Schutz für humanitäre Hilfsorganisationen

Schutz für humanitäre Hilfsorganisationen

Erfahrungsbericht aus Somalia

von Nicola Kaatsch

Dieser Bericht ist im Anschluß an einen siebenmonatigen Einsatz mit »MSF – Ärzte ohne Grenzen« in Kismayu und Gelib entstanden. Bei der Beschreibung beschränkt sich die Autorin auf den Süden Somalias. Dieser Region fällt mit der Hafenstadt Kismayu, der geographischen Nähe zum Nachbarland Kenia und vor allen Dingen mit den Flußtälern des Juba und Shebelli eine herausragende Bedeutung für die Ernährung und Versorgung des gesamten Landes zu.

Die Bilder des Somaliakrieges sind uns aus den Medien bekannt. Auch unterscheiden sie sich nicht von den Bildern der nicht medienwirksamen Kriege und Konflikte im Südsudan oder Tadschikistan. Die medizinischen Hilfsprogramme haben sich in ihrem Kern in Somalia ebenfalls nicht verändert.

Verändert haben sich die Rahmenbedingungen: Eindeutige große Kriegsparteien oder politische Lager gibt es in Somalia nicht, und der Übergang zu bewaffneten Plündererbanden ist fließend. So sind Gespräche und Verhandlungen mit Clan- und Subclan-Ältesten ein einziger Jonglierakt unter Beachtung der jeweiligen Machtverhältnisse.

„Der Krieg findet nicht mehr in Grenznähe, sondern mitten in den Staatsgebieten statt. Die Unterscheidung zwischen Stützpunkten im Hinterland, befreitem Gebiet und Kampfzone gibt es nicht mehr. Heutzutage trifft man heimatlose Zivilisten an denselben Orten an wie kämpfende Soldaten … Wenn die Hilfsorganisationen die Zivilbevölkerung erreichen wollen, können sie nicht mehr am Rand der Kampfgebiete agieren, sondern müssen tief in die unsicheren Gebiete vorstoßen, wo sie nicht mehr den Schutz der bewaffneten Bewegungen genießen, die selbst kaum in der Lage sind, ihren Zusammenhalt zu bewahren … Unter diesen veränderten Bedingungen gewinnt die Frage der Sicherheit der privaten Hilfsorganisationen eine zentrale Rolle.“ 1

In Kismayu und im Juba Tal kämpfen seit dem Sturz des Diktators Siad Barres Sub-Clans der Darods um die Vorherrschaft. Die Hauptakteure sind die Milizenchefs »General Morgan«, Schwiegersohn und ehemaliger Verteidigungsminister von Siad Barre, und Omar Jess, der als Führer des »Somali Patriotic Movements« direkter Verbündeter von General Aidid (Hawiye) ist.

Bei meiner Ankunft im März zog sich die Frontlinie quer durch die Stadt. Die sechs in der ganzen Stadt verteilten »Feeding Center« wurden in den ersten Märztagen zerstört und ausgeraubt. In ihnen wurden 1000 schwerst unterernährte Kinder behandelt. Weitere 5000 Kinder erhielten zweimal die Woche eine Zusatznahrungsmittelration und konnten jederzeit durch regelmäßige Gewichtskontrollen direkt in die sog. therapeutischen Einrichtungen überwiesen werden.

Eine Wiederaufnahme der Arbeit in diesen Centern war aus Sicherheitsgründen nur schleppend möglich. Der größte Teil der Mitarbeiter war geflohen. Unter sorgfältiger Beachtung der Clanzugehörigkeit mußte ein neues Team angeheuert und angelernt werden. Die bis zu diesem Zeitpunkt bewaffneten Wächter, die die Zentren vor Raubüberfällen schützen sollten, wurden durch unbewaffnete ersetzt. Den Schutz übernahmen die UN-Blauhelme. Praktisch sah es so aus, daß ich nur unter ihrer Eskorte und in ihrer Anwesenheit in den Zentren arbeiten konnte und mich dabei nach deren Verfügbarkeit richten mußte.

Während der offenen Kampftage wurden wir von Panzern zwischen Haus und Krankenhaus hin und her gefahren. Diese beiden Gebäude waren rund um die Uhr von UN-Blauhelmsoldaten beschützt.

Der völlige Verlust von Privatsphäre durch ein noch näheres Zusammenrücken auf dem eh schon sehr beengten Lebensraum, um Militärfahrzeug, Gerät und Soldaten unterzubringen, sowie die Notwendigkeit der Gewöhnung an den allnächtlichen Lärm auf dem Dach, verursacht durch die zweistündlichen Wachwechsel, mußten in Kauf genommen werden.

Durch die räumliche Nähe wurden wir Zeugen skandalösen Betragens gleicher UN-Blauhelmsoldaten. Somalis wurden grundlos zusammengeschlagen, somalische Frauen verbal wie körperlich belästigt und Kinder durch wilde »Rumraserei« in den Straßen hochgradig gefährdet und wiederholt angefahren. Durch das Auftreten in Unterhosen in der Öffentlichkeit (auf den Dächern der internationalen Hilfsorganisationen) wurde die moslemische Bevölkerung in ihrem religiös-kulturellem Selbstverständnis beleidigt.

Dies hat zwar nichts mit der politischen Diskussion um bewaffnete Interventionen unter dem Deckmantel »Humanitäre Hilfe« zu tun, muß aber erwähnt werden.

Fatales Beispiel für die Erpreßbarkeit von Seiten der somalischen Kriegsparteien sowie dem »Spiel« Distanz-Nähe zu den UN-Einheiten ist folgendes Ereignis aus dem März: Kismayu war wieder in General Morgans Händen. Schutzsuchende »Jess-Leute« lebten noch auf dem Gelände des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK), auf dem MSF Krankenhausgelände (die Hälfte unserer Krankenhausmitarbeiter gehörten zur »gegnerischen« Seite und profitierten von dem UN-Schutz im Krankenhaus), und schließlich eine kleine Gruppe, die sich in der 200 m vom Krankenhaus gelegenen ehemaligen Polizeistation verschanzt hatte. Seit Tagen hatten »Ärzte ohne Grenzen« mit den Darod-Ältesten verhandelt, um eine Evakuierung der verbliebenen »Jess-Leute« zu arrangieren. Die Verhandlungen standen unter dem Druck der zunehmenden Massaker an eben diesen Menschen. Die UN hatte eine Eskorte zugesichert, konnten oder wollten aber keine Fahrzeuge zur Verfügung stellen. Am 31. März kam es zum offenen Kampf. Das IKRK erhielt eine Granate über die Grundstücksmauern. Im Krankenhaus wurde ich Zeugin eines Massenmassakers von »Morgan-Leuten« an den in der Polizeistation verschanzten »Jess-Leuten«. Unsere Soldaten auf dem Dach haben nicht eingegriffen. Unser Team hat sich im Panzer vom Krankenhaus aus der panischen Menge in die Militärbasis flüchten können. Nach nächtlichen Verhandlungen haben die Blauhelme sämtliche Angehörigen des Jess-Lagers aus Kismayu 40 km hinter die Frontlinie auf sicheres Terrain transportiert. Auf den UN-Lastern sind nicht nur die politischen Flüchtlinge, sondern auch unser medizinisches Personal sowie ein großer Teil der Patienten geflohen. Die Fahrt für die Flüchtenden endete in einem kleinen Dorf ohne jegliche medizinische Versorgung. In den kommenden Wochen wurden »Ärzte ohne Grenzen« von Omar Jess massiv unter Druck gesetzt, in jenem Dorf eine Klinik einzusetzen. Er setzte die Patienten als unmittelbares Druckmittel ein, indem er ihnen verwehrte in freier Entscheidung sich zurück in medizinische Behandlung zu begeben. Diese stand ihnen offen in Kismayu oder Gelib, einem Dorf mit einer Klinik von uns, das fest in Jess` politischer Hand war. Innerhalb der ersten Tage starben 14 Patienten. Nur durch inoffizielle Arrangements war es uns möglich, den Patienten notdürftige medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Erst im Juni durften die Patienten in eine der beiden Kliniken verlegt werden.

In den friedlicheren Monaten Juni bis August hatten wir erheblich mehr Bewegungsfreiheit. Diesen relativen Frieden stabilisierten die UN-Truppen, die mit ihren militärischen Kontrollpunkten dafür sorgten, daß die vor die Stadttore verdrängte Front auch vor der Stadt blieb. Ebenso hat die Unterzeichnung des Friedensabkommens von Kismayu zu den ruhigeren und sich stabilisierenden Verhältnissen beigetragen. Dieses Abkommen wurde von 120 Stammesältesten verschiedener Clans nach fast dreimonatigen Verhandlungen unter Führung von UNOSOM II unterzeichnet. Sichtbares Resultat waren die gefüllten Märkte sowie die Abnahme der hohen Fluktuation und häufigen Umsiedlungsaktionen der Bevölkerung. Die Familien fühlten sich wieder sicherer, nahmen Handel auf und konnten sich allmählich sogar über die Frontlinie bewegen. Patienten brauchten nicht mehr um ihr Leben bangen, wenn sie sich dem Krankenhaus anvertrauten: Abkommen zwischen den Clanältesten und »Ärzte ohne Grenzen« sorgten schließlich unter Schutz der UN-Truppen für freien Zugang für Angehörige aller Parteien zu dem einzigen Krankenhaus Südsomalias. Die Impfkampagnen konnten geordneter durchgeführt werden. Zur gleichen Zeit haben UN-Soldaten die erste Schule wiederaufgebaut, der lokalen Hilfsorganisation »Somali Women Concern« Nähmaschinen gestiftet und sich an der Reparatur der von der Regenzeit heftig zerstörten Straßen und Deiche beteiligt. Selbst unser Team hat sich von den UN-Truppen mit ihren Maschinen bei der Aufräumung des neuen Grundstückes helfen lassen.

Wie sehr es sich bei dieser Stabilisierung in Kismayu dann aber doch nur um eine Problemverschiebung handelte, verdeutlicht eine meiner Tagebuchaufzeichnungen: „Heute Morgen haben wir erfahren, daß innerhalb der nächsten 48 Stunden ein Angriff von Omar Jess erwartet wird. Kenia übt totalen Druck aus, daß die Flüchtlinge nach Somalia zurückkehren können, dafür muß gewährleistet sein, daß Kismayu in General Morgans Händen bleibt. (Flüchtlinge wie Morgan gehören zum Clan der Darods) Also werden die vermeintlich neutralen Truppen Omar Jesses Front »großzügig zerstören«, O-ton der Amis heute morgen.“ Oft war es nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien bei dem einen oder anderen Gefecht entweder gar nicht, verspätet und dann wieder mit aller Härte eingegriffen wurde.

Diese Undurchsichtigkeit zeigt deutlich, daß die Neutralität der UN nicht gewahrt werden konnte. Mit der offenen Kriegserklärung an General Aidid schlug die humanitäre Hilfe endgültig in eine militärische Aktion um, und die Arbeit der NGOs ist seitdem mehr gefährdet denn je. In der Vorstellung der Somalis treten die Hilfsorganisationen immer mehr in Verbindung mit den parteiischen UN-Truppen. Eine politische Orientierungslosigkeit der ganzen Intervention in Somalia läßt sich nicht mit einer Aktion nur der Aktion willen verdrängen. Die Konzeptlosigkeit zu Beginn der militärischen Intervention und die Unkenntnis über politische und gesellschaftliche Strukturen in Somalia haben mit dazu geführt, daß die UN-Truppen sich in der Gewaltspirale verfangen haben.

Den internationalen Hilfsorganisationen muß freigestellt bleiben, wie sie sich selbst und ihre humanitären Prinzipien am besten schützt. „Es ist heutzutage für die humanitären Hilfsorganisationen schon schwierig genug, sich selbst zu schützen, noch schwieriger wird es für sie, wenn – theoretisch zu ihrem Nutzen, doch praktisch zu ihrem Schaden – Politiker, die keine Politik haben, sich mit bewaffnetem Eifer ihrer annehmen.“ 2

Nicola Kaatsch (Krankenschwester, Medizinstudentin) ist Vorstandsmitglied der IPPNW/Deutsche Sektion und arbeitete mit der Organisation »Ärzte ohne Grenzen« ein halbes Jahr in Somalia.

Helfer in Uniform?

Helfer in Uniform?

Militäreinsätze in der humanitären Hilfe

von Peter Runge

Im Juli 2006 ordnete Verteidigungsminister Franz-Josef Jung an, dass sich die deutschen Soldaten in Afghanistan nur noch in gepanzerten Fahrzeugen bewegen dürfen. Hintergrund dieses Befehls ist die dramatische Verschlechterung der dortigen Sicherheitslage. Noch nie seit der Einsetzung der »International Security Assistance Force« (ISAF) durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Ende 2001 sind so viele Menschen in Afghanistan Terrorangriffen zum Opfer gefallen: Mehr als 1.700 Menschen, darunter auch 60 ausländische Soldaten, wurden seit Beginn des Jahres 2006 getötet.1 Auch die Bundeswehrsoldaten in Kabul und in Nordafghanistan sind zunehmend zur Zielscheibe von Sprengstoff- und Raketenanschlägen geworden. Im Juli 2006 meldete die Bundeswehr, dass im laufenden Jahr bereits mehr Attentate auf die deutschen ISAF-Truppen verübt worden seien als im ganzen Jahr 2005. Interne Lageberichte sprechen von einer „neuen Qualität der Gefährdung“2 für die Bundeswehr im Norden Afghanistans, der bisher als friedlich galt. Auch die in Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen sind in den Sog der zunehmenden Gewalt geraten. Offensichtlich werden sie von den Taliban und anderen terroristischen Gruppierungen als Teil der westlichen Interventionsstrategie wahrgenommen. Im Jahr 2005 wurden 31 Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen ermordet; 2004 waren es 24, darunter fünf Helfer von Médecins sans Frontières (MSF). Die Organisation beschloss darauf hin, alle Hilfsmaßnahmen in Afghanistan einzustellen, und verwies auf eine zunehmende Instrumentalisierung der humanitären Hilfe durch die von den USA geführte Koalition in Afghanistan. Amerikanische Streitkräfte hatten im Südosten des Landes Flugblätter verteilt, in denen die Bevölkerung zur Kooperation im Antiterrorkampf aufgefordert wurde. Im Gegenzug wurden weitere Nahrungsmittelpakete in Aussicht gestellt, im Falle der Nichtkooperation die Einstellung der Hilfslieferungen angedroht. Kaum ein Beispiel könnte die Instrumentalisierung der humanitären Hilfe besser illustrieren als dieser Versuch, humanitäre Hilfe in militärisch-strategische Überlegungen einzubetten.

Die jüngsten Angriffe auf die Mitarbeiter/innen von humanitären Hilfsorganisationen in Afghanistan zeigen, dass die Grenzen zwischen militärischen und humanitären Akteuren zunehmend verwischt werden. Die deutschen Hilfsorganisationen haben sich klar gegen eine Vermischung von humanitärer Hilfe und militärischen Zielsetzungen in Afghanistan ausgesprochen.3 Welche Gründe haben die humanitären Hilfsorganisationen dafür? Wie sind die bisherigen Erfahrungen deutscher Nichtregierungsorganisationen (NRO) in der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr?

Grundlagen der humanitären Hilfe

Humanitäre Hilfe richtet sich an die Opfer von Krisen und Katastrophen und hat zum Ziel, Leben zu retten und menschliches Leid zu mildern. Sie wird unabhängig von der ethnischen, religiösen und politischen Zugehörigkeit der Opfer geleistet. Humanitäre Hilfe wird seit jeher von zivilen nichtstaatlichen Hilfsorganisationen geleistet, die nach ihrem Selbstverständnis und Rechtsstatus eigenständig und politisch unabhängig handeln und allein den humanitären Prinzipien und dem humanitären Völkerrecht verpflichtet sind. Die normativen Grundlagen in der humanitären Hilfe beruhen in erster Linie auf den Genfer Konventionen von 1949, den Zusatzprotokollen von 1977, dem Völkergewohnheitsrecht sowie auf den Grundsätzen, die das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung im Rahmen ihrer bald 150jährigen Geschichte erarbeitet haben. Der »Verhaltenskodex für die Internationale Bewegung vom Roten Kreuz und Roten Halbmond und nichtstaatliche Hilfswerke in der Katastrophenhilfe«, der von mehr als 300 Hilfsorganisationen unterzeichnet wurde, definiert zehn Grundprinzipien für das Verhalten von Hilfsorganisationen und ihres Personals als Qualitäts- und Leistungsstandards in der humanitären Hilfe. Im Zentrum dieser humanitären Prinzipien stehen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Hilfe.

Zivil-militärische Zusammenarbeit

Verschiedene sicherheitspolitische Dokumente, von den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« aus dem Jahr 2003, über die Europäische Sicherheitsstrategie (Solana-Doktrin) bis hin zum Entwurf für das Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr, zeigen, dass der Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee („Armee im Einsatz“) in vollem Gange ist und zukünftig die Reaktion auf internationale Konflikte, asymmetrische Bedrohungen, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen im Mittelpunkt deutscher Sicherheitsfragen stehen. Die Ausdehnung des Mandats der Bundeswehr kulminierte in der Aussage des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck, dass die Sicherheit der Bundesrepublik auch am Hindukusch verteidigt werde.4

In der Öffentlichkeit wird die Umstrukturierung der Bundeswehr auch mit neuen Anforderungen im Bereich der Krisenbewältigung und der humanitären Hilfe legitimiert. Dementsprechend ist auch der Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit ausgebaut worden. So hat die Bundeswehr ein eigenes »Civil-Military Cooperation« (CIMIC)-Konzept entwickelt, das die Zusammenarbeit militärischer Dienststellen mit zivilen Behörden, Institutionen und Einrichtungen beschreibt und in dessen Aufgabenspektrum nach militärischem Verständnis auch die humanitäre Hilfe fällt. Hauptzweck von CIMIC ist die »force protection«: die Unterstützung der Truppe durch vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber der lokalen Bevölkerung. Zu diesen einsatzbegleitenden Maßnahmen der Streitkräfte können auch unmittelbare Hilfeleistungen an die Bevölkerung, zum Beispiel die Reparatur von Schulen oder Krankenhäusern oder das Verteilen von Schulheften oder Nahrungsmitteln, gehören. Aus Sicht der Streitkräfte sind solche »hearts and minds«-Aktivitäten ein probates Mittel, um die eigene Sicherheit zu erhöhen. Nach seinem letzten Besuch in Nordafghanistan im Juli 2006 sagte Verteidigungsminister Jung, dass man der Bevölkerung in Afghanistan „verdeutlichen müsse, dass die deutschen Soldaten Gutes täten, dann ließen auch die Terroranschläge nach.“5

Für die deutsche Diskussion über zivil-militärische Zusammenarbeit sind die 2004 eingerichteten »Provincial Reconstruction Teams« (PRTs) in Afghanistan besonders relevant. Nach dem Konzept der Bundesregierung sollen nach dem Motto „Keine Entwicklung ohne Sicherheit“ rund 500 Bundeswehrsoldaten in den nordafghanischen Städten Kunduz und Faizabad den Wiederaufbau, den Demokratisierungsprozess und die Autorität der Zentralregierung in Kabul sichern helfen. Auch die zivilen Akteure sollten ursprünglich in die Bemühungen um den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau eingebunden werden. Bei den deutschen Hilfsorganisationen ist dieses Konzept auf wenig Gegenliebe gestoßen. Zwar wird von der Bundesregierung der „erfolgreich praktizierte zivil-militärische Ansatz der regionalen Wiederaufbauteams“6 hervorgehoben, aber in der Praxis der Zusammenarbeit hat sich eine sichtbare – auch räumliche – Trennung der entwicklungs- und sicherheitspolitischen Komponenten durchgesetzt. Eine Auswertung der Erfahrungen aus der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Rahmen der deutschen PRTs steht jedoch noch aus.

Verschiedene Akteure haben bereits Versuche unternommen, die Möglichkeiten und Grenzen zivil-militärischer Zusammenarbeit – auf der Grundlage der humanitären Prinzipien – in Form von Richtlinien zu beschreiben. Die wichtigsten sind die vom »Office for the Coordination of Humanitarian Affairs« (OCHA) der Vereinten Nationen (VN) veröffentlichten »Oslo Guidelines«, die die zivil-militärische Zusammenarbeit in Naturkatastrophen und politischen Konflikten beschreibt. Die »Oslo Guidelines« unterstreichen, dass militärische Aktivitäten grundsätzlich nicht mit VN-Aktivitäten in der humanitären Hilfe vermischt werden sollen. Darüber hinaus soll sich das Militär – falls es im Bereich der humanitären Hilfe eingesetzt wird – so schnell wie möglich wieder aus diesem Bereich zurückziehen. Das Problem der »Oslo Guidelines« ist die mangelnde Umsetzung: Da die Richtlinien nicht-bindend sind und sich die Streitkräfte in der Regel auf ihren politischen Auftrag berufen, ist ihre Wirkung begrenzt.

Instrumentalisierung der humanitären Hilfe

Humanitäre Hilfe ist Hilfe für die Opfer von Krisen und Katastrophen, kein Hilfsmittel für Regierungen zur Legitimation ihrer Außenpolitik. Der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck begründete im Jahr 2003 die Ausweitung des Bundeswehrmandats in Afghanistan auf Kunduz auch damit, dass Hilfsorganisationen geschützt werden müssten. Aus Sicht der Hilfsorganisationen ist ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sowie die Verankerung in der lokalen Bevölkerung der beste Schutz. Doch der Ruf aus der Politik nach militärischem Schutz wird lauter, seitdem die humanitären Helfer zunehmend zur Zielscheibe von Anschlägen werden. Hilfsorganisationen haben die Erfahrung gemacht, dass verstärkte militärische Präsenz nicht unbedingt mehr Sicherheit bringt. Aus Sicht von Hilfsorganisationen unterliegen Streitkräfte immer einem politischen Auftrag, verfolgen militärische Ziele und werden daher von den Konfliktparteien auch nicht als unparteiisch wahrgenommen. Wo Soldaten aus politisch-militärischen Gründen als Helfer auftreten, werden auch schnell den zivilen Helfern politisch-militärische Interessen unterstellt.

Die Anschläge auf die Vereinten Nationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und andere Hilfsorganisationen in Afghanistan haben dazu geführt, dass die Helfer inzwischen ihre Zugehörigkeit zu einer Hilfsorganisation aus Sicherheitsgründen verbergen. Sie haben ihre Aufkleber von den Fahrzeugen entfernt und tragen nicht mehr die T-Shirts mit dem Logo ihrer Organisation. Je mehr die Helfer sich unter den Schutz von Streitkräften begeben und damit „im Windschatten militärischer Interventionen“7 agieren, desto eher werden sie von den Feinden dieser Intervention bedroht. In ihrem Einsatz für die Opfer von Krisen und Katastrophen müssen die Hilfsorganisationen die Unabhängigkeit der humanitären Hilfe immer wieder behaupten und gegen eine politische Instrumentalisierung verteidigen.

Fazit

Hilfsorganisationen und Streitkräfte haben unterschiedliche Mandate. Die Erfahrungen der deutschen Hilfsorganisationen in Afghanistan, aber auch in anderen Ländern wie Somalia, Bosnien oder Kosovo, haben gezeigt, dass die Verknüpfung von militärischen Zielen und humanitärer Hilfe, insbesondere in bewaffneten Konflikten, sehr problematisch ist.8 Streitkräfte sind für die Sicherheit zuständig, zivile Akteure für Programme der humanitären Hilfe, des Wiederaufbaus und der Entwicklungszusammenarbeit. Hilfsorganisationen und Streitkräfte sollten sich komplementär auf die Aufgaben konzentrieren, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Zusammengefasst lassen sich die Erfahrungen der Hilfsorganisationen folgendermaßen auf den Punkt bringen: Das Militär kann bei Naturkatastrophen zwar subsidiär humanitäre Hilfeleistungen erbringen oder logistische Unterstützung leisten, wenn aufgrund des Umfangs oder der besonderen Umstände der Katastrophe zivile Hilfsorganisationen nicht allein oder schnell genug Hilfsmaßnahmen auf den Weg bringen können, wie bei der Tsunami-Katastrophe Ende 2004. Streitkräfte sollten aber auf keinen Fall in politischen Krisenregionen im Bereich der humanitären Hilfe tätig werden, in denen ein militärischer Auftrag den Prinzipien humanitären Handelns explizit entgegensteht.

Um die Debatte über Militäreinsätze in der humanitären Hilfe zu versachlichen, ist es aus Sicht der Hilfsorganisationen dringend erforderlich, die CIMIC-Aktivitäten der Bundeswehr unabhängig zu evaluieren. Eine Evaluierung des Afghanistan-Einsatzes könnte der Auftakt sein.

Anmerkungen

1) Bewährungsprobe für die NATO, Frankfurter Rundschau, 1.8.2006.

2) Deutsche als Zielscheibe, Der Spiegel, 3.7.2006.

3) VENRO: Bewaffnete humanitäre Hilfe ist falsche Politik, Pressemitteilung vom 30.09.2004, vgl. www.venro.org

4) Vgl. Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung vom 5.12.2002.

5) Die Leute müssen verstehen, dass wir Gutes tun, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.7.2006.

6) Deutscher Bundestag, Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, 2005.

7) Vgl. Misereor, Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst: Entwicklungspolitik im Windschatten militärischer Interventionen? Aachen, Bonn, Stuttgart, 2003.

8) VENRO hat 2003 ein Positionspapier erarbeitet, das ausführlich die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit von Hilfsorganisationen und Streitkräften analysiert. Vgl. VENRO: Streitkräfte als humanitäre Helfer? Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit von Hilfsorganisationen und Streitkräften in der humanitären Hilfe, Bonn 2003, vgl. http://www.venro.org

Peter Runge ist Referent für Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe beim Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO).

Entwicklungspolitik – nur ein anderes Label für Sicherheitspolitik?

Entwicklungspolitik – nur ein anderes Label für Sicherheitspolitik?

von Stephan Klingebiel

Das Verhältnis von Entwicklung und Sicherheit ist kein grundlegend neues konzeptionelles Thema. Ähnliches gilt für die konkreten Schnittstellen von verschiedenen außenorientierten Politiken – allen voran der Entwicklungs-, Außen- und Sicherheitspolitik. Auch in der Vergangenheit spielte beispielsweise die Frage zumindest implizit eine wesentliche Rolle, welche Rahmenbedingungen mit Blick auf Stabilität und Frieden vorhanden sein müssen, damit Entwicklung überhaupt möglich ist. Frühere Debatten begriffen dieses Verhältnis aber vorrangig als abstrakte Interdependenz.1 In den aktuellen Debatten seit Beginn der 2000er Jahre wird dagegen sehr viel unmittelbarer die Zusammenführung in konzeptioneller und praktisch-politischer Hinsicht erörtert.2

Die Unterschiede der aktuellen Diskussionen zu älteren Debatten gehen über die praktische Relevanz deutlich hinaus. Der immense Wandlungsprozess des Sicherheitsbegriffs ist dabei von besonders großer Bedeutung. Das staatszentrierte Sicherheitsdenken ist in vielen Bereichen einem völlig neuen Sicherheitskonzept gewichen. Sicherheit wurde von einem auf staatliche Stabilität orientierten Konzept zu einem auf den einzelnen Menschen bezogenen protektiven Ansatz in der internationalen Debatte grundlegend weiterentwickelt. Hier haben die Debatten vor allem in den Vereinten Nationen (The Resonsiblity to Protect – 2001, High-Level Panel on Threats Challenges and Change – 2004, Bericht des UN-Generalsekretärs »In Larger Freedom« – 2005)3 wesentliche Weichenstellungen vorgenommen.

Praktische Konsequenzen im politischen Handeln sind zwar nicht gleichermaßen vorhanden, lassen sich aber durchaus in verschiedenen Bereichen belegen. Der Wandel der ehemaligen Organization of African Unity (OAU) zur African Union (AU), die vom Prinzip der Nichteinmischung ausdrücklich Abstand genommen hat, ist hierfür ein anschauliches Beispiel (vgl. Klingebiel 2005). Für die Zukunft könnte sich auch die Entscheidung der Vereinten Nationen vom Dezember 2005 als wegweisend herausstellen, eine Peacebuilding Commission (PBC) zu etablieren, die vor allem auf verbesserte Koordination der unterschiedlichen Akteure und auf integrierte Strategien in Post-Konflikt-Situationen abzielt.

Viele Implikationen des sich verändernden Denkens und neuer Entwicklungs- und Sicherheitskonzepte lassen sich bislang kaum abschätzen. Dies gilt beispielsweise für den Umgang mit Staaten, die dauerhaft nicht ausreichend in der Lage sind, ihr (im besten Fall legitimes) Gewaltmonopol herzustellen. Hier findet zunehmend eine Konfrontation mit alten Denkmustern statt: Unter welchen Umständen soll oder muss sogar mit solchen Gruppen interagiert oder kooperiert werden, die zwar über Instrumente der Gewalt verfügen, aber staatlich nicht legitimiert sind? Wie kann mit staatlichen Repräsentanten umgegangen werden, die möglicherweise ein staatliches Gewaltmonopol sicherstellen können, deren Legimitat aber unzureichend ist? Hier haben vielfältige Debatten4 begonnen, die in einem direkten und zum Teil auch indirekten Zusammenhang zum Entwicklung-Sicherheits-Nexus stehen.

Von »Human Security« bis »Integrated Missions«

Für die konzeptionellen Debatten hat sich der Begriff der human security zu einem Schlüsselbegriff entwickelt.5 Konstitutiv für das human security-Konzept ist der Schutz von Menschen bzw. Individuen. Damit unterscheidet sich das Konzept wesentlich vom Terminus der nationalen Sicherheit (national security), der die staatliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt. Protagonisten eines engen human security-Verständnisses stellen gewaltförmige Bedrohungen (Bürgerkriege etc.) in den Mittelpunkt. Protagonisten eines breiten human security-Verständnisses beziehen zusätzlich andere Bedrohungen und Risiken für den Menschen wie Naturkatastrophen und Hunger in ihr Begriffsverständnis ein. Das Konzept von human security kann allerdings unabhängig davon, ob eine eher enge oder breite Betrachtung gewählt wird, auf einer allgemeinen Zielebene eine integrative Zielperspektive befördern, da das Zielverständnis immer auf den Schutz von Individuen ausgerichtet ist.

Entwicklungs-, Sicherheits- und Außenpolitik haben sich ebenfalls auf der politisch-praktischen Ebene innerhalb von wenigen Jahren rasch verändert. Für die Entwicklungspolitik sind Sicherheitsthemen in das unmittelbare Blickfeld gerückt; außenpolitische Aspekte haben damit insgesamt für die Entwicklungspolitik an Bedeutung gewonnen. Umgekehrt hat Sicherheitspolitik zunehmend mit Entwicklungs- und Transformationsländern und deren Stabilität bzw. Fragilität zu tun. Sicherheitspolitische Herausforderungen im Sinne von Landesverteidigung an den eigenen Grenzen sind mittlerweile für eine Reihe von OECD-Ländern von deutlich geringerer Relevanz. Neue Gefährdungen und Bedrohungen werden statt dessen identifiziert, die ganz wesentlich durch ihre globale Relevanz und ihre Entgrenzung gekennzeichnet sind.6 Dies gilt unter anderem durch die Bedrohungen aufgrund des internationalen Terrorismus, denen durch traditionelle verteidigungspolitische Muster kaum beizukommen ist.

Vor diesem Hintergrund findet eine Annäherung von Entwicklungs- und Sicherheitspolitik auch bei einzelnen Maßnahmen und Konfliktsituationen statt. Insbesondere durch umfassende Mandate für Friedensmissionen gibt es zahlreiche Berührungspunkte zwischen zivilen und militärischen Aufgaben. Friedensmissionen haben heute vielfach schwierige Aufgaben beim Aufbau und bei der Stabilisierung von staatlichen Strukturen zu erfüllen (Demokratische Republik Kongo, Kosovo, Afghanistan etc.). Entwicklungspolitik spielt dabei oftmals und zunehmend eine wichtige Rolle. So genannte Integrated Missions nehmen einen wichtigen Platz ein.7 Die Entwicklungspolitik hat es deshalb mit einer wachsenden Zahl von Situationen zu tun, in denen Schnittstellen zu militärischen Akteuren zu gestalten sind.

Die Gleichzeitigkeit von militärischen und zivilen Aufgaben und Akteuren in Friedensmissionen ohne ausreichende Verknüpfungen ist unbefriedigend. Ein bloßes Verschmelzen von entwicklungspolitischen und militärischen Ansätzen und Aktivitäten ist allerdings weder sinnvoll noch wünschenswert. Es kommt vielmehr darauf an, solche Situationen und Bereiche zu identifizieren, wo ein besser abgestimmtes und teilweise auch gemeinsames Planen, Handeln und Monitoring sinnvoller und wirkungsvoller ist (Beispiel: Sicherheitssektorreformen).

Mittlerweile besteht zwar ein weitgehender Konsens darüber, dass kohärente Ansätze der verschiedenen Politikfelder notwendig sind, um mit Sicherheitsherausforderungen und komplexen Friedensmissionen konstruktiv umzugehen. Das bedeutet keineswegs, dass Unterschiede der verschiedenen Akteure verblassen. Vielmehr sind u.a. die konkreten Zielsetzungen (Beziehen sich beispielsweise Schutzmaßnahmen primär auf die eigene Truppe oder die lokale Bevölkerung? etc.), Abläufe und Zeithorizonte (In welchen Zeitdimensionen wird der »Erfolg« einer Mission bewertet? Wann soll oder kann ein externer Akteur ein Gebiet verlassen? etc.) sehr verschieden.

In formaler Hinsicht versucht auch die offizielle Definition dessen, was als öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance / ODA) zu bezeichnen ist, dem neuen Aufgabenspektrum der Entwicklungspolitik an einigen Punkten Rechnung zu tragen. Im März 2005 entschied der Entwicklungsausschuss (Development Assistance Committtees / DAC) der OECD die Anpassung der bisherigen ODA-Kriterien. Demnach sind nun Ausgaben beispielsweise zur Förderung der Kontrolle von Budgets im Sicherheitsbereich durch zivile bzw. demokratische Mechanismen »ODA-fähig«.

Risiken der Annäherung

Die Erweiterung der entwicklungspolitischen Agenda um sicherheitsrelevante Themen schafft neue Handlungsspielräume. Diese Handlungsspielräume bestehen im Hinblick auf Sicherheit etwa darin, dass Einfluss genommen werden soll auf die zentralen Entwicklungshindernisse durch Instabilität, physische Unsicherheit und Gewaltkonflikte. Die Ansatzmöglichkeiten und der potentielle Nutzen sollen zudem durch ein Einwirken auf andere Politikfelder und das mögliche Zusammenwirken und ggf. Kooperieren mit diesen Akteuren erweitert bzw. verbessert werden. Kofi Annan hat in diesem Sinne in seinem Bericht »In larger Freedom« auf die sich gegenseitig verstärkenden Effekte von Entwicklung, Sicherheit sowie Menschenrechten hingewiesen: „Not only are development, security and human rights all imperative; they also reinforce each other.“ (Secretary-General 2005: 5).

Tatsächlich stellt sich die berechtigte Frage, welche Konsequenzen hiermit für die Entwicklungspolitik verbunden sein können. Kritische Analysen betonen die mögliche Unterordnungsgefahr für die Entwicklungspolitik unter eine militärisch geprägte sicherheitspolitische Agenda. Die »Versicherheitlichung« (Securitization) steht deshalb im Mittelpunkt der kritischen Debatten aus entwicklungspolitischer Sicht.8

Zielkonflikte und Risiken einer entwicklungspolitischen Unterordnung unter militärisch geprägte Ziele und Strategien sind in vielen Bereichen plausibel und in einer Reihe von Beispielen belegbar. Diese Zielkonflikte und Risiken müssen allerdings kein prinzipielles Argument gegen die Sinnhaftigkeit eines neuen konzeptionellen Verständnisses von Sicherheit und Entwicklung sowie eines veränderten Zusammenwirkens von Entwicklungs- und Sicherheitspolitik sein.9

Zwei Beispiele können das »Versicherheitlichungs«-Risiko verdeutlichen. Erstens: Die Rolle etwa der amerikanischen Entwicklungspolitik im Zusammenhang mit den amerikanischen Provincial Reconstructions Teams (PRTs) in Afghanistan oder mit der Politik im Irak belegt solche Gefahren, bei denen entwicklungspolitische Akteure einem militärischen Ansatz untergeordnet werden.10 Zweitens: Eine ausschließlich oder vorrangig an einem sicherheitspolitischen und geostrategischen Denken orientierte Länderauswahl in der Entwicklungspolitik würde zu einem Rückzug aus solchen Ländern und Themen (Armutsreduzierung u.ä.) führen, die keine (direkt) ersichtliche sicherheitspolitische Relevanz hätten.

Entwicklungs- und Sicherheitspolitik stehen zwar in einem Spannungsverhältnis zueinander, das allerdings nicht zwangsläufig zu einem Unterordnungsverhältnis und zu einer Versicherheitlichung der Entwicklungspolitik führen muss. Insbesondere die internationalen Debatten über ein neues Sicherheitsverständnis tragen zu einer größeren gesamtpolitischen Verantwortung bei, um für gefährdete Bevölkerungsgruppen Schutz einfordern und gewähren zu können. Der Bericht des UN-Generalsekretärs »In Larger Freedom« ist hierfür ein deutlicher Beleg.

Im Hinblick auf politische Strategien und das operative Handeln der beteiligten Akteure kommt es entscheidend auf die konkrete Gestaltung an. Die Überwindung der bisherigen Distanz zwischen Entwicklungs- und Sicherheitspolitik ist vielfach eine wichtige Voraussetzung, um wirksameres Handeln in bezug auf lang- und kurzfristiges krisenpräventives Handeln, ein konstruktives Konfliktmanagement sowie einen wirksamen Umgang mit Post-Konflikt-Situationen zu ermöglichen. Entscheidend ist deshalb ein sinnvolles Schnittstellenmanagement der relevanten Akteure zu definieren.

Zukünftige Themen in der Debatte

Für die Weiterentwicklung der Debatte stellen sich verschiedene konzeptionelle und politisch-strategische Fragen. Sie beziehen sich auf

  • die Debatte über das Verhältnis von Sicherheit und Entwicklung in theoretischer Hinsicht,
  • politische Strategien sowie
  • konkrete politikfeldübergreifende Vorgehensweisen.

Verhältnis von Sicherheit und Entwicklung

In theoretischer Hinsicht sind die Kausalitäten zwischen Sicherheit und Entwicklung bislang nur unzureichend reflektiert worden. Die Debatte über human security hat allerdings bei der Terminologie und vor allem den unterschiedlichen Prämissen (individuelle vs. staatliche Sicherheit) mehr Klarheit erzeugt. Das genaue Wechselverhältnis und die konkreten Kausalitätsketten zwischen Entwicklungs- und Sicherheitsdimensionen sind aber bislang nur unzureichend analysiert worden. Dies zeigt sich auch an den Debatten, die eine Prioririsierung von Sicherheit gegenüber Entwicklung unter dem Stichwort »security first« in bestimmten Phasen einfordern.11

Politische Strategien

Im Hinblick auf Modelle von politikfeldübergreifenden Strategien und Ansätzen sind die bislang vorhandenen und ausgewerteten Erfahrungen gering. Untersuchungen sind bisher oftmals vorrangig deskriptiv ausgerichtet. Inwieweit integrative Politikansätze tatsächlich einen Mehrwert erzeugt haben, lässt sich eher vermuten als belegen.

Politikfeldübergreifende Vorgehensweisen

Ähnliches gilt für konkrete Maßnahmen und Operationen. Entwicklungsorientierte Friedensmissionen und andere integrativ ausgerichtete Vorgehensweisen sind noch ein vergleichsweise neues Experimentierfeld. Welche Implikationen Unterschiede militärischer und ziviler Organisationskulturen auf das Zusammenwirken haben, ist beispielsweise für das operative Vorgehen von größter Bedeutung.12 Entsprechend lückenhaft sind die vorhandenen Untersuchungen über diese Vorgehensweisen und deren Wirkungen und ihr Mehrwert gegenüber früheren Ansätzen.

Literatur

Brock, Lothar (2004): Der erweiterte Sicherheitsbegriff: Keine Zauberformel für die Begründung ziviler Konfliktbearbeitung, in: Die Friedens-Warte, Heft 3-4, Band 79, S. 323-344

Dalgaard-Nielsen, Anja (2006): Culture of Cooperation? Civil-Military Relations in Danish Homeland Security, (Danish Institute for International Studies), Kopenhagen

Debiel, Tobias / Stephan Klingebiel / Andreas Mehler / Ulrich Schneckener (2005): Between Ignorance and Intervention, Strategies and Dilemmas of External Actors in Fragile States, (Policy Paper 23, Development and Peace Foundation) Bonn

Deutsches Institut für Entwicklungspolitik / Deutsche Atlantische Gesellschaft (2006): Die NATO als Kooperationspartner für die Entwicklungspolitik: Neue Konzeptionen zivil-militärischer Zusammenarbeit, Tagungsbericht, Bonn

Duffield, Mark (2001): Global Governance and the New Wars: The Merging of Development and Security, London / New York

Duffield, Mark (2006): Human Security: Linking Development and Security in an Age of Terror, in: Klingebiel (Hg.) 2006), S. 11-38

Eide, Espen Barth / Anja Therese Kaspersen / Randolph Kent / Karen von Hippel (2005): Report on Integrated Missions: Practical Perspectives and Recommendations, o.O.

Faust, Jörg / Dirk Messner (2005): Europe’s New Security Strategy: Challenges for Development Policy, in: The European Journal of Development Research Vol. 17, Nr. 3, S. 423-436

High-Level Panel (on Threats Challenges and Change) (2004): A More Secure World: Our Shared Responsibility (document A/59/565), New York

Human Security Centre (2005): Human Security Report 2005, War and Peace in the 21st Century, New York / Oxford

ICISS (International Commission on Intervention and State Sovereignty) (2001): The Responsibility to Protect, Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty, Ottawa

Junne, Gerd / Willemijn Verkoren (eds.) (2005): Postconflict Development, Meeting New Challenges, Boulder / London

Kaldor, Mary (1999): New and Old Wars: Organized Violence in a Global Era, Cambridge

Kent, Randolph (2005): The Governance of Global Security and Development: Convergence, Divergence and Coherence, (King’s College), London (mimeo)

Klingebiel, Stephan (Hg.) (2006): New Interfaces between Security and Development: Changing Concepts and Approaches (DIE Studies, Nr. 13), Bonn

Klingebiel, Stephan (2005): Regional Security in Africa and the Role of External Support, in: The European Journal of Development Research Vol. 17, Nr. 3, S. 437-448

Klingebiel, Stephan / Katja Roehder (2004): Development – Military Interfaces, New Challenges in Crises and Post-conflict Situations, Bonn

Maihold, Günther (2005): Die sicherheitspolitische Wendung der Entwicklungspolitik: Eine Kritik des neuen Profils, in: Internationale Politik und Gesellschaft, Nr. 4/2005, S. 30-48

Münkler, Herfried (2002): Die neuen Kriege, Reinbeck

Secretary-General (2005): In Larger Freedom: Towards Development, Security and Human Rights for All, Report of the Secretary-General, (A/59/2005), New York

Thakur, Ramesh (2006): The United Nations, Peace and Security: From Collective Security to the Responsibility to Protect

Tschirgi, Necla (2006): Security and Development Policies: Untangling the Relationship, in: Klingebiel (Hg.) (2006), S. 39-67

Weiss, Thomas G. (2005): Military-Civilian Interactions, Humanitarian Crises and the Responsibility to Protect, Lanham u.a.

Anmerkungen

1) Allerdings ist die Debatte über das zivil-militärische Verhältnis für den Bereich der humanitären Hilfe bereits seit langer Zeit auch in praktischer Hinsicht ein vieldiskutiertes Thema. Dies gilt für die militärische Seite in zweifacher Hinsicht: Militärs übernehmen zum Teil logistische Aufgaben (Transport von Hilfsgütern etc.) und sie wirken an der Sicherheitssituation in einem Hilfsgebiet mit. Durch beide Aufgaben gibt es eine lange Beschäftigung mit dem Verhältnis der humanitären Hilfe zu militärischen Akteuren (siehe beispielsweise Weiss 2005: 7 ff.)

2) Für einen Überblick siehe Klingebiel (Hg.) (2006), Klingebiel / Roehder (2004), Tschirgi (2006).

3) Vgl. ICISS (2001); High Level Panel (2004); Secretary-General (2005).

4) Um nur einige der laufenden Debatten stichwortartig zu benennen: states within states, non state armed groups, Umgang mit traditionellen Autoritäten, Transformation autoritärer / totalitärer Systeme. Einen knappen Überblick zu einigen dieser Debatten ist zu finden bei Debiel / Klingebiel / Mehler / Schneckener (2005).

5) Siehe zu dieser Debatte beispielsweise Human Security Centre (2005), Thakur (2006) Brock (2004) sowie Duffield (2006).

6) Siehe zu dieser Debatte Kaldor (1999) und Münkler (2002).

7) Vgl. hierzu Eide et al. (2005).

8) Siehe stellvertretend die Beiträge von Brock (2004) und Maihold (2005) zu der Debatte etwa in Deutschland.

9) Vgl. z.B. die Debatte im Zusammenhang mit der Europäischen Sicherheitsstrategie bei Faust / Messner (2005).

10) Vgl. z.B. Klingebiel / Roehder (2004).

11) Siehe hierzu z.B. die Beiträge bei Junne / Verkoren (eds.) (2005). Bei vielen Debatten zu diesem Punkt wird der Stellenwert von subjektiven Perspektiven für das zivile Leben (Arbeitsplätze, Zugang zu sozialen Grunddiensten etc.) für die unmittelbare Sicherheitssituation nur unzureichend einbezogen. Dies bedeutet umgekehrt nicht, dass originäre Sicherheitsanliegen nicht relevant sind, sondern deutet wiederum auf die starke Interdependenz von Sicherheit und Entwicklung hin.

12) Siehe zum Beispiel einige Überlegungen aus dem Vorgehen der dänischen Politik. (vgl. Dalgaard-Nielsen (2006).

Dr. Stephan Klingebiel leitet die Abteilung »Governance, Staatlichkeit, Sicherheit« am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. Seine derzeitigen Arbeitsschwerpunkte sind der Nexus von Entwicklung und Sicherheit, nichtsstaatliche Gewaltakteure, die afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur sowie Reform der entwicklungspolitischen Kooperation mit Subsahara-Afrika.

Energie und Entwicklung

Energie und Entwicklung

von Noara Kebir

Wachsender Energiebedarf einer Nation wird in herkömmlichen volkswirtschaftlichen Betrachtungen gerne mit einer positiv konotierten volkswirtschaftlichen Entwicklung in Verbindung gebracht. So wird der Energiehunger aufstrebender »Tigernationen« wie Indien, China und Thailand zwar in Hinsicht auf verknappende globale Ressourcen mit Verunsicherung, bis hin zu kriegerisch militärischen Vorsorgemaßnahmen, begleitet, doch das dem zugrunde liegende Wirtschaftssystem und die damit einhergehende monopolistische, auf verknappende Ressourcen basierende Energiepolitik bleibt unangetastet: Auch wenn die USA im Irak die eigenen Öl-Interessen sichern möchten, ändert das nichts daran, dass das amerikanische Idealbild eines irakischen Marktes eine 24-Stunden leuchtende, 4×4-Ranger-fahrende Nation ist. Dieses Szenario basiert ganz wesentlich auf der Verknappung von Ressourcen und einem fruchtbaren Wettbewerb um diese, setzt aber gleichzeitig eine Riege von Verlierern voraus. Was passiert aber, wenn die »Verlierer« sich entscheiden, auf ein anderes Prinzip zu setzen?

Die Situation der ärmeren Entwicklungsländer spiegelt die Folgen der Ölpreissteigerungen sehr deutlich: So entsprach die Höhe der weltweiten Mittel für Entwicklungshilfe schon im Jahr 2003 (ca. 54 Mrd US$ ) relativ genau den Mehrausgaben der Entwicklungsländer für den gestiegenen Ölpreis (ca. 60 Mrd. US$). Dieser wird bekanntlich seither noch um einige Dollars mehr pro Barrel gehandelt. Die Konsequenzen sind besonders für Menschen in strukturschwachen Regionen sehr deutlich spürbar. So ist der Preis für Diesel in den abgelegenen Regionen Tanzanias im letzten Jahr von 0,4 Euro auf 0,8 Euro pro Liter gestiegen. Vor dem Hintergrund einer Bevölkerungsmehrheit, die mit weniger als 1 Euro pro Tag auskommen muss, bedeuten solche Preissteigerungen eine elementare Energiekrise.Die Preisexplosion versperrt für Viele den Zugang zur täglich notwendigen Energie, vom Transport bis hin zur Nahrungsmittelzubereitung und Beleuchtung.

An diesem Beispiel wird die besondere Bedeutung von Erneuerbaren Energien für die Entwicklungsländer deutlich: Sie können dezentral eingesetzt werden und basieren auf lokalen Ressourcen. Sie bieten den Menschen die Möglichkeit einer Entwicklung unabhängig von globalen Märkten und monopolistischem Machtgezerre.

Eines der zentralen Probleme besteht jedoch darin, dass diese Technologien zum jetzigen Zeitpunkt durch ihren hohen Innovationsgehalt merklich höhere Investitionskosten verursachen als die konventionellen Technologien. Das führt dazu, dass Erneuerbare Energien gerade von Menschen in Entwicklungsländern, die in der Regel einen schlechten bis gar keinen Zugang zu Finanzinstitutionen haben, äußerst schwer einzusetzen sind; es sei denn, man greift auf bestimmte System-immanente Mechanismen zurück. Genau das tut Grameen Shakti in Bangladesh und ist damit einer der erfolgreichsten Vertreiber von Solar-Home-Systemen weltweit. Das Unternehmen verkauft Photovoltaik, eines der teuersten Energiesysteme, an Haushalte im ländlichen Bangladesh, einer der ärmsten Regionen der Welt.

Der Mikroenergiesektor

Zum besseren Verständnis der Erfolge von Grameen Shakti und anderer ähnlich operierender Unternehmen, lohnt sich ein genauerer Blick auf den so genannten Mikroenergiesektor; ein Sektor, der für viele Entwicklungsländer typisch ist und eine hervorragende Grundlage für die Verbreitung erneuerbarer Energien liefert:

Der Mikroenergie-Sektor fängt dort an, wo das elektrische Netz – und damit der klassische Energiesektor – aufhört. In Bangladesh leben über 70 Prozent der Menschen in diesem Sektor, dass heißt: Ohne Zugang zu moderner Elektrizitätsversorgung. Weltweit betrifft das etwa zwei Milliarden Menschen.

Auch wenn diese Orte netzfern sind, stellt sich immer wieder heraus, dass im Mikroenergie-Sektor ein bedeutender Handel mit Energie stattfindet, die Haushalte zunehmende Energiekosten haben und auch bestimmte Energietechnologien an Bedeutung gewinnen.

Der zunehmende Handel mit Energie in den ländlichen Regionen hängt zum einen damit zusammen, dass die traditionell eingesetzte Biomasse mittlerweile so knapp geworden ist, dass die Allgemeinheit nur noch in wenigen Regionen einen freien Zugang zu den Biomasseressourcen, insbesondere Holz, hat. Die meisten Menschen müssen ihre Biomasse käuflich erwerben. Weiterhin haben Energieträger aus dem »kommerziellen« klassischen Energiesektor auch in diesen Regionen an Bedeutung gewonnen: Mit Kerosin oder Petroleum werden unzählige Lampen betrieben und mit Dieselgeneratoren kleine Inselnetze mit Elektrizität versorgt. Mit Hilfe von Autobatterien und ähnlichen Akkumulatoren wird die Elektrizität gespeichert und zu Orten transportiert, die oft Tagesreisen entfernt liegen.

Mit Kerosin werden in den ländlichen Regionen Bangladeshs sowie vieler anderer Entwicklungsländer vorwiegend Lampen betrieben. Die Lampen dienen nicht nur der Beleuchtung der inneren Räume im Haus. Zahlreiche Händler nutzen diese Lampen, um nach Sonnenuntergang ihr Geschäft zu beleuchten. Kerosin bekommt aber auch in den Regionen, in denen es gar kein Holz mehr gibt, eine zunehmende Bedeutung als Brennstoff zum Kochen.

Da es außerhalb der Hauptachsen in den großen Städten keine Straßenbeleuchtung gibt, nutzen die Rikschafahrer ebenfalls Kerosinlampen, um überhaupt gesehen zu werden.

Kerosin ist aber ein problematischer Energieträger in den strukturschwachen Regionen. Die Verbrennung in den Lampen ist gesundheitsschädlich und verschmutzt die unmittelbare Umgebung. Das Licht ist außerdem mit etwa 20 bis 40 Lumen sehr schwach. Zum Vergleich: eine herkömmliche 60-Watt-Glühbirne hat eine Leuchtkraft von 600 Lumen.

Der Preis wiederum ist nicht nur abhängig von der Qualität des Kraftstoffes, es spielen auch andere Faktoren eine Rolle, so zum Beispiel die Lage einer Region. Handelt es sich um ein Dorf, das in der Nähe großer Verkehrswege liegt oder um eine Ansiedlung auf einer der zahlreichen Inseln im Golf von Bengalen: Längere Transportwege führen zu höheren Kerosinpreisen. Da die Preise in Bangladesch in der Regel Verhandelungssache sind, kommt es auch darauf an, wie gut die Beziehungen zum Händler sind.

Elektrizität findet auch in den Regionen Anwendung, die nicht an das Netz angeschlossen sind. Elektrisches Licht hat wegen seiner Emissionsfreiheit eine wesentlich größere Beliebtheit als Kerosin- und Petroleumlampen. Darüber hinaus haben Radio und Fernsehen sowie andere elektrische Anwendungen in diesen Regionen schon längst Einzug genommen. Die Hauptquelle für Elektrizität sind Dieselgeneratoren und Akkus.

Weil Diesel und Kerosin flüssige Energieträger sind, eignen sie sich sehr gut für den Transport und sind in allen Regionen mit mangelhafter Infrastruktur beliebte Kraftstoffe. Mit Diesel werden zahlreiche Generatoren betrieben, welche wiederum kleine Inselnetze mit Strom versorgen. Diese Generatoren haben den Vorteil, dass sie in der Anschaffung preiswert sind und die Technologie einfach zu beherrschen ist. Sie sind jedoch auch sehr störanfällig und unzuverlässig.

In den Autobatterien und den Akkumulatoren wird Energie chemisch gespeichert. Die Menge, die sich speichern lässt, ist vergleichsweise gering. Die Akkus werden in so genannten Battery-Shops aufgeladen. Diese Läden befinden sich entweder in Dörfern, die an das elektrische Netz angeschlossen sind oder die über ein leistungsstarkes Inselnetz mit einem Dieselgenerator verfügen. Das Laden der Akkumulatoren kann mehrere Tage dauern.

Aufgrund des enthaltenen Bleis wiegen die Akkumulatoren zwischen 25 und 50 kg und sind entsprechend schwer zu transportieren. Je nach Entfernung vom Netz steigen die Transportkosten erheblich. Darüber hinaus muss wegen der zahlreichen Flüsse, die das Land durchziehen, häufig das Transportmittel gewechselt werden.

Mit den Akkus werden hauptsächlich Schwarzweiß-Fernseher betrieben. Wohlhabende Familien haben einen eigenen Fernseher. Üblicher ist jedoch, dass das Gerät von einem Restaurant oder Teeshop betrieben wird. Die Akkus werden auch zum Betrieb von Radios, Ventilatoren und Leuchtstoffröhren eingesetzt.

Betrachtet man den Teil der Bevölkerung von Bangladesh, der nicht an das öffentliche Netz angeschlossen ist, so ist festzustellen, dass die Menschen in diesen strukturschwachen Regionen Energie einsetzen und dieser Einsatz, insbesondere durch die Verknappung der Ressourcen, einen zunehmend höheren monetären Wert bekommt. Die Verteuerung der Ressourcen durch die Preissteigerungen auf dem Weltmarkt tut ihr übriges.

Kerosinlampen, Dieselgeneratoren und aufladbare Akkumulatoren sind Energiesysteme, die sich zwar für den dezentralen Einsatz eignen, jedoch bei weitem nicht an die Umstände und Bedürfnisse der Menschen angepasst sind. Besonders Dieselgeneratoren und aufladbare Akkumulatoren sind ursprünglich für andere Zwecke konzipiert worden und können in diesen Regionen als improvisierte Lösungen angesehen werden. Trotzdem haben diese Technologien über die Möglichkeit ihres dezentralen Einsatzes hinaus noch andere Gemeinsamkeiten: Sie sind relativ klein, sie lassen sich gut transportieren, und sie sind bezahlbar für die Menschen, die sie nutzen.

Der dezentrale Einsatz und die Mobilität sind aber auch Eigenschaften, die von modernen Energietechnologien, wie Photovoltaik- oder kleinen Windkraftanlagen, erfüllt werden. Dass bei diesen Technologien keine fossilen Energieträger mehr benötigt werden, macht sie für den Einsatz in diesen Regionen wesentlich geeigneter. Zwei Aspekte machen die Einführung dieser Technologien in strukturschwachen Regionen jedoch schwierig: Zum einen der relativ hohe Preis und zum anderen das fehlende Know-how.

Um so spannender ist es zu sehen, wie das Unternehmen Grameen Shakti sich mit Energiesystemen auf der Basis von Photovoltaik auf diesen Markt behauptet und damit exemplarisch vorführt, welche Chancen auf Erneuerbare Energien basierende Technologien im Mikroenergie-Sektor haben.

Das Unternehmen Grameen Shakti

Das Unternehmen Grameen Shakti ist 1996 als Tochterunternehmen aus der international bekannten Grameen Bank hervorgegangen, die in Bangladesh seit den siebziger Jahren über ein breites Netzwerk an Filialen Kleinstkredite an arme Bevölkerungsteile, insbesondere Frauen, vergibt. Grameen Shakti ist daraus als Idee einer ländlichen Elektrifizierung auf Basis Erneuerbarer Energien entstanden.

Heutzutage vertreibt Grameen Shakti unabhängig von der Grameen Bank über ein Netz von weit mehr als 100 eigenen Filialen Solar-Home-Systems, solarzellenbasierte Systeme zur häuslichen Energieversorgung. Das System ist dem Bedarf an dezentrale Energieversorgung und an Ressourcenunabhängigkeit durch die Nutzung von Solarzellen angepasst. Es wird als Energiequelle vornehmlich im häuslichen Bereich für Licht und die Nutzung von Fernseher oder Radio eingesetzt. Darüber hinaus gibt es Anwendungen im Bereich der Mobiltelefone oder anderer Kleingeräte.

Das Produkt Solar-Home-System besteht zum Einen aus dem technischen System und zum Anderen aus einem außerordentlichen Servicepaket zur Finanzierung, Installation vor Ort, Schulung und einer Servicegarantie vor Ort von drei Jahren. Das ist für die Regionen, in denen das Unternehmen operiert, einmalig. Für die Kunden, die sonst als »Arme« höchstens karitative Zuwendungen kennen, ist es ein Novum auf diese Art und Weise ernst genommen zu werden. Das Standardsystem hat eine Leistung von 50 Watt und einen marktüblichen Preis von ungefähr 400 Euro. Bei einer Laufzeit von zwei bis drei Jahren liegt die monatliche Finanzierungsrate bei etwa zehn Euro und die Anzahlung zwischen 60 und 100 Euro. Aufgrund der kleinen Beträge spricht man von Mikrofinanzierung.

Die Abzahlung der Raten stellt für den Großteil der Kunden kein Problem dar, da sie ab sofort die Brennstoffkosten sowie die Ausgaben für Batterieaufladen und Batterietransport sparen. Die Finanzinstrumente von Grameen Shakti sind sehr genau an die bereits vorhandenen Energieausgaben ihrer Kunden angepasst und ermöglichen ihnen somit einen weichen Technologieübergang.

Bis Heute sind über 50.000 Systeme verkauft worden. Grameen Shakti finanziert sich als Non-Profit-Unternehmen über die eigenen Einnahmen im operativen Geschäft und ist nicht auf dauerhafte Subventionen angewiesen. Dadurch ist es Grameen Shakti möglich, weitestgehend unabhängig unternehmerisch tätig zu sein.

Der Erfolg des Grameen-Shakti-Modells basiert auf dem hohen Bedarf an Elektrifizierung in ländlichen Regionen, der Mikrofinanzierung und dem umfassenden Service, der den richtigen Einsatz und damit den dauerhaften Nutzen für den Kunden garantiert.

Durch die Tätigkeit von Grameen Shakti ist es den Kunden möglich, sich von zentralen und damit staatlichen Lösungen der Energieversorgung unabhängig zu machen und sich dadurch auch aus einer Wartehaltung gegenüber dem Staat zu emanzipieren. Die Unabhängigkeit von knapper werdenden Ressourcen, wie Öl, verhilft ihnen – gerade vor dem Hintergrund der einleitend in diesem Artikel beschriebenen globalen Zusammenhänge – zu eigenständiger Entwicklung auf der Basis sicherer und stabiler Energiekosten.

MicroEnergy International

Im Jahr 2002 wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen Grameen Shakti, der Nichtregierungsorganisation Results Germany und dem Institut für Energietechnik an der Technischen Universität Berlin eine Replikationsstrategie entwickelt. Daraus ist das Unternehmen MicroEnergy International hervorgegangen, das zum einen das Kompetenznetzwerk Energie & Entwicklung an der TU-Berlin koordiniert und zum anderen das Modell und die Erfahrung von Grameen Shakti über Bangladesh hinaus verbreitet. Im Mittelpunkt steht dabei die Qualifizierung und Finanzierung von Unternehmern in Entwicklungsländern, die sich den Herausforderung einer Mikro-Energie-Wende stellen möchten.

Literatur

Daniel Philipp, Noara Kebir: Ländliche Elektrifizierung auf der Basis von erneuerbaren Energien in Kombination mit Mikrofinanzierung, Verlag: Peoples Globalization Edition, ISBN: 3-00-014751-9

Mohammed Yunus: Grameen Bank, Eine Bank für die Armen der Welt, Gustav Lübbe Verlag, 1997.

www.gshakti.org Kontakt: MicroEnergy International, kontakt@microenergy-international.com

Zentraleinrichtung Kooperation, Franklinstr. 28/29, D-10587 Berlin, Germany http://www.Microenergy-International.com

Noara Kebir ist Geschäftsführerin der NaturwissenschaftlerInnen Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit und Leiterin des Afrika-Ressorts von MicroEnergy International.

Ökologie & Frieden in krisenträchtigen Regionen

Ökologie & Frieden in krisenträchtigen Regionen

Der Beitrag der Wirtschaft

von Paul Schäfer

Unter diesem Titel hat die Evangelische Akademie Loccum sich erstmals mit der Rolle der Wirtschaft bei der Entstehung, der Eskalation, aber auch der Regulierung bzw. Vorbeugung von gewaltförmigen Konflikten beschäftigt. Damit hat die Akademie die positive Tradition fortgesetzt, neue Themen aufzugreifen und Richtungen der öffentlichen Debatte mitzuprägen. Eine weitere Stärke der Akademie: Bei der Bearbeitung der neuen Fragen Kontrahenten unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Positionen zusammen zu bringen. Gerade in den Bereichen Frieden, Sicherheit, Umwelt, Entwicklung hat Loccum in der Vergangenheit spannende Debatten organisiert (Ost – West, Friedensbewegung – Bundeswehr etc.). Diese Konferenz hat Vertreter aus multinationalen Unternehmen, Ministerien, internationaler Einrichtungen und Engagierte aus der Umwelt- , Entwicklungs- und Friedenspolitik zusammengeführt.

Erstmalig vorgestellt wurden zwei Studien: Die eine befasst sich mit dem Zusammenhang der (illegalen) Ausplünderung des Tropenwaldes mit dem gewaltförmigen Austrag von Konflikten – am Beispiel Indonesiens. Durchgeführt wurde sie vom Adelphi Research Institut in Berlin, gefördert durch InWent, eine verhältnismäßig neue, dem BMZ eng verbundene Einrichtung, die u.a. die frühere Carl-Duisberg-Gesellschaft ablöste und die sich als bildungs- bzw. ausbildungspolitische Säule der Entwicklungspolitik versteht. Studie: Etwa ein Viertel der bewaffneten Konflikte heutzutage steht nach Einschätzung des Adelphi-Forschers Dr. Carius mit dem Kampf um die Ressource Holz/Wald in einem ursächlichen Zusammenhang. Daher erscheint es überfällig, sich näher mit diesem Thema zu beschäftigen. Zündstoff bekam die Tagung an dieser Stelle auch dadurch, dass sich eine Reihe von NGO- und Wissenschaftsvertretern aus betroffenen Regionen (Indonesien, Philippinen, aber auch Vietnam) beteiligte und in Verbindung mit weiteren »Repräsentanten des Südens« aus Afrika und Lateinamerika andere Perspektiven auf die Problemlagen eröffneten. Während der »Norden« dazu neigt, sich mehr auf die lokalen und regionalen Akteure zu beziehen, die durch Korruption und Gewalt ihre Anteile an der Ausplünderung der Natur usurpieren, richtete »der Süden« den Fokus eher auf die Nachfrager nach solchen Gütern, wie Tropenholz, auf die in den industriellen Zentren involvierten Unternehmen, auf Schuldenkrise und unzureichende Entwicklungshilfe. Es ist zu hoffen, dass sich daraus ein fortgesetzter Dialog entwickelt, denn weder einseitige Schuldzuweisungen noch paternalistisch anmutende Vorschläge über »good governance« in den Entwicklungsländern (so wichtig Regelungen gegen Korruption und über gute Regierungsführung sind) werden weiterhelfen.

In der zweiten Studie, unter dem Titel »In Stabilität investieren«, wurde in grundsätzlicher Weise der Frage nachgegangen, wie die Finanzwelt (Versicherungen, Banken, Investmentfonds) zur Befriedung und nachhaltigen Entwicklung in gefährdeten Regionen beitragen kann. Diese Forschungsarbeit entstand im Rahmen der »Finance Initiative« des UN-Entwicklungsprogramms (UNEP, Genf). Mareijke Hussels (UNEP FI) stellte die Eingangsfrage: Wann tritt Gewalt auf? Ihre Antwort: In Zeiten raschen Wandels, der mit verschärftem Wettbewerb um Ressourcen, Identitäten, Ideologie und Macht einhergeht. Die Studie der UNEP macht klar, wie wichtig »Conflict Analysis, Risk assessment und -management« gerade für die international agierende Geschäftswelt ist. Sie versucht zugleich die Vorteile herauszuarbeiten, die es für den Finanzsektor hat, wenn er sich in Verbindung mit der Staatenwelt und der Zivilgesellschaft um Konfliktprävention, um Standards des angemessenen Verhaltens in Konfliktfällen und um »investment in post-conflict-builduing« bemüht. Vertreter der Finanzwirtschaft merkten in der Debatte an, dass noch deutlicher zwischen verschiedenen Konflikttypen und Akteuren unterschieden werden müsse und die Rolle solcher Finanzinstitutionen wie »ranking-agencies« in die Untersuchung einbezogen werden müsse. Außerdem sollten die Realitäten »on the ground« mehr Beachtung finden. Warum bspw. sollte sich die Wirtschaft in Afghanistan eingedenk der schwierigen Lage engagieren? Schließlich: Der Finanzsektor könne Kriege zwar nicht verhindern, aber in einigen Fällen durch Information und die Herstellung von Transparenz die Staatengemeinschaft zum frühzeitigen Eingreifen in Krisenfällen bringen. Denn diese Einrichtungen verfügten oft über mehr Kenntnisse über Krisenregionen als die Geheimdienste oder die diplomatischen Vertretungen der verschiedenen Länder.

Am Beginn der Tagung hatte Dr. Armbruster vom BuMin für Entwicklungszusammenarbeit bereits einen weiten Bogen über die heutige Problemlage gespannt, für einen erweiterten Sicherheitsbegriff plädiert und ausgeführt, dass Frieden und strukturelle Stabilität im Interesse der Wirtschaft läge. Er ließ allerdings auch keinen Zweifel daran, dass es auch Geschäftemacherei gäbe, die sich über soziale Folgen hinwegsetze und sogar zur Verschärfung von Konflikten beitragen könne. Namentlich erwähnte er Waffenlieferungen, die Firmen, die an der Rohstoffausbeutung im Kongo verdienen wollten und Ölkonzerne, die auf den Bau der Baku-Ceyhan-Pipeline (Aserbeidshan, Georgien, Türkei/Kurdistan) gedrängt hätten.

Es ist evident, dass die Frage der Ökonomie durch die Globalisierungsprozesse neue Brisanz erlangt hat. AutorInnen sprechen von der Privatisierung der Weltpolitik. Der Begriff hat verschiedene Facetten. Er zielt auf die Machtverschiebungen zwischen transnationalen Konzernen und den Einzelstaaten – zu Gunsten Ersterer – ab, hat aber auch auf die galoppierende Erosion staatlicher Strukturen in den besonders konfliktträchtigen Regionen, in denen private Akteure (etwa Warlords) eine prominente Rolle spielen, im Visier. Dass Geschäftsbelange von Privatunternehmen und gewaltförmige Konflikte etwas miteinander zu tun haben könnten, wurde in Loccum intensiver am Beispiel der Ausplünderung wertvoller Rohstoffvorkommen in der Demokratischen Republik Kongo thematisiert. In Studien der Vereinten Nationen wurden Ross und Reiter genannt. Auch Untersuchungen der Weltbank haben sich dieses Themas angenommen und Kritisches zutage gefördert. Doch bleibt die Frage, ob es hier lediglich um »Schwarze Schafe« geht oder ob sich Skrupellosigkeit und Gewinnsucht nicht strukturbedingt verbinden. Und es bleibt die Frage, ob die vom Chefankläger des ISGH angestrebte Strafverfolgung der beteiligten Unternehmen auf Basis der bestehenden Rechtslage überhaupt Aussicht auf Erfolg hat.

Dass Privatunternehmen im Zuge der Globalisierung eine immer wichtigere Rolle spielen, ist also unverkennbar. Es bleiben dennoch viele Fragen offen:

  • Inwieweit sind die Vertreter der »global players« in ihren unternehmerischen Planungen und Strategien von Destabilisierungsprozessen in den Ländern betroffen und wenn ja, wie reagieren sie darauf?
  • Welche Relevanz haben die inzwischen weit verbreiteten »Standards for Sustainability«, denen sich die Unternehmen verpflichtet fühlen, wenn sich Widersprüche aus kurzfristigem wirtschaftlichem Nutzen und ökologischen/sozialen/politischen Folgen ergeben?
  • Verstehen sich die Wirtschaftseliten als auch politische Akteure oder als reine Geschäftsleute? Welche Bewusstseins- und Einstellungsveränderungen ergeben sich aus den gegenwärtigen Globalisierungsprozessen?
  • Von welchen Vorstellungen der internationalen und regionalen Konfliktregulierung lassen sie sich dabei leiten?

Noch scheint nicht ausgemacht, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln. Schlagzeilen macht regelmäßig das Weltwirtschaftsforum in Davos, das nach eigenem Anspruch die global engagierten Unternehmensvertreter mit Entscheidungsträgern der Politik zusammenführen und zukunftsfähige Konzepte für nachhaltige globale Entwicklung erarbeiten will. Offenkundig wird hier der Anspruch formuliert, global mitgestaltend wirken zu wollen. Andererseits wurden gerade bei der Loccumer Tagung die Vertreter der Geschäftswelt nicht müde zu betonen, dass Privatunternehmen weder über die Instrumente noch über die Legitimation verfügten, um die heutigen Probleme des globalen Überlebens zu lösen. Eine andere Frage, die im Raum steht, lautet: Geht es bei solchen Veranstaltungen wie dem Weltwirtschaftsforum, aber auch Symposien und Broschüren der einzelnen Firmen über Nachhaltigkeit und Konfliktbearbeitung, um mehr als PR-Kampagnen der in die Kritik geratenen »Geschäftswelt«? Oder hat in diesen Kreisen ein Umdenkungsprozess eingesetzt, weil die Problemlage das verlangt? Kann man davon ausgehen, dass, wie es im Konzept des »Global Compact« des VN-Generalsekretärs Kofi Annan angestrebt wird, die Unternehmen bereits wichtige Partner im Rahmen globaler Krisenbewältigungsstrategien sind, oder dass sie dafür noch gewonnen werden müssen?

Die Debatten in Loccum jedenfalls haben die Ambivalenzen und Widersprüche der heutigen Entwicklung offengelegt. Die Vertreter der Energiewirtschaft konnten einigermaßen plausibel zeigen, dass ihre Investitionen langfristiger Natur sind und sie daher ein hohes Interesse an Frieden und Stabilität haben müssen. Den kritischen Nachfragen nach ihrer Rolle in solchen Konfliktregionen wie Kolumbien, Nigeria oder Indonesien wichen sie eher aus und verwiesen auf ihre Investitionen in soziale Projekte vor Ort. Die Frage, ob es für Privatfirmen ggf. auch »No Go Areas« geben könnte, weil ein bestimmtes Geschäft umweltunverträglich und konfliktfördernd sein könnte, stellt sich auf den Chefetagen dieser Unternehmen derzeit nicht. Hier ist noch viel Diskussionsbedarf.

Das gilt auch für die Erarbeitung umfassender und zugleich möglichst konkreter Konzepte, die allen Beteiligten »Win-Win-Optionen« eröffnen können. In diesem Rahmen wären auch die spezifischen Beiträge der verschiedenen Akteure – Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft – noch genauer herauszuarbeiten. In dieser Hinsicht wurde in Loccum ein Anfang gemacht, der eine Fortsetzung verlangt.

Wo war die Friedenscommunity?

Interessant ist der Blick in die TeilnehmerInnen-Liste der Loccumer Tagung: Der Diskussion stellten sich Vertreter der großen Erdölkonzerne (BP und SHELL), der Versicherungsbranche (Gerling), der Chemie-Unternehmen (BASF). Könnte es sein, dass v.a. die Branchen reagieren müssen, die im besonderen Maße im Rampenlicht öffentlicher Kritik stehen oder die am direktesten von den Chaotisierungsprozessen in den Entwicklungsregionen betroffen sind? Ansonsten blieb die Resonanz in der Wirtschaft eher spärlich.

Vertreten waren Repräsentanten des UN-Entwicklungsprogramms (UNEP), des UN-Instituts für Abrüstungsforschung, des »World Business Council for Sustainable Development«, des BMZ und des Umweltministeriums, InWent, schließlich eine größere Anzahl von Menschen aus der NGO-Szene , ob aus dem internationalen Bereich wie »International Alert« oder »Transparency International«, oder aus nationalen Zusammenhängen wie »Germanwatch«, »Robin Wood« etc. Es fällt auf, dass in hohem Maße Repräsentanten der Entwicklungs- und Umweltpolitik vertreten waren, aus der Friedenspolitik im engeren Sinne bis auf drei Ausnahmen niemand. Offenkundig ist der Anfang der neunziger Jahre formulierte Anspruch, dass man Entwicklungs-, Regional- und Friedensforschung stärker zusammen bringen müsse, noch uneingelöst. Das gilt auch für die bewegungsorientierten Gruppen der EZ einerseits, der Friedensbewegung andererseits. Dass Friedens- und Entwicklungspolitik und Globalisierungskritik zusammen gehören, ist bislang eher programmatischer Vorsatz. Die Realisierung steht noch aus.

Paul Schäfer ist W&F- Redakteur

Gewaltmärkte und Entwicklungspolitik

Gewaltmärkte und Entwicklungspolitik

von Georg Elwert

In den letzten zehn Jahren hat sich in den Entwicklungsländern die Anzahl und die Intensität von lokalen, regionalen und zwischenstaatlichen Konflikten deutlich erhöht. Wie die Ursachen und Verläufe dieser Konflikte einzuschätzen und zu bewerten sind, ist nicht eindeutig. Jedoch hat vor allem die jüngere sozialwissenschaftliche Feldforschung in Konfliktgebieten neue Erkenntnisse zutage gefördert, die der Berliner Ethnologe Georg Elwert in einer Reihe von Arbeiten unter dem Oberbegriff »Gewaltmärkte« zusammengefasst hat. Der folgende Beitrag gibt eine komprimierte und überarbeitete Fassung eines Beitrags wieder, der nach einer Vorlage von Elwert (unter Mitarbeit von U. Hiemenz) als Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung angenommen und im Herbst 1998 vom BMZ veröffentlicht wurde (BMZ-aktuell, Nr. 92, 1998). Dieser Tatbestand ist insofern von Interesse, als angenommen werden könnte, dass die im Beitrag enthaltenen Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die deutsche Entwicklungspolitik von der neuen Bundesregierung nach 1998 aufgegriffen worden wären. Dies ist leider nicht der Fall. Jüngste Konflikte haben die Analysen Elwerts bestätigt, die Vorschläge sind weiter aktuell.
Hinter den vordergründigen Konfliktursachen spielt rational nachvollziehbares ökonomisches Handeln eine Rolle für den Einsatz von Gewalt. »Gewalt-Unternehmer« instrumentalisieren Emotionen, wie Hass und vor allem Angst, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen. Sie agieren zugleich innerhalb von Konfliktgebieten mit Raub, Erpressung und Hehlerei und außerhalb dieser Gebiete auf den internationalen Märkten für Diamanten, Gold, Drogen und Waffen. Es liegt deshalb nahe, im Zusammenhang mit Konfliktsituationen vom Entstehen von »Gewaltmärkten« zu sprechen, die Gewalt-Unternehmer oder »Kriegsherren« aus Profitmotiven organisieren. Dieser ökonomische Aspekt kann dann auch die Reproduktion, die Selbst-Stabilisierung, von Konfliktsituationen erklären.

Es geht um Bürgerkriege, die ein Geschäft sind

Ein Gewaltmarkt ist ein überwiegend von Erwerbszielen bestimmtes Handlungsfeld, in dem sowohl Raub als auch Warentausch sowie deren Übergangs- und Kombinationsformen Lösegeld-Erpressung, Schutzgelder, Straßenzölle usw. vorkommen. Jeder Akteur hat grundsätzlich mehrere Optionen von Raub bis Handel. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass der Ausdruck »Gewaltmarkt« Tatbestände abdeckt, die über die üblicherweise mit »Markt« assoziierten Tauschbeziehungen hinausgehen.1 Unter der Oberfläche moralischer, weltanschaulicher und machtpolitischer Konflikte dominiert das ökonomische Motiv des materiellen Profits. Solche Gewaltmärkte können in gewaltoffenen Räumen, d.h. bei Abwesenheit eines Gewaltmonopols, entstehen.2 Gewaltoffen sind Räume, in denen keine festen Regeln den Gebrauch der Gewalt begrenzen. Durch die ungeregelte Gewalt können sich zwar Routinen, aber keine festen Regeln etablieren. Auch Verträge zwischen Krieg führenden Parteien können gebrochen werden. Selbst innerhalb einer Krieg führenden Partei kann Gewalt die Klientelbeziehungen zwischen Kriegsherren, ihren Obersten und den Söldnern auflösen. Im gewaltoffenen Raum ist der Mord nicht ausgeschlossen, wenn er auch den meisten Akteuren unökonomisch erscheinen mag.

Die Generäle, Stammesfürsten, Milizchefs und Parteiführer, die Truppen vorstehen, bezeichnet die Forschung als Kriegsherren (englisch: warlords). Kriegsherren sind Unternehmer, die zweckrational eingesetzte Gewalt als effizientes Mittel eines im Prinzip marktwirtschaftlichen Erwerbsstrebens nutzen. Vom marktwirtschaftlichen Unternehmer unterscheidet sie, dass sie auch – aber nicht ausschließlich – Gewalt als Instrument zur Erzeugung von Profiten einsetzen. Dieses Bild von in erster Linie unternehmerisch agierenden Personen wird durch die wenigen wissenschaftlichen Berichte aus den Zentren der Kämpfe und durch Beobachtungen über den gleichen Personenkreis, der – wie vor drei Jahren in Äthiopien – im Frieden weiter unternehmerisch tätig ist, bestätigt. Diese Sicht entspricht nicht den von den Medien überwiegend verbreiteten Stereotypen von Bürgerkriegen, die Emotionen und Tradition als Erklärung bemühen. Moderne Kriege benötigen strategische Planung und Logistik. Ohne die kühle Planung des Nachschubs an Waffen, Munition, Nahrung und Kraftstoff kann eine militärische Auseinandersetzung nicht von Dauer sein. Strategisches Handeln und militärische Logistik setzen einen kühlen Kopf voraus, nicht die Dauermobilisierung von Emotionen.

Da seit Ende des Kalten Krieges die Großmächte an Legitimation zum gewaltsamen Eingreifen in solchen Situationen verloren haben und zugleich die Kontrolle über Waffenverkäufe geringer wurde, ist heute ein wichtiger äußerer Faktor der Gewaltkontrolle entfallen. Wo gewaltoffene Räume, abschöpfbare Ressourcen und abnahmebereite Märkte zusammentreffen, werden Gewaltmärkte entstehen und bei gleichbleibenden Randbedingungen (insbesondere dem Unwillen zur Intervention und zur Waffenhandels-Kontrolle) eher an Häufigkeit zu- als abnehmen.

Gewaltmärkte fanden sich in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und finden sich z. T. bis heute in Somalia, Äthiopien, Sudan, Sierra Leone, Liberia, Guinea, Nord-Mali, der zentralafrikanischen Republik, Tschad, Mosambik, D. R. Kongo (Zaïre), Angola, Libanon, dem Kaukasus, Afghanistan, Tadschikistan, Nord-Burma, Kolumbien, Bosnien und bald auch Mazedonien.

Zur Entstehung von Gewaltmärkten

Wie können Gewaltmärkte entstehen? Ein Gewaltmonopol zerbricht nicht plötzlich; es zerbröckelt mit zunehmender Geschwindigkeit v. a. durch erfolgreiches Räubertum oder vom Staat tolerierte Willkür lokaler Machthaber. In der Mehrzahl der Fälle zerfällt das Gewaltmonopol von innen. Das heißt: Staatliche Übergriffe verletzen die im Volk bestehende Vorstellung von legitimem Gewaltgebrauch und legitimieren damit Gegengewalt – Befreiungsbewegungen – oder eine Imitation dieser Willkür auf unterster Ebene. Entwicklungspolitische Wachsamkeit könnte hier den Anfängen wehren, indem in solchen Situationen ein Dialog zwischen Gebern und den Mittel empfangenden Regierungen aufgenommen und Hilfe und Schuldenerlass von Bedingungen abhängig gemacht, konditionalisiert, wird.

Wo die Institutionen der Konfliktschichtung und Rechtssicherung durch ein Wirtschaftswachstum in besonderem Maße beansprucht werden, können sich diese Institutionen als unzuverlässig oder zu schwach erweisen. Dann liegt der Gedanke an Selbsthilfe nahe, die zum Recht verhelfen soll. Diese »Selbsthilfe« nimmt gerade in vitalen Bereichen wie etwa Bodenrechten oft gewaltsame Formen an. Vertreibungen von Bevölkerungsgruppen in Nigeria, der Elfenbeinküste und in Zentralasien führten zu zeitweilig oder andauernd gewaltoffenen Räumen.

In Lokalgesellschaften ohne zentralisiertes Gewaltmonopol kann ein ökonomisches oder technologisches Ungleichgewicht – z.B. eine Nachfrage nach Späherdiensten oder nach Gold oder ein günstiges Angebot für effizientere Waffen – die interne Gewaltkontrolle zum Versagen bringen. Die vorher überwiegend als Jäger und Sammler tätigen Ik sahen im ugandischen Bürgerkrieg die Chance, sich als Späher zu verdingen, was zu einer partiellen Auflösung der internen moralischen Kontrolle und dadurch zu einer Hungersnot der Alten und der verlassenen Frauen und Kinder führte. Im Hochland Neuguineas verwandelten sich Fehden in Kriege, als automatische Feuerwaffen erhältlich wurden und Speere, Bögen, Beile oder Keulen ersetzten. In Somalia entstanden manche Milizen aus Selbstschutz-Einheiten der Nomaden, die sich ohne staatlichen Schutz Zugang zu Brunnen und zu Lebensmitteln sichern mussten. Die Waffen erhielten sie von ihren Partnern im Viehhandel geliefert, die wirtschaftlich von den Vieh-Lieferungen der Nomaden abhingen. Bald entdeckten die jungen Leute, die – im Widerspruch zum traditionellen Clan-System – diese Waffen kontrollierten, dass auch Geiselnahme, Begleitschutz und Schutzgelderpressung lohnend sind. Diese Beispiele beleuchten das Problem des internationalen Waffenhandels und die Notwendigkeit eines rechtsstaatlich garantierten Gewaltmonopols zugleich; beides sind bisher keine klassischen Felder der Entwicklungspolitik, wohl aber von großem Einfluss auf Entwicklungsprozesse.

Der Zerfall des Gewaltmonopols ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entstehung von Gewaltmärkten. Zumindest die zukünftigen Kriegsherren müssen mit ökonomischen Regeln vertraut sein. Das erklärt, warum diese z.B. im Kaukasus und Zentralasien v.a. aus dem Kreis der früheren Schwarzmarkt-Aktivisten stammen. Weiterhin müssen Waffen, Munition und Treibstoff zu akzeptablen Preisen zu erhalten sein. Der Preisverfall für Kriegswaffen, der seit Beginn der 90er Jahre in Afrika beobachtet werden kann, dürfte dort zur Verbreitung von Gewaltmärkten beigetragen haben. Nicht zuletzt müssen aber auch abschöpfbare Ressourcen vorhanden sein. Extreme Armut der Opfer erstickt auch in gewaltoffenen Situationen das Entstehen von Gewaltmärkten (so in den Hochgebirgsregionen Afghanistans und Tadschikistans). Reichtumskonzentration und der Zugang zu legal oder illegal ausbeutbaren Ressourcen begünstigt hingegen das Entstehen und die Ausbreitung von Gewaltmärkten. Wenn gewaltoffene Räume und Marktwirtschaft zusammentreffen, kann es zu einer positiven Rückkoppelung kommen: Die ökonomischen Interessen vergrößern die gewaltoffenen Räume, und in gewaltoffenen Räumen werden Marktinteressen in wachsendem Maßstab realisiert. Es entsteht das sich selbst stabilisierende System des Gewaltmarktes (so hielten z.B. in Zaïre Edelmetalle und Edelsteine die Gewaltmärkte seit den 60er Jahren aktiv).

Zur Funktionsweise und Dynamik von Gewaltmärkten

Die Entscheidung darüber, ob bestimmte Güter geraubt oder durch Handel erworben werden, ist in den Gewaltmärkten prinzipiell immer offen. Um strategisch entscheiden und die Optionen offen halten zu können, müssen die Kriegsherren Zeit gewinnen. Daher ergibt sich für diese Akteure ein strategisches Dreieck aus Gewalt, Handel und Zeit. Zwischen diesen Polen optimiert der Kriegsherr. Er kalkuliert das Verhältnis von Aufwand und Ertrag.

Die Produktion von Gewalt folgt ökonomischen Imperativen. Kriegsherren sind bemüht, die Kosten der Gewalt zu reduzieren. Zu den unverzichtbaren Ressourcen gehören Waffen, Munition und Treibstoff, aber es empfiehlt sich für die Kriegsherren nicht, hier auf Kosten der Qualität zu sparen. Machbar ist hingegen, am Sold der Söldner zu sparen. Das »Marodieren«, der systematische Raub durch Soldaten, ist daher eine naheliegende Form der Reproduktion der Kampfkraft. Es kann sogar ein Markt für das Marodieren entstehen. Das heißt, man bezahlt eine Gebühr, um an organisierten Raubzügen teilnehmen zu können.3

Für die Entwicklungspolitik besonders zu beachten ist, dass auch Nahrungsmittelhilfe zur Truppenversorgung eingesetzt werden kann (z.B. in Liberia) und Flüchtlingslager zu Kasernen für auf den Kampfeinsatz wartende Truppen und ihren Tross umfunktioniert werden (z.B. in Ostafrika für Truppen aus Somalia, dem Sudan, der D. R. Kongo und Äthiopien).

Für die Kriegsherren Kosten senkend ist es auch, eine gesellschaftliche Nachfrage nach Prestige zu bedienen. Dort, wo der junge Mann erst dann zum Mann wird, wenn er riskante Unternehmen (wie z.B. Viehdiebstahl) bestanden hat, oder wo Gewaltausübung gar als Bedingung zu einem Initiationsritual gehört, lassen sich junge Männer als hochmotivierte »Freiwillige« gewinnen. Für eine kurze Frist – wichtig vor allem für die Anfangsphase des Gewaltmarkts – kann auch die Verheißung von Recht und Freiheit, genauer: die Hoffnung latente Konflikte zu lösen oder eine Willkürherrschaft zu beseitigen, Freiwillige, d.h. unbezahlte Akteure, mobilisieren.

Eine besonders kostengünstige Form der Mobilisierung von Arbeitskraft ist die Erzeugung von Angst. Die Propaganda wird so ein wichtiges Produktionsinstrument. Ökonomisch gesehen, kann »sinnlose Gewalt« so ihren Sinn finden. Die Angst vor der Vergeltung der Opfer lässt keine andere Option zu als die, sich einer Armee anzuschließen oder sie zum eigenen Schutz zu unterstützen. Die Angst vor Rache stabilisiert das System. Die Angst, selbst Opfer von Gewalt zu werden, führt auch zu Präventivschlägen. Diese sind meist kaum strategisch geplant, eskalieren rasch und enden in der Ermordung von Nachbarn, welche sich zuvor u. U. sogar nahe standen. Berichte aus Ruanda wie aus Bosnien rücken dabei die Bedeutung der Radio- oder Fernsehpropaganda in den Vordergrund. In Ruanda spielte der aus Entwicklungshilfemitteln aufgebaute Rundfunk die Rolle des Angsterzeugers und -verstärkers, welcher dann die Gemetzel provozierte.

Der große Unterschied zwischen den heutigen Gewaltmärkten und denen des letzten Jahrhunderts ist, dass heute die elektronische Propaganda schneller und kostengünstiger große Bevölkerungsmassen erreicht und damit die Angst der Menschen in einem bisher unbekannten Ausmaß in eine Massenbeteiligung an den für einige Wenige ökonomisch Gewinn bringenden militärischen Unternehmungen umgemünzt werden kann. Der Automatismus von Rache und Racheangst schafft Eindeutigkeit, wo zuvor multiple Zugehörigkeiten (z.B. nach Sprache oder nach Religion) die Menschen neutral gegenüber den militanten Akteuren bleiben ließen. Mit der neuen Eindeutigkeit kann damit großräumiger agiert werden. Die militärstrategisch sinnvolle Freund/Feind-Trennung kann, ideologisch überformt, die Gestalt der »ethnischen Säuberung« erhalten. Die Angst, als Feind deklariert und damit zum potenziellen Opfer zu werden oder die Angst vor Rache verwandeln dabei bisher nicht mobilisierte Zivilisten in unbezahlte »Säuberungshelfer«. Dass eine rein »technisch« verstandene und unzureichend konditionalisierte Entwicklungshilfe solcher Propaganda Vorschub leistete, bedarf der Korrektur.

Auch der Warenhandel ist für Gewaltmärkte wichtig. Für räumlich mobile Räuber-Händler sind jene Tauschgüter besonders wichtig, welche leicht zu transportieren und unter Umständen sogar zu verbergen sind. Im Gewaltmarkt erhält aus diesen Gründen der Handel mit wertvollen Objekten ein überproportionales Gewicht. Diamanten, Gold und Smaragde, aber auch seltene Erden, Stahlveredler oder geschützte Tiere werden besonders interessant, weil hier mit einem einzigen Transport große Wertmengen bewegt werden können. Lukrativ ist auch der Handel mit Drogen oder Rauschmitteln – in Zentralasien z.B. Heroin – und mit Waffen. Dort, wo gewaltoffene Märkte entstanden sind, kann der Handel im Hochwertsegment sogar rasch zunehmen, wie derzeit etwa in Tadschikistan zu beobachten. Für den illegalen Handel, den Schmuggel mit Drogen und Waffen, kann der professionelle Begleitschutz durch Kriegsherren und unter Umständen sogar der Entrepot-Handel, das Zwischenlager im »sicheren« Gebiet, attraktiv sein. Handelsströme (Schmugglerrouten) nehmen dann den (Um-)Weg durch Konfliktgebiete.

In einigen wenigen, dafür international aber besonders beachteten Gewaltmärkten wird außerdem noch mit einem Gut gehandelt, das die fernen Käufer nicht als Ware identifizieren: mit dem ideologisch motiviert erscheinenden Opfer. Begleitet von ausführlicher Berichterstattung werden Schlachten für ein ideelles Ziel geschlagen. Das Leben der Gegner oder auch der eigenen Leute wird einer Sache geopfert, die Emigranten oder am Weltschicksal interessierten Ausländern etwas wert ist. Der »freie Westen«, »die sozialistische Weltrevolution», »die Ehre unserer Nation«, »die Rettung unseres Glaubens« scheinen auf dem Spiel zu stehen. Beträchtliche Ressourcen lassen sich von außen in den Gewaltmarkt transferieren, wenn die Kriegsherren diese Ware durch Aufbau einer rhetorisch geschulten und international kommunizierenden Spezialtruppe besonders bearbeiten. Jonas Savimbi konnte so seine Schlachten in Angola sowohl für die maoistische Weltrevolution zugunsten des Sozialismus als auch – später – für die Verteidigung des freien Westens gegen den Sozialismus verkaufen, bevor er sich wieder seinem Kerngeschäft in der Diamantenwirtschaft Angolas und Zaïres zuwandte.

Als Zwischenform zwischen Handel und Raub haben der Einzug von Schutzgeldern, auch Zölle genannt, und die Geiselnahme große Bedeutung. Heute besonders aktuell ist der Begleitschutz. Diamanten- und Goldschmuggler im heutigen Zaïre, Qat-Händler in Somalia, Smaragd-Schmuggler in Kolumbien und nicht zuletzt die Konvois mit Nahrungsmittelhilfe im Sudan, in Somalia, Liberia oder in Bosnien lassen in bestimmten Perioden diesen Wirtschaftszweig zum wichtigsten Einkommenssektor der Kriegsherren werden.

»Bürgerkrieg« als langfristiger Zustand – Die Stabilisierung von Gewaltmärkten

Eine Folge der Gewaltsituation ist, dass die Erwerbschancen in alternativen Wirtschaftszweigen schwinden. Gewerbe, Industrieproduktion, friedlicher Handel und Landwirtschaft geraten in Krisen und brechen dann, wenn sie auf kontinuierliche Inputs von außen angewiesen sind, vollständig zusammen. Die Löhne und Einkommen in diesen Sektoren sinken. Das investierte Kapital wird entwertet. Für die Lohnabhängigen und kleinen Selbstständigen wird es sinnvoll und oft sogar die einzige Überlebensoption, zu Söldnern und/oder Marodeuren zu konvertieren. Die Unternehmer sind gut beraten, wenn sie ihr flüssiges Kapital in den Aufbau einer Truppe und den Kauf von Waffen investieren. Es ist insofern nicht überraschend, dass etwa die Kriegsherren Somalias zuvor – in der friedlichen Periode – überwiegend als Großhändler oder als politische Unternehmer (auch als Partner der Entwicklungszusammenarbeit) tätig waren. Der Gewaltmarkt stabilisiert sich selbst, indem alternative Erwerbszweige unter Druck geraten und ihre Reproduktionschancen weit gehend verlieren, wodurch Arbeitskraft und Kapital von den – relativ gesehen – höheren Löhnen und den höheren Profitchancen in den gewalttätigen Wirtschaftsbereich gesogen werden. Zur Stabilisierung gehören auch Anstrengungen auf dem symbolisch-ideologischen Feld. Waffenparaden vor den Kameras der internationalen Fernsehteams gehören ebenso wie demonstrative Brutalität zu den erfolgreich verwendeten Propagandamethoden dieses Gewerbes. Die ideologische Selbstdarstellung, die Gewalt in den Vordergrund rückt, soll die Position im Gewaltmarkt stabilisieren. Sie erleichtert u.a. den Verkauf von »Schutz«.

Die Wahl der Opfer folgt recht komplexen Kalkülen. Nicht jeder, der etwas hat, wird beraubt. Die Kriegsherren brauchen auch Handelspartner, Unterstützer und neutrale Kräfte. Damit sich diese sicher fühlen, ist es hilfreich, die Gewalt klaren, symbolisch vorgezeichneten Linien folgen zu lassen. Abzeichen einer Religion, städtische oder ländliche Tracht, regionaler Akzent u.ä. dienen dazu und erwecken den Eindruck ethnischer oder religiöser Konfrontation. Kein Handels- oder Bündnispartner kann jedoch sicher sein, nicht auch zum Opfer der Begehrlichkeit der Verbündeten von gestern zu werden. Jede der Allianzen in Somalia wurde schon einmal gebrochen.

Zerfall von Gewaltmärkten

Gewaltmärkte bestehen maximal immer »nur« für einige Jahrzehnte. Die Gründe ihres Zusammenbrechens hängen sowohl mit ihrer internen Struktur als auch mit ihrem Umfeld zusammen. Gewaltmärkte entstehen und bestehen nicht in einem Vakuum. Sie erwachsen aus sich selbst organisierenden sozialen Systemen, die als solche auf einen Austausch mit ihrer Umwelt angewiesen sind, und sie setzen diesen Austausch (mit sich verändernden) Formen fort. Da Gewaltmärkte das landesinterne Institutionengefüge und Produktionspotenzial weitgehend zerstören, sind sie entscheidend von Abnehmern, Lieferanten, Banken und anderen Dienstleistungen außerhalb ihres Raumes abhängig. Die Bedeutung des Dienstleistungssektors wird leicht übersehen. Gewaltmärkte brauchen eine externe Infrastruktur. Somalische Kriegsherren nutzten etwa intensiv Ausbildungszentren, Spezialkrankenhäuser, Banken, Versicherungen, Börsen und Handelsschiedsgerichte auf anderen Kontinenten (nachweisbar: Nordamerika, Asien). Der Austausch über die Grenzen des eigenen Systems ist also eine der neuralgischen Stellen von Gewaltmärkten. Blockaden, also Behinderungen dieses Austauschs, können sie von außen zerstören. Allerdings lassen sich Beispiele für erfolgreiche Blockaden derzeit nur schwer aufzählen. Mosambik nach der Wende in der südafrikanischen Republik, welche vorher die externe Infrastruktur für die Gewalt bereitstellte, war ein solcher Fall. Der durch deutsche Intervention zuwege gebrachte Waffenboykott gegenüber Eritrea und Äthiopien wirkte präventiv. Die Behinderung der gesamten externen Infrastruktur von Gewaltmärkten müsste eine europäische (entwicklungs-)politische Aufgabe werden.

Die Prioritäten der agierenden Parteien und Personen können sich im Zeitablauf ändern. Der Einsatz von Gewalt beruht nicht nur auf Profit-Motiven. Ohne sekundäre Motivationen ließen sich, wie oben dargestellt, Gewaltmärkte nicht verstetigen. Aus sekundären Motivationen – wie etwa den Bemühungen um die Schaffung einer neuen ethnonationalen Gemeinschaft – können primäre werden, die dann ein neues Zielsystem etablieren. Dies belegt auch die europäische Geschichte: Aus den Führern der Söldnerheere des 30jährigen Krieges wurden Macht akkumulierende Staatsmänner und friedliche Unternehmer. Damals, wie heute im Libanon, hat möglicherweise die durch die Gewalt bewirkte Erschöpfung der Ressourcen zur relativen Befriedung beigetragen.

Der Übergang vom Gewaltmarkt zu friedlicheren Zuständen kann also sowohl durch eine Erschöpfung der Ressourcen, durch externe Blockaden als auch durch interne Verlagerungen der Prioritäten erreicht werden. In der Übergangsperiode entstehen ambivalente Handlungsräume.

Möglichkeiten der Intervention im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit

Die vorangegangene Analyse hat eine Reihe von Anhaltspunkten geliefert, in welcher Weise die Entwicklungszusammenarbeit auf das Entstehen und den Zerfall von Gewaltmärkten Einfluss nehmen kann. Grundsätzlich kann zwischen Präventiver Hilfe, Hilfe durch Intervention und Hilfe zur Stabilisierung des Friedens unterschieden werden.

Präventive Hilfe

Die Förderung von Rechtssicherheit durch Unterstützung des Institutionen-Aufbaus kann vor allem im Bereich der Landrechte der Neigung zur gewaltsamen Konfliktlösung vorbeugen und somit die Entstehung gewaltoffener Räume behindern.

Im Vorfeld potenzieller Bürgerkriegssituationen liegt es insbesondere nahe, auf den sich andeutenden Zusammenbruch des innerstaatlichen Gewaltmonopols in seiner rechtsstaatlichen Form rasch und deutlich zu reagieren. Instrumente sind:

  • außenpolitische Interventionen über direkte diplomatische Wege oder supranationale Organisationen,
  • Entzug von Entwicklungshilfe (vor allem dort, wo sie staatliche Administrationen stabilisiert, die Willkür für ihr selbstverständliches Vorrecht halten),
  • gezielte Hilfe (z.B. durch humanitäre Organisationen und politische Stiftungen) zur Stärkung rechtsstaatlicher Institutionen oder bestimmter Akteure.

Die Rückenstärkung von verantwortlichem Journalismus und die Untersagung von Minderheitenhetze kann Gewalt-Unternehmern das Instrument der Angst-Mobilisierung entziehen. Als absurd erscheint es, wenn Entwicklungshilfe zum Aufbau und zur Förderung von Massenmedien nicht von einer politischen Konditionalisierung begleitet wird. Wenn solche Massenmedien zur Volksverhetzung (nach deutscher Rechtsterminologie) und Gewaltaufforderung benutzt werden, müsste die Hilfe zurückgefordert werden. Dies mag heute utopisch erscheinen, wäre aber nur die Verlängerung eines innerstaatlichen Rechtsprinzips.

Hilfe durch Intervention

Das, was hier im streng formalen Sinn als Intervention bezeichnet wird, kann nur zu einem Teil Gegenstand von Entwicklungszusammenarbeit sein. Da solche Interventionen aber ohne eine entwicklungspolitische Komponente keinen Erfolg haben können, muss hier der Gesamtzusammenhang dargestellt werden.

Sowohl die Wirtschaftsinteressen (Schmuggel, Anlage der Erlöse aus Handel, Raub, Erpressung und Geiselnahme in sicheren Drittstaaten) als auch der Waffennachschub können durch eine Blockade empfindlich getroffen werden. Eine solche Blockade ist freilich nicht einfach zu realisieren. Sie ist an den Grenzen der Kriegsgebiete personalintensiv oder technologisch aufwändig und setzt voraus, dass die Kräfte, die diese grenzpolizeiliche Aufgabe ausüben, zur Durchsetzung ihrer Pflichten auch die Waffe einsetzen können (anders als dies im Jugoslawienkonflikt praktiziert wurde). Zeitgleich muss eine solche Blockade auch als Blockade der Dienstleistungen und insbesondere der Geldbewegungen realisiert werden, was von neutralen Staaten als Eingriff in ihre »Bankenfreiheit« bezeichnet werden könnte.

Zusätzlich zu einer Blockade kann zur Beendigung der Gewalt in manchen Fällen auf eine zeitlich befristete Gewährleistung des innerstaatlichen Gewaltmonopols durch externe Kräfte nicht verzichtet werden. Diese polizeiliche (und im eigentlichen Sinn nicht militärische) Aufgabe setzt freilich vier Dinge voraus: Erstens muss Bewaffnung und Logistik der Interventionskräfte der der internen Akteure gewachsen sein, zweitens muss der Einsatz sanktionierender Gewalt an rechtsstaatliche Normen gebunden sein und dies institutionell gesichert werden, drittens muss eine Waffenkontrolle erreicht werden, viertens muss auch ein begrenzter Teil der alltäglichen Konflikte geschlichtet werden, wenn nicht Gewalt – in der Form der Selbsthilfe, »um zu seinem Recht zu kommen« – wieder aufflammen soll. Hierbei muss unumgänglich an lokale Vorstellungen von Gerechtigkeit und an lokale Institutionen angeknüpft werden, wenn man ein Fundament für den endogenen Aufbau von Rechtsstaatlichkeit durch einheimische Kräfte legen will. Dies setzt sozio-kulturelle Kompetenz der Interventen voraus, wie sie in der üblichen Kooperation mit Entwicklungsländern zwar häufig zu finden ist, in diesen vitalen Situationen leider aber oft zu vermissen ist.

Die derzeit am weitesten verbreiteten Formen der Intervention sind die Entsendung von Ärzten und Krankenschwestern und die Verteilung von Nahrungsmitteln und Bekleidung an die Opfer der Gewalt. Insofern die Menschen in Lagern zusammengefasst werden, wird den Kriegsherren die Rekrutierung von Truppen eher erleichtert als erschwert (wie das Beispiel der ruandischen Flüchtlinge in Zaïre zeigte). Flüchtlingslager, die als Kasernen und Trosslager der Kriegsherren dienen und durch die Vergabe von Nahrungsmittelhilfe gefördert werden, sind als Intervention kontraproduktiv. Dezentrale Versorgungskonzepte wären hier angebrachter. Dass Hilfslieferungen durch Erpressung von Schutzgeldern, »Zöllen«, Bezahlung von Geleitschutz oder Raub nur zum Teil die Zielgruppen erreichen, ist nie gänzlich zu verhindern. Dass solche Lieferungen aber die Kriegsherren mehr stärken als ihre Opfer, könnte durch ein sozialwissenschaftliches Monitoring (über Güterflüsse, Allianzdynamiken, Rekrutierungsformen, Aufbau eigener Erzwingungsstäbe usw.) vermieden werden.

Stabilisierung von Frieden

Was oben über die Notwendigkeiten eines rechtsstaatlich kontrollierten Gebrauchs der staatlichen Gewalt und über verantwortungsvollen Journalismus ausgeführt wurde, bezeichnet auch Notwendigkeiten der Entwicklungszusammenarbeit in der Nachkonfliktphase. Besonders vordringlich ist die Unterstützung des Aufbaus von lokalen Institutionen der Konfliktschlichtung. »Wahrheitskommissionen«, die durch ihre Verfahren beide Seiten eines Konflikts implizit auf die gleichen Werte verpflichten, können eine Vorstufe hierzu sein. Auch Formen des Täter-Opfer-Ausgleichs können diesen Institutionen-Aufbau und die Entwicklung eines gemeinsamen Rechtsbewusstseins fördern. Dabei ist sowohl die Anknüpfung an endogene Rechtsvorstellungen zu gewährleisten als auch eine Information über die Erfahrungen anderer Länder einzubringen. Beides zusammen könnte Gegenstand einer genuin partnerschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit sein.

Da kriegerische Zustände die Werte der Krieger besonders prämiieren, liegt eine besondere Gefahr für den Frieden darin, dass er nur als vorübergehender Waffenstillstand erscheinen kann. In gewaltoffenen Räumen stabilisiert sich oft eine gewaltspezifische Prestigeordnung, die die Chance junger Männer, Ehre und Ansehen zu erwerben, an Gewalttaten gegen Fremde oder an die Rache von »Ehrverletzungen« bindet. Solange diese Prestigeordnung besteht, wächst auch im Frieden kontinuierlich eine Reservearmee zur Verfügung eventueller Bürgerkriegsstrategen heran. Dies ist allerdings nicht zwangsläufig so. Es ist auch möglich, neue Wege zur gesellschaftlichen Anerkennung zu eröffnen: eine schwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe. Die Förderung unternehmerischen Ehrgeizes in friedlichen Formen kann hier potenziell destruktive Energien umleiten und sowohl Prestige als auch Profit vermitteln (wie etwa Entwicklungen in Äthiopien zeigten).

Literatur

Elwert, Georg, Stephan Feuchtwang, Dieter Neubert (eds.) (1999): Dynamics of Violence. Processes of Escalation and De-Escalation in Violent Conflicts. Berlin, Duncker & Humblot.

Jean, François und Jean-Christophe Rufin (dir.) (1996): Économie des guerres civiles. Paris, Hachette.

Koehler, Jan und Sonja Heyer (Hrsg.) (1998): Anthropologie der Gewalt. Berlin, VWF, S. 205-216.

Anmerkungen

1) Aus dieser ökonomischen Perspektive sind Gewaltmärkte jene Märkte, auf denen die Mittel zur Ausübung strategischer Gewalt (Waffen, Munition, Militärfahrzeuge und komplementäre Treibstoffe, Söldner und komplementäre Grundbedarfsgüter) angeboten und nachgefragt werden. Solche Märkte können entstehen, wenn mit der Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols und einer rechtsstaatlichen Ordnung Anbieterpreise (Preisuntergrenzen potenzieller Anbieter dieser Mittel) zustande kommen, die bestehende Nachfragerpreise (maximale Zahlungsbereitschaft für diese Mittel) unterschreiten.

2) Dass es zum Zerfall des Gewaltmonopols kommt, ist freilich meist nicht direkt ökonomischen Motiven zuzuschreiben. In der ersten Phase der Entwicklung der hier diskutierten Gewaltsituationen haben daher politische Motive und nicht ökonomische die Oberhand.

3) In Jugoslawien bedienten sich Freiwilligen-Organisationen der Unterstützung von »Wochenendsoldaten«, die Freitag nachmittags gegen entsprechende Gebühr und Waffenverleih mit Bussen an die »Front« gefahren werden, um Sonntagabend reich beladen wieder zurückzukehren. Dass man es auch Sadisten, die ihre Gebühr bezahlt haben, gestattet, sich ihre Befriedigung zu suchen, ist in diesem Sinne ökonomisch.

Prof. Dr. Georg Elwert lehrt am Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin.