Chance für einen Neubeginn in der Biowaffenkontrolle?
Die Ergebnisse der 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens 2011
von Volker Beck, Una Jakob-Becker, Alexander Kelle, Ralf Trapp und Jean-Pascal Zanders
Beilage zu Wissenschaft und Frieden 2/2012
Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis »Abrüstung und Nichtverbreitung biologischer und chemischer Waffen«
in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung
Einleitung
Die Gefahr, die vom Einsatz von Krankheiten als Waffe ausgeht, ist seit über 100 Jahren Gegenstand internationaler diplomatischer Verhandlungen. Mit dem Biowaffen-Übereinkommen (BWÜ), das 1972 abgeschlossen wurde und 1975 in Kraft trat, gelang es erstmals, eine ganze Waffenkategorie vollständig und uneingeschränkt zu verbieten und dieser Gefahr entschieden entgegenzutreten. Allerdings gibt es in mehreren Bereichen Stärkungsbedarf, so etwa bei der Beobachtung relevanter wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen, bei der institutionellen Ausstattung des Biowaffen-Kontrollregimes und insbesondere bei den Möglichkeiten, die Vertragstreue der Mitglieder zu überprüfen und eventuelle Vertragsverstöße zu ahnden. Die größten Defizite sollten mit Hilfe eines Zusatzprotokolls behoben werden, dessen Verhandlungen 2001 allerdings scheiterten.
Nachdem damit eine Phase der Stagnation und Konsolidierung in der Biowaffenkontrolle eintrat, während der sich die Aufmerksamkeit der BWÜ-Mitglieder vor allem auf nationale Maßnahmen zur besseren Gefahrenabwehr konzentrierte, eröffnete die 7. Überprüfungskonferenz im Dezember 2011 die Möglichkeit, das Kontrollregime endlich durch kollektive Maßnahmen zu stärken. Beim Jahrestreffen des Arbeitskreises »Abrüstung und Nichtverbreitung biologischer und chemischer Waffen« am 24.-25. Oktober 2011 wurden einige der zentralen Themen zur Diskussion gestellt, die bei dieser Überprüfungskonferenz eine wichtige Rolle spielen sollten. Sie werden in diesem Dossier zusammengefasst: ein Aufriss der biologischen Bedrohungen und der Herausforderungen, denen sich die Biowaffenkontrolle gegenüber sieht; eine Analyse des Regimes hinsichtlich der beiden intersessionellen Prozesse 2003-2005 und 2007-2010; eine Diskussion um Verifikation und Compliance im BWÜ-Kontext; sowie eine Betrachtung des BWÜ-Artikels X, der sich mit der internationalen Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Biotechnologie befasst und der einen zentralen Streitpunkt im Regime darstellt. Abschließend wird über die Ergebnisse der 7. Überprüfungskonferenz berichtet.
Die Bedrohung durch Biowaffen und Chancen für ihre Kontrolle
von Jean-Pascal Zanders
Das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (BWÜ) wurde am 10. April 1972 zur Unterschrift aufgelegt und trat am 26. März 1975 in Kraft. Nach Stand vom 1. Februar 2012 hat es 165 Mitglieder und 12 Signatarstaaten; 19 Staaten haben das BWÜ weder unterschrieben noch ratifiziert. Alle fünf Jahre kommen die Mitgliedsstaaten zu einer Überprüfungskonferenz zusammen, um die Umsetzung des Übereinkommens zu bewerten und eine Einschätzung künftiger Herausforderungen zu erarbeiten. Die 7. Überprüfungskonferenz fand vom 5. bis 22. Dezember 2011 in Genf statt.
Da dem BWÜ Verifikationsregeln und eine zwischenstaatliche Implementierungsorganisation fehlen, um die Einhaltung des Übereinkommens zu überwachen und durchzusetzen, erachten es die meisten politischen Entscheidungsträger und Abrüstungsexperten als »schwach«. Praktisch seit dem Ende der Verhandlungen im Jahr 1972 haben sich die BWÜ-Vertragsparteien darum bemüht, das BWÜ mit Verifikationsinstrumenten auszustatten. Der jüngste Versuch scheiterte im Sommer 2001: Eine Ad-hoc-Gruppe der Vertragsstaaten sollte ein rechtlich verbindliches Zusatzprotokoll verhandeln, das unter anderem Verifikationsmechanismen und eine internationale Implementierungsorganisation geschaffen hätte. Die Nachwirkungen führten auf der fünften Überprüfungskonferenz im Dezember 2001 fast zum Kollaps der gesamten BWÜ-Struktur. Seitdem bemüht sich die internationale Gemeinschaft um weniger umfassende, inkrementale Ansätze, um das Biowaffenregime zu stärken.
Mangelnde Verifizierbarkeit
Ein Biowaffenverbot wurde bereits als nicht verifizierbar bezeichnet, bevor die Verhandlungen zum BWÜ überhaupt begonnen hatten. Am 6. August 1968 reichte Großbritannien ein Arbeitspapier beim 18-Nationen-Komitee für Abrüstung (einem Vorläufer der derzeitigen Genfer Abrüstungskonferenz) ein, in dem festgestellt wurde: „Verifikation, in dem Sinne, in dem der Begriff normalerweise in Abrüstungsverhandlungen verwandt wird, ist weder auf dem chemischen noch auf dem mikrobiologischen Gebiet möglich. Die Schwierigkeit, soweit sie den mikrobiologischen Bereich betrifft, liegt darin, dass die Organismen, die verwendet würden, auch für medizinische und tierärztliche Zwecke nötig sind und schnell, kostengünstig und ohne spezielle Einrichtungen produziert werden können, entweder in bestehenden oder in improvisierten Laboren.“ Es wurde argumentiert, dass die internationale Gemeinschaft nichtsdestotrotz ein Verbot formulieren sollte, da „die Risiken und Ängste bezüglich eines möglichen Einsatzes mikrobiologischer Methoden der Kriegsführung sich unendlich fortsetzen und steigern werden“ (UK, 1971; Übersetzung E.B.). Als die Sowjetunion und die USA, deren vorrangiges Interesse in der Vermeidung jeglicher Verzögerung beim Abschluss des ersten SALT-Vertrages lag, einige der moderaten britischen Verifikationsvorhaben in der Endphase der Verhandlungen stark abschwächten, äußerten viele Staaten extreme Unzufriedenheit, bis hin zur anfänglichen Weigerung, dem Vertrag beizutreten.
In der Tat war zwischen 1975, dem Jahr des Inkrafttretens, und 2001 die verfügbare Verifikationstechnologie kaum angemessen, um den speziellen Herausforderungen von Biowaffen zu begegnen. Selbst als sich internationale Experten in den frühen 1990er Jahren auf eine Kombination von Verifikationsmethoden einigten, die das Vertrauen in die Vertragseinhaltung stärken könnten, hat die fortschreitende Innovation in den Naturwissenschaften in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts diese Vorschläge rasch wieder überholt. Somit war die Verifikationsdimension des Protokollentwurfs schon obsolet geworden, bevor die Ad-hoc-Gruppe die Verhandlungen abschließen konnte.
Zu den Herausforderungen an das BWÜ zählen folgende Faktoren:
Multilateralisierung von Verifikationsaktivitäten Als das BWÜ verhandelt wurde, war die Verifikation von Abrüstung noch keine zwischenstaatliche Aktivität. Der Prozess basierte im Wesentlichen auf nationalen technischen Mitteln – Satelliten-, Radar- und Luftüberwachung sowie nachrichtendienstlichen Aktivitäten – die im Kontext der bilateralen nuklearen Rüstungskontrolle zwischen den USA und der Sowjetunion eingesetzt wurden. Nur wenige Staaten verfügten jedoch über entsprechende Technologien. Deshalb setzte ihre Anwendung auf globale Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen eine multilaterale Verifikationsinstitution voraus, in deren Verantwortungsbereich die Datenerhebung, -bewertung und -verteilung an alle betroffenen Parteien umfassen musste. Wie erwähnt, verfügt das BWÜ nicht über solch eine Organisation.
Nachweis kleinster Mengen biologischer und toxischer Stoffe Die meisten der in den 1970er und 1980er Jahren vereinbarten Maßnahmen liefen auf »Verifikation durch Substitution« hinaus. Besonders bei Nuklearwaffen zielten die Verifikationsmaßnahmen eher auf Trägersysteme, z.B. Raketen und Flugzeuge, anstatt auf den Kernbestandteil, das Spaltmaterial. Bei Biowaffen musste sich, wie das britische Arbeitspapier zutreffend bemerkte, der Fokus des Verbots auf Mikroorganismen richten, die zu klein sind, um von den damals existierenden Technologien erfasst zu werden, und die für die 1968 vorstellbaren Überprüfungsmethoden bei der Waffenentwicklung in zu geringen Mengen verwendet werden.
Reaktion auf eine Vertragsverletzung eines Gegners Ein Abrüstungsabkommen soll eine Waffenkategorie vollständig eliminieren, was selbst einen kleinen illegalen Vorrat zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko machen kann. Die Unsicherheit bezüglich der Einhaltung eines Abrüstungsvertrags erfordert höchst intrusive Verifikationsverfahren und garantierten Sicherheitsbeistand für den Fall von Drohungen oder Angriffen mit den verbotenen Waffen. Während des Kalten Krieges waren die Staaten für diese Art von Verifikationsmaßnahmen noch nicht bereit.
Veränderte Erwartungen an Verifikation
Nicht nur die Bedrohungsquellen und -wahrnehmungen haben sich in den letzten 43 Jahren grundlegend gewandelt, auch die Akteure, Instrumente und Prozesse zur Erhöhung von Transparenz, zur Feststellung der Vertragseinhaltung und für Verifikation haben sich vervielfacht und an Komplexität und Effizienz gewonnen. Dazu zählen:
die Akzeptanz des Prinzips von On-site- und Off-site-Inspektionen;
die Ausdehnung der staatlichen Überwachungsfähigkeit;
die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien, um mit der ständig anwachsenden Menge digitaler Daten umzugehen;
verbesserte Aufsicht über und Überwachung von Industriepraktiken und Forschungsaktivitäten;
inzwischen akzeptierte Praktiken sozialer Kontrolle, einschließlich Standards, vorbildlicher Praktiken (best practices), Verhaltenskodizes sowie die Ernennung von Ombudsleuten oder der Anerkennung der Rolle von internen Informanten (whistleblowers);
die Mobilisierung von sozialen Netzwerken, um gewisse Ereignisse und Entwicklungen aufzudecken oder zu überwachen;
die internationale Erwartung von Transparenz im staatlichen Verhalten, die auf der sich verbreitenden Überzeugung basiert, dass die Steuerung eines Vertrages in der Art des BWÜ eine gemeinsame Verantwortung ist; der zunehmende Informationsaustausch führt dazu, dass die ehemals anerkannte Praxis staatlicher Geheimhaltung jetzt als Indikator für böse Absichten angesehen wird.
Solche neuen Instrumente deuten auf sich überschneidende Kooperationsnetzwerke und die Integration von Aktivitäten als einen möglichen zukünftigen Kurs biologischer Abrüstung hin. Die zwei Zyklen jährlicher Treffen zwischen den Überprüfungskonferenzen (2003-2005 und 2007-2010) bezogen Vertreter von so unterschiedlichen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE), Interpol, der Welthandels- und der Weltzollorganisation (WTO, WCO), mit Abrüstung, Umweltschutz und Entwicklung betrauter UN-Behörden, vertragsspezifischer Abrüstungsorganisationen, multi- und transnationaler Konzerne, Forschungsinstitute und anderer in die Debatte um die Stärkung des BWÜ ein. Die Treffen haben auch die Zahl der teilnehmenden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erhöht und die Professionalisierung und Spezialisierung der NGO-Beiträge befördert. Das Spektrum der Akteure, welche die oben beschriebenen Instrumente und Prozesse für Abrüstungszwecke einsetzen können, hat sich zudem von staatlichen Behörden auf internationale Organisationen, zivilgesellschaftliche Gruppen, Berufs- und Wissenschaftsverbände und sogar Individuen ausgeweitet.
Diese Entwicklungen veranschaulichen die wachsende Anerkenntnis, dass es nicht nur Sache eines einzigen Vertrages, sondern eine von allen geteilte Verantwortung ist, biologische Kriegführung zu verhindern. Allerdings müssten die vielen Institutionen und Behörden ihre jeweiligen »Komfortzonen« für die gegenseitige Zusammenarbeit, den Informationsaustausch und die Integration von Aktivitäten weiter ausdehnen, wo immer das möglich ist. Bürokratischer Widerstand, unterschiedliche Mitgliedschaften oder die Interessen und Ansprüche diverser staatlicher Behörden an der bzw. an die Arbeit der verschiedenen internationalen Organisationen könnten weiterhin größere Hindernisse darstellen. Das gleiche gilt für die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Praxis, Industrie und Zivilgesellschaft untereinander sowie ihrer Interaktion mit Regierungen und intergouvernementalen Organisationen. Es bleibt noch ein langer und schwieriger Weg zu gehen. Doch machen gerade die Schwächen des BWÜ es interessanterweise zu einem Versuchsfeld für eine künftige Steuerung von Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, die sich auf »multi-stakeholdership« und die funktionale Spezialisierung von Regierungen und anderen Beteiligten stützt.
Fazit
Das BWÜ nahm in einer Ära seinen Anfang, in der sich das Konzept von Sicherheit und die Besitzansprüche fundamental von heutigen Konzepten unterschieden. In der Anfangsphase in den frühen 1970er Jahren betrachteten die Staaten Biowaffen in einem reinen Abrüstungskontext – dem der kompletten Eliminierung einer Waffenkategorie und dem Verbot zukünftiger Aufrüstung mit den verbotenen Waffen. Sie sahen sich als die alleinigen Hüter des BWÜ. Während heutzutage Einigkeit darüber besteht, dass das Übereinkommen gestärkt werden muss, fehlt ein solcher Konsens bezüglich der Ausgangspunkte und Ziele, weshalb auch die einzuschlagenden Wege umstritten sind. Insbesondere die Rolle nichtstaatlicher Akteure – ob als Element der sich entwickelnden Biowaffenbedrohung oder als mögliche Förderer von Transparenz und Einhaltungsgarantien – ist noch nicht vollends in das BWÜ-Regime aufgenommen worden. Die Globalisierung hat nicht nur den Schwerpunkt dynamischer Interaktion von Staaten hin zu einer Vielzahl transnationaler Akteure verschoben, sondern sie hat auch einen Komplex verwobener Probleme ans Licht gebracht, welche die derzeitige Problemlösungskapazität etablierter internationaler Institutionen oder sogar flexiblerer informeller intergouvernementaler Gruppierungen (wie der G8 oder G20) zu übersteigen scheint. Gleichzeitig wirft nationale Souveränität in ihren zahlreichen Ausprägungen viele Hürden für neuartige Governance-Modelle auf, die die schnelle Lösung transnationaler Probleme verhindern. Nichtsdestotrotz verändern dynamische Kräfte unter der Oberfläche politischer Debatten schnell die Morphologie von Abrüstung und Rüstungskontrolle, was Chancen für neue Ansätze zur Lösung alter Probleme und zur Bewältigung ständig neuer Herausforderungen bietet.
Literatur
UK (1971): Document ENDC/231, §3. Nachgedruckt in: SIPRI (1971): The Problem of Chemical and Biological Warfare, Volume IV CB Disarmament Negotiations, 1920-1970. Stockholm: Almqvist & Wiksell, S.255–56.
Dr. Jean-Pascal Zanders ist seit 2008 am European Institute for Security Studies (EUISS) als Research Fellow für die Bereiche Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung zuständig. Seine derzeitigen Forschungsprojekte umfassen die Bedeutung der Abrüstung im aktuellen Sicherheitskontext, die langfristige Zukunft der Rüstungskontrollabkommen zu chemischen und biologischen Waffen und die interne Dynamik terroristischer und krimineller Gruppen, die eine chemische oder biologische Waffenfähigkeit erlangen wollen. Aus dem Englischen von Elizabeth Boshold
Warten auf die Stärkung des BWÜ
von Alexander Kelle
Die 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens (BWÜ) im Dezember 2011 markierte den Abschluss des zweiten intersessionellen Prozesses (ISP), den die BWÜ-Mitgliedsstaaten 2002 vereinbart hatten. Zur Einschätzung der Stärke des Biowaffen-Verbotsregimes ist es zunächst erforderlich, sich die Ausgangslage und Hintergründe, die zur Etablierung des Prozesses geführt haben, kurz vor Augen zu führen. Daran anschließend werden die beiden ISP 2003-2005 und 2007-2010 sowohl in prozeduraler als auch in substanzieller Hinsicht diskutiert, bevor abschließend eine kurze Zwischenbilanz gezogen wird.
Die Ausgangslage 2001/2002
Die BWÜ-Vertragsparteien verhandelten von 1995 bis 2001 im Rahmen der so genannten Ad-hoc-Gruppe (AHG) ein Verifikationsprotokoll zum BWÜ. Das wirklich Innovative der AHG war der Versuch, dem normativen Gerüst des Regimes nachträglich rechtsverbindliche Deklarations- und Inspektionsnormen hinzuzufügen (Kelle 2003). Dies wurde in keinem anderen Verbots- oder Nichtverbreitungsregime versucht und ist auch im Kontext des Biowaffenregimes nicht erfolgreich gewesen. Das Scheitern dieser Verhandlungen im Sommer 2001 sowie das (beinahe) Debakel bei der 5. BWÜ-Überprüfungskonferenz – nachdem die US-Regierung von George W. Bush gefordert hatte, das AHG-Mandat offiziell zu beenden – erlangen ihre Relevanz durch die Abkehr vom Versuch, das Biowaffen-Verbotsregime durch die Erweiterung seiner normativen Basis zu stärken. Diese Abkehr führte zum ersten ISP 2003-2005, der wichtige Ziele jenseits der unmittelbaren Stärkung des Regimes verfolgte. Es ging dabei zum einen um die Aufrechterhaltung des multilateralen Dialogs im Bereich der Biowaffenkontrollen, zu dessen Zweck zum anderen ein sehr viel enger umgrenzter thematischer Rahmen gesteckt wurde, der die normative Basis des Regimes unangetastet ließ.
Der erste intersessionelle Prozess 2003-2005
Zusätzlich zur thematischen Verengung sah das Mandat des ISP auch prozedurale Einschränkungen vor. Danach war es während der jährlichen Experten- und Vertragsstaatentreffen nur gestattet, die vereinbarten Themen zu diskutieren und unter den BWÜ-Mitgliedsstaaten ein besseres Verständnis darüber herzustellen, nicht aber konkrete Entscheidungen zu treffen. Dieses Prärogativ blieb der 6. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2006 vorbehalten.
Als substanzielle Diskussionsthemen für den ersten ISP wurden nationale Implementierung (2003), Bio- und Laborsicherheit (2003), Stärkung von Maßnahmen bei vermuteten Biowaffeneinsätzen oder verdächtigen Krankheitsausbrüchen (2004) und Verhaltenskodizes für Wissenschaftler (2005) vereinbart. Damit erhielten einerseits Maßnahmen, deren Umsetzung mangelhaft war, wie etwa die zur nationalen Umsetzung der Vorschriften des BWÜ, eine größere Präsenz in den jährlichen Diskussionen. Andererseits führte die vorgenommene Schwerpunktsetzung zum Einbezug von Akteuren, die auf Grund ihrer Interessenlagen oder Kernaufgabenbereiche nicht unmittelbar in die Umsetzung des BWÜ eingebunden sind. Dies betrifft etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder auch nationale und internationale wissenschaftliche Organisationen.
So führte der erste ISP zu einer Vielzahl von Arbeitspapieren, die die vereinbarten Themen aus nationaler oder auch übergeordneter Perspektive beleuchteten, resultierte aber nicht in konkreten und verbindlichen Vereinbarungen zur Stärkung des Biowaffen-Verbotsregimes. Auch die 6. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2006 führte nicht zu einer solchen Übereinkunft. Die BWÜ-Vertragsparteien konnten sich lediglich darauf einigen, die Diskussionen, die während des ISP stattgefunden hatten, zu begrüßen und die Inhalte der im Konsens verabschiedeten Zusammenfassungen der jährlichen Treffen zu bekräftigen (United Nations 2006, S.19).
Der zweite intersessionelle Prozess 2007-2010
Insgesamt beurteilten die BWÜ-Mitgliedsstaaten ihre Erfahrungen mit dem ersten ISP positiv und vereinbarten deshalb einen zweiten ISP für die Jahre 2007-2010, also bis zur 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2011. Auch dieser ISP war von prozeduralen Einschränkungen gekennzeichnet: Erneut wurden Diskussionen zu vorgegebenen Themen gebilligt, Entscheidungen blieben den Treffen der Vertragsstaaten allerdings wiederum untersagt. Ein organisatorischer Fortschritt wurde mit der Einrichtung einer kleinen Gruppe zur organisatorischen Unterstützung der Vertragsimplementierung (Implementation Support Unit oder ISU) erreicht. Auch wenn sie nur aus drei Mitarbeitern besteht, wurde sie von einigen Beobachtern als möglicher Kern einer zukünftigen formellen »Organisation für das Verbot biologischer Waffen« angesehen.
Der substanzielle Fokus der ISP-Treffen lag erneut auf Aspekten der nationalen Implementierung (2007), der Aufsicht, Aufklärung, Verhaltenskodizes, Bio- und Laborsicherheit (2008), Implementierung von Vertragsartikel X (2009) und Beistand im Falle von Biowaffeneinsätzen (2010). Wieder wurde der Kern der am ISP teilnehmenden BWÜ-Mitgliedsstaaten durch internationale Organisationen und Nicht-Regierungsorganisationen (non-governmental organisations oder NGOs) unterstützt, die mitunter ein vielfältiges ergänzendes Rahmenprogramm – in Form von Poster-Sessions und anderen Informationsveranstaltungen – zu den formellen Sitzungen des ISP lieferten (Khan et al. 2011).
Zwischenbilanz 2011 und Ausblick
Allerdings verliefen auch die inhaltlichen Diskussionen des zweiten ISP, ohne Entscheidungen zu den vereinbarten Themen treffen zu können. Zwar lässt sich aus der Vielzahl der nationalen Beiträge potenziell eine Konvergenz von Erwartungshaltungen über angemessenes Verhalten mit Blick auf die verschiedenen im Biowaffen-Verbotsregime enthaltenen Normen ableiten, doch fehlt in diesem Kontext eine Berichtspflicht der Mitgliedstaaten, die konkrete und verlässliche Schlüsse darüber erlauben würde. Die durch die Vielzahl von nationalen Arbeitspapieren erreichte Steigerung von Transparenz ist prinzipiell positiv zu bewerten, doch war diese nur temporärer Natur: Aussagen über die nationale Implementierung oder Biosicherheit aus den Jahren 2007 und 2008 lassen keine verlässlichen Schlüsse auf den Stand der Dinge im Jahr 2012 zu. Auch geschah die Einbindung von Stakeholdern wie internationalen Organisationen oder NGOs in einem sehr viel begrenzterem Umfang als in anderen Politikbereichen, etwa der Umwelt- oder Menschenrechtspolitik: Da beide ISPs kein Mandat hatten, bindende Entscheidungen zu treffen, blieben notwendigerweise auch zu den Treffen zugelassene Stakeholder ohne Mitentscheidungsmöglichkeiten. Schließlich ist auf den prekären organisatorischen Rahmen der ISU hinzuweisen, die sich weitgehend aus dem Budget der Überprüfungskonferenz finanziert und somit jeweils über keine Bestandsgarantie über die nächste Überprüfungskonferenz hinaus verfügt.
Blickt man zurück auf den Beginn der beiden ISPs, so ist vor dem Hintergrund der historischen Situation 2001 die massive Einschränkung der in der AHG vorgesehenen, breit angelegten und rechtsverbindlichen Stärkung des Regimes verständlich. Vom ISP zu erwarten war lediglich die Stärkung vereinzelter Regimenormen, die in begrenztem Umfang etwa mit Blick auf die Implementierungsnorm auch erreicht werden konnte. Nach zwei ISPs, die durchaus eine Vielzahl von Informationen zutage gefördert und neue Ideen generiert, aber eben keine umfassende und rechtsverbindliche Stärkung des Regimes bewirkt hatten, waren eine Vielzahl von Beobachtern in NGOs und im akademischen Bereich, aber auch einer solchen Stärkung des Regimes gegenüber aufgeschlossene Mitgliedstaaten zu der Auffassung gelangt, es sei an der Zeit, wieder über ambitioniertere Schritte zur Stärkung des Biowaffen-Verbotsregimes nachzudenken. Die Vielzahl der im Vorfeld der 7. Überprüfungskonferenz publizierten Reports und Studien belegen dies deutlich.
Ohne einer detaillierten Analyse der 7. Überprüfungskonferenz vorgreifen zu wollen, ist doch festzustellen, dass viele dieser Hoffnungen auf ein ambitionierteres Arbeitsprogramm des 3. ISP für 2012-2015 enttäuscht worden sind. Erneut wurde nur die Diskussion der Stärkung einer Auswahl und nicht aller Regimenormen vereinbart. Zwar werden zentrale Fragen wie etwa die Auswirkungen von wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt auf das BWÜ regelmäßiger diskutiert. Allerdings konkurrieren diese wiederkehrenden Themen mit anderen Fragen um knappe Zeit- und Finanzbudgets. Schließlich hat die Aversion einiger BWÜ-Vertragsparteien gegenüber jeglichen rechtsverbindlichen Maßnahmen zur Stärkung des Übereinkommens eine Festigung des organisatorischen Rahmens zwischen den Überprüfungskonferenzen sowie eine Evolution des ISP hin zu rechtsverbindlichen Maßnahmen verhindert.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass nach zwei ISPs und mit dem Arbeitsprogramm des im Dezember 2011 verabschiedeten dritten derartigen Prozesses (United Nations 2011) die internationale Gemeinschaft zumindest bis 2016 auf eine umfassende und rechtsverbindliche Stärkung des BWÜ warten müssen wird. In Anbetracht der Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre ist zudem zweifelhaft, ob sich umfassende und weiterreichende Maßnahmen aus dem derzeitigen ISP-Modell ableiten lassen werden können. Sollte sich die »weiter so«-Mentalität der Mehrheit der BWÜ-Vertragsparteien mit Blick auf den ISP verfestigen, könnte dies es erforderlich machen, rechtzeitig vor der 8. Überprüfungskonferenz über alternative Prozesse nachzudenken.
Literatur
Kahn, M. et al. (2011): The 2007–2010 intersessional process and the future of the BTWC. In: Disarmament Forum, 1/2011, S.51-70.
Kelle, A. (2003): Strengthening the Effectiveness of the BTWC Control Regime – Feasibility and Options. In: Contemporary Security Policy, 2/2003, S.95-132.
United Nations (2006): Final Document of the Sixth Review Conference, BWC/CONF.VI/6, Geneva, 20 November-8 December 2006.
United Nations (2011): Final Document of the Seventh Review Conference, BWC/CONF.VII/7, Geneva, 5 December–22 December 2011.
Dr. Alexander Kelle ist Senior Lecturer in Politics and International Relations am Department of Politics, Languages and International Studies (PoLIS) der University of Bath, UK. Seine Forschungsbereiche umfassen Internationale Sicherheitsregime, die Schnittstelle von wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt und Sicherheit sowie Amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik.
Wie lösen wir das Verifikationsproblem?
Kontrolle des internationalen Biowaffenverbots
von Volker Beck
Das »Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen« (BWÜ) enthält kein Regime zur Verifikation der Einhaltung der Vorgaben der Konvention. Verhandlungen eines Protokolls zur Überprüfung der Einhaltung des BWÜ sind im Jahr 2001 gescheitert. Nach den gescheiterten Verhandlungen haben sich die Vertragsstaaten in den intersessionellen Prozessen 2003-2010 sowie bei der 6. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2006 vorwiegend mit dem Thema Nichtverbreitung befasst, wobei der Schwerpunkt auf nicht-staatlichen Akteure lag. Für die Überprüfungskonferenz 2011 und den angestrebten intersessionellen Prozess 2012-2015 haben zahlreiche Vertragsstaaten, u.a. alle EU-Mitglieder, die Absicht erklärt, die Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen des BWÜ zu thematisieren. Als Argument für die Notwendigkeit der Wiederaufnahme des Themas Vertragseinhaltung/Verifikation werden u.a. wissenschaftliche und technologische Entwicklungen im Bereich der Lebenswissenschaften angeführt, deren mögliche missbräuchliche Nutzung bislang eher im Rahmen staatlicher Aktivitäten als bei nicht-staatlichen Akteuren gesehen wird.
Zur Frage, wie das Verifikationsproblem zur Kontrolle des Biowaffenverbots zu lösen ist, waren im Vorfeld der 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz 2011 folgende Fragen in Form einer Bestandsaufnahme zu klären:
Was soll verifiziert werden?
Was und wie kann zurzeit verifiziert werden?
Was wurde versucht, um routinemäßig zu verifizieren?
Welche Ansätze bieten sich zurzeit an?
Was soll verifiziert werden?
Gegenstand der Verifikation ist die Einhaltung der Verbotsbestimmungen und der Gebote, die in den Artikeln I-IV BWÜ niedergelegt sind. Die Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, biologische Agenzien und Toxine „von Arten und in Mengen, die nicht durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind, sowie Waffen, Ausrüstungen oder Einsatzmittel, die für die Verwendung solcher Agenzien oder Toxine für feindselige Zwecke oder in einem bewaffneten Konflikt bestimmt sind, niemals und unter keinen Umständen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder in anderer Weise zu erwerben oder zu behalten“ (Art. I), „Agenzien, Toxine, Waffen, Ausrüstungen und Einsatzmittel im Sinne des Art. I […] zu vernichten oder friedlichen Zwecken zuzuführen“ (Art. II), „die in Art. I bezeichneten Agenzien, Toxine, Waffen, Ausrüstungen oder Einsatzmittel an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben“ (Art. III) und „die Entwicklung, die Herstellung, die Lagerung, den Erwerb und die Zurückbehaltung der in Art. I bezeichneten Agenzien, Toxine, Waffen, Ausrüstungen und Einsatzmittel […] zu verbieten und zu verhindern“ (Art. IV) (BWÜ 1972).
Was und wie kann zurzeit verifiziert werden?
Zur Klärung von Zweifeln an der Einhaltung der Verbotsbestimmungen und Gebote sieht das BWÜ zwei Mechanismen vor. Nach Art. V „verpflichten sich [die Vertragsstaaten], einander zu konsultieren und zusammenzuarbeiten, um alle Probleme zu lösen, die sich in Bezug auf das Ziel oder bei der Anwendung der Bestimmungen dieses Übereinkommens ergeben können“.
Konsultationsverfahren wurden in der Vergangenheit informell bei den Trilateralen Verhandlungen zwischen den USA, Großbritannien und Russland zu vermuteten Biowaffenaktivitäten zu Beginn der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts und formell 1997 bei der Untersuchung der »Thrips palmi«–Vorwürfe Kubas (Clancy 1997) gegen die USA angewandt. Prozedurale Vorgaben für die Durchführung der Konsultationen wurden bei der 2. und 3. BWÜ-Überprüfungskonferenz vereinbart. Während der Ablauf und das Ergebnis der Trilateralen Verhandlungen wegen der zwischen den drei Staaten vereinbarten Geheimhaltung nur in Bruchstücken bekannt sind, haben die für alle Vertragsstaaten offenen Konsultationen zu dem Pflanzenschädling »Thrips palmi« einvernehmlich zum Ergebnis geführt, dass ein schlüssiger Beweis für die Vorwürfe nicht vorliegt.
Beschwerden über Verletzungen des BWÜ können gemäß Art. VI beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingelegt werden, der eine Untersuchung durchführen kann und die Vertragsstaaten über das Ergebnis unterrichten soll. Dieser Mechanismus wurde bisher von den Vertragsstaaten nicht in Anspruch genommen.
Darüber hinaus existieren Mechanismen außerhalb des BWÜ, die im Kontext biologischer Waffen aktiviert werden können:
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann auf der Grundlage einer Resolution jederzeit eine Untersuchung von Waffenaktivitäten beschließen, wie z.B. im Fall des Irak.
Auf der Grundlage einer Resolution der UN-Generalversammlung kann jeder UN-Mitgliedstaat bei vermutetem B- oder C-Waffeneinsatz beim Generalsekretär der UN eine Untersuchung beantragen (sog. Generalsekretär-Mechanismus).
Auf Toxine sind die Verifikationsbestimmungen des Chemiewaffen-Übereinkommens anwendbar.
Was wurde versucht, um routinemäßig zu verifizieren?
Die dritte Überprüfungskonferenz hat 1991 das Thema Verifikation aufgegriffen und die VEREX-Expertengruppe eingesetzt. Die Gruppe hat 1992-1993 Vorschläge entwickelt, wie das Thema Verifikation abgehandelt werden könnte (VEREX Report 1993). Basierend auf diesen Vorschlägen hat 1994 eine Sondervertragsstaatenkonferenz die Ad-hoc-Gruppe (AHG) zur Verhandlung eines BWÜ-Zusatzprotokolls eingesetzt. Die 1995 begonnenen Verhandlungen der AHG scheiterten 2001 nach 67 Verhandlungswochen am Widerspruch der USA, die das BWÜ für nicht verifizierbar erklärten. Der Entwurf des Protokolls (BWÜ 2001) sah auf der Grundlage jährlicher nationaler Erklärungen von Bioschutzprogrammen und -einrichtungen, Impfstoff-Produktionseinrichtungen, Laboratorien der Sicherheitsstufen BSL3 und BSL4 sowie Einrichtungen mit bestimmten apparativen und/oder verfahrenstechnischen Möglichkeiten sowohl Routine- und Klarstellungsbesuche als auch Verdachtsinspektionen vor. Für die Überwachung war die Errichtung einer internationalen BWÜ-Organisation vorgesehen.
Das Scheitern der Verhandlungen des Zusatzprotokolls hat zu einer Krise des BWÜ geführt, die bei der Überprüfungskonferenz 2001/2002 nur mit einer »Rettungsaktion« in Form der Etablierung des intersessionellen Prozesses 2003-2005 aufgefangen werden konnte. Voraussetzung für die Zustimmung zu diesem Prozess war die Ausklammerung des Themas Überwachung der Einhaltung des BWÜ. Auch bei der 6. Überprüfungskonferenz 2006 und für den intersessionellen Prozess 2007-2010 konnte kein Einvernehmen hergestellt werden, das Thema Vertragseinhaltung/Verifikation aufzugreifen.
Welche Ansätze bieten sich zurzeit an?
Im Vorfeld der Siebten Überprüfungskonferenz 2011 zeichnete sich folgende Konstellation bei BWÜ-Schlüsselstaaten ab:
Kuba, Iran, Indien, Indonesien, Pakistan, China und Russland treten für die Verifikation des BWÜ mit einem vertraglich bindenden Instrument ein.
Die USA und Kanada vertreten die Ansicht, dass das BWÜ nicht verifizierbar sei.
Die Mitgliedstaaten der EU sehen Verifikation als zentrales Element eines effektiven Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregimes und schlagen vor, an Optionen zu arbeiten, die ein ähnliches Ziel erreichen.
Die von einigen Staaten geforderte Wiederaufnahme der Verhandlungen des gescheiterten Zusatzprotokolls wird von der Mehrzahl der Vertragsstaaten nicht unterstützt. Grund sind die starken Veränderungen des wissenschaftlichen und technologischen Umfelds im Bereich der Lebenswissenschaften seit dem VEREX-Prozess 1992/1993.
Unter Einbeziehung bestehender Transparenzmaßnahmen, wie die bei den Überprüfungskonferenzen 1986 und 1991 vereinbarten Vertrauensbildenden Maßnahmen (VBM), und Datensammlungen der BWÜ-Implementation Support Unit (ISU), des 1540-Ausschusses (United Nations 2004) und des Verification Research, Training and Information Centre über die nationale Implementierung BWÜ-relevanter Rechts- und anderer Normen hätte bei der Überprüfungskonferenz 2011 der moderate Wiedereinstieg in die Diskussion von Vertragseinhaltung/Verifikation mit folgenden Themen erfolgen können:
Veröffentlichung der jährlichen nationalen VBM-Deklarationen, um u.a. auch die zivilgesellschaftliche Überprüfung nationaler staatlicher Angaben zu ermöglichen,
Verpflichtung der Vertragsstaaten zu regelmäßigen Beiträgen zur ISU-Datenbasis,
Zugang zu militärischen und zivilen Bioschutzkonferenzen,
Besuche auf Gegenseitigkeit in Einrichtungen mit Biowaffen-relevanten Aktivitäten,
Stärkung des Generalsekretär-Mechanismus,
Etablierung einer intersessionellen Arbeitsgruppe zum Thema VBM/Vertragseinhaltung.
Siebte Überprüfungs- konferenz 2011
Trotz zahlreicher Willensbekundungen von Vertragsstaaten in den Eröffnungsstatements zu Beginn der 7. Überprüfungskonferenz zu Vertragseinhaltung/Verifikation und entsprechender Vorarbeit in informellen Vorbereitungskonferenzen in Wilton Park, Peking, Montreux, Berlin und Den Haag in den Jahren 2010 und 2011 sind die BWÜ-Vertragsstaaten durch unverrückbares Festhalten an der Forderung nach einem rechtlich bindenden Verifikationsprotokoll einerseits und der Gegenposition der Nicht-Verifizierbarkeit andererseits daran gescheitert, Vertragseinhaltung/Verifikation während der Überprüfungskonferenz im Detail zu diskutieren und als Thema für den intersessionellen Prozess 2012-2015 zu vereinbaren. Sofern nicht durch aktuelle Ereignisse ein Denkprozess angestoßen wird, wird erst die 8. Überprüfungskonferenz 2016 die Möglichkeit für einen Wiedereinstieg in die Diskussion um das Thema eröffnen.
Literatur
BWÜ (1972): Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologische (biologische) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen. auswaertiges-amt.de.
Clancy, J. (1997): US plague on Cuba. Email vom 3. Mai 1997; hartford-hwp.com/archives/43b/068.html.
VEREX (1993): Ad Hoc Group of Governmental Experts to Identify and Examine Potential Verification Measures from a Scientific and Technical Standpoint, Report. BWC/CONF.III/VEREX/9, Geneva, 23 September 1993.
BWÜ (2001): Protocol to the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on Their Desctruction. BWC/AD HOC GROUP/CRP.8, 30 May 2001.
United Nations (2004): Security Council Resolution 1540 »Non-Proliferation of Weapons of Mass Desctruction«, 28 April 2004.
Dr. Volker Beck war bis Ende 2011 Berater des Auswärtigen Amtes in Fragen der Biowaffenkontrolle.
Technologiekooperation und Stärkung des BWÜ
von Ralf Trapp
Artikel X des Biowaffen-Übereinkommens (BWÜ) verpflichtet alle Vertragsstaaten, „den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur Verwendung bakteriologischer (biologischer) Agenzien und von Toxinen für friedliche Zwecke zu erleichtern“, nach besten Möglichkeiten zusammenzuarbeiten, „um […] zur Weiterentwicklung und Anwendung wissenschaftlicher Entdeckungen auf dem Gebiet der Bakteriologie (Biologie) zur Krankheitsverhütung oder zu anderen friedlichen Zwecken beizutragen“, sowie das Übereinkommen so anzuwenden, „dass es keine Behinderung für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung der Vertragsstaaten des Übereinkommens oder für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet friedlicher bakteriologischer (biologischer) Tätigkeiten darstellt […]“ (United Nations 1972).
Diese Bestimmungen waren während der Vorbereitungen zur 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz, die im Dezember 2012 stattfand, nicht zum ersten Mal Gegenstand heftiger Kontroversen. Die unterschiedlichen Sichtweisen wurden auch innerhalb der Zivilgesellschaft sichtbar, wo sich manche Autoren für mehr Anreize für Vertragsstaaten, deren wissenschaftliches and technologisches Niveau unterentwickelt ist, aussprachen, während andere deutlich machten, dass es bereits heute eine große Zahl technischer Hilfsprogramme für Entwicklungsländer im Bereich des Gesundheitswesens und der biologischen Sicherheit gäbe. Ein »Umverpacken« solcher technischen Hilfeleistungen unter Artikel X des BWÜ wäre weder sinnvoll noch erstrebenswert. Dazwischen fanden sich Meinungen, wonach die Verpflichtungen unter Artikel X nicht einfach ignoriert werden könnten, aber weder die Vertragsstaaten noch die Zivilgesellschaft bisher vernünftige Konzepte für die Umsetzung von Artikel X entwickelt hätten (Gould, Gronvall & Littlewood 2011).
Der Ausgangspunkt für die Überprüfungskonferenz
Vorausgegangene Vertragsstaatenkonferenzen hatten bereits eine Reihe von Interpretationen und Erklärungen zu diesem Thema angenommen. Dabei haben sich Prinzipien herauskristallisiert, die auszugsweise wie folgt zusammengefasst werden können:
Artikel X ist sowohl wichtig für die Umsetzung des BWÜ als auch rechtsverbindlich.
Der Wissenschaftsfortschritt vergrößert das Kooperationspotential zwischen den Vertragsstaaten, schafft aber zugleich auch neue Risiken (von Unfällen bis zum möglichen Missbrauch für verbotene Zwecke).
Zwischen Vertragsstaaten sind keine Transferbeschränkungen für legitime Transfers zulässig.
Die Anwendung von Artikel X soll systematisch und langfristig angelegt sein.
Ziel ist der Ausbau nationaler und regionaler Kapazitäten im Gesundheitswesen, der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten, des Informationsaustausches im Bereich der Epidemiologie, der Entwicklung von Netzwerken zur Krankheitsüberwachung und der Hilfeleistung zur effektiven Krankheitsbekämpfung.
Die Anwendung von Artikel X soll auf der Nutzung und Stärkung existierender Mechanismen (bilateral, multilateral, Vereinte Nationen und Spezialorganisationen) basieren.
Maßnahmen zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Biologie wurden in den letzten Jahren zunehmend mit der Verbesserung der nationalen Vertragsumsetzung verknüpft (explizite Biowaffenverbote im Strafrecht; Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen zur Vertragsumsetzung einschließlich Exportkontrollen). Daneben haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten sowie die USA und andere Geberländer ihre technischen Hilfeleistungen zur Stärkung nationaler und regionaler Kapazitäten weiter ausgedehnt, und internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) haben den Informationsaustausch zur Früherkennung von Krankheitsausbrüchen und zur Koordinierung von Maßnahmen zu ihrer Eindämmung und Bekämpfung weiter verbessert. Neue Möglichkeiten ergaben sich mit dem Inkrafttreten der neuen Internationalen Gesundheitsvorschriften (WHO 2005). Der Privatsektor und wissenschaftliche Organisationen wirken zunehmend als Partner in diesen Bemühungen und haben eigene Maßnahmen zur Stärkung der biologischen Sicherheit getroffen.
Kern der Debatte
Trotz dieser positiven Entwicklungen ist die Kontroverse über Artikel X nicht verschwunden. Viele Maßnahmen zur technischen Hilfeleistung, zu verstärktem Informationsaustausch und zu besserer Koordinierung sind nicht organisch aus dem BWÜ hervorgegangen, sondern basieren auf anderen internationalen und regionalen Vereinbarungen. Für eine Reihe von Entwicklungsländern stellt sich daher die Frage, wo für sie der Anreiz zur aktiven Mitarbeit im BWÜ liegt. Aus ihrer Sicht sollte das BWÜ zu zusätzlichen Möglichkeiten der technischen Zusammenarbeit und zu verbessertem Zugriff auf wissenschaftlich-technische Informationen, biologische Materialien, Ausrüstungen und Technologien führen. Diese Sichtweise beruht auf einer langen Tradition der Verknüpfung von Abrüstung und Entwicklung, wie sie sich seit den achtziger Jahren im System der Vereinten Nationen entwickelt hat. Die Debatte ist nicht allein für das BWÜ typisch; ähnliche Diskussionen finden auch im Rahmen des CWÜ (Chemiewaffen-Übereinkommens) und anderer Rüstungskontrollverträge statt.
Aus westlicher Sicht sind dagegen Rüstungskontrollverträge keine Instrumente zur Entwicklungshilfe. Sie schrieben zwar den Willen der Vertragsstaaten zur verbesserten internationalen Zusammenarbeit fest, praktische Maßnahmen zur technischen Hilfeleistung gehörten jedoch in den Bereich anderer Prozesse und Organisationen. Westliche Staaten verweisen auch darauf, dass sie bereits erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und technischen Hilfeleistung im Rahmen anderer Vereinbarungen unternähmen. Verbunden mit dieser Debatte ist auch die Frage nach der Legitimität von Exportkontrollen zwischen Vertragsstaaten.
Wie weiter?
Es gibt also erhebliche Unklarheiten und Widersprüche darüber, was »technische Hilfeleistung« im Kontext des BWÜ praktisch einschließen soll. Sowohl nichtstaatliche Beobachter als auch einige Vertragsstaaten konstatieren einen konzeptionellen Aufholbedarf und schlagen vor, den künftigen intersessionellen Prozess zu einer vertieften Diskussion dieses Problemkreises zu nutzen. Im Rahmen des Chemiewaffen-Übereinkommens hat eine solche Debatte zwar nicht zu einer Generallösung des Problems, aber doch zu praktischen Vereinbarungen geführt (OPCW 2011). Das Abschlussdokument der 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz legte Artikel X als einen der ständigen Tagesordnungspunkte der künftigen Jahressitzungen der Vertragsstaaten fest. Es wurden außerdem praktische Schritte wie eine Datenbank zur technischen Hilfeleistung, ein »Sponsorship-Programm« und mindestens zweijährliche Berichterstattungen der Vertragsstaaten über ihre Maßnahmen unter Artikel X beschlossen (United Nations 2011).
Diese Debatte erfordert eine stärkere Einbeziehung aller Stakeholder und sollte zugleich in Rechnung stellen, dass in der Biologie grundsätzliche Veränderungen stattfinden. Wenn in der Vergangenheit Staaten die Schlüsselrolle zukam, sind heute zunehmend privatwirtschaftliche und wissenschaftliche Akteure von zentraler Bedeutung. Das internationale Umfeld in den Biowissenschaften hat sich ebenfalls verändert. Eine wachsende Zahl von Entwicklungsländern verfügt heute über beeindruckende Wissenschaftszentren, die sich als vollwertige Partner am internationalen Wissenschaftsaustausch beteiligen (NRC 2011). In diesem neuen Umfeld (das einige Beobachter bereits als »Postproliferations-Umfeld« betrachten) sind traditionelle Ansätze sowohl der Proliferationskontrolle als auch der Förderung des Technologietransfers zunehmend anzuzweifeln, und die traditionelle Trennung der Diskussion von Verifikation, Exportkontrollen und Technologietransfers sollte aufgegeben werden. Die Risiken und Chancen in den Biowissenschaften erfordern stattdessen ein breit angelegtes Risikomanagement unter Beteiligung sowohl staatlicher als auch nichtstaatlicher Akteure.
Literatur
Gould, C., Gronvall, G.K. and Littlewood, J. (2011): How can Article X be implemented successfully? Beiträge im RevCon-Diskussionsforum des BioWeapons Prevention Project; bwpp.org/revcon-articlex.html.
National Research Council (2011): Life Sciences and Related Fields – Trends Relevant to the Biological Weapons Convention. National Academies Press, Washington D.C.
Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW (2011): Entscheidung der 16. CWÜ-Vertragsstaatenkonferenz. Dokument C16/DEC.10 vom 1. Dezember 2011.
United Nations (1972): Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on Their Destruction.
United Nations (2011): Final Documet of the Seventh Review Conference. Document BWC/CON.VII/7 vom 13. Januar 2012.
World Health Organization (2005): International Health Regulations. Second edition.
Dr. Ralf Trapp ist Chemiker und arbeitet als unabhängiger Berater zur Abrüstung chemischer und biologischer Waffen. Er war früher Senior Planning Officer, Office of the Deputy Director-General, Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW).
Die 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz
von Una Becker-Jakob
Am 22. Dezember 2011 ging in Genf die 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens (BWÜ) zu Ende. Die rund 100 (von insgesamt 165) Vertragsstaaten, die drei Wochen lang verhandelt hatten, einigten sich auf ein Schlussdokument, in dem rückblickend die Wirksamkeit des Vertrages in den letzten fünf Jahren kommentiert und zudem ein neues Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre vereinbart wurde. Fragt man Beobachter und Beteiligte nach ihrer Einschätzung des Ergebnisses, so reichen die Reaktionen von Enttäuschung über das schwache Resultat bis zu Erleichterung und pragmatischer Zufriedenheit. Welches sind die Vereinbarungen, die solch unterschiedliche Bewertungen hervorrufen?
Im Rückblick auf die letzten fünf Jahre bekräftigten die Vertragsstaaten alte Übereinkünfte, etwa den umfassenden Verbotstatbestand, der sämtliche existierende und neuartige Biowaffen verbietet, das Verständnis, dass auch der Einsatz von Biowaffen, obwohl nicht explizit im Vertrag genannt, verboten bleibt, die Bedeutung von nationalen Exportkontrollen für die biologische Nichtverbreitung sowie von internationaler Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Biotechnologie. Zudem hielten sie einige neue Auslegungen des BWÜ fest, etwa die Bedeutung von biologischer Sicherheit, also Maßnahmen, die das versehentliche Entweichen oder die unbefugte Entnahme von gefährlichen biologischen Stoffen aus Laboratorien verhindern sollen.
Das Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre schreibt die jährlichen Treffen fort, die seit 2003 zwischen den Überprüfungskonferenzen abgehalten werden. Als Neuerung wurden diesmal drei Themenbereiche identifiziert, die jedes Jahr behandelt werden sollen: Internationale Kooperation unter Artikel X,1 die nationale Implementierung des BWÜ sowie wissenschaftliche und technologische Entwicklungen in den Lebenswissenschaften, die für die Biowaffenkontrolle relevant sein könnten. Zusätzlich wird jeweils zwei Jahre darüber diskutiert, wie sich die bestehenden Vertrauensbildenden Maßnahmen (VBM) verbessern lassen und ob konkrete Verfahren für die Hilfeleistung im Falle eines Biowaffenangriffs ausgearbeitet werden können. Einige technische Änderungen an den VBM wurden bereits bei der Konferenz beschlossen.
Einschätzung der Ergebnisse
Jede Bewertung hängt natürlich von den Standards ab, an denen gemessen wird. Für die Bewertung dieser Konferenz kommen drei verschiedene in Frage: der tatsächliche Konferenzverlauf und die Überlegung, inwieweit bessere Ergebnisse unter den gegebenen Umständen zu erzielen gewesen wären; die Erwartungen, die im Vorfeld an die Konferenz in der gegebenen politischen Situation gerichtet wurden; und die Defizite, die eigentlich zu bearbeiten wären, um das BWÜ zu einem wirklich effektiven Instrument der Biowaffenkontrolle zu machen.
Nimmt man den Verlauf der Konferenz (Guthrie 2011) als Messlatte, könnte das Ergebnis tatsächlich als zufrieden stellend gewertet werden. Immerhin war am letzten Tag nach schwierigen Verhandlungstagen und -nächten noch völlig offen, ob überhaupt Einvernehmen über ein Schlussdokument hergestellt werden könnte. Nach einem eigentlich optimistisch stimmenden Konferenzauftakt hatten sich die Verhandlungspositionen während der zweiten Woche zunehmend verhärtet. Konflikte kreisten nicht nur um Details in den Textentwürfen, sondern auch um grundsätzliche Fragen. So war z.B. heftig umstritten, welches Gewicht die Schlusserklärung dem Thema internationale Kooperation/Technologieaustausch einräumen sollte und inwieweit dieser Themenkomplex den Abrüstungs- und Nichtverbreitungsbestimmungen gleichgestellt sei oder werden sollte. Auch die Bedeutung von Transparenz gegenüber rechtlich-verbindlichen Compliance-Maßnahmen wurde debattiert, was sich unter anderem hinderlich auf die Überarbeitung der VBM auswirkte. Schließlich bestanden konträre Auffassungen darüber, in welcher Form die jährlichen Treffen fortgeführt würden, inwieweit dabei Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt oder den Überprüfungskonferenzen vorbehalten werden sollten und in welcher Form Nichtregierungs-Experten beteiligt sein könnten.
Insbesondere Vorbehalte angesichts begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen – hier spielte die weltweite Finanzkrise eine sichtbare Rolle – und unterschiedliche Auffassungen von staatlicher Souveränität blockierten eine weitergehende Reform des nächsten Zyklus jährlicher Treffen (intersessional process). Diskussionen um die Themen Verifikation und Compliance konnten aufgrund konträrer und kompromissloser Positionen einiger zentraler Akteure gar nicht erst aufkommen, und einige Staaten bemühten sich zudem, Fortschritte durch das Infragestellen bereits getroffener Vereinbarungen zu verzögern oder zu verhindern. Angesichts dieses Konferenzverlaufs stellt die letztendliche Einigung auf ein Schlussdokument mit den oben aufgeführten Elementen, die durchaus eine Basis für weitere konstruktive Schritte sein können, ein annehmbares Ergebnis dar.
In Anbetracht der intensiven Vorbereitungen sowohl durch Vertragsstaaten als auch durch Nichtregierungsorganisationen schien es allerdings vor der Konferenz, als seien größere Fortschritte möglich. In einer Reihe von Aktivitäten und Veranstaltungen sollten die inhaltliche Diskussion vorbereitet und Fortschritte während der Konferenz erleichtert werden.
Auf Nichtregierungsseite organisierte beispielsweise das BioWeapons Prevention Project (BWPP), ein internationales Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, eine Online-Expertendiskussion zu zahlreichen Themen, die für das BWÜ relevant sind, um Input für die Überprüfungskonferenz zu geben (BWPP 2011). Bei einer Workshop-Reihe, die Deutschland, Norwegen und die Schweiz 2010-2011 gemeinsam mit dem Geneva Forum ausrichteten, wurden konkrete Änderungsmöglichkeiten an den VBM diskutiert und vorbereitet. Eine Reihe weiterer Workshops/Seminare widmete sich 2010 und 2011 ebenfalls zentralen Themenbereichen des BWÜ.2 Zudem machten mehrere Staaten ihre Arbeitspapiere mit inhaltlichen Vorschlägen und Positionen schon einige Zeit vor Konferenzbeginn online zugänglich.
In diesem Vorbereitungsprozess kristallisierten sich einige Themenkomplexe heraus, über deren Bearbeitungsbedarf ein breiter Konsens zu bestehen schien. Dies weckte bei Beobachtern wie bei einigen Teilnehmern die Erwartung, es könnten diesmal tatsächlich größere Fortschritte bei der Stärkung des Regimes erzielt werden. Einige dieser Erwartungen erfüllten sich in der Tat, wenn auch überwiegend mit Abstrichen:
Es wird einen neuen Folgeprozess mit jährlichen Treffen in leicht verändertem Format geben – allerdings nicht in der von einigen angestrebten Struktur mit thematischen Arbeitsgruppen, die sich bestimmten Themen intensiver widmen und mit Entscheidungskompetenzen ausgestattet sein sollten.
Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt in den Bio- und Lebenswissenschaften wird im neuen Folgeprozess zum ersten Mal systematisch diskutiert – allerdings ohne dass sich daraus direkt verbindliche Übereinkünfte ableiten ließen.
Bezüglich der VBM wurde ein Überarbeitungsprozess angestoßen; bei der Konferenz selbst wurden erste Änderungen vereinbart, und in 2012 und 2013 wird Gelegenheit zur Diskussion weiterer, substanzieller Änderungen sein – allerdings würden mögliche Änderungen erst nach einer Entscheidung der 8. Überprüfungskonferenz 2016 wirksam.
Das Mandat der Implementation Support Unit (ISU) wurde erwartungsgemäß verlängert – allerdings ohne jede Erweiterung der Ressourcen und ohne zusätzliches Personal. Dies ist nicht so sehr auf politische Vorbehalte zurückzuführen, sondern vielmehr der Finanzkrise geschuldet, die es mehreren Staaten unmöglich machte, selbst einer noch so geringen nominalen Aufstockungen des Budgets zuzustimmen.
Zur besseren Implementierung von Artikel X wurde beschlossen, eine Datenbank einzurichten, in der Bedarf an und Angebote für Kooperation zusammengeführt werden können, wobei dieser Beschluss hinter den Erwartungen zahlreicher Entwicklungsländer zurückblieb.
Als besonders tragisch ist es zu werten, dass das Schlussdokument keinerlei Referenz zu dem Themenkomplex Verifikation/Compliance enthält. Ein entsprechender Tagesordnungspunkt, der zumindest unverbindliche Diskussionen ermöglicht hätte, war für die Agenda der künftigen jährlichen Treffen vorgeschlagen, er fiel aber den unversöhnlichen Positionen der USA und einer Gruppe anderer Staaten (v.a. Indien, Iran, Kuba, Pakistan, Russland) bezüglich Verifikation und der Stärkung des BWÜ durch ein »rechtlich-verbindliches Dokument« zum Opfer. Die EU, die in ihrer Gemeinsamen Position für die Überprüfungskonferenz eine neue Diskussion um Verifikation und Compliance als Ziel festgeschrieben hatte (EU 2011), spielte als Akteur bei der Konferenz keine Rolle und konnte dieser Entwicklung nichts entgegensetzen.
Gemessen an den eigentlich erforderlichen Schritten, das BWÜ dauerhaft zu stärken – mehr Transparenz, effektive Verifikations- und Compliance-Maßnahmen, bessere Institutionalisierung – bieten die erzielten Ergebnisse also nur mäßige bis gar keine Fortschritte. Viel wird deshalb zunächst davon abhängen, wie die Vertragsstaaten die zukünftigen Treffen nutzen werden.
Literatur
BioWeapons Prevention Project (BWPP) (2011): Civil society preparations for the 7th BWC Review Conference 2011. bwpp.org/revcon.
Council of the European Union (2011): Council Decision 2011/429/CFSP of 18 July 2011.
Guthrie, R. (2011): Daily reports from BWC meetings: 5-22 December 2011 – Seventh Review Conference. bwpp.org/reports.html.
Anmerkungen
1) Für eine Erläuterung von Artikel X siehe Beitrag von Ralf Trapp in diesem Dossier.
2) Für eine Übersicht über diese Veranstaltungen und die jeweiligen Berichte siehe die Website der Vereinten Nationen in Genf » Disarmament – Seventh Review Conference of the Biological Weapons Convention«; www.unog.ch.
Una Becker-Jakob ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und beschäftigt sich dort u.a. mit Fragen der Kontrolle biologischer Waffen.