W&F 2019/1

Space in Peace and Conflict

Zentrumstage am Zentrum für Konfliktforschung, 18.-20. Oktober 2018, Marburg

von Alexandra Engelsdorfer und Nadine Dammaschk

Was ist »Raum«, und welche Räume spielen in Bezug auf Frieden und Konflikt eine Rolle? Während die Bedeutung von »Raum« in Grenzkonflikten offensichtlich ist, scheint die Relevanz von »Raum« in anderen Bereichen der Friedens- und Konfliktforschung auf den ersten Blick weniger deutlich. Während der Zentrums­tage, die alle zwei Jahre am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg stattfinden, zeigten dieses Jahr internationale Wissenschaftler*innen, dass Räume für Frieden eine außergewöhnliche Rolle spielen und als Analysekategorie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Konflikten leisten und dabei neue Perspektiven eröffnen.

Was ist Raum?

Die fächerübergreifende Relevanz des Themas wurde schon in der interdisziplinären Eröffnungsdiskussion mit Benedikt Korf (Universität Zürich, Geographie), Bettina Engels (Freie Universität Berlin, Politikwissenschaft), Ernst Halbmayer (Universität Marburg, Ethnologie) und Melanie Hartmann (Zentrum für Konfliktforschung, Soziologie) herausgearbeitet. Dabei wurden nicht nur die unterschiedlichen fächerspezifischen Zugänge zu Raumkonzepten diskutiert, die von eher physisch-materiellen Räumen in der Geographie und Politikwissenschaft bis zu sozial-kulturellen Räumen in der Ethnologie und Soziologie reichen, sondern auch erste Gemeinsamkeiten herausgestellt: Raum ist mehr als der bloße haptische Raum, der als eine Art Bühne fungiert, auf der sich Handlungen und Konflikte abspielen. Raum ist ein soziales Produkt und als solches auch veränderbar. Einig waren sich die Diskutierenden auch darüber, dass Theorien auf ihre empirische Relevanz hin überprüft werden müssen und umgekehrt. Susanne Buckley-Zistel, geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Konfliktforschung, bezeichnete die interdisziplinäre Qualität von Raum als inspirierendes Moment der Konferenz: „Es wird in allen Präsentationen deutlich, dass wir von unterschiedlichen Disziplinen kommen. Es gibt nicht nur einen Ansatz zu Raum, sondern viele verschiedene Ansätze, die unsere Arbeit auch in Zukunft bereichern werden.“

Die Punkte dieser Eröffnungsdiskussion zogen sich auch wie ein roter Faden durch die acht folgenden Panels zu »Spatializing Memories«, »Contested Spaces«, »Urban Spaces and Places«, »(Un-)Securitizing Space«, »Conceptual Approaches to Space«, »Negotiating Borders«, »Space Making« und »Space and Protest«. Die Bandbreite und Aktualität von Räumen wurde an zahlreichen beeindruckenden Beispielen aus der Praxis und an konzeptionellen Forschungsarbeiten veranschaulicht.

Wie tragen Raumkonzepte zu Konflikten bei? Grenzen, Städte und Proteste

Wie relevant die konzeptuelle Anwendung von Raum für das Verständnis aktueller politischer Prozesse ist, verdeutlichte Sabine Hess, Professorin für Migrationsstudien der Universität Göttingen, anhand des gegenwärtigen Migrationsregimes der Europäischen Union in ihrem Keynote-Beitrag: „Wir sehen überall nicht nur die Rückkehr hoch militarisierter und materialisierter Grenzen, sondern auch von offenkundigen Formen von Menschenrechtsverletzungen.“ Indem diese Grenzregime der EU „die Externalisierung von Migranten und Migrantinnen auf neo-koloniale Weise radikal vorantreiben“, zeigen sie auf, wie dicht Raum, Grenzen, Migration und Konflikt miteinander verwoben sind. Im Panel zu »Urban Spaces and Places« wurde die besondere Qualität von städtischen Räumen herausgestellt, die entweder selbst zum umkämpften Konfliktgegenstand werden oder aber Konfliktverläufe durch ihre räumliche Struktur beeinflussen. So zeigte John Hanna (Universität Delft) am Beispiel der terroristischen Attentate in Paris im November 2015, wie architektonische Verräumlichungen in Städten bestimmte Konfliktnarrative begünstigen, andere wiederum benachteiligen und wie Raum somit den weiteren Umgang mit dem Konflikt bestimmt. Am Beispiel von Amman erörterte Jilian Schwedler (City University New York) im Panel »Space and Protest« die symbolische Bedeutung von Protestorten, während Fabian Frenzel (University of Leicester) die räumlichen Ordnungsmechanismen von Protestcamps beleuchtete. Dimitris Soudias (Universität Marburg) und Burcu Togral Koca (Leibniz Institute for Research on Society and Space) ergänzten das Panel um theoretische Perspektiven auf Protestcamps im Spannungsfeld von strukturalisierender Verräumlichung und anti-struktureller Krisensituation sowie um eine Analyse der Refugee Rights Movements in Berlin.

Wie wird Raum gemacht? Aufarbeitung von Konflikten und deren Erinnerung

Während der Konferenz wurden neben den strukturellen Auswirkungen von Räumen auf Konflikte und Friedensbemühungen auch die Konsequenzen des »spatial turn«, der Betrachtung des Raumes in seiner Formbarkeit und Veränderbarkeit durch Menschen, diskutiert. So zeigte Annika Björkdahl, Professorin für Politikwissenschaft der Lund Universität, in ihrer Keynote, wie Raum als Produkt sozialer Handlungen wichtige Einblicke in das Verständnis von Konflikten und das Entstehen von Frieden gewährt. „Raum“, betonte Björkdahl, „ist politisch und inhärenter Teil von Machtverhältnissen.“ Migrationsbewegungen, Grenzen und Territorien als Faktoren, die eine essentielle Rolle in Frieden und Konflikten einnehmen, wären ohne Konzeptualisierungen von Raum nicht verständlich. Diese Komponente wurde u.a. in den Panels »Spatializing Memories« und »Contested Spaces« deutlich: Im Ersteren zeigten Lia Kent (University of Canberra), Gruia Badescu (University of Oxford), Stefanie Kappler (University of Durham) und Johanna Mannergren Selimovic (University of Stockholm), wie in Osttimor und Bosnien-Herzegowina Räume aufgrund bestimmter politischer Interessen produziert werden, wie in Südafrika Machtpolitiken mithilfe von Denkmälern in Erinnerungspolitiken reproduziert werden, aber auch, wie die Erinnerung an den Krieg in Alltagsgegenständen ihren räumlichen Ausdruck findet. Dass Räume auch umkämpft sind und um ihre Deutungshoheit gerungen wird, veranschaulichte Emily Mannheimer (Erasmus University Rotterdam) am Beispiel des Konflikttourismus in Belfast im Panel »Contested Spaces«.

Fazit

Die Zentrumstage verdeutlichten jenseits der inhaltlichen Diskussionen, wie eine Konferenz Impulse für eine nächste Generation von Wissenschaftler*innen geben kann. Stéphane Voell, Geschäftsführer des Zentrums für Konfliktforschung, beobachtete, wie die unterschiedlichen Präsentationen zum Thema »Raum« studentische Teilnehmende auch im Nachhinein noch beschäftigten und wie die Studierenden sich über die Konferenz hinaus über Raum und seine Bedeutungen austauschten. Sie seien eingeladen, wie alle anderen Teilnehmenden, denen die Konferenz neue Gedankenanstöße gegeben hat, mit an Bord zu kommen, um die Forschung zu Raum weiterzuführen und zu denken.

Alle Vortragenden und Teilnehmenden sowie die Organisationsverantwortlichen und Helfenden trugen dazu bei, die Konferenz zu einem großen Erfolg und inspirierenden Anknüpfungspunkt für die weitere Forschung zu Raum in der Friedens- und Konfliktforschung zu machen. Unterstützt wurde die Konferenz von der Universitätsstiftung Marburg und dem Ursula-Kuhlmann Fonds.

Alexandra Engelsdorfer und Nadine Dammaschk

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/1 70 Jahre NATO, Seite 55–56