cbw-Chronologie: Juli – Dezember 1991

cbw-Chronologie: Juli – Dezember 1991

von cbw-infodienst

Die folgende Chronologie beruht auf der »Rolling Chronology« der »Sussex-Harvard Information Bank«, die von Dr. Julian P. Perry Robinson (Universität Sussex) erstellt wird, und auf Informationen des »Internationalen Netzwerkes für die Abrüstung chemischer und biologischer Waffen« (Großbritannien) sowie Recherche- und Archivarbeit des »Informationsdienstes zur Abrüstung chemischer und biologischer Waffen« (cbw infodienst) am Berghof-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Berlin.

16. Juli 1991

Die sieben führenden Industrienationen (B.R.Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die Vereinigten Staaten) verabschieden auf dem Londoner Gipfel eine Erklärung, in der sie sich zur baldmöglichen Vernichtung der chemischen Waffen verpflichten. Außerdem erklären sie ihre Absicht, zu den Erstunterzeichnerstaaten einer CW-Konvention gehören zu wollen. Darüberhinaus wollen sie die Exportkontrollen verschärfen, um die Weiterverbreitung chemischer Waffen einzudämmen. (Wortlaut der Erklärung u.a. in: Europa-Archiv, Nr. 17, 10.9.1991, S. D 411ff.)

30. Juli 1991

Experten der UN-Sonderkommission (UNSCOM) berichten, sie hätten im Irak einen gewaltigen Chemiewaffenkomplex mit mehr als 46.000 Stück Munition und 3.000 Tonnen Chemikalien gefunden, die zur Produktion von chemischen Waffen geeignet seien. Damit ist das irakische CW-Arsenal etwa viermal größer als ursprünglich vom Irak angegeben (Vgl. Informationsdienst 3/91, S. 23, 19. April 1991). Allerdings handelt es sich, nach Angaben des UNSCOM-Leiters Ekeus, bei einem Großteil der entdeckten Kampfstoffe um „relativ ungefährliche“ Reizgase (Tränengase). (SZ, 1.8.91)

1. August 1991

Im Zusammenhang mit der illegalen Lieferung einer Giftgasanlage nach Libyen wird der ehemalige Geschäftsführer der Firma Salzgitter Industriebau GmbH (SIG), Andreas Böhm, festgenommen. Böhm soll von Mitte 1984 bis Ende 1988 an Planung und Errichtung von »Pharma 150« in Rabta „maßgeblich mitgewirkt und die ungenehmigte Ausfuhr von Fertigungsunterlagen sowie von Waren mit veranlaßt“ haben. Die später privatisierte SIG unterstand zur Tatzeit, als bundeseigenes Unternehmen, noch der direkten Aufsicht des Bonner Finanzministeriums. (Taz, 2.8.1991)

2. – 7. August 1991

In Bagdad trifft ein Inspektionsteam der Vereinten Nationen ein, um erstmals zu überprüfen, ob der Irak biologische Waffen besitzt. Das Team wird von der irakischen Regierung dahingehend informiert, daß im Irak ein Forschungslabor für biologische Waffen bestanden habe. Die Arbeiten seien jedoch im Herbst 1990 eingestellt worden. Der Irak verfüge über keinerlei B-Waffen. (Taz, 6.8.1991) Nach Abschluß der Inspektion teilt der Leiter der Gruppe mit, daß der Irak zwar BW-Forschung und -Entwicklung betrieben habe. Es gebe jedoch keine Beweise, daß der Irak B-Waffen besitze. (FAZ, 7.8.1991)

6. August 1991

Nach einer von der UN-Sonderkommission erstellten vorläufigen Liste nehmen bundesdeutsche Firmen einen »Spitzenplatz« bei Lieferungen für das irakische C-Waffen-Programm ein. Die Liste wurde bislang (Ende 1991) von den Vereinten Nationen nicht öffentlich gemacht. Nach eigenen Angaben bemüht sich die deutsche Bundesregierung, sowie verschiedene Ermittlungsbehörden und Staatsanwaltschaften um die in der Liste enthaltenen Informationen. (FAZ, 7.8.1991)

22. August 1991

Nach Angaben aus der UN-Expertenkommission hat der Irak vorgeschlagen, seine chemischen Waffen selbst zu zerstören. Dies könne unter Aufsicht der Vereinten Nationen in einer der Fabriken geschehen, in der die Waffen vorher hergestellt wurden. (FR, 23.8.1991) Die UN überprüft diesen Vorschlag. Nach Aussagen des UN-Experten Molander werde die Vernichtung „um so billiger“, je mehr der Irak involviert sei. Andere Experten warnen vor einer eigenständigen irakischen CW-Vernichtung wegen der möglicherweise damit verbundenen Gefahren für Mensch und Umwelt. (Taz, 28.8.1991)

23. August 1991

Bundesumweltminister Klaus Töpfer sagt der iranischen Regierung langfristige Hilfe bei der Beseitigung der Schäden zu, die während des Ersten Golfkrieges durch den CW-Einsatz des Irak im Iran entstanden sind. (SZ, 23.8.1991)

2. September 1991

Wissenschaftler aus Australien und Neuseeland behaupten, daß die 1990 aus der Bundesrepublik Deutschland abgezogenen chemischen Waffen der USA vorläufig nicht, wie damals angekündigt, vernichtet werden. Die USA benutzten das südpazifische Johnston-Atoll eher zum Lagern als zum Vernichten der C-Waffen. (Der Spiegel, 2.9.1991)

4. September 1991

Die dritte und damit letzte Sitzungsperiode für 1991 der Genfer Abrüstungskonferenz geht zu Ende. Die Aussichten für einen erfolgreichen Abschluß der CW-Verhandlungen werden allgemein optimistisch beurteilt. So seien die Verhandlungen, nicht zuletzt infolge des Golfkrieges, der allen Staaten die Gefahren chemischer Kriegführung deutlich vor Augen geführt hatte, von hoher Produktivität geprägt gewesen. Die Modifizierung der Verhandlungsposition der USA, vor allem in der Verifikationsfrage (vgl. cbw-chronologie, 13. Mai 1991) wurde allgemein als Fortschritt gewertet. Allerdings wurde die neue Position durch später nachgeschobene Erklärungen wieder verwässert. So wollen die USA inzwischen durchsetzen, daß ein Staat bei Verdachtskontrollen „Maßnahmen ergreifen“ kann, um „sensitive Installationen“ vor Inspektionen zu schützen, „soweit diese ohne Relevanz für das Chemiewaffenabkommen sind“. Damit wäre der wichtige Bereich der Verdachtskontrollen wenig effektiv, was letztendlich eine Aushöhlung der gesamten Vertragsüberwachung bedeuten könnte.

Darüberhinaus gibt es noch eine ganze Reihe weiterer offener Punkte: So ist nach wie vor nicht genau geklärt, wie die Inspektionen in der zivilen chemischen Industrie durchgeführt werden sollen und auf welcher Grundlage die zu kontrollierenden Anlagen ausgewählt werden. Einigung muß auch noch in der Frage erzielt werden, wie der sog. »Exekutivausschuß« der internationalen Verifikations-Organisation zusammengesetzt wird, und mit welchen Entscheidungsstrukturen er ausgestattet werden soll. Ungelöst sind auch noch andere Punkte, wie der Einsatz von C-Waffen im Inneren eines Staates und die Frage von Sanktionen gegen Staaten, die die Konvention verletzen.

5. September 1991

Argentinien, Brasilien und Chile unterzeichnen eine Erklärung, in der sie formell auf Einsatz und Herstellung biologischer und chemischer Waffen verzichten. (FR, 7.9.1991)

9. September 1991

In Genf beginnt die Dritte Überprüfungskonferenz zur Konvention über das Verbot bakteriologischer (biologischer) und von Toxinwaffen (BW-Konvention). Es nehmen nur 78 der 118 Unterzeichnerstaaten teil. (Taz 9.9.1991)

11. September 1991

Die Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« übergibt der deutschen Delegation auf der Dritten Überprüfungskonferenz einen Offenen Brief, in dem Vorschläge zur Weiterentwicklung der BW-Konvention gemacht werden. (FR, 11.9.1991)

18. September 1991

Seit 1985 wurden mit Genehmigung der Bundesregierung Chemieanlagen und Waren, mit denen auch chemische Kampfstoffe erzeugt werden könnten, in 117 Staaten exportiert. Der Wert der insgesamt 4.796 genehmigten Exporte betrug 2,27 Milliarden DM. Dies teilte das Bundeswirtschaftsministerium auf eine parlamentarische Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen mit. (FR, 19.9.1991)

24. September 1991

US-Soldaten sind beim Einsatz im Golf zum Schutz vor chemischen und biologischen Kampfstoffen mit Medikamenten geimpft worden, die sich noch in der Experimentierphase befinden. Unter anderem soll ein Medikament mit dem Namen »Pyridostigmin« verwendet worden sein; bei einem weiteren Impfstoff soll es sich um gentechnisch hergestellte Antikörper handeln. Nach Aussagen von US-Ärzten sei dies das erste Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs, daß eine Regierung offiziell ohne Einverständnis der Betroffenen Experimente an Menschen durchgeführt habe. (TAZ, 24.9.1991)

27. September 1991

Die Dritte Überprüfungskonferenz zur B-Waffen-Konvention endet in Genf mit der Verabschiedung einer Schlußresolution. Es werden drei weitere Vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart; außerdem soll eine Ad-Hoc-Gruppe eingerichtet werden, die Möglichkeiten zur Festschreibung von effektiven Verifikationsmaßnahmen untersuchen soll. Es wurde beschlossen, 1996 eine Vierte Überprüfungskonferenz abzuhalten. Den Teilnehmern der Konferenz gelang es jedoch nicht, sich über allgemeine Absichtserklärungen hinaus auf konkrete Maßnahmen zu einigen, die eine bessere Verifikation des Vertragswerkes ermöglichen würden. (Chemical Weapons Convention Bulletin, Nr. 14, Dezember 1991)

4. Oktober 1991

Ein ranghoher Funktionär der oppositionellen iranischen Volksmudjaheddin beschuldigt die iranische Führung vor Journalisten in New York, die Entwicklung chemischer (und atomarer) Waffen voranzutreiben. (SZ, 5.10.1991)

4. Oktober 1991

Der Leiter des zweiten UN-Inspektionsteams für biologische Waffen, David Huxoll, teilt mit, daß die Inspektoren bislang keine Beweise für die Produktion von B-Waffen gefunden haben. Zur Sicherheit sollen aber einige Anlagen überwacht werden. (FR, 5.10.1991)

9. Oktober 1991

Im Prozeß gegen drei Manager der Imhausen-Chemie (Lahr) werden die Urteile gesprochen. Wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz werden zwei Angeklagte zu Freiheitsstrafen von 14, bzw. 16 Monaten verurteilt. Der dritte Angeklagte erhält eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten. Damit blieb das Gericht erheblich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Das Gericht sieht es als erwiesen an, daß die Angeklagten als „Gehilfen“ des bereits verurteilten Hippenstiel-Imhausen an Planung und Bau der Giftgasfabrik im libyschen Rabta mitgewirkt haben.

Das Gericht sah es ferner als erwiesen an, daß die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik durch die illegalen Exporte „erheblich gestört“ wurden. Es sei die „schwerste außenpolitische Störung der letzten zehn Jahre“ gewesen. In Hinblick auf die Bundesregierung meinte das Gericht, daß „Tatbestände, bei denen nur der Strafrahmen, nicht aber die Effektivität der Strafverfolgung“ erhöht würden, „nichts als Augenwischerei“ seien. Die Staatsanwaltschaft kündigte Revision an. (Taz, 10.10.1991)

11. Oktober 1991

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundewirtschaftsministerium, Klaus Beckmann (FDP), geht davon aus, daß noch mehr deutsche Firmen als bisher bekannt an der Aufrüstung des Iraks beteiligt waren. Die Ergebnisse der UN-Inspektionen nannte er in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag „allesamt erschreckend“. Der Stand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaften lasse bereits jetzt den Schluß zu, daß die irakische Rüstungsindustrie in erheblichem Umfang Zulieferungen von bundesdeutschen Unternehmen erhalten habe. Es sei „schockierend“, daß die irakischen Aktivitäten nur durch die umfangreiche Ausstattung aus dem Ausland so weit gedeihen konnten. (FR, 12.10.1991)

12. Oktober 1991

Der UN-Sicherheitsrat verabschiedet eine Resolution, die sicherstellen soll, daß der Irak keine Massenvernichtungsmittel herstellt. Neben einer zeitlich unbegrenzten Kontrolle des Irak wird diesem u.a. verboten, Substanzen, Maschinen oder Materialien zu importieren, die für die Herstellung von ABC-Waffen verwendet werden könnten. (Taz, 14.10.1991)

22. Oktober 1991

Die Moskauer Tageszeitung Iswestija veröffentlicht ein Interview mit dem Leiter der sowjetischen chemischen Truppen. General Petrov weist darauf hin, daß die Vernichtung der chemischen Waffen in der Sowjetunion keine Fortschritte mache. Nach seinen Angaben befinden sich „praktisch alle Lagerstätten für chemische Waffen auf russischem Territorium“. (Iswestija, 22.10.1991)

24. Oktober 1991

UN-Experten berichten, daß es während der Produktion der chemischen Waffen im Irak außergewöhnlich viele Unfälle gegeben habe. Nach Angaben irakischer Stellen waren es etwa 100 Zwischenfälle pro Jahr, von denen zehn größeren Ausmaßes gewesen seien. (Washington Times, 25.10.1991)

28. Oktober 1991

Chemische Waffen sollen künftig innerhalb der NATO nicht mehr die Rolle spielen, die ihnen in der bisherigen Strategie (MC 14/3 von 1967) zugewiesen wurde. (FR, 29.10.1991)

8. November 1991

Der sowjetische Delegationsleiter bei der Genfer Abrüstungskonferenz, Batsanov, sieht große Probleme für das sowjetische CW-Vernichtungsprogramm durch den Kollaps der Sowjetunion: „Die neu entstehende Struktur in Rußland ist nicht in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen. Wir brauchen ein Programm, und ein Programm gibt es nicht.“ Angesichts dieser Probleme sei es unwahrscheinlich, daß die Sowjetunion ihren Verpflichtungen aus dem bilateralen Abkommen mit den USA vom Juni 1990 über die Vernichtung der C-Waffen nachkommen kann.

Hinsichtlich der CW-Verhandlungen vertritt Batsanov die Auffassung, daß, selbst wenn 1992 ein Vertragsabschluß zustandekommt, das Abkommen nicht vor 1996 in Kraft treten wird. (Inside the Pentagon, 14.11.1991)

13. November 1991

Der parlamentarische Staatsekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Klaus Beckmann, erklärt vor dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestags, daß die Inspektoren der Vereinten Nationen im Irak auf die Namen von 24 deutschen Firmen gestoßen seien, die an der Entwicklung chemischer und biologischer Waffen sowie der Produktion von Scud-Raketen beteiligt waren. (Der Spiegel, 18.11.1991)

18. November 1991

Nach einem Bericht des SPIEGEL legte der Bundesnachrichtendienst (BND) Ende Oktober im Bundeskanzleramt ein Dossier vor, in dem er vor Beschaffungsbemühungen im Bereich von ABC-Waffen durch islamische Staaten warnte. So sei Libyen dabei, eine zweite Giftgasfabrik „nach dem Vorbild von Rabta“ aufzubauen. Ferner gäbe es „Indizien“ dafür, daß der Iran die Pläne der Rabta-Fabrik erhalten habe und nun versucht werde, „eine Kopie dieser Anlage zu errichten“. Die benötigten chemischen Vorprodukte sollen vermutlich von der Pestizid-Fabrik in Ghaswin geliefert werden. An deren Errichtung, die 1994 abgeschlossen sein soll, seien deutsche Firmen seit 1987 beteiligt. (Der Spiegel, 18.11.1991)

4. Dezember 1991

Wie erst jetzt bekannt wurde, hat ein US-Militärgericht bereits im Juli einen US-Soldaten wegen Spionage verurteilt. Der Soldat hatte Jordanien und dem Irak Informationen über die ABC-Schutzanzüge der US-Armee angeboten. (SZ, 5.12.1991)

23. Dezember 1991

Das Nachrichtenmagazin Der SPIEGEL berichtet über Vernehmungen des früheren Geschäftsführers der Salzgitter GmbH (SIG). Böhm soll sich dabei als BND-Informant zu erkennen gegeben haben. Somit wäre es dem BND möglich gewesen, die Bundesregierung wegen der deutschen Beteiligung am Bau der Giftgasanlage in Rabta früher als 1987 in Kenntnis zu setzen. (Der Spiegel, 23.12.1991) Der BND bestreitet, von Böhm über eine deutsche Beteiligung an Rabta informiert worden zu sein. Die Informationen seien „von anderer Seite“ erfolgt. (FR, 23.12.1991)

Die Chronologie wurde zusammengestellt von Joachim Badelt, Berghof-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Berlin.

cbw-Chronologie Januar – Juni 1991

cbw-Chronologie Januar – Juni 1991

von cbw-infodienst

Die folgende Chronologie beruht auf der »Rolling Chronology« der »Sussex-Harvard Information Bank«, die von Dr. Julian P. Perry Robinson (Universität Sussex) erstellt wird, und auf Informationen des »Internationalen Netzwerkes für die Abrüstung chemischer und biologischer Waffen« (Großbritannien) sowie Recherche- und Archivarbeit des »Informationsdienstes zur Abrüstung chemischer und biologischer Waffen« (cbw infodienst) am Berghof-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Berlin.

17. Januar 1991

Nach Beginn des Golfkrieges erklärt US-Präsident Bush, die US-Streitkräfte hätten den Auftrag, sämtliche Einrichtungen des Irak für chemische Waffen zu zerstören. (FR, 18.1.1991)

18. Januar 1991

Irak beginnt mit Raketenangriffen auf israelische Städte. Da ein Angriff mit chemischen Waffen befürchtet wird, legt die israelische Bevölkerung Schutzmasken an. Drei Frauen und ein Kind ersticken in der ersten Nacht unter ihren Masken; dreizehn Personen werden wegen Vergiftungserscheinungen behandelt, nachdem sie sich das Antidot (Gegengift) Atropin injiziert haben. (Taz, 19.1.1991)

22. Januar 1991

Nach mehr als einem Jahr Ermittlungen stellt die Staatsanwaltschaft Köln ein Verfahren gegen den Chemiekonzern Bayer AG wegen einer in den Jahren 1987/88 erfolgten Lieferung einer Chemieanlage an Iran ein. Nach Angaben der Justizbehörde habe das Unternehmen mit der Lieferung einer Anlage zur Produktion von Pflanzenschutzmitteln nicht in „strafrechtlich relevanter Weise“ gegen Gesetze verstoßen. (FAZ, 22.1.1991)

22. Januar 1991

Die Frühjahrsitzung der Genfer Abrüstungskonferenz beginnt. Hauptverhandlungsgegenstand ist die Abrüstung chemischer Waffen.

23. Januar 1991

US-Bomber zerstören eine Fabrik in Bagdad, in der nach Angaben irakischer Behörden Babymilch hergestellt wurde. US-Militärs behaupteten dagegen, es habe sich um eine Anlage zur Herstellung biologischer Waffen gehandelt. Diese Angaben werden von der französischen Herstellerfirma der Anlage, Pierre Guerin, bezweifelt. Auch neuseeländische Techniker, die dort beschäftigt waren, halten eine Nutzung als B-Waffen-Fabrik für ausgeschlossen. (Washington Post, 24.1. und 8.2.1991, Taz, 11.2.991)

23. Januar 1991

Das britische Verteidigungsministerium gibt bekannt, daß die irakischen CW-Produktionsstätten in Salaman Pak und Samarra weitgehend zerstört seien. Kurdische Quellen nannten außerdem die CW-Fabriken in Falludscha und Al-Quaim. (Financial Times, 24.1.1991)

25. Januar 1991

Aus US-Regierungskreisen wird bekannt, das Verteidigungsministerium habe die Kommandeure in der Golf-Region ermächtigt, Reizgase (»nonlethal riot-control gases«) gegen irakische Truppen einzusetzen. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Williams, bestätigt die Meldungen und erklärt, der Gebrauch von Reizgasen stelle keinen Einsatz von chemischen Waffen dar. (New York Times, 26.1.1991; Tagesspiegel, 27.1.1991)

25. Januar 1991

Der Präsident des Verbandes der chemischen Industrie (VCI), Strenger, unterstreicht in einer Erklärung, die deutsche Industrie beteilige sich weltweit „weder an der Produktion von chemischen Kampfstoffen, noch liefert sie Ausgangsstoffe für die Giftgasherstellung “. Wie für die Giftgasproduktion notwendige Materialien in den Irak gelangen konnten, kann sich der VCI-Präsident nicht erklären. (FR, 25.1.1991)

26. Januar 1991

Nach Berichten der türkischen Zeitung Milliyet besitzt der Irak eine große, unterirdische CW-Fabrik im Norden des Landes. (Milliyet, 26.1.1991)

30. Januar 1991

US-General Schwarzkopf gibt bekannt, daß die US-Luftwaffe über die Hälfte der chemischen, biologischen und atomaren Anlagen des Irak zerstört oder schwer beschädigt habe. Elf Lagerstätten für chemische und biologische Waffen seien mit Sicherheit zerstört, außerdem drei Produktionsstätten für chemische und biologische Waffen. Von den angegriffenen 31 Zielen seien 18 chemische, 10 biologische und 3 atomare Anlagen gewesen. (CWC Bulletin, Nr. 11 (März 1991), S.13)

6. Februar 1991

Als Folge massiver Angriffe, vor allem aus den USA und Israel, wegen der Hilfe bundesdeutscher Unternehmen beschließt das Bundeskabinett Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung. Danach ist der Nachweis des Auswärtigen Amtes nicht mehr nötig, daß die auswärtigen Beziehungen gefährdet werden, um eine Verurteilung zu erreichen; das rechtswidrige Erlangen einer Ausfuhrgenehmigung soll regelmäßig als Straftat und nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit geahndet werden; der gesamte Erlös aus illegalen Geschäften soll beschlagnahmt werden können; bei unzulässigen Geschäften droht Unternehmern neben schärferen Strafen auch eine vollständige oder teilweise Gewerbeuntersagung; die Ausfuhrlisten sollen erweitert werden; es soll eine Genehmigungspflicht bei der Ausfuhr von dual-use-Waren eingeführt werden, wenn der Exporteur von einer militärischen Verwendung Kenntnis hat; es soll ein selbständiges Ausfuhramt mit einer besseren Stellenausstattung geschaffen werden; dem Zollkriminalinstitut soll die Möglichkeit eingeräumt werden, Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis vorzunehmen; außerdem soll die internationale Zusammenarbeit verstärkt werden. (FAZ, 7.2.1991)

6. Februar 1991

Wie die Hamburger Illustrierte Stern berichtet, soll das Düsseldorfer Unternehmen Thyssen Rheinstahl Technik (TRT) und mindestens acht weitere deutsche Firmen an der Errichtung eines geheimen Chemielabors im Irak beteiligt gewesen sein. (Stern, 6.2.1991) Der Thyssen-Konzern weist diese Anschuldigungen als unwahr zurück. (FAZ, 21.2.1991)

13. Februar 1991

Nach einem Bericht des »US General Accounting Office« hat der Abzug der US-amerikanischen C-Waffen aus der Bundesrepublik etwa 62 Mio. US-Dollar gekostet. Etwa 10% der Kosten wurden von bundesdeutscher Seite getragen. (GAO/NSIAD-91-105)

14. Februar 1991

Die Bundesregierung hat Ägypten (bis zu 30) und Israel (bis zu 50) ABC-Spürpanzer aus Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) angeboten. (FR, 14.2.1991)

26. Februar 1991

Experten des Verteidigungsministeriums in Großbritannien erklären, daß alle Produktions- und Lagerstätten für chemische und biologische Waffen im Irak zerstört seien. (Financial Times, 27.2.1991)

1. März 1991

Nach Angaben der Fraktion der Grünen im baden-württembergischen Landtag sind zwischen 1978 und 1982 im Auftrag der Bundeswehr insgesamt zwanzig Freilandversuche mit Milzbranderregern auf dem Gelände des Instituts für Tiermedizin und Tierhygiene der Universität Hohenheim durchgeführt worden. Dies habe das Stuttgarter Wissenschaftsministerium auf Anfrage der Grünen bestätigt. (FR, 2.3.1991)

4. März 1991

Die Bundesregierung hat den Verkauf von Spürpanzern des Typs Fuchs nach Israel (acht) und Saudi Arabien (zehn) genehmigt. (FAZ, 5.3.1991)

4. März 1991

Nach einem Bericht des Spiegel soll die Preussag AG in Hannover in illegale Giftgasexporte nach dem Irak verwickelt sein. Laut Spiegel sollen über die Preussag Millionengeschäfte mit Ausrüstung für die Giftgasanlagen im irakischen Samarra abgewickelt worden sein. (Der Spiegel, Nr.10, 4.3.1991)

6. März 1991

US-Militärs teilen in Riad mit, daß trotz intensiver Suche keine irakischen C-Waffen in Kuwait oder dem südöstlichen Irak gefunden wurden. US-Geheimdienstexperten würden inzwischen davon ausgehen, daß diese Waffen niemals in diese Regionen gebracht wurden, sondern in den Lagerstätten nördlich des Euphrat blieben. (Washington Post, 7.3.1991)

6. März 1991

Nach verschiedenen Berichten sollen die Republikanischen Garden während der Bürgerkriegskämpfe bei Basra Senfgas gegen Aufständische und die Zivilbevölkerung eingesetzt haben. (Daily Telegraph, 7.3.1991) (In den folgenden Tagen und Wochen gibt es zahlreiche weitere Berichte über Einsätze von chemischen Waffen durch die Regierungstruppen im Irak.)

12. März 1991

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt erhebt Anklage gegen zwölf Mitarbeiter der Firmen Pilot Plant GmbH, Karl Kolb GmbH und Water Engineering Trading (W.E.T.). Den Beschuldigten wird vorgeworfen, mehrfach gegen das Außenwirtschaftsrecht verstoßen zu haben. Irak sei dadurch in die Lage versetzt worden, chemische Waffen herzustellen. (FR, 13.3.1991)

19. März 1991

Die israelische Staatskontrolleurin Potrat erklärte in einem Schreiben an Verteidigungsminister Arens, daß 1,4 Millionen der insgesamt 4,5 Millionen an die israelische Bevölkerung verteilten Gasmasken für den Fall eines chemischen Angriffs keinen ausreichenden Schutz geboten hätten, da sie defekt oder unzureichend gewesen seien. (Taz, 19.3.1991)

22. März 1991

Mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP verabschiedet der deutsche Bundestag die Gesetzesnovelle zum Außenwirtschaftsrecht. Gegenüber den am 6. Februar 1991 vorgestellten Maßnahmen wurden nur unwesentliche Änderungen vorgenommen. Die ungewöhnlich rasche Verabschiedung des Gesetzespakets wird von Bundeswirtschaftminister Möllemann mit dem Druck durch befreundete Regierungen begründet. (Vgl. 6. Februar 1991) (FR, 23.3.1991)

3. April 1991

Nach einem Beschluß des UN-Sicherheitsrats (Resolution 687) wird der Irak aufgefordert, alle chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen sowie seine ballistischen Raketen unter UN-Aufsicht zu vernichten und auf den Erwerb von Massenvernichtungswaffen zu verzichten.

7. April 1991

Nach einem Geheimbericht von Bundeswirtschaftsminister Möllemann hat das Bundesamt für Wirtschaft (BAW) in den letzten zehn Jahren unwissentlich Rüstungsexporte im Wert von 1,3 Milliarden DM genehmigt. Noch 1990 seien Chemieanlagen und Chemikalien, die zur Erzeugung oder Entsorgung chemischer Kampfstoffe geeignet sind, vom BAW für den Irak freigegeben worden. (Der Spiegel, Nr. 15, 8.4.1991)

12. April 1991

Nach einem Bericht der Berliner Tageszeitung wurden die Pläne für die Chemiewaffenanlage Rabta von Libyen an ein unbekanntes Drittland (vermutlich Ägypten oder Nord-Korea) weiterverkauft. (Taz, 12.4.1991)

15. April 1991

Nach einem Bericht des Spiegel enthielten die in der Bundeswehr seit Jahrzehnten verwendeten Gasmasken krebserregendes Asbest. Deshalb wurden sie Anfang Januar in einer bundesweiten Aktion ausgetauscht. (Der Spiegel, Nr. 16, 15.4.1991)

19. April 1991

Vertreter der irakischen Regierung übergeben den Vereinten Nationen in New York eine Liste der Waffen und Materialien, auf die der Irak aufgrund der Waffenstillstandsbedingungen verzichten muß. Hinsichtlich der chemischen Waffen werden folgende Zahlen genannt: 30 CW-Sprengköpfe für Scud-Raketen, 650 Tonnen des Nervengases Tabun und 280 Tonnen Senfgas. Außerdem 1.145 Bomben oder Artilleriegeschosse mit Senfgas. 6.920 Sprengköpfe für 120-Millimeter-Geschosse und 2.500 Sprengköpfe für Raketen des Typs Sakr-30, beide gefüllt mit dem Nervengas Sarin. Außerdem 200 Sarin-Bomben des Typs BD-2 und weitere 75 Tonnen dieses Nervenkampfstoffes. 150 Tonnen des Nervenkampfstoffes Tabun in einem Zwischenstadium, 500 Tonnen Tabun und 280 Tonnen Senfgas. In dem Schreiben wird jeglicher Besitz biologischer oder atomarer Waffen bestritten. US-amerikanische Stellen bezeichneten die genannten Zahlen als zu niedrig. (FR, 20.4.1991)

19. April 1991

Der Bundesrat verweigert seine Zustimmung zu den vom Bundestag verabschiedeten Gesetzen zur Novellierung des Außenwirtschaftsrechts und verweist sie an den Vermittlungsausschuß. Die Mehrheit der SPD-regierten Länder wollte die weitgehenden Befugnisse zur Telefon- und Postüberwachung nicht akzeptieren, die das Zollkriminalinstitut erhalten sollte. (Taz, 20.4.1991)

27. April 1991

Die Behälter der chemischen Waffen, die in den 50er und 60er Jahren im Weißen Meer (UdSSR) versenkt wurden, rosten durch und verseuchen das Wasser. In der gesamten Küstenregion ist die Sterblichkeitsrate binnen eines Jahres um 10%, die Zahl der Mißbildungen bei Neugeborenen um 24% gestiegen. (Welt am Sonntag, 28.4.1991)

13. Mai 1991

Das Weiße Haus in Washington veröffentlicht eine Übersicht über eine »Initiative« Präsident Bushs zur Abrüstung chemischer Waffen. Im Rahmen dieser Initiative sollen u.a. folgende Maßnahmen ergriffen werden: (1) Abschluß der Konvention binnen zwölf Monaten; (2) die USA verzichten darauf C-Waffen „aus welchem Grund auch immer “ einzusetzen; (3) die USA geben ihre Position auf, Sicherheitsbestände von 2% aufrechtzuerhalten, bis alle C-waffenfähigen Staaten dem Vertrag beigetreten sind; (4) sie werden anderen Staaten praktische und wirksame Hilfe zur Verfügung stellen, um zur raschen, sicheren und umweltverträglichen Zerstörung von chemischen Waffen beizutragen.

22. Mai 1991

Die Opposition im Bundestag kritisiert den soeben veröffentlichten Bericht des Wirtschaftsministeriums über deutsche Rüstungsexporte in den Irak. Der SPD-Abgeordnete Bachmaier nannte den Bericht „ein trauriges Beispiel dafür, daß die Regierung freiwillig nicht dazu bereit ist, die Öffentlichkeit umfassend über die Verstrickungen deutscher Firmen “ in solche Geschäfte zu informieren. Der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Feige, weist darauf hin, daß die Bundesregierung Einzelheiten über die Verwicklung bundesdeutscher Firmen in Giftgasgeschäfte in der öffentlich zugänglichen Kurzfassung des Geheimberichts verschweige. (FR, 23.5.1991, Dokumentation des Bundesministeriums für Wirtschaft, Nr. 311)

7. Juni 1991

Bundesrat verweigert erneut seine Zustimmung zum neuen Außenwirtschaftsrecht, nachdem im Vermittlungsausschuß zwischen Bundesregierung und Bundesrat keine Einigung erzielt werden konnte. Strittig sind nach wie vor die Eingriffsbefugnisse des Zollkriminalinstituts in das Post- und Fernmeldegeheimnis. (FAZ, 8.6.1991)

17. Juni 1991

Der UN-Sicherheitsrat beschließt, daß der Irak die Kosten für die Vernichtung seiner chemischen Waffen selbst zu tragen habe.

18. Juni 1991

Bundeswirtschaftsminister Möllemann erklärt, er wolle das vom Bundesrat abgelehnte Gesetzespaket zum Außenwirtschaftsrecht in „modifizierter Form“ einbringen. Durch die „Herausnahme einer Teilregelung“ soll die Zuständigkeit des Bundesrat umgangen werden. (FR, 19.6.1991)

18. Juni 1991

Unter Berufung auf einen irakischen Wissenschaftler haben Diplomaten der Vereinten Nationen in New York den Verdacht geäußert, daß der Irak weit mehr chemische Waffen und Scud-Raketen besitzt als angegeben. (FR, 19.6.1991)

24. Juni 1991

Die UN-Kommission veröffentlicht einen Bericht über das Ergebnis ihrer Reise in den Irak vom 9. bis 14. Juni. Darin wird u.a. die Auffassung vertreten, daß die staatseigene Muthana-Fabrik zur Vernichtung des irakischen CW-Arsenals geeignet sei. (FR, 26.6.1991)

Die Chronologie wurde zusammengestellt von Joachim Badelt, Berghof-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Berlin.

cbw-Chronologie: Januar 1990 – Dezember 1990

cbw-Chronologie: Januar 1990 – Dezember 1990

von cbw-infodienst

Die folgende Chronologie beruht auf der Rolling Chronology der »Sussex-Harvard Information Bank«, die von Dr. Julian Perry Robinson (Universität Sussex) erstellt wird, und auf Informationen des Internationalen Netzwerkes für die Abrüstung chemischer und biologischer Waffen (Großbritannien) sowie Recherche- und Archivarbeit des Informationsdienstes zur Abrüstung chemischer und biologischer Waffen (cbw infodienst), Berlin.
Die CBW-Chronologie wird von nun an zweimal jährlich im Informationsdienst Wissenschaft & Frieden erscheinen und die jeweils zurückliegenden Monate umfassen.

9.2.1990

Die Außenminister der USA und der UdSSR, Baker und Schewardnadse, erklären in Moskau, eine multilaterale, verifizierbare Konvention über chemische Waffen zum frühest möglichen Zeitpunkt anzustreben.1

8.3.1990

In Clausen findet eine Informationsveranstaltung von Ministerien und Behörden statt, bei der die Bevölkerung erstmals erfährt, daß seit über zwanzig Jahren Giftgasgranaten der US-Armee in ihrer nächsten Umgebung gelagert werden.2

14.3.1990

Die libysche Chemiefabrik in Rabta soll durch ein Großfeuer zerstört worden sein.3

28.3.1990

Die Bundesregierung einigt sich auf einen Gesetzentwurf für die Änderung des Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetzes. Unter Strafe gestellt wird u.a. die „wesentliche Förderung“ des Handels mit atomaren-, chemischen- und biologischen Waffen und die Beteiligung am Bau von Waffenanlagen im Ausland. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Müller sieht in der Gesetzesvorlage der Regierung den Beweis dafür, daß die Regierungsparteien „politisch dagegen“ seien, Waffengeschäfte zu begrenzen.4

1.4.1990

Iraks Präsident Saddam Hussein erklärt, daß sein Land binäre chemische Waffen besitzt. Er droht damit, im Falle einer Bedrohung durch Israel die Hälfte des Landes zu vernichten. Die neuen chemischen Waffen seines Landes seien so wirkungsvoll wie Atombomben, so Hussein. Die chemischen Kriegführungskapazitäten wären denen der USA und der UdSSR gleichwertig.5

3.4.1990

Der Irak bekräftigt vor der Genfer Abrüstungskonferenz seine Ansicht, daß eine C-Waffen-Konvention nur dann seine Zustimmung findet, wenn sie mit atomarer Abrüstung verkoppelt wird.6

6.4.1990

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wirft der angolanischen Regierung vor, C-Waffen eingesetzt zu haben.7

5.5.1990

Nach einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums sind sowohl iranische wie irakische C-Waffen verantwortlich für das Massaker an der kurdischen Bevölkerung am 18.3.1988 in Halabdscha. So sollen iranische Streitkräfte mehr als 50 Tonnen chemische Bomben verwendet, und wohl auch als erste Zyanid-Granaten eingesetzt haben. Der Iran hat bislang einen Giftgas-Einsatz bestritten.8

7.5.1990

Für drei Millionen DM wurde die Giftgasverbrennungsanlage in Munster repariert und geht im Juni wieder in Betrieb. Dort will die Bundeswehr täglich 350 kg Giftgas aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg verbrennen.9

1.6.1990

Der Bundestag verabschiedet neue Exportkontrollgesetze, durch die Geschäfte bundesdeutscher Unternehmen mit ABC-Waffen im In- und Ausland verhindert werden sollen. Bei Verstößen soll die Höchststrafe 15 Jahre betragen, die Mindeststrafe zwei Jahre. Weiterhin sollen verschärfte Kontrollregelungen einsetzen. Von SPD und den Grünen wird der Koalitionskompromiß kritisiert; er sei verwässert und habe zu viele Schlupflöcher, da keine handhabbaren Kontrollmechanismen vorgesehen sind, die einer wirsamen Schutz bieten. Das Gesetz wird am 22. Juni im Bundesrat beraten und soll am 1. Juli in Kraft treten.10

1.6.1990

In Washington unterzeichnen die Präsidenten der USA und der UdSSR, Bush und Gorbatschow, einen Vertrag, der die Reduzierung der jeweiligen C-Waffen-Potentiale auf 5.000 Tonnen (Kampfstoffe) bis zum Jahr 2002 vorsieht. Außerdem wollen beide Staaten acht Jahre nach Inkrafttreten einer CW-Verbotskonvention ihre CW-Arsenale auf jeweils 500 Tonnen abbauen. Dann soll auf einer Sonderkonferenz aller Unterzeichnerstaaten der Konvention entschieden werden, ob eine endgültige Vernichtung der Restbestände innnerhalb der nächsten beiden Jahre zu erfolgen habe..11

6.6.1990

US-Inspektoren besuchen C-Waffen-Lagerstätten in der UdSSR. Dies war im Abkommen von Wyoming vereinbart worden.12

20.6.1990

Experten der UdSSR besichtigen die im Bau befindliche C-Waffen-Vernichtungsanlage im Tooele Army Depot in Utah, USA.13

22.6.1990

Der Bundesrat lehnt mit der Mehrheit der SPD-regierten Länder die Novelle des Aussenwirtschaftsgesetzes ab (die somit nicht inkrafttreten kann) und ruft den Vermittlungsausschuß an. Es sollen schärfere Strafen für die Beteiligung deutscher Staatsbürger an der Produktion von ABC-Waffen durchgesetzt werden. So soll die Mindeststrafe von einem auf zwei Jahre erhöht werden.

25.-29.6.1990

In Genf treffen Vertreter der chemischen Industrie mit den Verhandlungsdelegationen bei der Genfer Abrüstungskonferenz zusammen und diskutieren Probleme bei der Kontrolle eines umfassenden C-Waffen-Verbots.

27.06.1990

Das Landgericht Mannheim verurteilt den ehemaligen Geschäftsführer der Imhausen-Chemie, Jürgen Hippenstiel-Imhausen, wegen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz und Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. In dem Prozeß konnte aufgrund von Zeugenaussagen und Gutachten nachgewiesen werden, daß die Anlage in Rabta der Produktion von Senfgas sowie Sarin und Soman dient.14

27.6.1990

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft beginnt Ermittlungen gegen die Stuttgarter Handelsfirma »Rose GmbH« und das Datenverarbeitungsunternehmen Abacus in Ulm, die an der Lieferung einer zweiten Giftgasfabrik an Libyen beteiligt sein sollen.15

1.7.1990

Der bundeseigene Salzgitter-Konzern soll doch mehr in den Imhausen/Rabta-Fall verwickelt gewesen sein, als bislang bekannt war. Nach einem Bericht des Spiegel sollen mindestens drei Manager des Konzerns von der Lieferung an Libyen unterrichtet gewesen sein.16

6.7.1990

Nach Berichten der Berliner tageszeitung sollen in der DDR chemische Kampfstoffe der Sowjetunion gelagert werden. Auch hätten Übungen mit chemischen Waffen stattgefunden. Die Bestände sollen 20-30.000 Tonnen betragen. Das VEB Arzneimittelwerk Dresden soll vor 1985 zeitweilig auch chemische Kampfstoffe hergestellt haben.17

10.7.1990

Das Bundesverteidigungsministerium geht davon aus, daß die Berichte über sowjetische C-Waffen in der DDR zutreffen. Es gäbe sechs bis acht Depots für diese Waffen.18

Der Sprecher des Ministeriums für Abrüstung und Verteidigung der DDR, Oberst Uwe Hempel, widerspricht dieser Darstellung und erklärt nach Rücksprache mit dem Oberkommando der sowjetischen Streikräfte, daß keine sowjetischen C-Waffen in der DDR gelagert seien.19

14.7.1990

Der französische Außenminister Dumas sagt in einem Interview, er halte ein C-Waffen-Abkommen noch dieses Jahr für möglich, wenn einige Staaten ihre Auffassung, daß C-Waffen ein Abschreckungspotential gegen Atomwaffen darstellten und somit die Abrüstung bei beiden Waffen zu koppeln sei, aufgeben würden.20

19.7.1990

Der Leiter des Inspektionsteams der Bundeswehr erklärt, daß die Untersuchungskommission in der DDR keine chemischen Waffen gefunden habe. Die NVA verfüge lediglich über geringe Mengen an Kampfstoffen, die zur Ausbildung in der Kampfstoffabwehr sowie zur Prüfung von Schutzmitteln benötigt würden.21

26.7.1990

Der Abtransport der chemischen Waffen der USA aus der Bundesrepublik beginnt. Über wechselnde Routen werden die 100.000 Giftgasgranaten an dreißig Werktagen von Clausen nach Miesau transportiert werden. Dort werden sie unter freiem Himmel zwischengelagert, bis sie per Bahn nach Nordenham transportiert werden. Jeder Transport besteht aus 80 Fahrzeugen und wird von 1.200 Polizisten begleitet.22

27.7.1990

Israel gibt erstmalig den Besitz von chemischen Waffen zu.23

1.8.1990

Die SPD befürchtet eine Umweltkatastrophe durch die nach dem Zweiten Weltkrieg in Nord- und Ostsee versenkten C-Waffen. Der Bundestagsabgeordnete Klaus Kübler fordert die Bundesregierung auf, umfassende Auskunft über Vernichtung der Wehrmachtsbestände, eventuelle Restbestände und die Versenkungsaktionen zu geben.24

8.8.1990

Die Berliner tageszeitung berichtet, daß bereits im Juli Vertreter der US-Armee erklärt hatten, die aus der Bundesrepublik abgezogenen C-Waffen werden dem für den Pazifik zuständigen Armeekommando unterstellt und dienten weiterhin „nationalen Verteidigungszwecken der USA“. Der Grund dafür liege in den Schwierigkeiten mit der Produktion neuer, binärer C-Waffen, da nicht sicher ist, ob die vom Pentagon erfordete Mindestmenge bis Anfang 1991 produziert werden kann, bevor das C-Waffenabkommen zwischen der Sowjetunion und den USA in Kraft tritt.25

15.8.1990

Das Inspektionsteam der Bundeswehr, das bei der sowjetischen Militäreinheit in Hohenleipisch im DDR-Bezirk Cottbus nach chemischen Waffen gesucht hatte, hat dort lediglich konventionelle, zur chemischen Kriegführung untaugliche Muniton vorgefunden. Der Leiter der Gruppe bestätigte, daß die Inspekteure uneingeschränkten Zutritt zu allen Bereichen des Militärstützpunktes gehabt hätten.26

16.8.1990

Wie Andreas Zumach in der Tageszeitung belegt, beruhen die Meldungen über angebliche große C-Waffenvorräte der UdSSR in mehreren osteuropäischen Staaten auf gezielten Fehlinformationen des Bundesnachrichtendienstes und der Bundesregierung.27

16.8.1990

Die USA schließen bei einem C-WaffenAngriff durch den Irak einen eigenen Einsatz solcher Waffen nicht aus. Der amerikanische Delegationsleiter in Genf, Richard Ledogar, betont die Position seiner Regierung, wonach sich die USA einen Vergeltungsschlag vorbehalten.28

17.8.1990

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt beantragt Haftbefehle gegen ehemals leitende Mitarbeiter der Firmen Karl Kolb, Pilot Plant, Preussag und der Water Engineering Trading GmbH (W.E.T.). Sie stehen im Verdacht, Anlagen zur Chemiewaffenproduktion im Wert von DM 30 Mio. in den Irak geliefert zu haben. Die langjährigen Ermittlungen konnten erst zu Verhaftungen führen, nachdem der Schweizer Professor W. Richarz den erforderlichen Nachweis erbrachte, daß die Anlagen zur Giftgasproduktion nicht nur geeignet, sondern eigens dafür konstruiert worden seien.29

18.8.1990

Übereinstimmend haben die Delegationsleiter der UdSSR und der USA von „mangelnden Fortschritten“ bei den Genfer Verhandlungen über ein Verbot von C-Waffen berichtet. Anstatt die wichtigen politischen Fragen zu lösen, habe man sich bei Debatten um Detailfragen im Kreise gedreht.30

30.8.1990

Der US-Kongreß legt einen Bericht vor, aus dem hervorgeht, daß die C-Waffen-Verbrennungsanlage auf dem Johnston-Atoll erst im September 1991 mit voller Kapazität arbeiten kann. Die US-Armee liegt danach um drei Jahre hinter ihrem Zeitplan zurück. Außerdem sind die Kosten um 190 Millionen Dollar höher als bisher geplant.31

4.9.1990

Medico international will Schadensersatz für die kurdischen Opfer der irakischen Giftgasangriffe von 1988 von der Bundesregierung einklagen. Grundlage für die Klage ist die „unmittelbare Beteiligung von Mitgliedern des BND am Aufbau der irakischen Giftgasanlage“, woraus Medico schließt, daß die Bundesregierung frühzeitig von den Geschehnissen im Irak unterrichtet war und sie eventuell sogar gebilligt habe.32

7.9.1990

Die deutsche Bundesregierung hat sich nach Angaben der US-Botschaft in Bonn bereiterklärt, den US-Streitkräften weitere 20 ABC-Spürpanzer Fuchs für ihre Operationen in der Golfregion zur Verfügung zu stellen. Damit befinden sich nun insgesamt 30 bundesdeutsche Spürpanzer im Krisengebiet.33

12.9.1990

Der Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag schlägt vor, die vorgesehene Mindeststrafe bei Verstößen gegen die neue Außenwirtschaftsgesetzgebung von einem auf zwei Jahre anzuheben. Auch die sog. »Wissenschaftsklausel« soll entfallen, die ausdrücklich Straffreiheit bei leichten Verstößen im Rahmen wissenschaftlicher Zusammenarbeit zusicherte.34

12./13.9.1990

Der Abtransport der in Miesau zwischengelagerten amerikanischen C-Waffen beginnt. Die Granaten werden jeweils nachts mit Zügen nach Nordenham gebracht, wo sie auf US-Militärfrachtschiffe verladen werden.35

19.9.1990

Der Deutsche Bundestag verabschiedet das »Gesetz zur Verbesserung der Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs und zum Verbot von Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen«. Die Novellierung des Außenwirtschaftsrechts war infolge des Imhausen/Rabta-Falles Anfang 1989 in Gang gekommen.36

22.9.1990

Die beiden US-Militärfrachtschiffe mit den amerikanischen C-Waffen aus der Pfalz verlassen den niedersächsischen Hafen Nordenham, um die Granaten zum Johnston-Atoll zu bringen, wo sie 1994 vernichtet werden sollen.37

2.10.1990

Eine Teilnehmerin an den Blockaden vor dem Fischbach-Depot im Sommer 1988 wird vor dem Landgericht Zweibrücken freigesprochen. Dieser Prozeß stand am Anfang von mehr als 120 Revisionsverfahren vor rheinland-pfälzischen Gerichten. Von den 122 erstinstanzlichen Verfahren endeten 111 mit einer Verurteilung wegen Nötigung oder versuchter Nötigung. Es gab elf Freisprüche, zumeist aus Mangel an Beweisen.38

17.10.1990

Nach einem Bericht der Berliner Tageszeitung stehen 120 bis 150 Firmen unter Verdacht, dem Irak auf teilweise illegalen Wegen zu Raketentechnologie, Atomtechnik, Giftgasanlagen sowie zu konventionellem Kriegsmaterial verholfen zu haben. Dies geht aus einer Liste mit verdächtigen Unternehmen hervor, die von einem interministeriellen Ausschuß zu Embargo-Fragen erstellt und ständig fortgeschrieben wird.39

23.10.1990

Der US-Kongreß beschließt für den Verteidigungshaushalt 1991 keine Mittel für das Binärwaffenprogramm zur Verfügung zu stellen. Für das Programm zur Vernichtung der CW-Bestände wurden 382,6 Millionen US-Dollar genehmigt, das sind 28,2 Millionen US-Dollar mehr als ursprünglich beantragt.40

25.10.1990

Wie aus einem als »streng geheim«, inzwischen aber freigegebenen Memorandum der Stabschefs der US-Streitkräfte aus dem Jahr 1962 (JCSM-970-62) hevorgeht, wurde in Gerbach bei Kirchheimbolanden bereits 1959 ein C-Waffen-Depot eingerichtet. Im Jahre 1967 wurde der größte Teil der dort gelagerten 3.549 Tonnen Giftgas aus der Bundesrepublik abtransportiert – bis auf die Granaten mit dem Nervenkampfstoff Sarin, die damals nach Clausen geschafft wurden.41

24.11.1990

Auf einer Fachtagung der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« wird auf die wachsende Gefahr durch biologische Waffen hingewiesen. Vor allem neuere Entwicklungen in der Gentechnologie haben zu einer möglichen Beherrschbarkeit und damit zu einem größeren Interesse der Militärs an diesen Waffen geführt.

Obwohl die Herstellung, der Besitz und die Weitergabe von biologischen Waffen nach der B-Waffen-Konvention von 1972 verboten sind, blieb die Forschung für »Schutzzwecke« erlaubt. In der Sowjetunion sind 70 Institute auf dem Gebiet der sog. »B-Waffen-Schutzforschung« tätig. Der BW-Etat der USA vervierfachte sich von 1980 bis 1988 auf 60 Millionen Dollar. In der Bundesrepublik gab es einen Anstieg von sechs auf 23,5 Millionen DM zwischen 1978 und 1988.42

26.11.1990

Nach Angaben des sowjetischen Verteidigungsministeriums gibt es große Schwierigkeiten, geeignete Standorte für die Vernichtung der C-Waffen zu finden, da die Bevölkerung „stürmisch gegen den Bau derartiger Objekte“ protestiere.43

13.12.1990

Zwei ehemalige Mitarbeiter der Imhausen-Chemie werden verhaftete wegen des Verdachts, Libyen beim Aufbau einer C-Waffen-Produktionsanlage geholfen zu haben.44

17.12.1990

Nach einem Bericht des SPIEGEL plant Libyen den Bau einer Produktionsanlage für biologische Waffen in der Nähe der Stadt Sebha, sowie weitere Projekte zur Herstellung von chemischen Waffen südlich von Sirt und in Rabta.45

Anmerkungen

1) taz, 12.2.1990 Zurück

2) taz, 9.3.1990 Zurück

3) The Independent (London), 15.3.1990 Zurück

4) FR, 31.3.1990 Zurück

5) FAZ, 3.4.1990; Die Zeit 6.4.1990 Zurück

6) CD/PV.548, S.21 Zurück

7) FAZ, 6.4.1990 Zurück

8) taz, 5.5.1990 Zurück

9) taz, 8.5.1990 Zurück

10) FAZ, 2.6.1990 Zurück

11) Der Text des Vertrages ist abgedruckt in: CD/1001 vom 12.6.1990 Zurück

12) Chemical Weapons Convention Bulletin, June 1990, S. 18 Zurück

13) TASS, 22.6.1990 Zurück

14) SZ, 28.6.1990 Zurück

15) FAZ, 28.6.1990 Zurück

16) Der Spiegel, 1.7.1990 Zurück

17) taz, 7.7.1990, Berliner Morgenpost, 10.7.1990 Zurück

18) FAZ, 11.7.1990 Zurück

19) Berliner Zeitung (DDR), 11.7.1990 Zurück

20) Jane's Defence Weekly, 14.6.1990, S.64 Zurück

21) taz, 20.7.1990 Zurück

22) FR, 25.7.1990 Zurück

23) taz, 28.7.1990 Zurück

24) taz, 2.8.1990 Zurück

25) taz, 8.8.1990 Zurück

26) FR, 15.8.1990 Zurück

27) taz, 16.8.1990 Zurück

28) taz, 17.8.1990 Zurück

29) FAZ, 18.8.1990 Zurück

30) taz, 18.8.1990 Zurück

31) FAZ, 31.8.1990 Zurück

32) taz, 4.9.1990 Zurück

33) FR, 8.9.1990 Zurück

34) FR, 13.9.1990 Zurück

35) FR, 14.9.1990 Zurück

36) Stenographische Protokolle des Deutschen Bundestags, 19.9.1990, S. 17786ff.; Bundesgesetzblatt vom 10.11.1990, S. 2428 ff. Zurück

37) Hannoversche Allgemeine Zeitung, 24.9.1990 Zurück

38) taz, 2.10.1990 Zurück

39) taz, 17.10.1990 Zurück

40) Chemical Weapons Convention Bulletin, Dezember 1990, S. 11 Zurück

41) SZ, 25.10.1990 Zurück

42) FR, 26.11.1990 Zurück

43) taz, 26.11.1990 Zurück

44) FR, 14.12.1990 Zurück

45) Der Spiegel, 17.12.1990 Zurück

Die Chronologie wurde zusammengestellt von Joachim Badelt, Berghof-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Berlin.

Der B-Waffenvertrag nach der II. Reviewkonferenz: Einen biologischen Rüstungswettlauf verhindern!

Der B-Waffenvertrag nach der II. Reviewkonferenz: Einen biologischen Rüstungswettlauf verhindern!

von Helmut Weigel

Die ungeahnten Möglichkeiten durch die neuen Methoden der Gentechnologie nähren die alten Hoffnungen der Militärs: Die Liste der Nachteile von einst wurde längst zum „Wunschkatalog“ an die Gentechniker von heute (siehe Kasten). Es wird wieder intensiv geforscht. Dabei verbietet der 1972 für die B-Waffen abgeschlossene Vertrag nicht nur ihren Einsam, sondern auch ihre Entwicklung, Herstellung und Lagerung. Es ist bis heute der einzige Vertrag, der eine gesamte Waffengattung umfaßt. Von daher ist es gerade heute von höchster Wichtigkeit, alles daran zu sehen, daß dieses Übereinkommen seinen ursprünglichen Absichten auch zukünftig gerecht wird. Es dürfte die einzige mögliche Alternative sein, um heute einen neuen biologischen „Rüstungswettlauf“ einzudämmen.

Dieser Aufgaben sahen sich die diplomatischen Vertreter von 67 Nationen im vergangenen Herbst gegenübergestellt, als sie sich zu einer Konferenz in Genf trafen, um die B-Waffen-Konvention auf Mängel hin zu überprüfen. Fest steht heute, daß die mit dieser Konferenz verbundenen Erwartungen, die schließlich nach zähem Ringen erzielten und in einer gemeinsamen Abschlußerklärung zusammengefaßten Ergebnisse und die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen erst noch in den politischen Alltag eingebunden werden müssen. Das seht voraus, daß die Stimmen der aktiv Beteiligten nicht im diplomatischen Dschungel verhallen. Ihre, naturgemäß die eigene Sichtweise hervorhebende, Kommentierung der Konferenz ist jüngst in „Disarmement“ erschienen.1

Alle Teilnehmer waren sich der Herausforderung bewußt, den in Schwierigkeiten geratenen Vertrag zu stärken. Sie konnten seine Anfechtbarkeit nicht länger mehr ignorieren, zu offensichtlich sind inzwischen die gewaltigen Mißbrauchsmöglichkeiten von Bio- und Gentechnologie. Noch auf der 1. Konferenz zur Überprüfung des B-Waffen-Vertrages glaubte man, daß der Vertrag ausreichend umfassend sei, um neue Entwicklungen abzudecken. Das genügte diesmal nicht mehr.

Dazu trug ganz wesentlich eine SIPRI-Studie bei, die zu Beginn der Konferenz an alle Delegationen verteilt wurde und schonungslos die Vertragsschwächen bloßlegte. Diese von dem Virologen und Mitglied der DDR-Delegation, Erhard Geissler, herausgegebene Studie wurde wegen ihrer konkreten, von einer internationalen Wissenschaftler- und Expertengruppe unterstützten Vorschläge gelobt. „Biological and Toxin Weapons Today“, so der Titel der Studie, erkannte aber auch die Grenzen: Eine vollständige Beseitigung aller B- und Toxinwaffen wird wohl nur durch ein Verbot von C-Waffen erreicht werden können. Geissler war übrigens der einzige aktive, international anerkannte Biowissenschaftler auf der Konferenz.

Nicht ohne Einfluß auf die schließlich erzielten Fortschritte dürfte das damals bevorstehende Gipfeltreffen in Reykjavik gewesen sein. Die üblichen amerikanischen Anschuldigungen an die Adresse der Sowjetunion fielen vergleichsweise moderat aus. Lynn M. Hansen, Assistenzdirektor für multilaterale Angelegenheiten bei der amerikanischen Rüstungskontrollbehörde, bezeichnete in seiner Konferenzkommentierung das Vorgehen der US-Delegation als „kritisch, aber konstruktiv“.9 Offensichtlich wollte man, auch mit Rücksicht auf die neutralen Staaten, Kooperationsbereitschaft demonstrieren und das Thema in dieser Runde nicht allzusehr hochspielen.

Mehr noch überraschte die Sowjetunion. Gleich zu Konferenzbeginn bot sie an, alle Fragen bezüglich vorhandener Zweifel an ihrer Vertragstreue zu beantworten. Der sowjetische Vertreter sagte, sein Land wäre bereit, alle Informationen zu geben, welche die amerikanische Delegation haben möchte, um ihre Zweifel ausräumen zu können, und fing von sich aus an, über die Milzbrandepidemie von Swerdiowsk im Jahre 1979 zu berichten. Er führte Beweise an, die die US-Behauptung, es handle sich um die Folgen eines Unfalls in einer geheimen Fabrik für biologische Kampfstoffe, widerlegten. Das wirkte überzeugend. Ein europäischer Delegierter warnte: der Westen könnte noch von einer Informationsflut aus dem Osten überrascht werden.

Sichtlich bemüht um die Stärkung des B-Waffen-Vertrages schlug die Gruppe der sozialistischen Staaten im Laufe der Generaldebatte die Ausarbeitung eines Ergänzungsprotokolls zur Klärung von Kontrollmaßnahmen und ein Expertentreffen vor, das eine gesonderte Konferenz zur rechtsverbindlichen Annahme des ausgearbeiteten Protokolls vorbereiten sollte, fand damit Anforderungen an militärisch einsetzbare pathogene Mikroorganismen, Viren und Toxine aber keine Mehrheit, da sich die Mehrheit der Delegation schon zu Beginn der Konferenz darauf verständigt hatte, daß ein formeller Ergänzungsantrag nicht in der Zuständigkeit dieser Konferenz liege. Der Vorschlag war dennoch bemerkenswert, denn nach wie vor gab und gibt es sehr unterschiedliche Meinungen darüber, wie eine verbindliche Änderung des Vertrages eingeleitet werden sollte.

(US Department of Army and Air Force, 1964) 2:

– stark schädigendeWirkung

– eingeschränkte Abwehrmöglichkeiten

– Möglichkeit effizienter Verbreitung (Versprühen als Aerosol, Stabilität, Kontrollierbarkeit)

– Herstellbarkeit in großen Mengen

Vom Pentagon durch Gentechnik zukünftig als realisierbar eingeschätzt (US Department of Defense Biological Defense Program, 1986) 3:

– in Minuten wirkende Toxine; maßgeschneiderte, physiologisch aktive Peptide

– Organismen mit neuen Immuncharakeristiken, die sich einem Impfschutz oder dem menschlichen Immunsystem entziehen

– Impfstoffe, Diagnoseverfahren; umweltstabile Toxine

– in großen Mengen herstellbare Pflanzen- und Pilztoxine

Vor allem Schweden und den neutralen Staaten war es zu verdanken, daß man mit dem Problem einer besseren Vertragsüberwachung weiterkam. Der schwedische Vorschlag lief darauf hinaus, verstärkt Informationen auszutauschen. Denn nur absolute Offenheit kann jene Verdächtigungen verhindern, die den Vorwand für eskalierende militärische Verteidigungsantworten liefern. Man einigte sich auf wichtige vertrauensbildende Maßnahmen zur Stärkung des Vertrages. Zukünftig sollen die Standorte der sogenannten Hochsicherheitslabore, sowie Umfang und Art der dort betriebenen Forschung, ebenso bekannt gemacht werden, wie das Auftreten ungewöhnlicher Krankheitsausbrüche irgendwo auf der Welt. Darüberhinaus sollen auf wissenschaftlicher Ebene Kontakte ausgebaut und gemeinsame Forschungsprogramme gefördert werden.

Freilich ist damit noch immer ungeklärt, wie mit einer vorgebrachten Anschuldigung, den Vertrag zu verletzen, verfahren werden soll. Man kann sich zwar an den UN-Sicherheitsrat wenden, jedoch genügte bisher stets ein Veto, um es erst gar nicht zur Einberufung einer Untersuchungskommission kommen zu lassen. Der Versuch der USA, den Sicherheitsrat zu umgehen, indem sie beispielsweise ihre Anschuldigungen über sowjetische Vertragsverletzungen vor die Generalversammlung brachten, hatte auch nicht mehr Erfolg. Denn unabhängig davon, wer letztlich eine Expertengruppe einberuft, zur tatsächlichen Aufklärung braucht man zuerst ein von allen akzeptiertes Überprüfungsverfahren, welches insbesondere Vor-Ort-Untersuchungen regelt. Ohne abgestimmte Verifikationsprozeduren leidet nämlich die Glaubwürdigkeit einer wie auch immer zusammengesetzten Untersuchungskommission, ja sogar ihr Mißbrauch kann nicht ausgeschlossen werden. Hier ist von allen Beteiligten noch einige Arbeit zu leisten.

Ungeachtet dessen wurde erneut, wie schon auf der ersten Zusammenkunft, der ziemlich unklare Vorschlag eines „Konsultativmeetings“ eingebracht, das jeder Staat jederzeit fordern könne und in dem kein Staat ein Vetorecht haben dürfe. Als die Konferenz hierzu beschloß, ein solches Konsultativmeeting erst einmal klarer zu definieren und seine Aufgaben besser zu präzisieren, entsprach das nicht ganz den Erwartungen vieler westlicher Delegationen. Viele wünschten sich, den UNO

Generalsekretär mit der Einberufung eines derartigen Meetings zu betrauen, wie es im Falle des Iran-Irak-Konflikt zur Prüfung eines unerlaubten C-Waffen-Einsatzes bereits einmal geschehen ist.

Die überaus rasche Entwicklung auf dem Gebiet der Bio- und Gentechnologie, so der peruanische Botschafter Jorge M. Pando in seiner Konferenzbewertung,4 bereitet den Dritte-Welt-Staaten zunehmend Sorge. Sie warnen vor einer rapide größer werdenden Kluft zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern bei der friedlichen Nutzung der Gen- und Biotechnologie und fordern deshalb neue institutionelle Wege, die eine bessere Zusammenarbeit gewährleisten sollen. Die sozialistischen Staaten unterstützen zwar dieses Verlangen, aber noch gibt es kaum Fortschritte. Auch die in der Abschlußerklärung der B-Waffen-Konferenz formulierte Forderung, ökonomische und soziale Entwicklung in den Entwicklungsländern zu fördern, bleibt ohne Wirkung, solange lediglich auf andere diplomatische Gesprächskreise verwiesen wird und konkrete Lösungsansätze fehlen. Man war ganz offensichtlich froh, das Problem auf die UNO-Konferenz über zusammenhängende zwischen Abrüstung und Entwicklung, die im Herbst dieses Jahres stattfand, vertagen zu können.

Unter dem Eindruck der Pannen in Fort Detrick 5, die unmittelbar vor Konferenzbeginn bekannt wurden, aber auch aus Furcht vor denkbaren terroristischen Absichten, drängten die Konferenzteilnehmer auf nationale Gesetze zur Laborsicherheit. Jeder Staat solle die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen ergreifen, um den Verbleib pathogener und toxischer Materialien zu überwachen. Es bleibt abzuwarten, ob das Gefährdungspotential militärisch interessanter „Agenzien“ per Gesetz überhaupt angemessen kontrollierbar ist. Nicht wenige Wissenschaftler sind vielmehr der Meinung, daß eine Kontrolle neuer Agenzien sehr viel schwieriger sei als ihre Entwicklung.

Eine gravierende Schwäche des Vertrages ist sein Geltungsbereich. Durch die stürmische Entwicklung der Biotechnologien läuft der Vertrag Gefahr, überholt zu werden. Noch vor wenigen Jahren eindeutig als biologisch eingestufte „Agenzien“ lassen sich heute zu Substanzen reduzieren, für die der Vertrag nicht mehr gilt. Die bisherige Definition von B- und Toxinwaffen müßte daher unbedingt erweitert und präzisiert werden. In einer zwischen den Hauptantagonisten direkt ausgehandelten Formulierung ist nochmals eindringlich die Gültigkeit des Vertrages für alle relevanten wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen unter ausdrücklicher Einbeziehung zukünftiger Entwicklungen wiederholt worden.6

Eine international anerkannte Definition für Toxine fehlt jedoch. Damit existiert nach wie vor eine Grauzone zwischen dem vorhandenen B-Waffen-Vertrag und dem ausstehenden C-Waffen-Übereinkommen. Diese Situation unterstreicht abermals die Wichtigkeit eines umfassenden Verbots chemischer Waffen.

Nach Abschluß der Generaldebatte lagen insgesamt 49 Vorschläge für die Abschlußerklärung auf dem Tisch. Dennoch schaffte man es, in nur 4 Tagen einen konsensfähigen Entwurf abzufassen. Diese Meisterleistung war einmal möglich, weil in der ersten Konferenzwoche der erfolgreiche Abschluß der Stockholmer Konferenz Verhandlungsbereitschaft signalisierte, freilich aber auch, weil die Angst vor einem neuerlichen Rückschlag sehr groß war. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Abschlußerklärung enthält Konkreteres als vergleichbare Texte so mancher anderen Konferenz. Den zu verhandelnden Stoff für das nächste Treffen, das nicht später als 1991 stattfinden soll, hat man sich gleich mit aufgegeben. Vorgesehen ist u.a. die weitere wissenschaftlich-technische Entwicklung der Biotechnologie, die Wirksamkeit eingeleiteter vertrauensbildender Maßnahmen und rechtsverbindliche Verbesserungen des Vertrages zu beraten.

Obwohl mit der Formulierung von Verhandlungsthemen für die nächste Untersuchungskonferenz wichtige Entscheidungen zunächst hinausgeschoben wurden, bleibt als politisches Ergebnis, die offenen Punkte (Definitionsfragen, Überprüfbarkeit und Verbindlichkeit der getroffenen Vereinbarungen) benannt zu haben und die Absicht, sie einer Lösung zuführen zu wollen. Zwar haben die Gegner rechtsverbindlicher Erklärungen noch einmal Zeit gewonnen, jedoch kann es sich kein Staat mehr leisten, auf den ursprünglichen Vertragstext zurückzufallen. Ausschlaggebend für diese Vorgehensweise war die nicht unbegründete Hoffnung vieler Konferenzteilnehmer, daß noch vor Ende der 80er Jahre ein Vetrag über chemische Waffen zum Abschluß komme. Sobald ein solcher Vertrag unterzeichnet ist, so glaubt man, dürfe die Befürwortung einer Vertragsergänzung oder -änderung sehr viel wahrscheinlicher sein. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die Verifikation für biologische Waffen sehr viel schwieriger sein wird als für chemische Waffen.

Das eigentliche Problem des B-Waffen-Vertrages, die Erlaubnis von Forschung zu Verteidigungszwecken, bleibt ungelöst. Wer immer in den Militärlabors mit Krankheitserregern und Bakterien geotechnisch probiert – und biologische Agenzien und Toxine sind heute leicht und schnell herstellbar – wird seine Arbeit als erlaubte Forschung im Sinne des B-Waffen-Vertrages verstehen. Was nützt aber ein Entwicklungsverbot für offensive Zwecke, wenn Nachweis und Schutzgeräte mit echtem B-Kampfstoff getestet und nach Impfstoffen für ausgefallene Krankheiten gesucht wird? Die Forschung zum Schutz vor B-Waffen ist vollkommen identisch mit der Forschung zur Herstellung einer B-Waffe. Auch wird von vielen Wissenschaftlern bezweifelt, daß Impfstoffe für Verteidigungszwecke geeignet sind. Ohne vorherige Warnung, so ihr Argument, gibt es keine Möglichkeit, die gesamte Bevölkerung vor einer Vielzahl entwickelbarer, ungewöhnlicher Infektionskeime zu schützen. Immunisierung diene daher nur einem Aggressor, der den B-Waffen-Einsatz plant. Eine Entwicklung und Herstellung neuer hochgefährlicher Pathogene unter dem Etikett „Defensivmaßnahme“ ist auch dann nicht zu rechtfertigen, wenn die Keime als Waffen nutzlos sind. Allein ihr Vorhandensein stellt eine Lebensbedrohung dar. Daher müssen Schritte gegen derartige Vorhaben so früh wie möglich unternommen werden.

Noch sind nicht alle so konsequent in ihrer Haltung wie beispielsweise die US-Wissenschaftler Novick oder Lewitt. Beide lehnen B-Waffen-Forschung ab. Richard P. Novick ist Direktor des New Yorker Forschungsinstituts für öffentliche Gesundheit. Er arbeitet z.Zt. mit Staphylococcus-Bakterien, die eine schlimme Form von Lebensmittelvergiftung verursachen. An ihn trat das Medical Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID), ein Forschungsinstitut der US-Armee in Fort Detrick, mit dem Angebot, für seine Forschungen Geldmittel bei ihnen zu beantragen.7 Warum, so fragte er sich, interessiert sich das Pentagon für meine Forschung? Das Ansinnen erschien ihm sehr bedenklich und höchst sonderbar; er lehnte kurzerhand ab. Lewitt forschte früher selbst am militärmedizinischen Institut in Fort Detrick. Heute beschuldigt er die amerikanischen Streitkräfte schwerer Versäumnisse bei ihrem Biological Defense Program.8

Die Zahl der Biologen, denen vom amerikanischen Verteidigungsministerium Forschungsgelder und Jobs angeboten werden, hat in letzter Zeit erheblich zugenommen. Die meisten Wissenschaftler haben nach wie vor keine Bedenken, im Auftrag des US

Verteidigungsministeriums zu forschen. 90 Millionen Dollar hat das Pentagon allein 1986 für sein Biological Defense Research Program ausgegeben. Seit 1981 haben sich die Ausgaben versechsfacht – die Millionen für eine B-Waffen-Testanlage in Dugway/Utah nicht mitgerechnet. Das Hauptinteresse gilt seltenen Krankheitseregern und Toxinen. Mehrere Universitäten clonieren gleichzeitig im Auftrag des USAMRIID für ein toxinempfindliches Frühwarnsystem. Auch wenn dieses Jahre die Mittel auf 62 Millionen US-Dollar gekürzt worden find, das Forschungsprogramm wurde davon nicht betroffen. Und: Der Plan für ein neues Hochsicherheitslabor für B-Waffen-Tests auf dem Militärgelände bei Dugway/Utah ist trotz eines gerichtlich verfügten Baustopps keineswegs fallengelassen. Die Diskussion ist vergleichbar jener über Atomwaffen. Der Gedanke an biotechnisch produzierte Waffen ist mindestens ebenso schrecklich wie der eines Atompilzes!

Gerade die junge und um ihr Image besorgte amerikanische Bio-Industrie hat großes Interesse an der Einhaltung des B-Waffen-Vertrages. Das letzte, was sie nämlich gebrauchen kann, ist ein öffentliches Meinungsbild von gentechnisch erzeugten Produkten, die von Forschern stammen könnten, die auch in der Lage sind, Monstermikroben zusammenzubrauen. Die Industrie unterstützt daher einen Gesetzesentwurf, wonach der B-Waffen-Vertrag in den USA auch auf private Aktivitäten Anwendung finden soll.

Für die künftige Entwicklung des B-Waffen-Vertrages wird viel davon abhängen, wie sich die Scientific Community verhält und inwieweit alle Staaten bereit sind, vertrauensbildende Programme tatsächlich zu unterstützen und Transparenz zuzulassen. Je mehr Wissenschaftler und Politiker erkennen, daß B-Waffen-Forschung – auch zu Verteidigungszwecken – äußerst fragwürdig und gar nicht patriotisch ist, umso eher wird die Welt sich von der Geißel biologischer Waffen befreien können. Verantwortungsvolle Forschung bedeutet heute, Grenzen zu ziehen. Erst wenn ein Forschungsprojekt nicht mehr unter eine bestimmte kritische Schwelle gehen kann, wird der Reiz verloren gehen, es realisieren zu wollen. Ähnliches gilt für eine friedensstiftende Politik. Sie muß sich endlich aus den Fesseln überzogener Bedrohungsanalysen lösen.

Ausgaben für B-Waffenforschung in den USA 1981-1987 (Mio. $)
1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987
15 22 38 60 67 66 73

Anmerkungen

1 Second Review Conference of the Biological Weapons Convention. Disarmement, Vol. X, Nr. 1 (1987), S. 43-77 Zurück

2 E. Geissler, SIPRI Yearbook 1984, Taylor & Francis, London (1984), S. 426Zurück

3 S. Wright, Bulletin of the Atomic Scientists, Jan/Feb 1987Zurück

4 J.M. Pando, a.a.O., S. 52-58 Zurück

5 Anfang der 80er Jahre verschwanden erhebliche Mengen Chikungunya-Virus aus Fort Detrick, ohne bis heute jemals gefunden zu werden. Chik, wie die militärforscher das Virus nennen, verursacht plötzlich ausbrechende schwere Gelenkschmerzen in den Gliedmaßen und in der Wirbelsäule, die den Betroffenen innerhalb von Stunden inaktivieren.Zurück

6 Die neue umfassendere Definition in der gemeinsamen Abschlußerklärung lautet jetzt: „Die Konvention gilt eindeutig für alle natürlichen oder künstlich hergestellten mikrobiologischen oder anderen biologischen Agenzien oder Toxinen ungeachtet ihres Ursprungs oder ihrer Herstellungsmethode. Pflanzliche, tierische und mikrobiologische Toxine (auf Protein- und Nichtproteinbasis) einschließlich ihrer synthetisch erzeugten Analoge werden von der Konvention erfaßt.“ Disarmement Vol. IX, Nr. 3 (1986) Zurück

7 Business Week, 10.8.87, S. 66 Zurück

8 In einer 26-seitigen Anklageschrift beschuldigt Nell Lewitt die US-Army u.a. weder die Umstände des Verschwindens von Chikungunya-Vinus aus Fort Detrick noch deren Verbleib ermittelt, dem Kongreß jahrelang nicht bestandene Sicherheitstests verschwiegen und Untersuchungen möglicherweise kontaminierten Zellmaterials versäumt zu haben. Bulletin of the Atomic Scientists, Jan/Feb 1987, S. 45 Zurück

9 L. M. Hansen, a.a.O., S. 59-65 Zurück

Dr. Helmut Weigel ist Diplom-Chemiker in Hamburg.

Biowissenschaftliche Militärforschung in der BRD

Biowissenschaftliche Militärforschung in der BRD

von Manuel Kiper

B-Waffenforschung in der BRD

Mit Urteil vom 16.6.87 beendete das Landgericht in Hannover eine seit bald zwei Jahren laufende erbitterte Auseinandersetzung Forschungsvorhaben an der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

Das Gericht erkannte als zulässig an, daß die Forschungen am Institut für Virologie der TiHo als Militärforschung an potentiellen Biowaffen und biologischen Kampfstoffen gewertet werden dürfen, die dieses Institut betreibe und plane. Das Gericht hob damit eine einstweilige Verfügung gegen den Autor und den Landesverband der Grünen in Niedersachsen auf, die am 26.9.86 unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 50000 DM, oder 6 Monate Gefängnis vom Land Niedersachsen erwirkt worden war. Gleichzeitig lehnte das Gericht die Verhängung einer von der Klägerin, dem Land Niedersachsen, beantragten Ordnungsstrafe gegen mich in Höhe von 15000 DM wegen zwischenzeitlichen Verstoßes gegen die Verfügung ab, bürdete den Beklagten allerdings der Verfahrenskosten auf. Das Gericht erkannte in seiner Urteilsbegründung an, daß die militärische Initiierung und Finanzierung von Forschungsprojekten am Institut für Virologie der TiHo Hannover, deren Absprache innerhalb der NATO sowie die einschlägige Klassifizierung der verwendeten Erreger als potentielle Biowaffen aus den vorgelegten Dokumenten abgeleitet werden könne und von den Forschern der TiHo nicht mehr bestritten würde. Demgemäß sei die obige Wertung nicht ehrenrührig und im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung zulässig.

Wehrmedizin in der Bundesrepublik

Der Einzelplan 1420 des Bundesministeriums der Verteidigung befaßt sich mit Wehrforschung, wehrtechnischer und sonstiger militärischer Entwicklung und Erprobung. Hier befinden sich die Haushaltstitel für Wehrmedizin und Sanitätswesen. Gentechnik fürs Militär wird aus diesen Haushaltstiteln finanziert. Im Rahmen der Abwehrkonzeption vom 12.7.78 hat die Bundeswehr den Auftrag bekommen, auch Schutzmaßnahmen gegen potentielle B-Kampfstoffe zu entwickeln. Das Verteidigungsministerium wäre „froh, wenn andere Ressorts solche Kampfstoffe entwickelten. Wir würden diese Aufgabe gern z.B. an den Entwicklungsminister oder den Forschungsminister abgeben“, wie Oberstveterinär Salier vom BMVg es ausdrückte.1 „Der entwickelt für uns den Impfstoff. Er kann in Südamerika eingesetzt werden. Wir können partizipieren. Dann sparen wir unser Geld. Das können wir dann für etwas anderes einsetzen.“ (ibido). Vor der Enquetekommission Gentechnologie des Deutschen Bundestages in geheimer Runde wurde Sailer aber auch deutlich: „Wenn für den Verteidigungsminister eine Priorität besteht, einen Impfstoff zu entwickeln, und alle anderen das nicht machen, entwickeln wir ihn halt, wenn die wissenschaftlichen Voraussetzungen da sind.“ (ibido, S. 29).

Die Anstöße für solche Entwicklungsarbeiten kommen offensichtlich von außen. „Wir haben eine NATO-Abstimmung“, so Sailer. (ibido, S. 29). „Wir haben bei der Abwicklung von Forschungsvorhaben einen etwas umständlichen Weg, das ist aber verständlich, weil wir diese nicht nur national, sondern auch international abklären müssen. (…) Wir haben den Schwerpunkt bisher nicht auf die Entwicklung von Impfstoffen oder die Nachentwicklung von Impfstoffen gelegt, die Impfstoffe gibt es Grunde schon -, sondern auf Nachweisverfahren. Das war unser Schwerpunkt, während unsere Bündnispartner mehr den Schwerpunkt auf die Impfstoffentwicklung legten.“ (ibido, S. 44).

Die Leistungsbilanz des Verteidigungsministeriums hört sich so an: Wir haben den Tetanus-Impfstoff zur lokalen Anwendung entwickelt. Das spielt in Mitteleuropa keine Rolle, spielt aber eine erhebliche Rolle in den Entwicklungsländern (…). Dann haben wir im Modell einen Impfstoff nachempfunden, den die Amerikaner auf lokalem Wege gegen Botulismus anwenden wollen, also intranasal. Der eignet sich natürlich gut für die Nerzfarmen, aber deshalb haben wir ihn nicht entwickelt, (…) den Pocken/Tetanus-Impfstoff (…).Wir haben noch ein bißchen mehr gemacht, wir haben Toxogonien entwickelt, Toxogonien gegen den Nervenkampfstoff Tabun, Sarin und VX (…). Wir haben DMA 4 entwickelt, ein Blausäureantidot, natürlich aus unserer Sicht gegen Blausäurekampfstoffe.“ (ibido, S. 45)

Gentechnische Militärprojekte in der BRD

Seit dem 1. 10.85 ist das Verteidigungsministerium in die gentechnische Forschung eingestiegen. Im Dezember 1985 hieß es von Seiten des Ministeriums: „Zukünftig werden wir natürlich diagnostische Verfahren entwickeln, soweit das notwendig sein sollte, auch mit der Gentechnologie, um die Erreger noch schneller, spezifischer nachweisen zu können.“ Ziel des Arbovirenprojekts des BMVg, des ersten gentechnischen Projekts, ist es, „mit einer amerikanischen Arbeitsgruppe zusammen ein Antigen zu finden, das protektiv ist gegen die Alphaviren der Arboviren.“ (ibid., S. 21) Als nächstes gentechnologisches Projekt war ein Pockenimpfstoff geplant. Die Projekte laufen in enger Kooperation mit den USA.

Das erste Projekt des BMVg auf dem Gentechniksektor heißt: Immunprophylaxe bei Arbovireninfektion. Das Projekt wird abgewickelt an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Arboviren sind durch Insekten übertragene Viren. Die Finanzierung durch das BMVg wurde bei diesem Projekt von Seiten der beteiligten Forscher anfänglich bestritten.2 In Hannover kam es über dieses Projekt zum Rechtsstreit. Im Kern ging es der Gegenseite darum, juristisch fixiert zu sehen, „daß diese Forschungen überhaupt keinen militärischen Hintergrund oder Charakter haben.“3

Der Projektverantwortliche Prof. Dr. Kaaden kabelte auf Anfrage am 10.11.86 noch einmal an das BMVg, was die Herren in Hannover machen: „ALPHA-Viren, früher auch als Arboviren bezeichnet, sind eine Gruppe von Viren, die weltweit vorkommen und durch Insekten übertragen werden. Dieser Gruppe gehören über 400 unterschiedliche Arten an, wobei einige dieser Viren bei Menschen und Tier Krankheiten verursachen können, der Großteil aber nicht krankmachend ist. Eine in der Bundesrepublik auftretende Alphaviruserkrankung ist die Frühsommermeningoencephalitis, auch Zeckenencephalitis genannt. Die im Rahmen des Forschungsprojekts, Immunprophylaxe von Arbovirus-Infektionen am Institut für Virologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover durchgeführten Untersuchungen haben das Ziel, mit nicht krankmachenden Vertretern dieser Virusgruppe Methoden zu entwickeln, die zu einer verbesserten Früherkennung und im weiteren zu wirksameren Impfmaßnahmen für möglichst viele Alphaviren führen sollen.“ Nun gibt es in der Bundesrepublik tatsächlich einige Arbovireninfektionen pro Jahr, nämlich solche Zeckenencephalitisfälle. Allerdings gibt es seit Jahren auch einen Impfstoff. In Ländern der Dritten Welt spielen allerdings Arboviren teilweise eine nicht unerhebliche Rolle.

Die Militärs rechnen zu dieser Gruppe eine Reihe der interessantesten B-Waffen, wie Koreanisches Hemorrhagisches Fieber, Venezolanische Pferdeencephalitis, Chikungunay u.a. Zu den Arboviren gehören fatale Tierseuchen und eine Fülle von Erregern, die auf den Menschen nicht tödlich, sondern lediglich kampfunfähig machend wirken. Abgesehen davon, daß das Pentagon bereits Studien bezüglich Insektenkrieg auch in Europa hat anfertigen lassen, scheinen die Arboviren das besondere Interesse der Militärs gefunden zu haben, lassen sich doch mit arbovirusinfizierten Insekten begrenzte B-Waffen-Operationen ausführen. In der Zeitschrift SCIENCE wurde am 3.8.84 ein Aufruf der US-Dienststelle für medizinische Forschung und Entwicklung der US-Armee veröffentlichte 4. Das Schreiben rief dazu auf, Vorschläge für Forschungen über Viruskrankheiten von militärischer Bedeutung einzureichen. Als Programmschwerpunkt wurden Arboviren aufgeführt, sicher nicht grundlos.

Die Fort Detrick-Connection

In den anwaltlichen Schriftsätzen der Wehrforscher wird uns die Absurdität unseres Vorwurfs bescheinigt, die an der TiHo Hannover durchgeführten oder geplanten Forschungsvorhaben hätten militärisch relevanten Charakter. Prof. Moennig von der TiHo Hannover, einer der maßgeblich für BMVg engagierten Forscher, fährt allerdings gelegentlich nach Fort Detrick in die USA. Fort Detrick war und ist die B-Waffenschmiede der USA. Fort Detrick firmiert inzwischen unter dem Namen US Army Medical Institute for Infectious Diseases (USAMRIID). Beispielsweise hielt Prof. Moennig sich vom 7.-9.10.1985 dort auf. Bezeichnung des Dienstgeschäftes (aus dem Dienstreiseantrag): „Erarbeitung eines Konzeptes zur gruppenspezifischen Diagnose von Alphaviren“. Dieses Thema bezeichnet nun zufälligerweise das erste gentechnische Projekt, das vom BMVg gefördert wird. Adressat der Förderung: Prof. Moennig und Prof. Kaaden; Beginn der Projektförderung 1.10.85; Abreise von Moennig nach Fort Detrick 4.10.85.

Dankenswerterweise berichtet Prof. Moennig am 20.11.85 dem BMVg (wozu er durch den Förderungskontrakt verpflichtet ist): „Dr. Leduc und Dr. Meegan sind für die Schnelldiagnostik im USAMRIID zuständig. Beide Wissenschaftler arbeiten an einem Alphavirusspezifischen Schnellnachweissystem. Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch im Oktober 1984 stehen sie heute der Verwendung monoklonaler Antikörper in einem solchen System sehr positiv gegenüber und sind an einem gegenseitigen Austausch von Reagenzien sehr interessiert.

Im Jahresbericht des Pentagon bezüglich des Forschungsprogramms chemische Kriegsführung/biologische Verteidigung für den Zeitraum 1.10.84 bis 30.9.85 5 heißt es unter dem Projektwort „Industrielle Grundlagen für biologische Verteidigungssysteme“ S. 51/52: „Ziel des Programms ist es, Laborprozesse zur Impfstoffherstellung zu Pilotverfahren zu steigern und die industriemigen Verfahren zur schnellen Identifizierung und Diagnose von drohenden B-Kampfstoffen zu entwickeln.“ Als Einzelmaßnahme wird dazu aufgeführt: „Entwicklung von Schnelltests zum Aufspüren von Antigenen in klinischen oder Umweltproben für: Riff Valley Fieber, Sandfliegenfieber, Venezolanische Pferdeencephalitis, Crimean-Congo, Hemorrhagisches Fieber, West Nile, Chikungunya und Sinbis Viren (alles Arboviren). Bestritten wird der militärische Hintergrund der hannoverschen Forschungen. Doch Prof. Kaaden kabelte am 10.11.86 ans Bundesverteidigungsministerium: „Die am Institut für Virologie der TiHo Hannover durchgeführten Untersuchungen haben das Ziel, Methoden zu entwickeln, die zu einer verbesserten Früherkennung und im weiteren zu wirksameren Impfmaßnahmen für möglichst viele Alphaviren führen sollen.“ Dies ist demnach identisch mit Forschungszielen im B-Waffenverteidigungsprogramm des Pentagon. Abgesprochen wurde es innerhalb der NATO, 6 finanziert wird es vom BMVg. Als Forschungsvorhaben wurde es von Moennig in Absprache mit Pentagondienststellen in Fort Detrick vor Ort konzipiert, wobei Zusammenarbeit vereinbart wird. In Hannover soll das Ganze nunmehr als medizinische Forschung verstanden werden dürfen. Aber es ist Militärforschung.

Das militärische Spiel mit dem Gen-Feuer

Vertieft man sich etwas stärker in die gentechnischen Militärforschungen, dann kommt einem eher das Gruseln. Ende 1984 wurde zufällig im US-Senat bekannt, daß das Militär in Dugway ein Hochsicherheitslabor zum Testen von geotechnisch veränderten potentiellen B-Waffen errichten wollte. Präziser ausgedrückt: zum Testen der Abwehrsysteme (sprich Analytika und Impfstoffe) gegen gentechnisch manipulierte B-Waffen; dies tritt nicht in Konflikt mit dem 72er B-Waffenübereinkommen. Es zeigt aber konkret, wie eng die Verteidigung gegen neue gentechnisch manipulierte B-Waffen mit einer Weiterentwicklung dieser B-Agenzien selber verknüpft ist.7 Am USAMRIID werden dann schon mal solche Forschungen durchgeführt wie „Klonen von Schlangengiftgenen, um neue Impfstoffe zu produzieren“.8 Was nichts anderes bedeutet, als daß auch neuartige Toxine in den Griff der Militärs genommen werden.

„Forschung für Soldaten“ ist das Emblem des US Army Medical Research und Development Command. Im 83er Bericht der Koordinationsgruppe zu medizinischer B-Waffenverteidigung wird als Hauptarbeitsgebiet auf dem Virensektor angegeben:

Ebola, Chikungunya, Lassafieber, Argentinisches Hemorrhagisches Fieber, bei Bakterien: Milzbrand und Botulismus. Forschungen an Marburg-Virus, Legionärskrankheit u.a. finden auch statt. B-Waffenforschung zu Verteidigungszwecken ist erlaubt. Wie weit diese Verteidigungsforschung geht, hat C. Weinberger, amerikanischer Verteidigungsminister, 1984 im Schreiben an Senator Jim Sasser deutlich gemacht: „(…) Wir beziehen laufend neue Erkenntnisse, daß die Sowjetunion ihr offensives B-Waffenprogramm fortführt und Gentechnologie einsetzt, um die Reichweite ihres Programms zu vergrößern. Es ist daher wesentlich und dringend, daß wir angemessenen Schutz gegen biologische Toxinwaffen entwickeln und einsatzbereit machen. Unsere Entwicklungsanstrengungen in diesem Sektor werden von der sowjetischen Bedrohung getrieben. Um zu gewährleisten, daß unsere Abwehrsysteme funktionieren, müssen wir sie mit bekannten bzw. vermuteten sowjetischen Wirkstoffen testen (…).“9

Damit wird in der Tat die Weiterentwicklung der B-Waffen gerechtfertigt. Im Finanzjahr 1986 wurden die Ausgaben für das medizinische B-Waffenverteidigungsforschungsprogramm des Pentagons auf über 90 Millionen Dollar hochgeschraubt10 Für das Jahr 1987 sind vom Pentagon 1,437 Milliarden Dollar für das Chemical Modernization Program vorgesehen, in das das B-Waffenforschungsprogramm eingebettet ist.

Bei Verabschiedung des B-Waffenabkommens 1972 gab es noch keine Gentechnik. Inzwischen haben die Militärs allerdings die neuen Möglichkeiten entdeckt, die die Gentechnik auf dem B-Waffensektor bietet. Am 8.8.86 machte Douglas Feith für das Pentagon vor dem Geheimdienstausschuß des amerikanischen Kongresses deutlich, daß inzwischen die Militärs die B-Waffen mit ihren großartigen Entwicklungsmöglichkeiten dank der Gentechnik neu entdeckt haben. „Die neue Art biologischer Produktion arbeitet schnell. Als B-Waffen geeignete Substanzen können innerhalb von Stunden, einem Tag oder höchstens zwei synthetisiert werden. Eine Stammkultur an B-Waffenausgangsmaterial, d.h. Reagenzglasmenge, kann innerhalb von drei bis fünf Wochen zur Massenproduktion fermentiert werden. Nach der Produktion würde sich die Ausrüstung – quasi wie ein selbstreinigender Herd – innerhalb von ein oder zwei Stunden selber zerstören, wodurch eine Kontamination des nächsten Produktionszyklus vermieden würde und gleichzeitig verunmöglicht wird, daß jemand nachweisen könnte, daß eine bestimmte Substanz produziert worden ist.“11

Das Botulinum-Toxin-Projekt

Nicht nur bezüglich Arboviren klappt die Kooperation zwischen deutschen Hochschulforschern und Pentagonforschern in Fort Detrick. Am 8.10.85 hatte Prof. Moennig aus Hannover eine Besprechung mit den Herren Leduc, Middlebrook und Crumrine am USAMRIID. Thema: Schnellnachweis für Botulinum Toxin. „Zu Beginn wies Dr. Leduc“, wie Moennig schrieb, „auf die außerordentliche Bedeutung eines Schnellnachweises für Botulinum Toxin hin. Insbesondere im zivilen Bereich besteht in den USA ein Bedarf dafür.“ Besonders im zivilen Bereich.(…) Und darüber hinaus? Am USAMRIID, so der Bericht weiter, „besteht die Absicht, die Toxingene der Typen C und D zu klonieren. (…) In diesem Zusammenhang sind die amerikanischen Kollegen an deutschen Vorräten von gereinigtem Toxin interessiert. Ich bin beauftragt worden, entsprechende Informationen bezüglich Toxintyp und Reinheitsgrad zu beschaffen.(…)“ Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß „die amerikanischen Wissenschaftler an einer engen Zusammenarbeit mit deutschen Instituten, insbesondere der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle interessiert sind. Das zu entwickelnde Testsystem sollte gemeinsam auf Spezifität und Sensivität geprüft werden.“12 Mit der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle der Bundeswehr für ABC-Schutz arbeitet Prof. Moennig aus Hannover schon länger zusammen. Inzwischen hat das Verteidigungsministerium zugegeben, daß die hannoverschen Forscher an den Botulinustoxinforschungen beteiligt sind.13 Botulinustosin ist sechzigmal giftiger als Sevesodioxin. Bekanntlich ist es eine der für das Militär interessantesten B-Waffen.

Schlußfolgerungen

Die B-Waffenforschungen in Hannover und anderswo werfen zwei grundsätzliche Probleme auf. Erstens entwickelt sich international seit ca. 1980 ein gentechnisch ermöglichter Rüstungswettlauf an potentiellen B-Waffen, der auch durch das allseits ratifizierte CBW-Abkommen von 1972 nicht eingedämmt werden kann, da dieses Abkommen Entwicklung, Herstellung und Lagerung von B-Waffen zu Schutzzwecken erlaubt. Weltweit wird die gentechnische Bearbeitung der B-Waffen nur zu Schutzzwecken betrieben, was unterm Strich aber den Namen Aufrüstung verdient. Zweitens bringen die gentechnischen Arbeiten an den potentiellen Biowaffen gesundheitliche und gesellschaftliche Risiken auch in Friedenzeiten mit sich.

SIPRI, das renommierte schwedische Friedensforschungsinstitut, kommt 1986 zum Ergebnis: „B-Waffen gewinnen wachsende militärische Bedeutung, weil neue wirkungsvolle Mittel heranreifen, die Truppen eines Aggressors zu schützen.(…) Die Möglichkeit eines neuen Rüstungswettiaufs muß ernsthaft in Betracht gezogen werden, da es zu gegenseitigen Beschuldigungen bezüglich des Einsatzes der Gentechnologie zur Entwicklung neuer B-Waffen kommt. Es sei vermerkt, daß der Verdacht nicht ausgeräumt werden kann, daß nicht geheimgehaltene Arbeiten zur Entwicklung von Impfstoffen gegen B-Waffen zur heimlichen Konstruktion neuer B-Waffen genutzt werden könnte, da es keine Grenze zwischen Defensiv- und Offensivforschung in diesem Bereich gibt.“14

Um die Risiken dieses neuen Rüstungswettlaufs zu stoppen, sind international politische Anstrengungen vonnöten, militärische Forschungen an Krankheitserregern auch unter dem Vorzeichen „friedliche Absicht“ zu unterbinden: Medizinisch notwendige Forschungen an Krankheitserregern müßten international koordiniert und zivilen Institutionen unterstellt werden. Den Militärs müßte durch internationale Abkommen die gesamte B-Waffenforschung verboten werden.

Anmerkungen

1 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, AZ 2540, Protokoll der 24. Sitzung/Teil 1, Fachgespräche über die mögliche militärische Nutzung der Gentechnologie, S. 22.Zurück

2 TiHo-Anzeiger, Oktober 1985, S. 84/85.Zurück

3 Schriftsatz RAe Schäfers/Fischer-Lange vom 22.1.1987 Zurück

4 The US-Army Medical Research and Development Command is Accepting Proposals for Research in Viral and Rickensial Diseases of Military Importance, SCIENCE, 3.8.1984, S. 523.Zurück

5 Department of Defense, Annual Report on Chemical Warfare – Biological Defense Research Program Obligations,1. October 1984 through 30. September 1985, RCS: DD-USDRE (A) 1065.Zurück

6 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission, Fachgespräch, a.a.O., S. 19.Zurück

7 Biological and Toxin Weapons Today. Hrsg. E. Geißler, SIPRI, Oxford University Press, 1986.Zurück

8 Department of Defense, Project cloning of snake venom genes to produce novel vaccines, Dr. L.A. Smith and Dr. J. Middlebrook at USAMRIID.Zurück

9 Brief von Weinberger an Senator Jim Sasser, 20.11.1984.Zurück

10 Department of Defense, Annual Report on Chemical Warfare – Biological Defense Research Program Obligations,1. October 1985 through 30. September 1986, RCS: DD-USDRE (A) 1065.Zurück

11 Testimony on Biological and Toxin Weapons before the Subcommittee on Oversight and Evaluation of the House Permanent Select Committee on Intelligence by Douglas J. Feith, 8.8.1986; s.a. Biological Weapons Reweighed, The Washington Post, 17.8.1986.Zurück

12 V. Moennig, Bericht über einen Besuch des „United States Army Medical Research Institute for Infectious Diseases“ (USAMRIID) in Frederick, Maryland, vom 7.-9.10.1985.Zurück

13 Viren in der Grauzone, SPIEGEL, 11/1987, S. 221-227.Zurück

14 Biological and Toxin Weapons, a.a.O., S. 36.Zurück

Dr. Manuel Kiper ist Molekularbiologe und Landesgeschäftsführer der GRÜNEN in Niedersachsen.

Viren als Waffen? Genforschung für das BMVtdg in Niedersachsen

Viren als Waffen? Genforschung für das BMVtdg in Niedersachsen

von Manuel Kiper

An der Tierärztlichen Hochschule Hannover startete ein bundesweit bislang einmaliges Projekt im Bereich Gentechnologie: Auftraggeber und Finanzier ist das Bundesverteidigungeministerium. Der Auftrag handelt unverfänglich von Immunprophylaxe bei Arbovireninfektion.

Gentechnologische Militärforschung an der TIHO Hannover

Wie die Bundesregierung auf Anfrage am 12.8.1985 bestätigte, hat das Bundesverteidigungsministerium erstmalig zum 1. September 1985 Gelder für militärische gentechnologische Forschungen bewilligt. Diese Mittel gehen an das Institut für Virologie an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Betraut mit den Forschungen wurden Prof. Dr. Kaaden und Dr. Volker Moennig. Beide weisen den Vorwurf der Militär- oder gar Kriegsforschung weit von sich. Ihre Fragestellung sei eine rein medizinische. Ihnen gehe es darum, einen Impfstoff gegen Arboviren, beispielsweise Zecken-Encephalitis (durch Zecken übertragene Gehirnentzündung), zu entwickeln, einer in Österreich inzwischen häufiger und in Deutschland vereinzelt auftretenden Krankheit (gegen die Impfstoffe allerdings bereits existieren).1 Prof. Moennig bestätigte aber telephonisch das von der Bundesregierung genannte „Ziel des Entwicklungsvorhabens“: Es sei „ein Antigen (und dann ein Impfstoff) zu finden, das möglichst gegen mehrere Vertreter aus der Alphavirusgruppe der Togaviridae schützt. Beispielhaft kann hier das Virus der venezuelanischen Pferdeencephalitis angeführt werden.“2

Doch die betreffende Bundestagsdrucksache wird noch deutlicher: „Die Entwicklung von Impfstoffen gegen potentielle B-Kampfstoffe ist nach dem B-Waffenübereinkommen von 1972 erlaubt, sie ist deshalb zweifelsfrei eine Schutzmaßnahme. Solche Impfstoffe sind auch im zivilen Bereich verwendbar. Diese Aufgabe könnte auch ein anderes Ressort übernehmen, da das überwiegende Interesse für solche Impfstoffe beim BMVg liegt, wird von dort die Entwicklung veranlaßt.“

Was also harmlos als Impfstoffentwicklung gegen eine Variante der Gehirnentzündung daherkommt, findet höchstes militärisches Interesse. Als in Hannover öffentliche Kritik an der gentechnologischen Militärforschung laut wurde, hagelte es Dementis:

  1. Prof. Moennig leugnete im TiHO-Anzeiger im Oktober 1985 die Auftragsforschung für die Fraunhofer-Gesellschaft.3 Korrespondenz des Autors mit der Fraunhofer-Gesellschaft förderte zu Tage, daß diese lediglich Verwaltungshilfe bei der Abwicklung leistet, das Projekt aber eines des BMVg ist.4
  2. Weiterhin wurde von Prof. Moennig die Behauptung aufgestellt, daß die erhofften Forschungsergebnisse nicht militärischen Zielsetzungen dienten, sondern „ausschließlich humanitären Zwecken dienen“ würden und von großer veterinär- und humanmedizinischer Relevanz seien.3 Wie sich herausstellte, waren die Forschungen aber vom BMVg initiiert worden. Kaaden und Moennig waren bereits drei Jahre vorher vom Militär eingespannt worden für die Herstellung von monoklonalen Antikörpern gegen Arboviren, aus denen dann das Immunprophylaxe-Projekt logisch erwuchs. Die Leugnung des militärischen Charakters des Projekts ist schwer aufrechtzuerhalten, heißt es doch in einer Bundestagsdrucksache zu diesem Projekt explizit: „Da das überwiegende Interesse für solche Impfstoffe beim BMVg liegt, wird von dort die Entwicklung veranlaßt.“2
    Bei dem geheimen Fachgespräch der Enquetekommission des Deutschen Bundestages am 16.12.85 „über die mögliche militärische Nutzung der Gentechnologie“, zu der Prof. Kaaden als Referent geladen war, sich aber wegen Krankheit entschuldigen ließ, führte Dr. Salier für das BMVg noch deutlicher aus: „Wenn wir z.B. einen Arbovirus-Impfstoff entwickeln, dann doch nur deshalb, weil die anderen Bundesressorts daran kein Interesse haben.“ Was für eine sträfliche Situation, wenn tatsächlich medizinischer Bedarf da wäre. „Von uns aus gesehen“, so Sailer, „springen wir nur in die Schutzlücke, wenn irgendein anderes Bundesministerium oder ein anderes Land so einen Impfstoff nicht entwickelt.“5 Wie generös!
    Da es bei dem Arbovirusprojekt des BMVg konkret um die venezuelanische Pferdeencephalitis geht, fiel es dem Vorsitzenden der Enquetekommission Catenhusen (SPD) „schwer zu glauben, daß das vorrangige Ziel einer Impfstoffentwicklung im Grunde genommen darin besteht, den Ländern der Dritten Welt zugute zu kommen“. 6 Auch der Hinweis auf mögliche Vorteile für Touristen (der nicht vom BMVg kam), konnte die Kommission nicht überzeugen.
  3. Von Moennig wurde die Behauptung aufgestellt, „die an der Tierärztlichen Hochschule durchgeführten Forschungen dienen ausschließlich dem Schutz von Mensch und Tier und können nur für spätere Impfmaßnahmen genutzt werden.“ Richtig hingegen ist, daß das Projekt aufbaut auf der vom Militär aus den beiden herausgekitzelten Erkenntnis, daß die Gesamtgruppe der ca. 400 Arboviren offensichtlich konservierte Gene und entsprechend nachweisbare gemeinsame Oberflächenantigene enthalte, deren genaue Charakterisierung gerade Ziel des angelaufenen Forschungsvorhabens ist. Zu dieser Gruppe verwandter Arboviren gehören so prominente B-Kampfstoffe wie Chikungunya, Venezuelanische Pferdeencephalitis u. a., die von der US-Army seit 1983 für potentielle B-Waffeneinsätze in Betracht gezogen werden.8 Für die Einsatzerprobung auch speziell dieser Arboviren wurde im Dezember vom Department of Defense die Dugway Aerosole Test Facility beantragt (ein Hochsicherheitslabor der US-Army) und vom amerikanischen Kongreß bewilligt.9 Es muß befürchtet werden, daß das militärische Interesse an diesen gentechnologischen Manipulationen an Arboviren daher rührt, daß dadurch diese potentiellen Bio-Kampfstoffe militärisch erst richtig verfügbar gemacht würden. Nach Meinung vieler Gentechnologen ist eine Unterscheidung von defensiven und offensiven Forschungen bei solchen gentechnologischen Manipulationen nicht mehr zu treffen.10/11/12/13
  4. Die Bundesregierung macht aus der engen Kooperation mit den USA auf diesem sensiblen Gebiet gar keinen Hehl. Dr. Sailer führte beim geheimen Fachgespräch der Enquetekommission bezogen auf die Encephalitiserreger aus: „Ziel war es, mit einer amerikanischen Arbeitsgruppe zusammen ein Antigen zu finden, das protektiv ist gegen diese Alphaviren der Arboviren.“14 Und weiter: „Für uns ist es ein Verteidigungsauftrag, unsere Soldaten so zu schützen. Wenn kein anderes Ressort – aus welchen Gründen auch immer – den benötigten Impfstoff entwickelt, dann hängen wir uns an die Impfstoffentwicklung der Amerikaner an.“15 „Zunächst lernen wir von ihnen.“16 Arbovirusforschungen wurden in den USA vom Department of Defense bereits in den letzten Jahren in Auftrag gegeben.17

    Gerade im „Anhängen“ an die amerikanischen Militärforschungen liegt auch die politische Brisanz des Arbovirenprojekts. Für die Amerikaner geht es nämlich auch um möglichen offensiven Einsatz der DNA-Technologie, offensichtlich, wie vor der Enquetekommission am 19.12.1985 berichtet wurde, zu dem Zweck, um besser zu verstehen, wie man sich dagegen verteidigen kann.

  5. Die Tatsache der konservierten Antigen- und Genstrukturen in der Arbovirusgruppe widerlegt auch die Behauptung von Prof. Kaaden, „im Institut für Virologie (würde) aus prinzipiellen Gründen nur mit Viren gearbeitet, die beim Menschen nicht zu Erkrankungen führen.“ 18a Zwar arbeiten Kaaden und Moennig nach eigenen Angaben nur mit Sindbis- und Semliki-Forest-Viren und nicht mit humanpathogenen Viren. Ihr erfolgreicher Nachweis der Konservierung wichtiger Gene innerhalb der Arbovirengruppe macht ihre gentechnologischen Arbeiten mit Sindbis- und Semliki-Forest-Viren unter lediglich L 2 Sicherheitsbedingungen unter gesundheitlichen Aspekten ausgesprochen fragwürdig, muß doch mit der Freisetzung bislang nicht charakterisierter und womöglich pathogener Arboviren-Gene gerechnet werden.

    Die militärische Zielsetzung, Initiierung, Finanzierung und Nutzung der Ergebnisse ist unbestreitbar. Zynischerweise wird dem von Prof. Kaaden entgegengehalten, daß der Projektbetreuer im BMVg ein Mediziner sei; die Forschungsvorhaben seien demnach medizinische, nicht militärische. Dies ist ein schwacher Trost, um den „humanitären“ Ansatz der B-Waffenprojekte zu belegen.

Monoklonale Antikörper fürs Militär

Im Institut für Virologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover wird aber noch an anderen militärischen Projekten gearbeitet. Ein Projekt, das am 1.4.1986 anlaufen sollte und bis zum 31.3.1989 geplant ist, sieht die Herstellung monoklonaler Antikörper gegen Bakterien vor und zwar solche, die von einschlägigem miliärischen Interesse sind. Bei dem Vorhaben handelt es sich um einen Ergänzungsbeitrag zum Forschungsvorhaben BA III 1-E/B31 E/C0205/75459. Im Projektantrag wird unter 2. vorgeschlagen, „gegen folgende Bakterien monoklonale Antikörper zu produzieren:

  1. Antigenkomplex „M“ von Brucella sp.
  2. Yersinia pestis (Pest); die erzeugten Antikörper sollten insbesondere keine Kreuzreaktionen mit Yersinia tuberculosis zeigen.
  3. Bacillus anthracis (Milzbrand); die erzeugten Antikörper sollten insbesondere keine Kreuzreaktionen mit Bacillus cereus zeigen.
  4. Pseudomonas mallei; die erzeugten Antikörper sollten insbesondere keine Kreuzreaktionen mit Pseudomonas putida zeigen.
  5. Virbrio cholerae; die erzeugten Antikörper sollten die Erreger nicht agglutinieren.“

Im Arbeitsplan wird dazu ausgeführt: „In einem Vorgespräch mit Herrn Dr. Thon von der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle in Münster wurde der Vorschlag für einen Arbeitsplan entwickelt, der die Herstellung monoklonaler Antikörper gegen die o. g. Erreger zum Ziel hat. Im Rahmen dieses Vorhabens übernimmt die Wehrwissenschaftliche Dienststelle folgende Aufgaben:

  1. Die für die Immunisierung und die Durchführung der serologischen Tests erforderlichen Wirkorganismen werden gezüchtet, gereinigt und inaktiviert. Die Reinigung sollte so sorgfältig wir möglich erfolgen, um eine spezifische Immunantwort zu erreichen bzw. um exakte Testergebnisse zu erzielen.
  2. Die im Institut für Virologie hergestellten und im ELISA geprüften Antikörper werden mit der Immunfluoreszenztechnik charakterisiert.
  3. Die Hybridomzellinien werden in die künftige Zellsammlung übernommen und in den erforderlichen Abständen regelmäßig überprüft und ggf. rekloniert.

Im Institut für Virologie werden folgende Arbeiten durchgeführt:

  1. Etablierung von Hybridomzellinien, die Antikörper gegen die unter 2 bezeichneten Antigene sezernieren.
  2. Stabilisierung der hergestellten Hybridzellen durch Reklonierung mit Hilfe der 'soft agar' Technik.
  3. Prüfung der monoklonalen Antikörper auf das Fehlen unerwünschter Kreuzreaktionen mit anderen gramnegativen Bakterien im ELISA und Charakterisierung der Antikörper im „western blot“.“

Wie in dem Projektantrag weiter ausgeführt wird, liegen die „Schwierigkeiten bei der Herstellung nicht-kreuzreagierender monoklonaler Antikörper gegen gramnegative Bakterien insbesondere in den gleichartig strukturierten Bakterienwänden und den damit verbundenen ausgedehnten antigenen Homologien.“

Offensichtlich werden hier mit modernen zellbiologischen Methoden Pest, Milzbrand und andere Erreger komfortabel charakterisierbar und damit handhabbar gemacht, wie andererseits die Immunisierung erleichtert wird.19 Dr. Sailer vom BMVg beschrieb bei der geheimen Anhörung vor der Enquetekommission: „Wir haben den Schwerpunkt bisher nicht auf die Entwicklung von Impfstoffen oder die Nachentwicklung von Impfstoffen gelegt – die Impfstoffe gibt es im Grunde meistens schon -, sondern auf Nachweisverfahren. Das war unser Schwerpunkt, während unsere Bündnispartner mehr den Schwerpunkt auf die Impfstoffentwicklung legten.“20

Im Rahmen der engen Zusammenarbeit mit den USA bei der B-Kampfstofforschung werden den Amerikanern die deutschen Biodetektoren dienlich sein.

Rüstungswettlauf bei B-Waffen

Das Forschungsvorhaben ordnet sich in größere Zusammenhänge ein: der Rüstungswettlauf auf dem Gebiet der B-Waffen. Setzte 1979 nach mehrjähriger Pause wieder ein. Am Anfang standen Berichte einer obskuren russischen Emigrantenzeitung über einen B-Waffenunfall in der sowjetischen Stadt Swerdlowsk. An der dadurch ausgelösten Milzbrandepidemie seien zwischen 20 und 1000 Menschen gestorben. Wie sich inzwischen herausstellte, war nichts davon wahr. Trotzdem geistert die Story zusammen mit etlichen anderen Ammenmärchen von sagenhaften Aufrüstungsanstrengungender Sowjets auf dem Gebiet der biologischen und chemischen Kriegsführung immer noch durch Debattenreden und Presseartikel. Wissenschaftlich widerlegt wurde inzwischen eindeutig die Story vom gelben Regen, dem Toxinwaffeneinsatz durch Sowjets in Laos, Kambodscha und Afghanistan. Die vermeintliche Toxinwaffe wurde als Bienenkot entlarvt.24 Allerdings verfehlten die Behauptungen nicht ihre Wirkung: im Dezember 1984 bewilligte der amerikanische Kongreß 8,4 Mio. Dollar für den Bau des oben schon erwähnten Hochsicherheitslabors für militärische gentechnologische Forschung. Dieses noch einstweilen durch Prozesse verzögerte Projekt ist nur die Spitze eines breit angelegten Forschungsprogramms. Bis zum Frühjahr 1985 waren bereits über 50 gentechnologische Projekte in den USA angelaufen.17

Auch das Vorhaben an der Tierärztlichen Hochschule Hannover wird vermutlich kein Einzelfall bleiben. Dr. Sailer kündigte für das BMVg vor der Enquetekommission am 19.12.85 bereits an, daß der Pockenimpfstoff MVA bereits in einer Studienphase sei, 22 eventuell von Militärs gentechnologische Arbeiten mit Pockenviren initiiert werden könnten.

Wehrforschung beim Fraunhofer-Institut für Aerosolforschung und Toxikologie (ITA) in Hannover

Als Kernstück des Hannoverschen Medical Parks wurde seit 1980 direkt neben der Medizinischen Hochschule Hannover ein Fraunhofer-Institut für Aerosolforschung und Toxikologie aufgebaut. Seit Anfang 1985 ist dort eine gentechnologische Abteilung entstanden, in der die gesamte gentechnologische Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft zusammengefaßt werden soll. Zwar betreibt dieses Institut gegenwärtig keine geotechnologische Forschung fürs Militär. Prof. Dr. Stüber, der geschäftsführende Leiter des Instituts, wollte im Telefongespräch derartiges jedoch für die Zukunft nicht ausschließen: „Eine solche ungebundene Entscheidung für die Zukunft ist mehr, als von einem verantwortungsbewußten Staatsbürger erwartet werden kann.“

Die Situation des Instituts ist delikat: Schließlich ist die Fraunhofer-Gesellschaft erste Adresse für das Bundesverteidigungsministerium. Die Gründung des Mutterinstituts des ITA Hannover in Grafschaft/ Sauerland, das bis 1968 Institut für Aerobiologie hieß, 23 geht wie auch die Gründung anderer Fraunhofer-Institute direkt auf Initiative des Bundesverteidigungsministeriums zurück. 24 Es besteht also Grund zu der Annahme, daß hier die Freiheit des Forschers recht eng an den Freiheitsbegriff des Verteidigungsministeriums gekoppelt wird.

Leiter des Instituts in Grafschaft, an dem wichtige Forschungen an C-Kampfstoffen fürs BMVg durchgeführt werden, 23 war Prof. Dr. Stöber, jetzt geschäftsführender Direktor des ITA Hannover.

Seit dem 1.4.1985 wird auch am Fraunhofer-Institut für Aerosolforschung und Toxikologie in Hannover Militärforschung betrieben. Unter dem Aktenzeichen San I-AZ 71-01-05 betreibt Frau Dr. Lohmann-Matthes, Leiterin der ITA-Abteilung Immunologie, wehrmedizinische Forschung zu dem Thema „Makrophagen-Subpopulationen Charakterisierung, Strahlenresistenz, Infektabwehr“. Kleine Nagetiere werden mit bis zu 300 Röntgen radioaktiv bestrahlt (tödliche Dosis für den Menschen: 800 R). Die lädierten Mäuse werden dann mit Viren und anderen Krankheitserregern infiziert und der überlebende Teil des Immunsystems studiert. Erklärtes Forschungsziel von Frau Lohmann-Matthes: medizinisches Grundlagenwissen. Das Forschungsziel des Geldgebers BMVg sei ihr schleierhaft, wie sie mir anvertraute. Offenbar kommen nur Leute mit schmutziger Phantasie darauf, daß hier Kombinationswirkungen von Strahlen und biologischen Waffen getestet werden könnten. Die Frage drängt sich auf, ob das Forschungsvorhaben auf dem Hintergrund der neuen Air Land Battle Doktrin der NATO zu verstehen ist, wonach die Anwendungswelle von ABC-Waffen so weit wie möglich gesenkt werden soll. Die beschriebene „Versuchsanordnung“ könnte dabei schnell Realität werden.

Im Gespräch verdeutlichte Frau Prof. Dr. Lohmann-Matthes Einzelheiten, wie heute militärische Fortschritte erzielt und Förderungsmittel vergeben werden: Nach anfanglich abschlägigen Bescheiden des Bundesverteidigungsministeriums geriet sie schließlich an einen Referenten im Sanitätsbereich des BMVg, der „wissenschaftlich irrsinnig interessiert“ war. Es war mit ihren Worten „toll, daß die sich für Grundlagenaspekte erwärmen ließen.“ Sie versteht nicht (?), wieso das Militär an ihren Forschungen interessiert sei, aber durch die Tatsache der Strahlenresistenz ihres Forschungsobjektes, der Makrophagen (Zellen des Immunsystems), konnte sie schließlich das BMVg locken.

Schutzmaßnahmen oder Offensivwaffenentwicklung

Das gute Gewissen der Forscher gründet sich auf die Schwierigkeit, zivile biochemische Forschung und die Weiterentwicklung von B-Waffen voneinander zu trennen. Der Selbstbetrug fällt leicht.

Die neuen genetischen Techniken haben es eben unter anderem ermöglicht, Impfstoffe leichter und billiger zu entwickeln. Tatsächlich hat das US-Verteidigungsministerium ein großes Programm festgelegt, um mit Hilfe gentechnologischer Methoden Impfstoffe gegen Malaria, Rift Valley Fieber, Denguefieber, Q-Fieber, Venezuelanische Pferdeencephalitis, Pest und viele andere Krankheitserreger zu produzieren. Doch schon das Hantieren mit nahezu verschwundenen Krankheiten wie der Pest oder Pocken muß die Befürchtung aufkommen lassen, daß dieses Programm eben den Militärs dazu dienen könnte, diese Erreger Handhabbar zu machen – als B-Waffe. (10/11/13)

Man denkt zu kurz bei der Annahme, daß es dem Militär darum ginge, Super-B-Waffen vor allem in offener Feldschlacht einzusetzen. Es ist schwierig vorherzusagen, wie sich die neuartigen Bakterien in der Umwelt verhalten werden. Auch ist es schwierig, die eigenen Truppen und die Zivilbevölkerung umfassend gegen die Krankheitserreger zu schützen; ganz abgesehen von der internationalen Ächtung, die solche Aktionen erfahren würden.

Für das Militär viel naheliegender ist der kontrollierte Einsatz bekannter Krankheitserreger. In den hochindustrialisierten Staaten lösen diese keine Epidemien mehr aus, da die allgemeine Hygiene- und Ernährungssituation ihre Verbreitung verhindern. Anders in der Dritten Welt, wo schlechte Ernährung, Hygiene und Gesundheitsversorgung oft Epidemien bekannter Krankheitserreger ermöglichen.

Die behauptete B-Waffenschutzforschung richtet sich demnach weniger gegen einen B-Waffenkrieg, den ein möglicher Gegner mit ebenso ungewissem Ausgang führen könnte. Viel „sicherer“ sind da Undercover-Aktionen in Ländern der Dritten Welt, wo solche B-Waffeneinsätze unauffällig vonstatten gehen und zur Destabilisierung unliebsamer Regime eingesetzt werden könnten, wie auch zum Schutz dort operierender Truppen aus entwickelten Ländern.25

Offensive Logik US-amerikanischer B-Waffenforschung

In der wehrmedizinischen gentechnologischen Forschung wird mit den USA eng zusammengearbeitet. Schon 1982 haben amerikanische Militärs ein deutsches Forschungsinstitut, die Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) in Braunschweig, um Mithilfe gebeten. Dr. John Collins von der GBF sagte in einem report-Interview (27.8.85), 1982 sei an ihn die Bitte herangetragen worden, ein amerikanisches Projekt zu unterstützen. Bei solchen Forschungsarbeiten, so Collins, spreche man zuerst immer von Abwehr. „Man isoliert Bruchteile von Krankheitserregern und hofft, dann einen Impfstoff entwickeln zu können. Impfstoffe sind Voraussetzung für biologische Waffen, bei denen ebenfalls Bruchteile von Krankheitserregern isoliert werden müssen. Man kann sagen: Die notwendigen Forschungen zur Abwehr biologischer Waffen sind identisch mit denen zur Entwicklung biologischer Waffen.“

Um dies zu belegen, lassen wir den honorablen Caspar W. Weinberger, seines Zeichens US-Verteidigungsminister, persönlich zu Wort kommen:

„(…) Bezüglich der US-Politik in punkto Kriegsführung mit Biologischen Toxinwaffen kann es keine Mißverständnisse geben …: Die USA besitzen keine B- oder Toxin-Waffen, noch streben die USA solche an. Wir werden solche Waffen weder selber entwickeln, noch andere dabei unterstützen … wir beziehen laufend neue Erkenntnisse, daß die Sowjetunion ihr offensives B-Waffenprogramm fortführt und Gentechnologie einsetzt, um die Reichweite ihres Programms zu vergrößern. Es ist daher wesentlich und dringend, daß wir angemessen Schutz gegen biologische Toxinwaffen entwickeln und einsatzbereit machen.

Unsere Entwicklungsanstrengungen in diesem Sektor werden von der sowjetischen Bedrohung getrieben. Um zu gewährleisten, daß unsere Abwehrsysteme funktionieren, müssen wir sie mit bekannten bzw. vermuteten sowjetischen Wirkstoffen testen (…)“.26

Damit ist in der Tat verständlich erklärt, daß alle Schweinereien, auf die die Sowjets kommen könnten, auch von den USA aus Verteidigungsgründen entwickelt und getestet werden müssen. Und bekanntlich traut die US-Regierung der Sowjetunion jede Schweinerei zu.

Anmerkungen

1 Wenn Virologen telefonieren; in: Veto Nr.11/1986, S. 10 Zurück

2 Drucksache 10/3718 Deutscher Bundestag vom 12.8.1985; Wehrmedizinische Entwicklungsaufträge und Forschungen im Bereich von B-Waffen Zurück

3 V. Moennig, Entwicklung eines Impfstoffes mit gentechnologischen Methoden in der TiHo; TiHo-Anzeiger 14 (1985), Heft 6 Zurück

4 Schreiben der Fraunhofer-Gesellschaft vom 26.2.86 Zurück

5 Enquetekommission Chancen und Risiken der Gentechnologie: Fachgespräch über die mögliche militärische Nutzung der Gentechnologie, Protokoll der 24. Sitzung vom 16.12.85, S. 16 Zurück

6 Enquetekommission, a.a.O., S. 53  Zurück

7 (entfällt)

8 W. C. Anderson In und J.M. King, Vaccine and Anti Toxin Availability for Defense against Biological Warfare Threat Agents, U.S. Army Health Care Studies Division Report 83-002, US Army Health Services Command, Fort Sam Houston, Texas, 78234   Zurück

9 J. Smith, New Army Biowarfare Lab Raises Concerns; Science, 226 (1984), S. 1176-78 Zurück

10 Referat Breindl beim Fachgespräch der Enquetekommission 16.12.85, a.a.O.Zurück

11 E. Geissler, Folgen der Gentechnik für die chemische und biologische Kriegsführung; in: SIPRI-Rüstungsjahrbuch 5, Gentechnik als Waffe, Reinbek 1985 Zurück

12 S. Wright und R. L. Sinsheimer, DNA and Biological Warfare, Bulletin of the Atomic Scientists, November 1983 Zurück

13 L. Müller, Militärische Nutzung der Gentechnik: Entwicklung von biologischen Kampfstoffen; IFIF, Düsseldorf 1985 Zurück

14 Fachgespräch Enquetekommission, a.a.O. S. 21 Zurück

15 ibido. S.54 Zurück

16 ibido. S.48 Zurück

17 Recombinant DNA Research Projects, durchgeführt und finanziert vom Department of Defense der USA, Liste vom 17.4.1985; in: Gene Watch, May/August 1985 Zurück

18 Fachgespräche Enquetekommission, a.a.O., S. 133

18a Prof. Dr. Kaden, Presseerklärung vom 11.10.85 Zurück

19 E. Geissler, a.a.O., S.133 Zurück

20 Fachgespräch Enquetekommission a.a.O., S. 44 Zurück

21 J. Maddox, Natural History of Yellow; Rain, in: Nature,309 (1984), S. 207  Zurück

22 Fachgespräch Enquetekommission, a.a.O., S. 74 Zurück

23 J. Angerer Chemische Waffen in Deutschland Dammstadt 1985, S. 164 Zurück

24 G. Wallraff, 13 unerwünschte Reportagen, Reinbek 1975, S. 172 Zurück

25  J.B. Tucker, Toxins: Gray Area Weapons; in: Gene Watch, May August 1985, S. 10-11 Zurück

26 Defense Secretary Caspar Weinberger an Senator Jim Sasser, Brief vom 20.11.1984, eigene Übersetzung Zurück

Dr. Manuel Kiper, Biologe, z. Zt. Geschäftsführer Landesverband der Grünen in Niedersachsen.

Biologische und chemische Waffen: Neue Impulse durch Gentechnik

Biologische und chemische Waffen: Neue Impulse durch Gentechnik

von Erhard Geissler

Gentechnik ist ein auf den konzeptionellen und methodischen Fortschritten der Molekularbiologie aufbauender Methodenkomplex. der eine gerichtete Manipulation des genetischen Materials aller Art erlaubt. In den theoretischen als auch in den angewandten Biowissenschaften hat sich die Gentechnik wahrhaft revolutionierend ausgewirkt – denken wir nur an die neuen Erkenntnisse über Struktur und Funktion der Gene einerseits und an die nunmehr mögliche molekulargenetische Analyse das Zentralnervensystems andererseits, an die in-vitro-Totalsynthese von Genen und an die genetische Umprogrammierung von Bakterien, pflanzlichen und Säugerzellen, etwa mit dem Ziel der Hormon- und Impfstoffproduktion.

Besonders aussichtsreiche Entwicklungen hat die Gentechnik auf meinem eigenen Arbeitsgebiet, der Tumorvirologie, ausgelöst. Hier gibt es zum Teil – beispielsweise bei der Aufklärung der mutmaßlichen Beziehungen zwischen Papillonviren, speziell der Typen HPV 16 und HPV 18 und dem Gebärmutterhalskrebs – ermutigende Aussichten zur Optimierung von Frühdiagnose und Therapie, die einzig und allein der Einführung und Nutzung der Gentechnik zu verdanken sind.

Natürlich kann die Gentechnik – wie jede andere Technik auch – mißbraucht werden, auch die Gentechnik ist ambivalent. Beispielsweise haben die USA ganz offen und immer intensiver damit begonnen, in großem Umfang die Gentechnik zur „Defensivforschung“ auf dem Gebiet biologischer und chemischer Waffen zu nutzen. 1984 suchte die US-Armee in mehreren ganzseitigen Anzeigen in der Zeitschrift „Science“ nach Vorschlägen für entsprechende Forschungsprojekte auf dem B- und C-Waffensektor 1, und inzwischen laufen mehr als 50 Gentechnikprojekte in Instituten der US-Armee oder in Forschungsgruppen, die von der Army finanziert werden 2. Die dafür bereitgestellten Mittel werden immer umfangreicher (Tabelle 1). Begründet wird dies mit denselben haltlosen, unbewiesenen Behauptungen einer angeblichen sowjetischen Vorrüstung, mit denen schon die Raketenstationierung in Westeuropa und SDI bemäntelt worden waren – wobei man diesmal pikanterweise nicht einmal davor zurückschreckte, sich der als „Gelbe-Regen-Toxine“ deklarierten Ausscheidungsprodukte von Bienen als antikommunistischer Geschosse zu bedienen: Die überaus sorgfältige, entlarvende Analyse eines von Mathew Meselson geleiteten Forscherteams hierzu 4 ist lesenswert und gleichzeitig nachahmenswertes Beispiel dafür, wie wir Naturwissenschaftler unserer Verantwortung nachkommen können.

Es wird also „Defensivforschung“ betrieben und damit gegen keinerlei internationale Abkommen verstoßen: Auch die 1972er Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von biologischen- und von Toxin-Waffen erlaubt ausdrücklich entsprechende Arbeiten für protektive, prophylaktische und andere friedliche Zwecke. Aber dies ist eine der gefährlichsten Schwachstellen dieser Konvention: Gibt es doch – leider in völliger Analogie zu SDI – keine Grenze zwischen offensiver und defensiver B und Toxin-Waffenforschung: Wenn heute mit den neuen Möglichkeiten der Gen- und Proteintechnik u. a. Vakzine gegen Chikungunya-, Dengue-, Hämorrhagisches Krim-Kongo-Fieber-, Junin-, Lymphozitäre Choriomeningitis- und Rift-Valley-Fieber-Virus 5 entwickelt werden, wie dies in Instituten der Army oder in von ihr finanzierten nichtmilitärischen Einrichtungen erfolgt, dann kann man mit diesen Impfstoffen entweder die eigenen Truppen (von der Zivilbevölkerung ist in den entsprechenden Dokumenten bezeichnenderweise meist kaum die Rede) vor einem für möglich gehaltenen gegnerischen Angriff schützen wollen oder man kann die Vakzine entwickeln und herstellen, um damit die eigenen Truppen vor einem möglicherweise beabsichtigten eigenen Einsatz zu immunisieren. Tatsächlich heißt es einleuchtend in dem entsprechenden Technical Manual TM 3-21 6/ AFM 355-6 der Departments of the Army and Air Force 6, speziell solche biologischen Waffen werden in Erwägung gezogen, „possible for the using forces to protect against“. Und bei der Herstellung der Waffe selbst kann man dann gleich auf die Verfahren zurückgreifen, mit denen man – allerdings vermutlich in kleinerem Maßstab, die für die Impfstoffentwicklung (angeblich) benötigten Referenzpräparate produziert hat …

Ganz abgesehen davon erscheint es mir völlig unsinnig, angesichts der heute gerade durch Gen- und Proteintechnik verfügbaren Möglichkeiten zur gezielten Veränderung biologischer Toxinwaffen 7 auf bloßen Verdacht Vakzine gegen mögliche gegnerische B- und T-Waffen zu entwickeln: Derzeit werden in den offenen Materialien der US-Army etwa 20 Viren und Bakterien als mögliche BW-Agentien geführt (Tabelle 2), wobei interessanterweise heute die – gentechnisch besonders leicht zu manipulierenden – Viren bei weitem überwiegen: Fanden noch 1957 nur Pocken- und Dengue-Viren als mögliche B-Waffen Erwähnung, so sind es 1983 neben diesen beiden 15 weitere Viren, darunter höchst pathogene. Jeder dieser Erreger konnte auf unterschiedlichste Weise so verändert werden, daß herkömmliche Vakzine gegen ihn keinen Schutz verleihen. Dagegen sind wir aber heute trotz intensiver weltweiter Gemeinschaftsarbeit noch nicht einmal in der Lage, uns gegen ein bestimmtes einzelnes Virus wirksam zu schützen, gegen das Grippevirus, obwohl wir hier ziemlich genau wissen, daß nur zwei Gene überhaupt für entsprechende Veränderungen in Frage kommen und wie das Ganze geschieht. Aber selbst wenn es gelänge, auch nur gegen die Erreger und deren Varianten Vakzine zu entwickeln, von denen man – etwa auf Grund nachrichtendienstlicher Erkenntnisse – annimmt, daß sie von der gegnerischen Seite besonders favorisiert werden, ist es praktisch unmöglich, seine Truppen ständig mit -zig unterschiedlichen Vakzinen zu behandeln – ein Vorgehen, über dessen etwaige immunologischen und anderweitigen Konsequenzen überhaupt keine Erfahrungen vorliegen. Nein, dies wäre ein Projekt, das – selbst, wenn man wenigstens den jüngsten sowjetischen Abrüstungsvorschlägen folgte und endlich auf SDI-Forschung und -Entwicklung verzichtete und die freiwerdenden Kapazitäten in eine entsprechende Vakzine-Initiative steckte – letztlich genauso zum Scheitern verurteilt wäre, lebenswichtige Kapazitäten aber auf Jahrzehnte hinaus sinnlos binden würde.

Tabelle 1:
Für Forschungen auf dem Gebiet
biologischer Waffen vom US-Kriegsministerium 1977 – 1984 bereitgestellte Mittel 3
Steuerjahr Mittel (Mio $) Verbraucher -Preisindex
(1984 = 100)
Mittel (Mio $) in Preisen
v. 1984
Veränderung
in %
Okt. 76/ Sept. 77 15,9 0,619 26
Okt 77/ Sept. 78 16,5 0,667 25 -4
Okt 78/ Sept. 79 16,5 0,723 23 -8
Okt 79/ Sept. 80 16,0 0,797 20 -13
Okt. 80/ Sept 81 15,1 0,879 17 -15
Okt. 81/ Sept 82 21,6 0,939 23 +35
Okt. 82/ Sept 83 38,8 0,972 40 +74
Okt. 83/ Sept. 84 62,5 0,994 63 +58

Tabelle 2: 1983 als potentielle B-Waffen in Betracht gezogene Agentien

  • Viren:

    • PoxvirenPs:
    • Variola-Virus
  • Alphaviren:

    • Eastern Encephalitis Virus
    • Venezuelan Encephalitis Virus
    • Western Encephalitis Virus
    • Chikungunya Virus
  • Flaviviren:

    • Dengue Virus
    • Russian spring-summer Encephalitiss Virus
    • Yellow Fever Virus
  • Arenaviren:

    • Junin Virus
    • Lassa Fever Virus
    • Lymphocytic Choriomeningitis Virus
    • Machupo Virus
  • Bunyaviren:

    • Crimean-Congo Hemorrhagic Fever Virus
    • Rift Valley Fever Virus
  • Filoviren:

    • Marburg Virus
    • Ebola Virus
  • Bakterien:

    • Francisella tularensis
    • Bacillus anthracis
    • Coxiella (Rickettsia) burnetti

Deshalb halte ich dafür, daß in der Vorbereitung der zweiten Review-Konferenz zur B-Waffen-Konvention, die voraussichtlich im kommenden Herbst veranstaltet werden soll, gerade von uns Naturwissenschaftlern ernsthafte Vorschläge dafür erarbeitet werden, wie die Erlaubnis für friedliche Forschung zu präsidieren ist, daß sie nicht mißbraucht werden kann – ohne daß dabei berechtigte medizinische, ökonomische und Sicherheitsinteressen der Staaten beeinträchtigt würden. Meiner Meinung nach wäre das eine, gerade durch die gentechnischen Entwicklungen begründbare, zutiefst vertrauensbildende Maßnahme.

Eine andere Schwachstelle der Konvention sehe ich darin, daß sie zwar explizit auch die Toxin-Waffen einbezieht, aber nicht einmal andeutungsweise Toxine definiert. Landläufig werden unter Toxinen Giftstoffe verstanden, die ursprünglich von Lebewesen produziert werden, die man aber auch nachsynthetisieren kann. Diese Definition wird aber keineswegs einheitlich gebraucht; in Materialien der US-Army ist oft davon die Rede, daß die „eigentlichen“ Toxine nur solche seien, die aus Eiweißen bestünden, und in der Gentechnik-Richtlinie der National Institutes of Health ist seit einiger Zeit nur noch von „Molekülen, toxisch für Vertebraten“ die Rede.

Gen- und Proteintechnik erlauben es aber heute, dramatisch veränderte Toxine in vitro herzustellen, die einerseits wirksamer sind als ihre natürlichen Vorbilder, andererseits aber in Größe und/ oder Zusammensetzung so von diesen abweichen, daß man bei böswillig einseitiger Interpretation des Toxin-Begriffs durchaus behaupten kann, dies seien gar keine Toxine mehr, sondern synthetische Gifte. Und diese würden dann nicht mehr in den Geltungsbereich der Konvention fallen, können also ungestraft entwickelt, hergestellt und gelagert werden.

Andererseits ist es beunruhigenderweise so, daß die Militärs neben den Viren ganz offenkundig den Toxinen eine immer größere Bedeutung beimessen (so daß schon verständlich wird, warum die US-Propagandisten zunächst versucht haben, mit dem Gruselmärchen vom Gelben Regen der Weltöffentlichkeit eine sowjetische Toxin-Vorrüstung und -Anwendung vorzugaukeln). Während die US Army noch Ende der sechziger Jahre, kurz vor Präsident Nixons Erklärung über den US-Verzicht auf Entwicklung von B- und Toxin-Waffen, ganz offenbar nur an zwei Toxin-Waffen ernsthaft dachte, an Botulinum Toxin sowie an Staphylococcen-Enterotoxin B, ist das Department of Defense heute schon nach Angaben in der offenen Literatur an einer erschreckend großen Anzahl unterschiedlichster Toxine interessiert 5. Unter denen befinden sich zahlreiche, die weitaus toxischer sind als die wirksamsten bekannten chemischen Kampfstoffe. Zum anderen stellen viele dieser Toxine einfache oder zusammengesetzte Proteine dar, die gen- und Proteintechnischer Manipulierung zugänglich sein sollten.

Solange entsprechende Studien – wie beispielsweise in den erwähnten Anzeigen behauptet wird – ausschließlich für defensive Zwecke durchgeführt werden, wäre juristisch nichts dagegen einzuwenden (abgesehen davon, daß hier wieder das logische Argument der weitgehenden Sinnlosigkeit solcher wirklich in rein defensiver Absicht durchgeführten Arbeiten einzuwenden wäre). Sowie diese Arbeiten aber auf die Entwicklung „artifizieller Toxine“ hinzielen und nicht etwa der Entwicklung „magischer Kugeln“, etwa von Immunotoxinen zur selektiven Zerstörung von Krebszellen dienen, sondern explizit der Konstruktion von synthetischen, neuartigen C-Waffen, würden sie bei bösartig einseitiger Anwendung des Toxin-Begriffs nicht unter die Bestimmungen der BW-Konvention fallen und wären daher nicht verboten.

Nicht verboten sind darüber hinaus alle die gentechnischen und anderen molekularbiologischen Arbeiten, denen wir in jüngster Zeit so unerwartete, tiefgründige Einblicke in die molekularen Strukturen und Funktionen des Zentralnervensystems verdanken – Angriffspunkt nicht nur zahlreicher, militärisch interessanter Neurotoxine (Batrachotoxin, Botulinum-Toxin, Saxitoxin, Tetrodotoxin u.a., sondern auch die Phosphorsäureester-Kampfstoffe Sarin, Soman, Tabun und VX. Man muß leider damit rechnen, daß diese immer größere neurobiologische Detailkenntnis dazu mißbraucht wird, chemische Waffen und artifizielle Toxine „maßzuschneidern“, welche mit den nun molekular faßbaren Targets noch wirksamer reagieren.

Darauf muß folgen, daß wir uns noch entschiedener dafür einsetzen müssen, in Genf so bald als möglich zu einer völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarung über ein Verbot der Herstellung, Entwicklung und Lagerung von chemischen Waffen zu kommen – rechtzeitig genug, ehe die von den USA angeschobenen Entwicklungen auf dem Wege zur Produktion von Binärwaffen ein Stadium erreicht haben, das jegliche Art von Verifikation völlig unrealistisch macht. (Eine Verifikation der gentechnischen Entwicklung von biologischen und Toxin-Waffen ist meiner Meinung nach heute schon unmöglich.) Und auf dem Wege dahin sollten alle nur erdenklichen Zwischenlösungen angestrebt und erreicht werden, sowohl präzisere Definitionen des Toxin-Begriffs und Riegel gegen den Mißbrauch der Erlaubnis für friedliche Forschungen, als auch Verhandlungen über die vom Staatsratsvorsitzenden der DDR und vom Ministerpräsidenten der CSSR der Bundesregierung unterbreiteten Vorschläge zur Schaffung einer Chemiewaffenfreien Zone in Europa.

Eine Konsequenz kann und darf man aus diesen unheilvollen Entwicklungen aber nicht ziehen: Entwicklung von B- und C-Waffen sind keine Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an den Einsatz von Pestbakterien als biologische Waffen bei der Eroberung von Kaff im Jahre 1346 – was den berüchtigten Seuchenzug des „Schwarzen Todes“ mit etwa 25 Millionen Menschenopfern zur Folge hatte 8, an den 1763 erfolgten Einsatz von Pockenviren durch die britischen Truppen gegen Indianerstämme des Ohio-Pennsylvania-Gebietes 9 sowie an die Anwendung biologischer Waffen und deren Erprobung an etwa 3000 Kriegsgefangenen durch die Japaner im Chinesisch-Japanischen Krieg bzw. im Zweiten Weltkrieg.10 All das geschah – z. T. exakt 500 Jahre – vor der Einführung der Molekularbiologie und der sich daraus entwickelnden Gentechnik!11 Nein: Entwicklung und Einsatz von Massenvernichtungsmitteln „im Himmel und auf Erden“ sind die Folgen des menschenfeindlichen Mißbrauchs der Errungenschaften von Wissenschaft und Technik durch Militärs und Politiker, die offen davon reden, das Reich des Bösen ausrotten zu wollen, um damit ihre eigenen Herrschaftsansprüche zu sichern. Dem gilt es Einhalt zu gebieten.

Anmerkungen

1 US Army Medical Research Acquisition Agency 1984, Sciene 225, 543, 879, 880 Zurück

2 Hotz, R. L. (1985) Biowarfare: Specter of the ultimate nightmare. Atlanta Constitution 17 April, p. 1 Zurück

3 Westing, A. H. (1985) The threat of biological warfare. Bio-Sciences (im Druck) Zurück

4 Sesley, T. D., J. W. Nowicke, M. Meselson, J. Guillemin and P. Akratanakul (1985j Yellow Rain. Scientific American 253, No. 3, 122-131 Zurück

5 Anderson III, W. C. and J. M. King (1983) Vaccine and antitoxin availability for defense against biological warfare threat agents. US Army Health Care Studies Division Report 83 – 002. US Army Health Services Command, Fort Sam Houston, Texas 78234 Zurück

6 United States 1964. Military Biology and Biological Agents. Department of the Army and The Air Force Technical Manual TM 3 – 216/ AFM 355-6 Zurück

7 Geissler, E. (1984) Implications of genetic engineering for cemical and biological warfare. SIPRI Yearbook 1984, S. 421-454 Zurück

8 Derbes, V. J. (1966) De Mussis and the Great Plague of 1348. The Journal of The American Medical Association 196, 59-62 Zurück

9 Stearn, E. W. and A. E. Steam (1945) The effect of smallpox an the destiny of the Amerindian. Bruce Humphries, Inc. Publishers, Boston, 153 pp.Zurück

10 Materials an the trial of fommer servicemen of the Japanese army charged with manufacturing and employing bacteriological weapons. Foreign Languages Publ. House, Moscow 1950, 535 pp.Zurück

11 Powell, J. W. (1981) A hidden chapter in history. Bull. Atomic Scientists 37, 44 – 52 Zurück

Prof. Dr. Gerhard Geissler, Prof. für Virologie im Zentralinstitut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin (DDR).

Infrastruktur und Rüstungshaushalt 1985

Infrastruktur und Rüstungshaushalt 1985

von Arbeitsgruppe Planerinnen und Planer für Frieden und Abrüstung

I. Die Friedensbewegung hat in diesem Jahr intensiv über die neuen Militärstrategien der NATO und der USA aufgeklärt. Als Planer haben wir uns die Frage gestellt, wo und mit welchen Mitteln diese Strategien in die materielle Infrastruktur, also in Straßen, Flughäfen, Depots, Kommunikationsinfrastruktur, Pipelines, Häfen, Übungsplätze etc. umgesetzt werden.

Dabei sind in den letzten Jahren eine Reihe von Maßnahmen beschlossen worden:

1. Wartime Host Nation Support Programme (BRD-USA)

Es bestimmt, daß die USA „im Kriegsfall“ innerhalb von 10 Tagen 4-6 Divisionen und 1000 Kampfflugzeuge in der BRD stationieren können. In unserem Land sind hierfür die entsprechenden Infrastruktureinrichtungen (IS) bis 1987 zu schaffen. Zusätzlich wird ein Unterstützungskorps gebildet. Diese IS-Anlagen sind natürlich auch benutzungsfähig für die RDF (schnelle Eingreiftruppe), welche die USA zur Intervention im Nahen Osten oder anderen Regionen der Welt aufgestellt hat. In diesem Zusammenhang ist auch der rasche Ausbau der Großflughäfen zu sehen (Startbahn West Frankfurt, München II, Düsseldorf, Hannover, Stuttgart, Bremen).

2. Ein ähnliches bilaterales Abkommen ist mit Großbritannien abgeschlossen worden. Die entsprechenden IS-Maßnahmen werden noch geheimgehalten. Es ist beim diesjährigen Herbstmanöver mit der Verdopplung der Zahl der britischen Soldaten bereits ansatzweise praktiziert worden. 3. NATO-Infrastrukturprogramm

Dieses Programm umfaßt Investitionen, die die neue Kriegsführungsstrategie materiell fundieren sollen, d. h. etwa den Bau eines Kommunikationssystems, das auch in einem längeranhaltenden Atomkrieg noch (EMP-)funktionsfähig sein soll.

Folgende Mittel wurden und werden dafür ausgegeben:
NATO IS-Programm Gesamtausgaben in Mrd BRD-Anteil in % BRD i. Mrd pro Jahr USA-Anteil
1975 – 1979 4,4 26,5 1,16 0,23 27,4
1980 – 1984 9,5 26,5 2,51 0,5 27,4
1985 – 1990 21,96 26,0 5,82 0,97 27,4

Erwähnenswert ist, daß die Forderung der NATO-Oberbefehlshaber für 1985/90 ursprünglich bei 40 Mrd. DM lag, die Forderung C. Weinbergers vom Mai 1984 bei 27,8 Mrd. DM, der Wörner-Vorschlag der Oktobertagungen der NATO bei 16,85 Mrd. DM. Gegenüber 1980/84 haben sich also die gemeinsamen NATO-Investitionen für den Infrastrukturbereich mehr als verdoppelt.

4. Master Restationing Plan: Er besagt, daß die US-Truppen, die z. Zt. hauptsächlich im südwestdt. Raum stationiert sind, neue Standorte an den Grenzen zur DDR und CSSR erhalten sollen. Die Kosten belaufen sich vorerst auf ca. 11. Mrd. DM.

5. Investitionen der US-Army und der US-Air Force außerhalb des NATO-Budgets.

II. Konkrete Umsetzung im Haushaltsentwurf 1985

Die in der BRD getätigten Infrastrukturmaßnahrnen werden aus vier verschiedenen Quellen finanziert:

  • Mittel des BMVG
  • Mittel des Nato Infrastrukturprogramms (ISP)
  • Mittel für bilaterale Abkommen (WHNS)
  • Mittel für Entsendestaaten

A. Mittel des BMVG

1985 sind u. a. folgende Investitionen vorgesehen:

Bau von Truppenunterkünften 521.000.000
Bau von Schulen und Akademien 81.000.000
Bau von Übungslagern incl. Truppenlager 114.000.000
Bau von Flughäfen 51.000.000
Bau von Versorgungseinrichtungen 131.000.000
Bau von Erprobungsstellen, Magnetischen Meßstellen und Marinearsenalen 32.300.000
Bau von Marineanlagen 14.000.000
Bau von Fernmeldeanlagen 10.200.000
Bau von Bundeswehrkrankenhäusern 4.300.000
Bau von Dienst- und Werkstattgebäuden 159.400.000

B. Mittel des Nato Infrastrukturprogramms (s.o.)

C. Mittel für bilaterale Abkommen

Hier geht es in erster Linie um die sog. Wartime Host Nation Support Programme, d. h. die Unterstützung durch den Aufnahmestaat in Krise oder Krieg.

1. WHNS mit den USA (22. 4. 1982 BGBL 11).

Die offiziellen Angaben zu den Kosten nennen 1,2 Mrd. Beinhaltet sind hier die Verstärkung der in der BRD stationierten 4 US-Divisionen auf 10 Divisionen samt Ausrüstung innerhalb von 10 Tagen; die Sicherung von 57 Objekten (Standorten); die Instandsetzung bzw. der Ausbau von 26 Flughäfen; endlich der tägliche Abtransport von 6800 t Material und 7000 Kubikmeter Betriebsstoffen sowie der Umschlag von 72 0900 t.

2. WHNS mit Großbritannien

In der Öffentlichkeit ist hier bisher nur der Wortlaut bekannt. Daß aber Maßnahmen ergriffen werden, zeigt u. a. das großangelegte Manöver der Briten in Norddeutschland mit 60.000 Soldaten.

D. Mittel der Entsendestaaten

Die Bundesrepublik Deutschland beherbergt in Friedenszeiten 725.000 ausländische Soldaten, Zivilpersonal und deren Angehörige. Hierbei handelt es sich um US-amerikanische, britische, belgische, kanadische, niederländische und französische Truppe. Diese sogenannten Entsendestaaten investieren permanent – auch außerhalb des NATO-ISP – in der BRD. So gibt die US-Army allein 1984 ca. 1 Mrd. DM (344 Mio. US Dollar) für militärische Infrastruktur in der BRD aus. Hierbei handelt es sich u. a. um Munitionsdepots in Münster, Mainz, Kitzingen, Ansbach, Schweinfurt, Aschaffenburg, Fulda, Bad Hersfeld und Giebelstadt. Die Munitionsdepots, deren Baubeginn 1983 oder 1982 war, sind hier nicht genannt. Die US-Air Force investiert allein auf den Flughäfen Bitburg Hahn, Ramstein, Spangdahlem und Zweibrücken in Rheinland-Pfalz in den nächsten zwei Jahren über zwei Mrd. DM. Dies sind keine Vorhaben, die aus dem NATO-ISP bezahlt werden, noch handelt es sich um Kosten von Wartung oder den Bau von Familienunterkünften.

Rechnet man die Kosten bereits vollendeter oder im Bau befindlicher Projekte mit den geplanten zusammen, so ergibt sich eine Summe von 1.167.396.000 $ (ca. 3,6 Mrd. DM).

III. Fazit:

Wir haben hier Infrastrukturmaßnahmen, die durch andere Haushalte – vor allem das Bundesministerium für Verkehr finanziert werden, nicht genannt. Alle eingangs erwähnten Flughäfenerweiterungen fallen in sein Ressort bzw. das der Verkehrsminister der Länder. Daß seine Pläne nicht ausschließlich zivilen Charakter haben, zeigen u. a.

  • die bewiesene militärische Funktion der Startbahn West
  • der auch militärisch angelegte Bau (Streckenführung) der Bundesbahnstrecke Hannover-Würzburg. So befindet sich im Kalbachtunnel (bei Fulda) ein unterirdischer Verladebahnhof mit panzerbefahrbaren Lüftungsschächten, die zu NATO Lagern führen.
  • die überdimensionierten Straßenbaupläne (zusätzlich 2.300 km Bundesautobahnen, Umgehungsstraßen).

Auch Bundespostministerium, Bundesinnenministerium und Bundesfinanzministerium übernehmen wichtige Aufgaben für die Versorgung des Militärs mit Infrastruktur (Bereitstellen von Grundstücken, Abwicklung von militärischen Bauten, Nutzbarmachung ziviler Infrastruktur für militärische Zwecke, Ausbau der neuen EMP-sicheren Kommunikationsinfrastruktur).

IV. Empfehlungen

Der Bundeshaushalt 1985 setzt die Tendenz zur Militarisierung der materiellen Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland rasch fort.

  1. Wir fordern als einen ersten Schritt zur Begrenzung dieser Entwicklung ein Einfrieren der im Epl. 14 vorgesehenen Mittel für militärische Infrastruktur.
  2. Wir fordern eine materielle Ressourcenumschichtung zugunsten der ökonomischen und ökologischen Entwicklung strukturschwacher Regionen statt ihrer Militarisierung.
  3. Wir fordern den Abbau der militärischen Umwelt- und Raumforschung zugunsten der Bereitstellung von Mitteln für Friedensforschung und Abrüstungsplanung.
  4. Wir fordern eine Offenlegung der hierzulande von den Entsendestaaten investierten Mittel in die militärische Infrastruktur.
  5. Wir fordern den Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf, im nächsten Bundesraumordnungsbericht eine ungeschminkte Darstellung der Belastungen unseres Landes durch die vorhandenen und geplanten Militäreinrichtungen vorzunehmen und jeder zusätzlichen Nutzung des Territoriums der Bundesrepublik für militärische Zwecke die Zustimmung zu verweigern.

Biologische Kriegsführung

Biologische Kriegsführung

Über eine besonders heimtückische Art des Tötens

von Dietmar von der Ahe

Natürlich war es in früheren Kriegen üblich, daß die Ernte durch Feuer vernichtet, daß Wasser vergiftet wurde. Aber Beispiele direkter biologischer Kriegsführung sind selten.

Immerhin: Das gab es im Jahre 1346 in Kaffa am Schwarzen Meer. Pestinfizierte Kadaver wurden über die Stadtmauer katapultiert, um dort eine Epidemie in Gang zu setzen. Der Erreger der Pocken wurde um die Mitte des 18. Jahrhunderts von den Engländern im Krieg gegen die Indianer in ihren amerikanischen Kolonien eingesetzt. Pockenverseuchte Wolldecken wurden an die Indianer verteilt.

Im zweiten Chinesisch-Japanischen Krieg 1937 – 1945 (der in den 2. Weltkrieg überging) setzten die Japaner im Nordosten Chinas Pestbakterien als Waffe ein. Eine ganze Reihe von potentiellen B-Waffen wurde von den Japanern getestet. So unter anderem Milzbrand.

Nach 1945 wurde der Einsatz von B-Waffen von verschiedenen Seiten behauptet, konnte aber nie sicher bewiesen werden. Unbestritten ist, daß die Forschung auf diesem Gebiet intensiv fortgeführt wurde. Jüngste Beispiele über Milzbrandforschung im Auftrag der Bundeswehr an der Universität Hohenheim haben es bestätigt. Wenn man bedenkt, daß es ständiges Bemühen der biologisch-medizinischen Wissenschaft ist, Krankheiten zu bekämpfen, Tiere und Pflanzen gegen Insekten und Mikroorganismen zu schützen, so haben wir es in der biologischen Kriegsführung mit einer völligen Umkehrung zu tun Perversion des menschlichen Denkens.

Was ist eine biologische Waffe?

Eine biologische Waffe ist ein lebender Organismus i.d. Regel ein Mikroorganismus – der für feindliche Zwecke eingesetzt wird, zumeist auf Grundlage seiner Pathogenität. Die Wirkung hängt in den meisten Fällen von der Vermehrung im Wirtsorganismus ab. Demnach würden Toxinwaffen nicht zu den B-Waffen gehören. Diese sollen hier jedoch ausdrücklich hinzugezählt werden, da es sich bei den Toxinen um chemische Substanzen natürlichen Ursprungs handelt (von einem lebenden Organismus produziert).

Biologische Kampfstoffe können gegen den Menschen, gegen Tiere (Viehbestand und Pflanzen (Nutzpflanzenkulturen)) gerichtet sein. Es kann eine Einteilung der B-Kampfstoffe auf Grund der taxonomischen Stellung der Erreger vor-genommen werden. So lassen sich virale, bakterielle, fungale u.a. (z. B. Insekten) als B-Waffen klassifizieren.

Beschreibung der biologischen Kampfmittel

Es existiert eine große Anzahl von potentiell biologischen Waffen. Einige davon sind schon militärisch eingesetzt worden, die meisten schon im Labor getestet. Sie umfassen etwa 160 bekannte Infektionen, die, wie schon erwähnt, durch Viren, Bakterien und Pilze (bzw. Pilzsporen) hervorgerufen werden. Es gibt Kampfstoffe, die von Tier zu Tier, bzw. Tier zu Mensch ansteckend sind (z.B. von Insekten übertragene Infektionen), aber auch solche, die von Mensch zu Mensch äußerst ansteckend sind.

Vom militärischen Standpunkt aus werden einige Anforderungen an biologische Waffen gestellt: 1) Medizinisch-biologisch: es sollte keine oder nur unvollständige Immunität (beim Feind) gegen den Erreger bestehen, die Krankheit sollte äußerst ansteckend sein (kurze Inkubationszeit), schnell übertragbar und der Feind darf keine Impfstoffe dagegen vorrätig haben oder herstellen können oder die Krankheit mit anderen Mitteln heilen, z. B. Antibiotika. 2) Militärisch: der infektiöse Organismus muß leicht züchtbar sein, er muß robust genug sein, um unter Freilandbedingungen überleben zu können und sich fortzupflanzen; die Lagerung und Ausbringung müssen leicht und gefahrlos sein.

Die Herstellung der meisten B-Waffen und Kampfstoffe ist im Labor auch in großen Mengen möglich, dagegen erfordert die Lagerung und Konservierung der meisten Erreger recht hochentwickelte Technologien. Besondere Anwendung findet dabei in letzter Zeit die Gefriertrocknung im Hochvakuum. Die Ausbringung der Erreger wird, wenn irgendwie möglich, in Form von Aerosolen bewerkstelligt. (Aerosol: feinste Verteilung fester oder flüssiger Stoffe im Gas. Dadurch wird eine schnelle Wirkung über die Lunge erzielt.)

Eine neue Dimension könnten die Forschungen über biologische Waffen durch die Entwicklungen der Molekularbiologie seit Beginn der 70er Jahre erlangen. „Genetic Engineering“ ist das Stichwort. Ob die Gentechnologie zu manipulativen Zwecken der Militärs wirklich taugt, ist umstritten. Aber geforscht wird eifrig und schöner Worte zum Trotz streng geheim.

Verträge

Daß diese Bemühungen im Widerspruch zu bestehenden Verträgen und Abkommen stehen, scheint evident zu sein: Unter dem Eindruck der Grausamkeiten des Gaskrieges im Verlaufe des 1. Weltkrieges kam es 1925 bei der internationalen Konferenz des Völkerbundes in Genf zur bis heute bedeutsamsten Übereinkunft über das Verbot der Anwendung chemischer Waffen. Im Genfer Protokoll wurden auch ausdrücklich biologische Kampfmittel genannt: „das Verbot der Anwendung von erstickenden, giftigen und ähnlichen Gasen und bakteriologischen Mitteln im Kriege“. 1968 schlug Großbritannien im Genfer Abrüstungsausschuß einen Vertrag vor, der die Produktion und den Besitz bakteriologischer Waffen verbieten sollte ein Vertrag über chemische Waffen sollte später folgen.

1969 sahen sich die USA gezwungen – unter dem Druck der Weltöffentlichkeit angesichts der Eskalation des Krieges in Südostasien – der Genfer Konvention beizutreten und den Verzicht auf biologische Kriegsführung bekanntzugeben. Auch die Vernichtung der vorhandenen Vorräte bakteriologischer Waffen wurde angekündigt. Ob damit ernst gemacht wurde, entzieht sich der Nachprüfung.

Am 10. April 1972 kam es zu der „Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von bakteriologischen (biologischen) und Toxinwaffen“.

Trotz dieser vertraglichen Regelungen ist z. B. die Frage strittig, ob der militärische Mißbrauch der Gentechnik unter das Verbot fällt. Die Schwierigkeit der exakten Abgrenzung von biologischen und chemischen Waffen macht dabei deutlich, wie notwendig eine Vereinbarung über C-Waffen wäre.

Warum biologische Waffen?

Es bleibt die Frage, worauf sich überhaupt das Interesse gründet, weiter mit biologischen Kampfstoffen zu hantieren und ihren Einsatz in Erwägung zu ziehen. Ein Vergleich mit Atomwaffen erbringt folgende Gesichtspunkte:

– B-Waffen sind wesentlich billiger herzustellen

– die Ausgangsprodukte sind in jedem Land vorhanden (im Gegensatz zu Uran)

– die technische Realisierung ist vielfach einfacher

– die Forschungs- und Produktionsanlagen sind praktisch nicht zu kontrollieren

– „nur“ lebende Organismen werden geschädigt (vergleichbar mit der Neutronenbombe)

Ein Versuch mit chemischen Waffen ergibt:

– B-Waffen erfassen i.d.R. ein größeres Gebiet und damit einen größeren Teil der Bevölkerung

– sie verbreiten sich selbst weiter durch Ansteckung

– es ist schwierig, sie zu analysieren; die Gefahr wird erst erkannt, wenn der Erreger sich ausbreitet.

Diesen „Vorzügen“ stehen aber bis heute noch große Unwägbarkeiten und Nachteile gegenüber:

– es gibt zu viele unbekannte Faktoren, wie z.B. die Dosierung, die notwendige Partikelgröße bei Aerosoleinsatz oder die gleichmäßige Verbreitung, der Einfluß von Klima- und Witterungsfaktoren etc.

– es besteht die Gefahr, daß die Krankheiten sich auf das eigene Land oder die eigenen Streitkräfte verbreiten, sei es durch geeignete, natürlich vorkommende Vektoren (Insekten) oder durch den Menschen selbst.

Genau auf diese Punkte ist dann auch ein beträchtlicher Teil der B-Waffenforschung konzentriert. Wie können diese Nachteile ausgeschaltet werden? Forschungsthemen sind beispielsweise: „Ausbreitung von mikrobiellen Aerosolen in der Freiluft“1, „Betrachtungen zur Aerobiologie und zum open-air-Faktor“2.

Auch der Tatsache, daß Erreger nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden, versuchte man beizukommen. Der Vietnam-Krieg gab hierzu den Anstoß – die Forderung nach einer „ethnischen Waffe“, die nur bestimmten rassischen Gruppierungen Schaden zufügt, tauchte auf.

Ethnische Waffen?

„(…) theoretisch ist es möglich, sogenannte ethnische chemische Waffen zu entwickeln, die so angelegt sein würden, daß sie natürlich auftretende Verschiedenheiten der Empfindsamkeit bei bestimmten Bevölkerungsgruppen ausnutzen. Eine derartige Waffe wäre somit in der Lage, eine ausgesuchte feindliche Bevölkerung in einem weit größeren Ausmaß als die eigenen Verbände kampfunfähig zu machen oder zu töten.“3

Ein Beispiel für eine solche ethnische Waffe ist der Pilz Coccidioides immitis. Dieser Pilz kommt im ariden und semiariden Klima von Californien und Mexico vor. Seine Sporen rufen bei Inhalierung Krankheit hervor (Valley Fever), Man unterscheidet eine milde Verlaufsform (in endemischen Gebieten) von der progressiven Cocci, die eine hohe Mortalitätsrate hervorruft (50-60 %). Nun hat man beobachtet, daß nicht-weiße Rassen von dieser progressiven Cocci mit einer viel höheren Rate befallen werden als weiße Rassen: von Kaukasiern, die unter einer primären Cocci leiden, entwickeln 1 % die progressive Form unter der schwarzen Bevölkerung im endemischen Gebiet von Californien und Arizona entwickeln 20-25 % die progressive Form bei Eindringen von Sporen des Pilzes in ein nicht-endemisches Gebiet wurden 11 % der Weißen und 59 % der Schwarzen befallen Mexikaner und nordamerikanische Eingeborene nehmen eine Mittelstellung ein. Philippinos scheinen noch empfindlicher zu sein als Schwarze. Es gilt als ziemlich sicher, daß dieser Pilz in das Arsenal der amerikanischen B-Waffen aufgenommen wurde.

Was ist „genetic enginnering“?

Anfang der 70er Jahre wurden die molekularbiologischen Methoden entwickelt, die man im allgemeinen Sprachgebrauch als Gentechnik oder „genetic enginnering“ bezeichnet.

Fachleute sprechen auch von der Rekombinanten DNA-Technologie. Natürliche DNA Rekombination findet in der Natur seit Jahrmillionen statt. Die Methoden der Gentechnik erlauben nun den Wissenschaftlern, manipulativ einzugreifen und DNA Moleküle zu rekombinieren, die unter natürlichen Bedingungen nicht zusammenkommen würden.

Die Methoden der Gentechnik erlauben mit Hilfe bestimmter Enzyme, den Restriktionsendonukleasen, die reproduzierbare Zerlegung von DNA-Molekülen, deren Übertragung mittels eines geeigneten Vectors (bakt. Plasmid oder Virus) auf eine lebende Zelle (Bakterienzelle, Hefezelle) und die Vervielfachung der fremden DNA in der Wirtszelle (Klonierung).

Mindestens seit 1974, seitdem ein von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA eingesetztes, von P. Berg geleitetes, Komitee Überlegungen darüber anstellte, ob aus der Anwendung der Gentechnik spezielle Sicherheitsrisiken resultieren, wird auch über die Bedeutung des „genetic engineering“ für die Entwicklung biologischer Waffen nachgedacht. Die Gentechnik hat entscheidend dazu beigetragen, die Biologie zur Produktivkraft voranzutreiben. Es ist zu fragen, ob auch Waffen mit ihrer Hilfe produziert werden. Ein Expertengremium in den USA (Lederberg u. a.) kam zu dem Schluß: „Die Gentechnik wird keine Pathogene hervorbringen, die letaler sind als die bereits existierenden (z. B. Anthrax). Eigentlich ist die Gentechnik überflüssig – Napoleons Armee wurde durch Dysenterie dezimiert.“4

Diese Experten mögen recht haben, wenn sie den normalen Laborgebrauch der Gentechnik im Auge hatten, nicht aber, wenn gezielt nach B-Waffen geforscht wird. Die Möglichkeiten, mit Hilfe der Gentechnologie hier schrecklich und qualitativ Neues zu schaffen, ist prinzipiell unerschöpflich. Bisher war man bei der Herstellung von biologischen Kampfstoffen auf Keime angewiesen, die in der Natur natürlicherweise auch vorkommen. Dies könnte sich grundlegend ändern.

Möglichkeiten der Gentechnik:

– In potentiell als BW nutzbaren Keimen werden völlig neue Antibiotika-Resistenzen eingeführt (dies ist schon, wenn auch aufwendiger, mit Hilfe der konventionellen Mikrobengenetik möglich).

– Die Möglichkeit zur Veränderung der diagnostischen Merkmale von pathogenen Keimen oder einer Begrenzung ihrer Ausbreitung auf definierte Zielorgane durch Schaffung spezifischer metabolischer Ansprüche,

– Herstellung modifizierter Toxine auf totalsynthetischem Wege, die u. U. toxischer sind und eine größere Stabilität aufweisen als ihre Ausgangsverbindungen. Es können somit neuartige, unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommende Substanzen hergestellt werden oder solche, die einen vorhandenen Immunschutz unterlaufen.

– Teil- oder vollsynthetische Herstellung von Viren mit völlig neuen Eigenschaften und antigenenen Determinanten.

– Entwicklung solcher Impfstoffe, die explizit zum Schutz der Truppen sowie der Zivilbevölkerung eines Aggressors bestimmt sind. So lautet eine Zusammenfassung einer Ausschußberatung des US-Außenministeriums folgendermaßen: „Die von der rekombinanten DNA-Technik in Aussicht gestellte Möglichkeit, nämlich die Schaffung von mehr und besseren Impfstoffen, kann zugleich die Aussichten erhöhen, daß mancher Staat auf die Idee kommt, einen Krieg mit biologischen Mitteln zu führen. Eine größere Fähigkeit sich zu schützen, könnte dazu verleiten, einen biologischen Krieg zu führen, da der Anstifter ein kleineres Risiko hat, durch seine eigenen Handlungen geschädigt zu werden.“ (State Department, 1981)

In diesem Zusammenhang sind einige Berichte aus der Zeitschrift „Nature“ interessant: Danach verwendet die USA bereits gentechnische Methoden, um z. B. durch Klonierung des entsprechenden Antigen-kontrollierenden Gens von Bacillus anthrax in E. coli einen Impfstoff gegen Milzbrand herzustellen (Nature, 24. Juni 1982).

Ferner holte die US-Armee vom „Recombinant-DNA-Advisory-Comitee“ des National Institute of Health die Genehmigung ein, die Determinante für ein Exotoxin von Pseudomonas zu klonieren (Nature, 24. Juni 1982). Ebenso wurde von der US-Armee angekündigt, das Gen für die humane Acetylcholinesterase zu klonieren.

Literatur zum Thema „Biologische Waffen“

Bücher

E. Jawetz, J. L. Melnick und E. A. Adelberg, Medizinische Mikrobiologie, Springer Verlag 1977

Harris/Paxman, Eine höhere Form des Tötens, Econ Verlag 1983

Karlheinz Lobs, Der kalte Tod, Köln, Pahl Rugenstein 1982

Übersichtsartikel aus Zeitschriften und Büchern

A. Conadera, Biological Weapons And Third World Targets, Science for the People, Vol. 13 No. 4, July/August 1981

R. Gomer, J. W. Powell and B. V. A. Röling, Japans biological weapons: 1930 – 1945, The Bulletin of the Atomic Scientists, Vol. 37 No 8, October 1981

R. J. Manchee, M. G. Broster, J. Melling, R. M. Henstridge & A. J. Stagg, Bacillus anthracis on Gruinard Island, Nature Vol. 294, 19 November 1981

Peter Garcia, Wer plant den biologischen Krieg? AIB, Juli/August 1983

Rote Blätter, Studentenmagazin, Der lautlose Tod, Nr. 11, November 1983

Arbeitskreis Umweltgifte in der Fachschaft Chemie, Universität Karlsruhe, Biologische Kampfstoffe

J. B. Neilands, Survey of Chemical and Related Weapons of War, Naturwissenschaften 60, 177-183 (1973)

A. H. Westing, Crop destruction as a means of war, The Bulletin of the Atomic Scientists, February 1981

G. H. Orians and E. W. Pfeiffer, Ecological Effects of the War in Vietnam, Science, Vol. 168 May 1970

Literatur zum Thema Genetic engineering und Biologische Waffen

D. Dickson, Recombinant DNA research: private actions raise public eyebrows, Nature, Vol 278, 5 April 1979

J. D. Watson, Let us stop regulating DNA research, Nature, Vol. 278, 8 March 1979

J. King, New Diseases in new niches, Nature, Vol 276, 2 November 1978

Nature, No NIH ban, Nature, Vol. 298, 8 July 1982

S. Budiansky, NIH urged to act on germ war, Nature, Vol. 297, 17 June 1982

Nature, US looks to biological weapons, Nature, Vol. 297, 24 June 1982

D. Shapley, US recombinant DNA guidelines, Expected change Nature, Vol. 296, 29 April 1982

M. B. Callaham and Kosta Tsipis, Biological Warfare and Recombinant DNA, The Bulletin of the Atomic Scientists, Nov. 1978

Anmerkungen

1 Sider/Kronmark, Biologische Kampfmittel, Bonn 1967 Zurück

2 Sprockhoff, H.v./W. Müller, 2 „Betrachtungen zur Aerobiologie und zum open-air-Faktor“, Wehrmedizinische Monatsschrift 8/78 Zurück

3 Mobility Equipment Research and Development Center der US-Army: „Decontamination of Water Containing Chemical Warfare Agent“, Fort Delvoir Virginia, Jan. 1975; aus: Harris/Paxman 1983 Zurück

4 Anonymous 1981: Genetic engineering´s war potential called slight by State Department advisors, Genetic Engineering Letter I, No. 10, 4, zit. nach: E. Geißler 1983 Zurück

Dietmar von der Ahe ist Diplombiologe und Doktorand am Physiolog. Chem. Institut Marburg

Chance für einen Neubeginn in der Biowaffenkontrolle?

Chance für einen Neubeginn in der Biowaffenkontrolle?

Die Ergebnisse der 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens 2011

von Volker Beck, Una Jakob-Becker, Alexander Kelle, Ralf Trapp und Jean-Pascal Zanders

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 2/2012
Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis »Abrüstung und Nichtverbreitung biologischer und chemischer Waffen«
in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung

Einleitung

Die Gefahr, die vom Einsatz von Krankheiten als Waffe ausgeht, ist seit über 100 Jahren Gegenstand internationaler diplomatischer Verhandlungen. Mit dem Biowaffen-Übereinkommen (BWÜ), das 1972 abgeschlossen wurde und 1975 in Kraft trat, gelang es erstmals, eine ganze Waffenkategorie vollständig und uneingeschränkt zu verbieten und dieser Gefahr entschieden entgegenzutreten. Allerdings gibt es in mehreren Bereichen Stärkungsbedarf, so etwa bei der Beobachtung relevanter wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen, bei der institutionellen Ausstattung des Biowaffen-Kontrollregimes und insbesondere bei den Möglichkeiten, die Vertragstreue der Mitglieder zu überprüfen und eventuelle Vertragsverstöße zu ahnden. Die größten Defizite sollten mit Hilfe eines Zusatzprotokolls behoben werden, dessen Verhandlungen 2001 allerdings scheiterten.

Nachdem damit eine Phase der Stagnation und Konsolidierung in der Biowaffenkontrolle eintrat, während der sich die Aufmerksamkeit der BWÜ-Mitglieder vor allem auf nationale Maßnahmen zur besseren Gefahrenabwehr konzentrierte, eröffnete die 7. Überprüfungskonferenz im Dezember 2011 die Möglichkeit, das Kontrollregime endlich durch kollektive Maßnahmen zu stärken. Beim Jahrestreffen des Arbeitskreises »Abrüstung und Nichtverbreitung biologischer und chemischer Waffen« am 24.-25. Oktober 2011 wurden einige der zentralen Themen zur Diskussion gestellt, die bei dieser Überprüfungskonferenz eine wichtige Rolle spielen sollten. Sie werden in diesem Dossier zusammengefasst: ein Aufriss der biologischen Bedrohungen und der Herausforderungen, denen sich die Biowaffenkontrolle gegenüber sieht; eine Analyse des Regimes hinsichtlich der beiden intersessionellen Prozesse 2003-2005 und 2007-2010; eine Diskussion um Verifikation und Compliance im BWÜ-Kontext; sowie eine Betrachtung des BWÜ-Artikels X, der sich mit der internationalen Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Biotechnologie befasst und der einen zentralen Streitpunkt im Regime darstellt. Abschließend wird über die Ergebnisse der 7. Überprüfungskonferenz berichtet.

Die Bedrohung durch Biowaffen und Chancen für ihre Kontrolle

von Jean-Pascal Zanders

Das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (BWÜ) wurde am 10. April 1972 zur Unterschrift aufgelegt und trat am 26. März 1975 in Kraft. Nach Stand vom 1. Februar 2012 hat es 165 Mitglieder und 12 Signatarstaaten; 19 Staaten haben das BWÜ weder unterschrieben noch ratifiziert. Alle fünf Jahre kommen die Mitgliedsstaaten zu einer Überprüfungskonferenz zusammen, um die Umsetzung des Übereinkommens zu bewerten und eine Einschätzung künftiger Herausforderungen zu erarbeiten. Die 7. Überprüfungskonferenz fand vom 5. bis 22. Dezember 2011 in Genf statt.

Da dem BWÜ Verifikationsregeln und eine zwischenstaatliche Implementierungsorganisation fehlen, um die Einhaltung des Übereinkommens zu überwachen und durchzusetzen, erachten es die meisten politischen Entscheidungsträger und Abrüstungsexperten als »schwach«. Praktisch seit dem Ende der Verhandlungen im Jahr 1972 haben sich die BWÜ-Vertragsparteien darum bemüht, das BWÜ mit Verifikationsinstrumenten auszustatten. Der jüngste Versuch scheiterte im Sommer 2001: Eine Ad-hoc-Gruppe der Vertragsstaaten sollte ein rechtlich verbindliches Zusatzprotokoll verhandeln, das unter anderem Verifikationsmechanismen und eine internationale Implementierungsorganisation geschaffen hätte. Die Nachwirkungen führten auf der fünften Überprüfungskonferenz im Dezember 2001 fast zum Kollaps der gesamten BWÜ-Struktur. Seitdem bemüht sich die internationale Gemeinschaft um weniger umfassende, inkrementale Ansätze, um das Biowaffenregime zu stärken.

Mangelnde Verifizierbarkeit

Ein Biowaffenverbot wurde bereits als nicht verifizierbar bezeichnet, bevor die Verhandlungen zum BWÜ überhaupt begonnen hatten. Am 6. August 1968 reichte Großbritannien ein Arbeitspapier beim 18-Nationen-Komitee für Abrüstung (einem Vorläufer der derzeitigen Genfer Abrüstungskonferenz) ein, in dem festgestellt wurde: „Verifikation, in dem Sinne, in dem der Begriff normalerweise in Abrüstungsverhandlungen verwandt wird, ist weder auf dem chemischen noch auf dem mikrobiologischen Gebiet möglich. Die Schwierigkeit, soweit sie den mikrobiologischen Bereich betrifft, liegt darin, dass die Organismen, die verwendet würden, auch für medizinische und tierärztliche Zwecke nötig sind und schnell, kostengünstig und ohne spezielle Einrichtungen produziert werden können, entweder in bestehenden oder in improvisierten Laboren.“ Es wurde argumentiert, dass die internationale Gemeinschaft nichtsdestotrotz ein Verbot formulieren sollte, da „die Risiken und Ängste bezüglich eines möglichen Einsatzes mikrobiologischer Methoden der Kriegsführung sich unendlich fortsetzen und steigern werden“ (UK, 1971; Übersetzung E.B.). Als die Sowjetunion und die USA, deren vorrangiges Interesse in der Vermeidung jeglicher Verzögerung beim Abschluss des ersten SALT-Vertrages lag, einige der moderaten britischen Verifikationsvorhaben in der Endphase der Verhandlungen stark abschwächten, äußerten viele Staaten extreme Unzufriedenheit, bis hin zur anfänglichen Weigerung, dem Vertrag beizutreten.

In der Tat war zwischen 1975, dem Jahr des Inkrafttretens, und 2001 die verfügbare Verifikationstechnologie kaum angemessen, um den speziellen Herausforderungen von Biowaffen zu begegnen. Selbst als sich internationale Experten in den frühen 1990er Jahren auf eine Kombination von Verifikationsmethoden einigten, die das Vertrauen in die Vertragseinhaltung stärken könnten, hat die fortschreitende Innovation in den Naturwissenschaften in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts diese Vorschläge rasch wieder überholt. Somit war die Verifikationsdimension des Protokollentwurfs schon obsolet geworden, bevor die Ad-hoc-Gruppe die Verhandlungen abschließen konnte.

Zu den Herausforderungen an das BWÜ zählen folgende Faktoren:

Multilateralisierung von Verifikationsaktivitäten Als das BWÜ verhandelt wurde, war die Verifikation von Abrüstung noch keine zwischenstaatliche Aktivität. Der Prozess basierte im Wesentlichen auf nationalen technischen Mitteln – Satelliten-, Radar- und Luftüberwachung sowie nachrichtendienstlichen Aktivitäten – die im Kontext der bilateralen nuklearen Rüstungskontrolle zwischen den USA und der Sowjetunion eingesetzt wurden. Nur wenige Staaten verfügten jedoch über entsprechende Technologien. Deshalb setzte ihre Anwendung auf globale Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen eine multilaterale Verifikationsinstitution voraus, in deren Verantwortungsbereich die Datenerhebung, -bewertung und -verteilung an alle betroffenen Parteien umfassen musste. Wie erwähnt, verfügt das BWÜ nicht über solch eine Organisation.

Nachweis kleinster Mengen biologischer und toxischer Stoffe Die meisten der in den 1970er und 1980er Jahren vereinbarten Maßnahmen liefen auf »Verifikation durch Substitution« hinaus. Besonders bei Nuklearwaffen zielten die Verifikationsmaßnahmen eher auf Trägersysteme, z.B. Raketen und Flugzeuge, anstatt auf den Kernbestandteil, das Spaltmaterial. Bei Biowaffen musste sich, wie das britische Arbeitspapier zutreffend bemerkte, der Fokus des Verbots auf Mikroorganismen richten, die zu klein sind, um von den damals existierenden Technologien erfasst zu werden, und die für die 1968 vorstellbaren Überprüfungsmethoden bei der Waffenentwicklung in zu geringen Mengen verwendet werden.

Reaktion auf eine Vertragsverletzung eines Gegners Ein Abrüstungsabkommen soll eine Waffenkategorie vollständig eliminieren, was selbst einen kleinen illegalen Vorrat zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko machen kann. Die Unsicherheit bezüglich der Einhaltung eines Abrüstungsvertrags erfordert höchst intrusive Verifikationsverfahren und garantierten Sicherheitsbeistand für den Fall von Drohungen oder Angriffen mit den verbotenen Waffen. Während des Kalten Krieges waren die Staaten für diese Art von Verifikationsmaßnahmen noch nicht bereit.

Veränderte Erwartungen an Verifikation

Nicht nur die Bedrohungsquellen und -wahrnehmungen haben sich in den letzten 43 Jahren grundlegend gewandelt, auch die Akteure, Instrumente und Prozesse zur Erhöhung von Transparenz, zur Feststellung der Vertragseinhaltung und für Verifikation haben sich vervielfacht und an Komplexität und Effizienz gewonnen. Dazu zählen:

die Akzeptanz des Prinzips von On-site- und Off-site-Inspektionen;

die Ausdehnung der staatlichen Überwachungsfähigkeit;

die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien, um mit der ständig anwachsenden Menge digitaler Daten umzugehen;

verbesserte Aufsicht über und Überwachung von Industriepraktiken und Forschungsaktivitäten;

inzwischen akzeptierte Praktiken sozialer Kontrolle, einschließlich Standards, vorbildlicher Praktiken (best practices), Verhaltenskodizes sowie die Ernennung von Ombudsleuten oder der Anerkennung der Rolle von internen Informanten (whistleblowers);

die Mobilisierung von sozialen Netzwerken, um gewisse Ereignisse und Entwicklungen aufzudecken oder zu überwachen;

die internationale Erwartung von Transparenz im staatlichen Verhalten, die auf der sich verbreitenden Überzeugung basiert, dass die Steuerung eines Vertrages in der Art des BWÜ eine gemeinsame Verantwortung ist; der zunehmende Informationsaustausch führt dazu, dass die ehemals anerkannte Praxis staatlicher Geheimhaltung jetzt als Indikator für böse Absichten angesehen wird.

Solche neuen Instrumente deuten auf sich überschneidende Kooperationsnetzwerke und die Integration von Aktivitäten als einen möglichen zukünftigen Kurs biologischer Abrüstung hin. Die zwei Zyklen jährlicher Treffen zwischen den Überprüfungskonferenzen (2003-2005 und 2007-2010) bezogen Vertreter von so unterschiedlichen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE), Interpol, der Welthandels- und der Weltzollorganisation (WTO, WCO), mit Abrüstung, Umweltschutz und Entwicklung betrauter UN-Behörden, vertragsspezifischer Abrüstungsorganisationen, multi- und transnationaler Konzerne, Forschungsinstitute und anderer in die Debatte um die Stärkung des BWÜ ein. Die Treffen haben auch die Zahl der teilnehmenden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erhöht und die Professionalisierung und Spezialisierung der NGO-Beiträge befördert. Das Spektrum der Akteure, welche die oben beschriebenen Instrumente und Prozesse für Abrüstungszwecke einsetzen können, hat sich zudem von staatlichen Behörden auf internationale Organisationen, zivilgesellschaftliche Gruppen, Berufs- und Wissenschaftsverbände und sogar Individuen ausgeweitet.

Diese Entwicklungen veranschaulichen die wachsende Anerkenntnis, dass es nicht nur Sache eines einzigen Vertrages, sondern eine von allen geteilte Verantwortung ist, biologische Kriegführung zu verhindern. Allerdings müssten die vielen Institutionen und Behörden ihre jeweiligen »Komfortzonen« für die gegenseitige Zusammenarbeit, den Informationsaustausch und die Integration von Aktivitäten weiter ausdehnen, wo immer das möglich ist. Bürokratischer Widerstand, unterschiedliche Mitgliedschaften oder die Interessen und Ansprüche diverser staatlicher Behörden an der bzw. an die Arbeit der verschiedenen internationalen Organisationen könnten weiterhin größere Hindernisse darstellen. Das gleiche gilt für die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Praxis, Industrie und Zivilgesellschaft untereinander sowie ihrer Interaktion mit Regierungen und intergouvernementalen Organisationen. Es bleibt noch ein langer und schwieriger Weg zu gehen. Doch machen gerade die Schwächen des BWÜ es interessanterweise zu einem Versuchsfeld für eine künftige Steuerung von Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, die sich auf »multi-stakeholdership« und die funktionale Spezialisierung von Regierungen und anderen Beteiligten stützt.

Fazit

Das BWÜ nahm in einer Ära seinen Anfang, in der sich das Konzept von Sicherheit und die Besitzansprüche fundamental von heutigen Konzepten unterschieden. In der Anfangsphase in den frühen 1970er Jahren betrachteten die Staaten Biowaffen in einem reinen Abrüstungskontext – dem der kompletten Eliminierung einer Waffenkategorie und dem Verbot zukünftiger Aufrüstung mit den verbotenen Waffen. Sie sahen sich als die alleinigen Hüter des BWÜ. Während heutzutage Einigkeit darüber besteht, dass das Übereinkommen gestärkt werden muss, fehlt ein solcher Konsens bezüglich der Ausgangspunkte und Ziele, weshalb auch die einzuschlagenden Wege umstritten sind. Insbesondere die Rolle nichtstaatlicher Akteure – ob als Element der sich entwickelnden Biowaffenbedrohung oder als mögliche Förderer von Transparenz und Einhaltungsgarantien – ist noch nicht vollends in das BWÜ-Regime aufgenommen worden. Die Globalisierung hat nicht nur den Schwerpunkt dynamischer Interaktion von Staaten hin zu einer Vielzahl transnationaler Akteure verschoben, sondern sie hat auch einen Komplex verwobener Probleme ans Licht gebracht, welche die derzeitige Problemlösungskapazität etablierter internationaler Institutionen oder sogar flexiblerer informeller intergouvernementaler Gruppierungen (wie der G8 oder G20) zu übersteigen scheint. Gleichzeitig wirft nationale Souveränität in ihren zahlreichen Ausprägungen viele Hürden für neuartige Governance-Modelle auf, die die schnelle Lösung transnationaler Probleme verhindern. Nichtsdestotrotz verändern dynamische Kräfte unter der Oberfläche politischer Debatten schnell die Morphologie von Abrüstung und Rüstungskontrolle, was Chancen für neue Ansätze zur Lösung alter Probleme und zur Bewältigung ständig neuer Herausforderungen bietet.

Literatur

UK (1971): Document ENDC/231, §3. Nachgedruckt in: SIPRI (1971): The Problem of Chemical and Biological Warfare, Volume IV CB Disarmament Negotiations, 1920-1970. Stockholm: Almqvist & Wiksell, S.255–56.

Dr. Jean-Pascal Zanders ist seit 2008 am European Institute for Security Studies (EUISS) als Research Fellow für die Bereiche Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung zuständig. Seine derzeitigen Forschungsprojekte umfassen die Bedeutung der Abrüstung im aktuellen Sicherheitskontext, die langfristige Zukunft der Rüstungskontrollabkommen zu chemischen und biologischen Waffen und die interne Dynamik terroristischer und krimineller Gruppen, die eine chemische oder biologische Waffenfähigkeit erlangen wollen. Aus dem Englischen von Elizabeth Boshold

Warten auf die Stärkung des BWÜ

von Alexander Kelle

Die 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens (BWÜ) im Dezember 2011 markierte den Abschluss des zweiten intersessionellen Prozesses (ISP), den die BWÜ-Mitgliedsstaaten 2002 vereinbart hatten. Zur Einschätzung der Stärke des Biowaffen-Verbotsregimes ist es zunächst erforderlich, sich die Ausgangslage und Hintergründe, die zur Etablierung des Prozesses geführt haben, kurz vor Augen zu führen. Daran anschließend werden die beiden ISP 2003-2005 und 2007-2010 sowohl in prozeduraler als auch in substanzieller Hinsicht diskutiert, bevor abschließend eine kurze Zwischenbilanz gezogen wird.

Die Ausgangslage 2001/2002

Die BWÜ-Vertragsparteien verhandelten von 1995 bis 2001 im Rahmen der so genannten Ad-hoc-Gruppe (AHG) ein Verifikationsprotokoll zum BWÜ. Das wirklich Innovative der AHG war der Versuch, dem normativen Gerüst des Regimes nachträglich rechtsverbindliche Deklarations- und Inspektionsnormen hinzuzufügen (Kelle 2003). Dies wurde in keinem anderen Verbots- oder Nichtverbreitungsregime versucht und ist auch im Kontext des Biowaffenregimes nicht erfolgreich gewesen. Das Scheitern dieser Verhandlungen im Sommer 2001 sowie das (beinahe) Debakel bei der 5. BWÜ-Überprüfungskonferenz – nachdem die US-Regierung von George W. Bush gefordert hatte, das AHG-Mandat offiziell zu beenden – erlangen ihre Relevanz durch die Abkehr vom Versuch, das Biowaffen-Verbotsregime durch die Erweiterung seiner normativen Basis zu stärken. Diese Abkehr führte zum ersten ISP 2003-2005, der wichtige Ziele jenseits der unmittelbaren Stärkung des Regimes verfolgte. Es ging dabei zum einen um die Aufrechterhaltung des multilateralen Dialogs im Bereich der Biowaffenkontrollen, zu dessen Zweck zum anderen ein sehr viel enger umgrenzter thematischer Rahmen gesteckt wurde, der die normative Basis des Regimes unangetastet ließ.

Der erste intersessionelle Prozess 2003-2005

Zusätzlich zur thematischen Verengung sah das Mandat des ISP auch prozedurale Einschränkungen vor. Danach war es während der jährlichen Experten- und Vertragsstaatentreffen nur gestattet, die vereinbarten Themen zu diskutieren und unter den BWÜ-Mitgliedsstaaten ein besseres Verständnis darüber herzustellen, nicht aber konkrete Entscheidungen zu treffen. Dieses Prärogativ blieb der 6. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2006 vorbehalten.

Als substanzielle Diskussionsthemen für den ersten ISP wurden nationale Implementierung (2003), Bio- und Laborsicherheit (2003), Stärkung von Maßnahmen bei vermuteten Biowaffeneinsätzen oder verdächtigen Krankheitsausbrüchen (2004) und Verhaltenskodizes für Wissenschaftler (2005) vereinbart. Damit erhielten einerseits Maßnahmen, deren Umsetzung mangelhaft war, wie etwa die zur nationalen Umsetzung der Vorschriften des BWÜ, eine größere Präsenz in den jährlichen Diskussionen. Andererseits führte die vorgenommene Schwerpunktsetzung zum Einbezug von Akteuren, die auf Grund ihrer Interessenlagen oder Kernaufgabenbereiche nicht unmittelbar in die Umsetzung des BWÜ eingebunden sind. Dies betrifft etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder auch nationale und internationale wissenschaftliche Organisationen.

So führte der erste ISP zu einer Vielzahl von Arbeitspapieren, die die vereinbarten Themen aus nationaler oder auch übergeordneter Perspektive beleuchteten, resultierte aber nicht in konkreten und verbindlichen Vereinbarungen zur Stärkung des Biowaffen-Verbotsregimes. Auch die 6. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2006 führte nicht zu einer solchen Übereinkunft. Die BWÜ-Vertragsparteien konnten sich lediglich darauf einigen, die Diskussionen, die während des ISP stattgefunden hatten, zu begrüßen und die Inhalte der im Konsens verabschiedeten Zusammenfassungen der jährlichen Treffen zu bekräftigen (United Nations 2006, S.19).

Der zweite intersessionelle Prozess 2007-2010

Insgesamt beurteilten die BWÜ-Mitgliedsstaaten ihre Erfahrungen mit dem ersten ISP positiv und vereinbarten deshalb einen zweiten ISP für die Jahre 2007-2010, also bis zur 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2011. Auch dieser ISP war von prozeduralen Einschränkungen gekennzeichnet: Erneut wurden Diskussionen zu vorgegebenen Themen gebilligt, Entscheidungen blieben den Treffen der Vertragsstaaten allerdings wiederum untersagt. Ein organisatorischer Fortschritt wurde mit der Einrichtung einer kleinen Gruppe zur organisatorischen Unterstützung der Vertragsimplementierung (Implementation Support Unit oder ISU) erreicht. Auch wenn sie nur aus drei Mitarbeitern besteht, wurde sie von einigen Beobachtern als möglicher Kern einer zukünftigen formellen »Organisation für das Verbot biologischer Waffen« angesehen.

Der substanzielle Fokus der ISP-Treffen lag erneut auf Aspekten der nationalen Implementierung (2007), der Aufsicht, Aufklärung, Verhaltenskodizes, Bio- und Laborsicherheit (2008), Implementierung von Vertragsartikel X (2009) und Beistand im Falle von Biowaffeneinsätzen (2010). Wieder wurde der Kern der am ISP teilnehmenden BWÜ-Mitgliedsstaaten durch internationale Organisationen und Nicht-Regierungsorganisationen (non-governmental organisations oder NGOs) unterstützt, die mitunter ein vielfältiges ergänzendes Rahmenprogramm – in Form von Poster-Sessions und anderen Informationsveranstaltungen – zu den formellen Sitzungen des ISP lieferten (Khan et al. 2011).

Zwischenbilanz 2011 und Ausblick

Allerdings verliefen auch die inhaltlichen Diskussionen des zweiten ISP, ohne Entscheidungen zu den vereinbarten Themen treffen zu können. Zwar lässt sich aus der Vielzahl der nationalen Beiträge potenziell eine Konvergenz von Erwartungshaltungen über angemessenes Verhalten mit Blick auf die verschiedenen im Biowaffen-Verbotsregime enthaltenen Normen ableiten, doch fehlt in diesem Kontext eine Berichtspflicht der Mitgliedstaaten, die konkrete und verlässliche Schlüsse darüber erlauben würde. Die durch die Vielzahl von nationalen Arbeitspapieren erreichte Steigerung von Transparenz ist prinzipiell positiv zu bewerten, doch war diese nur temporärer Natur: Aussagen über die nationale Implementierung oder Biosicherheit aus den Jahren 2007 und 2008 lassen keine verlässlichen Schlüsse auf den Stand der Dinge im Jahr 2012 zu. Auch geschah die Einbindung von Stakeholdern wie internationalen Organisationen oder NGOs in einem sehr viel begrenzterem Umfang als in anderen Politikbereichen, etwa der Umwelt- oder Menschenrechtspolitik: Da beide ISPs kein Mandat hatten, bindende Entscheidungen zu treffen, blieben notwendigerweise auch zu den Treffen zugelassene Stakeholder ohne Mitentscheidungsmöglichkeiten. Schließlich ist auf den prekären organisatorischen Rahmen der ISU hinzuweisen, die sich weitgehend aus dem Budget der Überprüfungskonferenz finanziert und somit jeweils über keine Bestandsgarantie über die nächste Überprüfungskonferenz hinaus verfügt.

Blickt man zurück auf den Beginn der beiden ISPs, so ist vor dem Hintergrund der historischen Situation 2001 die massive Einschränkung der in der AHG vorgesehenen, breit angelegten und rechtsverbindlichen Stärkung des Regimes verständlich. Vom ISP zu erwarten war lediglich die Stärkung vereinzelter Regimenormen, die in begrenztem Umfang etwa mit Blick auf die Implementierungsnorm auch erreicht werden konnte. Nach zwei ISPs, die durchaus eine Vielzahl von Informationen zutage gefördert und neue Ideen generiert, aber eben keine umfassende und rechtsverbindliche Stärkung des Regimes bewirkt hatten, waren eine Vielzahl von Beobachtern in NGOs und im akademischen Bereich, aber auch einer solchen Stärkung des Regimes gegenüber aufgeschlossene Mitgliedstaaten zu der Auffassung gelangt, es sei an der Zeit, wieder über ambitioniertere Schritte zur Stärkung des Biowaffen-Verbotsregimes nachzudenken. Die Vielzahl der im Vorfeld der 7. Überprüfungskonferenz publizierten Reports und Studien belegen dies deutlich.

Ohne einer detaillierten Analyse der 7. Überprüfungskonferenz vorgreifen zu wollen, ist doch festzustellen, dass viele dieser Hoffnungen auf ein ambitionierteres Arbeitsprogramm des 3. ISP für 2012-2015 enttäuscht worden sind. Erneut wurde nur die Diskussion der Stärkung einer Auswahl und nicht aller Regimenormen vereinbart. Zwar werden zentrale Fragen wie etwa die Auswirkungen von wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt auf das BWÜ regelmäßiger diskutiert. Allerdings konkurrieren diese wiederkehrenden Themen mit anderen Fragen um knappe Zeit- und Finanzbudgets. Schließlich hat die Aversion einiger BWÜ-Vertragsparteien gegenüber jeglichen rechtsverbindlichen Maßnahmen zur Stärkung des Übereinkommens eine Festigung des organisatorischen Rahmens zwischen den Überprüfungskonferenzen sowie eine Evolution des ISP hin zu rechtsverbindlichen Maßnahmen verhindert.

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass nach zwei ISPs und mit dem Arbeitsprogramm des im Dezember 2011 verabschiedeten dritten derartigen Prozesses (United Nations 2011) die internationale Gemeinschaft zumindest bis 2016 auf eine umfassende und rechtsverbindliche Stärkung des BWÜ warten müssen wird. In Anbetracht der Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre ist zudem zweifelhaft, ob sich umfassende und weiterreichende Maßnahmen aus dem derzeitigen ISP-Modell ableiten lassen werden können. Sollte sich die »weiter so«-Mentalität der Mehrheit der BWÜ-Vertragsparteien mit Blick auf den ISP verfestigen, könnte dies es erforderlich machen, rechtzeitig vor der 8. Überprüfungskonferenz über alternative Prozesse nachzudenken.

Literatur

Kahn, M. et al. (2011): The 2007–2010 intersessional process and the future of the BTWC. In: Disarmament Forum, 1/2011, S.51-70.

Kelle, A. (2003): Strengthening the Effectiveness of the BTWC Control Regime – Feasibility and Options. In: Contemporary Security Policy, 2/2003, S.95-132.

United Nations (2006): Final Document of the Sixth Review Conference, BWC/CONF.VI/6, Geneva, 20 November-8 December 2006.

United Nations (2011): Final Document of the Seventh Review Conference, BWC/CONF.VII/7, Geneva, 5 December–22 December 2011.

Dr. Alexander Kelle ist Senior Lecturer in Politics and International Relations am Department of Politics, Languages and International Studies (PoLIS) der University of Bath, UK. Seine Forschungsbereiche umfassen Internationale Sicherheitsregime, die Schnittstelle von wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt und Sicherheit sowie Amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik.

Wie lösen wir das Verifikationsproblem?

Kontrolle des internationalen Biowaffenverbots

von Volker Beck

Das »Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen« (BWÜ) enthält kein Regime zur Verifikation der Einhaltung der Vorgaben der Konvention. Verhandlungen eines Protokolls zur Überprüfung der Einhaltung des BWÜ sind im Jahr 2001 gescheitert. Nach den gescheiterten Verhandlungen haben sich die Vertragsstaaten in den intersessionellen Prozessen 2003-2010 sowie bei der 6. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2006 vorwiegend mit dem Thema Nichtverbreitung befasst, wobei der Schwerpunkt auf nicht-staatlichen Akteure lag. Für die Überprüfungskonferenz 2011 und den angestrebten intersessionellen Prozess 2012-2015 haben zahlreiche Vertragsstaaten, u.a. alle EU-Mitglieder, die Absicht erklärt, die Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen des BWÜ zu thematisieren. Als Argument für die Notwendigkeit der Wiederaufnahme des Themas Vertragseinhaltung/Verifikation werden u.a. wissenschaftliche und technologische Entwicklungen im Bereich der Lebenswissenschaften angeführt, deren mögliche missbräuchliche Nutzung bislang eher im Rahmen staatlicher Aktivitäten als bei nicht-staatlichen Akteuren gesehen wird.

Zur Frage, wie das Verifikationsproblem zur Kontrolle des Biowaffenverbots zu lösen ist, waren im Vorfeld der 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2011 folgende Fragen in Form einer Bestandsaufnahme zu klären:

Was soll verifiziert werden?

Was und wie kann zurzeit verifiziert werden?

Was wurde versucht, um routinemäßig zu verifizieren?

Welche Ansätze bieten sich zurzeit an?

Was soll verifiziert werden?

Gegenstand der Verifikation ist die Einhaltung der Verbotsbestimmungen und der Gebote, die in den Artikeln I-IV BWÜ niedergelegt sind. Die Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, biologische Agenzien und Toxine „von Arten und in Mengen, die nicht durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind, sowie Waffen, Ausrüstungen oder Einsatzmittel, die für die Verwendung solcher Agenzien oder Toxine für feindselige Zwecke oder in einem bewaffneten Konflikt bestimmt sind, niemals und unter keinen Umständen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder in anderer Weise zu erwerben oder zu behalten“ (Art. I), „Agenzien, Toxine, Waffen, Ausrüstungen und Einsatzmittel im Sinne des Art. I […] zu vernichten oder friedlichen Zwecken zuzuführen“ (Art. II), „die in Art. I bezeichneten Agenzien, Toxine, Waffen, Ausrüstungen oder Einsatzmittel an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben“ (Art. III) und „die Entwicklung, die Herstellung, die Lagerung, den Erwerb und die Zurückbehaltung der in Art. I bezeichneten Agenzien, Toxine, Waffen, Ausrüstungen und Einsatzmittel […] zu verbieten und zu verhindern“ (Art. IV) (BWÜ 1972).

Was und wie kann zurzeit verifiziert werden?

Zur Klärung von Zweifeln an der Einhaltung der Verbotsbestimmungen und Gebote sieht das BWÜ zwei Mechanismen vor. Nach Art. V „verpflichten sich [die Vertragsstaaten], einander zu konsultieren und zusammenzuarbeiten, um alle Probleme zu lösen, die sich in Bezug auf das Ziel oder bei der Anwendung der Bestimmungen dieses Übereinkommens ergeben können“.

Konsultationsverfahren wurden in der Vergangenheit informell bei den Trilateralen Verhandlungen zwischen den USA, Großbritannien und Russland zu vermuteten Biowaffenaktivitäten zu Beginn der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts und formell 1997 bei der Untersuchung der »Thrips palmi«Vorwürfe Kubas (Clancy 1997) gegen die USA angewandt. Prozedurale Vorgaben für die Durchführung der Konsultationen wurden bei der 2. und 3. BWÜ-Überprüfungskonferenz vereinbart. Während der Ablauf und das Ergebnis der Trilateralen Verhandlungen wegen der zwischen den drei Staaten vereinbarten Geheimhaltung nur in Bruchstücken bekannt sind, haben die für alle Vertragsstaaten offenen Konsultationen zu dem Pflanzenschädling »Thrips palmi« einvernehmlich zum Ergebnis geführt, dass ein schlüssiger Beweis für die Vorwürfe nicht vorliegt.

Beschwerden über Verletzungen des BWÜ können gemäß Art. VI beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingelegt werden, der eine Untersuchung durchführen kann und die Vertragsstaaten über das Ergebnis unterrichten soll. Dieser Mechanismus wurde bisher von den Vertragsstaaten nicht in Anspruch genommen.

Darüber hinaus existieren Mechanismen außerhalb des BWÜ, die im Kontext biologischer Waffen aktiviert werden können:

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann auf der Grundlage einer Resolution jederzeit eine Untersuchung von Waffenaktivitäten beschließen, wie z.B. im Fall des Irak.

Auf der Grundlage einer Resolution der UN-Generalversammlung kann jeder UN-Mitgliedstaat bei vermutetem B- oder C-Waffeneinsatz beim Generalsekretär der UN eine Untersuchung beantragen (sog. Generalsekretär-Mechanismus).

Auf Toxine sind die Verifikationsbestimmungen des Chemiewaffen-Übereinkommens anwendbar.

Was wurde versucht, um routinemäßig zu verifizieren?

Die dritte Überprüfungskonferenz hat 1991 das Thema Verifikation aufgegriffen und die VEREX-Expertengruppe eingesetzt. Die Gruppe hat 1992-1993 Vorschläge entwickelt, wie das Thema Verifikation abgehandelt werden könnte (VEREX Report 1993). Basierend auf diesen Vorschlägen hat 1994 eine Sondervertragsstaatenkonferenz die Ad-hoc-Gruppe (AHG) zur Verhandlung eines BWÜ-Zusatzprotokolls eingesetzt. Die 1995 begonnenen Verhandlungen der AHG scheiterten 2001 nach 67 Verhandlungswochen am Widerspruch der USA, die das BWÜ für nicht verifizierbar erklärten. Der Entwurf des Protokolls (BWÜ 2001) sah auf der Grundlage jährlicher nationaler Erklärungen von Bioschutzprogrammen und -einrichtungen, Impfstoff-Produktionseinrichtungen, Laboratorien der Sicherheitsstufen BSL3 und BSL4 sowie Einrichtungen mit bestimmten apparativen und/oder verfahrenstechnischen Möglichkeiten sowohl Routine- und Klarstellungsbesuche als auch Verdachtsinspektionen vor. Für die Überwachung war die Errichtung einer internationalen BWÜ-Organisation vorgesehen.

Das Scheitern der Verhandlungen des Zusatzprotokolls hat zu einer Krise des BWÜ geführt, die bei der Überprüfungskonferenz 2001/2002 nur mit einer »Rettungsaktion« in Form der Etablierung des intersessionellen Prozesses 2003-2005 aufgefangen werden konnte. Voraussetzung für die Zustimmung zu diesem Prozess war die Ausklammerung des Themas Überwachung der Einhaltung des BWÜ. Auch bei der 6. Überprüfungskonferenz 2006 und für den intersessionellen Prozess 2007-2010 konnte kein Einvernehmen hergestellt werden, das Thema Vertragseinhaltung/Verifikation aufzugreifen.

Welche Ansätze bieten sich zurzeit an?

Im Vorfeld der Siebten Überprüfungskonferenz 2011 zeichnete sich folgende Konstellation bei BWÜ-Schlüsselstaaten ab:

Kuba, Iran, Indien, Indonesien, Pakistan, China und Russland treten für die Verifikation des BWÜ mit einem vertraglich bindenden Instrument ein.

Die USA und Kanada vertreten die Ansicht, dass das BWÜ nicht verifizierbar sei.

Die Mitgliedstaaten der EU sehen Verifikation als zentrales Element eines effektiven Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregimes und schlagen vor, an Optionen zu arbeiten, die ein ähnliches Ziel erreichen.

Die von einigen Staaten geforderte Wiederaufnahme der Verhandlungen des gescheiterten Zusatzprotokolls wird von der Mehrzahl der Vertragsstaaten nicht unterstützt. Grund sind die starken Veränderungen des wissenschaftlichen und technologischen Umfelds im Bereich der Lebenswissenschaften seit dem VEREX-Prozess 1992/1993.

Unter Einbeziehung bestehender Transparenzmaßnahmen, wie die bei den Überprüfungskonferenzen 1986 und 1991 vereinbarten Vertrauensbildenden Maßnahmen (VBM), und Datensammlungen der BWÜ-Implementation Support Unit (ISU), des 1540-Ausschusses (United Nations 2004) und des Verification Research, Training and Information Centre über die nationale Implementierung BWÜ-relevanter Rechts- und anderer Normen hätte bei der Überprüfungskonferenz 2011 der moderate Wiedereinstieg in die Diskussion von Vertragseinhaltung/Verifikation mit folgenden Themen erfolgen können:

Veröffentlichung der jährlichen nationalen VBM-Deklarationen, um u.a. auch die zivilgesellschaftliche Überprüfung nationaler staatlicher Angaben zu ermöglichen,

Verpflichtung der Vertragsstaaten zu regelmäßigen Beiträgen zur ISU-Datenbasis,

Zugang zu militärischen und zivilen Bioschutzkonferenzen,

Besuche auf Gegenseitigkeit in Einrichtungen mit Biowaffen-relevanten Aktivitäten,

Stärkung des Generalsekretär-Mechanismus,

Etablierung einer intersessionellen Arbeitsgruppe zum Thema VBM/Vertragseinhaltung.

Siebte Überprüfungs- konferenz 2011

Trotz zahlreicher Willensbekundungen von Vertragsstaaten in den Eröffnungsstatements zu Beginn der 7. Überprüfungskonferenz zu Vertragseinhaltung/Verifikation und entsprechender Vorarbeit in informellen Vorbereitungskonferenzen in Wilton Park, Peking, Montreux, Berlin und Den Haag in den Jahren 2010 und 2011 sind die BWÜ-Vertragsstaaten durch unverrückbares Festhalten an der Forderung nach einem rechtlich bindenden Verifikationsprotokoll einerseits und der Gegenposition der Nicht-Verifizierbarkeit andererseits daran gescheitert, Vertragseinhaltung/Verifikation während der Überprüfungskonferenz im Detail zu diskutieren und als Thema für den intersessionellen Prozess 2012-2015 zu vereinbaren. Sofern nicht durch aktuelle Ereignisse ein Denkprozess angestoßen wird, wird erst die 8. Überprüfungskonferenz 2016 die Möglichkeit für einen Wiedereinstieg in die Diskussion um das Thema eröffnen.

Literatur

BWÜ (1972): Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologische (biologische) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen. auswaertiges-amt.de.

Clancy, J. (1997): US plague on Cuba. Email vom 3. Mai 1997; hartford-hwp.com/archives/43b/068.html.

VEREX (1993): Ad Hoc Group of Governmental Experts to Identify and Examine Potential Verification Measures from a Scientific and Technical Standpoint, Report. BWC/CONF.III/VEREX/9, Geneva, 23 September 1993.

BWÜ (2001): Protocol to the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on Their Desctruction. BWC/AD HOC GROUP/CRP.8, 30 May 2001.

United Nations (2004): Security Council Resolution 1540 »Non-Proliferation of Weapons of Mass Desctruction«, 28 April 2004.

Dr. Volker Beck war bis Ende 2011 Berater des Auswärtigen Amtes in Fragen der Biowaffenkontrolle.

Technologiekooperation und Stärkung des BWÜ

von Ralf Trapp

Artikel X des Biowaffen-Übereinkommens (BWÜ) verpflichtet alle Vertragsstaaten, „den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur Verwendung bakteriologischer (biologischer) Agenzien und von Toxinen für friedliche Zwecke zu erleichtern“, nach besten Möglichkeiten zusammenzuarbeiten, „um […] zur Weiterentwicklung und Anwendung wissenschaftlicher Entdeckungen auf dem Gebiet der Bakteriologie (Biologie) zur Krankheitsverhütung oder zu anderen friedlichen Zwecken beizutragen“, sowie das Übereinkommen so anzuwenden, „dass es keine Behinderung für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung der Vertragsstaaten des Übereinkommens oder für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet friedlicher bakteriologischer (biologischer) Tätigkeiten darstellt […]“ (United Nations 1972).

Diese Bestimmungen waren während der Vorbereitungen zur 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz, die im Dezember 2012 stattfand, nicht zum ersten Mal Gegenstand heftiger Kontroversen. Die unterschiedlichen Sichtweisen wurden auch innerhalb der Zivilgesellschaft sichtbar, wo sich manche Autoren für mehr Anreize für Vertragsstaaten, deren wissenschaftliches and technologisches Niveau unterentwickelt ist, aussprachen, während andere deutlich machten, dass es bereits heute eine große Zahl technischer Hilfsprogramme für Entwicklungsländer im Bereich des Gesundheitswesens und der biologischen Sicherheit gäbe. Ein »Umverpacken« solcher technischen Hilfeleistungen unter Artikel X des BWÜ wäre weder sinnvoll noch erstrebenswert. Dazwischen fanden sich Meinungen, wonach die Verpflichtungen unter Artikel X nicht einfach ignoriert werden könnten, aber weder die Vertragsstaaten noch die Zivilgesellschaft bisher vernünftige Konzepte für die Umsetzung von Artikel X entwickelt hätten (Gould, Gronvall & Littlewood 2011).

Der Ausgangspunkt für die Überprüfungskonferenz

Vorausgegangene Vertragsstaatenkonferenzen hatten bereits eine Reihe von Interpretationen und Erklärungen zu diesem Thema angenommen. Dabei haben sich Prinzipien herauskristallisiert, die auszugsweise wie folgt zusammengefasst werden können:

Artikel X ist sowohl wichtig für die Umsetzung des BWÜ als auch rechtsverbindlich.

Der Wissenschaftsfortschritt vergrößert das Kooperationspotential zwischen den Vertragsstaaten, schafft aber zugleich auch neue Risiken (von Unfällen bis zum möglichen Missbrauch für verbotene Zwecke).

Zwischen Vertragsstaaten sind keine Transferbeschränkungen für legitime Transfers zulässig.

Die Anwendung von Artikel X soll systematisch und langfristig angelegt sein.

Ziel ist der Ausbau nationaler und regionaler Kapazitäten im Gesundheitswesen, der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten, des Informationsaustausches im Bereich der Epidemiologie, der Entwicklung von Netzwerken zur Krankheitsüberwachung und der Hilfeleistung zur effektiven Krankheitsbekämpfung.

Die Anwendung von Artikel X soll auf der Nutzung und Stärkung existierender Mechanismen (bilateral, multilateral, Vereinte Nationen und Spezialorganisationen) basieren.

Maßnahmen zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Biologie wurden in den letzten Jahren zunehmend mit der Verbesserung der nationalen Vertragsumsetzung verknüpft (explizite Biowaffenverbote im Strafrecht; Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen zur Vertragsumsetzung einschließlich Exportkontrollen). Daneben haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten sowie die USA und andere Geberländer ihre technischen Hilfeleistungen zur Stärkung nationaler und regionaler Kapazitäten weiter ausgedehnt, und internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) haben den Informationsaustausch zur Früherkennung von Krankheitsausbrüchen und zur Koordinierung von Maßnahmen zu ihrer Eindämmung und Bekämpfung weiter verbessert. Neue Möglichkeiten ergaben sich mit dem Inkrafttreten der neuen Internationalen Gesundheitsvorschriften (WHO 2005). Der Privatsektor und wissenschaftliche Organisationen wirken zunehmend als Partner in diesen Bemühungen und haben eigene Maßnahmen zur Stärkung der biologischen Sicherheit getroffen.

Kern der Debatte

Trotz dieser positiven Entwicklungen ist die Kontroverse über Artikel X nicht verschwunden. Viele Maßnahmen zur technischen Hilfeleistung, zu verstärktem Informationsaustausch und zu besserer Koordinierung sind nicht organisch aus dem BWÜ hervorgegangen, sondern basieren auf anderen internationalen und regionalen Vereinbarungen. Für eine Reihe von Entwicklungsländern stellt sich daher die Frage, wo für sie der Anreiz zur aktiven Mitarbeit im BWÜ liegt. Aus ihrer Sicht sollte das BWÜ zu zusätzlichen Möglichkeiten der technischen Zusammenarbeit und zu verbessertem Zugriff auf wissenschaftlich-technische Informationen, biologische Materialien, Ausrüstungen und Technologien führen. Diese Sichtweise beruht auf einer langen Tradition der Verknüpfung von Abrüstung und Entwicklung, wie sie sich seit den achtziger Jahren im System der Vereinten Nationen entwickelt hat. Die Debatte ist nicht allein für das BWÜ typisch; ähnliche Diskussionen finden auch im Rahmen des CWÜ (Chemiewaffen-Übereinkommens) und anderer Rüstungskontrollverträge statt.

Aus westlicher Sicht sind dagegen Rüstungskontrollverträge keine Instrumente zur Entwicklungshilfe. Sie schrieben zwar den Willen der Vertragsstaaten zur verbesserten internationalen Zusammenarbeit fest, praktische Maßnahmen zur technischen Hilfeleistung gehörten jedoch in den Bereich anderer Prozesse und Organisationen. Westliche Staaten verweisen auch darauf, dass sie bereits erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und technischen Hilfeleistung im Rahmen anderer Vereinbarungen unternähmen. Verbunden mit dieser Debatte ist auch die Frage nach der Legitimität von Exportkontrollen zwischen Vertragsstaaten.

Wie weiter?

Es gibt also erhebliche Unklarheiten und Widersprüche darüber, was »technische Hilfeleistung« im Kontext des BWÜ praktisch einschließen soll. Sowohl nichtstaatliche Beobachter als auch einige Vertragsstaaten konstatieren einen konzeptionellen Aufholbedarf und schlagen vor, den künftigen intersessionellen Prozess zu einer vertieften Diskussion dieses Problemkreises zu nutzen. Im Rahmen des Chemiewaffen-Übereinkommens hat eine solche Debatte zwar nicht zu einer Generallösung des Problems, aber doch zu praktischen Vereinbarungen geführt (OPCW 2011). Das Abschlussdokument der 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz legte Artikel X als einen der ständigen Tagesordnungspunkte der künftigen Jahressitzungen der Vertragsstaaten fest. Es wurden außerdem praktische Schritte wie eine Datenbank zur technischen Hilfeleistung, ein »Sponsorship-Programm« und mindestens zweijährliche Berichterstattungen der Vertragsstaaten über ihre Maßnahmen unter Artikel X beschlossen (United Nations 2011).

Diese Debatte erfordert eine stärkere Einbeziehung aller Stakeholder und sollte zugleich in Rechnung stellen, dass in der Biologie grundsätzliche Veränderungen stattfinden. Wenn in der Vergangenheit Staaten die Schlüsselrolle zukam, sind heute zunehmend privatwirtschaftliche und wissenschaftliche Akteure von zentraler Bedeutung. Das internationale Umfeld in den Biowissenschaften hat sich ebenfalls verändert. Eine wachsende Zahl von Entwicklungsländern verfügt heute über beeindruckende Wissenschaftszentren, die sich als vollwertige Partner am internationalen Wissenschaftsaustausch beteiligen (NRC 2011). In diesem neuen Umfeld (das einige Beobachter bereits als »Postproliferations-Umfeld« betrachten) sind traditionelle Ansätze sowohl der Proliferationskontrolle als auch der Förderung des Technologietransfers zunehmend anzuzweifeln, und die traditionelle Trennung der Diskussion von Verifikation, Exportkontrollen und Technologietransfers sollte aufgegeben werden. Die Risiken und Chancen in den Biowissenschaften erfordern stattdessen ein breit angelegtes Risikomanagement unter Beteiligung sowohl staatlicher als auch nichtstaatlicher Akteure.

Literatur

Gould, C., Gronvall, G.K. and Littlewood, J. (2011): How can Article X be implemented successfully? Beiträge im RevCon-Diskussionsforum des BioWeapons Prevention Project; bwpp.org/revcon-articlex.html.

National Research Council (2011): Life Sciences and Related Fields – Trends Relevant to the Biological Weapons Convention. National Academies Press, Washington D.C.

Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW (2011): Entscheidung der 16. CWÜ-Vertragsstaatenkonferenz. Dokument C16/DEC.10 vom 1. Dezember 2011.

United Nations (1972): Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on Their Destruction.

United Nations (2011): Final Documet of the Seventh Review Conference. Document BWC/CON.VII/7 vom 13. Januar 2012.

World Health Organization (2005): International Health Regulations. Second edition.

Dr. Ralf Trapp ist Chemiker und arbeitet als unabhängiger Berater zur Abrüstung chemischer und biologischer Waffen. Er war früher Senior Planning Officer, Office of the Deputy Director-General, Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW).

Die 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz

von Una Becker-Jakob

Am 22. Dezember 2011 ging in Genf die 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens (BWÜ) zu Ende. Die rund 100 (von insgesamt 165) Vertragsstaaten, die drei Wochen lang verhandelt hatten, einigten sich auf ein Schlussdokument, in dem rückblickend die Wirksamkeit des Vertrages in den letzten fünf Jahren kommentiert und zudem ein neues Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre vereinbart wurde. Fragt man Beobachter und Beteiligte nach ihrer Einschätzung des Ergebnisses, so reichen die Reaktionen von Enttäuschung über das schwache Resultat bis zu Erleichterung und pragmatischer Zufriedenheit. Welches sind die Vereinbarungen, die solch unterschiedliche Bewertungen hervorrufen?

Im Rückblick auf die letzten fünf Jahre bekräftigten die Vertragsstaaten alte Übereinkünfte, etwa den umfassenden Verbotstatbestand, der sämtliche existierende und neuartige Biowaffen verbietet, das Verständnis, dass auch der Einsatz von Biowaffen, obwohl nicht explizit im Vertrag genannt, verboten bleibt, die Bedeutung von nationalen Exportkontrollen für die biologische Nichtverbreitung sowie von internationaler Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Biotechnologie. Zudem hielten sie einige neue Auslegungen des BWÜ fest, etwa die Bedeutung von biologischer Sicherheit, also Maßnahmen, die das versehentliche Entweichen oder die unbefugte Entnahme von gefährlichen biologischen Stoffen aus Laboratorien verhindern sollen.

Das Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre schreibt die jährlichen Treffen fort, die seit 2003 zwischen den Überprüfungskonferenzen abgehalten werden. Als Neuerung wurden diesmal drei Themenbereiche identifiziert, die jedes Jahr behandelt werden sollen: Internationale Kooperation unter Artikel X,1 die nationale Implementierung des BWÜ sowie wissenschaftliche und technologische Entwicklungen in den Lebenswissenschaften, die für die Biowaffenkontrolle relevant sein könnten. Zusätzlich wird jeweils zwei Jahre darüber diskutiert, wie sich die bestehenden Vertrauensbildenden Maßnahmen (VBM) verbessern lassen und ob konkrete Verfahren für die Hilfeleistung im Falle eines Biowaffenangriffs ausgearbeitet werden können. Einige technische Änderungen an den VBM wurden bereits bei der Konferenz beschlossen.

Einschätzung der Ergebnisse

Jede Bewertung hängt natürlich von den Standards ab, an denen gemessen wird. Für die Bewertung dieser Konferenz kommen drei verschiedene in Frage: der tatsächliche Konferenzverlauf und die Überlegung, inwieweit bessere Ergebnisse unter den gegebenen Umständen zu erzielen gewesen wären; die Erwartungen, die im Vorfeld an die Konferenz in der gegebenen politischen Situation gerichtet wurden; und die Defizite, die eigentlich zu bearbeiten wären, um das BWÜ zu einem wirklich effektiven Instrument der Biowaffenkontrolle zu machen.

Nimmt man den Verlauf der Konferenz (Guthrie 2011) als Messlatte, könnte das Ergebnis tatsächlich als zufrieden stellend gewertet werden. Immerhin war am letzten Tag nach schwierigen Verhandlungstagen und -nächten noch völlig offen, ob überhaupt Einvernehmen über ein Schlussdokument hergestellt werden könnte. Nach einem eigentlich optimistisch stimmenden Konferenzauftakt hatten sich die Verhandlungspositionen während der zweiten Woche zunehmend verhärtet. Konflikte kreisten nicht nur um Details in den Textentwürfen, sondern auch um grundsätzliche Fragen. So war z.B. heftig umstritten, welches Gewicht die Schlusserklärung dem Thema internationale Kooperation/Technologieaustausch einräumen sollte und inwieweit dieser Themenkomplex den Abrüstungs- und Nichtverbreitungsbestimmungen gleichgestellt sei oder werden sollte. Auch die Bedeutung von Transparenz gegenüber rechtlich-verbindlichen Compliance-Maßnahmen wurde debattiert, was sich unter anderem hinderlich auf die Überarbeitung der VBM auswirkte. Schließlich bestanden konträre Auffassungen darüber, in welcher Form die jährlichen Treffen fortgeführt würden, inwieweit dabei Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt oder den Überprüfungskonferenzen vorbehalten werden sollten und in welcher Form Nichtregierungs-Experten beteiligt sein könnten.

Insbesondere Vorbehalte angesichts begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen – hier spielte die weltweite Finanzkrise eine sichtbare Rolle – und unterschiedliche Auffassungen von staatlicher Souveränität blockierten eine weitergehende Reform des nächsten Zyklus jährlicher Treffen (intersessional process). Diskussionen um die Themen Verifikation und Compliance konnten aufgrund konträrer und kompromissloser Positionen einiger zentraler Akteure gar nicht erst aufkommen, und einige Staaten bemühten sich zudem, Fortschritte durch das Infragestellen bereits getroffener Vereinbarungen zu verzögern oder zu verhindern. Angesichts dieses Konferenzverlaufs stellt die letztendliche Einigung auf ein Schlussdokument mit den oben aufgeführten Elementen, die durchaus eine Basis für weitere konstruktive Schritte sein können, ein annehmbares Ergebnis dar.

In Anbetracht der intensiven Vorbereitungen sowohl durch Vertragsstaaten als auch durch Nichtregierungsorganisationen schien es allerdings vor der Konferenz, als seien größere Fortschritte möglich. In einer Reihe von Aktivitäten und Veranstaltungen sollten die inhaltliche Diskussion vorbereitet und Fortschritte während der Konferenz erleichtert werden.

Auf Nichtregierungsseite organisierte beispielsweise das BioWeapons Prevention Project (BWPP), ein internationales Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, eine Online-Expertendiskussion zu zahlreichen Themen, die für das BWÜ relevant sind, um Input für die Überprüfungskonferenz zu geben (BWPP 2011). Bei einer Workshop-Reihe, die Deutschland, Norwegen und die Schweiz 2010-2011 gemeinsam mit dem Geneva Forum ausrichteten, wurden konkrete Änderungsmöglichkeiten an den VBM diskutiert und vorbereitet. Eine Reihe weiterer Workshops/Seminare widmete sich 2010 und 2011 ebenfalls zentralen Themenbereichen des BWÜ.2 Zudem machten mehrere Staaten ihre Arbeitspapiere mit inhaltlichen Vorschlägen und Positionen schon einige Zeit vor Konferenzbeginn online zugänglich.

In diesem Vorbereitungsprozess kristallisierten sich einige Themenkomplexe heraus, über deren Bearbeitungsbedarf ein breiter Konsens zu bestehen schien. Dies weckte bei Beobachtern wie bei einigen Teilnehmern die Erwartung, es könnten diesmal tatsächlich größere Fortschritte bei der Stärkung des Regimes erzielt werden. Einige dieser Erwartungen erfüllten sich in der Tat, wenn auch überwiegend mit Abstrichen:

Es wird einen neuen Folgeprozess mit jährlichen Treffen in leicht verändertem Format geben – allerdings nicht in der von einigen angestrebten Struktur mit thematischen Arbeitsgruppen, die sich bestimmten Themen intensiver widmen und mit Entscheidungskompetenzen ausgestattet sein sollten.

Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt in den Bio- und Lebenswissenschaften wird im neuen Folgeprozess zum ersten Mal systematisch diskutiert – allerdings ohne dass sich daraus direkt verbindliche Übereinkünfte ableiten ließen.

Bezüglich der VBM wurde ein Überarbeitungsprozess angestoßen; bei der Konferenz selbst wurden erste Änderungen vereinbart, und in 2012 und 2013 wird Gelegenheit zur Diskussion weiterer, substanzieller Änderungen sein – allerdings würden mögliche Änderungen erst nach einer Entscheidung der 8. Überprüfungskonferenz 2016 wirksam.

Das Mandat der Implementation Support Unit (ISU) wurde erwartungsgemäß verlängert – allerdings ohne jede Erweiterung der Ressourcen und ohne zusätzliches Personal. Dies ist nicht so sehr auf politische Vorbehalte zurückzuführen, sondern vielmehr der Finanzkrise geschuldet, die es mehreren Staaten unmöglich machte, selbst einer noch so geringen nominalen Aufstockungen des Budgets zuzustimmen.

Zur besseren Implementierung von Artikel X wurde beschlossen, eine Datenbank einzurichten, in der Bedarf an und Angebote für Kooperation zusammengeführt werden können, wobei dieser Beschluss hinter den Erwartungen zahlreicher Entwicklungsländer zurückblieb.

Als besonders tragisch ist es zu werten, dass das Schlussdokument keinerlei Referenz zu dem Themenkomplex Verifikation/Compliance enthält. Ein entsprechender Tagesordnungspunkt, der zumindest unverbindliche Diskussionen ermöglicht hätte, war für die Agenda der künftigen jährlichen Treffen vorgeschlagen, er fiel aber den unversöhnlichen Positionen der USA und einer Gruppe anderer Staaten (v.a. Indien, Iran, Kuba, Pakistan, Russland) bezüglich Verifikation und der Stärkung des BWÜ durch ein »rechtlich-verbindliches Dokument« zum Opfer. Die EU, die in ihrer Gemeinsamen Position für die Überprüfungskonferenz eine neue Diskussion um Verifikation und Compliance als Ziel festgeschrieben hatte (EU 2011), spielte als Akteur bei der Konferenz keine Rolle und konnte dieser Entwicklung nichts entgegensetzen.

Gemessen an den eigentlich erforderlichen Schritten, das BWÜ dauerhaft zu stärken – mehr Transparenz, effektive Verifikations- und Compliance-Maßnahmen, bessere Institutionalisierung – bieten die erzielten Ergebnisse also nur mäßige bis gar keine Fortschritte. Viel wird deshalb zunächst davon abhängen, wie die Vertragsstaaten die zukünftigen Treffen nutzen werden.

Literatur

BioWeapons Prevention Project (BWPP) (2011): Civil society preparations for the 7th BWC Review Conference 2011. bwpp.org/revcon.

Council of the European Union (2011): Council Decision 2011/429/CFSP of 18 July 2011.

Guthrie, R. (2011): Daily reports from BWC meetings: 5-22 December 2011 – Seventh Review Conference. bwpp.org/reports.html.

Anmerkungen

1) Für eine Erläuterung von Artikel X siehe Beitrag von Ralf Trapp in diesem Dossier.

2) Für eine Übersicht über diese Veranstaltungen und die jeweiligen Berichte siehe die Website der Vereinten Nationen in Genf » Disarmament – Seventh Review Conference of the Biological Weapons Convention«; www.unog.ch.

Una Becker-Jakob ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und beschäftigt sich dort u.a. mit Fragen der Kontrolle biologischer Waffen.