Seit vierzig Jahren erscheint W&F durchgehend und liefert maßgebliche Beiträge zur friedenswissenschaftlichen Diskussion – auch in der breiteren Öffentlichkeit. Dieses Heft feiert diese vierzig Jahre und blickt mit einer Reihe von Beiträgen auch auf das eigene Archiv und vor allem aber voran. Es ist ein Potpourri entstanden, das die Vielfalt an Perspektiven und Zugängen zeigt, aktuelle kritische Debatten benennt und Anregungen für weitere Entwicklungen der fachlichen Debatten bietet.
Die Debatten der letzten beiden Jahre zum Krieg Russlands gegen die Ukraine und der jüngsten Gewalteskalation im Nahen Osten nach dem Angriff der Hamas auf Israel und dem folgenden Krieg gegen Gaza haben deutlich gemacht: Die Friedens- und Konfliktforschung hat zuletzt wieder eine bemerkenswerte Relevanz bekommen, die in einer wachsenden Wahrnehmung durch Politik und Medien sichtbar wird. Zugleich zeigt sich eine Spannung zwischen akademischer Forschung sowie der Erkenntnis auf der einen und politischer Beratung auf der anderen Seite. In der Öffentlichkeit sind gesellschafts- oder politikkritische Beiträge eher randständig. Gemäßigt politiknahe oder klar unterstützende Impulse, die oft akademisch erstaunlich blass bleiben, sind hingegen gefragt wie selten zuvor. In der akademischen Sphäre gibt es durch die starke Ausdifferenzierung und Institutionalisierung des Forschungsfeldes eine nahezu unüberblickbare Vielfalt an Fachdiskursen, Journals, Forschungsbereichen sowie epistemologische, methodologische, theoretische und praktische Ansätze zu allen Phasen eines Konfliktverlaufs. Hier sticht eine Vielzahl der Ergebnisse in der Tendenz eher durch ihre Skepsis, Vorsicht, Kritik oder offener Gegner*innenschaft zu etablierten Mechanismen der Friedenserzwingung hervor.
Vor 60 Jahren, am 10. Oktober 1963, trat der Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser in Kraft. Das sogenannte Moskauer Atomteststoppabkommen war das erste Rüstungskontrollabkommen im Kalten Krieg und markierte den Beginn der multilateralen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsdiplomatie. Die Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle führte in den Jahren darauf u.a. zum Atomwaffensperrvertrag (1968), ABM-Vertrag (1972), INF-Vertrag (1987) und KSE-Vertrag (1990). In den vergangenen Jahrzehnten haben diese Errungenschaften der Entspannungspolitik und Rüstungskontrolle die Welt sicherer gemacht. Vor allem während des Kalten Krieges waren sie wichtige Instrumente zur Kriegsverhütung und Vertrauensbildung und entwickelten sich zu einem integralen Bestandteil der globalen Sicherheitsarchitektur.
Impulse aus einem wissenschaftshistorischen Dialog
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 40. Jubiläum von W&F wurde kein Festvortrag gehalten. Stattdessen unterhielten sich mit Prof. Dr. Eva Senghaas-Knobloch (Bremen) und PD Dr. Jürgen Altmann (Dortmund) zwei profilierte Kenner*innen der Entwicklung der akademischen Friedens- und Konfliktforschung wie auch der Friedensbewegung auf dem Podium über ihre ganz persönlichen Geschichten von 1983 bis heute. Um die Szene zu setzen, wurde vor dem Gespräch ein kurzer Zusammenschnitt eines Tagesschau-Berichts vom 22. Oktober 1983 gezeigt: Menschenkette über die Schwäbische Alb gegen die Pershing-II-Stationierung, Demonstration im Bonner Hofgarten zum Nachrüstungsbeschluss u.a. Dies ist ein nachbearbeitetes Transkript des Gespräches, das von W&F Vorstandsmitglied Dr. Michaela Zöhrer moderiert wurde.
Heute und vor 40 Jahren: Weniger Geld für Soziales, Spendierhosen für die Streitkräfte
Mit der »Zeitenwende« wird der militärischen Priorität im Haushalt fast alles untergeordnet. Trotz drängender sozialer Probleme steigt, wie schon früher, der Haushalt für die Bundeswehr. Neben den Steigerungen des regulären Haushalts gibt es ein »Sondervermögen« von 100 Mrd. €. Es ist ein Mythos, dass der Zustand der Streitkräfte aufgrund mangelnder Finanzen so miserabel ist. Vielmehr sind Bürokratie, Überteuerung deutscher Waffen und Fixierung auf Hochtechnologie die Ursache. Solange es keine solide friedens- und sicherheitspolitische Diskussion gibt, wird sich hieran kaum etwas ändern.
Neuere Geschichte der Bundeswehr und mögliche Entwicklungsperspektiven
Aus dem Rückblick auf die vergangenen 30 Jahre ergibt sich eine neuere Geschichte der Bundeswehr, die für den heutigen Zustand ausschlaggebend ist. Der Beitrag entfaltet diese zentralen Entwicklungen (Personalstärke, Finanzierung, Auftrag) seit 1990 und skizziert abschließend eine alternative Perspektive für den Weg voran. Für transformative Perspektiven auf die Organisierung der militärischen Friedenssicherung in der Zukunft müssen neue Impulse gesetzt und bestehende Praktiken in Frage gestellt werden.
Die jüngsten Anschläge der Hamas auf Israel und die darauf folgenden Vergeltungsschläge Israels im Gazastreifen sind die neueste Wiederholung einer schrecklichen Gewaltdynamik. Es ist nicht so, dass diese Dynamik unvorhergesehen oder undenkbar war – wie ein Blick auf Beiträge in W&F zum israelisch-palästinensischen Konflikt aus 25 Jahren zeigt. Der Beitrag schlägt einen Bogen von diesen analytischen Erkenntnissen zu friedenspolitischen Erfordernissen.
Erneuerbare Energien schaffen Frieden. Dieses Argument ist vor allem seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine immer öfter zu hören. Auch wenn es nicht grundsätzlich falsch ist, greift es doch zu kurz: Anhand konzeptioneller Überlegungen zu den sicherheitspolitischen Dimensionen der Energiewende und am Beispiel Kolumbiens verdeutlicht dieser Beitrag, dass eine globale Dekarbonisierung keineswegs automatisch zu einer friedlicheren Welt führt, sondern auch neue Konflikte und koloniale Ausbeutungsformen hervorbringen kann.
Was Sprachmodelle und Massendaten im Krieg bedeuten
Für die »Kriegsführung 4.0« ist das »gläserne Gefechtsfeld« ausschlaggebend. Doch das »Internet of Military Things« (IoMT) und »Battle Management Systeme« sind nicht nur militärisch, sondern auch aufgrund ihrer Operationslogik hochgradig kritikwürdige Instrumente. Der Trend zu immer mehr Komponenten des Maschinellen Lernens, die in diese Systeme implementiert werden, scheint derzeit unaufhaltbar. Es gilt, die grundsätzlichen Prämissen dieser Systeme adäquat zu kritisieren. Insbesondere die Bedeutung, die ihnen mittlerweile für kriegerisches Handeln zugemessen wird, muss umso mehr Anlass für Kritik sein, die in diesem Beitrag ausgeführt wird.
Seit über 75 Jahren bietet das UN-System ein Forum zur multilateralen Konfliktregelung und hat wichtige Erfolge erzielt: etwa bei Abkommen zur Rüstungsbeschränkung, Einsätzen zur Friedenssicherung und Nothilfe. Druck aus der Zivilgesellschaft, von NGOs und durch Proteste, spielte dabei des Öfteren eine entscheidende Rolle. Trotz Erfolgen ist die Frustration über die UN und ihre Versäumnisse, internationale Kooperation und gewaltfreie Konfliktaustragung zu ermöglichen, gewachsen. Welche Möglichkeiten und Hindernisse gibt es für zivilgesellschaftliches Engagement, die Foren des multilateralen Dialogs mit Leben zu füllen?
Die Friedenspsychologie hilft zu verstehen, wie psychologische Prozesse Konflikte beeinflussen können. Deshalb braucht die Friedens- und Konfliktforschung die Friedenspsychologie. Die Friedenspsychologie könnte allerdings noch besser werden. Dazu gehören die Replizierbarkeit ihrer Befunde, die Kontext- und Kultursensitivität ihrer Theorien, die angemessene Beteiligung von unterrepräsentierten Gruppen am Forschungsprozess, der Einbezug qualitativer Forschung, die intensive Diskussion ihrer normativen Grundlagen und die Kooperation mit Praktiker*innen der Konfliktbearbeitung – Selbstreflexionen, die vielleicht auch für andere Disziplinen anregend sind.
In den wichtigsten Dokumenten, die internationales Peacebuilding leiten, wird das Geschlecht auf die cis- und heterosexistische Norm von Mann und Frau beschränkt. Auch wenn die Agenda »Frauen, Frieden, Sicherheit« die spezifischen diskriminierenden Auswirkungen von Gewalt auf Frauen benennt und die Notwendigkeit anerkennt, patriarchale Normen zu bekämpfen, scheinen sich Theorie und Praxis des Peacebuilding immer noch mit einer größeren Vielfalt geschlechtsspezifischer Erfahrungen schwer zu tun. Dieser Text will das Potenzial queerer Theoriebildung für Peacebuilding knapp darstellen und die positiven Erfahrungen erörtern, die mit der Einbeziehung von vielfältigen SOGIESC im kolumbianischen Friedensprozess gemacht wurden.
Wie lässt sich nach den Gräueln des Kolonialismus über Frieden sprechen? Dieser Text diskutiert die Hypothese, dass die Voraussetzung für eine echte Emanzipation des postkolonialen Subjekts die Transzendenz1 des Historizismus ist. Mit dem Ansatz der organischen Philosophie und des Afroplanetarismus wird diese neue Art und Weise vorgestellt, die individuelle und kollektive Existenz des Menschen auf einer neuen Grundlage, d.h. jenseits des Einzelfaktors Geschichte zu verstehen und positiv zu gestalten.
Mittel der Konflikttransformation für Wege aus der Klimakrise einsetzen
Die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Konflikten sind vielfältig und werden in Politik und Forschung zunehmend thematisiert. Die positiven Verbindungen von nachhaltigem, herrschaftskritischem Frieden und Klimagerechtigkeit sind hingegen noch wenig erforscht. Da anstehende sozial-ökologische Transformationen mit Konflikten einhergehen, müssen diese konstruktiv angegangen werden. Zugleich sind (koloniale) Herrschafts-, Macht- und Ungleichheitsstrukturen als Hindernisse zu überwinden. Im Beitrag denken wir klimapolitische Strategien mit ziviler Konfliktbearbeitung zusammen und skizzieren Ideen zu einer »Gestaltung der erhaltenden Entfaltung«.
Globale Zukunftsperspektiven lassen sich nicht ohne eine Analyse von Migration entwickeln. Nicht zuletzt für friedensutopische Überlegungen müssen wir Gründe und Dynamiken der Migration von Menschen ins Zentrum unserer Analyse stellen – zeigen sich doch die Auswirkungen globaler Krisen und Konfliktlinien darin wie in einem Brennglas. Konfliktlinien in postmigrantischen Gesellschaften können sich aus Identitätsfragen, Rassismus und dem ungleichen Zugang zu Ressourcen sowie politischer Teilhabe ergeben. Der Beitrag erörtert die möglichen demokratischen Chancen, die sich aus diesen Konflikten ergeben können.
Ich stand am Eingang eines von Bürger*innen betriebenen Geflüchtetenlagers auf Lesbos, einer kleinen griechischen Insel mit etwa 100.000 Einwohner*innen in der Nähe der Türkei. Es sah nicht wie ein typisches Flüchtlingslager der Vereinten Nationen aus, mit einer Reihe einheitlicher weißer Zelte. Mehrere orangefarbene Schwimmwesten, die an einem Zaun aufgereiht waren, verkündeten in großen schwarzen Buchstaben die hoffnungsvolle Botschaft »SAFE PASSAGE«. Diese wiederverwendeten Westen waren von Tausenden von Migrant*innen zurückgelassen worden, die die tückische acht Meilen lange Überfahrt von der Türkei über die Ägäis erfolgreich hinter sich gebracht hatten. Sie wurden von Inselbewohner*innen gesammelt und zeugen von dem Mut, den man braucht, um seine Heimat zu verlassen – auf der Flucht vor Konflikten, Verfolgung und Armut – und sich auf eine ungewisse Reise auf der Suche nach Sicherheit und einer besseren Zukunft zu begeben.
Seit 40 Jahren erscheint W&F durchgängig. In diesen Jahren wurde das Zeitschriftenprojekt von vielen Organisationen als Herausgeber und auch von vielen Einzelpersonen (als Redakteur*innen, Vorstände oder Beiräte, Initiator*innen oder Autor*innen) unterstützt. Redaktion und Vorstand hatten im Rahmen der Feierlichkeiten dieses Jahr dazu aufgerufen, eigene Beiträge, Impulse, Erinnerungen mit uns zu teilen (vgl. W&F 4/22, S. 42). Im Folgenden drucken wir einige dieser Zusendungen ab.
Am Ende des Jubiläumssymposiums in Bonn haben wir die Teilnehmer*innen gefragt, wie ihnen die Veranstaltung gefallen hat und haben die Gelegenheit genutzt, auch einige Fragen bezüglich W&F zu stellen, um die kontinuierliche Entwicklung der Zeitschrift weiter im Sinne unserer Leser*innen zu betreiben. Für dieses kleine quantitative Stimmungsbild haben wir 18 % der Teilnehmer*innen gewinnen können. Beeindruckend war die Vielfalt der beruflichen und inhaltlichen Hintergründe der Teilnehmenden in einer Bandbreite, die von friedensinteressierten Menschen, Mitarbeitenden von NGOs, Künstler*innen, Journalist*innen bis hin zu Personen mit einem akademischen Hintergrund reichte. Diese Vielfalt deckt sich hervorragend mit dem interdisziplinären und breiten Selbstverständnis der Zeitschrift. Die Fragen des kurzen Meinungsbildes orientierten sich an den vergangenen Befragungen der Leser*innenschaft in den Jahren 1996 und 2015 durchgeführt wurden (vgl. Max und Boehnke in W&F 1/2016, S. 48ff.). Obwohl die Antwortquote mit 20 von 113 Teilnehmer*innen relativ gut war, können aufgrund der kleinen absoluten Zahl keine belastbaren statistischen Schlüsse gezogen werden und so kann diese Befragung nur als Hinweisgeber angesehen werden.
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