nahen Osten, nicht zuletzt als Antwort auf Al Kaida und die vermeintliche Bedrohung durch den Iran. Davon profitiert auch die US-Industrie in erheblichem Maße. Im Jahr 2011 lieferten die USA an die VAE, den drittgrößten Importeur von US-Waffen in den letzten fünf Jahren, vier C-17-Transportflugzeuge, 15 UH-60-Transporthubschrauber, 20 mobile Raketenwerfer M-142 und eine große Anzahl Lenkwaffen für ihre Flugzeuge. Der größte Auftrag der VAE an die USA 2011 umfasste zwei taktische THAAD-Raketenabwehrsysteme, die sich eindeutig gegen das wachsende Arsenal ballistischer Raketen des Iran richten. Saudi-Arabien erteilte einen Auftrag über 29,4 Mrd. US$ für 154 F-15SA-Kampfflugzeuge – vom Auftragsumfang die größte Waffenbestellung eines Landes, den die US-Rüstungsindustrie zumindest seit dem Kalten Krieg verbuchen konnte. Der Deal, abgeschlossen während des »Arabischen Frühlings«, wurde damit gerechtfertigt, dass er mehr als 50.000 amerikanische Jobs sichern und jährlich 3,5 Mrd. US$ zur Wirtschaftsleistung der USA beitragen würde. Saudi-Arabien bestellte noch weitere US-Waffen, u.a. 36 AH-64D-Kampfhubschrauber.

Andere große Waffenbestellungen von Ländern des Nahen und Mittleren Osten im Jahr 2011 kamen aus dem Irak (18 F-16C-Kampfflugzeuge), Oman (zwölf F-16C) und Ägypten (125 M-1A1-Panzer, ein Modell, das während des ägyptischen Aufstands gegen das Mubarak-Regime in den Straßen Kairos aufgefahren wurde).

Aufgrund noch ausstehender Lieferungen und Kaufordern, die Ende 2012 kurz vor der Vertragsunterzeichnung stehen, ist abzusehen, dass die USA auch in den nächsten Jahren der größte Waffenexporteur bleiben werden. Vor allem der Export von Kampfflugzeugen des Typs F-35 (Joint Strike Fighter) wird einen starken Einfluss auf die langfristige Entwicklung desUS-Waffenexports haben. Die Türkei orderte bereits zwei F-35 – eine Absichtserklärung gibt es für insgesamt 100 –, und Japan kündigte eine Bestellung von 42 Stück an. Anfang 2012 hatten bereits neun Länder Bestellungen über insgesamt mehr als 700 F-35 unterzeichnet oder geplant, und weitere Staaten haben ihr Interesse bekundet. Die USA selbst wollen zirka 2.400 dieser Flugzeuge kaufen.

Die russischen Waffenexporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 12%. Die Geschäfte mit Asien sind zwar zurückgegangen, machen aber immer noch 63% der russischen Waffenexporte aus. Nach Afrika gingen 17%, vor allem nach Algerien. Als drittgrößte Importregion folgte der Nahe und Mittlere Osten mit 10%. Größtes Empfängerland blieb Indien mit 33% der russischen Waffenexporte. China war in den frühen 2000er Jahren Hauptabnehmer gewesen, diese Geschäfte gingen in den letzten Jahren aber rapide zurück. Osteuropa und Mittelasien nahmen lediglich vier Prozent der russischen Waffenlieferungen ab, im Vergleich zum Zeitraum 2002-2006 sind die Lieferungen aber um 158% gestiegen, vor allem durch steigende Exporte in ehemalige Sowjetrepubliken in Mittelasien und im Kaukasus.

Russland wird zweifellos in den nächsten fünf bis zehn Jahren genug Waffen exportieren, um gemeinsam mit den USA die unangefochtenen Top-2 der globalen Waffenexporteure zu stellen. Allein die offenen Bestellungen von Indien würden ausreichen, um alle anderen Exportländer mit Ausnahme der USA abzuhängen.

Die deutschen Waffenexporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 37%. 41% der deutschen Waffen wurden in europäische Länder verkauft – größter Kunde war hier mit 13% Griechenland. Nach Asien und Ozeanien gingen 27% der deutschen Waffenexporte, auf den amerikanischen Kontinent 12%. Mit 13% war Griechenland der größte Einzelempfänger von Waffen aus Deutschland.

2011 gingen nur wenige Großbestellungen bei der deutschen Rüstungsindustrie ein. Allerdings entschied Deutschland im gleichen Jahr, die Lieferung eines sechsten U-Boots der Dolphin-Klasse an Israel mit einem Drittel des Kaufpreises zu subventionieren. Die Bundesregierung gab außerdem grünes Licht für eine Großbestellung für gepanzerte Fahrzeuge, Fregatten, Elektronik und anderes Gerät durch Algerien; ein erster Auftrag über 54 gepanzerte Mannschaftswagen des Typs TPZ-1 wurde 2011 bereits unterzeichnet. Die deutsche Regierung hat auch dem Verkauf von Panzern des Typs Leopard-2A7+ an Saudi-Arabien grundsätzlich zugestimmt – im Gespräch sind insgesamt 200 bis 600 Stück. Allerdings war Mitte 2012 noch kein Vertrag unterzeichnet, und der Deal rief in Deutschland massive Proteste hervor. (Mehr zu den deutschen Waffenexporten im Beitrag von Bernhard Moltmann in diesem Dossier).

Die französischen Exporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 12%, dennoch fiel Frankreich vom 3. Platz der größten Waffenexporteure (den jetzt Deutschland hält) auf den 4. Rang. Auch für französische Waffenexporte waren Länder in Asien und Ozeanien mit 51% Hauptabnehmer. Es folgten Europa mit 22% und der Nahe und Mittlere Osten mit 12%. Zu den größten Abkommen 2011 gehörte ein indischer Auftrag für die Aufrüstung von 51 Kampfflugzeugen des Typs Mirage-2000 auf den Standard der Mirage-2000-5a und die russische Bestellung von zwei Hubschraubträgern des Typs Mistral im Wert von 1,1 Mrd. Euro mit Optionsrecht auf zwei weitere. Nach zwei Rückschlägen, als die VAE wie die Schweiz entschieden, keine Rafale-Kampfflugzeuge von Frankreich zu kaufen, teilte im Januar 2012 Indien mit, es wolle 124 Rafale im Wert von über 10 Mrd. US$ kaufen.

Die britischen Waffenexporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 2%. Der Nahe und Mittlere Osten nahm 30% der Waffenexporte ab, gefolgt vom amerikanischen Kontinent (28%) und Asien (23%). Saudi-Arabien war und bleibt Hauptkunde mit einer Bestellung von 72 Kampfflugzeugen des Typs Typhoon. Die Regierung in Riad nahm 93% der britischen Lieferungen in den Nahen und Mittleren Osten ab. Wie andere EU-Mitgliedsstaaten wurde Großbritannien heftig für seinen Waffenhandel mit Ländern des »Arabischen Frühlings« kritisiert. Während Großbritannien einige Waffenexportgenehmigungen aussetzte und Änderungen bei der Exportkontrolle ankündigte, achtete die Regierung gleichzeitig darauf, dass große Verträge mit Ländern im Nahen und Mittleren Osten nicht beeinträchtigt wurden.

Ob Großbritannien auch in Zukunft zu den Top-5 der Waffenexporteure gehört, scheint eher fraglich, da es in den letzten Jahren nur selten einen größeren Auftrag verbuchte. 2011 war die Bestellung von Luftbetankungssystemen für das US-amerikanische Tankflugzeug KC-46 in Höhe von 73 Mio. US$ der größte Auftrag an ein britisches Rüstungsunternehmen.

Während Chinas Rolle als Importeur von Waffen deutlich zurückging, legten chinesische Waffenexporte um 95% zu. Damit wickelte China 4% der globalen Waffenlieferungen ab und landete auf dem 6. Platz der größten Lieferländer. Dieses rasche Exportwachstum ist weitestgehend auf Lieferungen an Pakistan zurückzuführen. Pakistan pflegt seit langem enge militärische Beziehungen zu China und nimmt 64% der chinesischen Exporte ab. China lieferte etwa 50 JF-17-Kampfflugzeuge, drei F-22P-Fregatten und 203 MBT-2000-Kampfpanzer nach Pakistan. 73% der chinesischen Waffenexporte gingen nach Asien, gefolgt vom Nahen und Mittleren Osten (12%), Afrika (9%) und Südamerika (6%).

Obwohl China bei der Militärtechnologie Fortschritte machte, verzeichnete das Land beim Export seiner jüngsten Waffengeneration noch keinen Durchbruch. Für die beiden Kampfflugzeuge der neuesten Generation, das Jagdflugzeug JF-17 und die weiter entwickelte Version J-10, hat sich beispielsweise bislang nur Pakistan interessiert. Zwar konnte China außerhalb von Pakistan nur relativ kleine Aufträge einwerben, es ist jedoch kaum zu verkennen, dass China inzwischen aktiver für seine Waffen wirbt. Es bietet einfachere Waffen zu konkurrenzfähigen Preisen an und hat zum ersten Mal einige Großwaffen im Angebot, die so ausgereift sind, dass sie auf dem Markt durchaus bestehen können.

Die Empfängerländer

SIPRI identifizierte 152 Empfängerländer, die in den letzten fünf Jahren Waffen einführten: Das sind rund drei Viertel aller Länder der Welt. Die regionale Verteilung der Waffenlieferungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Die Hauptempfängerregionen blieben Asien und Ozeanien (44%), Europa (19%), Naher und Mittlerer Osten (17%), der amerikanische Kontinent (11%) und Afrika (9%). Die Top-5-Empfängerländer lagen alle in Asien und Ozeanien: Indien, Südkorea, Pakistan, China und Singapur. In diese fünf Länder gingen 30% aller Waffenlieferungen. Das ist weniger als 2002-2006, als 39% an die damaligen Top-5 (China, Indien, VAE, Griechenland und Südkorea) geliefert wurden. Indien war mit 10% das größte Importland. China, zuvor die Top-1, liegt jetzt auf dem 4. Platz.

Überraschend ist, dass viele der größten Importländer in hohem Maße (zu mehr als drei Vierteln) von nur einem oder zwei Exportländern abhingen. Unter den 10-Top-Importeuren war die Lieferantenstruktur der USA am stärksten diversifiziert. Sie importierten Waffen aus 15 Ländern und aus keinem einzelnen Land mehr als 23%.

Afrika

Die Waffenimporte der afrikanischen Staaten stiegen um 110%, die Empfängerländer verschoben sich aber gegenüber dem vorherigen Jahrfünft. Die Länder des subsaharischen Afrika hatten damals noch 67% der Waffenlieferungen erhalten und steigerten ihre Importe seither um 20%. Die Waffenlieferungen nach Nordafrika schnellten um 273% in die Höhe, so dass in den letzten fünf Jahren 59% der afrikanischen Waffenimporte auf Länder in dieser Region entfielen. Die größten Importländer waren Algerien (43%), Südafrika (17%) und Marokko (16%).

In Nordafrika verzeichnen insbesondere Algerien und Marokko eine Reihe ungelöster Streitigkeiten um die Grenzziehung und den Westsaharakonflikt, was sich bei den Waffenkäufen in einem Aktions-Reaktionsmuster niederschlägt. Beide Länder haben in den vergangenen Jahren erheblich in Waffen investiert. Marokko steigerte seine Waffenimporte um das 5,4-fache, wobei der Anstieg 2011 besonders ausgeprägt war. Große Posten waren die Lieferung von 16 Kampfflugzeugen des Typs F-16C aus den USA, von 27 MF-2000-Kampfflugzeugen aus Frankreich und von einer Fregatte SIGMA-90 aus den Niederlanden; weitere Kampfflugzeuge und Fregatten sind bestellt. Algerien importierte seinerseits 36 Kampfflugzeuge Su-30MK, 185 T-90-Panzer, zwei Flugabwehrsysteme des Typs SAM 300PMU-2 SAM und zwei U-Boote der Klasse Project-636E aus Russland. Eine große Anzahl Hubschrauber, Korvetten, Fregatten und Landsysteme sind in Russland, China, Großbritannien, Italien und Deutschland bestellt oder in Planung.

Unter den subsaharischen Ländern war Südafrika der größte Waffenimporteur. Seine Einfuhren stiegen um 80% und machten 41% der Lieferungen nach Subsahara-Afrika aus. 55% der südafrikanischen Waffenimporte kamen aus Deutschland, darunter zwei Fregatten und zwei U-Boote. Schweden war mit 30% der zweitgrößte Lieferant und lieferte 21 JAS-39-Kampfflugzeuge, sechs davon im Jahr 2011. Manches deutet darauf hin, dass sich Südafrika mit seinen Waffenkäufen übernommen hat: Ein erheblicher Teil der neuen Waffen ist Berichten zufolge wegen finanzieller Engpässe nicht voll einsatzfähig. Allerdings hat Südafrika nach etlichem Zögern jüngst mitgeteilt, zumindest die Kriegsschiffe zur Unterstützung ostafrikanischer Staaten gegen die wachsende Bedrohung durch somalische Piraten seien jetzt einsatzbereit.

Während die Lieferungen nach Ostafrika insgesamt um 29% zurückgingen, ist bei Uganda, Kenia und dem kürzlich unabhängig gewordenen Südsudan ein deutlicher Importanstieg zu beobachten. Ugandas Importe stiegen um 300%, was auf die russische Lieferung von vier Mehrzweckkampfflugzeugen des Typs Su-30MK und dafür geeigneten Lenkwaffen im Jahr 2011 zurückzuführen ist. Kenia, das 2002-2006 keine Waffen importiert hatte, führte nun 15 gebrauchte F-5E-Kampfflugzeuge aus Jordanien, 32 Panzerfahrzeuge des Typs WZ-551 und vier Hubschrauber Z-9WA aus China, drei Mi-171-Hubschrauber aus Russland und 35 Panzerfahrzeuge des Typs Puma M-26 aus Südafrika ein. Kenia setzt einige dieser neu erworbenen Waffen bei den anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Somalia ein. Die ugandischen Waffenkäufe stehen teilweise im Zusammenhang mit der Unterstützung Ugandas für den Südsudan.

Der amerikanische Kontinent

Auf dem amerikanischen Kontinent stiegen die Waffenimporte um 61%; 11% des globalen Waffenimports sind in dieser Region zu verzeichnen.

Nach Nordamerika wurden 54% mehr Waffen geliefert, und zwar hauptsächlich in die USA, dem achtgrößten Empfängerland weltweit. Die Top-3-Lieferanten der USA waren Großbritannien, Kanada und Deutschland; auf sie entfielen 52% der US-amerikanischen Waffeneinfuhren. 82% der eingeführten Waffen wurden in den USA auf Lizenz gefertigt, wobei häufig ein beträchtlicher Teil der Wertschöpfung in den USA selbst erfolgte. Ein erheblicher Teil der Waffen wurde für die militärischen Operationen der USA im Irak und in Afghanistan gekauft, darunter mehrere Hundert gepanzerte Mannschaftswagen des Typs RG-31 aus südafrikanischer Produktion. Allerdings importierten die USA Waffen auch für allgemeinere Zwecke, z.B. Übungsflugzeuge aus Großbritannien und der Schweiz, Tausende gepanzerter Radfahrzeuge des Typs Piranha-3 aus kanadischer Produktion und mehr als Tausend in Großbritannien entwickelte 155mm-Haubitzen des Typs M-777. Die Importe der USA signalisieren eine gewisse Bereitschaft, den Markt für ausländische Konkurrenten zu öffnen. Sie belegen aber auch, dass sogar die Supermacht USA zumindest zu einem gewissen Grad von ausländischer Militärtechnologie abhängig ist, wie im Falle der Luftbetankungssysteme, die 2011 für die US-Tankflugzeuge KC-46 bestellt wurden.

Die Waffenlieferungen nach Südamerika stiegen um 77%; damit steigerte sich in dieser Region der Anteil an den globalen Waffenimporten von 4,4% auf 6,3%.

Der größte Waffenimporteur in Südamerika war Venezuela. Seine Waffenimporte stiegen um 555%, das Land kletterte dadurch vom 46. Platz der größten Waffenimporteure auf Rang 15. Venezuela beschaffte sich in relativ kurzer Zeit vorwiegend russische und chinesische Waffen, um veraltetes westliches Gerät zu ersetzen und die expandierenden Streitkräfte auszurüsten. 2011 lieferte Russland eine ganze Reihe Waffensysteme an Venezuela, so T-72M1M-Panzer und Flugabwehrsysteme des Typs S-125 Pechora-2M. Überdies konnte sich Venezuela für künftige Waffenkäufe einen Kredit in Höhe von 4 Mrd. US$ bei Russland sichern.

Die Regionalmacht Brasilien rangierte weltweit nur auf Platz 32 der größten Waffenimporteure, was weniger als einem Prozent der globalen Waffeneinfuhren entspricht. Doch wird es dabei vermutlich nicht bleiben. Ende 2011 entfiel fast ein Viertel sämtlicher noch nicht ausgelieferter südamerikanischer Waffenbestellungen auf Brasilien. Das Land plant eine umfassende Modernisierung seiner Streitkräfte und hat in Frankreich fünf U-Boote und 50 Hubschrauber bestellt und in Italien mehr als 2.000 gepanzerte Fahrzeuge. Die Regierung gab außerdem bekannt, dass sie mindestens 36 Kampfflugzeuge und eine ganze Flotte neuer Fregatten und Schnellboote sowie einen Flugzeugträger beschaffen will.

Asien und Ozeanien

Die Waffenlieferungen an Länder in Asien und Ozeanien stiegen um 24%. Damit entfielen 44% der globalen Waffenimporte auf diese Region, fast der gleiche Wert wie in den fünf Jahren zuvor. 37% dieser Lieferungen gingen nach Südasien, 29% nach Nordostasien, 23% nach Südostasien und 8% nach Ozeanien. Das verbleibende eine Prozent wurde von Ländern in Mittelasien importiert.

Indien war mit 10% der globalen Waffenimporte TOP-1 der Empfängerländer. Auslöser der indischen Waffenkäufe waren der schwelende Konflikt mit Pakistan, wieder aufgeflammte Spannungen entlang der indisch-chinesischen Grenze und das unverkennbare Streben, in der Region des Indischen Ozeans als Regionalmacht anerkannt zu werden. Die Waffenimporte stiegen um 38% und umfassten ganz unterschiedliche Waffenarten. Die weitaus meisten Waffen für Indien kamen aus Russland, nämlich 80%, darunter 120 Kampfflugzeuge des Typs Su-30MK und 16 des Typs MiG-29K. 20 Kampfflugzeuge Jaguar-S kamen aus Großbritannien, 108 Su-30MK und 91 MiG-29SMT sind bereits bestellt, ebenso 51 Mirage-2000-5. Indien wird zwar auch in Zukunft stark von Russland abhängen – u.a. beteiligt es sich am Programm für das Kampfflugzeug der 5. Generation, dem T-50 PAKFA –, ist aber dabei, seine Lieferantenbasis zu diversifizieren, z.B. durch die Bestellung von 126 Rafale-Kampfflugzeugen bei Frankreich. Gleichzeitig festigte Indien seine Beziehungen zu den USA und vergab zum ersten Mal seit den frühen 1960er Jahren große Aufträge an US-Firmen, u.a. für acht U-Boot-Jagdflugzeuge des Typs P-8A und zehn C-17- sowie sechs C-130J-Transportflugzeuge.

Pakistan ist mit 5% der globalen Importe der drittgrößte Waffenimporteur. Seine Hauptbezugsländer waren China und die USA mit 42% bzw. 35% der Lieferungen. Zu den relevanten Importen gehörten u.a. ungefähr 50 Kampfflugzeuge JF-17 aus China und 30 F-16 aus den USA.

China steigerte im betrachteten Jahrfünft das technische Potential zur Waffenproduktion erheblich – sein Militärkomplex hatte in den letzten 20 Jahren viel von den aus Russland importierten Waffen abgeschaut. Und das Land ist inzwischen weitaus unabhängiger von Waffenimporten geworden. War es im vorherigen Jahrfünft noch mit Abstand der größte Waffenimporteur, sanken seine Waffeneinfuhren 2007-2011 um 58%, so dass das Land jetzt auf Platz 4 der größten Waffenimporteur rangiert. 77% der chinesischen Importe kamen aus Russland. Seit 2011 hat China keine kompletten Kampfflugzeuge oder andere große Waffenplattformen mehr importiert, blieb aber für seine eigene Waffenproduktion zum Teil auf die Einfuhr von Triebwerken und Radarsystemen aus Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland angewiesen.

Das Liefervolumen an südostasiatische Länder stieg um 185% und erreichte damit das höchste Niveau seit dem Ende des Vietnamkrieges 1975. Die Importe nach Singapur wie nach Malaysia stiegen um nahezu 300%, die nach Indonesien um 144% und nach Vietnam um 80%. Das Waffenarsenal vieler südostasiatischer Länder ist ziemlich veraltet, die hohen Einfuhren dienen also teilweise der Modernisierung der Waffenbestände. Die Region ist aber auch durch große Spannungen geprägt, vor allem aufgrund von Streitigkeiten zwischen südostasiatischen Ländern und China um Hoheitsgebiete im Südchinesischen Meer. Entsprechend wurden vor allem Schiffe und Waffen für die Kriegsführung zur See eingeführt sowie Flugzeuge und Waffensysteme, die zur See und zu Land einsetzbar sind. Oftmals weisen die neuen Waffen erheblich bessere Kennwerte und Reichweiten auf als die alten; dadurch wachsen die Optionen, im Südchinesischen Meer militärisch einzugreifen, beträchtlich.

Australien steigerte seine Waffeneinfuhren um 48% und belegte mit 4% Platz 6 der Waffenimporteure. Unter anderem lieferten die USA 24 Kampfflugzeuge F/A-18E, sechs Flugzeuge für die Luftraumüberwachung und fünf C-17-Transportflugzeuge; aus Frankreich kamen A-330-Tankflugzeuge. Diese sowie noch ausstehende Lieferungen und geplante Waffensysteme sollen die Verteidigung und Interventionen über große Distanzen ermöglichen.

Europa

Das Volumen von Waffeneinfuhren in europäische Länder stieg um 13% und damit weniger als in anderen Regionen. Der europäische Anteil am Waffenimport sank daher von 20% im vorherigen Jahrfünft auf jetzt 19%. 15% der globalen Waffenimporte gingen in Länder der Europäischen Union, davon wurden 80% bei westeuropäischen Lieferanten gekauft. Griechenland war in den letzten fünf Jahren der größte Waffenimporteur in Europa und gehörte mit Großbritannien und Norwegen zu den Top-20.

Auch wenn Griechenland immer noch den 10. Platz der Einfuhrländer hält, sind die Waffenimporte im Vergleich zum vorherigen Jahrfünft, als das Land noch Platz 4 belegte, immerhin um 18% gesunken. 2011 wurde von Italien und den Niederlanden das zweite von vier Super-Vita-Patrouillenbooten samt der kompletten Ausrüstung und Munition (darunter auch Lenkwaffen) ausgeliefert, außerdem der erste von 20 NH-90-Hubschraubern aus Frankreich. Aktuell steht noch die Lieferung von fünf U-Booten der Klasse 214 aus Deutschland aus, die zwischen 2000 und 2010 bestellt wurden, seit 2011 hat Griechenland aber keine weiteren Waffen bestellt. (Siehe auch Jerry Sommers Betrag »Griechische Rüstung« in diesem Dossier.)

Auf Russland entfielen in den letzten fünf Jahren nur 0,1% der globalen Waffeneinfuhren. Allerdings unterzeichnete es 2011 einen Vertrag mit Frankreich über die Lieferung von zwei großen Landungsschiffen/Hubschrauberträgern der Mistral-Klasse mit der Option auf den Bau zweier weiterer Schiffe in Russland. Es schloss auch einen Vertrag mit Italien zur Montage von 60 gepanzerten Mehrzweckfahrzeugen ab, längerfristig sollen insgesamt 2.500 dieser Fahrzeuge in Russland gefertigt werden. Russland erhielt einige Drohnen aus Israel und plant weitere Bestellungen.

Sorge bereiten wachsende Waffenimporte von Aserbaidschan, das sich mit Armenien noch immer im Konflikt um die Region Nagorny-Karabach befindet. Aserbaidschans Importe stiegen um 164%; derzeit liegt das Land auf dem 38. Platz der Einfuhrländer (im Vergleich zum 53. Platz im vorherigen Jahrfünft). Zwar sanken die Importe nach Armenien und das Land belegt nur noch den 84. Platz (zuvor den 71.), allerdings kündigte die Regierung 2010/2011 an, sie wolle als Reaktion auf Aserbaidschans Waffenkäufe weit reichende Präzisionswaffen anschaffen. Beide Länder beziehen ihre Waffen vorwiegend aus Russland (Aserbaidschan 55%, Armenien 96%).

Der Nahe und Mittlere Osten

Die Waffenimporte der Länder des Nahen und Mittleren Ostens (einschließlich der Türkei) sanken um 8%. Auf diese Region entfielen 17% der globalen Waffeneinfuhren, im vorherigen Jahrfünft waren es 23%. Der Rückgang ist teilweise darauf zurückzuführen, dass etliche Länder der Region, z.B. die VAE und Israel, schon in den frühen 2000er Jahren große Waffenmengen einführten, um ihre Streitkräfte zu modernisierten. Doch deutet alles darauf hin, dass sich dieser Trend bald wieder umkehrt: Da die regionalen Spannungen mit dem Iran zunehmen und die Profite aus der Öl- und Gasförderung sprudeln, wurden in jüngster Zeit neue Großaufträge erteilt. Insbesondere die Mitgliedsländer des Golf-Kooperationsrates haben weitergehende Waffeneinkaufspläne angekündigt. 20% der Waffeneinfuhren in den Nahen und Mittleren Osten gingen in die VAE, 16% nach Saudi-Arabien, 15% in die Türkei und 11% nach Ägypten. Der »Arabische Frühling« scheint die Lieferländer nicht von Waffenlieferungen in die betroffenen Staaten abzuhalten, auch wenn das Thema in manchen Lieferländern in Politik und Gesellschaft kontrovers diskutiert wird. Über Libyen verhängten die Vereinten Nationen im Februar 2011 ein Waffenembargo, die Lieferungen an Ägypten, Syrien (siehe separaten Artikel von Siemon Wezeman in diesem Dossier) und andere arabische Staaten gingen aber weiter. Geliefert wurden u.a. Waffen, beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge, die wiederholt zur Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt wurden.

Aufgrund der UN-Sanktionen gegen Iran ist der Waffenhandel mit diesem Land offensichtlich drastisch eingebrochen. Auf den Iran entfielen nur noch rund 0,5% der globalen Waffeneinfuhren. SIPRI hatte auch nach der Verhängung der UN-Sanktionen Hinweise auf einige Waffentransfers, die Fertigung der meisten Waffen, zum Beispiel der Panzerfahrzeuge aus Russland, erfolgt aber im Iran mit Komponenten, die ebenfalls im Iran produziert wurden oder bereits vor Inkrafttreten des UN-Embargos geliefert worden waren.

Die VAE hielten Platz 9 der Waffenimporteure. Mit dem Kauf moderner Langstreckenkampfjets aus den USA und Frankreich rüsten die VAE jetzt bei der Luftverteidigung nach. Ab 2012 steht die Lieferung von neun Flugabwehrsystemen Patriot PAC-3 an, und 2011 wurden bei den USA zwei THAAD-Raketenabwehrsysteme bestellt.

Saudi-Arabien rangierte als elftgrößter Waffenimporteur. Es wurden ganz unterschiedliche Waffenarten geliefert; den Löwenanteil machten 24 Typhoon-Kampfflugzeuge aus, die Teil einer Großbestellung von 72 Maschinen bei Großbritannien sind. 2011 wurden von Großbritannien, das insgesamt 41% der Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien abdeckt, außerdem die ersten luftgestützten Marschflugkörper des Typs Storm Shadow geliefert; damit baut Saudi-Arabien seine Fähigkeit aus, Langstreckenschläge durchzuführen. Das Langstreckenpotential erhält ab Mitte des Jahrzehnts nochmals einen deutlichen Schub, wenn wie geplant die Lieferung von 154 mit weitreichenden Luft-Boden-Raketen ausgerüsteten F-15SA-Kampflugzeugen ansteht, die 2011 in den USA bestellt wurden.

Siemon T. Wezeman ist Senior Fellow des Arms Transfer Programme von SIPRI. Seine Expertise erstreckt sich vor allem auf die Überwachung und Transparenz des Waffenhandels, insbesondere im asiatischen Teil des Pazifischen Ozeans und Nordamerika, Militärtechnologie und den Einsatz von Waffen in Konflikten.
Aus dem Englischen übersetzt von Herbert Wulf und Regina Hagen

Deutsche Rüstungsexportpolitik

Widersprüche und Chancen der Veränderung

von Bernhard Moltmann

Panzer nach Saudi-Arabien, U-Boote an Israel, ausgemustertes Bundeswehrmaterial in das verschuldete Griechenland, Gewehre nach Georgien und in mexikanische Kriegsgebiete, militärische Kommunikationsanlagen an das Libyen des ehemaligen Machthabers Gaddafi… Die Liste deutscher Waffenlieferungen, die in Politik und Öffentlichkeit für Irritation gesorgt haben, lässt sich beliebig verlängern. Manche dieser umstrittenen Transfers sind nur zufällig oder erst nachträglich ans Licht gekommen. Andere haben die parlamentarische Opposition auf den Plan gerufen, die mit ihren Nachfragen die Bundesregierung in Bedrängnis bringt.

Auf den ersten Blick stellt sich die deutsche Rüstungsexportpolitik als Chronik von Skandalgeschichten dar. Bei genauerer Prüfung schälen sich jedoch durchaus beständige Konturen der deutschen Rüstungsexporte heraus. Sie sind über Jahre hinweg gestiegen und halten nun mehr oder minder ihr Niveau, ungeachtet der politischen Färbung der jeweils amtierenden Bundesregierung.

Andererseits treten strukturelle Widersprüche zutage, denen sich die deutsche Politik im Umgang mit Rüstungstransfers gegenübersieht. Sie scheint ohnmächtig oder unwillig, Lösungen anzugehen, die geeignet wären, der Skandalträchtigkeit von Rüstungsgeschäften deutscher Unternehmen Einhalt zu gebieten. Sie versagt sich der Gestaltung einer Rüstungsexportpolitik, die den Maßstäben von Frieden, Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechten als Merkmalen deutscher Außenpolitik Genüge tut.

Worum geht es? Deutsche Rüstungsexporte

Bestandteil der deutschen Rüstungsexportpolitik ist nicht allein die staatliche Verantwortung für die Überwachung des Transfers von Waffen. Die Liste der zu kontrollierenden Güter und Leistungen umfasst weitaus mehr als Waffen. So zählen dazu Produkte und Komponenten, die Rüstungs- und Militärzwecken dienen (»sonstige Rüstungsgüter«), Güter mit militärischem oder zivilem Nutzen (Dual-use-Güter) und Gerätschaften und Anlagen zur Herstellung von Rüstungsgütern (Fertigungsanlagen). Auch fallen Waffen und Rüstungsgüter sowie Ersatzteile, die in den Empfängerländern montiert bzw. weiterverarbeitet werden, (»Materialpakete«) und rüstungsrelevantes Wissen (Technologie, Blaupausen) darunter. Ferner profilieren sich deutsche Unternehmen mit der Modernisierung bzw. Aufwertung von vorhandenen Rüstungsgütern (»Veredelungsexporte«) und mit Dienstleistungen und Gütern, die für Vorbereitung, Unterhalt und Einsatz von Rüstungsgütern bestimmt sind (Infrastruktur, Ausbildung, Reparatur und Wartung). Ebenfalls weckt die Nachfrage nach militärbezogenen Dienstleistungen das Interesse einschlägiger Anbieter.

Wieviel und wohin wird geliefert?

Über den Umfang der Rüstungsgüter, die deutsche Hersteller ins Ausland ausführen, herrscht weitgehend Ungewissheit.1 Die Bundesregierung ist unter rot-grüner Ägide im Jahr 2000 zwar die Verpflichtung eingegangen, über die Rüstungsexporte jährlich Auskunft zu geben. Doch erfüllen die offiziellen Rüstungsexportberichte nur bedingt die Erwartungen an Transparenz. Zudem erreichen sie die Öffentlichkeit so zeitfern, dass eine nachträgliche Kritik an einzelnen Lieferungen keine politische Relevanz mehr hat. Statistisch werden allein Anzahl und Volumina der gewährten Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter beziffert und die Empfängerstaaten benannt. Die Transfers, die sich im Rahmen von staatenübergreifenden Rüstungskooperationen vollziehen, tauchen nur pauschal und ohne weitere Detailangaben in der Rubrik »Sammelausfuhrgenehmigungen« in den jährlichen Zahlenwerken auf. Lediglich für den Teilbereich der als »Kriegswaffen« eingestuften Rüstungslieferungen erhebt das Statistische Bundesamt die tatsächlich im Berichtsjahr vollzogenen Ausfuhren. Dual-use-Güter finden im Berichtswesen ohnehin keine Erwähnung, obwohl die einschlägigen Werte durchaus das Niveau der Rüstungsexporte erreichen.

Noch schwieriger ist eine Bewertung der finanziellen Seite der Rüstungstransfers. Hier übernimmt die Regierung in ihren Statistiken die Angaben, die die Hersteller bei der Beantragung einer Ausfuhrgenehmigung machen. Doch ist die Preisbildung bei Waffen, Rüstungsgütern und militärbezogenen Dienstleistungen besonders umstritten. Hinzu kommt, dass zwischen der Anbahnung eines Rüstungsgeschäfts und dessen Vollzug häufig mehrere Jahre vergehen, was auf den Endpreis ebenso Einfluss hat wie die hohe Korruptionsanfälligkeit der Branche.

Angesichts dieser Vorbehalte sind offizielle Daten zu deutschen Rüstungstransfers mit Vorsicht zu behandeln. Umso mehr Gewicht erhalten Informationen und Bewertungen, die unabhängige Einrichtungen vorlegen. Die prominenteste ist das Stockholm International Peace Research Institute. SIPRI wertet in seinen jährlichen Publikationen alle öffentlich zugänglichen Informationen zu Transfers von Großwaffensystemen aus. Um jährliche Schwankungen auszugleichen und längerfristige Trends zu identifizieren, konzentriert sich SIPRI auf mehrjährige Vergleiche. Das mindert nicht die öffentliche Resonanz seiner Publikationen, weckt aber bei hiesigen Genehmigungsbehörden den Abwehrreflex, dass die SIPRI-Daten nicht mit den offiziellen Daten in einen Topf geworfen werden könnten. Das gleiche Schicksal widerfährt oft genug Recherchen zu den deutschen Rüstungsausfuhren, die regelmäßig von der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung und dem Bonn International Center for Conversion vorgelegt werden.

Tab. 1: Deutsche Rüstungsexporte 2006-2010

20062007200820092010
4.198,03.667,65.788,25.043,44.754,1
Werte der Einzelausfuhrgenehmigungen, Angaben in Mio. Euro

Tab. 2: Empfänger deutscher Rüstungsexporte

 20062007200820092010
Europäische Union1.863,61.297,21.838,61.445,52.315,1
Andere europ. Länder643,6518,5298,9285,7408,7
Nordamerika623,5583,7541,9741,0639,1
Südamerika162,830,474,3282,350,5
Naher/Mittlerer Osten239,3189,6445,3939,5583,9
Südasien244,2433,8179,1194,8227,8
Südostasien89,9218,9393,9665,5120,0
Nordostasien194,1206,71.930,3209,3297,4
Ozeanien90,865,432,9106,520,1
Nordafrika4,242,811,3102,540,8
Sub-Sahara Afrika27,846,937,460,535,0
Gesamt4.189,03.677,65.788,25.043,34.754,1
Werte der Einzelausfuhrgenehmigungen, Angaben in Mio. Euro

Immerhin geben die Daten aus unterschiedlichen Quellen ein ungefähres Bild der Vorgänge und lassen durchgängige Trends erkennen. In Tabelle 1 und 2 werden die offiziellen Angaben für den Zeitraum 2006-2010 genannt.2

Die deutschen Ausfuhren von Großwaffensystemen sind nach Berechnungen von SIPRI 2007-2011 verglichen mit dem Zeitraum 2002-2006 um 37% gestiegen. Der deutsche Anteil am Weltrüstungshandel betrug 2007-2011 etwa 9% (USA 30%, Russland 24%, Frankreich 8% und Großbritannien 4%).3

Wie schon in den Vorjahren ist der Anteil deutscher Lieferungen an NATO-, EU- oder diesen gleichgestellte Staaten im Jahr 2010 mit über 70% im Vergleich zu anderen europäischen Rüstungsherstellern relativ hoch gewesen. Unter den Drittstaaten waren die wichtigsten Empfänger im gleichen Jahr die Vereinigten Arabischen Emirate, Brunei, Südkorea und Singapur. Staaten, die offizielle Entwicklungshilfe erhalten, nahmen im Jahr 2010 ca. 15,6% der deutschen Rüstungslieferungen ab (Einzelgenehmigungen in Höhe von 747,3 Mio. Euro).4 Mit Pakistan, Indien, Ägypten und Afghanistan finden sich auch im Jahr 2010 Entwicklungsländer unter den zehn größten Abnehmern deutscher Rüstungsexporte in Drittstaaten.

Kennzeichen der deutschen Rüstungsexporte

1. Ungeachtet aller Schwankungen auf dem Weltrüstungsmarkt und des Wechsels parlamentarischer Mehrheiten in der deutschen Politik bewegen sich die deutschen Rüstungsausfuhren seit Jahren auf einem fast gleich bleibenden Niveau. Die einzelnen Jahreswerte schwanken nur dann, wenn Unternehmen Aufträge für kostspielige Schiffe eingeworben haben. Deutschland gehört mitsamt den übrigen EU-Staaten inzwischen zu den Großen auf dem Weltrüstungsmarkt. Bezogen auf den Wert der gesamten deutschen Ausfuhren ist der Umfang der Rüstungsexporte jedoch gering: Er liegt unter 1% (Kriegswaffen: 0,3%). Allerdings variieren diese Angaben zwischen Unternehmen und Branchen; bei den auf Kriegsschiffbau spezialisierten Firmen werden etwa zwei Drittel des Umsatzes allein durch den Export erwirtschaftet.

2. Die Entwicklung der Bundeswehr und ihre Rüstungsbeschaffungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Rüstungsausfuhren. Kaufen Heer, Marine und Luftwaffe bestimmte Rüstungsgüter, so dient das Interessenten im Ausland als Qualitätsnachweis. In den letzten Jahren hat die Verkleinerung der Bundeswehr dazu geführt, dass die Streitkräfte überschüssige Waffen und Rüstungsgüter zur Verfügung hatten. Wurden diese zunächst in neu in die NATO aufgenommene Staaten in Osteuropa und nach Griechenland sowie die Türkei transferiert, so stoßen sie inzwischen weltweit auf Nachfrage (in Chile, Brasilien oder Singapur, jüngst zeigte Indonesien ebenfalls Interesse an gebrauchten Panzern aus Deutschland). Diese Lieferungen sind häufig mit Aufträgen zur Modernisierung und Kampfwertsteigerung der Rüstungsgüter verbunden.

3. Aufgrund der Sparzwänge der öffentlichen Haushalte werden nunmehr auch weniger Waffen für die eigenen Truppen bestellt. Umso mehr fordern Rüstungshersteller von der Bundesregierung, Exportanstrengungen zu forcieren, um vorhandene Kapazitäten auszulasten. Gleichzeitig erweitern sie ihre Angebote, verlagern Produktionsstätten ins Ausland und suchen sich durch Zukäufe und internationale Kooperationen neue Absatzmärkte zu erschließen. So bieten Rüstungshersteller wie EADS inzwischen Anlagen zur Überwachung von Grenzen und von Bewegungen größerer Bevölkerungsgruppen an. Dabei handelt es sich nicht mehr um Rüstungsgüter im engeren Sinne, sondern um Lieferungen zur »Sicherheitsvorsorge«. Mit ihrem Export gehen in der Regel Leistungen für die Ausbildung von Personal und für die Wartung der Anlagen einher. Oft genug flankieren zwischenstaatliche Abkommen einer »Sicherheitspartnerschaft« solche Projekte.

4. Die Daten zu den Rüstungsausfuhren zeigen besonders starke Positionen im Marineschiffbau (Fregatten, U-Boote, Küstenschutzboote), bei gepanzerten Fahrzeugen (Kettenpanzer, leichte Kampffahrzeuge) und bei Kleinwaffen, Motorenbau, Fertigungsanlagen, Technologie, Elektronik und Steuerungselementen.5 Neben der Lieferung kompletter Waffensysteme liegt die Stärke der deutschen Rüstungsfertigung in der Zulieferung von Komponenten an Hersteller in anderen Ländern, die dann ihrerseits die Waffen exportieren. Davon zeugen die hohen Werte von Rüstungstransfers in EU- und NATO-Staaten. Im Vergleich zu den gesamten Rüstungsausfuhren wertmäßig weniger relevant, aber friedenspolitisch besonders problematisch ist der hohe Anteil deutscher Hersteller am weltweiten legalen Handel mit kleinen und leichten Waffen. Gleichzeitig steigen die Genehmigungswerte für die Ausfuhr von Munition und Fertigungsanlagen (z.B. die Lieferung einer Fabrik zur Herstellung von G-36-Gewehren nach Saudi-Arabien).

5. Jenseits der Bündnispartner sind die wichtigsten Abnehmer deutscher Rüstungsgüter solche Staaten, die sich den Kauf finanziell leisten können, vorrangiges Interesse an Komponenten für technologisch anspruchsvolle Waffensysteme haben und zudem an regionalen Rüstungswettläufen teilhaben. Hinzu kommen Staaten im Zentrum internationaler Spannungen und Gewaltkonflikte. Deutsche Rüstungsexporteure haben inzwischen Zugang zu dem lukrativen Markt im Nahen und Mittleren Osten gefunden. Der Stellenwert von Technologietransfers an Staaten, die im Rahmen ihrer Industrialisierungsstrategien selbst am Aufbau einer Rüstungsindustrie interessiert sind, nimmt zu. Deutschland leistet also in aufstrebenden Industriestaaten Hilfe zum Aufbau neuer Rüstungskapazitäten. Die armen und ärmsten Länder zählen nicht zu den Hauptkunden der deutschen Rüstungsindustrie.

Deutsche Rüstungskontrolle: ein System mit Fallstricken

Das Gefüge von Gesetzen, Absichtserklärungen, Absprachen und Verträgen zur Überwachung des Rüstungshandels ist außerordentlich komplex. Grundlage der deutschen Rüstungsexportpolitik bilden das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV). Sie gelten einerseits für Kriegswaffen, andererseits für die gesamte Breite von Rüstungswaren. Die Gesetze folgen jedoch unterschiedlichen Logiken: Zum einen richten sie Schranken für den Transfer von Kriegswaffen auf (KWKG), zum anderen setzen sie dem staatlichen Eingreifen in den Handel mit Rüstungsgütern aber auch Grenzen (AWG).

Gerahmt werden die nationalen Regelwerke von der EU-Kompetenz beim Transfer von Dual-use-Gütern. Hinzu kommt die Verpflichtung zum abgestimmten Handeln der EU-Mitgliedstaaten. Sie hat im »Gemeinsamen Standpunkt« zum Export von Rüstungsgütern von 2008 ihren Niederschlag gefunden.6 Bei Ausfuhren von militärisch sensiblen Gütern oder Kleinwaffen kommen zudem internationale Absprachen (z.B. Wassenaar-Abkommen, OSZE-Regeln) oder Übereinkünfte auf Ebene der Vereinten Nationen (z.B. Aktionsprogramm gegen die illegale Verbreitung von kleinen und leichten Waffen) zur Geltung.

Eine der Rechtslage vergleichbare Komplexität findet sich beim Genehmigungsverfahren. Von staatlicher Seite sind darin das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie/Abteilung Europa und Außenwirtschaft mit seinem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und das Auswärtige Amt mit dessen Rüstungskontrollreferat sowie mittelbar das Verteidigungsministerium involviert. Das Wirtschaftsressort ist für Genehmigungen nach dem AWG/AWV zuständig, das Auswärtige Amt prüft die Voranfragen nach dem KWKG. Auf politischer Ebene obliegt dem Bundessicherheitsrat, einem Kabinettsausschuss unter Vorsitz der Bundeskanzlerin, die Entscheidung über politisch heikle Fälle. Das Gremium gilt als Ort, an dem die Regierung ihre kollektive Verantwortung für Rüstungsexporte wahrnimmt, die hier verhandelten Geschäfte bleiben jedoch geheim. Das zeigte sich im Jahr 2011. Seinerzeit sickerte die Entscheidung des Bundessicherheitsrates durch, den Export von mehr als 200 Panzern vom Typ Leopard-2 an Saudi Arabien zu genehmigen.

Die »Politischen Grundsätze« von 2000

Einen Weg für den praktischen Umgang mit den teils gegensätzlichen, teils konkurrierenden normativen Ansätzen und durch den Dschungel der Genehmigungsverfahren sollen die »Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern« (aktuelle Fassung vom 19.01.2000) bahnen.7 Sie richten sich zunächst an die Exporteure und Importeure deutscher Rüstungsgüter, um ihnen Klarheit über die Aussicht auf Genehmigung ihrer Geschäfte zu geben. Auch die nachgeordneten Genehmigungsinstanzen erhalten gleichsam als Arbeitsanweisung Kriterien an die Hand, wie sie die zur Entscheidung anstehenden Fälle zu behandeln haben. Schließlich dienen die »Politischen Grundsätze« der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und der Öffentlichkeit als Ausweis einer eindeutigen Linie im Umgang mit Rüstungsausfuhren.

Doch wie jedes Mehrzeckding, das verschiedene Absichten unter ein Dach zu bringen sucht, enthalten auch die »Politischen Grundsätze« ihre Fallstricke. Als Grundlage des alltäglichen administrativen Handelns sind die »Politischen Grundsätze« abhängig von politischen Konjunkturen. Sie werden von den Parteien bei der Regierungsbildung vereinbart. Sie haben keine Gesetzeskraft, und ihre Einhaltung ist nicht rechtlich überprüfbar. Ihr Wortlaut hat im Laufe der letzten vierzig Jahre immer wieder Überarbeitungen erfahren, die jeweils anstehende Auseinandersetzungen spiegeln.8

So hatte die im Jahr 2000 verabschiedete Fassung im Zeichen der Befriedung eines Streits innerhalb der damaligen rot-grünen Koalition über die Angemessenheit von Panzerlieferungen an die Türkei gestanden. Seinerzeit empörten sich Bündnis 90/Die Grünen darüber, dass die fraglichen Kettenfahrzeuge auch als Mittel der inneren Repression eingesetzt werden konnten. Die SPD verwies wiederum in Analogie zu den vorangegangenen Bundesregierungen darauf, dass die Türkei als NATO-Partner mit einer unbeschränkten Lieferung rechnen dürfe. Beide Koalitionsparteien verständigten sich darauf, dem Land nur einen Panzer zu Zwecken der Vorführung und der Erprobung zu überlassen (was in den nachfolgenden Jahren zu umfangreichen Bestellungen und Lieferungen, teilweise aus Bundeswehrbeständen, führte) und die aus dem Jahr 1983 stammenden »Politischen Grundsätze« zu überarbeiten. Man fügte Passagen ein, um den Menschenrechtstandards im Empfängerland besondere Berücksichtigung beizumessen.

Grundsätzlich sollen Ausfuhrgenehmigungen nicht erteilt werden, wenn das zu liefernde Rüstungsgut zur inneren Repression oder zur Verletzung der Menschenrechte genutzt werden kann. Auch will die Bundesregierung keine Schaffung von zusätzlichen Produktionskapazitäten für Rüstungsexporte dulden. Das Anliegen, heimische Arbeitsplätze durch Exportaufträge zu erhalten, rechtfertige nicht, Ausfuhranträge positiv zu bescheiden. Schließlich hält das Dokument die Absicht der Regierung fest, im Einklang mit EU-Regelungen den Bundestag und damit die Öffentlichkeit in Gestalt offizieller Rüstungsexportberichte jährlich über ihre Rüstungsexportpolitik zu informieren.

Bei der Überarbeitung der »Politischen Grundsätze« werden vorhandene Texte ohne Rücksicht auf die Systematik der Argumente fortgeschrieben. Der im Jahr 2000 erreichte Kompromiss bestand vor allem darin, das Dokument um die Gesichtspunkte, die dem kleineren Koalitionspartner am Herzen lagen, zu ergänzen. Der Druck der Rüstungshersteller und die Macht der Gewohnheit waren aber stark genug, eine grundlegende Revision abzuwehren. Das Ergebnis ist ein Regelwerk mit nicht kompatiblen Elementen, das unterschiedliche Erwartungen bedient: Die Befürworter einer restriktiven Genehmigungspraxis können sich auf prinzipielle Aussagen der »Politischen Grundsätze« berufen, die Rüstungsindustrie sieht ihre Exportinteressen durch viele Ausnahmeregelungen und Kautelen ausreichend gewahrt. Allgemeingültige friedenspolitische Erklärungen konkurrieren mit Listen von Empfängerländern, die mit einer bevorzugten Behandlung rechnen können, und solchen, bei denen eine Detailprüfung geboten ist. Kriegswaffen und kriegswaffennahe Rüstungsgüter werden anders behandelt als sonstige Rüstungsgüter. Alle inhaltlichen Vorbehalte gegenüber einer extensiven Genehmigungspraxis verlieren an Relevanz, wenn deutsche Sicherheitsinteressen oder Bündnisinteressen ins Spiel kommen. Die Achtung politischer Willensbekundungen und Entscheidungsspielräume relativiert sich ohnehin durch internationale Vereinbarungen, die die Regierung auf diesem Feld eingegangen ist. So dienen die »Politischen Grundsätze« als Vehikel, den »Gemeinsamen Standpunkt« der EU mitsamt seinem Kriterienkatalog in die Regelungen für die deutsche Genehmigungspraxis zu inkorporieren.

Die seit Oktober 2009 amtierende Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Fortbestand der »Politischen Grundsätze« von 2000 bekannt. Jenseits dessen verspricht sie aber nur eine „verantwortungsvolle Handhabung“ der Rüstungsexportpolitik – sie bekennt sich nicht mehr wie alle Vorgängerinnen zur Zurückhaltung. Außerdem hat das Bundeswirtschaftsministerium inzwischen eine Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung auf den Weg gebracht. Abgesehen von der Notwendigkeit, das deutsche Ausfuhrrecht in Einklang mit inzwischen auf EU-Ebene getroffenen Regelungen zur Liberalisierung des innereuropäischen Rüstungstransfers zu bringen, weckt das Vorhaben den Verdacht, dass mögliche weitere Hindernisse für eine expansive Rüstungsexportpolitik aus dem Weg geräumt werden sollen. Das Risiko einer Schwächung des deutschen Rüstungsexportkontrollregimes steht damit entgegen aller anders lautenden Bekenntnisse im Raum.

Tab. 3: Empfänger deutscher Rüstungslieferungen, deren Verhältnisse nicht den Kriterien der Politischen Grundsätze bzw. des Gemeinsamen Standpunktes der EU entsprechen

Jahr20062007200820092010
Zahl der Staaten5358516272
Wert der Einzel­ausfuhr­genehmigungen in Mio. Euro1.1281.0851.1472.1551.331

Kontroversen um die Geltung der »Politischen Grundsätze«

Alle diese Ungereimtheiten hindern die gegenwärtige Regierung nicht, sich stets auf die »Politischen Grundsätze« zu berufen, wenn sie umstrittene rüstungsexportpolitische Entscheidungen gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit zu rechtfertigen hat. Deren Widersprüche und fehlende Systematik bieten genügend Lücken, eingegangene Selbstverpflichtungen zu umgehen. Das Missverhältnis zwischen den inhaltlichen Vorgaben und der Praxis zeigt die Auswertung der offiziellen Angaben zu den deutschen Rüstungsausfuhren auf, die das Bonn International Center for Conversion im Licht der Kriterien der »Politischen Grundsätze« Deutschlands und des »Gemeinsamen Standpunktes« der EU von 2008 bzw. dessen Vorgängers, des EU-Verhaltenskodex zu Rüstungsexporten von 1998, regelmäßig vornimmt.9 Tabelle 3 zeigt das Ergebnis der Auswertung.

Die Bundesregierung begegnet dem Vorwurf der Missachtung ihrer selbst gesetzten Maßstäbe mit vier Argumenten.

1. Zum einen verweist sie darauf, dass sie nur den Einzelfall einer Rüstungslieferung im Hinblick auf die inhaltlichen Vorgaben zu prüfen habe. Das setze keine Bewertung der Verhältnisse insgesamt im Empfängerland voraus, was ohnehin gegen die Souveränität der Käuferstaaten verstoße.

2. Zum anderen habe die Bundesregierung nur die Bedingungen zum Zeitpunkt des Transfers zu beurteilen. Antworten auf die Frage, in wessen Hände das zu liefernde Rüstungsgut einmal gelangen und zu welchen Zwecken es in Zukunft eingesetzt werden könne, gehörten in das Reich der Spekulation.

3. Schließlich verweisen Regierungsvertreter in strittigen Fällen häufig auf obwaltende deutsche oder Bündnisinteressen, die Rüstungslieferungen an kritisch einzustufende Empfängerstaaten rechtfertigten, so z.B. im Fall von Ländern, mit denen man eine »strategische Partnerschaft« eingegangen ist oder die sich im Kampf gegen den Terrorismus oder die Piraterie engagieren. Gerade dieses Argument ist besonders dehnbar. So ist in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« von 2011 von der Absicht die Rede, zur eigenen Sicherheitsvorsorge Krisen und Konflikte auf Distanz zu halten und sich aktiv an deren Vorbeugung und Einhegung zu beteiligen.10 Äußerungen der Bundeskanzlerin lassen vermuten, dass dieses Ansinnen auch die Lieferung von Rüstungsgütern an Regionalmächte einschließen kann, die diese Aufgabe stellvertretend übernehmen.

4. Die letzte Rückzugsbastion besteht in dem Verweis, dass jede Ablehnung eines Ausfuhrantrages einer gerichtlichen Prüfung standhalten müsse. Angesichts der geringen Zahl der tatsächlich jährlich ausgesprochenen Ablehnungen ist jedoch davon auszugehen, dass sich deutsche Verwaltungsgerichte kaum damit zu befassen haben. So wurden im Jahr 2010 insgesamt 16.145 Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von 4,757 Mrd. Euro positiv beschieden. Ihnen standen 113 Ablehnungen im Wert von 8,1 Mio. Euro gegenüber. Wie stichhaltig auch immer die offiziellen Argumente sein mögen, sie demonstrieren zumindest das Ausmaß des Mantels, den die »Politischen Grundsätze« und ihre Handhabung über die Diskrepanz zwischen Wollen und Wirklichkeit breiten.

Bei der Verteidigung kontroverser rüstungsexportpolitischen Entscheidungen kommt der gegenwärtigen Bundesregierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit zugute, dass bereits in der rot-grünen Ära (1998–2005) das Volumen der erteilten Ausfuhrgenehmigungen um mehr als eine Milliarde Euro angewachsen war. Dazu hatten unter anderem umfangreiche Schiffslieferungen nach Südafrika, Exporte von U-Booten an Israel, Waffentransfers nach Griechenland und die Rüstungskooperation mit Südkorea beim Bau von U-Booten beigetragen. Auch während der Regierungszeit der Großen Koalition (2005-2009) hatten die deutschen Rüstungsexporte das Niveau mehr oder minder gehalten, gestützt durch ansteigende Nachfrage im Nahen und Mittleren Osten sowie in Südamerika. Zudem waren viele Transfers, die heute Protest auslösen, bereits in den Vorjahren durch positiv beschiedene Voranfragen auf den Weg gebracht worden. Insofern müssen zumindest die früheren Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit leben, wenn sie heute als parlamentarische Opposition einen expansiv erscheinenden Kurs bei der Genehmigung von Rüstungsausfuhren geißeln, ihre eigene Bilanz aber nicht besser aussah. Die »Politischen Grundsätze« von 2000 hatten dieser Entwicklung keinen wirksamen Einhalt geboten oder waren nicht in einem solchen Sinne genutzt worden.

Strukturellen Defiziten auf der Spur

Um die deutsche Rüstungsexportpolitik ist es nicht gut bestellt. Als Grund dafür sind strukturelle Ursachen zu benennen, die sich in fünf Widersprüchen bündeln:

Verbot vs. Erlaubnis

Art. 26, Abs. 2 des Grundgesetzes wie auch das Kriegswaffenkontrollgesetz von 1961 gehen von einem Verbot des Handels mit Rüstungsgütern aus. Deshalb erfordert jeder Transfer von Waffen eine staatliche Erlaubnis. Demgegenüber postuliert das Außenwirtschaftsgesetz den Primat des uneingeschränkten Handels. Der Staat behält sich zwar eine Genehmigung für den Handel mit Rüstungsgütern vor, deren Verweigerung bedarf jedoch einer rechtlich haltbaren Begründung. Diesem Widerspruch versucht die deutsche Rüstungsexportpolitik mit der Unterscheidung zwischen »Kriegswaffen« und »sonstigen Rüstungsgütern« zu entkommen. Für »Kriegswaffen« besteht kein Anspruch auf eine Ausfuhrgenehmigung, bei »Rüstungsgütern« besteht dagegen eine rechtlich garantierte Erwartung, mit ihnen – wenn auch mit Genehmigungspflicht – handeln zu können.

Inhaltliche Kriterien vs. formale Länderlisten

Bei den Kriterien, die die Genehmigung von Rüstungsausfuhren anleiten, konkurrieren inhaltliche und regionale Gesichtspunkte. Die inhaltlichen Kriterien reflektieren neben sicherheits- und friedenspolitischen Bedingungen auch Menschenrechtsstandards und entwicklungswicklungspolitische Orientierungen im Empfängerland. Die Länderlisten unterscheiden dagegen zwischen Käuferländern, in denen jede Ausfuhr als unbedenklich gilt, und solchen, bei denen die inhaltlichen Kriterien angewandt werden sollen. So genannte »deutsche oder Bündnisinteressen« hebeln aber diese Einschränkungen wieder aus.

Nationale vs. internationale Restriktionen

Die Entscheidung über Rüstungsexporte gehört zu den klassischen Prärogativen eines jeden Staates. Die Ausfuhr von Waffen und Rüstungsgütern gilt als legitimes Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik. Doch je stärker sich die Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Technologiepolitik der einzelstaatlichen Steuerungskompetenz entziehen, desto stärker wird der Bedarf, sich auf dem Feld der Rüstungsexportpolitik international abzustimmen. Im EU-Kontext weist die Verständigung der Mitgliedstaaten auf den »Gemeinsamen Standpunkt« zu Rüstungsausfuhren vom Dezember 2008 bereits in diese Richtung. Inzwischen ist der innereuropäische Rüstungshandel weitgehend liberalisiert. Welche Folgen das für eine strikte Kontrolle von Rüstungsausfuhren in Drittstaaten hat, ist derzeit unklar. Ebenso ist noch offen, ob es auf UN-Ebene zu einem global gültigen Vertrag zum Waffenhandel (Arms Trade Treaty) kommen wird – die vierwöchigen Verhandlungen in New York im Juli 2012 sind nach jahrelangen Vorbereitungen gescheitert – und ob dieser dann solche Erwartungen erfüllen wird.

Staatliche Verantwortung vs. privatwirtschaftliches Interesse

Rüstungstransfers vollziehen sich meist auf der Grundlage von staatlichen Abkommen. Hier versuchen Regierungen, Rüstungsgeschäfte mit politischen Absichten zu verbinden. Inzwischen dreht sich jedoch der Wind: Die Kosten für Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern steigen, die Produzenten und Exporteure sehen sich auf dem Weltrüstungsmarkt erheblicher Konkurrenz gegenüber. Das nutzen potentielle Käufer zu ihren Gunsten aus. Unter diesen Vorzeichen drängen die Rüstungsindustrie und ihre Lobbyisten die Regierungen, ihren Geschäftsinteressen den Weg zu bahnen.

Domäne der Regierungen vs. Transparenz und politische Partizipation

Ungeachtet der konstitutionellen Vorgaben parlamentarischer Demokratien halten Regierungen daran fest, dass rüstungsexportpolitische Entscheidungen in ihren alleinigen Verantwortungsbereich fallen. Entsprechend zögerlich gehen sie mit Informationen über Rüstungsgeschäfte um. Die Folge sind fehlende Transparenz und mangelhafte parlamentarische Partizipation. Regierungen sollen zwar in Demokratien für ihr Handeln gegenüber der Legislative verantwortlich sein, diese kann aber bei deutschen Rüstungsexporten ihrer Pflicht erst nachkommen, wenn die Transfers bereits vollzogen sind. Am Entscheidungsgang sind parlamentarische Gremien nicht beteiligt. Als Zeichen einer angemessenen parlamentarischen Würdigung der Rüstungsexportpolitik und einer effektiven Kontrolle des Regierungshandelns kann man dies nicht werten. Entsprechend rühren sich jetzt im Bundestag Initiativen, diese Missstände abzustellen. Oppositionsparteien verlangen von der Regierung, frühzeitig über sensible Geschäfte informiert zu werden.

Was ist zu tun?

Zwischen den hier beschriebenen Widersprüchen hat die deutsche Rüstungsexportpolitik lange navigieren können, ohne auf Grund zu laufen. Doch nun mehren sich die Zeichen, dass die Gewässer rauer werden. Die bislang einträgliche Symbiose zwischen Rüstungsindustrie und Politik gerät angesichts der Kürzungen von Militärausgaben ins Wanken: Aus ehemaligen Abnehmern von Rüstungsgütern werden Konkurrenten auf dem Weltrüstungsmarkt; die destruktiven Effekte früherer Waffenlieferungen in heutige Konfliktregionen sind unübersehbar; regionale Rüstungswettläufe, die Rüstungstransfers anheizen, wachsen sich zu globalen Sicherheitsbedrohungen aus. Damit ist das Moment zur Erneuerung der Grundlagen und Vollzüge der deutschen Rüstungsexportpolitik gegeben. Um diese demokratieverträglich zu gestalten und vorhandenen Normen Genüge zu tun, steht Folgendes an:

1. Die Rüstungsexportpolitik muss integraler Bestandteil einer kohärenten Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik werden. Ihr Stellenwert wird abgewertet, wenn man sie nur als Appendix einer Industrie-, Außenwirtschafts- oder Sicherheitspolitik behandelt.

2. Es greift zu kurz, die Rüstungsexportpolitik allein als Domäne der Exekutive anzusehen. Schon im Vorfeld anstehender Entscheidungen sind der Bundestag und damit implizit die Öffentlichkeit einzubeziehen. Rüstungsexportpolitik ist auch ein Ausweis für die Achtung demokratischer Standards im Außenverhalten eines Staates. Daher darf der Bundestag dieses Themenfeld nicht allein der administrativen Routine und der Einflussnahme von Lobbygruppen überlassen. Vielmehr muss er die Möglichkeiten einer inhaltlichen Auseinandersetzung erhalten.

3. Die Transparenz über Rüstungstransfers ist zu erhöhen. Einschlägige Daten müssen aussagekräftiger sein und zeitnahe mitgeteilt werden. Die Qualität der statistischen Erhebung ist zu verbessern. Zum Beispiel sind neben den tatsächlichen Ausfuhren von Kriegswaffen auch die Exporte von Rüstungsgütern insgesamt zu erfassen, von denen bislang nur die Genehmigungswerte bekannt werden. Dabei sind auch präzisere Informationen über Inhalte von Sammelausfuhrgenehmigungen und Re-Exporten vonnöten. Das Gleiche gilt auch für den Komplex der Sammelausfuhrgenehmigungen im Rahmen von Rüstungskooperationen und für den zunehmend relevanter werdenden Bereich militärbezogener Dienstleistungen.

4. Die Bekämpfung der Korruption ist zu intensivieren. Die verschiedenen im letzten Jahrzehnt in Deutschland geführten Gerichtsverfahren haben vermutlich nur die Spitze eines Eisberges aufgedeckt. Zugleich zeigen sie die Schwierigkeiten, mit rechtsstaatlichen Mitteln Ursachen und Praxis der Korruption zu Leibe zu rücken. Insgesamt verweist das Prozessgeschehen auf einen Verlust an ethischen Standards in Wirtschaft und Politik. Dies hat zur Skandalträchtigkeit der Rüstungsexportpolitik beigetragen.

5. Rüstungsexportpolitik ist längst nicht mehr im nationalen Alleingang zu gestalten. Dem widersprechen schon die grenzüberschreitenden Kooperationen der Rüstungshersteller. Deshalb sind eigenstaatliche Sonderwege zu beenden und entsprechende internationale Regelwerke auszubauen. Im Einzelnen ist eine Stärkung des »Gemeinsamen Standpunkts« der EU fällig. Seine Kriterien zeigen durchaus Sympathien für eine friedens- und sicherheitskonforme sowie entwicklungsverträgliche Rüstungsexportpolitik. Die Europäische Union sollte sich nicht nur für eine Koordination von Rüstungsforschung, -produktion und -beschaffung stark machen, sondern ihre »Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) auch auf die europäischen Rüstungstransfers im Sinne der Rüstungskontrolle ausdehnen. Ferner sind Ansätze, wie sie auf Ebene der Vereinten Nationen mit den Bemühungen um einen Waffenhandelsvertrag in Gang gekommen sind, weiter zu unterstützen. Das gilt auch für begleitende regionale Abmachungen.

Das alles wird nicht über Nacht geschehen, zumal die Rüstungsexportpolitik kein Gegenstand ist, mit dem sich große Meriten verdienen lassen. Umso entscheidender bleibt der Druck der Öffentlichkeit, um Regierung und Parlament zu einer Änderung der Verhältnisse zu veranlassen. Das Ärgernis der Rüstungsausfuhren mit ihren verhängnisvollen Auswirkungen auf die Chancen eines gewaltfreien Zusammenlebens von Menschen und Gesellschaften währt schon zu lange.

Anmerkungen

1) Näheres in: Bernhard Moltmann: Im Dunkeln ist gut munkeln oder: Die Not mit der Transparenz in der deutschen Rüstungsexportpolitik. Frankfurt am Main, HSFK-Standpunkte 1/2011.

2) Zusammengestellt nach Daten aus dem 9. Jahresbericht (2006) gemäß der operativen Bestimmung 8 des EU-Kodexes für Rüstungsexporte vom 26.10.2007, 10. Jahresbericht (2007) vom 22.11.2008, 11. Jahresbericht (2008) vom 6.11.2009, 12. Jahresbericht (2009)vom 13.01.2011, 13. Jahresbericht (2010) vom 30.12.2011. Quelle: ruestungs export.info.

3) Nach: Paul Holtom/Mark Bromley/Pieter W. Wezeman/Siemon T. Wezeman: Trends in International Arms Transfers 2011. SIPRI-Factsheet March 2012, S.1.

4) Nach: Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (2012): Rüstungsexportbericht 2011 der GKKE. Berlin/Bonn, S.33. Dort findet sich auch eine Abgrenzung zu den Angaben der Bundesregierung, die sich nur auf die Kategorie der Länder beziehen, die am wenigsten entwickelt sind (least developed countries) oder ein niedriges Einkommen je Einwohner aufweisen (other low income countries).

5) Im Jahr 2010 waren die wichtigsten deutschen Ausfuhrgüter laut »Rüstungsexportbericht 2010« der Bundesregierung Kriegsschiffe (eine Mrd. Euro), militärische Rad- und Kettenfahrzeuge (998,5 Mio. Euro) und militärische Elektronik (453,6 Mio. Euro) (Genehmigungswerte für Einzelausfuhren).

6) Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. In: Amtsblatt Nr. L 335 vom 13/12/2008 S.0099-0103.

7) Die »Politischen Grundsätze« sind dem jährlichen Rüstungsexportbericht der Bundesregierung jeweils als Anlage beigefügt.

8) Der Wortlaut der Fassungen von 1971 und 1983 findet sich in: Thomas Nielebock (Hrsg.) (1984): Rüstungsexport: Analysen – Daten – Stellungnahmen. Tübingen: Verein für Friedenspädagogik, S.161–164.

9) Details der Erhebungen unter ruestungsexport. info. Die Ergebnisse finden sich in: Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung: GKKE-Rüstungsexportbericht, Bonn/Berlin, 2007, S.41 – 2008, S.47 – 2009, S.41 – 2010, S.61 – 2011, S.43.

10) Bundesministerium der Verteidigung: Verteidigungspolitische Richtlinien: Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten. Berlin, 18. Mai 2011, S.5.

Dr. Bernhard Moltmann ist Gastforscher an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und war von 1996 bis 2012 Vorsitzender der Fachgruppe Rüstungsexport der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE).

Waffenhandel im syrischen Bürgerkrieg

von Siemon T. Wezeman

Der Bürgerkrieg in Syrien zeigt, wie schwierig es ist, innergesellschaftliche Konflikte durch ein Waffenembargo zu stoppen. Trotz der dokumentierten Brüche des humanitären Völkerrechts durch die Regierungsstreitkräfte (wie auch durch die Streitkräfte der Rebellen) wurde die Verhängung eines Waffenembargos durch den UN-Sicherheitsrat von Russland und China blockiert. Und dies, obwohl sie im Falle Libyens zu solchen Sanktionen bereit gewesen waren und obwohl sich die arabischen Staaten eindeutig für ein UN-Embargo stark machen. Doch selbst wenn sich der UN-Sicherheitsrat auf ein Embargo einigen könnte, würde es, wie in fast allen anderen vergleichbaren Fällen, wohl nur wenig zu einem raschen Ende der Kämpfe beitragen. Die meisten Waffen der syrischen Regierungstruppen und der Rebellen wurden schon vor Jahren überwiegend im Ausland beschafft. Bei den Lieferungen von Großwaffen, die das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI in den letzten vier Jahren (2008-2011) identifizieren konnte, handelt es sich überwiegend um Luftverteidigungs- und Anti-Schiffsysteme – sämtlich Waffen, die nicht für interne Konflikte taugen, denen aber im Falle einer Intervention ausländischer Mächte à la Libyen eine wichtige Rolle zukäme.

Waffen aus Russland …

Syrien hat sich seit Mitte der 1950er Jahre die meisten seiner Waffen bei der Sowjetunion und einigen ihrer osteuropäischen Alliierten beschafft. Nach dem Ende des Kalten Krieges verblieben Syrien nur wenige Optionen, um an Waffen zu kommen. Die syrisch-russischen Beziehungen waren u.a. deshalb belastet, weil Russland insistierte, dass Syrien zunächst einmal die Kredite für die Waffeneinkäufe aus der Zeit des Kalten Krieges zurück zahlt, bevor über neue Waffenlieferungen geredet wird. Andere ehemalige Lieferländer aus dem Warschauer Pakt waren ebenso wenig bereit, Syrien weitere Kredit zu gewähren. Die syrischen Importe von Großwaffen fielen daher ab 1991 deutlich und betrugen in den 1990er Jahren nur elf Prozent der Importe der 1980er Jahre. Syrien fiel von Rang fünf der größten Waffenimporteure (1980–1989) zunächst auf den 36. Rang (1990-1999) und dann auf den 56. (2000-2009). In dieser letzten Phase fielen die Waffenimporte im Vergleich zu den 1980er Jahren auf vier Prozent, und Syrien lag beim Waffenimport knapp hinter Sri Lanka und knapp vor Georgien.

Allerdings stiegen die Importe ab 2008 beträchtlich, nachdem Syrien die alten Kredite beglichen hatte und wieder zu einem wachsenden Markt für russische Waffen wurde. Allein im Jahr 2008 wurden mehr Waffen importiert als in den gesamten zehn Jahren zuvor, und dieses Importniveau blieb bis 2011 mehr oder weniger konstant.

Auf Russland entfielen von 2008-2011 72% der Großwaffenimporte Syriens. Russland lieferte u.a. geschätzte 36 Luftverteidigungssysteme des Typs 96K9Pantsyr-S1 und zwei des Typs 9K40 Buk/SA-17 sowie zwei Küstenschutzsysteme des Typs K-300P Bastion-P. Außerdem wurden syrische Waffen in Russland aufgerüstet oder überholt, beispielsweise mehrere Mi-25-Kampfhubschrauber. Weißrussland lieferte im Zeitraum 2008-2011 17% der syrischen Waffenimporte, darunter 33 gebrauchte MiG-23-Kampfflugzeuge. Auf den Iran entfielen 9%, er lieferte ein Küstenschutzsystem des Typs Noor.

Syrien vergab weitere Aufträge für Großwaffen an Russland, darunter im Jahr 2007 für 24 MiG-29M2-Kampfflugzeuge und im Jahr 2011 für leichte Kampfflugzeuge des Typs Yak-130. Mit diesen Aufträgen wurde Syrien als Kunde wichtig genug, dass vermutet werden darf, Russlands Zurückhaltung, Waffenlieferungen zu stoppen, und auch sein Veto gegen das UN-Waffenembargo sei zumindest teilweise der Sorge geschuldet, nach Libyen, Iran und Nordkorea einen weiteren Markt zu verlieren. Der Generaldirektor von Russian Technologies äußerte Ende 2011, Syrien in Notzeiten fallen zu lassen würde einen falschen Eindruck von Russlands Zuverlässigkeit als Lieferant vermitteln. Offiziell behaart Russland darauf, durch die Lieferung weiterer Waffen würden keine völkerrechtlichen Regeln verletzt, und behautet überdies, dass die Waffen zur Selbstverteidigung dienen oder nicht gegen Zivilisten eingesetzt werden können. Für die Luftverteidigungs- und Küstenschutzsysteme ist diese Aussage korrekt, sie ist aber zweifellos nicht wahr für die modernisierten syrischen Mi-25-Hubschrauber, die im Sommer 2012 geliefert wurden: Genau solche Fluggeräte wurden in verschiedenen Städten beim Einsatz gegen die Rebellen beobachtet. Offensichtlich führte internationaler Druck dazu, dass Russland Anfang Juli 2012 erklärte, keine neuen Waffen an Syrien zu liefern, bis sich die Situation stabilisiere.

Es ist schwierig, zuverlässige Daten zu syrischen Bestellungen für Großwaffen bei anderen Lieferanten zu finden. Das gleiche gilt für die Bestellung und Lieferung von Handfeuer- und Kleinwaffen und Munition, die in dem Konflikt die Hauptrolle spielen. Seit Beginn des Konflikts wurden etliche russische Waffenlieferung identifiziert. Einige der Schiffe, so wird vermutet, transportierten Munition.

… und anderen Ländern

Auch der Iran wurde als Lieferant sowohl von Großwaffen als auch von Handfeuer- und Kleinwaffen identifiziert. Diese Lieferungen wurden trotz der UN-Resolution vom März 2007, die ein Verbot des Kaufs iranischer Waffen verhängte, fortgesetzt. Im August 2012 beschuldigte die US-Regierung Iran, auch Trainings für syrische Regierungsmilizen durchzuführen. Es ist nur wenig über den Umfang dieser Handelsbeziehungen bekannt, doch wurden mehrmals iranische Waffen abgefangen, die zu Luft, Land oder See transportiert wurden, darunter Panzermunition, Gewehre, Maschinengewehre, Granatwerfermunition und Explosionsstoffe. Selbst das syrische Fernsehen trug einen Beleg für iranische Rüstungslieferungen bei, als es Ende 2011 den Start eines Anti-Schiff-Flugkörpers zeigte. Dieser konnte als Marschflugkörper C-802 identifizierte werden und wurde vermutlich kurz zuvor vom Iran geliefert; C-802 ist eine chinesische Entwicklung, wird auch im Iran produziert und dort als »Noor« bezeichnet.

China, das sich zusammen mit Russland gegen ein UN-Waffenembargo stemmt, hat Syrien in jüngster Zeit ebenfalls mit Waffen beliefert. Dies wurde erst bekannt, als Rebellen Mitte 2012 einige moderne chinesische Radaranlagen erbeuteten. (Daher ist die Behauptung nicht ganz unplausibel, dass die C-802, deren Lieferung Iran zugeordnet wird, in Wirklichkeit direkt aus China stammt.)

Es wurde außerdem berichtet, dass Syrien in Kontakt mit Weißrussland ist, um eine eigene Serienfertigung für technisch anspruchsvolle Kreiselkompasse für Boden-Boden-Raketen aufzubauen. Syrien hat bereits mehrere Typen derartiger Raketen gebaut, deren Blaupausen vermutlich aus Nordkorea und Iran stammen, höchstwahrscheinlich mit Unterstützung und unter Verwendung von Komponenten aus den beiden Ländern.

Es sind weitere Länder bekannt, die seit 2008 Waffen an Syrien geliefert haben: 2001 lieferte die Ukraine 4.000 Automatikgewehre. EU-Mitgliedsländer hingegen waren im Waffenhandel mit Syrien nicht sehr aktiv. Gemäß offiziellen EU-Daten wurden zwischen 2008 und 2010 kleine Lieferungen von Gütern mit Exportlizensen aus Griechenland, Großbritannien, Irland und Italien abgewickelt. Exportlizenzen werden aber auch für Dual-use-Geräte benötigt, die für nicht-militärische Zwecke vorgesehen sind. Nur im Falle Italiens ist klar, dass Lieferungen konkret militärischer Art waren: Italien lieferte zwischen 1998 und 2009 Feuerleitsysteme für die Aufrüstung von mindestens 122 syrischen T-72-Panzern.

Waffenlieferungen an syrische Rebellen

Über die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die verschiedenen Rebellenstreitkräfte ist wenig bekannt. Die Medien berichten, dass das meiste Gerät, das von Rebellen eingesetzt wird, von den Streitkräften der syrischen Regierung erbeutet wurde oder aus Privatbesitz stammt. Doch einige Länder in der Region, einschließlich Katar, Saudi-Arabien und die Türkei, wurden in Medienberichten als Lieferanten von Waffen und Kommunikationsgeräten genannt, überdies sollen sie die Rebellen mit Geheimdienstinformationen versorgen. Etliche arabische Länder haben deutlich zu erkennen gegeben, dass die Bewaffnung der Rebellen eine Option ist, es ist bislang aber unklar, in welchem Umfang sie der Ankündigung tatsächlich Taten folgen ließen. Als in der Schweiz hergestellte Handgranaten in den Händen der Rebellen entdeckt wurden, war immerhin klar, dass zumindest einige Waffen geliefert wurden. Sie stammen aus einem Kontingent, das einige Jahre zuvor an die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert worden war. Außerdem wurde berichtet, dass auch Kommunikationsgeräte von arabischen Staaten geliefert wurden.

Die USA gaben zu, die Rebellen mit »nicht-tödlicher Ausrüstung« zu unterstützen und, so wurde berichtet, als Koordinator für die Lieferung arabischer Waffen an die Rebellen zu fungieren. Nach anderen Berichten koordinieren die USA und die Türkei den Waffennachschub über die Türkei. Es wird vermutet, dass Waffen und anderes Gerät auch über die Nachbarländer Libanon, Irak und Jordanien zu den Rebellen gelangen. Angesichts der durchlässigen Grenzen und den großen Waffen- und Ausrüstungsvorräten, die im Libanon und Irak nicht unter der Kontrolle der Regierung stehen, sind solche Lieferungen höchst wahrscheinlich.

Siemon T. Wezeman ist Senior Fellow des Arms Transfer Programme von SIPRI. Seine Expertise erstreckt sich vor allem auf die Überwachung und Transparenz des Waffenhandels, insbesondere im asiatischen Teil des Pazifischen Ozeans und Nordamerika, Militärtechnologie und den Einsatz von Waffen in Konflikten. Aus dem Englischen übersetzt von Herbert Wulf

Griechische Rüstung

von Jerry Sommer

Seit vielen Jahren bekennen sich die NATO-Staaten bei ihren Gipfeltreffen zu dem Ziel, jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben. Doch nur wenige setzen dieses Ziel auch um. Darunter sind die USA, Frankreich, Großbritannien – und Griechenland. Die Hellenen, die heute gegen einen Staatsbankrott kämpfen, gaben laut NATO in den 1990er Jahren im Schnitt über vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär aus, 2000-2010 waren es rund drei Prozent.1 Demgegenüber lagen die Rüstungsausgaben der europäischen NATO-Mitglieder im vergangenen Jahrzehnt im Durchschnitt nur bei rund 1,8%.

Die NATO und ihre Mitgliedsstaaten haben sich in der Vergangenheit nicht über ihren vermeintlichen europäischen Musterknaben Griechenland beschwert, und internationale Rüstungskonzerne haben von den hohen Militärausgaben profitiert. In den letzten zwölf Jahren (2000-2011) hat Griechenland größere Rüstungsgüter im Wert ca. 15 Milliarden Euro importiert.2 Die größten Lieferländer waren mit 41% die USA, gefolgt von Deutschland (23%) und Frankreich (12%). Insbesondere Kampfflugzeuge, Schiffe – hier besonders U-Boote – sowie gepanzerte Fahrzeuge und Kampfpanzer wurden an Griechenland verkauft.

Deutschland lieferte neue und aufgerüstete gebrauchte Panzer, insgesamt 333 Stück. Die Gesamtkosten dieses Geschäfts mit Krauss-Maffei Wegmann (KMW) sollen sich inklusive aller Extras und Spezialpanzerungen auf 1,7 Mrd. Euro belaufen haben.3 Noch größer war ein Deal mit Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW, Teil des Werftverbundes ThyssenKrupp Marine Systems) über insgesamt 2,8 Mrd. Euro, der in zwei Tranchen 2000 und 2002 vereinbart wurde. Er sah die Lieferung von vier neuen U-Booten der Klasse 214 sowie die Modernisierung von drei gebrauchten U-Booten vor.

Inzwischen sind die Zeiten vorbei, in denen das griechische Militär aus dem Vollen schöpfen konnte. Die Schuldenkrise und die von der Troika (Europäische Union, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfond) bestimmte drastische Sparpolitik wirken sich nicht nur auf Löhne, Gehälter, Sozialausgaben und zivile staatliche Investitionen aus. Entgegen manch schlecht recherchierter Medienartikel (zum Beispiel auch in »Die Zeit«, in der es Anfang 2012 hieß: „An diesen beiden Bereichen [Militär und Rüstungsindustrie] ist nämlich noch jedes Sparpaket beinahe spurlos vorübergegangen“)4 sind auch die Rüstungsausgaben erheblich zurückgefahren worden.

Der Rüstungshaushalt Griechenlands ist laut Angaben der griechischen Regierung von 6,32 Mrd. Euro im Jahre 2009 auf 3,75 Mrd. Euro 2012 gesunken.5 Das ist eine Reduzierung um 41%. Die NATO und das Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI gehen zwar von höheren Ausgangszahlen aus,6 doch der Trend ist eindeutig: Die griechischen Rüstungsausgaben sind zwischen 2009 und 2011 nach NATO-Berechnungen um 37%, nach SIPRI-Berechnungen um 24% geschrumpft.

Noch immer gab Griechenland 2011 damit laut NATO mit 2,1% einen höheren Anteil seines Bruttoinlandsprodukts für Rüstung aus als der Durchschnitt der europäischen NATO-Länder (2011: 1,6%). Doch eine weitere Angleichung ist zu erwarten. Bei dem erneuten Sparprogramm der griechischen Regierung für 2013/14, das gegenwärtig ausgearbeitet wird, sind weitere Kürzungen in Höhe von mindestens 500 Mio. Euro gegenüber den bisherigen Haushaltsansätzen im Gespräch.7

Massive Kürzungen im Militärhaushalt…

Die Kürzungen wurden folgendermaßen erreicht: Zum einen wurden durch eine Senkung der Löhne und Gehälter der Militärangehörigen (auch wenn diese nicht so stark ausgefallen ist wie bei den zivilen Staatsbediensteten) die Personalkosten von 2,4 Mrd. Euro im Jahre 2009 auf 2,13 Mrd. Euro 2012 gesenkt.8 Zum anderen wurden die Betriebskosten erheblich zusammengestrichen: von 1,6 Mrd. Euro 2009 auf unter eine Milliarde Euro 2012.9 Es werden weniger Übungen durchgeführt, und bei den jährlichen Militärparaden zum griechischen Nationalfeiertag nehmen weder Panzer noch Kampfflugzeuge teil, um Benzin zu sparen.

Zurückgefahren wurde auch die griechische Beteiligung an NATO-Einsätzen. Im Kosovo wird die Zahl der Soldaten von 670 auf 147, in Afghanistan von 171 auf 43 reduziert. Einsparungen pro Jahr: 90 Mio. Euro. Ebenfalls werden die Militärattaches aus zahlreichen griechischen Botschaften abgezogen. Einsparungen: 22 Mio. Euro.10

Die größten Einsparungen wurden allerdings bei der Beschaffung von Ersatzteilen und neuen Waffensystemen vorgenommen. Betrugen diese Kosten 2009 2,2 Mrd. Euro, lagen sie 2010 nur bei einer Mrd. Euro, 2011 bei 359 Mio. Euro.11 Für 2012 sind zwar 700 Mio. Euro im Haushalt vorgesehen, doch in den ersten sieben Monaten des Jahres wurden nur 143 Mio. Euro für Rüstungsbeschaffungen ausgegeben.12 Deshalb ist zu erwarten, dass – wie schon in den vergangenen Jahren – der Haushaltsansatz für Rüstungsbeschaffungen erneut deutlich unterschritten wird.

Vor einigen Jahren plante Athen noch, 40 neue Kampfflugzeuge, vier neue französische Fregatten und 450 russische Schützenpanzer zu kaufen. Gesamtwert: über zehn Mrd. Euro.13 Diese Pläne liegen nun auf Eis und sind auf absehbare Zeit nicht umsetzbar. Die Rüstungsfirmen reagieren unterschiedlich auf die neue Situation. Das Eurofighter-Konsortium hat im Dezember 2011 sein Verbindungsbüro in Athen geschlossen. Frankreich hingegen schlug vor, die vier Fregatten zu liefern, aber die Bezahlung auszusetzen, bis Griechenland wieder Geld in der Kasse hat. Doch auch dieses Angebot wollte die griechische Regierung bisher nicht aufgreifen.

… und Neuausrichtung der Verteidigungspolitik

Trotz dieser Kürzungen geht der gegenwärtige griechische Verteidigungsminister Abramopoulos (Nea Dimokratia) davon aus, dass die militärische Stärke und Kampffähigkeit der griechischen Streitkräfte nicht beeinträchtigt sind: „Einige könnten denken, dass Griechenland wegen der wirtschaftlichen Krise auch militärisch geschwächt ist. Doch das ist nicht wahr. Mit Professionalität, Opferbereitschaft und hoher Motivation garantieren unsere Truppen die Unabhängigkeit und territoriale Integrität unseres Landes.“ 14

Auch wenn diese Aussage sicherlich politisch bedingt ist – was soll ein Verteidigungsminister auch anderes sagen? –, so deutet sie doch auf den »Speck« hin, den die griechischen Streitkräfte in den vergangenen Jahrzehnten angesammelt haben.

Auch der vorherige Verteidigungsminister Panos Beglitis (PASOK) hatte 2011 erklärt: „Es mag paradox klingen, ist aber die Wahrheit. Weder die Kürzungen der Betriebsausgaben noch der Rüstungsbeschaffung haben einen negativen Einfluss.“ 15 Zum einen werde die Sicherheit Griechenlands durch Diplomatie und die Bündnisbeziehungen in der EU und der NATO gesichert, erklärte Beglitis. Und zum anderen wären die bisherigen Rüstungsausgaben keineswegs immer sinnvoll gewesen: „Ich habe nie daran geglaubt, dass allein das Geld eine Armee stark macht. In den letzten 40 Jahren war die Armee ein kleiner Staat im Staate. Es gab keinerlei parlamentarische Kontrolle. Im Parlament haben wir alle ohne Diskussion für die Rüstungshaushalte gestimmt.“ 16

Intern bereitete Beglitis 2011 eine Neuausrichtung der Verteidigungspolitik vor. Grundlegende Veränderungen seien in Bezug auf die Wahrnehmung der Sicherheitslage, der Struktur der Streitkräfte und der Verteidigungsstrategie notwendig. Das hält auch Thanos Dokos, der Leiter des außenpolitischen Think-Tanks »Heliamep« in Athen, für überfällig: „Das Militär geht immer noch von Plänen aus, die aus dem Kalten Krieg oder gar aus dem Bürgerkrieg stammen.“ 17

Allerdings wurde diese Reformdiskussion im Herbst 2011 mit der Formierung einer neuen Regierung vorerst beendet und auch nach den Wahlen 2012 nicht wieder aufgenommen.

Deshalb soll es in Griechenland noch immer etwa 500 militärische Standorte geben.18 So sind auf dem Peloponnes wie im Norden und Nordwesten Griechenlands Truppen stationiert, weil nach wie vor von einer »kommunistischen Gefahr« ausgegangen wird – obwohl Albanien und Bulgarien inzwischen Mitglieder der NATO sind und es auf dem Peloponnes keine kommunistischen Partisanen mehr gibt. Gegen eine Zusammenstreichung der Standorte gibt es Widerstand von den betroffenen Kommunen und aus den Streitkräften selbst.

Weiteres Einsparungspotential besteht auch beim Umfang der Streitkräfte. Diese haben eine Stärke von 124.000 bis 140.000 Mann.19 Etwa ein Drittel davon sind Wehrpflichtige. Zum Vergleich: Deutschland soll mit seinen 80 Millionen Einwohnern nach der geplanten Bundeswehrreform ca. 180.000 Soldaten haben – nur 40.000 bis 60.000 mehr, als Griechenland mit seinen elf Millionen Einwohnern gegenwärtig besitzt.

Eine grundlegende Strukturreform und eine einschneidende Reduzierung der Streitkräfte sind gegenwärtig in Griechenland nicht auf der Tagesordnung, obwohl damit zumindest mittelfristig die Rüstungsausgaben weiter gesenkt werden könnten. Auch die linke Oppositionspartei SYRIZA, die prinzipiell seit Jahren eine Kürzung der Rüstungsausgaben befürwortet, hat bisher keine konkreten Vorschläge vorgelegt: Sie sehe sich dazu bisher wegen fehlender Informationen nicht in der Lage.

Hauptbedrohung Türkei?

Angebracht wäre auch eine Neubestimmung der »Bedrohungslage« Griechenlands. Denn obwohl beide Länder Mitglieder der NATO sind, richtet sich die griechische Militärpolitik seit Jahrzehnten vor allem gegen die Türkei.

Tatsächlich gibt es Streitpunkte, zum Beispiel den Konflikt um das geteilte Zypern, Meinungsverschiedenheiten über den Verlauf des Festlandsockels in der Ägäis und über die Zuordnung einzelner kleinerer Inseln, über die Höhe des nationalen Luftraums, den Griechenland auf zehn Meilen beansprucht, während die Türkei ihn nur bis sechs Meilen anerkennt. Auch hatten hochrangige türkische Militärs, die inzwischen wegen Umsturzkomplotten vor Gericht stehen bzw. jüngst verurteilt wurden, Pläne für Angriffe und Überfälle auf griechisches Territorium ausgearbeitet. Diese sollten als Vorwand für einen internen Staatsstreich gegen die Regierung Erdogan dienen.

Doch im letzten Jahrzehnt wurde in der Türkei die Macht des Militärs deutlich eingeschränkt. Die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung ist überdies aufgrund der Nachbarschaftspolitik und der EU-Orientierung der Regierung Erdogan erheblich zurückgegangen. Das allerdings wird in der griechischen Bevölkerung wie in der politischen Elite oft nicht wahrgenommen und spiegelt sich auch nicht in einer entsprechend veränderten Militärstrategie wider. Auch der Direktor des Think-Tanks »Heliamep«, Thanos Dokos, hält die Grundannahmen bisheriger griechischer Verteidigungspolitik für überholt: „Sollten wir uns vorbereiten auf einen großen Krieg oder nur auf einen heißen Zwischenfall? Für einen großen Krieg bräuchten wir natürlich ganz andere Streitkräfte und Waffensysteme. Aber selbst wenn die Türkei nicht der EU beitreten sollte, ist es im 21. Jahrhundert unwahrscheinlich, dass es zu einem großen Krieg zwischen Griechenland und der Türkei kommen wird.“ 20

Dennoch gehen die militärischen Planungen immer noch von einem möglichen Einmarsch der Türkei in Griechenland aus. So baut das griechische Militär seit 2009 einen 120 Kilometer langen Wassergraben mit dreißig Meter Breite und sieben Meter Tiefe, der sich entlang der gesamten Grenze mit der Türkei bis zum Mittelmeer erstrecken soll. Damit soll ein Panzervormarsch der Türkei über den Evros aufgehalten werden. Begründet wird das Vorhaben mit dem Ankauf von neuen amphibischen Brückenfahrzeugen durch die Türkei. Der Bau des Kanals dürfte mehrere Dutzend Millionen Euro kosten.

Weiteres Einsparpotential bei Waffenimporten

In gewissem Umfang sind weitere Einsparungen auch bei der Rüstungsbeschaffung möglich. So hat Griechenland 2010 als dritte Tranche des U-Boot-Deals von 2000 und 2002 zwei zusätzliche moderne U-Boote bestellt. Diese sollen nach den Blaupausen der Kieler HDW auf der Werft Hellenic Shipyards in Skaramagkas bei Athen gebaut werden. Damit würden sich die Gesamtkosten des Deals soweit öffentlich bekannt von 2,8 auf 3,3 Mrd. Euro erhöhen,21 von denen Griechenland circa 2,5 Mrd. Euro schon bezahlt hat. Militärisch sind die neu bestellten U-Boote „überflüssiger Luxus“ (Thanos Dokos)22.

Allerdings hat HDW 2011 den neuen U-Boot-Vertrag gekündigt, ohne wohl weitere Geldforderungen an die griechische Regierung zu stellen. Es ist auch noch gar nicht mit dem Bau der neuen U-Boote begonnen worden. Die griechische Regierung hält verbal zwar an dem Auftrag für die zwei neuen U-Boote fest, überweist aber seit Mitte 2011 keine weiteren Gelder mehr. Angesichts der Finanzlage Griechenlands wird es wohl bei dieser Situation bleiben. Dadurch kann der griechische Staat geplante Rüstungsbeschaffungskosten in Höhe von 800 Mio. Euro vermeiden.

Einsparungen könnten auch erreicht werden, wenn andere Verträge gekündigt würden, bei denen die Auslieferung noch nicht erfolgt ist.23 Die entsprechenden Rüstungsfirmen müssten von ihren Regierungen gedrängt werden, auf eventuelle Konventionalstrafen zu verzichten. Das käme in Frage für 17 französisch-deutsch-italienische Transporthubschrauber vom Typ NH-90-TTH, die 2003 bestellt wurden und 2011-2015 ausgeliefert werden sollen. Der ursprüngliche Kaufpreis für 20 Hubschrauber belief sich auf 546 Millionen Euro. Sie werden alle in Lizenz in Griechenland hergestellt.

Des Weiteren wurden 2008 zwei »Super Vita«-Angriffsschnellboote im Wert von 299 Mio. Euro in Großbritannien bestellt. Auch sie sollen in der Werft in Skaramagkas gebaut werden und wurden ebenso wie die dazugehörigen Waffensysteme bisher nicht ausgeliefert.24

Die griechischen Streitkräfte kaufen in geringem Umfang auch weiterhin Ersatzteile und neue Waffensysteme an. So wurden 2010 50 Lasersteuerungen für Präzisionswaffen in den USA geordert, von denen erst 25 an Athen geliefert sind. Ein Vertrag mit Israel für den Ankauf von Lasersteuerungen des Typs »Spice« im Wert von 100 Mio. Euro wurde 2011 ausgearbeitet, ist aber wohl noch nicht unterschrieben. Auch möchte das griechische Militär Panzermunition im Wert von 120 Mio. Euro für den Leopard-Panzer kaufen. Auch hierfür wurde noch kein politischer Beschluss gefasst.

Insgesamt ist deutlich, dass trotz der bereits erfolgten starken Reduzierung der griechischen Rüstungsausgaben weitere Einsparungen möglich sind. Auch wenn sich griechische Militärs dagegen stemmen, ist es wegen der desolaten Haushaltslage des Landes wahrscheinlich, dass weitere Streichungen zumindest in gewissen Umfang auch beschlossen werden. Eine grundlegende Reform der Militärstruktur wie auch der Militärstrategie ist jedoch unwahrscheinlich. Eine solche würde jedoch nicht nur Kosten einsparen, sondern, sofern man für Standorte und Militärangehörige eine soziale Abfederung einplant, für Konversionsmaßnahmen kurzfristig auch neue Kosten verursachen.

Anmerkungen

1) NATO: Financial and economic data relating to NATO defence. Press Release, 13 April 2012, S.6. Siehe auch Jan Grebe und Jerry Sommer: Griechenland: Hohe Militärausgaben trotz Finanzkrise. BICC-Fokus 9, 2010, S.1f.

2) Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI): Arms Transfer Database. Die Summe von rund 15 Mrd. Euro ergibt sich aus der Zusammenzählung der in jeweils aktuelle Dollar umgerechneten jährlichen Angaben von SIPRI durch den Autor. Die tatsächlichen Zahlungen für diese Rüstungsexporte können höher oder niedriger liegen, zum Beispiel wegen Schenkungen.

3) Der Spiegel: Ein paar Millionen draufschlagen. 10. Mai 2010.

4) Claas Tatje: Schöne Waffen für Athen. In: Die Zeit vom 7. 1 2012. Dort wurde sogar behauptet: „Der Sozialetat schrumpft, der Verteidigungshaushalt aber steigt.“ Ähnlich ungenaue bzw. falsche Angaben waren im Frühjahr 2012 u. a. in Stern-Online, der Frankfurter Rundschau und im Kölner Stadtanzeiger zu finden.

5) Angaben zu 2009 im Haushaltsplanentwurf Griechenlands 2011, Athen November 2010. Laut Haushaltsentwurf 2012, Athen, November 2011, S.75, waren für 2012 ursprünglich 4,155 Mrd. Euro budgetiert. Im Februar/März wurde der Rüstungshaushalt 2012 durch das neue Abkommen mit der »Troika« und die anschließenden Beschlüsse des griechischen Parlaments um weitere 400 Mio. Euro auf 3,755 Mrd. Euro reduziert. Von Januar bis Juli 2012 hatte das Verteidigungsministerium Ausgaben in Höhe von 1,89 Mrd. Euro getätigt (siehe Griechisches Finanzministerium: Ausführung des Staatshaushaltes, Monatlicher Bericht, Juli 2012. August 2012, S.5). Damit wurde 2012 in den ersten sieben Monate weniger als die Hälfte der budgetierten Gelder ausgegeben, vor allem, weil die Ausgaben für Rüstungsbeschaffungen deutlich unter dem Planansatz lagen.

6) NATO, op.cit., S 4; die entsprechenden Zahlen lauten 7,3 Mrd. Euro für 2009 und 4,6, Mrd. Euro für 2011. SIPRI: SIPRI Yearbook 2012. Oxford: Oxford University Press, 2012, S.193. SIPRI gibt folgende Zahlen an: 7,6 Mrd. Euro für 2009, 5,8 Mrd. Euro für 2011.

7) Package foresees 4.5 bln euros in pension cuts. Englische Ausgabe der Tageszeitung »Kathimerini«, 30.8.2012; ekathimerini.com.

8) Die Zahl für 2009 gab der damalige Verteidigungsminister Evangelos Venizelos in einer Rede im Parlament am 23.12.2009 an. Zur Haushaltsplanung für 2012 siehe Rede von Verteidigungsminister Dimitri Avramopoulos am 4.12.2012. Laut NATO-Angaben (op.cit., S.8), die auch die Pensionen ehemaliger Militärs berücksichtigen, sind die Personalkosten von 4,1 Mrd. Euro 2009 auf 3,4 Mrd. Euro 2011 reduziert worden.

9) Siehe Artikel in »Kathimerini«, op.cit., sowie Rede von Verteidigungsminister Evangelos Venizelos vom 23.12.2009, op.cit.

10) Weniger griechische Soldaten bei internationalen Missionen. Artikel in der griechischen Ausgabe der Tageszeitung »Kathimerini«, 24.12.2011; kathimerini.gr.

11) Griechisches Finanzministerium, op.cit., S.2.

12) Ibid.

13) Vgl. Jan Grebe/Jerry Sommer,. op.cit., S 4.

14) Zit. nach einer Presserklärung des griechischen Verteidigungsministeriums vom 6. April 2012: Defence Minister’s Mr. Dimitris Avramopoulos statement following the completion of the exercise »PYRPOLITIS«; mod.gr.

15) Rede des damaligen Verteidigungsministers Panos Beglitis bei einer Zusammenkunft der griechischen Botschafter, Athen, 28. Juli 2011.

16) Ibid.

17) Thanos Dokos, Direktor des griechischen Forschungsinstitutes Heliamep (Hellenic Foundation for European and Foreign Policy), Gespräch mit dem Autor, 20. Juni 2011.

18) Anzahl nach Wassilis Oikodomou, Abgeordneter der kleinen Regierungspartei »Demokratische Linke«, im Gespräch mit dem Autor, Athen, 7. August 2012.

19) Das griechische Verteidigungsministerium veröffentlicht keine aktuellen Zahlen. Nach Angaben des britischen Think-Tanks International Institute for Strategic Studies (IISS) hatte Griechenland 2011 145.647 Mann unter Waffen (ca. 7.000 mehr als 2010); siehe IISS: Military Balance 2012., London, 2012, S.121. Demgegenüber geht die NATO (op.cit., S.10) von einem Rückgang von 128.000 in 2010 auf 124.000 in 2011 aus.

20) Thanos Dokos, op.cit.

21) Diese Zahlen sind in dem von ThyssenKrupp, HDW, Abu Dhabi Mar und der griechischen Regierung unterschriebenen und veröffentlichten Vorvertrag (Framework Agreement) vom 18. März 2010 enthalten; defencenet.gr/defence/media/pdf_2.pdf). Es ist nicht öffentlich bekannt, ob im endgültigen Vertrag vom September 2010 andere Vereinbarungen getroffen wurden.

22) Thanos Dokos, op.cit.

23) Angaben über ausstehende Lieferungen nach SIPRI Arms Trade Register: Greece: Transfers of major conventional weapons: sorted by supplier. Deals with deliveries or orders made for year range 2008 to 2011.

24) Ob mit dem Bau in Skaramagkas überhaupt begonnen wurde bzw. wie weit er fortgeschritten ist, ist unklar. Auch gibt es Berichte, nach denen das britische Unternehmen BAE Systems im März 2011 den Vertrag wegen griechischer Zahlungsunregelmäßigkeiten gekündigt hat.

Jerry Sommer ist freier Journalist und Research Associate am Bonn International Center for Conversion (BICC).