Dossier 12

Verbreitung von Atomwaffen. Der NPT-Vertrag 1995

von Richard Guthrie, Wolfgang Liebert, Martin Kalinowski

zum Anfang | Die Ausbreitung von Kernwaffen verhindern. Der Nichtverbreitungsvertrag und seine Verlängerung im Jahr 1995

von I. Richard Guthrie et al

I. Einleitung

Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen steht im Mittelpunkt des herrschenden Systems atomarer Begrenzung, das sich seit Beginn des Atomzeitalters entwickelt hat. Als der Vertrag Ende der sechziger Jahre ausgehandelt wurde, beschloß man, daß er zunächst 25 Jahre lang gelten solle. Die Konferenz, auf der über die Zukunft des Nichtverbreitungsvertrags entschieden werden soll, wird 1995 stattfinden, aber noch gibt es keine Garantie für seine Verlängerung.

Es herrscht weitgehende Einigkeit darüber, daß die Welt ohne den Nichtverbreitungsvertrag ein weitaus gefährlicherer Ort wäre. Doch das Ergebnis der 1995 stattfindenden Konferenz hängt zum großen Teil davon ab, wie die politischen Standpunkte Großbritanniens und der anderen Kernwaffenstaaten von den anderen Verhandlungspartnern, insbesondere den weniger industrialisierten Staaten, akzeptiert werden.

Obwohl sich beinahe alle Nationen darüber einig sind, daß das Funktionieren des Nichtverbreitungsvertrags jedem einzelnen von ihnen zugute kommt, ist er doch nicht unumstritten. Viele Nichtkernwaffenstaaten sind der Meinung, daß sie durch den Vertrag diskriminiert werden und daß die Kernwaffenstaaten mit zweierlei Maß messen – „macht das, was wir sagen, aber nicht das, was wir tun“.

Als Gegenleistung für den Verzicht auf Kernwaffen nach dem Nichtverbreitungsvertrag erwarten die Nichtkernwaffenstaaten folgendes:

  • Waffenkontrollverhandlungen zur Reduzierung der Atomwaffenlager auf der ganzen Welt,
  • Verhandlungen über einen Stopp von Kernwaffenversuchen,
  • Sicherheitsgarantien zum Schutz gegen atomare Angriffe, und
  • freien Zugang zur friedlichen Nutzung von Kernenergie.

Die Auffassungen der Nichtkernwaffenstaaten darüber, inwieweit diese Erwartungen erfüllt wurden, werden die Ziele und Verhaltensweisen vieler dieser Staaten auf der 1995 stattfindenden Konferenz beeinflussen. Diesen Themen sollte man sich jetzt widmen. Als Verwahrerstaat des Nichtverbreitungsvertrags spielt Großbritannien dabei eine wesentliche Rolle.

Angesichts der Ereignisse der letzten zwei Jahre im Nahen Osten ist die Öffentlichkeit allgemein der Meinung, daß der Nichtverbreitungsvertrag gegen die atomaren Schwellenstaaten unwirksam ist und daher verschärft werden muß. Welche Schritte soll Großbritannien in dieser Hinsicht unternehmen? Dieser Aufsatz untersucht, welche Handlungsoptionen es gibt.

II. Die Bedeutung des Nichtverbreitungsvertrags

Der Vertrag über die Nichtverbreitung atomarer Waffen, allgemein als Nichtverbreitungsvertrag bekannt, ist das wesentliche Element der globalen Kontrolle über die Verbreitung atomarer Waffen. Die verschiedenen Maßnahmen zur Begrenzung der Verbreitung von Kernwaffen umfassen ein System von internationalen Verträgen, Ausfuhrkontrollen, weltweitem politischen Druck und regionalen Verträge und Organisationen.

1. Veränderungen in der Betrachtungsweise

Während der ersten Verhandlungen wurde der Nichtverbreitungsvertrag in erster Linie als Instrument zur Verhinderung der Ausbreitung atomarer Waffen innerhalb Europas betrachtet. Die wesentliche Sorge der Großmächte war zu jener Zeit die Furcht vor einem Wiedererstarken Deutschlands und, in geringerem Ausmaß, Japans.

Obwohl man sich einig war, daß die weniger industrialisierten Staaten eines Tages technologisch genügend weit entwickelt sein würden, um ihre eigenen Kernwaffen zu bauen, war das kein wesentlicher Gesichtspunkt, bis Indien 1974 eine eigene Atombombe zur Explosion brachte.

Die historischen Grundlagen des Nichtverbreitungsvertrags stimmen nicht mit den Ansichten überein, die in der Weltöffentlichkeit über ihn herrschen. Wie der Golfkrieg gezeigt hat, glauben die meisten Menschen, der Nichtverbreitungsvertrag existiere, um die Verbreitung atomarer Waffen in der »Dritten Welt« zu unterbinden. Ironischerweise ist er gerade darin nach Meinung vieler am wenigsten wirksam.

Etwa 60 Prozent des Budgets, das der Internationalen Atomenergie-Organisation für Sicherungsüberwachungen zur Verfügung steht, wird nur in zwei Staaten ausgegeben – Deutschland und Japan. Kanada verwendet etwa 10 Prozent und die europäischen Länder, sowohl im Osten wie im Westen, verbrauchen den größten Teil dessen, was noch übrig ist.

2. Die Geschichte der Überprüfungskonferenzen

Alle fünf Jahre findet, wenn es die Mehrheit der Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrages wünscht, eine Konferenz statt: „… zu dem Zweck, die Wirkungsweise dieses Vertrags zu überprüfen, um sicherzustellen daß die Ziele der Präambel und die Bestimmungen des Vertrages verwirklicht werden.“ (Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Nichtverbreitungsvertrag), Artikel VIII, Paragraph 3)

Überprüfungskonferenzen wurden bisher 1975, 1980, 1985 und 1990 abgehalten.

Wie später in diesem Bericht noch erläutert wird, gibt es international unterschiedliche Auffassungen über die Absichten in der Präambel und die Maßnahmen des Vertrages, und über die Fortschritte, die bei ihrer Durchsetzung gemacht wurden. Die Ergebnisse der Konferenzen spiegeln diese Tatsache.

Auf den Konferenzen von 1980 und 1990 gelang es nicht Einigkeit über ein Abschlußdokument zu erzielen. 1990 waren die Kernwaffenversuche der Hauptstreitpunkt.

Die Zukunft des Nichtverbreitungsvertrags hängt von einer Beschlußfassung über einige, wenn nicht sogar alle strittigen Gebiete ab und von der Angleichung der dazu existierenden unterschiedlichen Standpunkte.

III. Die Bedeutsamkeit des Jahres 1995

Die Ereignisse des Jahres 1995 werden die Entscheidung über die Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrags und die nächste fällige Überprüfungskonferenz sein. Die Verwahrerstaaten haben gegen Ende 1992 entschieden, daß die beiden Konferenzen als Konferenz über den Nichtverbreitungsvertrag 1995 gemeinsam abgehalten werden. Dennoch dienen diese beiden Ereignisse unterschiedlichen Zwecken, was im folgenden erläutert werden soll.

1. Die Konferenz über die Verlängerung

Die Bezeichnung »Konferenz über die Verlängerung« ist eigentlich irreführend. Artikel X (2) des Nichtverbreitungsvertrags lautet wie folgt: „Fünfundzwanzig Jahre nach Inkrafttreten dieses Vertrags wird eine Konferenz einberufen, die beschließen soll, ob der Vertrag auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleibt oder um eine oder mehrere bestimmte Frist oder Fristen verlängert wird. Dieser Beschluß bedarf der Mehrheit der Vertragsparteien.“

Leider gibt es mehr als eine Meinung darüber, wie dieser Artikel zu verstehen ist.

»Entscheidungen, die von der Konferenz getroffen werden müssen«

Insbesondere herrscht Uneinigkeit darüber, in welcher Form über diese Verlängerung entschieden werden soll. Es gibt zwei wesentliche Standpunkte:

  • Der am wenigsten komplizierte ist der, daß der Vertrag 1995 ausläuft und die Konferenz darüber entscheidet, ob er verlängert wird oder nicht. Wenn die Konferenz zu keiner Entscheidung gelangt, dann verliert der Nichtverbreitungsvertrag seine Wirkung.
  • Eine rechtlich einwandfreie Auslegung besagt, daß die Konferenz nicht zu entscheiden hat, ob der Nichtverbreitungsvertrag verlängert werden soll, da die Verlängerung automatisch geschieht. Die Konferenz hat lediglich darüber zu entscheiden, für wie lange der Nichtverbreitungsvertrag verlängert werden soll. Eine solche Verlängerung kann für einen Tag oder auf ewig sein. Nach dieser Auslegung wäre der Nichtverbreitungsvertrag noch immer gültig, auch wenn die Konferenz 1995 ohne formale Einigung endet, und eine weitere Konferenz (oder Konferenzen) müßte dann später einberufen werden, um erneut den Versuch zu einer Einigung zu machen. In diesem Fall könnten einige Staaten die Zukunft des Vertrags anzweifeln und, gedeckt durch Artikel X (1) ihre Unterschrift zurückziehen.

Es ist von größter Wichtigkeit, daß das Vorbereitungskomitee diese Angelegenheit prüft und die Standpunkte der Teilnehmerstaaten hört. Damit wird abseits vom Scheinwerferlicht der Konferenzöffentlichkeit 1995 eine Diskussion ermöglicht und hoffentlich so bald wie möglich eine Übereinstimmung erzielt werden.

»Die Mehrheit der Unterzeichner«

Artikel X (2) legt fest, daß jede Entscheidung über eine Verlängerung von „einer Mehrheit der Unterzeichner des Vertrages“ gefällt werden soll. In anderen Worten, nicht nur von einer Mehrheit jener Unterzeichner, die an der Konferenz 1995 teilnehmen.

Die Bedeutung dieser Vorschrift zeigt sich, wenn man einen Blick auf die Teilnehmerliste der alle fünf Jahre abgehaltenen Überprüfungskonferenzen wirft. 1990, als der Nichtverbreitungsvertrag 140 Unterzeichner hatte, nahmen nur 84 Staaten an der Überprüfungskonferenz teil – nur 13 mehr als eine Mehrheit der Unterzeichner.

Hätte die Konferenz 1995 dieselbe Anzahl an Teilnehmern, dann würden 14 Stimmenthaltungen, Gegenstimmen oder Stimmen für eine andere Form der Verlängerung bereits bedeuten, daß ein Verlängerungsbeschluß nicht die Bedingungen von Artikel X (2) erfüllt. Man kann nur hoffen, daß 1995 mehr Staaten teilnehmen werden.

2. Die Überprüfungskonferenz 1995

Zusätzlich zur Entscheidung über die Verlängerung wird auf der Konferenz 1995 auch eine der alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen abgehalten werden. Die Vor- und Nachteile dieser Tatsache wurden bisher kaum diskutiert.

Die Konferenzen werden gemeinsam abgehalten, wobei die Entscheidung über die Verlängerung sehr wahrscheinlich als Teil der Schlußerklärung eingebaut werden wird. Endet allerdings die Doppelkonferenz ohne Schlußerklärung, wie das bei den Überprüfungskonferenzen 1980 und 1990 der Fall war, dann wäre die Entscheidung über die Verlängerung verloren.

3. Vorbereitungen

Das erste Treffen des Vorbereitungskomitees für die Nichtverbreitungsvertrags-Konferenz 1995 ist für Mai 1993 in New York angesetzt.

IV. Strittige Bereiche

Innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft wird der Nichtverbreitungsvertrag weitgehend unterstützt. Dennoch gibt es viele strittige Bereiche. Beinahe alle von ihnen haben ihren Grund in der »Zweiklassen«-Natur des Nichtverbreitungsvertrags, die manchen Staaten die Entwicklung atomarer Waffen verbietet, während es anderen erlaubt wird, sie zu behalten.

Langfristig habe ich die Hoffnung, daß es uns gelingt, einen gerechteren und einsichtigeren Ansatz zur verantwortlichen Atomwaffenkontrolle zu finden, nicht nur bezüglich der Kernsprengkörper, sondern auch bezüglich der Trägersysteme langer Reichweite und mehrfach nutzbarer Technologien. Solche Kontrollen müssen, um voll wirksam zu sein, gleichgewichtig und fair sein; sie dürfen die friedliche Nutzung von Wissenschaft und Technologie nicht unnötig behindern; und sie sollten die Welt nicht in »Besitzende« und »Nicht-Besitzende« aufteilen. (Überblick über die Durchführung der von der Generalversammlung auf ihrer 10. Sondersitzung angenommenen Empfehlungen und Entscheidungen, Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Boutros Boutros-Ghali, anläßlich der Woche der Abrüstung, A/C.1/47/7, Paragraph 29.)

1. Artikel VI

Der Hauptstreitpunkt zwischen den Kernwaffenstaaten und den Nichtkernwaffenstaaten ist, ob die von Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags festgelegten Verpflichtungen von den ersteren erfüllt worden sind.

Artikel VI lautet: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“

Dies wird von einem Abschnitt in der Präambel verstärkt: „… in dem Wunsch, die internationale Entspannung zu fördern und das Vertrauen zwischen den Staaten zu stärken, damit die Einstellung der Produktion von Kernwaffen, die Auflösung aller vorhandenen Vorräte an solchen Waffen und die Entfernung der Kernwaffen und ihrer Einsatzmittel aus den nationalen Waffenbeständen auf Grund eines Vertrags über allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle erleichtert wird, …“

Einige argumentieren, daß diese Verpflichtungen teilweise durch die Unterzeichnung des Vertrags über atomare Mittelstreckenwaffen (INF-Vertrag), den Vertrag über konventionelle Waffen in Europa (VKSE) und durch die amerikanisch-russischen Abkommen über strategische Kernwaffen erfüllt worden seien. Dennoch decken diese Vereinbarungen nur einige der in Artikel VI und der Präambel genannten Verpflichtungen ab, und sie schließen außerdem die Kernwaffen Großbritanniens, Frankreichs und Chinas nicht ein. Viele der Nichtkernwaffenstaaten fordern von den Kernwaffenstaaten den Abbau ihrer sämtlichen Atomwaffen, oder wenigstens den Eintritt in Verhandlungen, die dazu führen sollen.

Nicht nur der Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet die Atomwaffen-Staaten dazu, ihre sämtlichen Massenvernichtungswaffen einschließlich der Kernwaffen abzuschaffen: „Entschlossen, Fortschritte in Richtung einer generellen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zu machen, einschließlich des Verbots und der Abschaffung aller Arten von Massenvernichtungswaffen …“ (UN-Resolution zur Unterstützung der Chemiewaffen-Vereinbarung, Dezember 1992, unterstützt von Großbritannien)

Der sichtbarste Streitpunkt im Zusammenhang mit Artikel VI sind die Kernwaffenversuche.

2. Kernwaffenversuche

Das Thema der Kernwaffenversuche beschränkt sich nicht auf Streitigkeiten über die Verpflichtungen aus Artikel VI. In der Präambel des Nichtverbreitungsvertrag findet sich eine verbindliche Aussage zu einem Vertrag über ein umfassendes Verbot von Kernwaffenversuchen. „… eingedenk der in der Präambel des Vertrags von 1963 über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser durch dessen Vertragsparteien bekundeten Entschlossenheit, darauf hinzuwirken, daß alle Versuchsexplosionen von Kernwaffen für alle Zeiten eingestellt werden, und auf dieses Ziel gerichtete Verhandlungen fortzusetzen, …“

Obwohl die Präambel die Unterzeichner nur zu Verhandlungen über eine Reduzierung der Kernwaffenversuche und nicht zu einem Vertrag verpflichten, hat Großbritannien seit 1980 nicht mehr an solchen Verhandlungen teilgenommen und zählte zu der Minderheit von zwei Staaten – der andere waren die Vereinigten Staaten – die 1991 gegen die Umwandlung des Vertrags über ein teilweises Kernwaffenversuchsverbot in einen umfassenden Vertrag gestimmt hat.

Das Ziel der meisten Nichtkernwaffenstaaten ist ein umfassendes Verbot von Kernwaffenversuchen. Dieser Punkt hat mehr als jedes andere Thema, auf der Überprüfungskonferenz 1990 für Uneinigkeit gesorgt.

International gewinnt dieses Thema an Bedeutung, wie sich 1991 an der Konferenz zur Verbesserung des Vertrags über ein teilweises Kernwaffenversuchsverbot und 1992 an der Wahl zur Unterstützung eines umfassenden Kernwaffenversuchsverbots im Kongreß der Vereinigten Staaten gezeigt hat (siehe unten).

Die Politik Großbritanniens

Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Haltung der britischen Regierung zu einem umfassenden Kernwaffenversuchsverbot geändert.

1980 hieß es: „Wir glauben, daß die weitere Ausbreitung atomarer Waffen die Spannungen verschärfen und die internationale Sicherheit und Stabilität aufs Spiel setzen würde. Die im August stattfindende Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag ist ein wichtiger Schritt auf der Suche nach einem Weg, die weitere Verbreitung atomarer Waffen zu unterbinden und zugleich dem weitverbreiteten Wunsch einzelner Nationen nach der Nutzung von Kernkraft nachzukommen. Die weitere Verbreitung atomarer Waffen würde auch durch ein umfassendes Verbot von Kernwaffenversuchen verhindert, über das wir mit den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion Verhandlungen geführt haben.“ (Hervorhebung nachträglich hinzugefügt) (Statement on the Defence Estimates 1980, Cmnd. 7826-I, para.135)

Die gegenwärtige britische Politik lautet, daß ein umfassendes Verbot von Kernwaffenversuchen ein langfristiges Ziel sei, das durch eine »Schritt-für-Schritt«-Annäherung erreicht werden soll. So eine wachsende Annäherung kann international nur dann glaubwürdig sein, wenn auf jeder Stufe der nächste Schritt oder das nächste Ziel deutlich gemacht wird. Aber die britische Regierung hat bis jetzt noch nicht einmal angedeutet, wie der erste Schritt aussehen könnte.

Die Vereinigten Staaten von Amerika

Am 2. Oktober 1992 unterschrieb Präsident Bush das Energie- und Wassergesetz, das die Kernwaffenversuche der Vereinigten Staaten faktisch begrenzt. Präsident Bush hat angedeutet, daß er mit dieser Begrenzung nicht einverstanden ist. Allerdings enthält das Gesetz auch andere Vorschriften, von denen die wichtigste die erste Teilzahlung von 8 Milliarden Dollar für das Supercollider-Projekt in Texas ist, das Bush nach Kräften unterstützt.

Präsident Clinton hat seine Bereitschaft erklärt, eine internationale Überwachung von Kernwaffenversuchen, die zu einem umfassenden Verbot führen könnten, zu unterstützen.

Die Vorschriften über die Kernwaffenversuche sind nicht eindeutig formuliert. Wenn sie in Kraft treten, könnte es einige Auseinandersetzungen darüber geben, wie sie zu deuten sind.

Unter anderem schreibt das neue Gesetz vor:

  • Höchstens 15 sicherheitsbezogene Tests in der Zeit zwischen dem 1. Juli 1993 und dem 31. Dezember 1996, wobei eine Höchstzahl von fünf Tests für jeden der drei jährlichen Berichtszeiträume gilt. Der Kongreß hat das Recht, jeden Jahresbericht, und damit auch den darin festgelegten Terminplan für die Kernwaffenversuche, abzulehnen.
  • Höchstens einen Zuverlässigkeitstest in jedem der jährlichen Berichtszeiträume, wenn der Präsident innerhalb von 60 Tagen nach Beginn dieses Zeitraums versichert, daß ein solcher Test notwendig ist. Der Kongreß kann einen solchen Test ablehnen.
  • Überhaupt keine Tests mehr nach dem 30. September 1996, außer ein anderer Staat führt noch nach diesem Datum einen Test durch. Sollte das geschehen, so würden die Tests unter den oben genannten Einschränkungen bis zum 31. Dezember 1996 fortgeführt, nach diesem Datum würden die Tests dann ohne Beschränkung wiederaufgenommen.
  • Großbritannien erhält die Genehmigung für einen Test pro jährlichem Berichtszeitraum, der zur Gesamtzahl der US-Test gerechnet wird.

Jeder Jahresbericht an den Kongreß sollte folgende Punkte enthalten:

  • Einen Terminplan für Verhandlungen über einen Teststopp und einen Plan zur Verwirklichung eines „multilateralen, umfassenden Verbots von Kernwaffenversuche am oder bis zum 30. September 1996“
  • Schätzungen über die Kernsprengkörper in den aktiven und inaktiven Lagern der Vereinigten Staaten.
  • Beschreibungen der Sicherungsmaßnahmen bezüglich der Sprengköpfe in den aktiven Lagern.
  • Schätzungen über die Tests, die zur Einrichtung moderner Sicherungsmaßnahmen für die Sprengköpfe, die noch nach dem 30. September 1996 in den aktiven Lagern verbleiben, benötigt werden.
  • Ein Terminplan für die Tests während des Berichtszeitraums.
Russisches Test-Moratorium

Nachdem nun die Situation in den Vereinigten Staaten deutlicher wird, gewinnt das russische Test-Moratorium neue Bedeutung. Dieses einjährige Moratorium, das von Präsident Gorbatschow verkündet und von Präsident Jelzin beibehalten wurde, sollte am 26. Oktober 1992 auslaufen.

Inzwischen hat man zu erkennen gegeben, daß dieses Moratorium bis Mitte 1993 ausgedehnt wird.

Französisches Moratorium

Die französische Regierung hat im April 1992 verkündet, daß sie die Tests bis zum Ende dieses Jahres aussetzen würde. Eine Entscheidung über die Fortsetzung wird in nächster Zeit erwartet.

3. Vertikale Ausweitung

Vertikale Ausweitung ist die quantitative und/oder qualitative Steigerung der vorhandenen Waffentechnologie in Lagerung, Herstellung und Entwicklung durch einen einzelnen Staat, der bereits über gewisse Fähigkeiten in diesem Bereich verfügt. Der Begriff beschreibt in der Regel die Steigerung der Atomwaffen- oder Raketen-Kapazitäten. (Horizontale Ausweitung ist die Ausbreitung solcher Fähigkeiten auf neue Staaten.)

Nach Ansicht vieler Nichtkernwaffenstaaten verstößt eine derartige quantitative und qualitative Verbesserung von Kernwaffen gegen die Verpflichtungen, die die Kernwaffenstaaten unter Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags eingegangen sind. Die Zusammenarbeit der Kernwaffenstaaten bestärkt diese Ansicht noch.

Die britischen auf U-Booten stationierten Kernwaffen werden qualitativ durch die Einführung des Trident-Systems verbessert, das das Polaris/Chevaline-System ersetzen soll, eine quantitative Verbesserung bedeutet die Erhöhung der Anzahl der Sprengköpfe von 192 auf 512.

Die britische Regierung vertritt den Standpunkt, daß das Trident-Programm nicht gegen die Verpflichtungen von Artikel VI verstößt: „Die zukünftige Einführung von Trident verstößt nicht gegen Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags und ist die Minimalkapazität, die zur Abwehr von Angriffen nötig ist. Durch diesen Vertragsartikel sind wir weiterhin verpflichtet, uns um den Abschluß von Abkommen zur wirksamen Atomwaffenkontrolle zu bemühen. Priorität muß in erster Linie ein ausgeglichener und verifizierbarer Abbau in den großen Arsenalen der Supermächte haben.“ (Richard Luce, FCO, Written Answer, 19. März 1985, Hansard, c437)

4. Zusammenarbeit der Kernwaffenstaaten

Artikel I des Vertrages lautet: „Jeder Kernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben und einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen.“

Dieser Artikel gab Anlaß für Auseinandersetzungen: Was genau ist eine mittelbare Weitergabe von Kernwaffen oder eine mittelbare Weitergabe der Kontrolle über Kernwaffen? Bedeutet die Zusammenarbeit auf nuklearem Gebiet zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien einen Verstoß gegen den Nichtverbreitungsvertrag? Der Vertrag über die Zusammenarbeit der USA und Großbritanniens wurde bereits 1958 geschlossen, zehn Jahre vor dem Nichtverbreitungsvertrag.

1981 vertrat Frank Cooper, der Permanent Under-Secretary beim Verteidigungsministerium die Ansicht, bestimmte Handlungen, die nach dem Vertrag von 1958 erlaubt sind, könnten einen Verstoß gegen den Nichtverbreitungsvertrag darstellen: „Wir erhalten von den Vereinigten Staaten auf dem gesamten Gebiet der Kernwaffen sehr warme und offenherzige Unterstützung. Ich glaube nicht, daß es darüber irgendwelche Zweifel geben kann … Wir hätten sie [die USA] nicht um die Durchführung des gesamten [Chevaline-] Programms bitten können, denn wegen dem Nichtverbreitungsvertrag und auch aus anderen Überlegungen heraus können nur wir selbst den Sprengkopf machen. Es war daher nötig, daß wir Teile des Programms selbst übernehmen. (Hervorhebungen nachträglich hinzugefügt) (Sir Frank Cooper, GCB, CMG, Permanent Under-Secretary of State, MoD, mündliche Aussage vor dem Public Accounts Committee, 9. Dezember 1981, in Chevaline Improvement to the Polaris Missile System, Ninth Report of Session 1981-82, HC 269, Q.248)

5. Sicherheitsgarantien

Als Gegenleistung für den Verzicht auf atomare Waffen fordern viele Nichtkernwaffenstaaten Garantien gegen einen atomaren Angriff.

Es gibt zwei Kategorien von Sicherheitsgarantien – negative und positive. Bei einer negativen Sicherheitsgarantie garantiert ein Kernwaffenstaat, daß er auf keinen Fall oder unter bestimmten Umständen nicht Kernwaffen gegen einen Nichtkernwaffenstaat einsetzen oder ihn damit bedrohen werde; eine positive Sicherheitsgarantie hingegen ist es, wenn ein Kernwaffenstaat garantiert, im Fall eines angedrohten oder tatsächlichen Angriffs mit Kernwaffen Maßnahmen zur Unterstützung eines Nichtkernwaffenstaates zu unternehmen.

Aus der Perspektive eines Nichtkernwaffenstaats ist eine positive Sicherheitsgarantie von sehr viel größerem Wert.

Am 28. Juni 1978 erklärte der Vertreter Großbritanniens bei der Sondersitzung der Vereinten Nationen über Abrüstung: „Weisungsgemäß gebe ich im Namen meiner Regierung die folgende Garantie an Nichtkernwaffenstaaten, die Unterzeichner des Vertrags zur Nichtverbreitung von Kernwaffen sind und sich anderweitig international bindend verpflichtet haben, keine atomaren Sprengvorrichtungen herzustellen oder zu erwerben: Großbritannien wird gegen solche Staaten keine Kernwaffen einsetzen außer im Falle eines Angriffs auf Großbritannien, die von ihm abhängigen Gebiete, seine Truppenverbände oder Alliierten durch einen solchen Staat in Verbindung oder Allianz mit einem Kernwaffenstaat.“ (Official Records of the General Assembly, Tenth Special Session, Plenary Meetings, 26. Sitzung, Paragraph 12)

Diese negative Garantie bleibt im Belieben der britischen Regierung. 1968 verkündete Großbritannien die »Absicht«, jeden Nichtkernwaffenstaat, der den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichne, bei einem atomaren Angriff zu unterstützen, gab aber keine Verpflichtungserklärung ab. Viele betrachten diese Absicht nicht als positive Sicherheitsgarantie.

China forderte bei seinem Beitritt 1992 positive Sicherheitsgarantien und einen rechtlichen Rahmen für eine Vereinbarung der Kernwaffenstaaten, weder Nichtkernwaffenstaaten noch atomwaffenfreie Zonen anzugreifen.

6. Produktion von spaltbarem Material

Die Produktion von spaltbarem Material für Kernwaffen findet in Großbritannien weiterhin in Anlagen statt, die nicht den Sicherungsüberwachungen unterliegen. Es gab viele Forderungen nach einer weltweiten Einstellung dieser Produktion, ein Thema, das in jüngster Zeit von den Vereinigten Staaten aufgegriffen wurde.

Die Idee eines Produktionsstopps für spaltbares Material ist sehr einfach: die Kernwaffenstaaten sollten aufhören, spaltbares Material zu militärischen Zwecken herzustellen und solche Produktionsanlagen unter internationale Kontrolle stellen. Eine Vereinbarung über einen Stopp der Produktion militärischen spaltbaren Materials wurde 1964 erreicht, wurde aber später fallengelassen zugunsten eines Vorschlags zur unilateralen Schließung von Produktionsanlagen durch die Kernwaffenstaaten.

Der Unterschied zwischen »zivilem« und »militärischem« Material ist abhängig vom Ausgangmaterial und der Verwendung, weniger vom Besitzer des Materials. In Großbritannien unterliegen alle zivilen Materialien der Sicherungsüberwachung. In manchen Kreisen wird militärisches Material auch als »nicht-zivil« bezeichnet.

Viele Nichtkernwaffenstaaten würden einen solchen Stopp als positiven Schritt betrachten und als wirksamen Weg, die vertikale Ausweitung zu reduzieren.

Am 13. Juli 1992 verkündete US-Präsident George Bush, daß die Vereinigten Staaten die Produktion von militärischem spaltbaren Material einstellen würden. Auch die Russen haben Schritte in diese Richtung unternommen.

Der Standpunkt der britischen Regierung wird in zwei schriftlichen Antworten vom Juli 1992 zusammengefaßt. Das Verteidigungsministerium wurde nach der Bedeutung gefragt, die eine britische Beteiligung bei einer solchen Vereinbarung für die Verteidigung hätte: „Anders als die atomaren Supermächte hat Großbritannien keine umfangreichen Lager überzähligen spaltbaren Materials, auf das es zurückgreifen könnte. Aber die Produktion in Großbritannien wird weiterhin auf dem Mindestlevel laufen, der nötig ist, um die Bedürfnisse unserer nuklearen Abschreckungswaffen und der U-Boot-Antriebe zu erfüllen.“ (Jonathan Aitken, Minister of State for Defence procurement, Written Answer, 16. Juli 1992, Hansard, c932-3)

Das Außen- und Commonwealth-Ministerium wurde nach der britischen Politik bezüglich eines solchen Produktionsstopps gefragt: „Die britische Regierung begrüßt die Entscheidung vom 13. Juli, die Produktion von waffentauglichem spaltbarem Material zu beenden. Sie ist die Antwort auf eine bilaterale Initiative der Russen und hängt nicht von der Zustimmung Großbritanniens ab. Die Produktion in Großbritannien wird weiterhin auf dem Mindestlevel laufen, der nötig ist, um die Bedürfnisse unserer nuklearen Abschreckungswaffen und der U-Boot-Antriebe zu erfüllen.“ (Douglas Hogg, Minister of State, FCO, Written Answer, 16. Juli 1992, Hansard, c963)

Interessanterweise werden die Russen weder in Bushs Erklärung vom 13. Juli noch in dem Hintergrundmaterial, das vom Weißen Haus dazu ausgegeben wurde, erwähnt.

Wirklich benötigt wird spaltbares Material in der Zukunft nur als Treibstoff für atomgetriebene Unterseeboote. Wie öffentlich zugängliches Material zeigt, ist es höchst unwahrscheinlich, daß die gegenwärtigen Vorräte von spaltbarem Material die geplanten Atomwaffenprogramme in Schwierigkeiten bringen könnten.

Wenn kein weiteres waffentaugliches Plutonium benötigt wird, könnte dann die britische Regierung nicht einen Produktionsstopp für Plutonium vorschlagen?

Ausschluß aus Sicherungsüberwachungen

Ein britischer Produktionsstopp für militärisches spaltbares Material wäre wenig sinnvoll, wenn es wirksame Möglichkeiten gäbe, ziviles Material in den militärischen Kreislauf einzuspeisen – wie es bereits geschieht.

Nach dem EURATOM-Vertrag unterliegen alle zivilen Atomanlagen in Großbritannien seit Januar 1973 den EURATOM-Sicherungsüberwachungen. Diese Anlagen und sämtliches ziviles spaltbare Material in Großbritannien unterliegen auch einem freiwilligen EURATOM-Überwachungsabkommen zwischen Großbritannien und der Internationalen Atomenergie-Organisation, das am 14. August 1978 in Kraft getreten ist (INFCIRC/153). Die Grundlage dieser Vereinbarung ist, daß Großbritannien „unter den Bedingungen dieses Vertrages Sicherungsüberwachungen für sämtliches Ausgangs- und besonderes spaltbares Material in Anlagen oder Teilanlagen innerhalb Großbritanniens, abgesehen von solchen, die aus Gründen der nationalen Sicherheit gesperrt sind, zu erlauben, um der Behörde die Feststellung zu ermöglichen, daß solches Material nicht vom zivilen Einsatz abgezogen wird, außer wie in dieser Vereinbarung festgelegt.“ (Artikel 1 (a))

Dennoch hat die Vereinbarung besondere Vorkehrungen für den Entzug von nuklearem Material aus Gründen der nationalen Sicherheit getroffen. Artikel 14 (Ausschließung aus Gründen der nationalen Sicherheit) lautet: „Wenn Großbritannien plant, aus Gründen der nationalen Sicherheit spaltbares Material aus dem Geltungsbereich dieser Vereinbarung entsprechend Artikel 1 (c) abzuziehen, sollten die Gemeinschaft und die Atomenergie-Organisation vor einem solchen Ausschluß informiert werden. Falls spaltbares Material zur Aufnahme in den Geltungsbereich dieser Vereinbarung zur Verfügung steht, weil sein Ausschluß aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht länger notwendig ist, sollten die Gemeinschaft und die Atomenergie-Organisation entsprechend Artikel 62 (c) von Großbritannien informiert werden.“ (Hervorhebung nachträglich hinzugefügt)

1985 wurde festgestellt, daß »Artikel-14-Ausschlüsse« aus Gründen der nationalen Sicherheit geschehen mußten: „Nukleares spaltbares Material, das in Berufung auf Artikel 14 der Vereinbarung zwischen Großbritannien, Euratom und der IAEA den Sicherungsüberwachungen entzogen wird, wird für Zwecke der nationalen Sicherheit verwendet.“ (Alastair Goodlad, Parliamentary Under-Secretary of State, Department of Energy, Written Answer, 16. Mai 1985, Hansard, Vol. 79, c181)

Dennoch wurden bis 1988 andere Ausschlüsse gemacht, die diese Bedingungen nicht erfüllten: „Im Zeitraum vom 1. Juli 1986 bis zum 31. Dezember 1987 gab es fünf [Artikel 14-]Ausschlüsse von Plutonium, die umfangreicher als lediglich Gramm-Mengen waren. Ein Ausschluß war auf Dauer und betraf Material aus Calder Hall/Chapel Cross. Vier betrafen die zeitweise Entfernung von den Sicherungsüberwachungen unterliegendem Material zur Behandlung mit Spezialausrüstung in einer nicht-zivilen Anlage. Das sind rein technische Bewegungen, die aus Sicherheitsgründen notwendig sind. Sämtliches Material wird nach Abschluß der Behandlung wieder an die Sicherungsüberwachungen übergeben.“ (Michael Spicer, Parliamentary Under-Secretary of State, Department of Energy, Written Answer, 12. Februar 1988, Hansard, Vol. 127, c393)

Die Anzahl der Ausschlüsse steigt rapide an. Die folgende Anfrage bezieht sich auf den Zeitraum von zweieinhalb Jahren: „Seit dem 1. Januar 1990 wurden einundvierzig Ausschlüsse von spaltbarem Material nach Artikel 14 des Sicherungsüberwachungsabkommens gemacht.“ (Tim Eggar, Minister for Energy, Department of Trade and Industry, Written Answer, 3. Juli 1992, Hansard, Vol. 210, c761)

Die Anzahl der Ausschlüsse ist von 5 in einem Zeitraum von 18 Monaten auf 41 in einem Zeitraum von 30 Monaten gestiegen.

7. Artikel IV und Ausfuhrkontrollen

Artikel IV des Nichtverbreitungsvertrag lautet folgendermaßen: „(1) Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln.

(2) Alle Vertragsparteien verpflichten sich, den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern, und sind berechtigt, daran teilzunehmen. Vertragsparteien, die hierzu in der Lage sind, arbeiten ferner zusammen, um allein oder gemeinsam mit anderen Staaten oder internationalen Organisationen zur Weiterentwicklung der Anwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke, besonders im Hoheitsgebiet von Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, unter gebührender Berücksichtigung der Bedürfnisse der Entwicklungsgebiete der Welt beizutragen.“(Hervorhebungen nachträglich hinzugefügt.)

Nachdem den westlichen Staaten die wahren ökonomischen und sozialen Kosten von Kernkraft bewußt wurden, wurden die westlichen Kernkraftprogramme erheblich beschnitten. Das hat viele zu der Annahme verführt, Artikel IV sei nun überflüssig geworden. Viele Entwicklungsländer, die noch immer auf freien Zugang zur friedlichen Nutzung der Kernenergie hoffen, sehen das allerdings anders. Diese Technologien sind nicht auf Kraftwerke begrenzt, sondern umfassen auch Anwendungen in Medizin und Industrie.

Die Themen, die hier strittig sind, wurden im Westen nur selten öffentlich debattiert. Wurde den Verpflichtungen aus Artikel IV genug Aufmerksamkeit geschenkt, als im Anschluß an die Enthüllungen im Irak die Ausfuhrkontrollen in Bezug auf nukleare Technologien verschärft wurden?

Das ist ein weiterer Fall einer Gegenleistung für Nichtkernwaffenstaaten, die auf atomare Waffen verzichten. Haben die Atomwaffen-Staaten im Gegenzug dazu ihre Verpflichtungen erfüllt?

V. Die Stärkung des Systems der Nichtverbreitung nuklearer Waffen

Welche Möglichkeiten hat Großbritannien, auf politischem Wege das von der Internationalen Atomenergie-Organisation geführte Sicherungsüberwachungssystem zu stärken?

1. Erhöhung des Budgets für Sicherungsmaßnahmen

Das einfachste Mittel, um der IAEA bei der Verstärkung der Sicherungsüberwachungen zu helfen, wäre eine Erhöhung des Budgets. Gegenwärtig leistet Großbritannien jedes Jahr einen Beitrag von etwa 6 Millionen Pfund an die IAEA, von dem etwa die Hälfte für Sicherungsüberwachungen ausgegeben wird. Im Vergleich dazu umfaßt der britische Verteidigungshaushalt jährlich 24 Milliarden.

Sicherungsüberwachungen sind nicht nur ein Mittel der Verifikation, sondern auch eine vertrauensbildende Maßnahme. Eine Erhöhung des Budgets würde eine internationale Vereinbarung erfordern. Einige Staaten, insbesondere die in Osteuropa, sind vermutlich nicht bereit oder nicht in der Lage, ihren Beitrag zu erhöhren.

Der Einsatz von Sonderüberwachungen, der weiter unten erläutert wird, ist möglicherweise nur mit einer Erhöhung des Budgets für Sicherungsüberwachungen möglich.

2. Korrektur des Ungleichgewichts in den Sicherungsüberwachungen

Es gibt Argumente, daß die Mittel, die der IAEA zur Durchführung von Sicherungsüberwachungen zur Verfügung stehen, nicht gleichmäßig ausgegeben werden, so daß es zu einer sehr unterschiedlichen Dichte von Sicherungsüberwachungen kommt. Dieser Punkt wird als »Ungleichgewicht in den Sicherungsüberwachungen« diskutiert.

Aus historischen Gründen legt das Sicherungsüberwachungssystem mehr Nachdruck auf Material als auf Länder, wobei die Anzahl der Sicherungsüberwachungen in der Hauptsache aus der Menge des vorhandenen Materials bestimmt wird und nicht an anderen Bewertungsgrundlagen für die Ausweitungsfähigkeit des einzelnen Landes. Soll das weiterhin der Fall sein? In den meisten Fällen war die IAEA die wesentliche Behörde für die Materialüberprüfung der Sicherungsüberwachungen. Könnten nicht beispielsweise regionale Organisationen, wie etwa EURATOM, mehr Verantwortung für die Sicherungsüberwachungen übernehmen und der IAEA lediglich über die Ergebnisse Bericht erstatten?

Das System zur Festlegung der Anzahl der Sicherungsüberwachungen hängt auch ab von der Anzahl von Anlagen, in denen atomares Material gelagert ist. Ein Staat, der ein Kernkraftprogramm mit einer relativ kleinen Menge von spaltbarem Material hat, kann die Gesamtzahl der Inspektionen verringern, indem er das atomare Material auf mehr Anlagen verteilt.

Von wem kann man wohl eher eine Ausweitung erwarten, von einem demokratischen Staat, dessen Brennstoff-Kreislauf ständig von einer regionalen Organisation überwacht wird oder von einem nicht-demokratischen Staat mit einem sehr viel kleineren Brennstoff-Kreislauf, der nur wenige Male im Jahr von Inspektoren besucht wird? Obwohl regionale Organisationen von verschiedenen Seiten mit Mißtrauen betrachtet werden, sollte man bedenken, daß jedes Land einer Region Interesse daran hat, die Verbreitung von Kernwaffen in seinen Nachbarländern zu verhindern.

Das auf Material basierende System führt dazu, daß 60 Prozent des Sicherungsüberwachungs-Budgets in Deutschland und Japan ausgegeben werden, 10 Prozent in Kanada und der größte Teil des Restes in Europa. Der Irak hat mit seinen relativ geringen Mengen von spaltbarem Material, das allerdings umfangreich genug war, um eine Bombe zu entwickeln, trotz der Sicherungsüberwachungen erstaunliche Fortschritte in der Entwicklung von Kernwaffen gemacht.

3. Einsatz von Sonderinspektionen

Die Modellvereinbarung über Sicherungsüberwachungen zwischen Nichtkernwaffenstaaten und der IAEA wurde im IAEA Information Circular 153 (INFCIRC/153) veröffentlicht. Die darauf basierenden Vereinbarungen wurden als »INFCIRC/153«-Vereinbarungen bekannt.

Artikel 73 von INFCIRC/153 lautet: „Die Vereinbarung soll sicherstellen, daß die Behörde entsprechend den in Paragraph 77 beschriebenen Verfahren spezielle Überprüfungen durchführen kann.

(a) Um Informationen aus speziellen Berichten zu verifizieren; oder

(b) falls die Behörde der Ansicht ist, daß die vom Staat zur Verfügung gestellten Informationen einschließlich der Erläuterungen durch den Staat und der durch Routineinspektionen erhaltenen Informationen nicht ausreichen, damit die Behörde ihre Aufgaben entsprechend dieser Vereinbarung erfüllen kann.

Eine Inspektion wird als speziell bezeichnet, wenn sie entweder zusätzlich zu den in Paragraph 78-82 beschriebenen Routineinspektionen stattfindet, oder für Sonder- oder Routineinspektionen oder für beide den Zugang zu Informationen oder Orten verlangt, die über den in Paragraph 76 genannten Zugang hinausgehen.“

Artikel 77 lautet: „Die Vereinbarung sollte festlegen, daß beim Eintreten von Umständen, die eine Sonderinspektion zu den in Paragraph 73 erläuterten Zwecken notwendig machen könnten, sich der Staat und die Behörde zunächst beraten sollten. Als Ergebnis solcher Beratungen könnte die Behörde Inspektionen, zusätzlich zu den in den Paragraphen 78-82 festgelegten Routineinspektionen, durchführen und in Absprache mit dem Staat Zugang zu Informationen oder Anlagen erhalten, die über den in Paragraph 76 für Sonder- und Routineinspektionen festgelegten Zugang hinausgehen. Jede Uneinigkeit bezüglich der Notwendigkeit zusätzlichen Zugangs soll entsprechend Paragraph 21 und 22 geregelt werden; falls das Eingreifen des Staates wesentlich und dringend ist, soll Paragraph 18 Anwendung finden.“

Diese Anordnungen für Inspektionen wurden nie angewendet, auch wenn sie bekannt sind: „Ich freue mich mitteilen zu können, daß das Gremium im letzten Jahr verschiedene Schritte unternommen hat, um die Informationsbasis des Sicherungsüberwachungssystems zu stärken und das Recht der Behörde für die Durchführung von Sonderinspektionen unter den Bedingungen umfassender Sicherungsüberwachungsabkommen (z.B. INFCIRC/153 d.V.). Sollte ein Mitgliedsstaat, mit dem ein solches Abkommen geschlossen wurde, diese Forderung verweigern, könnte der Generaldirektor die Angelegenheit an den Ausschuß weitergeben. Falls der Ausschuß das beschließt, könnte die Angelegenheit an den Sicherheitsrat gehen.“ (Bericht von Hans Blix, Generaldirektor der IAEA, an die 36. Sitzung der Generalkonferenz der IAEA, 21. September 1992)

Im selben Bericht stellt Blix außerdem fest: „Im vergangenen Jahr habe ich mit großer Befriedigung die Verpflichtungserklärungen mehrerer Staaten erhalten, jeden Standort und jede Anlage für die Behörde zu öffnen – unabhängig davon, ob diese Standorte und Anlagen von den Sicherungsüberwachungen betroffen sind. In manchen Fällen hat die Behörde von solchen Verpflichtungserklärungen Gebrauch gemacht. Sie sind von großen Wert für die Vertrauensbildung – vorausgesetzt, daß sie auch in der Praxis vollständig anerkannt sind.“ Wird die britische Regierung eine solche Verpflichtungserklärung abgeben?

4. Einsatz anderer Verifikationsmethoden zur Ergänzung der Sicherungsüberwachungen

Als der Nichtverbreitungsvertrag ausgehandelt wurde, waren die internationalen Ansichten über Verifikationsmöglichkeiten noch ganz anders als heute. Durch die Zunahme der Waffenkontrollverträge ist die Verifikation intensiver und umfangreicher geworden.

Der vor kurzem unterzeichnete Vertrag über Chemische Waffen enthält beispielsweise ein ausgeklügeltes Verifikationssystem mit Routineinspektionen und kurzfristig angekündigten Probeinspektionen bei nicht gemeldeten Anlagen. Anders als die Sonderinspektionen der IAEA hat der Überprüfte kein Recht, die Inspektion abzulehnen, obwohl er sie verzögern und den Bereich in gewisser Weise begrenzen kann.

Der Einsatz von Satellitenbildern oder Luftaufnahmen von Anlagen könnte sicherstellen, daß die Anlagen genau nach den der IAEA übermittelten Plänen gebaut wurden. Die Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrags könnten aufgefordert werden, Luftaufnahmen ihrer Anlagen einzureichen. Die IAEA könnte kommerzielle Satellitenphotographie einsetzen und die Bedingungen des multilateralen Vertrags über den »Offenen Himmel«, der noch nicht in Kraft getreten ist, könnten so ausgeweitet werden, daß die Daten und Photographien, die von einem Staat in Auftrag gegeben werden, als Nachweise gültig sind.

Der Einsatz eines globalen seismographischen Netzes und anderer Methoden würden sicherstellen, daß kein Staat sicher sein könnte, unentdeckte Atomwaffentests, nicht einmal unterirdische, durchführen zu können. Wenn die Tests nicht ohne die Möglichkeit einer Entdeckung durchgeführt werden können, bedeutet das eine deutliche Abschreckung, um mit der Entwicklung von Waffen zu beginnen. Atmosphärische Tests können auch durch Satelliten entdeckt werden.

Ein intensiverer Abgleich der Informationen über die atomaren Aktivitäten eines Staates würde eine bessere Einschätzung seiner Absichten ermöglichen.

Im Fall des Irak haben mehrere Staaten Einzelteile oder Material geliefert, die für die atomare Entwicklung des Iraks wesentlich waren. Da es aber keinen Überblick über den Handel mit diesen bedeutsamen Waren gibt, waren die Fortschritte des Iraks der Internationalen Staatengemeinschaft nicht bewußt. Wenn die IAEA oder eine andere Organisation ein Register über solche Handelsbeziehungen führen würde, könnte die Vorwarnzeit für ein ähnliches, anderswo entwickeltes Programm verlängert werden.

5. Erweiterung der Anzahl der Unterzeichner- und Befolgerstaaten

Die Erweiterung der Anzahl der Mitglieder des Nichtverbreitungsvertrags wirkt mit Sicherheit stärkend. Unter den Staaten, die in letzter Zeit den Nichtverbreitungsvertrag unterschrieben haben, zählen im internationalen Nukleargeschäft so bedeutsame Handelsnationen wie Frankreich und China, und andere Staaten, die Anlaß zur Besorgnis wegen einer möglichen Ausweitung gaben, wie Nordkorea und Südafrika.

Zu den Staaten, die zu einer Unterzeichnung ermutigt werden sollten, zählen Israel, das bei vielen Gelegenheiten zu Besorgnis Anlaß gab; Indien, das 1974 eine »friedliche« atomare Vorrichtung zur Explosion brachte, und Pakistan, bei dem es Präsident Bush nicht gelang, eine sichere Aussage darüber zu erhalten, ob es den Versuch zu einer Entwicklung atomarer Waffen unternimmt. Der Fall von Pakistan gibt insbesondere Anlaß zu Besorgnis, da die Bevölkerung offenbar die Entwicklung solcher Waffen unterstützt.

Schlußfolgerungen

  • Der Nichtverbreitungsvertrag ist das wichtigste Mittel internationaler Kontrolle über die Verbreitung atomarer Waffen. Der Vertrag und die damit zusammenhängenden Sicherungsmaßnahmen sollten verschärft werden. Auf der Nichtverbreitungsvertrags-Konferenz 1995 sollte die unbegrenzte Gültigkeit für die britische Regierung eine vorrangige Angelegenheit sein.
  • Möglichst früh sollte überlegt werden, welche Standpunkte die britische Regierung in den Vorverhandlungen und während der Konferenz 1995 bezüglich der vermutlich strittigen Themen einnehmen will. Dazu zählen Abrüstungsverhandlungen, Verhandlungen über Kernwaffenversuche, die Produktion von spaltbarem Material, die vertikale Ausbreitung, die Zusammenarbeit der Kernwaffenstaaten und die Sicherheitsgarantien.
  • Vor der Konferenz 1995 und noch vor der Einrichtung von Vorbereitungskomitees sollten mit den Unterzeichnerstaaten Gespräche über den Nichtverbreitungsvertrag stattfinden, um für 1995 Probleme und Auseinandersetzungen möglichst zu reduzieren.
  • Die Unterzeichnerstaaten müssen ermutigt werden, an der Konferenz 1995 teilzunehmen, um das Erreichen einer »Mehrheit der Vertragsparteien« wahrscheinlicher zu machen.

Um den Nichtverbreitungsvertrag und die damit zusammenhängenden Maßnahmen zu verschärfen, könnten folgende Schritte in Betracht gezogen werden: Die Anhebung des Budgets der Internationalen Atomenergie-Organisation für Überwachungsmaßnahmen; Die Veränderung des Systems, nach dem die Anzahl der Sicherungsinspektionen in jedem Land berechnet wird, damit diese Anzahl nicht direkt von der Menge nuklearen Materials in den Produktionsanlagen des Landes abhängig ist, sondern auch durch andere Faktoren beeinflußt werden kann.

  • Der Einsatz von Sonderüberwachungen durch die Atomenergie-Organisation an nicht gemeldeten Anlagen eines Landes;
  • Der Einsatz weiterer Verifikationsmethoden zur Ergänzung der Sicherungsinspektionen, wie Satellitenüberwachungen und intensiveren Datenabgleich auf internationaler Ebene;
  • Verstärkte Bemühungen um den Beitritt von »Schwellen«-Staaten zum Nichtverbreitungsvertrag.
Die Verfasser dieses Berichts

Dieser Bericht ist das Ergebnis von Arbeiten, die im Anschluß an die Zusammenstellung von unterstützenden Informationen für politische Akteure und Meinungsführer zur Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrags 1990 geleistet wurden. Dabei wurden Informationsmaterialien über den Nichtverbreitungsvertrag und damit zusammenhängende Themen zusammengestellt und verteilt. Dieses Memorandum soll über den Nichtverbreitungsvertrag und die Konferenz über seine Verlängerung 1995 informieren und über Themen, die im Vorfeld dieser Konferenz zur Sprache kommen können.

An diesem Projekt sind folgende Gruppen beteiligt:

British American Security Information Council (BASIC), London

Dfax Associates Ltd., Leeds

International Security Informatin Service (ISIS), London

Verification Technology Information Centre (VERTIC), London

Der Joseph Rowntree Charitable Trust hat dieses Projekt finanziell unterstützt.

Verfaßt wurde dieser Bericht von Richard Guthrie von BASIC, unter Mithilfe fester und freier Mitarbeiter der oben genannten Gruppen. Die in diesem Memorandum geäußerten Standpunkte sind diejenigen des Autors und entsprechen nicht notwendigerweise den Ansichten der oben genannten Gruppen oder mit ihnen in Verbindung stehender Personen oder Organisationen. Übersetzung von Uta Angerer.

zum Anfang | Nukleare Nonproliferation – eine naturwissenschaftliche Betrachtung

von Wolfgang Liebert, Martin Kalinowski

1.

Häufig wird behauptet, nukleare Proliferation, also die Weiterverbreitung von Kernwaffen und die Weiterentwicklung von Kernwaffenarsenalen, sei im wesentlichen ein politisches Problem. Richtig an dieser Behauptung ist, daß politische Machtinteressen Proliferationsgefahren antreiben und daß es keine vollständige Lösung des Problems durch technische Sicherungsmaßnahmen gibt. Richtig ist auch, daß Maßnahmen auf der politischen Ebene ergriffen werden müssen, um die Proliferation zum Ende zu bringen. Falsch an der These ist, daß der existente und persistierende wissenschaftlich-technologische Kern des Problems schlicht übersehbar und verdrängbar gemacht wird. Wissenschaftlich-technische Möglichkeiten beeinflussen (häufig irreversibel) die Möglichkeiten politischer Macht. Dies fällt insbesondere auf in Zeiten instabiler politischer Verhältnisse (man betrachte beispielsweise die Situation in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) oder wenn eindeutige Begehrlichkeiten im Felde der Politik erkennbar werden (man denke beispielsweise an Franz Josef Stauß' Politik im Deutschland der fünfziger Jahre oder an die Politik der irakischen Führung in den letzten 15 Jahren). Das Problem hat seine Wurzeln im wissenschaftlich-technologischen Bereich; auch dort muß angesetzt werden. Für eine langfristige Perspektive und eine dauerhafte Tragfähigkeit von Non-Proliferations-Aktivitäten ist dieser Aspekt von hoher Bedeutung.

2.

Die Probleme der vertikalen Proliferation (Weiterentwicklung von Kernwaffenarsenalen) und der horizontalen Proliferation (Weiterverbreitung von Kernwaffen) sind eng miteinander verknüpft. Sie können nur simultan einer Lösung zugeführt werden.

Ein Ende der horizontalen Proliferation ist nicht zu erwarten ohne ein Ende der vertikalen Proliferation. Dies ist nochmals besonders deutlich geworden bei der letzten im Jahr 1990 abgehaltenen Überprüfungskonferenz des Non-Proliferationsvertrages (NPT), der im Jahre 1995 nach 25-jähriger Laufzeit zur Verlängerung ansteht. Eine Reihe von Vertretern der sich entwicklenden Länder forderten eine starke Kopplung zwischen dem Entschluß für eine Verlängerung des NPT über das Jahr 1995 hinaus mit einem eindeutigen Ende der vertikalen Proliferation in den etablierten Kernwaffenstaaten. Umgekehrt sind die politischen Hintergründe für eine Fortsetzung der vertikalen Proliferation inzwischen auch mit der Angst vor einer zunehmenden Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen verknüpft. Gründe für eine Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von großen Atomwaffenarsenalen sind nach Ende des Ost-West-Konfliktes kaum mehr zu begründen, wenn die horizontale Proliferation gestoppt und hoffentlich die bereits erfolgte Weiterverbreitung rückgängig gemacht werden kann.

Nicht nur politische Kopplungen existieren zwischen der horizontalen und der vertikalen Proliferation. Hochtechnologische Optionen werden ungeachtet ihrer möglichen militärischen Relevanz in den industrialisierten Ländern der nördlichen Hemisphäre ohne ausreichende Beschränkungnen auf industrieller Skala genutzt. Schwellenländer folgen gewöhnlich zehn oder zwanzig Jahre später mit importierten, nachgeahmten, selbst- oder weiterentwickelten Versionen dieser Technologien. Solche Entwicklungen rufen dann allgemein Befürchtungen über Proliferationsgefahren hervor. Beispielsweise ist die kernwaffenrelevante und höchst effektive Technologie der Ultrazentrifugen zur Urananreicherung eigenständig in Brasilien entwickelt worden oder mit kräftiger Unterstützung aus einigen Industrieländern (darunter Deutschland) im Irak. Diese Technologie wurde lange zuvor in nördlichen Industrieländern entwickelt und ist dort wohl etabliert. Ohne Kontrolle des Gebrauches ist diese Technologie auch die Grundlage für die Produktion hochangereicherten Urans für Kernwaffen. Dieselbe Geschichte könnte sich mit anderen Anreicherungstechnologien wiederholen. Verfahren der Laserisotopenseparation, die insbesondere für die Abtrennung von Uran-, Plutonium- und Wasserstoffisotopen interessant sind, wurden in einigen Industrieländern und Kernwaffenstaaten bereits weit entwickelt. Ihre zivile Nutzung im Rahmen der Nuklearindustrie ist noch völlig ungewiß und fragwürdig, die militärischen Interessen an dieser Technologie sind aber klar erkennbar.

3.

Die zivil-militärische Ambivalenz der Nuklearforschung und -technologie ist eine der wesentlichsten Quellen für die Gefahren der horizontalen und vertikalen Proliferation. Die weltweit betriebenen »zivilen« Nuklearprogramme senken die Schwelle zu Waffenprogrammen. Die Größenordnung des Problems wird klarer, wenn man sich vor Augen hält, daß zur Zeit weltweit über 400 Kernreaktoren mit einer elektrischen Leistung von mehr als 300 Gigawatt in Betrieb sind. Dies macht eine jährliche Anreicherungskapazität von wenigstens 10000 Tonnen schwach angereichtern Urans notwendig. Etwa 70 Tonnen Plutonium werden jährlich in diesen zivilen Leistungsreaktoren produziert. Die Überwachungsmaßnahmen der seit 1957 arbeitenden Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) reduzieren die daraus erwachsende Problematik erheblich. Ein Teil des produzierten sogenannten »Reaktor-Plutoniums«, das gleichwohl waffenfähig ist, wird aus dem nuklearen Abfall mit chemischer Wiederaufarbeitungstechnologie abgetrennt (bislang etwa ein Fünftel) und größtenteils zunächst gelagert, verbunden mit der Option einer späteren Wiederverwertung im nuklearen Brennstoffkreislauf. Vielfältige Abzweigungsmöglichkeiten für Waffenzwecke ergeben sich daraus. Eine minimale Konsequenz wäre daher die ausschließliche Verwendung von möglichst proliferationsresistenten Brennstoffkreisläufen als conditio sine qua non einer denkbaren Weiternutzung von Kernenergie.

Theoretische Analysen der »Proliferationsresistenz« von Kerntechnologien und Komponenten des Brennstoffkreislaufes sind bereits vor Jahren begonnen worden. Eine Analyse, die den Blick auf die zivil-militärischen Ambivalenz von nuklearer Forschung erweitert, wäre dringend erforderlich. Damit sollte geklärt werden, in welchem Maße zivile Nuklearprogramme (inklusive Forschungsanstrengungen) eine Quelle für Kernwaffenprogramme sein können oder bereits waren. Insbesondere sollte die bundesdeutsche Nutzung von Kernenergie und Kernforschung unter dem Gesichtspunkt aufgearbeitet werden, inwieweit altbekannte oder zum Teil international vereinbarte Forderungen (beispielsweise innerhalb von INFCE) zur Vermeidung horizontaler Proliferationsgefahren in der Bundesrepublik selbst befolgt wurden und werden. Weiterhin sollten in unserem Land weitere Empfehlungen zur Vermeidung horizontaler und vertikaler Proliferationsrisiken erarbeitet und beispielhaft umgesetzt werden. Ohne die Entwicklung von Strategien zur grundsätzlichen Vermeidung von Proliferationsrisiken bei der Nutzung der Kernernergie und entsprechenden Forschungsprogrammen, ist eine Fortführung der zivilen Kernenergieprogramme unvertretbar und unverantwortlich.

4.

Der 1968 unterschriftsreife und 1970 in Kraft getretene Non-Proliferations Vertrag (NPT) sollte die sichtbaren Gefahren der horizontalen Proliferation minimieren und der vollständigen weltweiten Abrüstung dienen. Die Befürchtungen der sechziger Jahre, die Anzahl der Kernwaffenstaaten werde sich explosionsartig vermehren, hat sich Dank des NPT zum Glück nicht bewahrheitet. Mehr als 150 Länder haben den Vertrag inzwischen unterzeichnet. In den letzten Jahren sind einige wichtige Länder hinzugekommen. Erfolge des NPT sind demnach offensichtlich. Dennoch sollten die Schwächen des NPT klar benannt werden.

Im Kern war der NPT ein doppeltes »Geschäft«. Ein Hauptaspekt war der Verzicht der »Entwicklungsländer« auf eigene Kernwaffen (Artikel II und III) gegen Unterstützung bei der »zivilen« Nutzung der Kernenergie bei gleichzeitigem Versprechen der Kernwaffenstaaten auf Stopp der Kernwaffenweiterentwicklung und Einleitung von Schritten zur vollständigen Abrüstung (Präambel und Artikel VI). Mindestens genauso wesentlich, wenn auch nicht so deutlich ausgesprochen, war der Verzicht der industrialisierten Nationen, wie Deutschland, Japan, Canada, Schweden, auf Zugang zu Kernwaffen bei gleichzeitiger unbeschränkter Nutzung der Kernenergie im »zivilen« Bereich und bei Zulassung eines exzessiven (kontrollierten) nuklearen Exportgeschäfts. Diese doppelte Strategie, die deutlich erkennbar nicht nur Sicherheitsinteressen sondern ganz entscheidend auch Geschäftsinteressen diente, hat großenteils nicht zum Erfolg geführt. Einige Tatsachen sprechen für diese Sichtweise:

  • Seit 1970 ist keine nennenswerte Stromproduktion aus Nuklearenergie in Ländern der sogenannten Dritten Welt zu verzeichnen. 1991 waren weniger als vier Prozent der weltweiten Reaktorleistung in den sich entwickelnden Ländern (unter Ausschluß der Kernwaffenstaaten China und Indien) installiert.
  • Obwohl eine Reihe sich entwickelnder Länder Zugriff zu einigen Nukleartechnologien (auch teilweise ohne Energieproduktion) bekommen haben, ist darüber nicht der erwünschte Anschluß an die Hochtechnologie der Industrieländer erreicht worden, ganz zu schweigen davon, daß sie auch kaum den Entwicklungsinteressen dienlich wären. Solche Konzeptionen sind als weitgehend gescheitert anzusehen.
  • In den siebziger und achtziger Jahren ging die vertikale Proliferation beschleunigt weiter. Zuwächse in der Größe und militärischen Schlagkraft nuklearer Arsenale, fortgesetzte Forschung und Entwicklung für Kernwaffen, eine Vielzahl nuklearer Tests resultierten in einer Fülle neuer nuklearer Sprengköpfe. Gleichzeitig wurden neue Typen lang- und kurzreichweitiger Raketen und Cruise Missiles mit erheblich verbesserter Zielgenauigkeit entwickelt, produziert und in Dienst gestellt.
  • Einige Kernwaffenstaaten sind seit den ersten Unterschriften unter den NPT im Jahre 1968 hinzugekommen. Es bestehen kaum noch Zweifel, daß in den Staaten Israel, Indien, Pakistan, die dem NPT nicht beigetreten sind, und vermutlich auch in Südafrika Kernwaffen produziert wurden und z.T. noch produziert werden, wobei Kenntnisse und Technologien von früher gestarteten »zivilen« Nuklearprogrammen verwandt wurden. In anderen nicht NPT-Mitgliedsländern, wie Argentinien und Brasilien, wurden Technologien entwickelt (zum Teil unter Nutzung internationaler Kooperationsprogramme), die Voraussetzungen für Kernwaffenprogramme sind. Diese Staaten standen einige Jahre unter starkem und berechtigtem Verdacht, Kernwaffen entwickeln, testen und produzieren zu wollen. Daß die Mitgliedschaft im NPT allein noch nichts aussagt über eine mögliche Verfolgung von Forschungs- und Technologieprogrammen, die in Kernwaffenprogrammen münden, zeigt unter anderem der berechtigte Verdacht, unter dem die NPT-Mitgliedsstaaten Taiwan, Irak und Nordkorea standen und teilweise noch stehen. Der Iran kommt neuerdings hinzu.
  • Die Exportkontrolle ist den jeweiligen potenten Mitgliedsländern in eigener Regie überlassen worden, ohne daß sie von der IAEO hätte beeinflußt werden können. Koordinationsbemühungen der stärksten Exportländer, wie sie sich in den Nuclear Suppliers Guidelines und der Zangger Trigger List ausdrücken, existieren nur auf freiwilliger Basis und sind in der Regel durch wechselnde wirtschaftliche Interessen stark beeinträchtigt. Tatsächlich hat in der Vergangenheit der Technologietransfer aus Deutschland und anderen industrialisierten Ländern durch Exporte und Beratungsaktivitäten erheblich zu Kernwaffenprogrammen, wie beispielsweise im Irak, beigetragen.

5.

Die aktuellen Gefahren der horizontalen Proliferation sind unübersehbar und müssen ernst genommen werden. Der Argwohn gegenüber einigen Schwellenländern im islamisch-arabischen Raum und gegenüber Nordkorea ist wohlbegründet bei Betrachtung der dortigen Nuklearaktivitäten. Auch einige südamerikanische Länder sollten nicht frühzeitig einer kritischen Betrachtung entzogen werden, nur weil sie sich den demokratischen, diplomatischen und überwachungstechnischen Standards der westlichen Industriewelt annähern. Die gefährliche Entwicklung im süd-ost-asiatischen Raum muß schon eher in Kategorien der vertikalen Proliferation beschrieben werden, da hier nach Produktion von Kernspaltwaffen der ersten Generation bereits die Weiterentwicklung zu Kernwaffen mit thermonuklearen Wirkungen angestrebt wird.

Das Problem der horizontalen und latenten Proliferation drückt sich auch darin aus, daß inzwischen mindestens 19 Länder Zugriff auf mindestens eine der sensitiven Nukleartechnologien Unrananreicherung oder Wiederaufarbeitung erreicht haben, die eine Produktion waffenfähiger, spaltbarer Materialien prinzipiell ermöglicht. Sensitive Nuklearanlagen in Verbindung mit größeren Forschungsreaktoren sind in manchen Ländern eher als Indizien für die Ermöglichung von Kernwaffenoptionen zu werten als daß darin erfolgreiche Grundlagen für größere zivile Nuklearprogramme zu sehen wären. Neue sensitive Nukleartechnologien werden sich im Nachvollzug der Hochtechnologieentwicklung der Industrieländer weiter verbreiten und wachsende Proliferationsrisiken auslösen.

Insbesondere nach dem Zerfall der Sowjetunion werden vagabundierende Nuklear(waffen)experten als zusätzliche Gefahr benannt. Es sollte beachtet werden, daß solche sogenannten Technosöldner ebenfalls aus westlichen Industrienationen, die ebenfalls Einschränkungen in ihren Nukelar(waffen)komplexen vornehmen müssen, abwandern können und in Einzelfällen bereits sensitives Wissen im »zivilen« Bereich weitergegeben haben. Die Furcht vor einem Schwarzmarkt für waffenfähige spaltbare Materialien kann nicht mehr als utopische Schreckensvision gebrandmarkt werden nachdem eine ganze Reihe von Nuklearschmuggelfällen bekannt geworden sind, wobei in Europa bislang allerdings glücklicherweise keine direkt waffenfähigen Materialien aufgetaucht sind, wenngleich sie bereits angeboten wurden.

Das Anwachsen der Reaktor-Plutonium-Lager, der Gebrauch dieses Plutuniums in zivilen Nuklearprogrammen wirft Fragen der latenten Proliferation auf, da in dieser Weise einige industrialisierte Länder eine Option auf Nuklearwaffen aufrecht erhalten können, auch wenn die politischen Erklärungen heute eindeutig eine andere Sprache sprechen. Auch der dazu notwendige Transport und die Verarbeitung von Plutonium birgt eindeutige Proliferationsrisiken in sich.

6.

Aktuelle Gefahren der vertikalen Proliferation sind ebenfalls eindeutig konstatierbar. Die nuklearen Abrüstungmaßnahmen in den beiden START-Verträgen sind sicher sehr zu begrüßen. Allerdings ist bislang nicht klar, ob alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die noch Kernwaffen besitzen, diese Verträge mit unterzeichnen werden. Es zeichnet sich die Gefahr ab, daß die Ukraine dauerhaft als drittstärkste Nuklearmacht der Welt fortexistieren könnte. Überdies bleibt den USA und Rußland, wenn denn tatsächlich die Reduzierung auf je 3500 bzw. 3000 Sprengköpfe im strategischen Waffenbereich im Jahre 2003 verwirklicht sein sollte, eine mehrfache »Overkill«-Fähigkeit erhalten. Das Konzept der nuklearen Abschreckung wird mitnichten ad acta gelegt.

Die noch immer fortgesetzte nukleare Aufrüstung und die nicht gestoppten Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in den kleineren, aber teilweise wohl etablierten Kernwaffenstaaten Frankreich, Großbritannien, China, Israel und Indien gilt es zu beachten. Allgemein ist nicht das Ende der Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen für Kernwaffen erreicht. Die kurzfristig ausgesprochenen Moratorien sollten nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß auch das seit langem geforderte Ende des nuklearen Testens nicht erreicht ist. Der kürzliche Beschluß des US-Kongresses, nach einer reduzierten Testserie im Jahre 1996 den vollständigen Teststopp zu wollen, ist an die Kautele gekoppelt, daß bis dahin alle anderen Kernwaffenstaaten ebenfalls ihre Tests einstellen. Besonderes hartnäckig stellt sich dem China entgegen, das einen »Nachholbedarf« gegenüber den Supermächten als Rechtfertigung für weitere Nukleartests meint ins Feld führen zu können.

Auch Forschungs- und Entwicklungsprogramme für neue proliferationsrelevante Technologien wie Trägheitseinschlußfusion, Laserisotopentrennung oder Teilchenbeschleungereinsatz zur Produktion spaltbarer oder fusionsfähiger Materialien sind nicht ausgesetzt. Dies gilt für die USA, Frankreich und eine Reihe anderer Länder. Ebenso ist ein vollständiges Ende der Produktion von wesentlichen spaltbaren und fusionsfähigen waffenfähigen Materialien, wie Plutonium, hochangereichetem Uran und Tritium nicht durchgesetzt und international überprüfbar vertraglich vereinbart.

Mehr als 500 Tonnen hochangereicherten Urans aus abgerüsteten Sprengköpfen steht zur Vernichtung an. Unklar ist, wie das auf mehr als 250 Tonnen angehäufte »Waffen«-Plutonium wieder aus der Welt geschafft werden soll. Hinzu kommen bereits jetzt mehr als 120 Tonnen abgetrennten sogenannten »Reaktor«-Plutoniums, das ebenfalls waffenfähig ist bzw. mithilfe spezieller Laseranreicherungstechnologien zu besonders gut waffentauglichem Material umgewandelt werden könnte. Für die nächsten 10 bis 20 Jahre wird man diese schwelenden Probleme, die jederzeit neue Kernwaffen generieren können, kaum los werden.

Zu allem Überfluß ist das SDI-Programm der achtiziger Jahre mit GPALS (Global Protection Against Limited Strikes) in eine neue gefährliche Phase getreten.

7.

Die traditionellen Mittel zur Eindämmung der horizontalen Proliferation sind teilweise fragwürdig geworden und sind teilweise ineffektiv. Es gibt keine vollständige Sicherheit bei der Überwachung und Kontrolle des Betriebs und Exports von Nuklearanlagen und Nuklearanlagenteilen. Der rein zivile Gebrauch ist nicht auf Dauer sicherstellbar.

Das Überwachungs-(Safeguard-)System der Internationalen Atomernergieorganisation (IAEO) ist unzureichend in Anbetracht der zu lösenden Problemstellungen. Ohnehin ist die IAEO keine »Nuklearpolizei«. In ihrem Selbstverständnis will sie lediglich dafür Sorge tragen, daß die Abzweigung von für signifikant gehaltenen Mengen von Nuklearmaterial aus dem zivilen Brennstoffkreislauf in für angemessen gehaltenen Entdeckungszeiträumen detektiert werden kann. Gemäß dieses Selbstverständisses konnte die IAEO beispielsweise die jahrelangen Bemühungen des Irak in seinem verdeckt geführten Kernwaffenprogramm nicht wahrnehmen. Die IAEO war und ist dazu institutionell und bedingt durch ihr Grundverständinis der Problematik nicht fähig. Ein besonderes Hindernis dabei ist – in Anlehnung an die Doppelfunktionen des NPT – die Doppelrolle der IAEO als Kernenergiepromotor und Kernenergie-"Kontrolleur«. Eklatant wird diese gefährliche Schizophrenie – neben der erwähnten mit Blindheit geschlagenen Haltung gegenüber dem Irak – bei der Beschönigung der fürchterlichen Folgen der Tschernobyl-Katastrophe durch eine IAEO-Expertenkommission oder die unbelehrbare Anpreisung eines weltweiten Ausbaus der Kernergie als Ausweg aus der Umweltproblematik auf der RIO-Konferenz durch den IAEO-Generalsekretär Hans Blix. Die Safeguards-Praxis der IAEO ist zur Zeit überdies wesentlich schwächer als es ihre aus diplomatischem Kalkül beschränkten Statuten zulassen würden.

Exportbeschränkungen und Exportkontrollen durch die Hauptlieferländer im Nuklearbereich werden gemeinhin als dringend notwendig und unvermeidlich angesehen. Gleichwohl notwendig bergen sie in ihrer Einseitigkeit die Gefahr in sich, daß die im NPT festgeschriebene Asymmetrie zwischen den »Habenden« und den »Nicht-Habenden« noch verstärkt wird.

Auch wenn die NPT-Mitgliedsstaaten, die nicht Kernwaffenstaaten sind, laut Artikel IV technologische Unterstützung im Bereich der zivilen Nutzung der Kernenergie zugesagt bekommen haben bei Annahme von Sicherungsmaßnahmen der IAEO (Artikel III), so erlauben sich die Kernwaffenstaaten dennoch, jegliche technologische Entwicklung geheim zu halten, die sie für kernwaffenrelevant halten, und sind nicht verpflichtet, ihre sensitiven Nuklearanlagen ebenfalls einer Überwachung durch die IAEO zu öffnen. Insofern besteht bereits innerhalb des Rahmens des NPT ein »Technologieembargo« und eine Asymmetrie. Gegenüber den Nichtmitgliedstaaten des NPT nehmen sich alle Mitgliedstaaten heraus, die Beschränkung des technologischen Austausches mehr oder weniger scharf auszulegen, was sich besonders stark in den einseitigen Vereinbarungen einiger wesentlicher Exportstaaten widerspiegelt.

Dieser nicht zu leugnende doppelte diskriminierende Charakter (intern und extern) des Non-Proliferations-Regimes wird mit der heraufbeschworenen Gefahr eines möglichen Technologieembargos des »Nordens« gegen den »Süden« zugespitzt verdeutlicht. Zumindest ist klar, daß solange eine Eindeutigkeit der Haltung auf der Geberseite zeit- und interessenabhängig wandelbar ist (man denke an die vielfachen Wandlungen und Widersprüchen unterworfenen Verhaltensweisen gegenüber Brasilien, Irak, Pakistan,…), auch die existenten Möglichkeiten der Proliferationsbeschränkung durch Exportkontrolle nicht allgemein akzeptiert werden. Erschwerend kommt hinzu, daß die Maßnahmen der Exportkontrolle konterkarrierbar sind durch eine wachsende Süd-Süd-Kooperation (und diese möglicherweise sogar regional anheizt) und die Berücksichtigung des breiten Marktes der sogenannten Dual-use-Güter entweder zur unhaltbaren Situation eines äußerst weit interpretierbaren Exportverbots oder – im anderen Extrem – jeglicher Unterlaufung der in der aktuellen Situation im Grunde vernünftigen Beschränkungen Tür und Tor öffnet.

Gegenwärtig sind Bemühungen um einen internationalen Angleich der Exportkontrollbestimmungen und ihre institutionell abgesicherte Durchführung wesentlich, um gefährliche Schlupflöcher zu schließen. Auch wenn die Überwindung der laschen Behandlung der Exportkontrolle der Vergangenheit in einigen Industrieländern positiv vermerkt werden muß, scheint offensichtlich, daß einseitige Exportkontrolle auf lange Sicht nicht das Mittel der Wahl sein kann.

Festzuhalten bleibt, daß militärische Eingriffe noch fragwürdiger sind und eher mehr Schaden anrichten, als sie vorgeblich an Problemen lösen können. Eine fatale Konsequenz des Fehlschlagens von aktuell notwendigen Exportkontrollbemühungen und Inspektionen wäre eine erhöhte Kriegsgefahr. Militärische Schläge unter Einbeziehung des Angriffs auf Nuklearanlagen, deren internationale Ächtung von einigen westlichen Militärmächten seit mehr als 12 Jahren bei der Konferenz für Abrüstung in Genf blockiert wird, müssen dringend ausgeschlossen werden.

8.

Die traditionellen Mittel zur Eindämmung der vertikalen Proliferation sind völlig unzureichend. Die über 20 Jahre alten Formulierungen im NPT, betreffend die nukleare Abrüstung, die Beendigung des nuklearen Testens und sogar die vollständige weltweite Abrüstung, werden immer noch von einigen Kernwaffenstaaten eher als (unverbindlich gemeinte) Absichtserklärungen interpretiert ohne jegliche Verbindlichkeit oder zeitliche Verpflichtung – und dies trotz des absehbaren Endes der vorläufigen Laufzeit des Vertrages in zwei Jahren.

Die Entwicklung von Maßnahmen zur qualitativen Rüstungskontrolle steckt noch immer in den Kinderschuhen. Dies gilt allgemein, nicht nur für den Nuklearbereich. Selbst der SALT Vertrag und die meisten weiteren Rüstungskontrollabkommen der Vergangenheit wurden ausgehandelt mit den Umgehungstechnologien der Zukunft im Hinterkopf. Sicher ist insbesondere auch das vorliegende Verhandlungsergebnis des START II Vertrages begrüßenswert, aber auch hier werden Hintertüren offengehalten, um mehr Qualität auf vereinbart niedrigerem Niveau erreichen zu können. Beispiele sind die zugestandenen Weiterentwicklungen im Bereich der »Unverwundbarkeit« der U-Boot-Flotten, und der fortführbaren Cruise Missile Entwicklung.

Die gemachten Vorschläge, statt eines vollständigen Teststoppvertrages eher nur die Anzahl und die Energieausbeute erlaubter Tests zu reduzieren, sind ungeeignet, die Fortentwicklung von Kernwaffenkonzepten erfolgreich zu beenden. Über einen absoluten Teststopp hinaus sind weitere Maßnahmen im Bereich der bislang beispielslosen Beschränkung von Forschung und Entwicklung notwendig, wenn jegliche wissenschaftlich-technische Innovation im Kernwaffenbereich nachhaltig verhindert werden soll.

9.

Maßnahmen zur Stärkung der Bemühungen zur Eindämmung der horizontalen Proliferation sind dringend erforderlich. Die Infragestellung traditioneller Werthaltungen und »erprobter« Vorgehensweisen insbesondere im Bereich der IAEO darf nicht mehr unter Denkverbot gestellt werden. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) ist was ihre Rolle und die von ihr ausführbaren Maßnahmen angeht dringend reformbedürftig. Mittelfristig wäre es wünschenswert, die IAEO aufzutrennen; zu einen in eine echte, ausreichend finanziell und personell ausgestattete Kontrollbehörde im Bereich der Nuklearforschung, der Nukleratechnologie und des entsprechenden internationalen Transfers zu anderen in eine Internationale Energiebehörde, die sich der Förderung der Kooperation in der Entwicklung und Verbreitung von benötigter, der Umwelt angepaßter und Entwicklung ermöglichenden Energietechnologien widmet. Zur Erhöhung der Sanktionsfähigkeit könnte die Kontrollbehörde den Vereinten Nationen unterstellt werden und eng mit dem (ebenfalls reformbedürftigen) UN-Sicherheitsrat kooperieren.

Ein Maßnahmenkatalog der nuklearen Kontrollbehörde müßte so entwickelt werden, daß er bestimmte Mängel des praktizierten und überholten IAEO-Systems zu überwinden sucht. Zur Liste der Maßnahmen, die sich nicht ausschließlich nur auf die Vermeidung der horizontalen Proliferation beschränken sollte, gehört:

  • Durchführung von Verdachtsinspektionen jederzeit, überall und mit jeglicher Befugnis (ohne Diskriminierung bestimmter Länder);
  • keine Beschränkung auf den Brennstoffkreislauf und lediglich spezifisch auf betriebsfähige Anlagen bezogene Verträge, sondern Einbeziehung von Anlagenteilen und auf Anlagen und Wissensbereiche bezogenen waffenrelevanten Technologien und Kenntnisse, soweit möglich;
  • teilweiser Erweiterung der reinen Spaltstoffflußbuchführung und -kontrolle durch zusätzliche Inspektionsmaßnahmen auch außerhalb sogenannter Schlüsselmeßpunkten, um mögliche Abzweigungspfade an der gängigen Spaltflußkontrolle vorbei abdecken zu können;
  • Erweiterung der Spaltflußkontrolle um geeignete Maßnahmen zur Senkung der unvermeidlichen Fehlermargen;
  • realistisch niedrigerer Ansatz der signifikanten Mengen kernwaffenfähiger Materialien (etwa 10 Kilogramm für hochangereichertes Uran, etwa 3 Kilogramm für Plutonium und Grammmengen für Tritium);
  • Berücksichtigung von Synergismen in nationalen Nuklearprogrammen und internationalen Kooperationen;
  • technische Verbesserung der Safeguards-Methoden (beispielsweise zur Beschleunigung der Auswertung von Meßergebnissen, zur direkten Übermittlung von Ergebnissen an die Kontrollbehörde, zur technisch möglichen Dauerüberwachung);
  • Entwicklung und Implementierung von neuen Monitoring-Methoden, so zum Beispiel von Möglichkeiten der Fernerkundung (Kryptonemissionsmessungen wären beispielsweise geeignet zur Überwachung einer Plutoniumproduktion);
  • Erweiterung der nuklearen Safeguards um Entdeckung heimlicher Tritiumproduktion;
  • ausreichende Frequenz von Inspektionen mit dem Ziel, die Vorwarnzeiten für Anlagenbetreiber zu verringern;
  • Beginn der Überwachung nicht erst mit offiziellen Datum der Ankunft nuklearer Betriebsmaterialien und Ende der Überwachung nicht bereits mit offiziellen Abtransport der genutzten nuklearen Materialien;
  • Maßnahmen zur Aufdeckung möglicher geheimer Anlagen und Programme;
  • keine Geheimhaltung der gesammelten Erkenntnisse (beispielsweise Veröffentlichung des Safeguards Implementation Reports).

Kurzfristig wäre daran zu denken, zumindest die Statuten der IAEO positiv zu verändern. Es sollte nicht gezögert werden eine dringend notwendige Erhöhung in der finanziellen Ausstattung der IAEO durch Beiträge von Industrieländern wie Deutschland an entsprechende Bedingungen zu knüpfen.

Darüberhinaus sind weitere Maßnahmen denkbar:

  • Einrichtung regionaler atom(waffen)freier oder massenvernichtungswaffenfreier Zonen unter Einschluß des Verbots sogenannter friedlicher Nuklearexplosionen und Abschluß weiterer internationaler Verträge zur Stärkung des NPT-Regimes ohne den NPT selbst tangieren zu müssen;
  • vollständiges Ende der Produktion höher angereicherten Urans und weltweites Ende des Betriebs von (Forschungs-)Reaktoren mit Uran eines Anreicherungsgrades oberhalb von 20%;
  • Konterkarrierung der Exportkontrollen durch Süd-Süd-Kooperation und Export sogenannter Dual-use-Güter konstruktiv bearbeiten;
  • Entwicklung neuer Angebote der weltweiten wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit dem Ziel nachhaltiger, ökologisch dauerhafter und sozial tragfähiger Entwicklung (die Richtung ist mit der vorgeschlagenen Einrichtung einer Internationalen Energiebehörde angedeutet).
  • Exportländer müssen nicht nur eine eindeutige, von wirtschaftlichen und anderen kurzfristigen Interessen unabhängige Haltung allen Empfängerländern gebenüber an den Tag legen, sondern auch intensiv über Selbstbeschränkung nachdenken, um ein überzeugendes Beispiel zu geben. Das Infragestellen des Sinns von Nuklearprogrammen (global und bei uns selbst) kann mehr zur Vermeidung von Proliferationsrisiken beitragen als die künstliche Beschränkung des Exports. Solange weitentwickelte Industrieländer auf dem sogenannten »vollständigen« Brennstoffkreislauf unter Einbeziehung von Plutoniumabtrennung aus dem nuklearen Abfall und seiner Wiederverwertung bestehen, kann kein Land der sich entwickelnden Welt nachhaltig davon überzeugt werden, daß dies kein anzustrebender Entwicklungspfad ist.
  • Die Idee einer Internationalisierung von bestimmten Teilen des nuklearen Kreislaufes, etwa im Bereich der Produktion schwach angereichtern Urans, sollte wieder neu in Betracht gezogen werden. Dem trägt auch Rechnung, daß die Kontrolle im Bereich der Produktion schwach angereicherten Urans leichter und erfolgversprechender durchführbar ist als bei der Wiederaufarbeitung des nuklearen Abfalls.

10.

Maßnahmen zur Beendigung der vertikalen Proliferation müssen dringend entwickelt und so schnell wie möglich ergriffen werden. Dabei sollte entsprechend Artikel VI des NPT das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt – als Etappenziel zur umfassenden weltweiten Abrüstung – ins Auge gefaßt werden. Wesentliche Punkte wären:

  • Exportkontrollen müssen in symmetrischer Weise durchgeführt werden und sollten sich im Prinzip auf alle waffenrelevanten Exporte beziehen. Nicht nur die vieldiskutierten Nuklearexporte von Deutschland und anderen Ländern in den Irak sind äußerst fragwürdig und gefährlich, sondern auch Exporte zur Unterstützung nuklearwaffenrelevanter Programme beispielsweise im US-amerikanischen Lawrence Livermore National Laboratory (Export optischer Einrichtungen der deutschen Firma Zeiss für das militärische Trägheitseinschlußfusions-Programm).
  • Eine gründliche Analyse der zivil-militärischen Ambivalenz avancierter Forschungs- und Entwicklungsprogramme sollte zu Konsequenzen für die Forschungs- und Technologiepolitik führen. Förderbeschränkungen und die möglichst irreversible Konversion von Forschung und Entwicklung sollte von Fall zu Fall erfolgen.
  • Ein Vertrag über das endgültige Ende des nuklearen Testens sollte sofort und vorbehaltslos ausgehandelt werden.
  • Der Verzicht auf die Entwicklung von Laserisotopentrennungs- und Trägheitseinschlußfusions-Technologien, auf Weiterentwicklung von Cruise Missiles und weiteren Verbesserungen der Zielgenauigkeit von Waffensystemen sollte einseitig erklärt werden und anschließend vertraglich abgesichert werden.
  • Ein verifizierbarer Produktionsstopp für alle spaltbaren waffenfähigen Nuklearmaterialien unter Einschluß des fusionierbaren Materials Tritium sollte schnell ausgehandelt werden in Verbindung mit entsprechenden Monotoring-Maßnahmen.
  • Eine internationale Vereinbarung über die Registrierung und Kennzeichnung aller vorhandenen Kernwaffen sollte erzielt werden, um eine eindeutig überprüfbare Abrüstungsstrategie erreichen zu können.
  • Die Nuklearwaffenstaaten sollten sofort der IAEO (oder ihrer Nachfolgeorganisation) erlauben, alle ihre nuklearen Anlagen unter Überwachung zu nehmen (full-scope Safeguards auch in den Kernwaffenstaaten).
  • Alles waffenfähige hochangereicherte Uran sollte alsbald zu leicht angereichertem reaktortauglichen Uran verschnitten und dem zivilen Markt zugeführt werden, um in Kernreaktoren verbrannt zu werden. Egoistischer wirtschaftlicher Protektionismus westlicher Industrieländer in dieser Frage verhindert die schnelle und unumkehrbare Abrüstung dieser Waffenmaterialen in unverantwortlicher Weise. – Optionen für die Unbrauchbarmachung und Zerstörung von »Waffen«-Plutonium müssen dringend geklärt werden.
  • Die Internationalisierung von Lagern spaltbarer Materialien ist dringend anzuraten. Dies schafft Zeit für die Auswahl einer besten Strategie zur Zerstörung waffenfähiger Materialien.
  • Ein einseitiger Verzicht auf Nutzung sensitiver Nukleartechnologien im nationalen Rahmen könnte erklärt werden von Kernwaffenstaaten und von Ländern, die große Nuklearprogramme besitzen. Deutschland sollte beispielsweise den endgültigen Verzicht auf Wiederaufarbeitungstechnologien, der landesintern zur Zeit de-facto besteht, öffentlich erklären und die Nutzung von Plutonium im Brennstoffkreislauf beenden.
  • National und international sollte die Frage aufgeworfen werden: Wie lange noch und in welchem Maße brauchen wir große kommerzielle Nuklearprogramme? Eine Strategie des Ausstiegs scheint ratsamer als die einer Expansion angesichts der ansonsten weltweit wachsenden Proliferationsgefahren.

11.

Die Probleme des zivilen und militärischen Gebrauchs der Kernenergie konvergieren im Müllproblem. Was mit dem hochradioaktiven Müll aus abgebrannten Brennelementen geschehen wird ist ebenso ungeklärt wie die Frage, wie am sinnvollsten abgerüstetes Plutonium auf Dauer unbrauchbar gemacht werden kann. Zwei Seiten derselben Medallie, mit dem der faustische Pakt bezahlt werden muß.

Vordringlich ist die Frage nach den Kriterien und Methoden der Behandlung abgerüsteten Waffenplutoniums, um die mit seiner Existenz verbundenen latenten Proliferationsgefahren (horizontal wie vertikal) in den Griff zu bekommen. Sorgfältig zu evaluierende Methoden, die zum Teil noch mit ungelösten naturwissenschaftlich-technischen Fragestellungen behaftet sind, wären:

  • Verwendung für die Produktion von Mischoxid- (MOX-) Brennelementen und Umwandlung in zivilen Kernreaktoren
  • Endlagerung vermischt mit Atommüll (eventuell nach vorheriger Verglasung), wobei noch unklar ist wo dies geschehen könnte
  • Nutzung als Brennstoff für sogenannte Actiniden-Brenner, die den Schnellen Brutreaktoren verwandt sind
  • Umwandlung (Transmutation) in hohen Neutronenflüßen, die durch Teilchenbeschleuniger oder Fusionsanlagen erzeugt werden können
  • in die Sonne oder andere Gestirne unseres Planetensystems schießen
  • Zerstörung in einer unterirdischen Kernexplosion.

Bei den Bewertungskriterien wäre abzuwägen die Vor- und Nachteile bezüglich

  • des erzeugten Ergebnisses (Zerstörung des Plutoniums, mehr oder minder reversibel einzuschätzende Unbrauchbarmachung oder irreversible Umwandlung in eine mehr oder minder militärisch nutzbare Isotopenzusammensetzung);
  • der Proliferationsresistenz der verwendeten Technologien (entstehen neue waffenrelevante Optionen?; sind Abzweigungen von spaltbaren Materialien möglich?);
  • der Umweltaspekte der verwendeten Methoden und Technologien;
  • der Nachhaltigkeit des Ergebnisses (Reversibilität/Irreversibilität, Notwendigkeiten der lang- oder kurzfristigen Nachsorge);
  • der Zeitskala (wie schnell greift die Methode);
  • der Kosten (Entwicklung, Konstruktion, Anlagenbetrieb, Abfallnachsorge);
  • des Einflusses auf Konversionsbemühungen (Beschäftigungsmöglichkeiten von Wissenschaftlern, Technikern des alten Nuklearwaffenkomplexes; Nutzungsmöglichkeiten von Anlagen);
  • der Konvergenzaspekt (sind die verwendeten Technologien auch einsatzbar für einen sinnvollen Umgang mit hochradioaktiven Abfällen der zivilen Kernenergienutzung?).

12.

Als Fazit zeigt sich, daß die Problematik der nuklearen Proliferation dauerhaft nicht mit kurzfristig angelegten Maßnahmen beizukommen ist, sondern eher unter dem Oberthema „Abrüstung und Neuorientierung der naturwissenschaftlich-technischen Determinaten unserer industrialisierten Weltkultur“ einer nachhaltigen Lösung näher zu bringen ist. Natürlich darf dabei das Feld der Poltik, der erkennbaren Absichten, der Machtinteressen, etc. nicht außer Acht bleiben. Die These bedeutet ebenfalls nicht, daß rein technischen Lösungen (beispielsweise SDI/GPALS) das Wort geredet wird. Es ist überdeutlich, daß das Vertragswerk des NPT nicht leichtfertig geopfert werden darf. Gleichwohl ist es interpretationsfähig und interpretationsbedürftig, in Hinblick auf vollständige (nukleare) Abrüstung und Verhinderung der militärischen Nutzung der Kernenergie. Diese Chance sollte in den anstehenden Verhandlungen zur Verlängerung des NPT genutzt werden. Dies kann beispielsweise durch entsprechende klärende Zusatzprotokolle geschehen und durch parallele Bemühungen zur Reform bzw. Umgestaltung der IAEO.

Als Fragen bleiben offen: Wie kann auf Dauer Ländern der dritten Welt der Zugriff auf Kernwaffen verweigert werden, wenn weiterhin an die Rationalität von Kernwaffenarsenalen innnerhalb der NATO und in anderen Regionen der Welt geglaubt wird? Wie kann auf Dauer der Verzicht auf sensitive Nukleartechnologie in Schwellenländern gefordert werden, während gleichzeitig auf den eigenen Zugriff auf diese Technologien bestanden wird? Kann auf Dauer das horizontale Proliferationsproblem eingedämmt werden, wenn weltweit die Nuklearprogramme auf heutigen Niveau erhalten bleiben bzw. weiter expandieren? Wenn über einen »Energiekonsens« in unserem Land diskutiert wird, wäre es dann in Hinblick auf die anstehende Diskussion um die Verlängerung des NPT und über die Verbesserung der Anstrengungen zur Vermeidung von Proliferationsrisiken nicht dringend erforderlich auch eine breitere Konsensdebatte unter Einschluß der Proliferationsproblematik zu führen?

Wolfgang Liebert und Martin Kalinowski sind Mitarbeiter in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheitspolitik (IANUS) an der TH Darmstadt.