W&F 2018/2

Friedensforschung im Dienst des Militärs?

von Thomas Mickan

Um zu untersuchen und zu kritisieren, wie sich Friedensforschung in den Dienst des Militärs stellt, gibt es mindestens zwei Spuren. Wie unterscheiden sich diese, und wie können sie helfen, die eigene Verstrickung und Kompliz*innenschaft als Friedensforschende im möglichen Dienst des Militärs zu verstehen?

Die erste Spur der Kritik versucht die institutionellen, personellen, finanziellen oder politischen Verstrickungen zwischen Wissenschaft und Militär aufzudecken. Sie hebt den verdeckenden Mantel von Interessenskonflikten und legt den Finger in die Wunde, wo wissenschaftliche Standards aufgrund einer zu starken Verschränkung und Kompliz*innenschaft mit dem Militär leiden müssen. Militär wird hierbei vor allem als eine Institution, wie etwa die Bundeswehr mit dem Verteidigungsministerium und Entourage, verstanden.

Die zweite Spur der Kritik – darauf zu blicken, wie sich Friedensforschung in den Dienst des Militärs stellt – unterscheidet sich davon grundlegend. Um diese soll es im Folgenden hauptsächlich gehen. Militär wird hierbei nicht in seiner institutionellen Materialisierung verstanden, sondern in dessen Genese und Wirkung als Wissensregime: Wie wird Militär gedacht, wie entsteht unser Wissen von diesem und woraus zieht dieses Wissensregime seine weitgehende epistemische Unversehrtheit, als ein Gedanke, der gedacht werden kann und sich darin auch materialisiert sowie reproduziert.

Ein Wissensregime ist dabei mehr als etwa eine militärsoziologische Betrachtung von Gruppendynamiken, Gedanken zur Sicherheitskultur unterschiedlicher Streitkräfte oder wie sich eine Interventionskultur in der intervenierten sowie intervenierenden Gesellschaft verändert. Es sollte auch nicht vorschnell verknüpft werden mit anderen großen Begriffen der Friedensforschung, allen voran Krieg, Konflikt, Gewalt und Frieden, die ihre ganz eigenen hier nicht betrachteten Dynamiken mit sich bringen.

Militär als Wissensregime ist die Praxis eines Ensembles von Ermöglichungsbedingungen, eine von Normen, Prinzipien und Idealen geformte und scheinbar naturgegebene“ Lebenswelt (Butler 2010a). Eine darin anknüpfende Kritik soll nicht verstanden werden als „zu bewerten, welche Bedingungen, Praktiken, Wissensformen, Diskurse gut oder schlecht sind. Kritik zielt darauf, das spezifische System der Bewertung offenzulegen […] und zu zeigen, wie Wissen und Macht miteinander verwoben sind, so dass Gewissheiten bestehende Ordnungen affirmieren und alternative verwerfen“ (Thomas 2011). Wissenschaft im Dienste des Militärs so verstanden ergründet dann, wie auch Forschung dazu beiträgt, dass Militär überhaupt in seiner vermeintlichen Selbstverständlichkeit gedacht wird und wie dieses Denken überkommen oder besser gesagt dekonstruiert werden kann.

Das Pathologische entschleiern?

Warum aber ein Unbehagen an der ersten Spur? Ist es nicht mehr ausreichend und zeitgemäß, die Frage nach Interessen zu stellen? Soll es aus der Mode gekommen sein, herrschaftskritisch danach zu fragen, wie mächtige Interessengruppen und Staaten Geopolitik betreiben? Und was kann erkenntnisreicher sein, als „Kritische Friedensforscher [, die …] helfen, politische Apathie zu überwinden, […] verdeckte oder ideologisch verschleierte gesellschaftliche Konflikte bewußt zu machen [sowie …] eine nicht manipulierbare, politisch handlungsfähige Öffentlichkeit herzustellen“, wie es in der Wannsee-Erklärung zur Friedensforschung von 1971 hieß (zit. nach Bogerts et al. 2016)? Gerade kritische Zeitgenoss*innen kritisierten für die (auch durch den neoliberalen Umbau der Universitäten verursachte) Abkehr von der ersten Spur wahrscheinlich nicht zu Unrecht vehement die Entpolitisierung und vermeintliche Wertfreiheit einer heute vorherrschenden Friedensforschung (u.a. Ruf 2009; Strutynsky 2012; Nieth 2016).

Die Diskussionen, die sich daran anschlossen, sind ermüdend. Zumal die mit Verve vorgebrachte Kritik nur wenig verfing, und dennoch bleibt es ein Wagnis, diese Kritik zu kritisieren: Sie erweist nämlich ein feines Gespür für die Probleme der Disziplin, die aus einer institutionellen Kompliz*innenschaft entstehen. Jedoch steht dieser Suche nach den verborgenen Interessen, die es zu entlarven gilt, gerade dem eigenen Credo widersprechend ein Ausbleiben herzustellender erweiterter politischer Handlungsmacht entgegen. Denn im Entlarven stecken mindestens zwei bedrohliche Maximen, die uns in Ohnmacht erstarren lassen müssen: erstens, dass die Welt von Mächtigen beherrscht wird, deren Politik wir in so großen Zügen zu beschreiben haben, dass ein eigenes politisches Handeln auch als Wissenschaftler*innen von vornherein als aussichtslos erscheinen muss. Zweitens, dass die Camouflage der Macht und das falsche Bewusstsein der Menschen auch uns verdammt, entweder zu den einen oder anderen zu zählen oder aber in unserer Enthüller*innenrolle stets einer gefährlichen Hybris der Kritik und trügerischen „Erotik des Widerstandes“ (Dhawan 2015, S. 10 f.) zu unterliegen.

Zu Beginn der 1990er Jahre sprach der jüngst leider verstorbene Ekkehard Krippendorf davon, dass das Militär das Pathologische des Politischen sei, weil Militär in seiner Dummheit zu der einfachsten vermeintlichen Problemlösung greife. Dementsprechend: „Die Gegenwelt zu Militär, pathologischer Politik und Dummheit findet sich in Kunst und Wissenschaft, die uns die Komplexität von Mensch und Gesellschaft, Kultur und Geschichte immer wieder bewußt machen.“ (Krippendorf 1993, S. 91) Ohne Zweifel ist dabei, dass Krippendorf mehr als kritisch mit der eigenen Disziplin ins Gericht ging, dem (vermeintlich wiederherzustellenden) Ideal einer emanzipatorischen Friedensforschung bleibt jedoch auch er zumindest in diesem Ausschnitt verhaftet.

Beispiel: Militär als Instrument

Was kann nun aber mit der zweiten Spur der Kritik für die Frage von Wissenschaft im Dienst des Militärs angefangen werden? Wie kann ein verschrobenes Wort wie »Wissensregime« oder daran anschließend »epistemische Gewalt« hier nicht auch zu einer anderen Form von Ohnmacht führen – einer diskursiven Ohnmacht aus Langeweile und Unverständnis? (Zum Konzept von epistemischer Gewalt, siehe Interview mit Claudia Brunner auf S. 42.) Ich will dies an einem kleinen Beispiel skizzieren, das sowohl aus der strategischen Sprache von Politik in Deutschland (z.B. Review2014; Weißbuch BMVg 2016; PeaceLab2016; Koalitionsvertrag 2018) sowie aus der deutschsprachigen Friedensforschung kaum wegzudenken ist; ein bescheidenes Detail, das aber (wie alle dekonstruktivistischen Positionen) weit mehr sein will, als eine »Sprachpolizei«. Das gewählte Beispiel ist Militär verstanden als »Instrument«.

Hier ist nicht der Raum, um sich diskursanalytisch an einschlägigen Texten der Friedensforschung abzuarbeiten. Es geht mir schließlich nicht um eine quantitative Feststellung, wie weit ein Phänomen verbreitet ist, sondern um die Feststellung, wie es dazu beiträgt, dass wir Militär in einer bestimmten Weise denken, herstellen, ja überhaupt weiter denken und damit auch in dessen Materialität reifizieren und reproduzieren. Militär ist in dieser zweiten Spur der Kritik mehr als die konkrete Institution, es ist unabhängig einer gedachten Schranke zivil/militärisch auch in fast alle unsere Lebensbereiche eingeschrieben. Das können ganz alltägliche Dinge sein wie Kleidung, den Hausnummern an unseren Häusern, es kann sich in Form von militarisierten Landschaften in unsere Städte schreiben, es kann sich in medialen Welten abspielen, es kann sich eben auch in unserer Sprache oder gedrilltem Habitus wiederfinden, in generationsvererbten Traumata, dem Stumpf am Bein oder direkt in einer Kugel, die den Körper durchschlägt.

Das Bezeichnen von Militär als »Instrument« ist dann kein Verschleiern einer vermeintlichen Realität (wie es etwa die Wörter »Wirkmittel« oder »Kollateralschaden« durchaus sein können). Es ist vielmehr ein Wissensregime, das gewachsen, katalogisiert, normiert, sedimentiert und am allerwichtigsten veränderbar, da Teil politischer Praxis und Kämpfe ist. »Instrument« steht hier eher für eine Art Wissenscode, der bestimmte Vorstellung und Praxen von und über Militär ermöglicht oder verunmöglicht. Auch hier findet, wie bei der ersten Spur, eine Entpolitisierung statt, die Frage ist aber nicht mehr, wer macht warum etwas, sondern: Wie passiert etwas, und lässt es sich verändern? Militär als Instrument verstanden verschiebt nämlich vermeintlich alle Verantwortung, etwa auf politische Entscheidungsträger*innen. Anstatt einer Politisierung der Debatte über Militär zuträglich zu sein, führt es ganz im Gegenteil dazu, dass Militär als solches, als Problem qua Epistemität, keine Relevanz besitzt, diskursiv ausgeschlossen und damit gegen grundlegende Veränderungen immunisiert wird. Dazu tragen übrigens auch Debatten bei, die »alternative Instrumente« oder »Toolboxen« für Zivile Konfliktbearbeitung propagieren, weil sie sich ebenso dieses ausstrahlenden Codes bedienen.

Die Ausschlüsse sind dabei jedoch nicht lediglich verständlich, sondern epistemisch sogar mitunter zwangsläufig, weil, wie es Judith Butler ausdrückt, es „unter den derzeitigen geschichtlichen Bedingungen“ unmöglich ist, die „materielle Realität des [von der Friedensforschung viel beachteten; Anm. TM] Krieges von jenen Repräsentationsregimes zu trennen, durch welche diese materielle Realität wirksam wird“ (Butler 2010b, S. 35). Es könnte also sein, dass es unter den derzeitigen Wissens- und Sprachnormen vorerst unmöglich ist, Krieg und Militär konsequent voneinander getrennt zu denken. Um diese womöglich noch darüber liegenden Sedimente teilweise abzutragen, so mein Verdacht, kann ein anderes Verstehen von Militär als Wissensregime helfen. Es führt nämlich Militär zurück in den Bereich des Politischen, des Ideellen, der Idee, des Ensembles von Praktiken und Ermöglichungsbedingungen, die verändert werden können, bis hin zur Zersetzung des Wissensregimes Militär (vgl. Virilio 1984, S. 23).

Ausblick und zarte Begegnungen

Wo nun aber suchen nach Veränderung, nach einem anderen Verhältnis von Friedensforschung im Dienst des Militärs außer wie skizziert in der Sprache? Einen wunderbaren Ausblick bieten die entstehenden »Critical Military Studies« (einführend: Basham et al. 2015; im Deutschen bereits 2006 ähnlich Virchow und Thomas), zu denen neben der publizierten Forschung im gleichnamigen Journal bereits auch weitere einschlägige Beiträge erschienen sind. Allerdings finden sich gerade im Journal besonders zarte Begegnungen in Form der so genannten „Encounter“ wieder (Bulmer, Hyde 2015, S. 79). Hier wird in einer reduzierten, aber offenen Form die alltägliche Einschreibung des Militärs gesucht; es werden Brücken geschlagen zu verschiedensten wissenschaftlichen, aktivistischen, literarischen Methoden. Stets jedoch mit dem Ziel, Schichten eines Wissensre­gimes Militär abzutragen, die eigene Verstricktheit und Kompliz*innenschaft hinterfragend aufzuzeigen und das Erleben in Kontexte eines einfachen Verstehens und gleichzeitig von Kritik einzubinden. Vor allem ermutigt und ermächtigt es, Militär als vielfältige Form von Gewalt, die uns so alltäglich ist, aber eigentlich unerträglich sein müsste, immer wieder neu herauszufordern, abzutragen und zur Diskussion zu stellen.

Für die Frage von Friedensforschung im Dienst des Militärs ist ferner das Konzept der »epistemischen Gewalt« besonders anregend, weil es uns hilft, Gewaltdimensionen zu verknüpfen, meine eigene Verstrickung in die Macht sowie Kompliz*innenschaft zur Gewalt erfassbar werden zu lassen, um einen anderen Umgang entwickeln zu können.

Literatur

Auswärtiges Amt (2014): Review2014 – Krise, Ordnung, Europa. Abschlussbericht.

Auswärtiges Amt/Global Public Policy Institut (2017): PeaceLab 2016. Krisenprävention weiter denken.

Basham, V.; Belkin, A.; Gifkins, J. (2015): What is Critical Military Studies. Critical Military Studies, Vol. 1, Issue 1, S. 1-2.

Bogerts, L.; Böschen, S.; Weller, C. (2016): Politik, Protest, Forschung – Wie entstand die Friedensforschung in der BRD? W&F 1-2016, S. 12-15.

Bulmer, S.; Hyde, A. (2015): An introduction to Encounters. Critical Military Studies, Vol. 1, Issue 1, S. 79.

Bundesministerium der Verteidigung (2016): Weißbuch der Bundeswehr.

Bundesregierung (2018): Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD.

Butler, J. (2010a): A Carefully Crafted F**k You – Nathan Schneider interviews Judith Butler. Guernica a magazine of art & politics, 15.3.2010.

Butler, J. (2010b): Raster des Krieges – Warum wir nicht jedes Leid beklagen. Frankfurt am Main: campus.

Dhawan, N. (2015): Die unerträgliche Langsamkeit des Wandels – Das Phantasma einer Stimme des Volkes und die Erotik des Widerstandes. In: Phantasma und Politik, Publikation der Abschlussveranstaltung der Veranstaltungsreihe »Phantasma und Politik«, Berlin: HAU (Hebbel am Ufer), S. 10-13.

Krippendorf, E. (1993): Das Militär als Pathologie des Politischen. In: ders. (Hrsg.): Militärkritik. Frankfurt am Main: suhrkamp, S. 82-93.

Nieth, J. (2016): Friedensforschung in der BRD. In: Chrome, E.: Friedensforschung in Deutschland. Berlin: Rosa Luxemburg Stiftung, S. 10-38.

Ruf, W. (2006): Quo vadis Friedensforschung? In: Baumann, M. et al. (Hrsg.): Friedensforschung und Friedenspraxis. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel, S. 42-56.

Strutynski, P. (2012): Sechs Thesen zur kritischen Friedensforschung. In: Chrome, E. (2016): Friedensforschung in Deutschland. Berlin: Rosa Luxemburg Stiftung, S. 54.

Thomas, T. (2011): Poststrukturalistische Kritik als Praxis von Grenzüberschreitungen. In: dies.; Hobuß, S.; Henning, I.; Kruse, M. (Hrsg.): Dekonstruktion und Evidenz – Ver(un)sicherungen in Medienkulturen. Sulzbach/Taunus: U. Helmer, S. 27.

Virchow, F.; Thomas, T. (2006): Banal Militarism – Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen. Bielefeld: transcript, S. 25-48.

Virilio, P. (1984): Der reine Krieg – Im Gespräch mit Sylvère Lotringer. Leipzig: Merve.

Thomas Mickan ist Politikwissenschaftler, Beirat der Informationsstelle Militarisierung und Mitglied der W&F-Redaktion.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2018/2 Wissenschaft im Dienste des Militärs?, Seite 39–41