Eine verpasste Chance?

Eine verpasste Chance?

Die 8. Überprüfungskonferenz des Biowaffenübereinkommens

von Mirko Himmel

Das Biowaffenübereinkommen (BWÜ) hat das Ziel des Verbots der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von Bio- und Toxinwaffen sowie der weltweiten Abrüstung dieser Waffen. Es soll die missbräuchliche Nutzung biologischer Agenzien für nichtfriedliche Zwecke nachhaltig verhindern. Alle fünf Jahre soll im Rahmen einer Überprüfungskonferenz festgestellt werden, ob neue politische, militärische und insbesondere auch wissenschaftlich-technische Entwicklungen, z.B. in der Biotechnologie, eine Adaption des Vertrages oder der Interpretation seiner Umsetzung erforderlich machen. Im November 2016 fand die 8. Überprüfungskonferenz zum BWÜ statt.

Im Jahr 1975 trat das »Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen« (BWÜ) in Kraft – als erster Abrüstungs- und Rüstungskontrollvertrag, der eine ganze Kategorie von Massenvernichtungswaffen verbietet. Aktuell sind 178 Staaten Mitglied im BWÜ (zum Vergleich: das Chemiewaffenübereinkommen/CWÜ von 1997 umfasst derzeit 192 Mitgliedsstaaten). In Verbindung mit dem Genfer Protokoll von 1925, welches den Einsatz chemischer und biologischer Waffen im Kriege verbietet, und dem im BWÜ festgelegten Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von Bio- und Toxinwaffen stellt dieser Vertrag das wesentliche Element zur Ächtung der biologischen Kriegsführung und des Missbrauchs der Biotechnologie für nichtfriedliche Zwecke dar. Damit ist das BWÜ ein zumindest zum Teil erfolgreicher Rüstungskontrollvertrag, der zur weltweiten Abrüstung staatlicher Biowaffenarsenale beitrug.1

Zudem stellten die seit 2003 zweimal jährlich stattfindenden Experten- und Staatentreffen eine wichtige Plattform für den Informations- und Meinungsaustausch zwischen den Vertragsstaaten dar, was für einen rüstungskontrollpolitischen Bereich, in dem sich wissenschaftliche und (bio-) technologische Erkenntnisse und Fähigkeiten rapide vermehren, ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist. Leider ist es bisher nicht gelungen, eine dem BWÜ von Anfang an mitgegebene Schwäche auszugleichen: das Fehlen eines Überprüfungsmechanismus. So beruht die Einschätzung der Vertragstreue der Mitgliedsstaaten innerhalb des BWÜ auf eher intransparenten oder wenig entwickelten Methoden, wie der freiwilligen Einreichung und Veröffentlichung formulargestützter Deklarationen, so genannter Vertrauensbildender Maßnahmen (VBM), anstatt auf einem strukturierten, transparenten und in sich nachvollziehbaren Verifikationsmechanismus. In diesem Zusammenhang stellen die wiederkehrenden Überprüfungskonferenzen eine wichtige Möglichkeit dar, den gegebenenfalls erforderlichen Interpretations- oder Weiterentwicklungsbedarf einzelner Artikel des BWÜ oder des VBM-Mechanismus zu klären.

Die 8. Überprüfungskonferenz in Genf

Am 7.-25. November fand die 8. Überprüfungskonferenz zum BWÜ am Sitz der Vereinten Nationen in Genf statt. Diese Konferenz wurde von vielen Beobachter*innen mit Spannung erwartet, bot sie doch die Gelegenheit, viele bereits während der Vorbereitungstreffen (Meeting of the Preparatory Committee) diskutierte Vorschläge umzusetzen.2 Viele Delegationen erwarteten, dass bei allen Schwierigkeiten – wie der kaum zu erwartenden Vereinbarung eines rechtlich verbindlichen Verifikationsmechanismus – doch in einigen Bereichen eine Einigung möglich sein würde, z.B. bei der Frage nach einer personell besseren Ausstattung der BWÜ-Implementierungsunterstützungseinheit (Implementation Support Unit, ISU) oder der Einrichtung eines wissenschaftlichen Beratungsgremiums (Scientific Advisory Committee) sowie regelmäßig tagender Arbeitsgruppen zu Schwerpunktthemen der Umsetzung und Ausgestaltung ausgewählter Artikel des BWÜ.

Leider wurden selbst diese zurückhaltenden Erwartungen enttäuscht. Bereits in der zweiten Woche der Konferenz wurden Beobachter*innen (Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen, Staaten mit Beobachterstatus, wie Syrien, oder Vertreter*innen der Europäischen Union) auf Antrag eines einzelnen Landes – in den sozialen Medien wurde berichtet, es handele sich um den Iran -von der Teilnahme an den Sitzungen des »Committee of the Whole« ausgeschlossen; damit wurde ihnen eine wichtige Informationsquelle für die Einschätzung der Verhandlungen entzogen. Am Ende einer, wie informell berichtet, sehr anstrengenden Diskussions- und Verhandlungsphase wurde mit der Abschluss­erklärung3 ein Minimalkonsens gefunden, der zwar ein formelles Scheitern der 8. Überprüfungskonferenz verhinderte, aber keine inhaltliche Substanz bot.

Bei der Konferenz wurden im Wesentlichen folgende Ergebnisse erzielt:

  • Es gab eine erneute Einigung auf den Fünfjahresrythmus zur Abhaltung der Überprüfungskonferenzen. Damit bleibt eine wesentliche Eckklammer für die inhaltliche Überprüfung und gegebenenfalls Aktualisierung des BWÜ erhalten.
  • Die Anzahl der jährlichen Sitzungstage wurde reduziert, sodass nun nicht mehr genug Zeit für das bislang übliche jährliche Expertentreffen bleibt. Auf die im Vorfeld diskutierte Einrichtung von Arbeitsgruppen zu wissenschaftlich-technischen Themen konnten sich die Vertragsstaaten ebenfalls nicht einigen.
  • Eine personelle Verstärkung der ISU in Genf war nicht konsensfähig, obschon deren wichtige Rolle bei der Unterstützung der Vertragsstaaten in administrativen Fragen nicht in Frage gestellt wurde.
  • Immerhin wurde die Vereinbarung erzielt, im Dezember 2017 in Genf zu einem Treffen der Mitgliedsstaaten zusammenzukommen, um über das weitere Prozedere bis zur nächsten Überprüfungskonferenz zu debattieren.

Diese Ergebnisse sind unbefriedigend und eine große Enttäuschung für die akademischen Kolleg*innen, die im Vorfeld den Mitgliedstaaten teils sehr umfangreiche Analysen und Optimierungsvorschläge zur Verfügung gestellt hatten. Wie konnte das passieren?

Auswirkungen des politischen Umfeldes

Der Eindruck aus der Beobachtung des »Committee of the Whole« während der ersten Sitzungswoche ist, dass dies weniger an fehlendem Interesse der Mitgliedsstaaten – vor allem der politisch in diesem Übereinkommen stets besonders aktiven – lag, sondern an äußeren Entwicklungen. So stellt sich beispielsweise die Frage, inwieweit die Ankündigung des zukünftigen US-Präsidenten Donald Trump, das Abkommen mit dem Iran über die Sicherstellung der friedlichen Nutzung der Kernenergie (Joint Comprehensive Plan of Action) aufkündigen zu wollen, den Iran als wichtiges Mitglied der blockfreien Staaten (NAM) zu einem diplomatisch vorsichtigeren Vorgehen bewog, obwohl diesmal auch die US-Delegation im Vorfeld erkennen ließ, sie sei für Gespräche über alle Themen im BWÜ-Kontext offen. Allerdings könnte sich am Ende die Entscheidung als weise herausstellen, in einer Phase der (zumindest von einzelnen Staaten, wie Iran, so wahrgenommenen) Unklarheit keine weitreichenden Zugeständnisse zu machen, sondern eine mögliche Neuausrichtung der US-amerikanischen Außendiplomatie abzuwarten. Dennoch war deutliche Kritik seitens einiger NAM-Mitgliedsstaaten zu vernehmen, die (gemäß den Gepflogenheiten bei UN-Konferenzen ohne namentliche Nennung) einer Delegation aus ihrem Kreise den Missbrauch der Konsensregel aus egoistischen Motiven vorwarfen.4

Dieses Ergebnis ist sehr bedauerlich, da das Biowaffenübereinkommen wesentlich mehr internationaler Aufmerksamkeit bedarf, um auch zukünftig die Aufrechterhaltung des Verbots biologischer Waffen und damit einhergehend der biologischen Kriegsführung sicherstellen zu können.

Der Fall Syrien zeigt, dass selbst die Durchsetzung einer so eindeutig definierten und international breit akzeptierten Verbotsnorm wie die des Chemiewaffenübereinkommens in Gefahr geraten kann – eine Vorstellung, die noch vor wenigen Jahren als abwegig angesehen worden wäre.5 Die Mitgliedsstaaten des Biowaffenübereinkommens haben nun im Dezember 2017 die Gelegenheit und hoffentlich auch den Willen, die in der Vorbereitung der 8. Überprüfungskonferenz zusammengetragenen Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Vertragsregimes umzusetzen.

Anmerkungen

1) Die weltweite und vollständige Abrüstung staatlicher Biowaffenarsenale wird seit Mitte der 1990er Jahre als gegeben angenommen. Eine finale Verifizierung dieses Zustandes, z.B. im Rahmen des Biowaffenübereinkommens, wurde aber nie durchgeführt. In öffentlich zugänglichen Quellen finden sich Behauptungen, dass offensive Biowaffenprogramme in einigen Ländern, wie beispielsweise Nordkorea (nicht Mitglied im BWÜ), existieren sollen; diese sind bisher aber nicht eindeutig belegt.

2) Siehe Himmel, M.: Das Biowaffenübereinkommen – Fit für die Zukunft? W&F 3-2016, S. 42-45.

3) Die vorläufige Version des Abschlussdokuments findet sich auf unog.ch.

4) Mehr Details finden sich z.B. in den täglichen Berichten zum Fortgang der Überprüfungskonferenz, erstellt von Dr. Richard Guthrie im Namen des BioWeapons Prevention Project; cbw-events.org.uk/RC16-combined.pdf.

5) Besonders beachtlich ist an der Entwicklung in Syrien (seit 2013 Mitglied im CWÜ und seit 1972 Signatarstaat, aber nicht Mitglied des BWÜ), dass die syrische Regierung 2014 im Zuge einer Nachdeklaration von Einrichtungen ihres Chemiewaffenprogramms eine Stätte zur Produktion des Toxins Rizin sowie die angeblich bereits erfolgte Vernichtung der bis dato hergestellten Bestände meldete – kurz bevor das Gelände in die Hände der Rebellen gelangte. Als besonders potentes Pflanzengift wird Rizin nicht nur durch die Verbotsbestände des BWÜ erfasst, sondern ist auch im CWÜ explizit aufgeführt. Welche Absichten die syrische Regierung mit den Arbeiten an diesem hochpotenten Toxin verfolgte, ist nicht bekannt. Die Erklärung, das Rizin sei für die medizinische Forschung bestimmt gewesen, erscheint ob der Umstände eher fragwürdig. Weitere Informationen siehe Jeremias, G.; Himmel, M.; Bino, T.; Hersch, J.: Guest Post – Spotlight on Syria’s biological weapons. Armscontrolwonk.com, 8.2.2016.

Dr. Mirko Himmel ist Biochemiker und arbeitet in der Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle am Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg.

Das Biowaffenübereinkommen


Das Biowaffenübereinkommen

Fit für die Zukunft?

von Mirko Himmel

Das internationale »Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen« (BWÜ) trat 1975 in Kraft und verbietet die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von Bio- und Toxinwaffen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Biowaffenarsenale vollständig abgerüstet sind; daher findet das BWÜ im Vergleich zu anderen Rüstungskontrollverträgen gegenwärtig international relativ wenig politische Aufmerksamkeit. Das mag ein Zeichen für ein aktuell als gering empfundenes Bedrohungspotential sein, ist aber vor dem Hintergrund eines fehlenden Mechanismus zur Überprüfung des BWÜ nicht wirklich zu rechtfertigen. Die 8. Überprüfungskonferenz bietet daher die Möglichkeit, bestehende Defizite anzugehen und das BWÜ vor dem Hintergrund neuer Entwicklungen in der Bio- und Gentechnologie angemessen fortzuentwickeln.

Mit der im November 2016 stattfindenden 8. Überprüfungskonferenz zum BWÜ endet die fünfjährige Arbeitsphase, der so genannte intersessionale Prozess, zwischen den regelmäßig stattfindenden Überprüfungskonferenzen. Es ist also Zeit, einmal zurück zu blicken auf bisher Erreichtes und die Frage zu stellen, was von der kommenden Überprüfungskonferenz zu erhoffen ist.1

Das BWÜ: Abrüstung und Rüstungskontrolle biologischer Waffen

Biologische Waffen werden aufgrund ihres enormen Schadpotentials für Menschen, Tiere und Pflanzen zu den Massenvernichtungswaffen gezählt.2 Nach aktuellem Wissensstand kam es bisher nicht zu einem Einsatz dieser Waffen bei Kriegshandlungen zwischen Staaten.3

Das »Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen«4 wurde während der Abrüstungsverhandlungen über biologische und chemische Waffen in den 1960er Jahren als eigener Vertrag ausgekoppelt, am 10. April 1972 verabschiedet und trat am 26. März 1975 in Kraft. In Verbindung mit dem Genfer Protokoll von 1925, das den Einsatz chemischer und biologischer Waffen im Kriege verbietet, zielt das BWÜ also auf das Verbot biologischer Waffen ab. Es ist damit der erste Rüstungskontrollvertrag, der eine ganze Kategorie von Massenvernichtungswaffen verbietet.

Inzwischen wird davon ausgegangen, dass sämtliche Biowaffenbestände vollständig abgerüstet und Anlagen zur Entwicklung, Testung und Produktion biologischer Waffen demontiert oder für eine zivile Nutzung konvertiert wurden. Es gibt gegenwärtig keine sicheren Anzeichen oder Hinweise auf offensive Biowaffenforschung, daher wird die Bedrohung durch staatliche Biowaffenprogramme als gering angesehen. Das BWÜ ist somit vor allem noch ein präventiver Rüstungskontrollvertrag.

Wie wahrscheinlich ist eine Wiederaufrüstung mit biologischen Waffen?

Eine Antwort auf diese Frage zu geben ist nicht ganz einfach. Aus öffentlich zugänglichen Quellen ergeben sich keine Belege für Intentionen und (politische) Motivationen, biologische Rüstungsvorhaben wieder aufzunehmen. Geheimdienstliche Einschätzungen und Analysen aus Expertenkreisen weisen dennoch immer wieder auf eine Reihe verdächtiger Staaten hin, die im Verborgenen an biologischen Waffen forschen sollen – oder vielleicht auch nicht. Solange keine eindeutigen, nachvollziehbaren Belege vorgelegt werden, sind solche Informationen mit Skepsis zu behandeln. Zurzeit werden einschlägige Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen ohnehin nur außerhalb des BWÜ-Regimes systematisch erfasst und ausgewertet (z.B. durch Nachrichtendienste und einige wenige Nichtregierungsorganisationen), weil es im BWÜ hierfür keinen vertraglich vereinbarten Mechanismus gibt.5 Der Abwehr möglicher bioterroristischer Aktivitäten wird gegenwärtig ein großer Stellenwert beigemessen, was unter dem Gesichtspunkt des Vorsorge- und Schutzprinzips nicht zu kritisieren ist, solange die Investitionen in Abwehrforschung und Abwehrmaßnahmen in Relation zum Bedrohungspotential bleiben.6

Welche Überprüfungsmecha­nismen stehen zur Verfügung?

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, welchen Beitrag das BWÜ leisten kann, um zu erkennen, ob ein Staat an biologischen Waffen für Offensivzwecke arbeitet. Die illegitime Fortsetzung des sowjetischen Biowaffenprogramms beispielsweise wurde erst dann eindeutig bekannt, als die Sowjetunion (einer der Depositarstaaten des Abkommens!) 1992 selbst die Fortexistenz des Programms zugab und die Einstellung aller entsprechenden Arbeiten ankündigte. Hier wird eine der großen Schwächen des BWÜ offenbar: das Fehlen eines Mechanismus zur Überprüfung der Vertragstreue innerhalb des BWÜ-Regimes. Dem Vertrag wurde 1972 kein entsprechendes Instrument mit auf dem Weg gegeben. Es wurde zwar versucht, diese Schwäche nachträglich durch ein Zusatzprotokoll zu korrigieren. Die entsprechenden Verhandlungen scheiterten jedoch nach über sechs Jahren im Juli 2001 aus technischen, politischen und ökonomischen Erwägungen, u.a. am Widerstand der USA.7 Das ist um so bedauerlicher, weil heute nahezu alle in der Biotechnologie führenden Nationen Mitglied im BWÜ sind, sodass ein entsprechender Überprüfungsmechanismus ein mächtiges Werkzeug zur Kontrolle des BWÜ sein könnte.

Grundsätzlich ist die Arbeit an krankmachenden Mikroorganismen, Toxinen oder anderen, potentiell gefährlichen biologischen Stoffen auch nach dem BWÜ nicht verboten, sofern diese Arbeiten friedlichen Zwecken einschließlich der Verteidigung dienen. Die Defensivforschung findet allerdings in einer Grauzone statt: Sie ist erlaubt, es wurden aber keine Grenzen definiert für Art und Umfang dieser teils sehr laborintensiven Arbeiten, die auch Tests in Versuchskammern oder im Freien beinhalten können, also Arbeiten, wie sie in offensiven Biowaffenprogrammen ebenfalls durchgeführt würden.8 Dieses Dilemma der präventiven biologischen Rüstungskontrolle wird sich vermutlich nicht auflösen lassen, und es bleibt abzuwarten, ob die anstehende Überprüfungskonferenz durch verbindliche Regeln mehr Klarheit schaffen wird.

Gibt es neuartige BWÜ-relevante biologische Bedrohungen?

Nationale Experten, Vertreter aus dem akademischen Sektor und Mitglieder internationaler Organisationen berichten bei den Treffen zum BWÜ über aktuelle Entwicklungen, z.B. in der Gentechnologie, durch die neue Risikopotentiale entstehen könnten. Ein Beispiel ist das CRISPR/Cas9-System, eine künstliche Kombination von in der Natur vorkommenden Abwehrstoffen, die von Bakterien zum Abbau eingedrungener Fremd-DNA eingesetzt wird.9 Die legitime Anwendung dieser Technologie, z.B. in der Grundlagenforschung, erlaubt eine Veränderung des Erbgutes der Zielzellen mit einer Qualität und Schnelligkeit, wie sie bisher nicht möglich war. Ein Missbrauch des Verfahrens zur gezielten Veränderung krankmachender Mikroorganismen für nicht-friedliche Zwecke ist denkbar. Ähnlich wie in den späten 1960er/frühen 1970er Jahren, als die Gentechnik aufkam und gleichzeitig das Biowaffenübereinkommen verhandelt wurde, steht offenbar wieder der Eintritt in eine neue Phase der Nutzung von Biotechnologie bevor. Dabei fehlen dem BWÜ immer noch Instrumente zur Überprüfung der Vertragstreue – eine wiederkehrend frustrierende Situation!

Welche aktuellen Ansätze zur Verbesserung des BWÜ gibt es?

Im Jahr 2014 begann die Delegation der Russischen Föderation für den Vorschlag zu werben, wieder an einem Entwurf für ein Zusatzprotokoll zu arbeiten.10 Darunter ist nicht zwingend ein ausgefeilter Überprüfungsmechanismus für das BWÜ zu verstehen, weil dieser Punkt immer noch sehr strittig sein dürfte. Vielmehr setzen die Vorschläge auf eine Bündelung verschiedener Maßnahmen, beispielsweise die Einrichtung einer Organisation für das Verbot biologischer Waffen (OVBW) und politischer Entscheidungsgremien, wie eines Exekutivrates und einer Mitgliedsstaatenkonferenz. Ein Technisches Sekretariat könnte umfangreiche Aufgaben wahrnehmen, wie die Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der nationalen Implementierung des BWÜ, die Untersuchung eines vermeintlichen Einsatzes biologischer Waffen oder die kontinuierliche Beobachtung neuer Entwicklungen in Wissenschaft und Technik. Diese Vorschläge sind an den Aufbau und die Funktion der in Den Haag ansässigen »Organisation für das Verbot chemischer Waffen« (OVCW) angelehnt. Ob die einzurichtende OVBW im Detail eine andere Struktur und Aufgabenverteilung benötigte, wäre Bestandteil der Verhandlungen über ein Zusatzprotokoll.

Dieser Vorschlag Russlands bringt einerseits neue Bewegungen in die notwendige Diskussion über die Stärkung des BWÜ, andererseits wird er von einigen Mitgliedsstaaten kritisch beurteilt. So tun sich bereits jetzt Schlupflöcher auf, beispielsweise wenn die Mitgliedsstaaten wie vorgeschlagen dem Zusatzprotokoll nach dem Prinzip der Freiwilligkeit beitreten. Das birgt die Gefahr, ein »Übereinkommen« eigener Art innerhalb des BWÜ zu schaffen, und kann angesichts der erforderlichen, teilweise intrusiven Elemente eines wirksamen Zusatzprotokolls keine Lösung sein. Der Vorschlag Russlands ist zwar nicht die einzige Aktivität von Mitgliedsstaaten bzw. -gruppen im Vorfeld der 8. Überprüfungskonferenz, kommt aber zumindest in den Formulierungen den erforderlichen substantiellen Verbesserungen des BWÜ nahe.

Ein Zusatzprotokoll ohne Überprüfungsmechanismen?

Bislang werden offene Fragen, z.B. zur Intention hinter bestimmten Aktivitäten in der Bioverteidigungsforschung oder zu Biotechnologiekapazitäten mit potentiell doppeltem, zivil-militärischem Einsatzzweck in einem Land, durch bi- und multilaterale Konsultationen geklärt. Solche Klärungen gestalten sich aber für nicht direkt Beteiligte innerhalb und außerhalb des BWÜ-Regimes vollkommen intransparent. Ein Überprüfungsmechanismus, der z.B. vertraglich vereinbarte Inspektionen erlaubt, wird aber weiterhin auf Widerstand stoßen, weil technische Probleme oder Fragen zum Schutz von intellektuellem Eigentum in der Biotechnologie oder zur Übernahme von Inspektionskosten nicht einfach zu lösen sind. Um effektiv zu sein, wären vereinbarte Maßnahmen so intrusiv wie möglich zu formulieren, auch das wird z.Z. kaum durchsetzbar sein.

Ein vorläufiger Kompromiss wäre die Fokussierung auf die Inspektion ausgewählter biotechnologischer Anlagen (einschließlich relevanter Impfstoffproduktionseinrichtungen), in denen beispielsweise Mikroorganismen unter kontrollierten Bedingungen in einem Bioreaktor und in Volumina oberhalb des üblichen Labormaßstabes kultiviert werden.11 Dieser Vorschlag mag Lücken aufweisen und würde nicht zwangsläufig zur Aufdeckung vertraglich verbotener Aktivitäten führen. Für einen (staatlichen) Akteur mit nicht-friedlichen Absichten würden aber die Kosten für umfänglich zu verschleiernde Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsaktivitäten erheblich steigen.

Es wäre daher abzuwägen, ob die finanziellen und politischen Kosten für Inspektionsmaßnahmen am Ende nicht marginal sind im Verhältnis zu dem Zugewinn an Sicherheit und vor allem an Transparenz, ohne die Vertrauensbildung zwischen den Akteuren im BWÜ schwierig zu erzielen bleibt.

Was ist von der 8. Überprüfungs­konferenz zu erwarten?

Aufgrund der gegenwärtig volatilen außen- und sicherheitspolitischen Lage weltweit lässt sich schwer abschätzen, zu welchen Ergebnissen die 8. Überprüfungskonferenz kommen wird. Von einer zurückhaltenden Fortentwicklung des Übereinkommens bis hin zu überraschenden Vorstößen einzelner Staaten bzw. Staatengruppen ist alles möglich. Folgende Entwicklungen könnten einzeln oder in Kombination eintreten:

  • Der bisher nur beschränkt erfolgreiche intersessionale Prozess wird mangels Alternative bis zur 9. Überprüfungskonferenz fortgeführt, ggf. mit veränderter Agenda und Schwerpunktthemen. Dies käme einem Stillstand im Entwicklungsprozess des BWÜ gleich.
  • Der intersessionale Prozess wird ersetzt durch die Einrichtung einer/mehrerer Offener Arbeitsgruppen zur Bearbeitung konkreter Themen (z.B. Entwicklung eines Mechanismus zur Gewinnung und Nutzbarmachung von Informationen aus Wissenschaft und Technik innerhalb des BWÜ-Regimes). Deutschland und die EU sind bereits aktive Unterstützer dieses begrüßenswerten Ansatzes.
  • Der so genannte Peer-Review-Prozess wird weitergeführt mit dem Ziel, eine steigende Anzahl Vertragsstaaten in das freiwillige System wechselseitiger Vor-Ort-Besuche von relevanten Einrichtungen einzubinden und so die Transparenz im BWÜ zu erhöhen. Dieser Ansatz könnte durch die Weiterführung gemeinsamer Übungen zur Untersuchung vermeintlicher Einsätze biologischer Waffen im Rahmen des Generalsekretärsmechanismus der Vereinten Nationen ergänzt werden. In beiden Fällen bringt Deutschland sich bereits aktiv ein und stärkt somit diese interessanten Ansätze.
  • Die Stärkung der kleinen BWÜ-Implementationsunterstützungseinheit (ISU, ausgestattet mit drei Personen) durch mehr personelle und infrastrukturelle Mittel würde die Wahrnehmung erweiterter Aufgaben, wie Informationssammlung und Aufbereitung für die Nutzung durch die Vertragsstaaten, innerhalb des BWÜ ermöglichen. Die ISU ist prädestiniert dafür, eine verbesserte und entsprechend mandatiert auch aktivere Rolle in der Koordination von Aktivitäten im BWÜ zu übernehmen.
  • Die Implementierung klar definierter Maßnahmen, um die internationale Zusammenarbeit in der friedlichen Nutzung der Biotechnologie im Sinne von Artikel X des BWÜ zu stärken, wird vereinbart. Die Diskussionen um Artikel X verliefen in der Vergangenheit nicht unproblematisch, bieten aber die Chance, einen weiteren Mehrwert des BWÜ für einige Mitgliedsstaaten zu generieren, indem ihr Kooperationsbedarf besser mit den verfügbaren Angeboten in Ländern mit gut entwickelter Biotechnologie zusammengebracht wird. Das Kooperationsgebot im BWÜ war sicherlich auch als Lockmittel gedacht, um möglichst viele Staaten in den Vertrag zu holen (selbst wenn sie kein Biowaffenprogramm hatten), und weniger als ein Instrument der Entwicklungshilfe angelegt. Dieser kooperative Geist könnte für Verhandlungen über Maßnahmen zur Stärkung des BWÜ wieder belebt werden.
  • Es wird tatsächlich eine Arbeitsgruppe mit dem Mandat zur Ausarbeitung von Entwürfen für vertraglich bindende Instrumente zur Stärkung des BWÜ (z.B. durch ein Zusatzprotokoll) ausgestattet, und diese Arbeitsgruppe arbeitet die Entwürfe bis zur 9. Überprüfungskonferenz aus. Das sollte für alle Vertragsstaaten weiterhin das anzustrebende Ziel bleiben!

Die zurückliegenden Erfahrungen mit den Treffen zum BWÜ lassen es als wenig wahrscheinlich erscheinen, dass der intersessionale Prozess einfach wie gehabt fortgesetzt wird. Vielleicht gelingt es den Mitgliedsstaaten vor diesem Hintergrund bei dieser Überprüfungskonferenz, die Chance für eine substanzielle Stärkung des Biowaffenübereinkommens wirklich zu nutzen. Die Welt hätte einen verbesserten Schutz vor einer Wiederaufrüstung biologischer Waffen verdient!

Anmerkungen

1) Der Beitrag spiegelt die eigene Meinung des Autors wieder.

2) Biologische Waffen bestehen aus einem biologischen Kampfstoff (v.a. Bakterien, Viren, Pilze oder biologische Toxine, die jeweils waffentauglich gemacht wurden) und einem Träger- und Ausbreitungssystem (z.B. zum Versprühen lungengängiger Biokampfstoffe).

3) Jeremias, G; Himmel, M. (2015): Biologische Waffen. In: Jäger, T. (Hrsg.): Handbuch der Sicherheitsgefahren. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 275-285.

4) Eine deutsche Übersetzung des BWÜ stellt die Schweizerische Eidgenossenschaft unter admin.ch/ch/d/sr/c0_515_07.html zur Verfügung.

5) Es bleibt den Mitgliedstaaten allerdings vorbehalten, unter Verwendung relevanter Informationen innerhalb des BWÜ aktiv zu werden, um z.B. bestimmte Erkenntnisse untereinander zu debattieren, Deklarationen abzugeben oder einen politischen Entscheidungsprozess zu initiieren.

6) Es mag als Paradoxon biologischer Waffen gelten, dass sie einerseits von vielen Experten für im Grunde untauglich für die moderne Kriegsführung gehalten werden, andererseits aber ihre bloße Erwähnung als Begründung für massive Abwehrforschung dient, deren Ausmaß in einigen Staaten, beispielsweise in den USA, über das für einen potentiellen Bioterroristen technisch Machbare überraschend deutlich hinauszugehen scheint.

7) Zu den Hintergründen und Implikationen dieser Entscheidung siehe z.B. Hunger, I. (2005): Biowaffenkontrolle in einer multipolaren Welt – Zur Funktion von Vertrauen in internationalen Beziehungen. Frankfurt/New York: Campus.

8) Es soll den Wissenschaftlern und Militärangehörigen in diesen Forschungseinrichtungen sowie den politisch Verantwortlichen keinesfalls die Fähigkeit zur Entscheidung über die (ethisch) vertretbaren Grenzen dieser Arbeiten abgesprochen werden. Aber gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, dass dies die einzige Sicherheitsbarriere wäre, die in der Praxis greifen würde, um einen ausufernden Wettlauf zwischen der Generierung neuer biologischer Bedrohungspotentiale und der Entwicklung entsprechender Abwehrmechanismen zu verhindern. Das BWÜ würde dazu formal keinen Beitrag leisten.

9) Ledford, H. (2015): CRISPR, the Disruptor. Nature Bd. 522 Nr. 7554, S. 20-24.

10) Das Papier »Strengthening the BWC through a legally binding instrument« ist auf der Webseite des Genfer Büros der Vereinten Nationen (unog.ch) unter »BWC Meeting of Experts 2014« und dort unter dem »Side Event« vom 5. August 2014 zu finden.

11) Der Einsatz von Bioreaktoren ist keinesfalls zwingend für die Biokampfstoffproduktion. Eine Alternative wäre es z.B., eine Batterie von Schüttelkolben oder bei viralen Erregern eine große Anzahl Hühnereier zur Anzucht zu verwenden. Schwellenwerte vorzugeben ist zudem eine unflexible Maßnahme und sollte nicht über die Unsicherheit hinwegtäuschen, ob damit wirklich alle relevante Anlagen erfasst werden, erscheint aber aus regulatorischer Sicht als ein tragbarer Kompromiss.

Dr. Mirko Himmel ist Biochemiker und arbeitet in der Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle am Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg.

Biowaffen in der Pfalz

Biowaffen in der Pfalz

von Jürgen Nieth

„US-Armee operierte mit Biowaffen in Deutschland.“ Unter diesem Titel berichtete die BILD-Zeitung am 11.7.15: „Die US-Armee hat offenbar versehentlich mit aktiven Sporen des Biokampfmittels Anthrax (verursacht Milzbrand) bei NATO-Übungen in Deutschland operiert. Das geht aus einem Mailwechsel zwischen der deutschen Botschaft in Washington und den US-Militärs hervor.“

In fast gleichlautenden Berichten der Online-Dienste von Spiegel, Focus und FAZ wird darauf hingewiesen, „dass die Anthrax-Sporen 2007, 2009 und 2010 an das Labor der US-Armee in Landstuhl in Rheinland-Pfalz geliefert wurden. Sie seien im Rahmen »mehrerer NATO-Übungen als Proben zur Identifizierung« chemischer, biologischer und nuklearer Kampstoffe eingesetzt worden.“ (Spiegel Online, 11.7.15)

Was ist Milzbrand (Anthrax)?

Dazu die Leiterin des Gesundheitsamtes Kaiserslautern, Christiane Steinebrei: „Es handelt sich um eine Infektionserkrankung, die durch das Bakterium Bacillus anthracis verursacht wird. Das […] Bakterium bildet Sporen, die sehr widerstandsfähig sind und über Jahre infektiös bleiben können.“ Es wird unterschieden zwischen Hautmilzbrandinfektionen durch Kontakte zu erkrankten Tieren, Darmmilzbrand aufgrund des Fleischverzehrs von erkrankten Tieren und der gefährlichsten Art, dem oft tödlich verlaufenden Lungenmilzbrand, der durch Einatmen von Milzbrandsporen hervorgerufen wird. (Rheinpfalz, 16.7.15)

Zum Thema „Milzbranderreger als B-Waffe“ schreibt Alexander Stahl: „Im zweiten Weltkrieg nahmen britische Militärs auf der schottischen Insel Guida Versuche mit Milzbranderregern als biologischer Waffe vor. Noch heute ist die Insel mit dem Erreger derartig verseucht, dass das Betreten lebensgefährlich und verboten ist.“ (wissen.de/was-ist-milzbrand-anthrax)

Versand rund um die Welt

Bereits am 30.5.15 hatte das Handelsblatt berichtet, das US-Militär habe „Proben mit Milzbrand-Sporen an 24 Labore geschickt. Sporen, die das Militär für abgetötet hielt und die genau das jedoch nicht waren […] Die Proben stammen aus der Militäreinrichtung Dugway Proving Ground in Utah, wo seit 1942 chemische und biologische Waffen getestet werden.“

Wie das Handelsblatt weiter berichtete, sei zunächst von 18 belieferten Labors die Rede gewesen, tatsächlich gingen aber „Proben an insgesamt 24 Labors in elf US-Staaten sowie Südkorea und Australien“. Und es wurden noch mehr. Die Frankfurter Neue Presse vom 11.7.15 bezieht sich auf einen Bericht des SWR: „Anfang Juni hatte das US-Verteidigungsministerium in Washington mitgeteilt, dass Proben mit lebenden Anthrax-Erregern an insgesamt 51 Labore in den USA geschickt worden seien. Weitere Lieferungen gingen den Angaben zufolge nach Australien, Kanada und an einen US-Stützpunkt in Südkorea.“ Von Deutschland immer noch keine Rede. Aber das Bundesverteidigungsministerium war informiert. Es bestätigte – so obiger Bericht – dem SWR, „dass die amerikanischen Streitkräfte Anthrax-Sporen an ihr Labor in Landstuhl geschickt haben“. Gleichzeitig wiegelt das Verteidigungsministerium ab: „Bundeswehr-Mitarbeiter sind nach jetzigem Sachstand nicht gefährdet worden“, so ein Ministeriumssprecher gegenüber BILD (11.7.15).

Sorgen vor Ort

Eine ganz andere Gefahreneinschätzung haben die Verantwortlichen vor Ort. Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Landstuhl, Peter Degenhardt (CDU), zeigte sich sehr besorgt darüber, „dass es in der Stadt offenbar ein US-Labor gebe, in dem mit biologischen Kampfstoffen hantiert werde. Weder er noch die Feuerwehr wüssten, wo es sei.“ (Rhein-Zeitung, 13.7.15) Der Bürgermeister vermutet, dass das Labor im Landstuhl Regional Medical Center, der größten US-Einrichtung „ihrer Art außerhalb der USA“, liege. Ihn „plagt eine Vorstellung: ein Brand in dem Labor, in dem es möglicherweise noch aktive Sporen gibt. »Meine freiwilligen Feuerwehrleute sind 18, 19 Jahre alte Männer. Die würden in das Labor rennen, wenn es brennt, und mit dem biologischen Kampfstoff konfrontiert. Das geht doch nicht!«.“ (Neues Deutschland 17.7.15) Seine Fragen gehen aber darüber hinaus: „Wie kamen die Anthraxsporen von Rotterdam oder wo auch immer nach Landstuhl? Mit dem LKW quer durch Europa? […] Wie wird das Zeug entsorgt? Landet das womöglich in unserer Kläranlage? Für was braucht man überhaupt den Biokampfstoff Anthrax in Landstuhl? Und: Was gibt es womöglich sonst noch für andere hochgefährliche Substanzen in dem Labor?“ (Rheinpfalz, Ausgabe Kaiserslautern, 15.7.15)

Degenhardt will wissen, ob die übergeordneten Stellen informiert waren, was die rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten, Malu Dreyer (SPD), verneint. „Dreyer zeigt sich, wie die örtliche Politik, angesichts der »möglichen erheblichen Gefährdung der Öffentlichkeit« tief besorgt. »Die Landesregierung fordert daher die US-Streitkräfte auf, über die angesprochenen Vorgänge zu informieren und sicherzustellen, dass Fehler im Zusammenhang mit der Behandlung von hoch ansteckenden Keimen künftig vermieden werden«, heißt es in einem Schreiben der Politikerin an den US-Botschafter.“ (Neues Deutschland 17.7.15) Die US-Militärgemeinde Kaiserslautern ist mit 57.000 Personen die größte Militärgemeinde außerhalb der USA, dazu gehören der Flughafen Ramstein und eben das Medical Center Landstuhl.

Informationspflicht

„Mit dem Bio-Waffen-Übereinkommen (BWÜ), das 1972 abgeschlossen wurde und 1975 in Kraft trat, gelang es erstmals, eine ganze Waffenkategorie vollständig und uneingeschränkt zu verbieten.“ (Chance für einen Neubeginn in der Biowaffenkontrolle? W&F Dossier 70, Mai 2012, siehe wissenschaft-und-frieden.de)

Über die Arbeit des US-Militärs mit Anthrax haben FAZ, Spiegel und Focus kurz und nur online berichtet, von den bundesweit erscheinenden Tageszeitungen – unserer Übersicht nach – nur Bild, das Handelsblatt und das Neue Deutschland. Eine ernst genommene Informationspflicht der Presse sieht sicher anders aus. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit der Versand aktiver Anthrax-Sporen gegen das Bio-Waffen-Übereinkommen verstößt, eine Frage, der bisher niemand nachgegangen ist. Dazu gehört des weiteren ein intensiveres Nachhaken, was die Bundesregierung zu tun gedenkt gegen Experimente mit Biowaffen auf deutschem Boden.

Jürgen Nieth

Krieg im Kleinen?

Krieg im Kleinen?

Die Verschmelzung von Bio- und Nanotechnik

von Kathryn Nixdorff und Jürgen Altmann

Fortschritte in den Lebenswissenschaften brachten in den jüngsten Jahren neue und verbesserte Ansätze zur Bekämpfung von Krankheiten und zur Förderung von Gesundheit. Solche Forschungen sind weiterhin wichtig und versprechen enormen Nutzen. Aber der potentielle Missbrauch der lebenswissenschaftlichen Forschungen für lebensfeindliche Zwecke darf nicht ignoriert werden. Fortschritte, die die Diskussion über Biosicherheit1 in den letzten Jahren besonders prägten, sind vor allem in den Bereichen der Bioinformatik, Gentechnik und Genomforschung, Systembiologie, Nanotechnik, Synthetischen Biologie und der Gezielten-Darreichungs- (Targeted-Delivery-) Technologien zu finden.2 Arbeiten in diesen Bereichen haben Dual-use-Eigenschaften (sind doppelt verwendbar), was es besonders schwer macht, die Vorteile zu nutzen und gleichzeitig die damit verbundenen Missbrauchsgefahren zu minimieren.

Der Hinweis von Mathew Meselson, jede Haupttechnologie, die bisher entwickelt wurde, sei letztendlich für nicht-friedliche Zwecke ausgebeutet worden, und seine Frage „muss das auch mit der Biotechnologie passieren?“ 3 sind stichhaltiger denn je. Schon kurz nach der Einführung der Gentechnik z.B. zeigte das Militär großes Interesse an dieser Entwicklung, und in der früheren Sowjetunion wurde die neue Methode in der Tat angewendet, um neuartige, offensive biologische Agenzien zu erzeugen.4

Die neuen Entwicklungen in den Lebenswissenschaften erhöhen das Bedrohungsspektrum enorm: Art und Zahl der potentiellen biologischen Agenzien nehmen erheblich zu. Als Agenzien können alle biologischen Stoffe (einschließlich Organismen) betrachtet werden, die lebenswichtige, physiologische Funktionen schädigen können. Ein biologisches Agens ist jedoch zunächst keine biologische Waffe. Das Agens muss zuerst so umgewandelt werden, dass es erfolgreich ausgebracht werden kann, d.h. es muss erst mit einem Ausbringungssystem (delivery system) verbunden werden. Diese Entwicklung zur Waffe (weaponization) gilt als der schwierigste Schritt im Prozess. Bei der Entwicklung und Herstellung neuartiger biologischer Waffen wird eine Kombination der verschiedenen Technikfelder angewendet, und insofern kann man von der Verschmelzung der entsprechenden Technologien sprechen.

Gezielte Darreichung mit Aerosolen

Die Ausbringung über die Aerosolroute wird als der bevorzugte Weg der großflächigen Verbreitung biologischer Agenzien betrachtet.5 Die meisten Agenzien können so erfolgreich ausgebracht werden, vorausgesetzt, sie können durch die Schleimhäute absorbiert und dann in den Geweben aufgenommen werden. Beim Aerosoleinsatz gab es vor allem durch Methoden der Nanotechnik Verbesserungen. Die Nanotechnik umfasst eine Vielzahl von Verfahren zur Untersuchung und Anwendung von Strukturen auf der Nanometerskala.6 Für unsere Diskussion sind vor allem Nanopartikel von Bedeutung, die kleiner als 100 Nanometer sind. In diesem Größenbereich können biologische Agenzien neue Eigenschaften zeigen. Nanopartikel können viel leichter als größere Teilchen in die Gewebe eindringen. Hierzu werden z.B. inhalierbare Nanopartikel mit definierter Größe, Form und Oberflächenladung entwickelt, was ihre Aufnahme über die Schleimhäute des Nasenraums und der Atemwege erleichtert.7 Bei entsprechendem Design können diese Partikel auch die Blut-Hirn-Schranke durchdringen.8 Darüber hinaus werden Methoden entwickelt, empfindliche Stoffe bzw. Mikroorganismen gegen schädliche Umwelteinflüsse zu schützen.9 Diese Entwicklungen sind sehr wichtig für die zielgerichtete Abgabe von Arzneimitteln an den gewünschten Wirkungsort im Körper. Dieselben Methoden können jedoch auch für die gezielte Darreichung biologischer Kampfstoffe verwendet werden.

Die Systembiologie versucht mithilfe der Bioinformatik zu verstehen, wie komplexe, physiologische Systeme miteinander wechselwirken und als Ganzes funktionieren. Dies geschieht durch die Integration aller funktionellen Informationen über diese biologischen Systeme in einer computergestützten Modellierung.10 Diese Forschung liefert enorme Kenntnisse über die Steuerung vitaler physiologischer Prozesse (wie Atmung, Herzschlag, Körpertemperatur, Bewusstsein, kognitionsgesteuertes Verhalten sowie Immunreaktionen) durch Bioregulatoren wie Hormone, Peptide, Neurotransmitter und Cytokine.11 Eines der Hauptziele dieser Forschung ist die Steuerung von Krankheitsprozessen in Richtung Gesundheit. Zugleich zeigen die gewonnenen Kenntnisse aber auch Wege, wie diese Prozesse negativ beeinflusst werden können.

Das Potential des Aerosolwegs für die Abgabe von Bioregulatoren für therapeutische Zwecke ist gegenwärtig von besonderem Interesse, und dabei spielt die Nanotechnik eine zentrale Rolle. „Eine größere Herausforderung in der Nanomedizin ist, Nanostrukturen zu konstruieren, die wirksam hochkonzentrierte Drogen einkapseln, die Zellmembran durchdringen und die Ladung am Zielort auf gesteuerte Weise über eine vorgegebene Zeitdauer abgeben können.“ 12

Die Verabreichung von Therapeutika über den Aerosolweg ist aus mehreren Gründen attraktiv: Die Oberfläche der Lunge ist 80 bis 140 Quadratmeter groß. Die Lungenalveolen (Luftsäckchen) sind meist nur etwa 0,1-0,2 Mikrometer dick, und der Abstand zwischen der Oberfläche der Lungenalveolen und dem Blut ist relativ gering. Hier wird die Aufnahme von Medikamenten in den Kreislauf im Prinzip leicht gemacht. Es gibt jedoch einige Barrieren.

Während lipophile (fettliebende) Substanzen sofort durch die Zellmembran aufgenommen werden, werden polare (wasserliebende) Substanzen wie Peptide, Proteine und Desoxyribonukleinsäure (DNA) relativ schlecht aufgenommen. Daher werden Methoden für eine verbesserte Aufnahme dieser Substanzen entwickelt. Die Verpackung der Substanzen in Nanopartikel mit positiv geladenen Oberflächensubstanzen wie Chitosan (ein Polysaccharid von Schalentier-Chitin) oder in Nanoträger wie Polymilchsäure, Poly-Milch-Co-Glykolsäure oder eine Kombination dieser Substanzen kann die Aufnahme von polaren Substanzen bedeutend verbessern. Ferner kann die Einkapselung der Partikel mit Polyethylenglykol oder PolyoxyethylenDerivaten ihre Stabilität erhöhen. Shoyele und Slowey13 haben eine Liste von etwa 15 Peptiden/Proteinen zusammengestellt, die über den Aerosolweg effektiv wirken könnten. Darunter sind mehrere Cytokine, Erythropoietin, Calcitonin, Insulin, Amylin und das Wachtumshormon.

Neben der Lunge ist der Nasenraum besonders vorteilhaft für die Aufnahme von Medikamenten über den Aerosolweg. Dieser Raum liefert zudem direkten Zugang zum Gehirn, und viele Peptide und Proteine (u.a. Orexin-A, Insulin, Leptin, Erythropoietin) konnten nach intranasaler Verabreichung im zentralen Nervensystem nachgewiesen werden. Die Verpackung von Peptiden und Proteinen in Nanopartikel, die mit absorptionsfördernden Substanzen wie Chitosan versehen werden, kann die Aufnahme über den Nasenraum erhöhen. Solche Konstrukte können es auch Bioagenzien im Blutkreislauf ermöglichen, die Blut-Hirn-Schranke zu durchdringen.14 Normalerweise wird das Gehirn von den potentiell schädigenden Wirkungen vieler Substanzen im Blutkreislauf durch extrem dichte Verbindungen zwischen den Zellen, die die Blutkapillaren beschichten, geschützt. Diese Barriere hat jedoch Nachteile: „Auf der einen Seite hilft diese zelluläre Austauschschicht, eine konstante, optimale Umgebung für die neuronale Funktion aufrecht zu erhalten durch eine Kombination von Barrieren und selektiven Transportsystemen, die den Durchgang gewünschter und ungewünschter Moleküle regulieren. Aber auf der anderen Seite stellt sie für die Medizin eine gewaltige Herausforderung dar, weil sie die meisten Arzneimittel daran hindert, aus dem Blutstrom in das Hirn überzugehen.“ 15

Die absorptionsfördernde Wirkung von Chitosan und anderen positiv geladenen Polymeren wird offensichtlich durch eine Kombination von Adhäsion und der transienten Öffnung der Verbindungen zwischen den Zellen, die die Blutkapillaren beschichten bzw. die Oberfläche des Nasenraums bilden, hervorgerufen.16

Mehrere klinische Studien haben gezeigt, dass die Darreichung von Medikamenten und anderen bioaktiven Substanzen über den Aerosolweg nicht nur im Prinzip machbar, sondern tatsächlich wirksam ist. Die Verabreichung von Insulin durch Inhalation wurde mehr als ein Jahrzehnt lang untersucht. Einige solche Präparate wurden vermarktet und stellten sich als wirksam heraus. Kürzlich wurde ein Insulin in Pulverform, Afrezza (»Technosphere Insulin«), von der U.S. Food and Drug Administration für die Vermarktung genehmigt.17 Großes Interesse besteht auch an der Entwicklung eines »genesilencing RNA interference«- (RNAi-) Systems für therapeutische Zwecke. Effektoren dieses Systems sind u.a. kurze (21-26 Nukleotide lange) »interfering« (störend eingreifende) Moleküle von RNA (siRNA), die die Aktivität spezifischer Gene durch die Destruktion des Gentranskripts abschalten können.18 In letzter Zeit wurden viele Studien durchgeführt über Präparate, die siRNA in Nanopartikel verpacken, und einige verwendeten die Verabreichung über den Respirationstrakt mit Erfolg.19

Virale Vektor-Technologie

Fortschritte in der molekularen Biologie, Immunologie und Tumorgenetik führten zu Design und Entwicklung neuartiger viraler Vektoren zur Gentherapie und zur Anwendung in der Impfstoff-, Krebs- und Immuntherapie. Diese Viren werden mit einem bestimmten Gen ausgestattet, das ein bioaktives Protein kodiert. Nach Infektion eines Wirts mit dem Virus wird das Gen aktiviert, und die bioaktive Substanz entfaltet ihre Wirkung im Körper des Wirts. In letzter Zeit wurden erhebliche Verbesserungen bei der gezielten Übertragung der Gene und ihrer Aktivierung erzielt.20 Für therapeutische Zwecke wurden vor allem Adenoviren, Adeno-assozierte Viren sowie Lentiviren für die gezielte Übertragung eines bioaktiven Ladeguts entwickelt.21 Die Entwicklung eines »Killer«-Mauspockenvirus22 zeigte auf, dass ein viraler Vektor einen Bioregulator (das Cytokin Interleukin-4) sehr erfolgreich übertragen kann.

Künstliche Viren als Vektoren

Künstliche Viren (artificial viruses) werden ebenfalls als Vektoren (non-viral vectors) entwickelt. Dabei handelt es sich meist um aktive Substanzen wie DNA oder auch andere bioaktive Stoffe, die in Nanopartikeln von definiertem Design umschlossen werden. Diese Nanopartikel werden so konstruiert, dass sie auf bestimmte Zellen zielen, in die Zellen aufgenommen werden und ihr Ladegut in der Zelle abgeben.23 Künstliche Viren werden vor allem entwickelt, um die negativen Aspekte, die mit Viren als Vektoren verbunden sind, zu überwinden. Dabei geht es um Sicherheits- und Herstellungsprobleme, negative Immunreaktionen, beschränkte Zielsicherheit sowie begrenzte Kapazität für Ladegut. Das Problem mit künstlichen Viren ist aber, dass sie bisher eine verminderte Gentransfer-Fähigkeit gegenüber Viren gezeigt haben. Nichtsdestoweniger gibt es großes Interesse, diese Vektoren weiter zu entwickeln, und das könnte in der Zukunft ein enormes Missbrauchspotenzial aufwerfen.

Nanoroboter

Neuerdings stoßen so genannte Nanoroboter auf Interesse.24 Nanoroboter versprechen zahlreiche Verwendungsmöglichkeiten in der Medizin. Sie sollen aus DNA oder Proteinen so gebaut werden, dass sie verschiedene Arten bioaktiver Substanzen einschließen. Diese Nanoroboter werden mit bestimmten Oberflächenmolekülen versehen, die an spezifische Zellen im Körper andocken können. Wenn sie an diese Zellen binden, werden sie geöffnet, und ihr bioaktives Ladegut wird abgegeben. Wegen ihrer kleinen Größe können Nanoroboter direkt mit Zellen interagieren. Sie können auch so konstruiert werden, dass sie in die Zelle aufgenommen werden und erst dann ihr Ladegut abgeben. Nanoroboter können ferner mit logischen Operationen ausgestattet werden, sodass sie sich als Reaktion auf bestimmte Zelloberflächensignale umkonfigurieren, sich erst dann öffnen und das Ladegut freigeben. Bis jetzt wurden nur »dumme« Nanoroboter konstruiert, die nicht aktiv die Zellen aussuchen können, die sie attackieren sollen, sondern diese nur per Zufall erreichen. Lenaghan et al.25 schlagen jedoch ein aktives Design der Nanoroboter für die Krebstherapie vor. Diese sollen mit Antrieb, Entscheidungsfindung sowie Sensoren und Aktoren konstruiert werden. Die Autoren diskutieren ausführlich die Herausforderungen, die mit der Konstruktion solcher Nanoroboter verbunden sind.

Ausblick

Sowohl für die Forschung als auch im klinischen Einsatz werden virale und nichtvirale Vektoren meist durch Injektion verabreicht, manchmal wiederholt. Diese Art der Verabreichung ist natürlich für die Ausbringung biologischer Waffen nicht praktikabel. Einige Studien haben jedoch gezeigt, dass virale Vektoren für einen therapeutischen Einsatz erfolgreich über Aerosole, also durch Inhalation, verabreicht werden können. Einige Viren sowie andere Bioagenzien sind gegenüber ungünstigen Umweltbedingungen sehr sensibel und daher für die Ausbringung über Aerosole ungeeignet. Es werden jedoch intensiv Methoden für die Einkapselung sensitiver Therapeutika für die Verabreichung über Aerosole entwickelt.26

Zur Frage der Bedrohungssituation im Rahmen der Biosecurity-relevanten Forschung ist festzustellen, dass die neuen Entwicklungen im Bereich der Lebenswissenschaften, insbesondere die anspruchsvolleren Technologien, eher eine Bedrohung für die Zukunft als für die unmittelbare Gegenwart darstellen. Solche Technologien sind nicht leicht in einsatzfähige Waffen umzusetzen, die erheblichen Schaden anrichten können.27 Die Umsetzung benötigt langjährige praktische Expertise, hoch spezialisierte Laboratorien bzw. Produktionseinrichtungen und erhebliche Mittel. Es ist äußerst schwierig abzuschätzen, wann in der Zukunft sie eine aktuelle Bedrohung darstellen werden oder können.

Technisch ausgefeilte Technologien sind eher von Akteuren zu erwarten, die von großen Institutionen unterstützt werden, d.h., sie sind primär für die von Staaten unterstützten Akteure, weniger für Terroristen relevant. Wie die wenigen gut dokumentierten terroristischen Anschläge mit biologischen Waffen bisher gezeigt haben, werden Terroristen eher auf natürliche Agenzien und traditionelle B-Waffen zurückgreifen.28 Da die praktische Umsetzung der anspruchsvollen Technologien jedoch immer leichter wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Terroristen auch diese für ihre Zwecke verwenden werden.

Es gibt ein internationales Abkommen, in dessen Rahmen derartige Fragen und Probleme reguliert werden könnten. Das Biologische-Waffen-Übereinkommen (BWÜ) von 197229 verbietet die Entwicklung, Herstellung, Lagerung, den Erwerb oder das Behalten mikrobiologischer oder anderer biologischer Agenzien und Toxine für nicht-friedliche Zwecke. Gleichzeitig erlaubt das Übereinkommen alle Aktivitäten inklusive der Forschung mit biologischen Agenzien für friedliche Zwecke. Dadurch ist wissenschaftlicher Fortschritt gesichert, während alle neuen technologischen Entwicklungen, die für nicht-friedliche Zwecke bestimmt sind, verboten sind. Darin liegt die Stärke des Übereinkommens. Seine Schwäche liegt in der mangelnden Umsetzung der Bestimmungen in Regelungen und Gesetze auf nationaler Ebene.30 Bei der Vereinbarung des Übereinkommens wurde auch kein Verifikationsregime vorgesehen, das eine Überprüfung der Vertragstreue ermöglichen könnte, und einige Staaten weigern sich nach wie vor, über rechtlich bindende Verifikationsmaßnahmen zu verhandeln.31 Gegenwärtig ist es daher umso wichtiger, auf nationaler Ebene Maßnahmen zur Minimierung der Risiken, die mit den technologischen Fortschritten in den Lebenswissenschaften und verwandten Arbeitsgebieten verbunden sind, auszuarbeiten.

Anmerkungen

Dieser Beitrag beruht hauptsächlich auf früheren Texten: Nixdorff, K. (2014): The Central role of nanotechnology in targeted delivery of biological agents: implications for biosecurity. Policy Paper 9, Biochemical Security 2030 Project; Altmann, J. (2014): Military Uses of Bionanotechnology: Special Context of Potential Application and Regulation, 5th Annual international symposium biosecurity and biosafety: Future Trends and Solutions, Milan, Italy 2-4 April; Altmann, J. (2006): Military Nanotechnology – Potential Applications and Preventive Arms Control. Abingdon/New York: Routledge. Eine ausführlichere Literaturliste ist bei der/m Autor/in erhältlich.

1) Das deutsche Wort »Biosicherheit« wird in zweifacher Bedeutung verwendet: »biosafety« (Schutz vor einer unbeabsichtigten Gefährdung durch biologische Agenzien, z.B. infolge einer ungewollten Freisetzung) und »biosecurity« (Schutz vor einem Missbrauch von biologischen Agenzien für nicht-friedliche Zwecke).

2) Deutscher Ethikrat (2014): Kapitel 2. Biosecurity-relevante Forschungsfelder, in: Biosicherheit – Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft. Stellungnahme.

3) Meselson, M. (2000): Averting the hostile exploitation of biotechnology. CBW Conventions Bulletin 48: 16-19.

4) Domaradskij, I.V. und Orent, W. (2003): Biowarrior. Amhearst: Prometheus Books; Leitenberg, M. und Zilinskas, R.A. (2012): The Soviet biological weapons program.A history. Cambridge und London: Harvard University Press.

5) Vgl. Global Security. Biological warfare agent delivery. globalsecurity.org; U.S. Department of Defense (1998): The militarily critical technologies list. Part II: Weapons of mass destruction technologies.fas.org/irp/threat/mctl98-2/mctl98-2.pdf.

6) Ein Nanometer = ein Milliardstel eines Meters.

7) Suri, S., Fenniri, H., Singh, B. (2007): Nanotechnology-based drug delivery systems. Journal of Occupational Medicine and Technology, 2 (1): 16-21.

8) Andrade, F., Rafel, D., Vidiera, M., Ferreira, D., Sosnik, A. und Sarmento, B. (2013): Nanotechnology and pulmonary delivery to overcome resistance in infectious diseases. Advanced Drug Delivery Reviews 65(13-14): 1816-1827.

9) Mahajan, H.S. und Gattani, S. G. (2009): Gellan gum based microparticles of metoclopromide hydrochloride for intranasal delivery: development and evaluation. Chemical & Pharmaceutical Bulletin 57(4): 388-392.

10) Thiel, K. (2006): Systems biology, incorporated? Nature Biotechnology 24(9): 1055-1057.

11) Dando, M. (2011): Advances in neuroscience and the biological and toxin weapons convention. In: Biotechnology Research International. DOI:10.4061/2011/973851; Germain, R.N., Meier-Schellersheim, M., Nita-Lazar, A. und Fraser, I.D.C. (2011): Systems biology in immunology: a computational modeling perspective. Annual Review of Immunology 29: 527-585; Aderem, A. et al. (2011): A systems biology approach to infectious disease research. Innovating the pathogen-host research paradigm. mBio, 2(1). DOI: 10.1128/mBio.00325-10.

12) Liu, J., Stace-Naughton, A., Jiang, X. und Brinker, C.J. (2009): Porous nanoparticle supported lipid bilayers (protocells) as delivery vehicles. Journal of the American Chemical Society 131: 1354-1355.

13) Shoyele, S.A. und Slowey, A. (2006): Prospects of formulating proteins/peptides as aerosols for pulmonary drug delivery. International Journal of Pharmaceutics 314: 1-8.

14) Lochhead, J.J. und Thorne, R.C. (2012): Intranasal delivery of biologics to the central nervous system. Advanced Drug Delivery Reviews 64: 614-628.

15) Betsholtz, C. (2014): Double function at the blood-brain barrier. Nature 509: 432-433.

16) Sadeghi, A.M.M., Dorkoosh, F.A., Avadi, M.R., Weinhold, M., Bayat, A., Delie, F., Gurny, R., Larijani, B., Rafiee-Tehrani, M. und Junginger, H.E. (2008): Permeation enhancer effect of chitosan and chitosan derivatives: Comparison of formulations as soluble polymers and nanoparticulate systems on insulin absorption in Caco-2 cells. European Journal of Pharmaceutics and Biopharmaceutics 70: 270-278.

17) Kling, J. (2014): Sanofi to propel inhalable insulin Afrezza into market. Nature Biotechnology 32(9): 581-582.

18) Sandy, P., Ventura, A. und Jacks, T. (2005) Mammalian RNAi: a practical guide. BioTechniques 39: 215-224.

19) Merkel, O.M, Rubenstein, I. und Kissel, T. (2014): siRNA Delivery to the lung: What’s new? Advanced Drug Delivery Reviews 75: 112-128; Reviewed in DeVincenzo, J.P. (2012): The promise, pitfalls and progress of RNA-interference-based antiviral therapy for respiratory viruses.Antiviral Therapy 17: 213-225.

20) Liu, T.C., Galanis, E. und Kirn, D. (2007): Clinical trial results with oncolytic virotherapy: a century of promise, a decade of progress. Nature Clinical Practice Oncology 4: 101-117; Leboulch, P. (2013): Primed for take-off. Nature 500: 280-282.

21) Baker, A.H. (2014): Adenovirus-based vectors: maximizing opportunities and optimizing a rich diversity of vectors for gene-based therapy. Human Gene Therapy 25: 255-256; Crystal, R.G. (2014): Adenovirus: the first effective in vivo gene delivery vector. Human Gene Therapy 25: 3-11; Mátrai, J., Chuah, M.K.L. und VandenDriessche, T. (2010): Recent advances in lentiviral vector development and applications. Molecular Therapy 18(3): 477-490.

22) Jackson, R.J., Ramsay, A.J., Christensen, C., Beaton, S., Hall, D.F.R. und Ramshaw, A.I. (2001): Expression of mouse interleukin-4 by a recombinant ectromelia virus suppresses cytolytic lymphocyte responses and overcomes genetic resistance to mousepox. Journal of Virology 75: 1205-1210.

23) Mastrobattista, E.; van der Aa, M.A.E.M., Hennink, W.E. und Crommelin, D.J.A. (2006): Artificial viruses: a nanotechnological approach to gene delivery. Nature Reviews Drug Discovery 5: 115-121; Douglas, K.L. (2008): Toward development of artificial viruses for gene therapy: a comparative evaluation of viral and non-viral transfection. Biotechnology Progress 24: 871-83.

24) Douglas, S.M., Bachelet, I. und Church, G.M. (2012): A logic-gated nanorobot for targeted transport of molecular payloads. Science 335: 831-834; Elbaz, J. und Willner, I. (2013): Nanorobots grab cellular control. Nature Materials 11: 276-277.

25) Lenaghan, S.C., Wang, Y., Xi, N., Fukuda, T., Tarn, T., Hamel, W.R. und Zhang, M. (2013): Grand challenges in bioengineered nanorobotics for cancer therapy. IEEE Transactions on Biomedical Engineering 60(3): 667-673.

26) van der Walle, C.F., Sharma, G. und Kumar, M.R. (2009): Current approaches to stabilising and analysing proteins during microencapsulation in PLGA. Expert Opinion on Drug Delivery 6(2): 177-86; Nayak, B., Panda, A., Ray, P. und Ray, A. (2009): Formulation, characterization, and evaluation of rotavirus encapsulated PLA and PLGA particles for oral vaccination. Journal of Microencapsulation 26(2): 154-65.

27) Vogel, K.M. (2008): Framing biosecurity: an alternative to the biotech revolution model? Science and Public Policy 35(1): 45-54.

28) Carus, S. (2000): The rajnesshees 1984, S.115-137 und Kaplan, D. E. (2000): Aum Shinrikyo, S.207-226. Beide in: Tucker, J. B. (ed.): Toxic Terror. Assessing Terrorist Use of Chemical and Biological Weapons. Cambridge, MA: MIT Press.

29) United Nations (1972): Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on Their Destruction. United Nations General Assembly Resolution 2826 (XXVI).

30) BioWeapons Prevention Project (2009): Biological Weapons Reader. Factsheet BWC Implementation. bwpp.org.

31) Siehe z.B. Volker Beck, Una Jakob-Becker, Alexander Kelle, Ralf Trapp und Jean-Pascal Zanders (2012): Chance für einen Neubeginn in der Biowaffenkontrolle? Die Ergebnisse der 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens 2011. W&F-Dossier 70.

Prof. Dr. Kathryn Nixdorff ist Prof. em. am Institut für Mikrobiologie und Genetik, Technische Universität Darmstadt. Dr. habil. Jürgen Altmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fakultät Physik der Technischen Universität Dortmund.

Biowaffen auf dem Vormarsch?

Biowaffen auf dem Vormarsch?

Die Folgen von Verifikationsmangel und biotechnologischer Revolution

von Iris Hunger

Biowaffen sind durch das »Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen« (BWÜ) seit mehr als 30 Jahren völkerrechtlich gebannt. Die internationale Verbotsnorm ist aber seit längerem unter Druck geraten. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die beiden wichtigsten werden im Folgenden erläutert. Gelingt es nicht, den Druck auf das BWÜ in den nächsten Jahren zu verringern, dann droht eine Renaissance der Idee, biologische Prozesse mit feindseliger Absicht zu manipulieren.

Das BWÜ wurde 1972 verabschiedet und trat 1975 in Kraft. Das Abkommen wurde inzwischen von 159 Staaten ratifiziert und von weiteren 15 Staaten unterzeichnet. Es verbietet die Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und Toxin-Waffen1 und regelt die Vernichtung aller eventuell vorhandenen Waffenbestände.

Fehlendes Verifikations- und Sanktionssystem

Allerdings – und das ist ein folgenreicher Geburtsfehler – sieht das BWÜ kein effektives Verifikations- und Sanktionssystem vor, mit dem die Einhaltung des Vertrages überprüft und Vertragsverletzungen geahndet werden könnten. Bemühungen, ein entsprechendes Zusatzprotokoll zu vereinbaren, scheiterten im Sommer 2001 am offenen Widerstand der USA, am stillen Widerstand einer Hand voll anderer Staaten und an der Unentschlossenheit der großen Mehrheit, ohne die USA weiterzumachen.2 Der Mangel an Kontrolle bei der Vertragsumsetzung führte in der Vergangenheit dazu, dass etliche Staaten und einige nichtstaatliche Akteure mehr oder weniger erfolgreich versuchten, sich Biowaffen zu beschaffen und diese Versuche ungeahndet blieben. Als Konsequenz daraus haben eine ganze Reihe von Staaten ihre B-Schutz-Anstrengungen verstärkt.

Trends staatlicher und nichtstaatlicher Biowaffenentwicklung

Nach dem Abschluss des BWÜ 1972 gab es nachweislich Biowaffenprogramme in der Sowjetunion, in Südafrika und im Irak. Das sowjetische Biowaffenprogramm wurde 1992 offiziell beendet. Auch wenn weiterhin Unklarheit darüber besteht, ob wirklich alle Teilbereiche des riesigen sowjetischen Programms gestoppt wurden, der Umfang der Aktivitäten ist jedenfalls massiv zurückgegangen. Südafrikas Programm wurde 1995 mit dem Ende des Apartheid-Regimes abgebrochen. Iraks Programm wurde in den 1990er Jahren durch die Inspektionen der Vereinten Nationen unterbunden. Libyen verkündete 2003, dass es sämtliche Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen einstellt. Derzeit stehen nur sehr wenige Staaten, u. a. Nordkorea, Iran und Syrien, im Verdacht, Biowaffen zu entwickeln.3

Der Einsatz von Biowaffen durch nicht-staatliche Akteure blieb bislang glücklicherweise die Ausnahme, und es ist auch kein Trend in diese Richtung zu erkennen. Der einzige bioterroristische Angriff mit Todesfolge waren die Milzbrandbriefe, die ein immer noch unbekannter Täter 2001 in den USA verschickt hat. Sie führten bei fünf Personen zum Tode. Besorgniserregend ist weiter die Tatsache, dass die japanische Aum-Sekte in den frühen 1990er Jahren biologische Erreger produzieren und ausbringen konnte, auch wenn dabei niemand zu Schaden kam. (Bei einem Anschlag der Aum-Sekte mit chemischen Waffen starben 1995 zwölf Menschen.) Al Qaedas Bemühungen, sich Biowaffen zu beschaffen, befanden sich in einem sehr frühen Stadium, als sie 2001 durch die Invasion in Afghanistan beendet wurden.4

B-Schutzforschung

Während die Bedrohung durch Biowaffen in staatlicher Hand tendenziell gesunken ist, wird die Möglichkeit eines Einsatzes durch Terroristen von vielen Staaten als steigend eingeschätzt. Viele Länder haben daher in den letzten Jahren B-Schutzprogramme begonnen oder ihre B-Schutz-Anstrengungen verstärkt.5 Seit 1992 erklärten Australien, Weißrussland, Belgien, Italien, Japan, Polen, Südafrika, Spanien und die Schweiz die Aufnahme von B-Schutzprogrammen. Deutschland hat die Ausgaben für sein B-Schutzprogramm von etwa fünf Millionen Euro im Jahr 2000 auf etwa 11 Millionen Euro im Jahr 2006 erhöht.6

Besonders auffallend sind die B-Schutzanstrengungen der USA. Betrug das Budget für zivile B-Schutz-Forschung im Jahr 2001 noch 414 Millionen USD, so stieg der Betrag 2005 auf etwa 7,6 Milliarden USD.7 Manche der Programme überschreiten dabei wohl die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem. Im Rahmen des Projektes »Clear Vision« baute der US-Geheimdienst CIA von 1997 bis 2000 eine Bio-Bombe sowjetischen Designs nach und testete sie. Das Projekt »Bacchus« des US-Verteidigungsministeriums beinhaltete den Bau einer Fabrik, in der Biowaffenerreger hergestellt werden können; es sollte demonstriert werden, ob und wie eine solche Einrichtung mit kommerziell erhältlichen Komponenten errichtet werden kann.

Ein weiteres Projekt des Pentagon zielte auf die Entwicklung eines neuen Milzbrandstammes. Russische Forscher hatten Gene des weitverbreiteten Bodenbakteriums »Bacillus cereus« in das Genom von Milzbranderregern eingefügt. Der Impfstoff, der gewöhnlich vor Milzbrandinfektionen schützt, war gegen diese gentechnisch veränderte Variante des Milzbranderregers nicht wirksam. Da Russland den USA den neuartigen Erreger nicht überließ, haben amerikanische Forscher diese Arbeiten im Geheimen nachvollzogen, um zu testen, ob der amerikanische Milzbrandimpfstoff gegen das russische Konstrukt wirkt.8

Der massive Ausbau von B-Schutz-Programmen führt zu einer steigenden Zahl von Experten mit biowaffenrelevantem Wissen und bringt unter Umständen besonders biowaffentaugliche Erreger hervor. Beides erhöht die Gefahr, dass staatliche oder nicht-staatliche Akteure Zugriff zu Expertise und Erregern erlangen können. Hinzu kommt, dass B-Schutzprogramme häufig geheim – oder zumindest nicht vollständig transparent – sind. Über kurz oder lang führt Geheimhaltung zur Missinterpretation von Aktivitäten und kann damit Auslöser für ein biologisches Wettrüsten sein.

Wissenschaftliche und technologische Entwicklungen

Auch wissenschaftliche und technologische Entwicklungen setzen das internationale Biowaffenverbot unter Druck. Diese Entwicklungen sind unter zwei Aspekten problematisch. Erstens eröffnen sie neue Möglichkeiten, nichttödliche biologische und biochemische Waffen zu entwickeln9; Bemühungen, nichttödliche Waffen von den Verboten der Chemie- und Biowaffenübereinkommen auszunehmen, gibt es seit längerem. Zweitens führt die biotechnologische Revolution dazu, dass im Rahmen legitimer Forschung mehr und mehr biowaffenrelevantes Wissen produziert wird; die modernen Lebenswissenschaften haben bisher noch keine Strategie entwickelt, mit diesem »dual use«-Problem befriedigend umzugehen.

Nichttödliche Waffen

Chemische, biochemische oder biologische nichttödliche Waffen (non-lethal weapons, NLW) sind unter mehreren Gesichtspunkten höchst problematisch:

Ihr Einsatz birgt die Gefahr der Eskalation. Werden chemische, biochemische oder biologische NLW eingesetzt, bricht dies das Tabu gegen den Einsatz von Giften und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch klassische chemische und biologische Waffen zum Einsatz kommen. Jeder nachgewiesene Einsatz chemischer Waffen hat bisher mit dem Einsatz von Tränengas begonnen.

Programme zur Entwicklung von chemischen, biochemischen und biologischen NLW können Deckmantel für Programme zur Entwicklung von tödlichen chemischen und biologischen Waffen sein.

Die Entwicklung von chemischen, biochemischen und biologischen NLW bringt Institutionen und Expertise hervor, die nahezu eins-zu-eins auch für die Entwicklung von tödlichen chemischen und biologischen Waffen taugen.

Chemische, biochemische und biologische NLW können in die Hände von staatlichen oder nicht-staatlichen Akteuren fallen, für die die Vermeidung von Opfern bei der Austragung von Konflikten keine Rolle spielt oder sogar unerwünscht ist, und die diese Waffen mit tödlichen Konsequenzen, z. B. in hohen Dosen oder als »force multiplier«, einsetzen.

Schließlich können chemische, biochemische und biologische NLW auch als Folterinstrumente gebraucht werden.

Bisher werden vor allem chemische NLW, z. B. Tränengas und Pfefferspray, von Polizei und Militär eingesetzt. So brachten russische Spezialkräfte beispielsweise während eines Geiseldramas in einem Moskauer Musical-Theater im Oktober 2002 ein Betäubungsmittel zum Einsatz, um die Geiselnehmer vor der Erstürmung des Theaters außer Kraft zu setzen. Bei diesem Einsatz fanden etwa 130 der Geiseln den Tod; alle Geiselnehmer wurden – noch im bewusstlosen Zustand – getötet.10 Weiter in die Zukunft gedacht, eröffnen die modernen Lebenswissenschaften beunruhigende Perspektiven. Unser Wissen über Phänomene wie Schmerz, Angst, Panik, Aggression, moralisches Empfinden oder Erinnerung wächst ständig. Sind die zugehörigen biochemischen Mechanismen dieser Phänomene entschlüsselt, so erwachsen daraus nicht nur neue Möglichkeiten, um z. B. Angststörungen zu behandeln oder Schmerzen zu lindern, sondern auch um Menschen zu manipulieren.11 Sind chemische, biochemische und biologische NLW erst einmal akzeptierter Teil polizeilicher und militärischer Arsenale, wird sich auch der Einsatz solcher neuartigen Manipulationsmittel einfacher und schneller durchsetzen lassen.

Das »dual use«-Problem

Die modernen Lebenswissenschaften sind allgemein durch ein hohes Maß an »dual use« charakterisiert. »Dual use« bedeutet, dass Ausrüstungen, Technologien, Materialien und Wissen sowohl für friedliche wie für feindselige Zwecke eingesetzt werden können. Das Potenzial, Biowaffen – zumindest in primitiver Form – entwickeln zu können, wird also nie ganz verschwinden.

Wissenschaftler stoßen im Rahmen ihrer legitimen Tätigkeit unter Umständen auf Entdeckungen, die ein hohes Missbrauchspotenzial haben. Australische Wissenschaftler waren z. B. im Rahmen eines Schädlingsbekämpfungsprojekts auf der Suche nach einem Impfstoff, der Mäuse unfruchtbar macht. Der Impfstoff sollte eine Immunreaktion gegen Mäuse-Eizellen induzieren. Als Transportvehikel wurde das Mäusepockenvirus benutzt, in das ein Fremdgen eingebaut wurde, welches dem Immunsystem den »Feind«, d.h. die Mäuse-Eizelle, definiert. Die australischen Wissenschaftler versuchten dann, parallel die Antikörperproduktion anzukurbeln und waren überrascht, dass das daraus resultierende gentechnische Konstrukt einen Teil des Immunsystems der Mäuse völlig lahm legte. Nicht nur Mäuse, die genetisch resistent gegen Mäusepocken waren, sondern auch frisch geimpfte Mäuse starben daraufhin an den Mäusepocken, da ihr Immunsystem nicht normal funktionierte. Die Wissenschaftler berieten sich wegen des hohen Missbrauchspotenzials – Mäusepocken sind eng verwandt mit den ausgerotteten Menschenpocken – mit dem australischen Verteidigungsministerium und entschieden sich letztlich, die Experimente öffentlich zu machen.12 In den USA sind diese Arbeiten mittlerweile nachgestellt und weitergehende Arbeiten mit Pocken durchgeführt worden.

Experimente mit hohem Missbrauchspotenzial werden immer wieder bekannt.

Russische Wissenschaftler bauten in einen Milzbrand-Impfstoff-Stamm multiple Antibiotikaresistenzen ein. Dieselben Wissenschaftler veränderten aber auch einen Milzbrandstamm so, dass der übliche Impfstoff unwirksam war.

Wissenschaftler in den USA synthetisierten das Poliovirus (ruft Kinderlähmung hervor); dabei verwendeten sie ausschließlich öffentlich zugängliche Sequenzdaten und Technologien und demonstrierten damit, dass Krankheitserreger auch künstlich hergestellt werden können.13

Auch die Rekonstruktion des Grippevirus von 1918 gehört in diese Kategorie. Das Grippevirus von 1918 war besonders aggressiv; 20 bis 40 Millionen Menschen starben damals an der Grippe.

Arbeiten mit dem Menschenpockenvirus sind in den letzten Jahren intensiviert worden. Die Pocken sind seit 1977 ausgerottet. Nur in zwei Hochsicherheitslaboren – jeweils eines in Russland und eines in den USA – wird dieser Erreger erlaubterweise noch aufbewahrt.

In den beiden letztgenannten Fällen besteht das Risiko, einen sehr gefährlichen Krankheitserreger, der in der natürlichen Umwelt nicht mehr vorkommt, wieder in Verkehr zu bringen.

Was aber charakterisiert Experimente mit besonders hohem Missbrauchspotenzial, die vor der Durchführung einer sicherheitsbezogenen Kosten-Nutzen-Abschätzung unterzogen werden und während und nach der Durchführung besonderen Kontrollmaßnahmen unterliegen sollten? Der so genannte Fink Report14 von 2004 listet sieben Arten von Experimenten auf, die ein besonders hohes Missbrauchpotenzial aufweisen. Dies sind Experimente, die

demonstrieren, wie Impfstoffe für Menschen und Tiere unwirksam gemacht werden können;

Resistenzen gegen therapeutisch wirksame Mittel wie Antibiotika oder Virustatika für Menschen, Tiere und Pflanzen hervorrufen;

die Gefährlichkeit von Krankheitserregern für Menschen, Tiere und Pflanzen erhöhen bzw. ungefährliche Erreger gefährlich machen;

die Übertragbarkeit von Erregern erhöhen;

das Wirtsspektrum von Erregern verändern;

Nachweismethoden unwirksam machen;

die Munitionierung von Erregern ermöglichen.

Bisher mangelt es vielen Biowissenschaftlern an Bewusstsein für das Missbrauchspotenzial ihrer Aktivitäten. Auf nationaler Ebene verlässt man sich meist auf einen Mix aus Selbstkontrolle der Wissenschaftler, vermittelt z. B. über einen Ehrenkodex für Biowissenschaftler analog dem Hippokratischen Eid der Ärzte, und nationalen Gesetzen und Verordnungen, die sich auf besonders gefährliche Gebiete wissenschaftlichen Arbeitens beziehen. Selbst wenn sie effektiv wären, sind Kontrollen auf nationaler Ebene in einem so globalisierten Bereich wie den Lebenswissenschaften nur begrenzt wirksam.

Ausblick

Um den Druck auf das BWÜ in den kommenden Jahren zu reduzieren, müssen verschiedene Ziele verfolgt werden:

B-Schutzprogramme müssen unter größtmöglicher Transparenz durchgeführt werden, um Missinterpretationen zu vermeiden.

B-Schutzprojekte, die die Munitionierung von Krankheitserregern zum Ziel haben, sind – selbst wenn dies der Gefahrenbewertung dienen soll – unter dem BWÜ verboten und müssen eingestellt werden.

In den Chemie- und Biowaffenübereinkommen darf es keine weitreichenden Ausnahmen für NLW geben. (Diese Auseinandersetzung muss in den nächsten Jahren vor allem im Rahmen des Chemiewaffenübereinkommens geführt werden.)

Biowissenschaftler müssen eine Sensibilität für die Sicherheitsdimension ihrer Arbeit entwickeln.

Am wichtigsten bleibt aber die Forderung nach einem multilateralen Verifikationssystem für das BWÜ, weil aktuelle Kontrollbemühungen sich auf nationale Maßnahmen konzentrieren, die weder weltweit effektiv noch auf Dauer nachhaltig sind.

Nachdem die fast zehnjährigen Verhandlungen über ein Verifikationsprotokoll zum BWÜ im Jahr 2001 gescheitert waren, einigten sich die Vertragsstaaten im Jahr darauf auf einen Nachfolgeprozess, der 2006 bis zum Jahr 2010 verlängert wurde. Dieser Nachfolgeprozess besteht aus jährlichen Expertentreffen im Sommer und jährlichen Staatentreffen im Herbst und ist ein Forum für den unverbindlichen Austausch zu ausgewählten Themen, insbesondere zur nationalen Implementierung des BWÜ inklusive nationalen Maßnahmen für die Biosicherheit, zu internationalen Bemühungen zur Kontrolle von Krankheiten und zu Ethik-Kodices für Biowissenschaftler.

Dieser Nachfolgeprozess ist im Moment der einzig verfügbare Gesprächsrahmen auf internationaler Ebene. Er muss genutzt werden, um die Wiederaufnahme von Verhandlungen über ein Verifikationssystem für das BWÜ vorzubereiten. Die EU sollte sich in diesem Rahmen für die Wiederaufnahme von Verhandlungen einsetzen und damit ihr formuliertes Ziel eines Verifikationssystems für das BWÜ wieder stärker verfolgen.

Nichtregierungsorganisationen können diesen Prozess unterstützen, indem sie entsprechende Lobbyarbeit leisten und in internationaler Zusammenarbeit Vorschläge für Verifikationskonzepte und -methoden entwickeln.

Anmerkungen

1) Biologische Waffen sind Krankheitserreger, die mit feindseliger Absicht eingesetzt werden. Für den Menschen besonders bedrohlich sind die Erreger von Milzbrand, Pest, Pocken, Tularämie und viralen haemorrhagischen Fiebern wie z.B. das Ebola-Virus. Häufig zusammen mit Biowaffen genannt werden Toxin-Waffen; Toxine sind von Lebewesen produzierte Giftstoffe. Bekannte Beispiele sind das Botulinumtoxin und Rizin.

2) Siehe z. B. Hunger, Iris (2005): Biowaffenkontrolle in einer multipolaren Welt, Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Bd. 48, Campus Verlag: Frankfurt/New York.

3) Siehe z. B. Leitenberg, Milton (2007): Evolution of the Current Threat, in: Wenger, Andreas, und Wollenmann, Reto (Hrsg.): Bioterrorism. Confronting a Complex Threat, Lynne Rienner Publishers: Boulder, London, S.39-76. Zum sowjetischen, südafrikanischen und irakischen Biowaffenprogramm siehe auch Wheelis, Mark / Rózsa, Lajos und Dando, Malcolm (Hrsg.) (2006): Deadly Cultures. Biological Weapons Since 1945, Harvard University Press: Cambridge Mass., London.

4) Siehe z. B. Tucker, Jonathan (Hrsg.) (2000): Toxic Terror. Assessing Terrorist Use of Chemical and Biological Weapons, MIT Press: Cambridge Mass., London; und Parachini, John (Hrsg.) (2005): Motives, Means, and Mayhem. Terrorist Acquisition and Use of Unconventional Weapons, RAND Corporation: Santa Monica.

5) Programme, die die Entwicklung von Schutzmaßnahmen gegen biologische Waffen zum Ziel haben, werden B-Schutzprogramme genannt. Diese Programme beinhalten z.B. die Entwicklung von Impfstoffen, Diagnosemethoden und Therapeutika, die Untersuchung von Krankheitsmechanismen, Aerobiologie und Dekontaminierungsmethoden und die Entwicklung und Erprobung von Schutzmitteln wie Masken, Anzügen und Zelten.

6) Siehe Hunger, Iris (2005): Confidence Building Needs Transparency: A Summary of Data Submitted Under the Bioweapons Convention's Confidence Building Measures, 1987-2003, Sunshine Project, September 2005; und die deutsche Jahresmeldung zum BWÜ von 2007, verfügbar unter http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Abruestung/BioChemie/VerbotBioWaffen-dt-Jahresmeldg06.pdf (12. November 2007).

7) Schuler, Ari (2004): Billions for Biodefense: Federal Agency Biodefense Funding, FY2001-FY2005, Biosecurity and Bioterrorism Bd. 2 Nr. 2, S.86-96.

8) Miller, Judith / Engelberg, Stephen und Broad, William (2001): U.S. Germ Warfare Research Pushes Treaty Limits, New York Times, 4. September 2001.

9) Nichttödliche Waffen (NLW) sind Waffen, die speziell entwickelt worden sind, um Menschen außer Gefecht zu setzen ohne sie zu töten bzw. Ausrüstungen und Materialien unbrauchbar zu machen ohne sie zu zerstören. Eine spezielle Gruppe von NLW sind chemische und biologische NLW. Seit langem im polizeilichen Einsatz sind Mittel zur Bekämpfung von Unruhen (riot control agents) wie z.B. Tränengas. Von riot control agents zu unterscheiden sind handlungsunfähig machende Wirkmittel (incapacitating agents), deren Wirkung für Stunden oder Tage anhält, wie z.B. Narkotika.

10) Mehr Informationen zum Moskauer Geiseldrama finden sich in Fidler, David (2005): The meaning of Moscow: »Non-lethal« weapons and international law in the early 21st century, International Review of the Red Cross Bd. 87 Nr. 859, September 2005, S.525-552.

11) Mehr Informationen zu neuartigen Biowaffen finden sich in Wheelis, Mark (2004): Will the New Biology Lead to New Weapons?, Arms Control Today Juli/August 2004, S.6-13.

12) Nowak, Rachel (2001): Disaster in the Making, New Scientist, 13. Januar 2001, S.4.

13) Weitere Informationen zu diesen Experimenten finden sich z. B. in Nixdorff, Kathryn / Hotz, Mark / Schilling, Dagmar und Dando, Malcolm (2003): Biotechnology and the Biological Weapons Convention, agenda Verlag: Münster.

14) National Research Council (2004): Biotechnology Research in an Age of Terrorism, National Academy Press: Washington.

Dr. Iris Hunger ist Biochemikerin und leitet die Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle am Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg.

B-Waffen-Konvention

B-Waffen-Konvention

Stand und Probleme der Verhandlungen

von Dörte Hahlbohm • Kathryn Nixdorff

Die Gefahren, die aus der Proliferation von Massenvernichtungswaffen entstehen, haben in den vergangenen Jahren eine neue Dimension angenommen. Während im Ost-West-Konflikt hauptsächlich die Begrenzung der atomaren Proliferation im Mittelpunkt des Interesses stand, hat sich mittlerweile gezeigt, daß auch die Sicherheitsbedrohung durch die Verbreitung chemischer und biologischer Waffen effektiver Gegenmaßnahmen bedarf. Im Bereich der Chemiewaffen ist dies mit dem Abschluß der Verhandlungen zur Chemiewaffen-Konvention in die Wege geleitet worden; die größte Schwäche der B-Waffen-Konvention von 1972, das Fehlen von Verifikationsvereinbarungen, wurde bislang jedoch noch nicht behoben. Zwar wurden bereits mit der zweiten und dritten Überprüfungskonferenz der BWC (Biological Weapons Convention) vertrauensbildende Maßnahmen zur Stärkung der Effektivität der Konvention vereinbart und überdies im Rahmen der dritten Überprüfungskonferenz erste Schritte zur Erarbeitung von Verifikationsmaßnahmen beschlossen, die Bemühungen um die Stärkung der Konvention gestalten sich jedoch in hohem Maße schwierig. War es ursprünglich geplant, die vierte Überprüfungskonferenz im Herbst 1996 über einen Katalog verbindlicher Kontrollmaßnahmen entscheiden zu lassen, so erscheint dies angesichts der bisherigen Verhandlungsergebnisse als eher unwahrscheinlich. Mit diesem Aufsatz wird zum einen ein Überblick über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen zur Stärkung der BWC gegeben und zum anderen werden die größten Problemfelder innerhalb dieser Verhandlungen sowie mögliche Lösungsansätze diskutiert.

Die Verhandlungen zur Stärkung der BWC

Die zweite Überprüfungskonferenz

Die zweite Überprüfungskonferenz 1986 bemühte sich, die bis zu diesem Zeitpunkt erkannten Schwachstellen der Konvention zu beseiten. So wurden zunächst Unklarheiten über die Reichweite des Verbotsgegenstandes ausgeräumt. Es wurde festgestellt, daß „… die Konvention eindeutig für alle natürlichen oder künstlich geschaffenen mikrobiologischen oder anderen biologischen Erreger und Toxine, ungeachtet ihres Ursprungs oder Herstellungsverfahrens …“ gilt (BWC, 1986). Damit wurde eindeutig festgelegt, daß sowohl die aufgrund technischer Fortschritte möglichen Weiterentwicklungen biologischer Agenzien und Toxine unter die Bestimmungen der Konvention fallen – ein Tatbestand, der bis zu diesem Zeitpunkt umstritten war.

Darüber hinaus wurden mit der Abschlußerklärung der Konferenz einige vertrauensbildenden Maßnahmen zur Stärkung der Effektivität der Konvention vereinbart, die (a) den Austausch von Daten über die Aktivitäten in Hochsicherheits-Forschungseinrichtungen, (b) den Austausch von Informationen über den Ausbruch ungewöhnlicher Krankheiten, (c) die Aufforderung zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sowie (d) die aktive Förderung der Kontakte zwischen Wissenschaftlern, die an entsprechenden Forschungsprojekten arbeiten, umfassen (BWC, 1986). Die Maßnahmen haben jedoch unverbindlichen Charakter, so daß ihre Einhaltung lediglich eine politische Verpflichtung darstellt.

Die dritte Überprüfungskonferenz

Die 1986 vereinbarten vertrauensbildenden Maßnahmen konnten sich in den folgenden fünf Jahren nicht als ausreichendes Instrument zur Stärkung der BWC erweisen. Außer daß sie inhaltlich einen beschränkten Umfang hatten, war die Beteiligung am Informationsaustausch unter den Vertragspartnern sehr dürftig (Geißler, 1990). Im Rahmen der dritten Überprüfungskonferenz 1991 wurden die vertrauensbildenden Maßnahmen deswegen um folgende Punkte erweitert: (a) Null-Deklarationen im Falle von „nothing to declare“ oder „nothing new to declare“, (b) Deklarationen der nationalstaatlichen Verordnungen und Gesetze mit Bezug zur BWC, (c) Deklarationen früherer offensiver und defensiver Forschungs- und Entwicklungsprogramme und (d) Deklarationen der Impfstoffproduktion. An dem unverbindlichen Charakter der Maßnahmen wurde allerdings nichts geändert (BWC, 1991).

Die Beteiligung an den vertrauensbildenden Maßnahmen muß jedoch vor allem in Hinblick auf die Regelmäßigkeit der Berichterstattung als insgesamt unbefriedigend bezeichnet werden, auch wenn die Zahl der Teilnehmerstaaten über die Jahre langsam gestiegen ist. Nur etwa ein Drittel der 133 Vertragsstaaten beteiligten sich jedes Jahr an der Informationssammlung, und nur zehn Staaten haben für alle acht Jahre seit der Vereinbarung Berichte abgeliefert (Geissler, 1990; Hunger, 1995).

Neben dem Ausbau der vertrauensbildenden Maßnahmen wurden auf der dritten Überprüfungskonferenz auch Fortschritte in Richtung eines Verifikationsregimes erzielt. Die Vertragsstaaten einigten sich auf die Einrichtung einer Ad-hoc-Gruppe von Regierungsexperten (VEREX), die vom wissenschaftlich-technischen Standpunkt aus potentielle Verifikationsmaßnahmen identifizieren und überprüfen sollte.

»VEREX and Beyond«

Die VEREX-Gruppe hat zwischen 1992 und 1993 mehrmals getagt und ihre Arbeit mit einem Bericht abgeschlossen, in dem insgesamt 21 mögliche Verifikationsmaßnahmen identifiziert wurden, die sich in die Kategorien Information Monotoring, Data Exchange, Remote Sensing, Off-Site Inspections, On-Site Inspections, Exchange Visits sowie Continuous Monitoring untergliedern lassen (BWC, 1993). Die Maßnahmen wurden anhand der im Mandat der Gruppe festgelegten Kriterien sowohl einzeln als auch in verschiedenen Kombinationen evaluiert.1 Die in Artikel I der BWC festlegten Verbotsgegenstände (a) Entwicklung, (b) Beschaffung und Herstellung sowie (c) Lagerung und Zurückhaltung von B-Waffen dienten zur weiteren Differenzierung der Evaluation. Gesprüft wurde damit nicht nur, ob die Maßnahmen einzeln oder kombiniert zu einer effektiven Verifikation der Einhaltung der BWC beitragen können, sondern es wurde zusätzlich differenziert, in welchem der drei Bereiche sie nützlich sein könnten. Obwohl VEREX damit eine umfangreiche und detaillierte Aufstellung und Bewertung möglicher Verifikationsmaßnahmen präsentierte, waren die Schlußfolgerungen, die aus dem Abschlußbericht gezogen werden konnten, nicht sehr eindeutig:

For those who support the elaboration of a verification regime for the BWC, the report shows that a number of measures can make useful contributions. For those who oppose such a regime, the report lists major shortcomings for each of those measures. In short, although intended as a scientific and technical process, VEREX produced the perfect political outcome, pleasing and annoying politcial parties equally and in equal measure.“ (Lacey, 1994)

Der VEREX-Bericht wurde auf einer Sonderkonferenz im September 1994 behandelt. Die Konferenzteilnehmer einigten sich auf ein Mandat für eine neue Ad-hoc-Gruppe, die weiterhin allen Vertragsstaaten offen stehen und konkrete Vorschläge zur Stärkung der Konvention unterbreiten sollte. Diese Vorschläge sollen auf der vierten Überprüfungskonferenz oder zu einem späteren Zeitpunkt der Konvention mit rechtsverbindlichem Charakter hizugefügt werden (BCW, 1994). Das Mandat der Ad-hoc-Gruppe umfaßt die Diskussion folgender Aspekte (BWC, 1994; Pearson, 1994b):

(a) „definitions of terms and objective criteria … where relevant for specific measures designed to strengthen the convention“.

(b) „the incorporation of existing and further enhanced confidence building and transparency measures, as appropriate, into the regime“.

(c) „a system of measures to promote compliance with the Convention, including, as appropriate, measures identified, examined and evaluated in the VEREX Report“.

(d) „specific measures designed to ensure effective and full implementation of Article X, which also avoid any restrictions incompatible with the obligations undertaken under the Convention“.

Die Ad-hoc-Gruppe hat mittlerweile dreimal getagt. Beim ersten Treffen im Januar 1995 wurden hauptsächlich Verfahrensregeln ausgearbeitet (BWC, 1995a). Bei den anschließenden zwei Treffen im Juli sowie im November/Dezember 1995 (BWC, 1995b und c) wurden in je rund 20 Sitzungen die Kernfragen des Mandats behandelt, allerdings ohne daß es zu einer inhaltlichen Einigung gekommen wäre. Die Zusammenfassungen des Diskussionsstandes, die den beiden Procedural Reports angefügt wurden, zeigen jedoch, daß zumindest in einigen Punkten Fortschritte erzielt werden konnten. So scheint beispielsweise die Debatte um das Ausmaß der Deklarationen, die als Grundlage für wie auch immer gestaltete Kontrollmaßnahmen dienen sollen, ein Stück weit vorangekommen zu sein. Auch die Art und Zahl der Agenzien, die in eine Liste zur Präzisierung des Verbotsgegenstandes aufgenommen werden sollen, scheint langsam konsensfähig zu werden. Die Diskussion über die Notwendigkeit von erlaubten Höchstmengen hingegen ist, dem Abschlußbericht des dritten Treffens zufolge, offensichtlich – zumindest vorläufig – ohne eine entsprechende Einigung abgeschlossen. Ebenso problematisch erweist sich nach wie vor die Einigung auf bestimmte Definitionen zur weiteren Präzisierung des Vertragsgegenstandes sowie auf Maßnahmen zur verbesserten Implementierung von Artikel X. Und hinsichtlich des Kernstück des Mandats, den Compliance Measures, ist eine Überbrückung der Meinungsverschiedenheiten offenkundig so weit entfernt wie schon auf der BWC-Sonderkonfernenz 1994. Da bis zur vierten Überprüfungskonferenz Ende 1996 lediglich zwei weitere Treffen der Gruppe veranschlagt sind, erscheint es daher sehr unwahrscheinlich, daß bis dahin mehrheitsfähige Vorschläge zu einem umfassenden Verifikationsregime ausgearbeitet sein werden.

Die Problematik um die Kernfragen zur Verifikation der BWC

Kritik an den Vorschlägen zur Verifikation der BWC

Von einigen Autoren und Autorinnen wird argumentiert, daß eine hinreichend zuverlässige Verifikation aus technischen Gründen derzeit nicht möglich sei, und daher jedes Verifikationssystem nur ein trügerisches Gefühl von Sicherheit schaffen würde. Ein Beispiel hierfür ist die Argumentation, daß die von VEREX vorgeschlagenen Verifikationsmaßnahmen derzeit technisch nicht realisierbar seien und eine ganze Reihe neuer Technologien erforderten. So würden beispielsweise neue analytische Methoden zur Identifizierung von Agenzien benötigt, die Entwicklung der notwendigen Technologien werde jedoch noch Jahre der Forschung erfordern, so daß mit einer kurzfristigen Lösung des Problems nicht zu rechnen sei (Dashiell, 1994; Royal Society, 1994).

Ähnlich angelegt ist auch folgende Sichtweise: Die Forderung nach einer Überwachung der durch die Vertragsstaaten bereitgestellten Informationen übersehe, daß ein Vertragsbrecher seine waffenrelevanten Aktivitäten kaum deklarieren werde. Derzeit existierten jedoch keine entsprechenden Technologien, mit denen nicht-deklarierte Aktivitäten aufgespürt werden können, so daß waffenrelevante Aktivitäten in diesem Bereich nur mit einem geringen Entdeckungsrisiko behaftet seien. Damit sei es hinfällig, Deklarationen als Grundlage für Verifikation zu nehmen. Der einzige Effekt, den ein solches Verifikationssystem hätte, wäre ein trügerisches Gefühl von Sicherheit zu erwecken und dadurch von der Notwendigkeit zu defensiven Maßnahmen abzulenken. Als weiteres erschwerendes Argument werden in diesem Zusammenhang die hohen Kosten eines Verifikationssystems, das ohnehin nicht effektiv sein könne, angeführt (Bailey, 1994).

Kritisiert wird auch vielfach, daß die Verifikationsmaßnahmen einerseits verläßlich die Vertragstreue feststellen, andererseits aber auch Betriebsgeheimnisse und geistiges Eigentum schützen müssen, ohne daß bislang ein Kriterium entwickelt wurde, daß diese beiden sich widersprechenden Interessen zu einem zufriedenstellenden Ausgleich bringen könnte (Dashiell, 1994; Pearson, 1994a). Seitens der pharmazeutischen und biotechnischen Industrie werden hier Wettbewerbsnachteile und finanzielle Verluste durch Inspektionen und die Offenlegung von sensiblen Informationen befürchtet (Holmberg, 1994).

Auch wenn die o.g. Kritik an den konkreten Verifikations-Vorschlägen nicht geteilt wird, so kommt man dennoch nicht umhin, einige grundsätzliche Dilemmata im Bereich der Verifikation von B-Waffen zumindest zu diskutieren. Dies soll im folgenden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – getan werden.

Aufgrund der Charakteristika biologischer Waffen ist nicht zu erwarten, daß alle Vertragsbrüche entdeckt werden können. Ist die zu erreichende Entdeckungswahrscheinlichkeit jedoch deutlich geringer als 100 Prozent, so ist die Frage nach der Relation von Risiken, Kosten und Nutzen eines B-Waffen-Verifikationsregimes gerechtfertigt. Zu unterscheiden ist hier zwischen den rein finanziellen Kosten und den politischen Kosten, die durch das vielfach angeführte „falsche Sicherheitsgefühl“ entstehen können. Das Argument der zu hohen finanziellen Kosten kann durch die fundierte Studie der FAS Working Group on Biological Weapons Verification über die zu erwartenden Kosten für ein funktionierendes Kontrollregime weitgehend entkräftet werden (FAS, 1994b).2 Zu den möglicherweise anfallenden politischen Kosten ist anzumerken, daß sich das potentielle Risiko dadurch erheblich verringert, daß es nicht einzelnen Staaten alleine, sondern der Staatengemeinschaft insgesamt obliegen würde, auf einen Vertragsbruch zu reagieren. Das Risiko, auf einen Vertragsbruch möglicherweise nicht mehr adäquat reagieren zu können, das in bilateralen Abrüstungsabkommen eine erhebliche Rolle spielen kann, wird so stark reduziert (Dembinski/Laurenzano, 1994).

Eine Verbesserung der Verfahren und Techniken, die den Nachweis von Agenzien auch in kleinsten Mengen erlauben, ist für eine effektive Durchführung von Vorort-Untersuchungen sicherlich nötig. Die derzeitigen Unzulänglichkeiten solcher Verfahren sind jedoch kein Grund für die Ablehnung eines Verifikationsregimes. Die Entwicklung von Nachweisverfahren für biologische Agenzien ist ein äußerst aktives Forschungsfeld, das nicht zuletzt unter der Anwendung der modernen Biotechnologie erhebliche Fortschritte in der letzten Zeit erzielt hat, und es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß die Entwicklungen in dieser Richtung immer weiter und schneller fortschreiten werden. Ferner darf nicht außer Acht gelassen werden, daß Sampling and Identification nur einen Aspekt der vorgeschlagenen Maßnahmen im Rahmen von Vorort-Inspektionen darstellen. Es wurde im VEREX-Bericht ausdrücklich betont, daß erst eine Kombination von Verifikationsmaßnahmen erfolgsversprechend wirken könne.

Auch die Befürchtungen hinsichtlich eines unzureichenden Schutzes von Betriebsgeheimnissen und sensiblen Informationen können größtenteils entkräftet werden. Großbritannien hat vor dem Hintergrund dieser Befürchtungen in den vergangenen Jahren eine Reihe von Probe-Inspektionen (Practice Challenge Inspections) in einigen militärischen Einrichtungen (United Kingdom, 1990) sowie einigen Einrichtungen der Biotechnologie- und der Pharmaindustrie (United Kingdom, 1995) durchgeführt. Aus diesen Inspektionen ist die Konzeption des regulierten oder gelenkten Zugangs (Managed Access) hervorgegangen, die eine entscheidende Rolle bei der Akzeptanz der Verifikationsmaßnahmen im Rahmen der CWC gespielt hat. Unter Managed Access versteht man einen Katalog von Maßnahmen, der es den betroffenen Einrichtungen erlaubt, bestimmte sensible Informationen zu schützen, gleichzeitig aber die Sammlung von genügend Informationen gewährleistet, um die Angaben der Deklarationen überprüfen zu können und gegebenenfalls auch nicht-deklarierte Aktivitäten aufdecken zu können. Als Ergebnis der britischen Probe-Inspektionen kann festgehalten werden, daß Managed Access weder für die Inspektoren noch für die betroffenen Einrichtungen unüberwindbare Probleme bereitet hat (United Kingdom, 1995).

Listen von Agenzien

Sehr kontrovers ist die Debatte über den Nutzen einer Liste einschlägiger Agenzien und die Festlegung unzulässiger Mengen solcher Agenzien. Von einer Seite wird argumentiert, daß eine präzise Formulierung des Verbots- bzw. Vertragsgegenstandes durch eine Liste der Agenzien und die Festlegung der maximal erlaubten Mengen Artikel I nur einengen würde. Von einer anderen Seite wird hingegen argumentiert, daß das Fehlen klarer Angaben zu Art und Obergrenzen der verbotenen oder deklarationspflichtigen Agenzien sowohl das Deklarations- als auch das Überprüfungsverfahren deutlich erschweren würde. Allerdings besteht selbst unter den Vertragsstaaten, die der Nützlichkeit einer Liste grundsätzlich zustimmen, noch keine Einigung über den Charakter der Liste, d.h. über die Frage, ob sie vollständig oder illustrativ sein soll. Eine vollständige Liste hätte den Vorteil, daß die Zweifel hinsichtlich Verbot oder Deklarationspflicht beseitigt würden, der Nachteil bestünde jedoch darin, daß eine solche Liste angesichts der rapiden Entwicklung der Biotechnologie nie alle potentiell waffenrelevanten Agenzien abdecken könnte und ständig aktualisiert werden müßte, ohne daß damit garantiert wäre, tatsächlich alle Neuentwicklungen auch erfaßt zu haben. Eine illustrative Liste hätte diesen Nachteil eben durch ihren ausdrücklich nur beispielhaften Charakter nicht, der Nachteil einer nur illustrativen Liste bestünde jedoch in dem Interpretationsspielraum, den sie zweifelsfrei schaffen würde, und in den damit wesentlich vereinfachten Möglichkeiten einer »halblegalen« Vertragsverletzung.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma kann eventuell der von Pearson ausgearbeitete Vorschlag einer Trigger-List weisen (Pearson, 1995). Pearson spricht sich für eine präzise und unzweideutige Liste für Deklarationszwecke aus, die ausschließlich die Agenzien enthalten sollte, die am häufigsten als potentielle biologische Waffen genannt werden. Nur mit einer solchen einheitlichen und übersichtlichen Liste, so die Argumentation, könnten die Erklärungen der Vertragsstaaten vergleichbar gemacht und bewertet werden. Ein solches Verfahren hätte zum einen den Vorteil, daß ein Vergleich der Deklarationen auf Mißstimmigkeiten und damit auch auf potentielle Vertragsverletzungen hindeuten könnte. Zum anderen könnte eine solche Liste als Ausgangspunkt für Inspektionen nützlich sein, ohne daß allerdings der Umfang einer Inspektion durch die Liste beschränkt werden dürfte.

Die Festlegung erlaubter Höchstmengen von Agenzien

Die Festlegung von erlaubten Höchstmengen (Threshold Quantities) von Agenzien in einem Verifikationsregime ist ähnlich problematisch wie die Frage nach der Notwendigkeit einer Liste verbotener Agenzien. Dies hat mehrere Gründe. Erstens können ausgehend auch von kleinen Proben relativ schnell bedeutende Mengen von Mikroorganismen gezüchtet werden. Zweitens sind die relevanten Mengen von Agenzien z.T. regional bedingt – für eine Region der Welt, in der ein spezifisches Agens endemisch ist, können die Mengen, die für friedliche Zwecke angemessen sind, andere sein als für die Gebiete, in denen das Agens fremd ist. Drittens kann, je nachdem ob globale, regionale oder low-intensity Konfliktszenarien in Betracht gezogen werden, die relevante Menge eines biologischen Agens stark schwanken. Und schließlich steigen die Mengen von Agenzien, die für erlaubte Zwecke benötigt werden, kontinuierlich mit der Zunahme wachsender friedlicher Anwendungen (Pearson 1995). Diese Überlegungen dürften auch dazu geführt haben, daß die Frage der Threshold Quantities in den Verhandlungen zur Stärkung der BWC derzeit nicht mehr diskutiert wird.

Trotz aller Vorbehalte wäre es jedoch nachlässig, die Mengen potentieller biologischer Agenzien in einem Kontrollregime völlig unberücksichtigt zu lassen. Obwohl Mikroorganismen im allgemeinen schnell gezüchtet werden können, gibt es erhebliche Unterschiede in der Geschwindigkeit des Wachstums und im Aufwand der Züchtung zwischen den Mikroorganismen. So sind beispielsweise Viren in großen Mengen in der Regel viel aufwendiger zu züchten als dies bei Bakterien der Fall ist. Die Anhäufungen der Agenzien in Lagern (Stockpiles) sind insofern nicht irrelevant, vor allem im Falle von Agenzien, deren Züchtung aufwendig ist, oder deren Stabilität bzw. Infektivität während der Lagerung relativ lange erhalten bleibt. Dies gilt insbesondere für Toxine, die mit Ausnahme der endosporenbildenden Mikroorganismen im allgemeinen lagerfähiger sind als infektiöse Krankheitserreger. Obwohl die Produktion einiger Toxine in größeren Mengen in den letzten Jahren durch die Verbesserung der Fermentier-Technologie sowie die Anwendung der Gentechnik erleichtert wurde, ist die Herstellung der meisten Toxine in kriegsrelevanten Mengen insgesamt mühsamer als die Züchtung relevanter Mengen infektiöser Erreger. Die Ansammlung und Lagerung von toxinbildenden Mikroorganismen bzw. Rohextrakten der Toxine könnte im Rahmen eines offensiven Programms daher durchaus von Bedeutung sein.

Zwar werden die giftigsten Toxine in der Liste der Schedule I-Chemikalien der Chemiewaffen-Konvention berücksichtigt, die hoffentlich in naher Zukunft in Kraft treten wird, doch sind die in der CWC erlaubten Höchstmengen hinsichtlich der Toxine zu hoch angesetzt, da einige Toxine eine sehr viel höhere Toxizität als chemische Kampfstoffe besitzen. Eine Gruppe von Toxinen, die mengenmäßig am giftigsten wirken, sind die Botulinumtoxine. Es wurde geschätzt, daß 1 mg Botulinumtoxin A etwa 100 Menschen töten könnte; das Toxin ist damit 10.000-fach toxischer als VX, einer der giftigsten chemischen Kampfstoffe (Geißler & Lohs, 1986; Tucker, 1994). Die für einen militärischen Einsatz relevanten Mengen von Botulinumtoxin würden im Bereich von 1 – 10 kg liegen, dagegen liegen die benötigten Mengen für Forschungszwecke im Bereich von 100 – 500 mg pro Forschungsgruppe jährlich. Nach der Regelung der CWC darf ein Vertragsstaat jedoch bis zu einer Tonne insgesamt von allen Schedule I-Stoffen besitzen. Bis zu 10 kg solcher Stoffe dürfen pro Herstellungseinrichtung für medizinische, pharmazeutische oder Forschungzwecke in einem Jahr produziert werden. Ab einer jährlichen Produktionsmenge von über 100 g muß die jeweilige Einrichtung eine Deklaration einreichen (CWC, 1993).

Bei der Betrachtung von relevanten Mengen von Toxinen sollte jedoch nicht nur ihre militärische Verwendbarkeit, sondern auch ihr Dual-Use-Charakter berücksichtigt werden, da einige Toxine einen Einsatz als Therapeutika finden. Beispielsweise werden das Ricin-Toxin bei Krebserkrankungen (Mota et al., 1989) oder die Botulinumtoxine und das Tetanustoxin bei neurologischen Krankheiten (Schantz & Johnson, 1992) eingesetzt. Die pharmazeutische Industrie schätzt, daß die Mengen von Toxinen für therapeutische Zwecke im Jahr 2000 im Bereich von 100 kg oder auch mehr liegen werden (Tucker, 1994). Obwohl diese Angaben grob überschätzt erscheinen, deuten sie auf das Dilemma bei der Festlegung von erlaubten Höchstmengen hin. Einerseits wird eine Kontrolle über die Produktion toxischer Stoffe benötigt, anderseits darf die friedliche Verwendung dabei nicht verhindert werden.

Aus diesen Gründen ist der Vorschlag der FAS (1994a), daß einschlägige Agenzien unabhängig von der Menge, in der sie vorliegen, zumindest deklariert werden müssen, sehr zu begrüßen. Nach diesem Vorschlag wären Einrichtungen, die rein diagnostisch oder therapeutisch arbeiten, von der Deklarationspflicht im Einzelnen freigestellt, müßten aber den Besitz erfaßter Agenzien einer nationalen Gesundheitsbehörde melden. Dies würde die Behörde nicht zu sehr belasten, ihr aber anderseits eine Übersicht über den Umgang mit potentiell gesundheitsschädigenden Agenzien in verschiedenen Institutionen im Lande verschaffen. Ein zweiter Effekt dieser Regelung wäre es, daß die Meldepflicht bei den Wissenschaftlern selbst das Bewußtsein für die Ambivalenz biologischer Forschung im Bereich infektiöser Krankheiten fördern würde. Auch der Vorschlag (Pearson, 1995), keine ausdrücklichen Mengenbeschränkungen zu vereinbaren, sondern nur eine mengenunabhängige Deklarationspflicht zu verlangen, zielt in diese Richtung und könnte ebenfalls einen Ausweg aus dem aufgezeigten Dilemma weisen. Unter einer solchen Regelung würde die Produktion bzw. der Besitz eines Stoffes, ganz egal in welcher Menge, nicht ausdrücklich verboten sein, die Mengen müßten aber im Rahmen der Angaben über Aktivitäten deklariert werden. Kontrollen wären dann erst notwendig, wenn es einen begründeten Zweifel an den Angaben gäbe.

Artikel X

Ein weiterer Problembereich in den laufenden Verhandlungen ist das Dilemma zwischen der in Artikel III der Konvention festgelegten Verpflichtung, keine Maßnahmen zu ergreifen, die die Verbreitung von biologischen Waffen begünstigen, und der in Artikel X verankerten Verpflichtung zum Technologieaustausch zur friedlichen Nutzung der einschlägigen Technologien. Während der Technologieaustausch vor allem auf der Nord-Süd-Schiene verlaufen sollte (Rosenberg, 1993; FAS, 1995), sind es aber gerade Staaten der Dritten Welt, die verdächtigt werden, den Besitz von B-Waffen anzustreben oder bereits offensive B-Waffen-Programme zu verfolgen.

Die Frage der Implementierung von Artikel X wird in den weiteren Verhandlungen über die Stärkung der BWC einen zentralen Stellenwert einnehmen, da viele Entwicklungsländer Artikel X als die für ihre Interessen wichtigste Bestimmung der BWC betrachten und ihre Zustimmung zur Stärkung der Konvention von einer Beendigung der Exportkontrollen und -beschränkungen sowie einer weiteren Förderung des Technologieaustausches abhängig machen. Das Eigeninteresse an Entwicklung und technischem Fortschritt wird damit über das Interesse an Nichtverbreitung gestellt. Eine effektive Strategie der Nichtverbreitung von biologischen Waffen kann ohne die Kooperation der Entwicklungsländer jedoch nie erfolgreich sein, da die waffenrelevanten Technologien aufgrund ihres Dual-Use-Charakters problematisch zu kontrollieren sind und überdies schon eine starke Verbreitung auch in die als „kritisch“ eingestuften Staaten gefunden haben. Um einen Konsens über ein künftiges Kontrollregime zu erreichen, müssen folglich Anreize für die Entwicklungsländer geschaffen werden.

In diesem Kontext ist die Frage der Abschaffung von Exportkontrollen sehr umstritten. Während zugunsten von Exportkontrollen im allgemeinen mit deren Bedeutung für das Ziel der Nichtverbreitung argumentiert wird, verweisen Kritiker der bestehenden Exportkontrollen und -beschränkungen darauf, daß dieses Argument für den Bereich der biologischen Waffen keine Gültigkeit beanspruchen könnte. Exportkontrollen, so ihre Argumentation, könnten aufgrund des ausschließlichen Dual use-Charakter der einschlägigen Technologien sowie der weitreichenden zivilen Nutzungsmöglichkeiten der betreffenden Agenzien ohnehin nicht als befriedigendes Kontrollinstrument angesehen werden und würden darüber hinaus eher politischen Schaden anrichten (FAS, 1995):

Given the antipathy of the South to export controls, which could hamper their developing industries, it makes sense to ask whether any kind of restriction on transfers of dual-use items to parties of the BWC … may not do more harm than good. Biological weapons are different from other kinds of weapons, in that most biological material has humanitarian uses and none of the relevant equipment is so high-tech that it could not be homemade in some form by any nation intent on developing a BW capacity … Any hardship imposed by export controls might therefore have greater impact in the public health sphere than on weapons programs, putting the nations imposing the controls in an inhumane position.“ (Rosenberg, 1993)

Eine ausführliche Analyse über den Nutzen von Exportkontrollen wurde auch von der Royal Society of London erstellt. Der Bericht kommt dabei zu ähnlichen Schlußfolgerungen: Eine effektive Kontrolle biologischer Agenzien und einschlägiger Technologien im Sinne der BWC sei weder mit Exportkontrollen auf einzelne Güter noch mit Endverbrauchskontrollen zu erreichen. Vorgeschlagen wird lediglich, den Transfer von solchen Geräten zu beschränken, die biologische Agenzien in Aerosolform auszubringen und zu testen erlauben, da diese Methoden nur in einem so geringen Maße zivil nutzbar seien, daß eine Verweigerung in bestimmten Fällen zu rechtfertigen sei (Royal Society, 1994).

Anmerkungen

Dokumente

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BWC (1986). The Second Review Conference of the Biological Weapons Convention. Disarmament Fact Sheet No. 50,New York: United Nations, Department for Disarmament Affairs.

BWC (1991). Final Document. Third Review Conference of the Parties to the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction, UN Document BWC/CONF.III/23.

BWC (1993). Report. Ad Hoc Group of Governmental Experts to Identify and Examine Potential Verification Measures from a Scientific and Technical Standpoint, UN Document BWC/CONF.III/VEREX 9.

BWC (1994). Final Report. Special Conference of the States Parties to the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction, UN Document BWC/SPCONF/1.

BWC (1995a). Procedural Report. First Session of the Ad Hoc Group of the States Parties to the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction, UN Document BWC/AD HOC GROUP/3.

BWC (1995b). Procedural Report. Ad Hoc Group of the States Parties to the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction, UN Document BWC/AD HOC GROUP/28.

BWC (1995c). Procedural Report. Ad Hoc Group of the States Parties to the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction, UN Document BWC/AD HOC GROUP/29.

CWC (1993). Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and on their Destruction, UN Document 93-05070 United Kingdom (1990). Verification of the Chemical Weapons Convention. Practice Challenge Inspections of Government Facilities: Analysis of Results, Report of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland to the Conference on Disarmament, CD/CW/WP.304, July 11.

United Kingdom (1995). BTWC Practice Compliance Inspections Performed in the United Kingdom in 1993/4, Overall Report, March 16.

Sekundärliteratur

Ein Verzeichnis der im vorliegenden Artikel angesprochenen Literatur kann bei der Redaktion angefordert werden.

Anmerkungen

1) Als Kriterien für die Bewertung der Leistungsfähigkeit der einzelnen Maßnahmen wurden genannt: (a) die Menge und Qualität der Informationen, die sie zur Verfügung stellen können, (b) die Möglichkeit, zwischen erlaubten und verbotenen Aktivitäten zu unterscheiden, (c) die Fähigkeit, Zweifel hinsichtlich der Vertragseinhaltung klären zu können, (d) ihre technischen, materiellen und personellen Voraussetzungen, (e) ihre finanziellen, gesetzgeberischen, sicherheitstechnischen und organisatorischen Implikationen und (f) ihr Einfluß auf Forschung und Entwicklung, die wissenschaftliche Kooperation und ihre Auswirkungen auf sensible Informationen und Betriebsgeheimnisse (BWC, 1993). Zurück

2) Auf Grundlage des Inspektionsaufwandes der IAEO und der OPCW sowie der Ausstattung der beiden Kontrollbehörden kommt die Studie zu dem Ergebnis, daß die Kosten für ein BWC-Verifikationssystem verglichen mit den IAEO-Safeguards deutlich niedriger und im Vergleich zur OPCW vermutlich ebenfalls niedriger ausfallen würden. Zurück

Dörte Hahlbohm ist wiss. Mitarbeiterin am Zentrum für interdisziplinäre Technikforschung (ZIT), Doktorandin der Politikwissenschaft und Mitglied von IANUS, Darmstadt; Dr. Kathryn Nixdorff ist Professorin am Institut für Mikrobiologie und Genetik und Mitglied von IANUS, Darmstadt

Gaskrieg, Völkerrecht, Geheimrüstung

Gaskrieg, Völkerrecht, Geheimrüstung

Zur Frage der Beschränkung von bakteriologischen und chemischen Waffen in der Zwischenkriegszeit

von Hartmut Stiller

Trotz der Haager Landkriegsordnung von 1899, in der sich einige Staaten dem Verbot unterwarfen, „Geschosse zu verwenden, deren einziger Zweck ist, erstickende oder giftige Gase zu verbreiten“1, kam es am 22. April 1915 an der deutsch-französischen Grenze zur Anwendung einer neuen, folgenreichen Waffe. Dieser Ersteinsatz der Gaswaffe von deutscher Seite setzte einen Rüstungswettlauf in Gang, dem fortan kein Einhalt mehr zu bieten war.

Die Kampfstoffe boten den Militärs, vor allem in ihrer Kombination mit der Luftwaffe, ungeahnte neue Möglichkeiten. Erstmals ließ sich wirksam die Zivilbevölkerung in das unmittelbare Kriegsgeschehen miteinbeziehen. Der Kriegsschauplatz verschob sich von der Front bis ins Hinterland hinein, dorthin, wo man das gegnerische Gebiet bislang nur mäßig anzugreifen in der Lage war.Bedenken aus humanitären Gründen wurden aus den militärischen Kreisen zerstreut. Gegenteilig bezeichnete man die neue Waffe als „human“, konnte man durch sie einen Krieg schneller beenden und somit unzählige Menschenleben retten. Man sah die Verletzungen durch Giftgase als weitaus weniger grausam an, als jene von Granaten, wodurch schließlich ganze Körperteile »abgerissen« würden. „Die Einatmung der Blausäure belästigt in keiner Weise. Man kann nicht angenehmer sterben.“2

Zudem räumte die Kriegsnotwendigkeit die letzten Zweifel an dem Einsatz chemischer Kampfstoffe vom Tisch. So schrieb Berthold von Deimling, in dessen Frontabschnitt bei Ypern das Kampfmittel erstmals auf dem Schlachtfeld erprobt wurde, rückblickend: „Aber durch das Giftgas konnte vielleicht Ypern zu Fall gebracht werden, konnte ein feldentscheidener Sieg errungen werden. Vor solch hohem Ziel mußten alle inneren Bedenken schweigen.“ 3

Doch auch die Schrecken dieser neuen Waffe steckten nach dem Weltkrieg noch allzusehr in den Köpfen der Menschen fest. So suchten die Politiker nach Kriegsende Möglichkeiten, die Gefahr eines Giftgaseinsatzes zu reduzieren.

Die Einschränkung des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen

Der Versailler Vertrag (1919)

Der am 28. Juni 1919 unterzeichnete Versailler Vertrag war u.a. ein Versuch der Siegermächte, die deutsche Aggressivität und Kriegsbereitschaft bis auf ein Minimum zu bändigen. Hierfür diktierten die Siegermächte dem »Kriegsschuldigen« ein Verbot der Luftwaffe, der Panzer, der schweren Artillerie und – der Gaswaffe. Der Artikel 171 geht darauf ausdrücklich ein: „Mit Rücksicht darauf, daß der Gebrauch von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen, sowie von allen derartigen Flüssigkeiten, Stoffen oder Verfahrensarten verboten ist, wird ihre Herstellung in Deutschland und ihre Einfuhr streng untersagt.

Dasselbe gilt für alles Material, das eigens für die Herstellung, die Aufbewahrung oder den Gebrauch der genannten Erzeugnisse oder Verfahrensarten bestimmt ist.“4

Im Unterschied zu der Haager Landkriegsordnung von 1899 strebte man nun eine Beschränkung des Bestandes in Form eines Verbotes der Herstellung und der Einfuhr chemischer Waffen sowie deren Voraussetzungen an, nicht nur deren Anwendung. Aber dieser neue Gedanke blieb ein auf Deutschland beschränkter Einzelfall.

Diese Bestimmung war das einzige rechtskräftige völkerrechtliche Übereinkommen, das ein Verbot der Herstellung von C-Waffen beinhaltete. Doch das einseitige Abrüstungsdiktat blieb nicht problemlos, es forderte den Widerstand der militärischen Kreise Deutschlands heraus.

Der Vertrag von Washington (1922)5

1922 rangen sich Frankreich, Italien, Japan, Großbritannien und die USA auf der Washingtoner Konferenz dazu durch, den Gebrauch erstickender, giftiger oder anderer Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten zu verbieten. Jedoch waren deren Herstellung sowie der Handel mit chemischen Waffen nicht in dieses Verbot einbezogen, ein Faktum, welches den Washingtoner Vertrag als einen Rückschritt ins Jahr 1899 degradierte.

Dieses Abkommen wurde zwar von den genannten Staaten unterschrieben, jedoch verweigerten die Franzosen die notwendige Ratifizierung. Damit scheiterte dieser Versuch, den Giftwaffeneinsatz einzuschränken.

Das Genfer Protokoll (1925)

Unterschrieben und ratifiziert wurde dagegen das sogenannte Genfer Gaskriegsprotokoll, dessen Unterzeichnung am 17. Juni 1925 auf amerikanische Initiative hin erfolgte. Das Deutsche Reich beteiligte sich ebenso wie Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien, um nur einige Staaten zu nennen.

Auszugsweise seien hier einige Stellen des Vertrages zitiert: „Die Hohen vertragsschließenden Parteien erkennen, soweit sie nicht schon Verträge geschlossen haben, die diese Verwendung untersagen, dieses Verbot an. Sie sind einverstanden, daß dieses Verbot auch auf die bakteriologischen Kampfmittel ausgedehnt wird, und kommen überein, sich untereinander an die Bestimmungen dieser Erklärung gebunden zu betrachten.“ 6

Ziel des Genfer Protokolls war es zudem, möglichst viele Staaten von der Notwendigkeit des Unterzeichnens zu überzeugen, was ihnen bis heute auch gelang.7

Erstmals wurden hier auch die B-Waffen in das Verbot mit einbezogen. B-Waffen teilen sich in biologische und bakteriologische Waffen auf. Biologische Stoffe werden zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt und sind daher auch weitgehend erlaubt.

Das Genfer Gaskriegsprotokoll hatte aber wiederum den Nachteil, daß es die Herstellung entsprechender Stoffe nicht verbot, lediglich deren Ersteinsatz ächtete. Eine »defensive Vorbereitung« blieb also weiterhin möglich.

Erst durch die Abkopplung von den C-Waffen konnten die Staaten am 16. Dezember 1971 eine Übereinstimmung über ein Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen (sowie deren Vernichtung) erzielen.

Die Geheimrüstung in der Weimarer Republik (1919 – 1933)

In einem Schreiben vom 6. Dezember 1926 an den Reichswehrminister Geßler sprachen die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Hermann Müller-Franken und Otto Wels bedenkliche Aktionen der Reichswehr an: Die »Gefu« (Gesellschaft zur Förderung gewerblicher Unternehmungen m.b.H.8) habe „der chemischen Fabrik Dr. Hugo Stoltzenberg (…) den Auftrag gegeben, in Trozk, Gouvernement Samara (Rußland) eine Fabrik zur Erzeugung von Kriegsgiftgasen einzurichten. Diese Einrichtung erfolgte in den Jahren 1923 bis 1926. Die Fabrik gliedert sich in folgende Abteilungen: Chlorerzeugung, CO-Erzeugung, Phosgen-Erzeugung und Lost-Erzeugung.“ 9

Diese bedenklichen Betätigungen der Reichswehr reichten bis in das Jahr 1919 zurück. Allgemeine Empörung über die strengen Bestimmungen des Versailler Vertrages, vor allem über das Diktat der einseitigen Abrüstung, die »Verlockungen« der »neuen Waffe« und schließlich der Einzug der Franzosen in das Ruhrgebiet (1923) bekräftigten die unzufriedenen Kreise im Deutschen Reich darin, daß man das Hintergehen der Vorschriften als legitime Notwehr ansehen könnte. Da die Siegermächte nicht zur eigenen chemischen Abrüstung bereit waren, spukte die eigene Machtlosigkeit bei einem feindlichem Angriff um so heftiger in den Köpfen des Militärs herum. Die daraus gezogene Rechtfertigung, sich schützen zu dürfen, beinhaltete bald die Legitimation, dies auch mit eigenen Waffen zu tun. Die Militärs strebten daher nach einer engeren Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. Durch die Fortentwicklung der chemischen Waffe erhoffte sich die Reichswehr zudem, den Mangel an konventioneller Rüstung ausgleichen zu können.

Durch taktisches Geschick gelang es, beachtliche Bestände aus dem Ersten Weltkrieg zu retten. In Breloh bei Munster, wo die Restbestände von fertigen und halbfertigen Gaskampfstoffen unter Aufsicht der Alliierten zusammengetragen wurden, kam es am 24. Oktober 1919 zu einer folgenreichen Explosion in einer der drei Breloher Fabriken. In den darauffolgenden Jahren mußten Aufräumarbeiten angeordnet werden, von denen man die alliierten Kontrollkommissionen mit dem Hinweis auf den hohen Zerstörungsgrad und den Gefahren vor Ort gezielt fernzuhalten verstand.

Langjähriger Leiter der Aufräumungsarbeiten in Breloh war Dr. Hugo Stoltzenberg, der in den folgenden Jahren darum bemüht war, mit der bereitwilligen Unterstützung der militärischen Stellen einen erneuten Aufbau einer fabrikatorischen Basis für Gaskampfstoffe zu erreichen. Dieser Neuaufbau wurde notwendig, da der ehemalige Produzent, der IG-Farben-Konzern, unter internationaler Kontrolle stand und die alten Anlagen hauptsächlich im entmilitarisierten Rheinland angesiedelt waren.

Während die Bemühungen der US-Regierung 1925 zur Unterzeichnung des Genfer Gaskriegsprotokolls führten, zwang die reale Politik dem Ganzen groteske Züge ab: In Marokko tobte der erste aero-chemische Krieg der Spanier gegen die Rif-Kabylen.10 Seit 1921 nahmen dort die Aufstände der Einwohner kriegerische Ausmaße an. Da die Spanier, die sich mit Frankreich das Protektorat teilten, gegen die engagierte Kampfkraft der Aufständischen kaum über wirksame Mittel verfügten, griffen sie schon bald mit der »neuen Wunderwaffe« an. Zunächst ließen sie sich »harmlosere« Kampfstoffe wie Tränengas und Nasenreizstoffe aus Frankreich liefern, doch hatte Frankreich bei der Produktion vom weitaus stärker wirkendem Lost erhebliche Probleme. Daher war Spanien auf der Suche nach einem neuen Handelspartner und fand diesen sehr bereitwillig im Deutschen Reich. Stoltzenbergs Fabrik wurde am 10. Juni 1922 dazu verpflichtet, in Spanien eine Fabrik zu bauen, die täglich mindestens eine Tonne Lost, 1,5 Tonnen Phosgen und 1,25 Tonnen Dick produzieren sollte. Bis die Fabrik fertiggestellt war, überbrückte Stoltzenberg den Giftgasbedarf durch umfangreiche Lieferungen aus eigener Herstellung.

Als weiteren ausländischen Partner fand die Reichswehr die sowjetische Regierung. Da eine Kampfstoffproduktion im Reich stets die Gefahr beinhaltete, daß die alliierten Kontrollkommissionen davon Wind bekämen, gleichzeitig auch ein erneuter Vorstoß nach Mitteldeutschland spätestens seit der Ruhrbesetzung nicht mehr auszuschließen war, versuchte man die deutsche Kampfstofferprobung und -herstellung den Eingriffsmöglichkeiten der Entente zu entziehen. Die Russen waren der ideale Partner, da sie nur über ein geringes technisches »Know-how« in der Waffentechnik verfügten, dafür aber genügend Naturschätze besaßen. Hier konnte man sich hervorragend ergänzen, besaß man in Deutschland schließlich ausreichend viele Wissenschaftler und technische Geräte. Allein durch diese Aktivitäten wäre die Reichswehr im Kriegsfalle in der Lage gewesen, ihren legalen Bestand konventioneller Artilleriemunition um mehr als das Doppelte mit Giftgasgranaten aus russischer Fabrikation vermehren zu können.

Trotz vieler Schwierigkeiten, die an dieser Stelle nicht näher erläutern werden können, blieb diese »Beziehung« mit Rußland bis ins Jahr 1933 bestehen; erst Hitler kündigte aus politisch-ideologischen Beweggründen die russisch-deutsche Zusammenarbeit.

Diese lange Zusammenarbeit ist deshalb interessant, da Stoltzenbergs Aktivitäten in Rußland 1926 in einer großangelegten Pressekampagne bloßgelegt wurden, was sogar den Sturz der Regierung Marx mitauslöste. Die Reichswehr trennte sich zwar von Stoltzenberg, setzte aber in enger Kooperation mit der Großchemie ihre Aktivitäten in Rußland fort.

Anfang der 30er Jahre erschien eine große Anzahl von Texten und Materialien im Deutschen Reich, die den Gaskrieg vermehrt in das Bewußtsein der Bevölkerung bringen sollte. Eines der wesentlichen Ziele war es, die Bevölkerung über einen potentiell bevorstehenden Gaskrieg zu informieren und entsprechende Rettungsmaßnahmen vorzubereiten (z.B. Ausbildung von Sanitätern etc.). Dabei wurde dem Bürger das Bild eines völlig wehrlosen Deutschland vermittelt, welches ohne Gasschutz kaum einen feindlichen Angriff mit Kampfstoffen überstehen könne. Dadurch erreichte man taktisch geschickt eine allgemeine Besorgnis und daraus folgend das Einverständnis der Menschen, sich verstärkt um Schutzmöglichkeiten zu bemühen. Im Zuge des staatlich geförderten Ausbaus des Luftschutzes, der nach dem Luftfahrtsabkommen vom 24.5.1926 auch den Deutschen erlaubt war, wurde zu diesem Zweck die »Deutsche Luftschutzliga e.V.« gegründet.

Der erfolglose Kampf der Gaskriegsgegner

Ich sah im Traum von Militär-
flugzeugen ein dichtes Gewimmel.
Sie stiegen auf, mehr, mehr, immer mehr.
Sie verfinsterten Sonne und Himmel.
Sie führten mit sich, in meinem Traum,
Giftbomben und ähnlichen Segen.
Mit denen wollten im feindlichen Raum
Sie eine Großstadt belegen.
Sie ordneten sich, die todbringende Schar,
In schwierigstem Wenden und Drehen.
Der Giftangriff sollte offenbar
In kunstvollster Form geschehen.
Und sieh, als endlich die ganze Wehr
Aufstieg zur Abendröte.
Erschien, gebildet aus Militär-
flugzeugen, am Himmel Goethe.

Dieses Gedicht »Deutschland 1932« von Lion Feuchtwanger, das einen Gasangriff aus der Luft auf eine Großstadt behandelt, erschien 1932 in der Zeitschrift »Die Weltbühne«. Es spiegelt die Angst vor einem neuen Zukunftskrieg wieder, einem Zukunftskrieg, der vorwiegend aus Gasangriffen aus Flugzeugen auf die Zivilbevölkerung bestehen sollte. Diese Vorstellung bewegte den »Mann auf der Straße« auf das heftigste, schließlich waren den meisten Menschen noch die Schrecken des Ersten Weltkrieges präsent.

Noch unter den direkten Erfahrungen aus den Kriegsjahren erklärte der Völkerbund 1920, daß die Anwendung von Kampfgasen der Haager Landkriegsordnung und damit auch dem Völkerrecht widerspreche. Eifrig wurde daher geprüft, ob ein Appell an die Wissenschaftler aller Länder, ihre Forschungen über giftige Gase und ähnliche Fragen zu veröffentlichen, um die Möglichkeiten des Gebrauchs solcher Waffen in einem zukünftigen Krieg zu vermindern, Erfolg versprechen würde.

Bereits 1922 kam man wieder davon ab und errichtete statt dessen einen Spezialausschuß, der sich über die möglichen Folgen eines Einsatzes chemischer Waffen informieren sollte.

Dessen Bericht wurde Gegenstand der Debatten in der Versammlung des Jahres 1924. „Die Versammlung forderte den Rat auf, für eine möglichst große Verbreitung und Publizität dieses Berichtes zu sorgen. Der Rat hat sich jedoch weiterer Maßnahmen zu dieser Frage enthalten, weil er der Auffassung war, daß die feierliche Resolution der Versammlung schon Publizität genug bedeute.“ 11

Nach 1924 wurde dieses Problem nicht mehr oder nur am Rande auf den offiziellen Sitzungen des Völkerbundes behandelt.

Erst in den 30er Jahren wurde er anläßlich einiger Verletzungen der Verbote wieder damit konfrontiert, z.B. während des japanisch-chinesischen Krieges (1932-1938). Auch Italien wendete während seines Krieges gegen Äthiopien Giftwaffen an (1936).

Seit dem Weltkrieg richteten sich dagegen viele Organisationen gegen die chemischen Waffen. Das Internationale Rote Kreuz appellierte schon während des Krieges an die kriegführenden Parteien und später an den Völkerbund, den Einsatz von erstickenden Gasen zu verbieten.

Am 10. bis 15. Dezember 1922 fand in Haag ein Weltfriedenskongreß statt, der gemeinsam vom Internationalen Gewerkschaftsbund und einigen pazifistischen Gruppen organisiert wurde und in dessem Verlauf der Beschluß gefaßt wurde, daß man alles tun müsse, um die Fabrikation und den Transport von Kriegspotential zu verhindern. Edo Flimmen, der damalige Sekretär der Amsterdamer Internationale, erklärt später: „Die Mobilmachung gegen einen Krieg muß mit derselben Präzision organisiert werden können wie die Mobilmachung, die 1914 die Länder in Heerlager verwandelte. (…) Wenn die Regierungen mit Krieg drohen, müssen die Arbeiter die chemischen Fabriken, in denen die tödlichen modernen Waffen hergestellt werden, verlassen; die Eisenbahner müssen den Transport der Truppen verweigern, die Bergleute keine Kohlen für die Rüstungsindustrie liefern. Die Führer in jedem Lande müssen sich über die konkreten Maßnahmen Klarheit verschaffen, die im Falle eines drohenden Krieges zu ergreifen sind, sie müssen verstehen, daß die Träger des Widerstandes gegen den Krieg nicht die Parlamente sein können, sondern die organisierte Masse selbst. (…)“ 12

Die Widerstandsorganisationen forderten also eine öffentliche Kontrolle der Rüstungsindustrie. Wenngleich diese Ideen Illusionen waren, da die Arbeiter unter einem zu großen Druck standen, um einen derartigen Generalstreik durchzuführen, und die breite Masse der hochqualifizierten Wissenschaftler und Ingenieure kaum für die Friedensbewegung zu gewinnen waren, wenngleich diese Forderungen also kaum durchführbar waren, so wurden hier erstmals die Kampfmittel der Arbeiterschaft, die Arbeitsverweigerung und der Generalstreik, in die Überlegungen der Friedensbewegung einbezogen.

Ein Beispiel für besonderes Engagement auf Seiten der Giftgasgegner war Gertrud Woker13, eine Schweizer Chemikerin, die dazu überging, zahlreiche eindrucksvolle Initiativen zur systematischen Aufklärung über die Gefahren von chemischen Kriegswaffen ins Leben zu rufen. In vielen Aufsätzen, mit Flugzetteln, Büchern und Vorträgen trat sie den allzu durchsichtigen Argumenten der Giftgaspropagandisten entgegen und bewies mit Hilfe ihrer fachlichen Kompetenz, daß Gasverletzungen nicht so harmlos seien, wie oft behauptet, sondern im Gegenteil recht qualvoll.

Ihr Ziel beschrieb sie einmal selbst folgendermaßen: „Ein kleines Buch – Onkel Toms Hütte – hat einmal Tausenden von Negersklaven die Freiheit gegeben. Warum sollte es nicht auch möglich sein, die Sklaven des Militarismus zu befreien durch weiter nichts als der Darstellung von Tatsachen – ganz alltägliche Tatsachen aus der modernen Kriegsführung.“ 14

Gertrud Woker war Mitvorsitzende des schweizer Zweiges der »Internationalen Frauenliga für Forschung und Freiheit«, einer Initiative, welche international zu einer systematischen Aufklärung über die Gefahren der chemischen Kriegswaffen beitragen wollte.

Als die Reichsregierung15 zusammen mit dem »Reichsverband Deutscher Industrieller« 1926 die »Deutsche Luftschutzliga e.V.« gründete, bildete sich als deren Gegenpol die pazifistisch ausgerichtete Anti-Gaskriegsbewegung. Sie glaubte an keine Schutzmöglichkeiten in einem zukünftigen Krieg und kämpfte daher für eine Abrüstung und ein generelles Verbot von Kriegen. Das Desinteresse in der Bevölkerung aber wuchs immer mehr, je weiter die schrecklichen Erlebnisse des Weltkrieges zurücklagen. Die Friedensbewegungen erreichten nur einen Teil der Bevölkerung und hatten kaum Rückhalt in ihr.

Hinzu kam, daß ihre Argumente oft wirklichkeitsfremd waren. Es war kaum möglich, Chemiker und Ingenieure für die Friedensbewegung zu gewinnen. Die ausführenden Arbeiter ihrerseits standen unter einem zu großen Druck, als daß sie gegen ihre Vorgesetzten Stellung beziehen konnten. Kritiklos übernahm man Kriegsbilder von den Gaskriegsbefürwortern, wie zum Beispiel die Theorie, daß in zukünftigen Konflikten die großen Massenheere aufgelöst würden.16 Zwischen den einzelnen Organisationen mangelte es an ausreichender Koordination und somit an Effektivität. Selbst große Kongresse konnten keine bleibenden Erfolge verbuchen.

Die offizielle Propaganda hatte zudem den Vorteil, über größere finanzielle Mittel verfügen zu können, was nicht gerade unerheblich zu deren Erfolg beitrug.

Außerdem brachte die Panikmache der Friedensbewegung ein weiteres Problem mit sich: das allzu extreme Schildern grauenhafter Giftgasangriffe und sonstiger Kriegsbilder konnte die Bevölkerung dermaßen verunsichern, daß sie erst recht der schutzanbietenden »Luftschutzliga« in die Arme flüchteten. Somit spielte die Friedensbewegung dem Militär sogar ungewollt die Trümpfe zu.

Schluss

Spanien, die Sowjetunion, Italien, Jugoslawien, Japan, China, die Türkei, Rumänien, Schweden, Brasilien … – die Liste der Staaten, die allein von Deutschland nach 1923 mit chemischen Kampfstoffen beliefert wurden, ließe sich noch unschwer fortsetzen. All dies geschah selbstverständlich »geheim« und trotz alliierter Kontrolle. Waren die Auflagen gegenüber dem Deutschen Reich nicht umfassend genug oder zeigten die Siegermächte sich tolerant gegen die Verstöße? Bestraft wurde das Deutsche Reich nicht, obwohl die Aktivitäten auf verbotenem Gebiet spätestens 1923 und 1926 durch Enthüllungen und Skandale, welche in den Medien verbreitet wurden, an die Öffentlichkeit drangen.

War England als Vertreter der »Balance-of-Power-Politik« in Sorge, daß Frankreich nach der Ruhrbesetzung weiter seine Macht ausbauen könnte? Tolerierte es die Tätigkeiten der Reichswehr, damit Deutschland nicht von seinem Nachbarn »zerdrückt« würde und eine Verschiebung des internationalen Kräftegleichgewichtes entstünde?

Da Frankreich sich mit Spanien das Protektorat in Marokko teilte, liegt es nahe, daß es über die deutschen Giftgaslieferungen informiert war. Nach den Locarner Verträgen herrschte jedoch eine Entspannungsphase zwischen Frankreich und seinem östlichen Nachbarn. Man fing an, das Deutsche Reich zumindest zu akzeptieren und genoß die Aussöhnung mit dem ehemaligen Erzfeind. Wollte man daher einen erneuten Bruch mit Deutschland vermeiden, indem man schwieg?

Ein Problem war sicherlich, daß man, im eigenen Land selbst Kampfstoffe produzierend, den Deutschen gestatten mußte, Schutzmaßnahmen gegen Gaswaffen durchzuführen, was im Pariser Luftfahrtsabkommen 1926 auch geschah. Wenn man sich schützen möchte, muß man jedoch wissen, welche Gefahr drohen könnte. Daraus folgt, daß eine Forschung nach Kampfstoffen durchgeführt werden muß. Von dieser Überlegung aus fehlt nur ein kleiner Schritt, um als mögliches Abwehrmittel die Abschreckung durch genügend Angriffspotential anzusehen – ein verzwickter Teufelskreis, der die Grenze zwischen Schutz und Angriff verschwimmen läßt.

Die Frage nach dem WARUM muß jedoch auch nach innen gelenkt werden, denn auch die deutschen Politiker zogen kaum Konsequenzen aus den Enthüllungen und Skandalen. Es folgte keine verstärkte Kontrolle über die Reichswehr, man fühlte eher mit dem eigenen Militär als mit Staaten, die selber aufrüsteten. Die deutschen Politiker, über die Bestimmungen des Versailler Vertrages nicht gerade glücklich, strebten zum großen Teil nach einer Gleichberechtigung mit den anderen Staaten.

Die Anti-Gaskriegsbewegung kämpfte unerbittlich gegen die Gefahr eines Gaskrieges, jedoch wenig effektiv. Das Militär verstand es sogar, deren Horrorbilder und Schreckensszenarien sich zunutze zu machen.

Die Gaswaffe schien in den Köpfen der Menschen weithin akzeptiert zu sein. Zu große Möglichkeiten boten sich durch deren Besitz. Es fiel den Militärs sehr schwer, eine bereits vorhandene Waffe wieder verschwinden zu lassen.

Gegen die starke Lobby der für die Wirtschaft eines Landes notwendigen Industrie und der Militärs, welche die Gaswaffen für strategisch bedeutsam erklärten, konnten sich die Gegner kaum durchsetzen.

Ein Beispiel bildet die USA: Dort sprachen sich alle Präsidenten, von Wilson, Harding, über Hoover bis Roosevelt gegen die Vorbereitungen auf einen eventuellen Gaskrieg aus. Die Kritik und der Druck der Befürworter wuchs aber dermaßen (schon 1922 bei der Washingtoner Konferenz), daß die Präsidenten und der Senat dem nicht standhielten. So ratifizierte man das Genfer Gaskriegsprotokoll nicht und gestand den Gaswaffenbefürwortern zu, zumindest für die »defensive« Rüstung produzieren zu dürfen.

Ein erneuter Versuch wurde am 13. Januar 1993 durch die Unterzeichnung einer internationalen Giftwaffen-Konvention in Den Haag unternommen. Jedoch muß sich die Wirksamkeit der »Organisation für das Verbot chemischer Waffen« erst noch erweisen. Allein die Ratifizierung des Vertrages, an dem sich 159 Staaten beteiligten (nicht aber der Irak!), erweist sich als schwierig. Chemische Offensivwaffen dürfen nicht produziert werden, eine »defensive« Forschung bleibt aber erlaubt. Als Problem stellt sich auch die Tatsache dar, daß viele Substanzen sowohl für den militärischen Gebrauch als auch für zivile Gebrauchsgüter notwendig sind. Die umfangreichen Kontrollen lassen hoffen, jedoch wird uns erst die Zeit zeigen können, inwieweit sie effektiv genug sind.

Literatur

AKTEN der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Kab. Marx III. und IV.

Bothe, Michael, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen. Köln/Bonn 1973.

Brauch, Hans Günter, Der chemische Alptraum oder gibt es einen C-Waffen-Krieg in Europa. Berlin/Bonn 1982.

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Delbrück, Jost (Hrsg.), Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten. Abrüstung. Kriegsverhütung. Rüstungskontrolle. 2. Bd., Kehl, Straßburg, Arlington 1984.

Feuchtwanger, Lion, Deutschland 1932, in: Die Weltbühne, 1932, S. 960.

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Haber, Fritz, Aus Leben und Beruf. Aufsätze. Reden. Vorträge. Berlin 1927.

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Kunz, Rudibert, Müller, Rolf-Dieter, Giftgas gegen Abd el Krim. Deutschland, Spanien und der Gaskrieg in Spanisch-Marokko 1922-1927. Freiburg 1990.

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Woker, Gertrud, Der kommende Giftgaskrieg (= Kultur- und Zeitfragen. Eine Schriftenreihe herausgegeben von Louis Satow. Heft 18). Im Auftrage der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Leipzig 1925.

Anmerkungen

1) Die Übersetzung des französischen Textes findet sich auszugsweise bei: Hans-Joachim Schütz, Beschränkung von B- und C-Waffen und anderen Massenvernichtungsmitteln, in: Jost Delbrück (Hrsg.), Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten. Abrüstung, Kriegsverhütung, Rüstungskontrolle. 2. Bd., Kehl, Straßburg, Arlington 1984, S. 845. Zurück

2) Zitiert nach Fritz Haber, Zur Geschichte des Gaskrieges. Vortrag, gehalten vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Deutschen Reichstages am 1. Oktober 1923, in: Fritz Haber, Fünf Vorträge aus den Jahren 1920-1923, Berlin 1924, S. 81. Zurück

3) Vgl. Berthold von Deimling, Aus der alten in die neue Zeit. Berlin 1930, S. 201, in: Hans Günter Brauch, Rolf Dieter Müller, Chemische Kriegsführung – Chemische Abrüstung. Dokumente und Kommentare. Berlin 1985, S. 84. General der Infanterie Bertold von Deimling (1853-1944) wurde später zu einem entschiedenen Gegner des Krieges und Repräsentanten der pazifistischen Bewegung in der Weimarer Republik. Zurück

4) Zitiert nach: Rudibert Kunz, Rolf-Dieter Müller, Giftgas gegen Abd el Krim. Deutschland, Spanien und der Gaskrieg in Spanisch-Marokko 1922-1927. Freiburg 1990. Zurück

5) Vgl. zu diesem Kapitel auch: Hans-Joachim Schütz, Beschränkung von B- und C-Waffen und anderen Massenvernichtungsmitteln, in: Jost Delbrück (Hrsg.), Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten. Abrüstung, Kriegsverhütung. Rüstungskontrolle. 2. Bd., S. 829-844. Zurück

6) Zitiert nach: Jost Delbrück (s. vorhergehende Anm.), S. 845 f. Zurück

7) Hans-Joachim Schütz zählt allein bis 1984 110 Staaten auf (Hans-Joachim Schütz, Beschränkung, S. 849f.). Zurück

8) Ihre Betätigung bestand in der Einrichtung von „Rüstungsindustrie in Rußland, indem deutsche Firmen dieser Branche zur Einrichtung derartiger Unternehmungen in Rußland veranlaßt“ wurden. Zurück

9) Vgl. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. KAB. Marx III und IV Dok. Nr. 138. Zurück

10) Vgl. Rudibert Kunz und Rolf-Dieter Müller, Giftgas gegen Abd el Krim. Deutschland, Spanien und der Gaskrieg in Spanisch-Marokko 1922-1927, Freiburg 1990. Zurück

11) Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des …, S. 96. Zurück

12) zitiert nach: Resolution – und nicht mehr? in: Die Weltbühne, 1. Hj., 1927, S. 931 f. Zurück

13) Vgl. Elga Kern (Hrsg.), Führende Frauen Europas, S. 138-169. Zurück

14) Ebda. S. 168. Zurück

15) Reichswehr und Innenministerium Zurück

16) Vgl. hierzu Riesenberger, Der Kampf gegen…, S. 268f. Zurück

Hartmut Stiller studiert Geschichte und Germanistik in Freiburg.

Biologische Waffen

Biologische Waffen

Die vergessene Gefahr

von Jo Angerer

Eine Szene wie aus einem Agentenfilm: Zwei britische Geheimdienstler betreten eine enge Stahlkammer. Es ist dunkel. Ein Feuerzeug flammt auf, die beiden Männer betrachten die Stahlwände, die Ausrüstungsgegenstände. „Machen Sie das aus und geben sie es mir“, herrscht der Begleiter, ein Beamter des russischen Außenministeriums, die beiden Männer an. „Sie haben zugestimmt: Keinerlei elektronische Gerätschaften!“.

Kein Filmdrehbuch, die Recherche, die die Zeitschrift NEWSWEEK veröffentlicht hat1, ist nachprüfbar. Der Besuch in einem geheimen B-Waffen-Forschungszentrum 60 Meilen südlich von Moskau bestätigte, was britische und US-amerikanische Geheimdienste schon seit langem vermutet hatten: Die ehemalige Sowjetunion arbeitete im Geheimen an der Herstellung biologischer Waffen. Die Stahlkammer, die die beiden Briten im Januar 1991 besuchten, diente als Testkammer für Viren und Bakterien. Die Recherchen der NEWSWEEK-Reporter werfen – wieder einmal – Schlaglichter auf die fast »vergessenen« biologischen Massenvernichtungsmittel, deren Einsatz, Lagerung, Herstellung und Entwicklung eigentlich bereits seit 1972 international geächtet ist. Die Gefahr der Proliferation dieser Waffen ist – anders als bei Atom- oder Chemiewaffen – kaum in der öffentlichen Diskussion. Und doch sind die B-Waffenprogramme nicht nur der Supermächte im vollen Gange, freilich vielfach als »Schutzforschung« getarnt.

Biologische Waffen sind Krankheitserreger, also Bakterien oder Viren, sowie von speziellen Pilzen ausgeschiedene Giftstoffe, sogenannte Toxine. Andere Gifte, die nicht lebendig sind oder von Lebewesen hergestellt werden, bezeichnet man als chemische Waffen. Die Grenzen zwischen chemischen und biologischen Waffen sind fließend. Seit Mitte der 80er Jahre wird das Spektrum dieser Waffen zusammengefaßt als CBW-Spektrum bezeichnet.2 Auf der einen Seite dieses Spektrums stehen die herkömmlichen Chemiewaffen, also etwa Nervengase oder LOST; in der Mitte die Toxine, also Giftstoffe, produziert von lebenden Organismen; auf der anderen Seite im CBW-Spektrum stehen Bakterien und Viren, also die klassischen B-Waffen.

Der entscheidende Unterschied für die Militärs: Chemiewaffen müssen industriell hergestellt und in Munition abgefüllt werden. Geheimhalten läßt sich diese Produktion nicht. Biologische Waffen, Lebewesen, die sich selbst vermehren, kann man dagegen in geringen Mengen aufbewahren. Bei Bedarf lassen sich die Viren oder Bakterien ohne großen Aufwand im Labor beliebig vermehren und verdeckt durch ins gegnerische Hinterland infiltrierte Sabotage-Trupps ausbringen.

New York, irgendwann im Jahr 1966

Aus einem fahrenden U-Bahnzug im Süden von Manhattan wirft ein Mann eine Glühbirne aus dem Fenster. Auf den Schienen zerspringt das Glas. Nicht etwa Vandalismus sondern ein offizielles Experiment des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Weder die New Yorker Stadtverwaltung noch die Polizei weiß von diesem Versuch. Die Glühbirne ist mit angeblich harmlosen Bakterien gefüllt, die vom Luftzug des fahrenden Zuges im U-Bahnschacht verwirbelt werden. Später nehmen Meßtrupps Luftproben. Fast überall in Manhattan kann man die Bakterien nachweisen.

Der New Yorker Versuch ist ein Beispiel für die Möglichkeit der biologischen Kriegführung. Er beweist: B-Waffen können unbemerkt verbreitet werden. Vor allem in den USA hat die Erforschung neuartiger B-Waffen durch gentechnologische Methoden seit den 80er-Jahren an Bedeutung gewonnen.

Diese neuartigen Waffen sind schrecklich. Herkömmliche Krankheitserreger werden in militärischen Gentechnik-Labors in ihre Bestandteile zerlegt und neu kombiniert. Biogifte, also tödliche Pilz-, Schlangen- oder Skorpiongifte, werden mit harmlosen Viren verbunden. Beispiele aus der B-Waffen-Forschung: Sogenannte »ethischen Waffen« sind gentechnologisch so konstruiert, daß nur gewisse Bevölkerungsgruppen davon betroffen werden. So kann man beispielsweise mikroskopisch kleine Pilze entwickeln, die sich nur auf ganz bestimmten Hirsesorten ansiedeln und dort ein tödliches Gift ausscheiden. Beim Einsatz dieser B-Waffe etwa in der Dritten Welt würden diejenigen Menschen sterben, die sich überwiegend von dieser Hirseart ernähren. Andere Bevölkerungsgruppen würden überleben. Es gab Versuche, Schnupfenviren mit Genen von Kobraschlangen-Gift zu kombinieren – die bislang nur unangenehme Krankheit verliefe dann tödlich. Selbst Waffen, die bei Nacht töten und bei Tag ungefährlich sind, lassen sich gentechnologisch herstellen: Kombiniert wird ein Virus mit dem Gen eines hochgiftigen Toxins. Die Eiweiß-Hülle des Virus wird dann gentechnologisch gleichsam durchlöchert, so daß der Krankheitserreger für UV-Strahlung extrem empfindlich wird. Nachts ist das eine tödliche Waffe, wenn die Sonne aufgeht wird das Virus zerstört – die Waffe ist verschwunden, nicht mehr nachweisbar. Das Stück Erbsubstanz, das dies bewirkt, hat in Wissenschaftskreisen einen Namen. Es heißt »Selbstmordgen«.

B-Waffenforschung in den USA

Das Budget der B-Waffenforschung in den USA stieg seit 1980 um etwa 550 Prozent auf 90 Millionen Dollar für das Jahr 1986. 1988 wurden immerhin noch 60 Millionen Dollar für B-Waffenforschung ausgegeben.3 Bereits 1986 finanzierte das US-Verteidigungsministerium über 70 gentechnologische Forschungsprojekte.

B-Waffenforschung – so die offizielle Begründung des Pentagon – diene ausschließlich defensiven Zwecken. Zitat aus einer 1988 vom Pentagon in Auftrag gegebenen Umweltverträglichkeitsstudie: „Der Zweck des B-Waffen-Schutzprogrammes ist es, eine starke nationale Verteidigungsposition bezüglich möglicher B-Waffen-Bedrohungen aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln.“ 4 Drei Einrichtungen der US-Army sind zuständig für B-Waffenforschung:

  • das US Army Medical Research Institute od Infectious Diseases (USAMRIID) in Fort Detrick, Maryland (Fort Detrick ist vor dem offiziellen Herstellungsstop für B-Waffen 1969 das wichtigste Forschungszentrum für B-Waffen in den USA gewesen),
  • das US Army Chemical Research, Development and Engineering Center (DRDEC) auf dem US Army Aberdeen Proving Ground, gleichfalls in Maryland, und
  • der Baker Laboratoriumskomplex auf dem US Army Dugway Proving Ground bei Salt Lake City. Hier befindet sich die Erprobungsstelle des US B-Waffen“schutz“programmes.

B-Waffenforschung ist hochgefährlich. Immer wieder kam und kommt es zu Laborunfällen. Das Virus hat den exotischen Namen »Chikungunya«. Im September 1981 verschwanden aus einem US-Militärlabor 2,352 Milliliter einer Lösung, die die Viren in hoher Konzentration enthält. Eine an sich kleine Menge, doch sie reicht theoretisch aus, die ganze Menschheit mehrfach mit tropischem Fieber anzustecken. Bis heute ist das Verschwinden des Krankheitserregers nicht aufgeklärt.

Jüngstes Beispiel des amerikanischen Engagements in Sachen biologischer Waffen: Die Zusammenarbeit zwischen den USA und Ägypten »im Randbereich der B-Waffenforschung«, so ein Bericht des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR.5 Ägyptische Wissenschaftszentren arbeiten, so der Bericht, gemeinsam mit zivilen und militärischen US-Labors an der Erforschung hochpathogener Mikroorganismen. Die US-Marine unterhält in Ägypten ein wehrmedizinisches Labor, in dem Experten an der Perfektionierung von Schutzmitteln gegen Infektionskrankheiten arbeiten. Dieses Institut gilt als „eines der führenden medizinisch-biologischen Zentren im Nahen Osten“, so der SWR.

B-Waffenforschung in der ehemaligen UdSSR

Nicht nur die USA waren – und sind es vermutlich noch – führend in Sachen biologischer Waffen. Auch in der UdSSR gab es ausgedehnte Forschungs- und Herstellungsprogramme.

Swerdlowsk, der »Militärposten Nummer 19«, das heutige Jekaterinburg im Ural. 1979 ereignete sich hier eine Milzbrandepidemie, die in westlichen Tageszeitungen Schlagzeilen machte. Mindestens 66 Menschen starben. Ausgelöst wird Milzbrand von Anthrax-Sporen. Anthrax zählt zu den »klassischen« B-Waffen. Die kleine schottische Insel Gruinard beispielsweise war damit verseucht. Zweieinhalb Kilometer lang, eineinhalb Kilometer breit, mit Heidekraut bewachsen wurde sie 1942 zum militärischen Testgebiet. Englische Wissenschaftler füllten 11-Kilogramm-Bomben mit Milzbrand-Sporen und ließen diese explodieren. Als »Versuchsobjekte« für den B-Waffentest dienten Schafe. Jahrzehntelang galt die die Insel als verseuchtes Gelände, konnte sie nur in Schutzausrüstung betreten werden.

Daß es sich bei der Epidemie von Swerdlowsk um einen Unfall einer B-Waffenforschungseinrichtung gehandelt hatte, das dementierte die UdSSR jahrelang. Erst jetzt, nach dem Zerfall der Sowjetunion, kommt die Wahrheit bruchstückhaft ans Tageslicht. Auf bohrende Fragen russischer Abgeordneter hin beauftragte Präsident Jelzin seinen späteren Umweltminister Alexej Jablokow mit der Klärung des Falles. Dieser verkündete im März 1992 auf einer IPPNW-Tagung in Moskau, eine Explosion sei die Ursache der Epidemie gewesen, also ein Unfall im B-Waffenforschungszentrum.6

Die genaue Struktur der ehemals sowjetischen B-Waffenforschung veröffentlichte schließlich die Zeitschrift NEWSWEEK.7 Biopreparat, so nannte sich nach den Recherchen der NEWSWEEK-Reporter das Netzwerk, durch das die wichtigsten Forschungseinrichtungen in der ehemalige UdSSR verknüpft waren. Biopreparat, 1973 (also ein Jahr nach dem B-Waffen-Vertrag) gegründet, diente als Tarnorganisation der nunmehr vertragswidrigen B-Waffenforschung. Biopreparat „war eines der bestgehütetsten Geheimnisse in der alten Sowjetunion“, so Grigory Berdennikov vom russischen Außenministerium. In mindestens 18 Forschungseinrichtungen, 6 Produktionsanlagen und einer Hauptlagerstätte in Sibirien arbeiteten über 25.000 Menschen. 30 bis 40 Prozent des Budgets kam vom Militär. Seit Mitte der 80er-Jahre wußten die US-Geheimdienste von der Existenz von Biopreparat. Beweisen konnte man nichts – bis schließlich 1989 der Mikrobiologe Wladimir Pasechnik in den Westen geflohen war. Pasechnik, der als Direktor eines Biopreparat-Institutes in Leningrad die genaue Struktur des Netzwerkes kannte, offenbarte, daß man in der Sowjetunion ab 1984 – also in der Ära von Präsident Gorbatschow – eine neue Generation supertoxischer B-Waffen erforschte und gentechnologisch herstellte. Erst im April 1992 ordnete Präsident Jelzin per Dekret das Ende dieses Forschungsprogrammes an. Ein Informant von NEWSWEEK behauptet allerdings, daß auch nach dem Jelzin-Dekret noch weiter an der Entwicklung der neuen B-Waffen gearbeitet wurde. Selbst wenn dies nicht der Wahrheit entspräche: Durch die Abwanderung ehemals hochprivilegierter Sowjetwissenschaftler etwa in Staaten der Dritten Welt bleibt die Proliferationsgefahr bestehen.

Die »Atombombe des kleinen Mannes«

B-Waffen, ohne allzu großen Aufwand vermehr- und einsatzbar, gelten neben den Chemiewaffen als »Atombomben des kleinen Mannes«. Bekannt ist, daß etwa der Irak ein eigenes B-Waffenprogramm hatte – zumindest bis zum zweiten Golfkrieg. 1987 wurde aus Deutschland die Mykotoxine HT-2 und T-2 nach Bagdhad geliefert, nach einem BND-Bericht wurden im Irak Forschungstätigkeiten auf dem Gebiet der B-Waffen durchgeführt.8 Auch war der Rabta-Drahtzieher Ishan Barbouti an der Lieferung von Mikroorganismen in den Irak beteiligt, so ein Fernsehfilm, den der WDR im Mai 1992 ausstrahlte.9

In der Zwischenzeit hat das US-Handelsministerium neue, verschärfte Regularien für den Export von Handelsgütern erlassen, die auch zur Erforschung und Herstellung von B-Waffen dienen könnten. »Dual Use«-Güter, bestimmt für den Export nach Bulgarien, China, Kuba, den Mittleren Osten, Burma, Nordkorea, Rumänien, Südafrika, GUS, Taiwan und Vietnam sowie Afghanistan, Indien, Iran und Pakistan, benötigen seit April dieses Jahres eine spezielle Ausfuhrlizenz.10

Doch wirksam verhindern läßt sich die Proliferation von B-Waffen nur durch den vollständigen Verzicht auch auf B-Waffen“schutz“forschung. Doch dagegen wehren sich die Militärs. „In einem B-Waffenschutzprogramm“, so ein US-Offizier, zitiert von Barbara Rosenberg, B-Waffen-Expertin des US-amerikanischen Committee on Responsible Genetics, „bekommt man eine Menge Informationen, und wie andere Erkenntnisse kann man auch diese zu unterschiedlichen Zwecken einsetzen.“11

Anmerkungen

1) John Barry, Planning a Plague?, Newsweek, 1.2.1993 Zurück

2) vgl. David Baker, Chemical and Biological Warfare Agents – A Fresh Approach, Jane's Intelligence Review, Januar 1993. Zurück

3) nach GeneWatch 4/5-1987, zit. in: Petra Jonas, B-Waffen“Schutz“Forschung in der Bundesrepublik, cbw-Infodienst, August 1990. Zurück

4) Draft Programmatic Enviromental Impact Statement, Biological Research Program, USAMRDC, Mai 1988. Zitiert nach: Manuel Kiper, Jürgen Streich, Biologische Waffen: Die geplanten Seuchen, Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbeck 1990 Zurück

5) nach: FOCUS 17/1993 Zurück

6) vgl. Tageszeitung, 14.4.92 Zurück

7) John Barry, a.a.O. Zurück

8) vgl.: Manuel Kiper, Jürgen Streich, Biologische Waffen, a.a.O., S. 91 Zurück

9) Jo Angerer, Leo A. Müller, Dr. B. und die Giftgas-Millionen, West 3, 26.5.1992, 20.15 Uhr Zurück

10) vgl. BNA Internatioanl Trade Daily, 27.4.1993 Zurück

11) in: Science, 226 (1984), S. 1178, zitiert in: Manuel Kiper, Jürgen Streich, Biologische Waffen, a.a.O. Zurück

Jo Angerer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Friedenspolitik, Weilheim.

CBW-Chronologie 1992

CBW-Chronologie 1992

von Redaktion

Die folgende Chronologie beruht auf der »Rolling Chronology« der »Sussex-Harvard Information Bank«, die von Dr. Julian P. Perry Robinson (Universität Sussex) erstellt wird sowie auf Recherche- und Archivarbeit des »Informationsdienstes zur Abrüstung chemischer und biologischer Waffen«, Berlin.

9. Januar 1992

Der russische Delegationsleiter bei den Genfer CW-Verhandlungen Batsanov erklärt, daß sich sämtliche chemische Waffen und CW-Produktionsanlagen der ehemaligen Sowjetunion auf dem Territorium Rußlands befänden. Rußland sei allerdings nicht in der Lage, für eine sichere Vernichtung der chemischen Waffen zu sorgen und sei deshalb auf technische und finanzielle Hilfe der USA angewiesen. (FR, 10.1.92)

22. Januar 1992

Der Direktor des US-Geheimdienstes CIA, Robert Gates, erklärt in einer Anhörung des Senats, daß die meisten größeren Staaten des Nahen Ostens über Entwicklungsprogramme chemischer Waffen verfügten. Einige dieser – namentlich nicht genannten – Staaten besäßen bereits chemische Waffen.

23. Januar 1992

Der Deutsche Bundestag verabschiedet mit den Stimmen der Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP eine Novelle zum Außenwirtschaftsgesetz. Danach können illegale Rüstungsexporte mit Gefängnis bis zu fünf Jahren und dem Einzug der Gewinne aus solchen Geschäften bestraft werden. Das Zollkriminalinstitut kann künftig Telefone und Briefverkehr von verdächtigen Firmen und Personen überwachen. Außerdem wird für den 1. April 1992 die Einrichtung eines Bundesausfuhramtes für die Exportkontrolle beschlossen, das aus dem bisherigen Bundesamt für Wirtschaft hervorgeht. Die Anzahl der dort Beschäftigten wird sich von 337 auf 430 erhöhen. Mit diesen Maßnahmen soll der Export sog. Dual-use-Güter besser kontrolliert werden können. (FAZ, 24.1.92)

29. Januar 1992

Die ARD-Tagesthemen berichten, daß die DDR bis 1965 in großem Maßstab Giftgas aus dem Zweiten Weltkrieg unweit der dänischen Insel Bornholm versenkte.

13. Februar 1992

Der Leiter des russischen Atomwaffenprogramms, Viktor Michailow, sagt gegenüber der schwedischen Zeitung »Dagens Nyheter«, Rußland erwäge den Einsatz von Atomsprengsätzen zur Vernichtung von chemischen Waffen. Atomenergie sei billig und wirksam, allerdings bestünde die Gefahr von Rißbildungen im Gestein, wodurch Radioaktivität austreten könne. (FR, 14.2.92)

13. Februar 1992

Zum Abschluß einer zehntägigen Inspektionsreise in den Irak erklärt der Leiter des UN-Teams, Matthias Jopp, daß neben Firmen aus anderen westlichen Industrienationen auch bundesdeutsche Unternehmen am Bau der Produktionsanlagen für Chemiewaffen beteiligt waren. Allerdings habe es „keinerlei Beteiligung der deutschen chemischen Industrie gegeben, wie es vielfältig immer gemeldet wird “, sondern nur von Baufirmen. (FAZ, 14.2.92)

10. Februar 1992

Nach Informationen des US-Magazins »Defense Week« wird sich der Abschluß der Vernichtung der unitären chemischen Waffen der USA um weitere drei Jahre hinauszögern. Im Zusammenhang mit dem Binärwaffenprogramm der USA war 1986 beschlossen worden, die alten Chemiewaffen (etwa 40.000 Tonnen) bis 1994 zu vernichten. Nachdem dieser Termin bereits mehrmals verschoben worden war, wird nun mit einem Abschluß der Vernichtung nicht vor dem Jahr 2000 gerechnet. Die Kosten für die Vernichtung werden mindestens 7,5 Milliarden US-Dollar betragen. (Defense Week, 10.2.92)

20. Februar 1992

Bundesaußenminister Genscher fordert vor der Genfer Abrüstungskonferenz, noch in diesem Jahr eine Konvention zum Verbot chemischer Waffen abzuschließen. (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 21.2.92)

1. März 1992

Nach Ansicht des Leiters der russischen Meeresschutzgruppe, Piotr Barabolja, gehe von den etwa 400.000 Tonnen deutscher Giftgasmunition, die nach 1945 auf Befehl der Alliierten in der Ostsee versenkt worden sind, eine „ungeheuere Gefahr “ aus. Die Giftgasgranaten seien vielfach von einst 20 Millimetern Dicke auf drei Millimeter durchgerostet. Barabolja kündigte an, daß deutsche und russische Wissenschaftler demnächst gemeinsam die Situation untersuchen würden. (FR, 2.3.92)

5. März 1992

Der schleswig-holsteinische Umweltminister Heidemann hält eine Bergung von Giftgasgranaten aus der Ostsee für kaum durchführbar. Es gebe momentan keine einzige Technik, die eine Bergung ermöglichen würde ohne Menschen zu gefährden. (FR, 6.3.92)

10. März 1992

Bundesverkehrsminister Krause will von einer Arbeitsgruppe untersuchen lassen, welche Giftgasmengen sich in der Ostsee befinden. Der Arbeitsgruppe sollen auch Experten des Bundesumweltministeriums und der Umweltministerien der Küstenländer angehören. (SZ, 11.3.92)

11. März 1992

In Brüssel beginnt eine Tagung, auf der über Aufgaben und Statut des geplanten »Internationalen Zentrums für Technik und Wissenschaft in Moskau« beraten wird, das von der Europäischen Gemeinschaft, den USA, Japan und Rußland gemeinsam finanziert werden soll. Zweck des Technologiezentrums ist es, die Abwanderung von Wissenschaftlern zu verhindern, die in der Sowjetunion an der Entwicklung und Herstellung von chemischen, biologischen und atomaren Waffen arbeiteten. Auf diese Weise soll die Weiterverbreitung dieser Waffen und der entsprechenden Trägertechnologien verhindert werden. Die Kosten für das Zentrum werden mit 100 Millionen US-Dollar veranschlagt. Bisher wurden von den USA und der EG jeweils 25 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt. Die Teilnehmer des Treffens stimmten darin überein, daß das Technologiezentrum möglichst rasch errichtet werden soll. (FAZ, 12.3.92)

13. April 1992

Das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« berichtet, daß die Inspektoren der Vereinten Nationen im Irak hauptsächlich von bundesdeutschen Firmen gebaute Anlagen entdeckt haben. Die Namen der einzelnen Firmen könnten nicht genannt werden, da die Berichte der UN-Inspektoren geheimgehalten werden. (Der Spiegel, 13.4.92)

27. April 1992

In Darmstadt beginnt ein Prozeß gegen zehn Manager und Techniker bundesdeutscher Unternehmen. Ihnen wird vorgeworfen, zwischen 1982 und 1988 durch illegale Ausfuhren von Industrieanlagen, Werkzeugen und Chemikalien in den Irak zu dessen Aufrüstung mit chemischen Waffen beigetragen zu haben. In dem Prozeß, der auf zwei Jahre angesetzt wurde, muß den Exporteuren nachgewiesen werden, daß sie von dem Verwendungszweck der gelieferten Güter gewußt hatten. Dieser Nachweis wird wegen des sog. Dual-use-Charakters der Güter nicht ohne weiteres zu erbringen sein. Erst aufgrund eines Gutachtens des schweizer Professors Richardz, der zu dem Schluß kommt, daß die gelieferten Anlagen nur für eine Kampfstoffherstellung in Frage kommen, konnte die Staatsanwaltschaft überhaupt Anklage erheben. (taz 27.4.92)

4. Mai 1992

Der Vorsitzende Richter im Darmstädter »Irak-Giftgas-Prozeß« Alfred Pani übt deutliche Kritik an der Haltung der Bundesregierung, die vom Gericht um Hilfe gebeten worden war. So wurde ein Rechtshilfeersuchen, das von den Richtern beim Generalsekretär der Vereinten Nationen sowie beim Auswärtigen Amt angestrengt worden war, um an Informationen über Erkenntnisse der Inspektoren hinsichtlich der Beteiligung bundesdeutscher Unternehmen am Aufbau der Giftgasproduktion im Irak zu gelangen, immer noch nicht beantwortet. (FR, 5.5.92)

4. – 6. Mai 1992

Bei einem Treffen der Australischen Gruppe – einem Zusammenschluß von 22 westlichen Industriestaaten – in Paris werden zusätzliche Exportkontrollen im Bereich chemischer und biologischer Waffen beschlossen.

22. Mai 1992

Die »Chemische Rundschau« veröffentlicht ein Interview mit dem Leiter eines UN-Inspektionsteams, dem deutschen Fregattenkapitän Matthias Jopp. Auf die Frage nach der Beteiligung deutscher Unternehmen an der CW-Produktion im Irak antwortete Jopp: „Ich weiß, daß mehrere deutsche Firmen komplette Anlagen zu einer Stätte in der Nähe von Samarra (dem irakischen CW-Zentrum) geliefert haben. Wir haben sie vor Ort vorgefunden, teilweise noch mit Firmenschildern versehen. (…) Die Anlagen bei Samarra sind im Endeffekt alle von deutschen Firmen gebaut worden. Sowohl die Produktionsstätten als auch die Lagerbunker.“ (Chemische Rundschau, Nr. 21, 22.5.92)

27. Mai 1992

In einem Interview mit der Moskauer Zeitung »Komsomolskaja Prawda« erklärt Präsident Jelzin, daß der Ausbruch einer Milzbrand-Epidemie in Swerdlowsk im Jahre 1979 auf geheime militärische BW-Programme zurückzuführen sei. Nach entsprechenden Anschuldigungen der US-Regierung hatte die sowjetische Regierung in den vergangenen Jahren wiederholt behauptet, es hätte sich um einen natürlichen Ausbruch dieser Seuche gehandelt, wie er etwa durch den Verzehr von milzbrandverseuchtem Fleisch hervorgerufen werden könne. (Komsomolskaja Prawda, 27.5.92)

3. Juni 1992

Im »Irak-Giftgas-Prozeß« sorgt das Exklusiv-Interview Jopps mit der »Chemischen Rundschau« für großen Unmut. Der Richter weist darauf hin, daß dieser zwar gegenüber den Medien Details bekannt gebe, jedoch nicht vor Gericht als Zeuge vernommen werden könne. Obwohl Jopp als wichtiger Zeuge für den Prozeß angesehen wird, bekommt er von den Vereinten Nationen, ebenso wie die anderen deutschen Mitglieder der Inspektionsteams, nach wie vor keine Aussagegenehmigung. Das Gericht befürchtet, daß möglicherweise „beweiserhebliches Material “ von den Vereinten Nationen und von der deutschen Bundesregierung zurückgehalten wird. (FAZ, 4.6.92)

In Washington werden zum ersten Mal offizielle Zahlen der CW-Bestände bekanntgegeben. Danach verfügen die USA über 31.400 Tonnen an unitären Kampfstoffen, von denen 3.400 Tonnen in „Artilleriegeschossen, Sprühtanks und Bomben “ als „verwendungsfähig “ bezeichnet werden. Über die Bestände an binären chemischen Waffen werden keine Angaben gemacht. Weiter heißt es, daß die NATO-Verbündeten, außer Frankreich, über keine chemischen Waffen verfügten. (Arms Control Impact Statement, Fiscal Year 1993)

12. Juni 1992

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen veröffentlicht den Report eines Inspektionsteams, daß die zahlreichen Vorwürfe über den Einsatz von chemischen Waffen in Mosambik zu untersuchen hatte. Nach dem Bericht konnte der Einsatz von chemischen Waffen nicht nachgewiesen werden, u.a. da zwischen dem Zeitpunkt des angeblichen Einsatzes und der Untersuchung der Anschuldigungen zu viel Zeit verstrichen sei. (Report of the mission dispatched by the Secretary-General to investigate an alleged use of chemical weapons in Mozambique, S/24065 vom 12.6.92)

20. Juni 1992

Der Vorsitzende des »Komitees beim Präsidenten der Russischen Föderation für Probleme der Übereinkommen über chemische und biolgische Waffen« Kunzewitsch sagt in einem Interview, die Vernichtung der chemischen Waffen der früheren Sowjetunion werde mindestens 10 Milliarden US-Dollar kosten. (Inside the Pentagon, 25.6.92)

24. Juni 1992

Die US-Regierung erklärt in ihrem jährlichen Bericht an den US-Kongreß über die Einhaltung von Rüstungskontrollabkommen unter anderem: „Obwohl es zahlreiche Berichte über den Einsatz von chemischen Waffen im früheren Jugoslawien gegeben habe, konnte von der US-Regierung keine Evidenz für diese Berichte festgestellt werden.“ (US Arms Control and Disarmament Agency, „Adherence to and compliance with agreements“, 24.5.92, S. 5)

11. Juli 1992

Nach einem Treffen mit dem finnischen Präsidenten Koivisto erklärt der russische Präsident Jelzin hinsichtlich der in der Ostsee versenkten chemischen Munition, daß diese in einem „kritischen Zustand“ sei. „Innerhalb von zwei, drei oder vier Jahren könnte eine Tragödie vom Ausmaß Tschernobyls auf uns zukommen. Wir haben uns darauf verständigt, eine internationale Kommission zu bilden, die ein Programm zur Bergung und Vernichtung dieser chemischen Waffen entwickeln soll. “ (ITAR-TASS World Service, 11.7.1992)

22. Juli 1992

Der stellvertretende Leiter der Chemischen Truppen der GUS Jewstajew beziffert die Kosten für eine völlige Entsorgung der in der Ostsee versenkten chemischen Munition auf mindestens 22 Milliarden US-Dollar. (Rossijskaja Gazeta, 22.7.92)

28. Juli 1992

UN-Generalsekretär Boutros-Ghali veröffentlicht einen Bericht über Inspektionen, die Anfang Juli in Aserbaidschan durchgeführt wurden. Die Inspektoren sollten Anschuldigungen überprüfen, armenische Streitkräfte hätten chemische Waffen eingesetzt. Es konnten jedoch keinerlei Beweise für einen derartigen Einsatz erbracht werden. (FAZ, 30.7.92)

9. August 1992

Eine Regierungssprecherin gibt bekannt, daß auf Veranlassung der Bundesregierung bei Zypern ein Frachter mit Chemikalien gestoppt wurde, der nach Syrien unterwegs war. Das deutsche Schiff hatte Trimethyl-Phosphit aus Indien an Bord, ein Vorprodukt für Nervengase, das in Syrien für die Produktion eines Pestizids verwendet werden sollte. (FR, 10.8.92)

19. August 1992

Indien und Pakistan – die beide verdächtigt werden, über chemische Waffen zu verfügen – unterzeichnen ein bilaterales Abkommen über ein völliges Verbot dieser Waffen. (FAZ, 20.8.92)

31. August 1992

Die Vereinten Nationen haben etwa ein Jahr nach Ende der Dritten Überprüfungskonferenz der B-Waffenkonvention erst von 33 der über 120 Vertragsstaaten Erklärungen über Daten erhalten, die den Vertrag betreffen. Während der Dritten Überprüfungskonferenz war ein Austausch der Daten als Vertrauensbildende Maßnahme vereinbart worden.

3. September 1992

Nach über zwanzig Jahren beenden die 39 Delegationen der Genfer Abrüstungskonferenz die Verhandlungen über ein umfassendes Verbot chemischer Waffen. Der endgültige Vertragsentwurf, der 193 Seiten umfaßt, wird im Konsens verabschiedet und den Vereinten Nationen in New York zur Billigung zugeleitet. (siehe Artikel in diesem Heft)

6. September 1992

Das deutsche Unternehmen LURGI, an dem MBB und damit auch Daimler Benz beteiligt sind, schließt einen Kooperationsvertrag mit einer russischen Firma über eine Zusammenarbeit bei der Vernichtung der chemischen Waffen der früheren Sowjetunion ab. Auch die Firma Uhde, eine Höchst-Tochter, sowie die Unternehmen Diehl und Köhler haben ihr Interesse an entsprechenden Vereinbarungen bekundet. Zuvor hatte sich eine russische Delegation, der auch Anatoli Kunzewitsch angehörte, auf Einladung von LURGI in der Kampfmittelbeseitigungsanlage im niedersächsischen Munster über das dort angewandte Verbrennungsverfahren informiert. Die Anlage in Munster wurde von LURGI entwickelt und hergestellt. (Trust and Verify, September 92)

9. – 14. September 1992

In Biesenthal, nahe Berlin, findet ein internationaler Workshop statt, bei dem ein Programm über »Vakzine für den Frieden« verabschiedet wird. Im Rahmen dieses Programms soll die bisherige Schutzforschung im B-Waffenbereich in Maßnahmen zu weltweiten Schutzimpfungen unter der Verantwortung der Vereinten Nationen umgewidmet werden. Somit könnte diese Forschung aus der Domäne des Militärischen herausgenommen und für friedliche Zwecke eingesetzt werden. (Erhard Geissler, „Vaccines for peace: an international program of development and use of vaccines against dual-threat agents “, in: Politics and Life Sciences, Nr. 2 (August) 1992, S. 231-243)

23. September 1992

In einem Interview mit dem Regierungsorgan »Rosijskije Westi« erklärt der Vorsitzende des »Komitees für Probleme der chemischen und biolgischen Waffen« Kunzewitsch, die Sowjetunion habe auch nach der Ratifizierung der BW-Konvention weiterhin in diesem Bereich geforscht und produziert. Erst als die Vereinten Nationen im Jahr 1985 einen Bericht über die Einhaltung der Konvention anforderte, seien diese Aktivitäten eingeschränkt worden. Jedoch seien die Tätigkeiten erst 1992 endgültig eingestellt worden. (FR, 24.9.92)

24. September 1992

Im Irak beginnt die Vernichtung der chemischen Waffen in einer Anlage in Muthanna, das unter dem Namen »Samarra« als CW-Produktionszentrum bekannt wurde. 350 Liter des Nervengases GB werden mit Hilfe von Hydrolyse-Verfahren unschädlich gemacht. Nach Auskunft des Leiters einer UN-Inspektionsgruppe sind fast alle irakischen Chemiewaffen nach Muthanna transportiert worden. (FR, 30.9.92)

1. Oktober 1992

Der US-Kongreß verlängert den Zeitraum für die Vernichtung der unitären chemischen Waffen der USA bis 31.12.2004. (102nd Congress, 2nd Session, House of Representatives, Report 102-966, National Defense Authorization Act for Fiscal Year 1993: Conference Report to Accompany HR 5006, 1.10.92)

6. Oktober 1992

Das Mannheimer Landgericht verurteilt den ehemaligen Mitgeschäftsführer der Imhausen Chemie GmbH, Hans-Joachim Renner, dem eine Beteiligung an Planung und Bau der Chemiefabrik im libyschen Rabta vorgeworfen wurde, wegen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. (taz, 7.10.92)

3. November 1992

Vor dem Landgericht Mannheim beginnt der vierte Prozeß um die Beteiligung bundesdeutscher Unternehmen an Planung und Bau einer Kampfstoffanlage im libyschen Rabta. Der frühere Geschäftsführer der Salzgitter Industriebau (SIG), Andreas Böhm, soll wegen der Zusammenarbeit mit der Imhausen Chemie GmbH bei Exporten nach Libyen gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen haben. Der Prozeß erhält seine besondere Brisanz durch die Tatsache, daß sich die SIG zum damaligen Zeitpunkt im Besitz der Bundesrepublik Deutschland befand. (FAZ, 4.11.92)

9. November 1992

Wie der Leiter eines Inspektionsteams der Vereinten Nationen mitteilt, wurde im Irak mit der Verbrennung von Senfgas begonnen, das etwa drei Viertel des irakischen Chemiewaffenarsenals ausmacht. Täglich sollen etwa 3,5 Tonnen vernichtet werden, so daß der Vernichtungsprozeß in etwa einem Jahr abgeschlossen werden könnte. (FR, 11.11.92)

9. November 1992

Im Unterauschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestags findet eine Anhörung zu »Neue Waffentechnologien unter dem Aspekt der vorbeugenden Rüstungskontrolle« statt, bei der auch zu Fragen der chemischen und biologischen Waffen Stellung bezogen wird.

12. November 1992

Der Politische Auschuß der Vereinten Nationen verabschiedet den Entwurf der CW-Konvention, der von 146 Staten eingebracht worden war, im Konsens. (FR, 13.11.92)

30. November 1992

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen billigt einstimmig den Entwurf der CW-Konvention. Die Konvention wird während einer internationalen Konferenz in Paris vom 13. bis 15. Januar 1993 zur Unterzeichnung ausliegen. (SZ, 2.12.92)

16. Dezember 1992

Die Bundesrepublik Deutschland und Rußland schließen ein Abkommen über Abrüstungshilfe ab. Darin verpflichtet sich die Bundesregierung, unentgeltliche Hilfe bei der Vernichtung von chemischen Waffen im Hoheitsgebiet der Russischen Föderation zu leisten. Die „Vertragsparteien einigen sich auf konkrete Maßnahmen, die zum Ziel haben, der russichen Seite eine möglichst baldige, verläßliche und sichere Eliminieurng dieser Waffen unter angemessener Berücksichtigung der Unversehrtheit der Umwelt zu ermöglichen“. (Bulletin der Bundesregieurng, 22.12.92)

Biotechnologie und vorbeugende Rüstungskontrolle

Biotechnologie und vorbeugende Rüstungskontrolle

Zivil-militärische Verwendung von biologischer Forschung

von Kathryn Nixdorff

Die Autorin Kathryn Nixdorff zeigt die Gefahren der zivil-militärischen Verwendung in der Biotechnologie auf und benennt die ambivalenten Forschungsbereiche. Es sei praktisch unmöglich, Grundlagen für eine – wie sie meint legitime – Verteidigung gegen biologische Waffen aufzubauen, ohne daß gleichzeitig ein Aggressionspotential geschaffen wird.

Militärisches Interesse an biologischen Waffen erreichte zunächst einen Höhepunkt in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkrieges. Zu dieser Zeit wurden insbesondere von den Alliierten (USA, Großbritannien) aber auch von Japan viel Energie und erhebliche finanzielle Mittel in die Erforschung, Entwicklung und Produktion von biologischen Waffen investiert1. Es wurde jedoch schnell erkannt, daß diese Waffen, vom militärischen Standpunkt aus betrachtet, große Unzulänglichkeiten aufwiesen.

Eine der herausragendsten Eigenschaften konventioneller biologischer Waffen ist ihre Unberechenbarkeit; es ist praktisch unmöglich, sie präzise einzusetzen oder ihre Wirkung zu kontollieren2,3. In den frühen siebziger Jahren konnte ein generelles Desinteresse der Militärs an biologischen Waffen registriert werden2, das sicher durch ihre mangelnde Handhabbarkeit hervorgerufen worden war.

Ohne Zweifel war dies eine der Ursachen der politischen Entwicklung, die zu der 1972 vereinbarten Konvention über Biologische Waffen (BWC) führte. Die Signatarstaaten verpflichteten sich im Rahmen dieser Übereinkunft, biologische und Toxin-Waffen weder zu entwickeln, noch zu produzieren, noch zu lagern (Abbildung 1)4. 118 Nationen gehören zu den Unterzeichnern dieses Vertrages. Es hat also durchaus den Anschein, als würde von biologischen Waffen wenig Gefahr für den Weltfrieden ausgehen. Gleichwohl jedoch enthält die Übereinkunft eine Reihe von Unklarheiten und Mängel in Bezug auf effektive Verifikation und Beschwerdeverfahren. So untersagt sie die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von biologischen Erregern und Toxinen „…von Arten und Mengen, die nicht durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind…“ (Abbildung 1)4. »Arten« und »Mengen« werden nicht weiter spezifiziert. Dadurch wurde eines der Schlupflöcher geschaffen, mit dem sich Forschung an biologischen Waffen unter dem Mantel des Verteidigungszweckes trefflich rechtfertigen läßt.

Neue Technologien

Mitte bis Ende der siebziger Jahren wirkte jedoch die Entwicklung von neuen Technologien im biologischen Bereich als Triebfeder für ein neu erwachtes Interesse an biologischen Waffen5,6. Dies wurde weiter durch die vermehrte Förderung von Forschungsprojekten unter Anwendung der Gentechnik durch militärische Instanzen in den 80er Jahren dokumentiert7-19. Die nachfolgend aufgelisteten Technologien sind im Hinblick auf eine mögliche militärische Anwendung relevant:

Techniken der DNA-Rekombination (Gentechnik):

  • Designer Genes-Protein-Engineering / Design
  • Fermenter-Technologie
  • Hybridoma-Technologie

Im Vordergrund steht die Technik der Rekombination von Desoxyribonukleinsäure (DNA) oder die Gentechnik. Diese beinhaltet den Transfer des genetischen Materials (Gene) von einem Organismus zum anderen. Dadurch wird der Organismus mit neuen, gleichsam genetisch verankerten Eigenschaften ausgestattet. Dieser Prozeß findet auch in der Natur statt, jedoch wird der Prozeß durch die Anwendung der Gentechnik so manipuliert, daß alles schneller und präziser abläuft, und zwar auch über genetische Barrieren hinweg.

Um die Gene zu übertragen, benutzt man gewöhnlich einen Vektor oder Überträger, meistens ein Plasmid, ein ringförmiges Stück der DNA, das autonom in einer Zelle sich reproduzieren kann20. Durch die Anwendung von bestimmten Enzymen kann ein Stück DNA ausgeschnitten und in ein Plasmid eingeklebt werden. Das im Plasmid rekombinierte DNA-Molekül kann anschließend in ein Bakterium, in Hefen oder auch in Säugetierzellen eingeschleust werden (Abbildung 2)20. Wenn das neue Gen funktioniert, bekommt diese Zelle die Eigenschaft, die das Gen bestimmt.

Das genetische Material von Viren kann auch manipuliert werden. Hier wird jedoch eine andere Strategie eingesetzt. Das zu übertragene Gen wird in ein Plasmid eingebaut. Wenn das Plasmid auch etwas DNA trägt, das gleich oder homolog zur Virus-DNA ist, findet eine Rekombination dieses Teils des Plasmids mit der Virus-DNA in der Wirtszelle statt, und das Virus trägt das neue Gen (Abbildung 3)21.

Eine Technologie, die sich noch in der Entwicklungsphase befindet, ist die Technologie der designer genes oder designer proteins22. Hierzu wird ein Protein mit bestimmten Eigenschaften am Computer entworfen. Aus diesem Entwurf wird eine DNA-Sequenz abgeleitet und synthetisiert. So ist z.B. ein Protein namens Felix aus einem Graduierten-Seminar an der Duke Universität in den USA entstanden. Die Teilnehmer dieses Seminars haben die molekulare Struktur des Proteins entworfen, während andere Forscherteams die DNA-Sequenz abgeleitet und das Gen synthetisiert haben. Das synthetische Gen wurde in ein Plasmid mit einem funktionierenden Expressions-System eingebaut und das Protein in E. coli produziert. Felix hatte in der Tat die Eigenschaften, die vorausgesagt worden waren22. Felix ist natürlich ein sehr kleines, einfaches Protein mit keiner biologischen Funktion; das Beispiel weist aber auf eine Gegenwarts- bzw. Zukunfts-Richtung hin.

Zahlreiche Innovationen, auf die, wegen Platzmangel nicht näher eingegangen werden können, machen solche Manipulationen möglich und zunehmend immer leichter.

Militärische Relevanz

der Technologien

Bezüglich der militärischen Nutzung der Gentechnologie werden einige mögliche Manipulationen in der aktuellen Debatte häufig genannt:

(a) Die Übertragung von Antibiotika-Resistenz auf Erreger von Infektionskranheiten.

(b) Die Veränderung von Antigenen der Zelloberfläche von Kranheitserregern.

(c) Die Übertragung von pathogenen (Krankheiten verursachenden) Eigenschaften auf Mikroorganismen.

Die Übertragung von Resistenz gegen Antibiotika auf Mikroorganismen liegt für die Gentechnik sicherlich im Bereich des Möglichen. An Infektionen, die im Krankenhaus erworben werden und nur äußerst schwierig unter Kontrolle zu halten sind, läßt sich vielleicht am besten zeigen, welche verheerenden Folgen eine einmal erlangte Resistenz gegenüber einer Vielzahl von Antibiotika haben kann. In solchen Fällen wird diese Widerstandsfähigkeit von Mikroorganismen, die Infektionen auslösen, durch genetische Übertragung allerdings unter Bedingungen natürlicher Selektion verursacht.

Auch die Veränderung von einzelnen Bestandteilen bzw. Antigenen der Zelloberfläche durch genetische Manipulation ist im Prinzip möglich. Das körpereigene Immunsystem erkennt und bekämpft eindringende Erreger über die Struktur ihrer Zelloberflächen. Wenn beispielsweise durch Impfungen gegen spezifische Infektionserreger Immunität erreicht wurde, ist das Immunsystem gleichwohl nur in der Lage bei späterem Kontakt mit einem Erreger, diesen zu identifizieren und zu bekämpfen, wenn die Antigene der Zelloberfläche denen entsprechen, auf die die Impfstoffe zielen. Ist dies nicht der Fall, kann ein Erreger ohne weiteres das spezifische Immunsystem überwinden.

Das Problem bei der Modifikation von Antigenen der Zelloberfläche liegt darin, daß Mikroorganismen, wie etwa Bakterien, über mehrere verschiedene Antigene verfügen, die vom Immunsystem erkannt werden können und demzufolge in ihrer Gesamtheit, d.h. Protein- wie Polysaccharid-(aus Zuckermolekülen aufgebaute)-Antigene, vollständig verändert werden müßten. Dabei handelt es sich um eine äußerst schwierige Aufgabe, die sehr weitreichende Manipulationen erfordert. Es ist unwahrscheinlich, daß bei dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft entsprechende Versuche zum Erfolg führen können. Erfolgversprechender könnten Manipulationen der Antigenstruktur der Oberfläche von Viren sein, da diese meist eine sehr einfache Oberflächenstruktur aufweisen.

Auch bei Versuchen, pathogene Eigenschaften von Mikroorganismen zu übertragen, treten erhebliche Probleme auf. Solche Manipulationen erfordern den Transfer von Genen zur Steuerung der Biosynthese von gewebeschädigenden Toxinen oder Enzymen, die das Eindringen der Mikroorganismen erleichtern. In vielen Fällen sind aber die krankheitserregenden Eigenschaften wenig spezifiziert, oder pathogene Effekte beruhen auf dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren, die einzeln mehr oder weniger harmlos sind. Wenn z.B. ein Toxingen in ein harmloses Bodenbakterium (Bacillus subtilis) übertragen wurde, konnte das Bakterium zwar in Kultur das Toxin produzieren, war aber völlig avirulent, als es in Mäuse injiziert wurde23. Ebenfalls kann Bacillus anthracis (Erreger von Milzbrand) durchaus zur Krankheit oder gar zum Tode führen, aber nur unter der Vorraussetzung, daß es diesem Mikroorganismus gelingt, sich den Schutzmechanismen des Wirt-Systems zu entziehen, sich dort zu vermehren und zu verbreiten. Diese Fähigkeit wird von einer Reihe unterschiedlicher Faktoren beeinflußt.

Zusammenfassend können die Techniken der DNA-Rekombination durchaus benutzt werden, um Mikroorganismen mit neuartigen Eigenschaften zu erzeugen. Ob es sich dann um effektivere biologische Waffen handelt, ist im allgemeinen zweifelhaft. Vor allem, neuartige infektiöse Agenzien werden genauso schwer beim Einsatz zu kontrollieren sein wie konventionelle, infektiöse Krankheitserreger. Wir können uns jedoch nicht darauf verlassen, daß keine Verbesserungen der Waffentauglichkeit konventioneller Agenzien in der Zukunft durch solche Manipulationen stattfinden werden. Die biologische Wissenschaft ist stets durch dramatische Durchbrüche in regelmäßigen Zeitabständen charakterisiert worden, die immer wieder völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Je intensiver geforscht wird, um so wahrscheinlicher können Durchbrüche stattfinden. Dies ist eine der allergrößten innewohnenden Gefahren, die mit der Ambivalenz der biologischen Forschung in diesem Gebiet verbunden ist.

Ambivalenz der Forschung

Die oben genannten Techniken werden aktuell im Rahmen militärischer Forschungsaktivitäten angewendet, die mit einer Verteidigung gegen biologische Waffen verbunden sind. Die Hauptbereiche dieser Forschungen beinhalten:

(a) die Entwicklung von Impfstoffen

(b) die Aufklärung von Pathogenitätsmechanismen bei infektiösen Krankheitserregern

(c) die Aufklärung der Wirkungen von Toxinen.

Gleichzeitig sind dies hochaktuelle Forschungsbereiche in der Biologie. Man braucht nur die Fachliteratur durchzusuchen, um festzustellen, welche enormen Aktivitäten im zivilen Forschungssektor in diesen drei Bereichen heute stattfinden.

Die biologisch-medizinische Forschung ist stets geprägt von dem Verlangen, Impfstoffe zu entwickeln, die einen besseren Schutz gegen infektiöse Krankheitserreger bieten. Im Falle von Krankheitserregern, die als potentielle B-Waffen genutzt werden können, ist es äußerst schwierig, zivile Forschungsziele von militärischen Interessen zu trennen. Viele Krankheitserreger, die aus der Sicht der medizinischen Forschung wichtig sind, werden auch als potentielle biologische Waffen von der militärischen Seite eingestuft (Tabelle 1). Durch einen Vergleich der zivilen und militärischen Interessen bezüglich der Vakzinentwicklung kann festgestellt werden, daß nur einige wenige Krankheitserreger, die von militärischem Interesse sind, nicht auf den Prioritätslisten des Instituts für Medizin (National Academy of Sciences, USA) oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Entwicklung von Impfstoffen zu finden sind24. Es ist ein legitimes Anliegen der Militärs, ihre Truppen gegen infektiöse Krankheiten, die in der Kampfzone endemisch sind, schützen zu wollen. In der Tat sind Infektionskrankheiten in allen Kriegen in der Geschichte die Hauptursache für Verluste gewesen25. Es wird aber auch als militärische Pflicht empfunden, die Truppen gegen potentielle biologische Kampfstoffe zu schützen26. Somit wurden die Truppen im Golfkrieg z.B. gegen Milzbrand geimpft, weil einen Angriff seitens Irak mit diesem biologischen Kampfstoff vermutet wurde27. Hierzu muß jedoch gesagt werden, daß es äußerst zweifelhaft ist, ob eine effektive Verteidigung gegen alle potentiellen biologischen Waffen realisiert werden kann durch die Verwendung von Vakzinen, besonders dann, wenn wirklich neue, unbekannte Agenzien als Bedrohung empfunden werden.

Die Gefahren der Ambivalenz in diesem Bereich liegen in der Tatsache, daß es praktisch unmöglich ist, eine Verteidigung aufzubauen, ohne daß ein Aggressionspotential geschaffen wird. Ein Impfstoff nutzt in erster Linie dem Angreifer, der genauestens weiß, was als Agens eingestzt werden soll.

Die eifrigsten Aktivitäten der zivilen Forschung bezüglich infektiösen Krankheitserregern sind jedoch mit der Aufklärung der Mechanismen von pathogenen Wirkungen dieser Agenzien verbunden. Hier sind auch die Gefahren der Ambivalenz weitaus am größten. Für eine effektive Bekämpfung von Infektionskrankheiten ist es essentiell, die Mechanismen der krankmachenden Prozesse zu durchschauen. Obwohl intensive Forschungsarbeiten seit Jahrzehnten durchgeführt werden, sind die Prozesse der Pathogenität bei den meisten Infektionskrankheiten nur unzureichend bekannt28. Es wird immer deutlicher, daß mehrere Faktoren bei der Virulenz eines Mikroorganismus und daher im Pathogenitätsprozeß eine Rolle spielen. Die Gene, die die Produktion von Virulenz-Faktoren bestimmen und kontrollieren, werden oft zusammen reguliert, und der Pathogenitätsprozeß kann nur in diesem Kontext verstanden werden. Zu hoffen jedoch, daß Genregulation von Pathogenität im Ganzen je verstanden sein könnte, wird von Experten in diesem Gebiet als illusorisch bezeichnet29. Mikrobielle Pathogenität ist also komplex und multifunktionell. Das fehlende Wissen über Pathogenitätsmechanismen ist eines der größten Hindernisse zur Entwicklung einer neuen biologischen Waffe, wo die Hauptstrategie sein würde, Virulenzfaktoren auf Mikroorganismen, die sie nicht schon besitzen, zu übertragen. Wenn die Mechanismen der Pathogenität verstanden werden, kann zwar die Krankheit effektiver bekämpft werden, jedoch kann auch der Erreger als biologische Waffe effektiver manipuliert und verwendet werden.

Als drittes, ambivalentes Forschungsgebiet besteht die Aufklärung der Wirkungsweise und die Erforschung der Effektivität der Toxine. Diese toxisch wirkenden, biologischen Stoffe können im Prinzip wie chemische Waffen eingesetzt werden. Viele besitzen jedoch eine höhere Toxizität als chemische Waffen (Tabelle 2). Daß sie bis jetzt nicht als solche angewendet wurden, liegt gewiß zum größten Teil daran, daß relativ wenig über die Waffentauglichkeit dieser Substanzen bekannt ist. Auch in der Vergangenheit war die Produktion von Toxinen relativ problematisch. Zwischenzeitlich kann ein zunehmendes, weltweites Interesse (ziviles und militärisches) an Toxinen beobachtet werden30. Auch die Möglichkeit der Produktion von Toxinen in größeren Mengen als bisher wird z.B. durch die Verbesserung der Fermenter-Technologie oder durch die Anwendung der Gentechnik erreicht. Es wurde durch Forschungen in der letzten Zeit festgestellt, daß einige dieser Toxine stabiler sind als bisher gedacht. Ferner sind einige durchaus bei der Aufnahme über die Aerosol-Route oder auch über die Haut wirksam (Tabelle 2)30-33. Dies erhöht ihre Attraktivität für einen Einsatz erheblich. Bei den Arten von Toxinen, die über die Haut aufgenommen werden können, ist es bekannt, daß diese Route weniger effektiv ist als wenn sie inhaliert werden32,33. Hier muß allerdings betont werden, daß die Effektivität von chemischen Kampfstoffen ebenso beeinträchtigt wird, wenn sie über die Haut aufgenommen werden31. Trotzdem ist die Aufnahme über die Haut immer noch ein effektiver Weg.

Die Ambivalenz der Forschungen über Toxine wird dadurch verstärkt, daß einige dieser Toxine als Therapeutika z.B. bei Krebserkrankungen34 oder auch bei neurologischen Krankheiten35 einen Einsatz finden.

Bei den Verhandlungen über eine Chemie-Waffen-Konvention wurde versäumt, Vorkehrungen für eine effektive Kontrolle über die Anwendung von Toxinen als chemische Kampfstoffe zu gewährleisten36. Daher ist es um so wichtiger, die Schwächen der B-Waffen-Konvention in diesem Bereich auszuräumen. Verifikationsmodalitäten für Toxine müssen unbedingt ausgearbeitet werden.

Proliferationsrisiken

Die Proliferationsproblematik hängt eng mit der Ambivalenz der molekular-biotechnologischen Forschungarbeiten zusammen.

Vertikale Proliferation:

Gemessen an der Vermehrung der Forschungsaktivitäten auf der militärischen Seite im biologischen Bereich muß das Proliferationsrisiko als hoch eingeschätzt werden.

Mit der Vermehrung dieser Forschungsaktivitäten ist die Gefahr verbunden, daß die Attraktivität biologischer Agenzien als potentielle Waffen stets wachsen wird, besonders wenn viel über den Umgang mit potentiellen biologischen Kampfstoffen erfahren wird und die Möglichkeiten zur Manipulation von Mikroorganismen steigen. Andererseits ist der große Nutzen der molekularen Biotechnologien besonders für die Forschung, aber auch für die Medizin, unumstritten. Trotz der Nützlichkeit dieser Methodik ist eine kritische Reflektion über die Anwendung der Technologien besonders angebracht, auch im Hinblick auf die Entwicklung der Wissenschaft, die durch solche Technologien enorm aber möglicherweise einseitig beeinflußt wird.

Horizontale Proliferation:

Es wäre sicherlich falsch, den Transfer dieser Technologien an Ländern, die Vertragsstaaten der BW-Konvention sind, aber diese Technologien noch nicht besitzen, zu verweigern. Sie würden dadurch in ihrer Entwicklung und vor allem in ihrer Gesundheitsvorsorge zurückgehalten. Im Gegenteil, verpflichten sich die Vertragsstaaten in Artikel X der BW-Konvention „den weitestmöglichen Austausch von … technologischen Informationen zur Verwendung bakteriologischer (biologischer) Agenzien und von Toxinen für friedliche Zwecke … zu erleichtern“4.

Nichtsdestoweniger liegt eine aktuelle Gefahr in der Proliferation dieser Technologien37. Artikel III der BW-Konvention richtet sich an diese Gefahr, aber die Bedingungen des Handelns sind unklar definiert worden. Das Problem ist wieder dual-use. Viele der Materialien und Technologien, die legitimen, friedlichen Zwecken dienen, können auch für offensive Programme verwendet werden.

Die Proliferationsproblematik wird besonders deutlich am Beispiel Irak. Es scheint ohne Zweifel zu sein, daß der Irak ihre Chemiewaffenkapazität im Iran-Irak-Krieg durch Exporte bekommen hat38,39. Erst nachdem der Irak eine schwere Niederlage im Iran-Irak-Krieg erlitten hat, begannen sie Senfgas einzusetzen39. Aus Quellen des US-Geheimdienstes wurde vermutet, daß der Irak eine BW-Kapazität für den Einsatz im Golfkrieg entwickelt hat; daher wurden die Truppen u.a. gegen Milzbrand geimpft27,40. An der Entwicklung der vermuteten Kapazität sollten gewisse Exporte beteiligt sein41,42. So z.B. wurden Mykotoxine, Nährböden für Mikroorganismen sowie Brutschränke von deutschen Firmen geliefert. Die Lieferung der Mykotoxine hatte keine rechtlichen Folgen; nach einem Gutachten unterlagen die ausgeführten Mengen nicht dem Verbot durch das Kriegswaffenkontroll-Gesetz. Auch die anderen Lieferungen waren genehmigungsfrei; erst seit dem 1. Januar 1990 besteht eine Ausfuhrliste für sensitive Güter im Bereich von biologischen Waffen41. Es soll auch bemerkt werden, daß der Irak ein Vertragspartner der BWC ist.

Es gibt keine einfache Lösung des Dilemmas: Kooperation und technologischen Austausch fördern, aber gleichzeitig Proliferation von Waffen verhindern. Die Gefahr soll wahrgenommen und beachtet werden, aber sie soll nicht den gesamten Kurs bestimmen. Hier muß sehr differenziert verfahren werden.

Militärische Strategien und biologische Waffen

Alfred Mechtersheimer43 hat die Entwicklung militärischer Strategien der NATO im Hinblick auf die wachsende Debatte über chemische und biologische Waffen thematisiert. Nach seiner Einschätzung haben solche Programme wie AirLandBattle zu einer Reevaluierung chemischer und biologischer Waffen als potentielle, taktische Waffen geführt. Für eine solche Strategie wird Landgewinn ohne Landzerstörung auch innerhalb der neuen politischen Weltlage aus militärischer Sicht als sinnvolles Ziel erachtet. Der Hauptfaktor ist nicht mehr, eine destruktive Kapazität, sondern die Fähigkeit der rapiden Vorwärts-Offensive aufzubauen. Diese Strategie sieht vor, den Gegner so zu schwächen und zu demoralisieren, daß kein effektiver Gegenangriff mehr stattfinden kann. Hierzu würden sich biologische und chemische Waffen besonders gut eignen.

Mit der Beendigung des Kalten Krieges werden voraussichtlich Spannungen in den Ländern der Dritten Welt zunehmen. Es wird erwartet, daß die Antwort auf diese Spannungen Low-Intensity-Conflicts sein werden44. Nach einem Bericht des Verteidigungsministeriums der USA werden innere Konflikte, Grenzauseinandersetzungen, Polizeieinsätze und andere Typen von »Buschfeuer«-Schlachten die Hauptform der Konflikte in der nächsten Zeit sein45.

Ein wachsendes Risiko wird jedoch vor allem in sog. Mid-Intensity-Conflicts liegen, die die großen und mittleren Mächte der Dritten Welt einbeziehen werden. Diese Nationen besitzen die meisten der modernen Waffen und rühmen sich, nukleare und/oder chemische und biologische Waffen zu besitzen37.

Wie und mit welchen Waffengattungen solche Konflikte ausgetragen werden, ist unter anderem von zukünftigen technischen Entwicklungen und der Proliferation solcher Technologien in die Länder der Dritten Welt abhängig.

Kontrollen

In solchen Forschungsbereichen, wo die Ambivalenz so prägnant ist, und wo die Proliferationsproblematik schwierig zu lösen ist, ist die totale Transparenz der Forschung essentiell. Dies gilt besonders für die Waffenschutzforschung. Es ist charakteristisch für militärische Programme, die mit chemischen und biologischen Waffen zu tun haben, daß die Aktivitäten geheim und verschleiert gehalten werden. Dies erzeugt Angst und Mißtrauen. Um diese abzubauen, wäre es am besten, wenn sämtliche defensivartigen biologischen Forschungen aus dem Militärbereich gestrichen werden, besonders die Arbeiten, die mit infektiösen Krankheitserregern und Toxinen verbunden sind. Dies muß auf jeden Fall ein langfristiges Ziel sein. Als kurzfristiges Ziel muß Transparenz geschaffen werden.

Obwohl es in diesem Gebiet äußerst problematisch sein würde, Forschungsmöglichkeiten durch Verbote einzuschränken, soll mindestens die Erzeugung (auch im Namen der Verteidigung) biologischer Agenzien mit veränderten Eigenschaften, die ihre Brauchbarkeit als Waffen vergrößern würden, verboten werden.

Um eine bessere Kontrolle über biologische Waffen zu gewinnen, müssen die Schwächen der BW-Konvention ausgeräumt werden. Vor allem die Ausarbeitung von Verifikationsmodalitäten würde wesentlich zur Stabilität beitragen.

U.a. hat die international wirkende Arbeitsgruppe der Federation of American Scientists mit großem Einsatz gut durchdachte, durchaus plausible Verifikationsmodalitäten ausgearbeitet46.

Das als sehr positiv zu bewertende Ergebnis der Dritten Überprüfungskonferenz der BWC im September 1991 war die Ernennung einer Ad Hoc Gruppe von Regierungsexperten, die von einem wissenschaftlich-technischen Standpunkt aus potentielle Verifikations-Maßnahmen identifizieren und überprüfen soll. Im Bericht des Vorsitzenders über das erste Treffen dieser Gruppe vom 30. März bis 10. April 199247 wurden potentielle Verifikations-Maßnahmen identifiziert, die im Sinne der Vorschläge der Federation of American Scientists liegen. Die weiteren Anstrengungen der Ad Hoc Gruppe sollten kräftig unterstützt werden.

Ein besonders positiver Beitrag zur Überwindung der Ambivalenz ist das internationale Programm Vaccines for Peace, das von Erhard Geißler formuliert wurde25. Dies ist ein Programm für die Entwicklung von Impfstoffen in einem internationalen Kontext. Es wurde in erster Linie konzipiert, um die Konversion von Forschung aus dem Verteidigungsbereich in den Zivilbereich zu befördern. Dadurch würde es gegen eine vertikale Proliferation wirken. Das Programm könnte ferner bei der Kooperation und beim Austausch von Technologien in einem friedlichen Rahmen unterstützend wirken (die Ziele des Artikel X implementieren), und zur Verbesserung der Gesundheitsvorsorge, besonders in Entwicklungsländern, beitragen. Die Unterstützung des Programmes ist äußerst wichtig für die Schaffung von Transparenz der Forschungsaktivitäten in diesem Bereich.

Anmerkung

Der Artikel basiert auf Ausführungen im Rahmen der 22. Sitzung des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle – Öffentliche Anhörung »Neue Waffentechnologien unter dem Aspekt der Vorbeugenden Rüstungskontrolle« in Bonn, 9.11.1992

Artikel I des Übereinkommens über das Verbot der
Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von
Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen
Jeder
Vertragsstaat dieses Übereinkommens verpflichtet sich,

1. mikrobiologische oder andere biologische Agenzien oder – ungeachtet ihres
Ursprungs und ihrer Herstellungsmethode – Toxine von Arten und in Mengen, die nicht durch
Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind, sowie

2. Waffen, Ausrüstungen oder Einsatzmittel, die für die Verwendung solcher
Agenzien oder Toxine für feindselige Zwecke oder in einem bewaffneten Konflikt bestimmt
sind,

niemals und unter keinen Umständen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder
in anderer Weise zu erwerben oder zurückzubehalten.

Mutmaßliche BW- bzw. TW-Agenzien

BAKTERIEN

Bacillus anthracis (Milzbrand) / Coxiella burnetii (Q Fieber) / Francisella
tularensis (Tularämie) / Vibrio cholerae (Cholera) / Yersinia pestis (Pest)

PROTOZOEN

Plasmodium (Malaria) / Trypanosoma (Schlafkrankheit)

VIREN

Hepatitis A / Non A Non B Hepatitis / Bunyavirus / Chikungunya-Virus / Dengue-Virus /
Japanisches Enzephalitis-Virus / Östliches Enzephalitis-Virus / Westliches
Enzephalitis-Virus / Riftalfieber-Virus / Mayaro-Virus / Zeckenenzephalitis-Virus
/Gelbfieber-Virus / Junin-haemorrhagisches Fieber-Virus / Machupo-haemorrhagisches
Fieber-Virus / Koreanisches haemorrhagisches Fieber-Virus / Krim-Kongo haemorrhagisches
Fieber-Virus

TOXINE

Aflatoxin-Mykotoxine / Botulinumtoxin / Brevetoxin / Diphtherietoxin / Ricin /
Saxitoxin / Staphylococcus Enterotoxin B / Tetanustoxin / Tetrodotoxin /
Trichothecene-Mykotoxine

(Liste aus 24, 25)

Vergleich der Charakteristika potentieller
Toxinwaffen und Chemiewaffen*
Typ Substanz LD50** (ng/kg) Hitze-Stabilität Effektiver Weg
Einatmung Haut
TW Botulinum 4 ++
Tetanus 5 ++
Ricin 13 ++
Diphtherie 100 ++
Mycotoxin T-2 500.000 + ++ +
Myrotoxin B 8.000 + ++ +
Saxitoxin 13.000 + ++ +
CW Sarin 1.500.000 + ++
VX 30.000 + ++ +
* Daten aus 30) 31) 32)
33) 34)
** Dosen, die für 50 % der Betroffenen lethal wirken. Da in den meisten Fällen keine
genauen Daten in Bezug auf Menschen bekannt sind, werden die lethalen Dosen der Toxine
für Menschen nur geschätzt (von Daten über die Wirksamkeit auf Tiere). Die Angaben in
der Tabelle sind konservative Einschätzungen aus der Literatur.

Anmerkungen

1) Schrempf, A. 1982. Chemische und biologische Waffen, p. 115-128. In: H.G. Brauch und A. Schrempf (ed.), Giftgas in der Bundesrepublik. Fischer Taschenbuch Verlag, Stuttgart. Zurück

2) Meselson, M.S. 1970. Chemical and biological weapons. In: Scientific American 222:15-25. Zurück

3) Rosebury, T. and Kabat, E. 1947. Bacterial warfare. J. Immunol. 56:7-96. Zurück

4) Biological Weapons Convention 1972. Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen. Übersetzung in: H.J. Uth und P. Rudolph. Die Pest als Waffe. Dreisam-Verlag, Freiburg, 1984. Zurück

5) Wade, N. 1980. Biological weapons and recombinant DNA. In: Science 208:271. Zurück

6) Budiansky, S. 1982. US looks to biological weapons. Military takes new interest in DNA devices. In: Nature 297:615-616. Zurück

7) Call for research proposals by the U.S. Army Medical Research and Development Command. 1984. In: Science 225:543, 554 and 879. Zurück

8) USA. 1985. Recombinant DNA Research Projects. A list of projects funded by the U.S. Department of Defense, released on April 17, 1985. Reprinted in: GeneWATCH 2(2):14-15. Zurück

9) USA. 1987. Recombinant DNA Research Projects. A list of projects funded by the U.S. Department of Defense, released on August 3, 1987. Reprinted in: Gen-ethischer Informationsdienst (GID) 5.Jg.(42):15-17. Zurück

10) BRD. 1987. Kapitel 6. Anwendung der Gentechnologie zu militärischen Zwecken, S. 260-267. In: Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.). Chancen und Risiken der Gentechnologie. Bericht der Enquete-Kommission des 10. Deutschen Bundestages. Drucksache 10/6775. Zurück

11) Wright, S. 1987. New designs for biological weapons. In: Bull. Atomic Scientists 43(1):43-46. Zurück

12) Kiper, M. 1988. Gentechnik und Militär in der Bundesrepublik, S. 9-55. In: M. Kiper (Hrsg). Die Unsichtbaren. Krieg mit Genen und Mikroben. Volksblatt Verlag, Köln. Zurück

13) Kobbe, B. 1989. Biologische Waffen. Gentechnik vor dem Sündenfall. In: Bild der Wissenschaft. 26.Jg.(6):46-57. Zurück

14) Kaiser, R. 1988. »Schutzforschung« statt Verbotskontrolle. Bonner Kurswechsel in Sachen B-Waffen?, In: Blätter für deutsche und internationale Politik 33.Jg.(2):195-205. Zurück

15) Kiper, M. & J. Streich. 1990. Biologische Waffen: Die geplanten Seuchen. Gene, Gifte und Mikroben gegen Menschen. rororo aktuell, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.

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Kathryn Nixdorff ist Mikrobiologin und arbeitet am Institut für Mikrobiologie, Technische Hochschule Darmstadt. Sie ist Mitarbeiterin bei IANUS (Darmstadt) und Mitglied der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden«.