Editorial
Gastkommentar
2004-1
Jochen Hippler
Old Europe nach dem Irakkrieg
Der Krieg sollte, so Präsident Bush, seit Anfang Mai im Wesentlichen vorüber sein, die größeren Kampfhandlungen galten seitdem als abgeschlossen. Das war reichlich voreilig, in gewissem Sinne hat mit der Eroberung des Irak durch die US-Truppen der eigentliche Kampf erst begonnen: der um die tatsächliche Kontrolle und Gestaltung dieses Landes. Und diese Auseinandersetzung, dieser »Nach-Krieg« ist in den letzten Monaten eskaliert. Er wird mit wirtschaftlichen, politischen, aber auch militärischen Mitteln geführt und erfolgt zunehmend blutig: der November war der bisher verlustreichste Monat der Besatzungstruppen. Zunehmend geraten nun auch Kräfte der US-Verbündeten ins Visier des Widerstandes. Eine Stabilisierung zeichnet sich noch immer nicht ab, und ein glaubwürdiges und Erfolg versprechendes Konzept Washingtons für eine stabile Nachkriegsordnung, die zugleich die eigenen Interessen sichert, ist weiterhin nicht erkennbar.
Kommentierte Presseschau
2004-1
Jürgen Nieth
Weltweit im Einsatz
Verteidigungsminister Struck will die Bundeswehr so umstrukturieren, dass sie bis zu 35.000 Soldatinnen und Soldaten jederzeit an jedem Ort einsetzen kann. Gegenwärtig sind fast 8.000 Bundeswehrangehörige außerhalb des NATO-Gebietes stationiert: 3.581 bei der NATO-Truppe Kfor im Kosovo, 1.375 bei der NATO-Truppe in Bosnien-Herzegowina, 45 im Rahmen der EU-Operation »Concordia« und 11 im NATO-Hauptquartier in Mazedonien, 1.867 in Afghanistan, 200 im Rahmen der UN-Operation Isaf in Usbekistan, 11 als UN-Beobachter in Georgien, 303 im »Anti-Terror-Einsatz« in Dschibuti, Kenia, Kuwait und am Horn von Afrika, 404 zur Sicherung des Schiffsverkehrs im Mittelmeer.
Kriegsbilanzen
2004-1
Felix Heiduk
Irak: »nation building« mit offenem Ende
Das Nachkriegsszenario im Irak ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es einfacher sein kann, einen Krieg zu gewinnen und ein Land militärisch zu besetzen, als die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen, die zur Errichtung einer stabilen, friedlichen Nachkriegsordnung beitragen. Der Irak ist dabei nur ein Beispiel für eine umfassende Veränderung im internationalen System seit 1989. Seit dem Ende des »Kalten Krieges« wurde – neben dem aktuellsten Beispiel Irak – auch in anderen Regionen der Welt in Kriegs- und (vermeintliche) Krisengebiete interveniert. Bei erfolgreicher Intervention wurden in allen diesen Krisengebieten (Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Ost-Timor, Afghanistan etc.) Protektorate errichtet – allesamt regional verschiedentl ausgeprägt, verankert und konzipiert. Die primären Aufgaben der Interventionsmächte hierbei gleichen sich: Sicherheit und Ordnung, Repatriierung der Flüchtlinge, Wiederaufbau, Demilitarisierung, Errichtung demokratischer Institutionen und Regierungsbildung. Die Erfolgsbilanz dieses »state- bzw. nation-building«, mit zentraler Rolle der UN oder nicht, sieht alles in allem düster aus: Mit Ausnahme des Zwergstaates Ost-Timor, welcher 2002 nach zweijähriger UN-Übergangsverwaltung in die Unabhängigkeit entlassen wurde und sich als souveräner Staat zumindest auf politischer Ebene behaupten konnte, bieten die anderen Protektoratsmodelle Bilder von Instabilität, Dysfunktionalität und vollständiger politischer und ökonomischer Abhängigkeit von der jeweiligen Protektoratsmacht.
2004-1
Tobias Denskus
Mazedonien: Internationaler Frieden ohne lokale Entwicklung?
»Globale Kultur« der Konfliktprävention und Transformation
Wer Mazedonien eine »Erfolgsgeschichte« nennt für Konfliktprävention der »Internationalen Gemeinschaft« auf dem Balkan, der hat prinzipiell Recht – er kommt nur wahrscheinlich nicht aus Mazedonien. Auch gut zwei Jahre nach der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Armee und UCK-Kämpfern gibt es noch keine Erklärung, warum der Konflikt eskalierte (Vankovska 2003: 11), und wie die Zukunft des Landes, das etwa die Größe Hessens und gut zwei Millionen Einwohner hat, aussehen kann. Auch wenn eine institutionelle Perspektive (Aufnahme bzw. Assoziierung mit NATO und EU) skizziert wird,1 bleibt eine der drängenden Fragen, welche Werteperspektive damit einhergeht, die über das „Imitieren der westlichen Demokratie“ (Vankovska 2003: 9, Nikolovska 2003: 16) hinausgeht. Denn die „Erwartung, Demokratie dämme quasi als Selbstläufer ethnische Konflikte ein [hat sich nicht] bestätigt“ (Schlotter 2002: 1108).
2004-1
Rainer Werning
Osttimor: Trial and Error
Anderthalb Jahre nach der Unabhängigkeit laboriert das kleine Land an großen Problemen
„Was die Vorgänge in Osttimor 1999 betrifft, so war ich anfänglich der Meinung, dass wir selbst in der Lage seien, diese massiven Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten. Auch andernorts, von Aceh bis Papua, geschahen Menschenrechtsverletzungen, von denen ich bis zum Jahr 2000 glaubte, wir könnten sie eigenständig ahnden. Doch seitdem das Ad-Hoc-Tribunal zu Osttimor in den vergangenen Monaten nichts bewegt hat und von ihm verkündete Urteile nur demonstrierten, wie parteiisch letztlich unsere Justiz ist, bin ich mehr denn je von der Dringlichkeit überzeugt, dass zumindest im Falle Osttimors internationale Mechanismen greifen müssen und ein internationales Tribunal stattfinden sollte. Denn was in Osttimor geschah, war ein gigantisches Verbrechen gegen die Menschlichkeit, was allen die Verpflichtung auferlegt, sich für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.“ Mit diesen Worten charakterisierte Ende November 2002 der indonesische Menschenrechtsanwalt und bis Oktober 2002 amtierende Generalsekretär der Nationalen Menschenrechtskommission, Asmara Nababan, die Lage in Osttimor.1 Das vielzitierte Positivbeispiel für erfolgreiches internationales Eingreifen wirft immer noch viele Fragen auf.
2004-1
Michael Funk
Kampf gegen Guerillas oder Terroristen
Drogen, Bürgerkrieg und Gewalt in Kolumbien
Während in Washington wohl zumindest inoffiziell bereits diskutiert wird, wie lange sich der Erfolg im Irak-Krieg der Weltöffentlichkeit noch als ein solcher verkaufen lässt, wird dem anderen amerikanischen Krieg – dem »drug war« – derzeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vor gut drei Jahren machte Präsident Clinton mit seiner Unterschrift unter eine Gesetzesvorlage namens »Plan Colombia« den Weg frei für ein umfangreiches Hilfspaket für Kolumbien, den weltgrößten Produzenten und Exporteur von Kokain. Unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung sind seitdem mehr als 2,5 Milliarden Dollar Militär- und Wirtschaftshilfe aus Washington in den von blutigen Auseinandersetzungen gezeichneten Andenstaat geflossen, weitere 6,5 Millionen sollen noch in diesem Jahr folgen. Doch was 2000 als vage definierte Sicherheitsinitiative zur Drogenbekämpfung begann, ist längst zu einem offenen Feldzug gegen marxistische Guerillas, angebliche Terror-Drogen-Netzwerke und unterprivilegierte Bevölkerungsschichten geworden – ohne absehbares Ende, klare Strategie oder eindeutige Erfolgsaussichten.
2004-1
Thomas Bruha
»Neue Kriege«: Neues Völkerrecht?
Recht, das gilt innerhalb der Staaten gleichermaßen wie für das Recht der Weltgemeinschaft, unterliegt dem Wandel. Neue wirtschaftliche und ökologische Gegebenheiten, neue Kommunikationstechnologien und andere wissenschaftlich-technische Entwicklungen, kollektive Lernprozesse nach dem Zusammenbruch von Unrechtsregimen und den Gräueln verheerender Kriege sind einige der Ursachen, die genannt werden können. So haben die schrecklichen Erfahrungen mit der Naziherrschaft und dem menschlichen Leid infolge zweier Weltkriege in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die entscheidenden Anstöße für die weltweite Ächtung des Krieges, für ein umfassendes Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen, für die Absicherung der Menschenrechte auf internationaler Ebene, für den Multilateralismus in Gestalt der mittlerweile universellen Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen gegeben und damit einen Paradigmenwechsel bewirkt, den man mit dem Konzept »Frieden durch Recht« umreißen kann. Recht und Unrecht in den internationalen Beziehungen wurden nun sehr viel deutlicher unterscheidbar als dies noch im 19. Jahrhundert und mit Abschwächungen auch noch zu Zeiten des Völkerbundes zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg möglich war. Zugleich wurde mit der Schaffung des »Bretton Woods Systems« der Grundstein für das gegenwärtige WTO-Regime offener und liberaler Weltwirtschaft gelegt, das inzwischen ebenfalls als quasi-universell bezeichnet werden kann.
Weltordnung
Friedensbewegung
Militärkritik
2004-1
Marion Hahn
JP-8 – Der Treibstoff, der krank macht
In ihrem Buch „Umweltkrank durch NATO-Treibstoff?“ hat die Autorin auf die Verbindungslinien zwischen der weitverbreiteten Krankheit Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS) und dem Golfkriegs-Syndrom (GKS) hingewiesen. Für sie handelt es sich um ein und dieselbe Krankheit, die ursächlich zusammenhängt mit einer Vergiftung durch den NATO-Treibstoff JP-8, der über Atmung, die Haut und/oder durch Nahrung aufgenommen wurde. In einem Artikel für Wissenschaft und Frieden (1-2002, S. 65ff) berichtete sie über ihre umfassenden Recherchen, die zu diesem Ergebnis führten. Seitdem hat sie zahlreiche Reaktionen erhalten, die zum Teil ihre These stärken, zum Teil aber auch anzweifeln. Auffallend gering ist demgegenüber das Echo aus der Politik. Bei JP-8 handelt es sich um den NATO-Treibstoff, und wenn an der These von Frau Hahn nun etwas dran ist und von diesem Treibstoff Gefahren für Soldaten und Zivilisten ausgehen, ist die faktische Nichtbehandlung dieses Themas durch die offiziellen Stellen ein Skandal.
Bericht
2004-1
Paul Schäfer
Ökologie & Frieden in krisenträchtigen Regionen
Der Beitrag der Wirtschaft
Unter diesem Titel hat die Evangelische Akademie Loccum sich erstmals mit der Rolle der Wirtschaft bei der Entstehung, der Eskalation, aber auch der Regulierung bzw. Vorbeugung von gewaltförmigen Konflikten beschäftigt. Damit hat die Akademie die positive Tradition fortgesetzt, neue Themen aufzugreifen und Richtungen der öffentlichen Debatte mitzuprägen. Eine weitere Stärke der Akademie: Bei der Bearbeitung der neuen Fragen Kontrahenten unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Positionen zusammen zu bringen. Gerade in den Bereichen Frieden, Sicherheit, Umwelt, Entwicklung hat Loccum in der Vergangenheit spannende Debatten organisiert (Ost – West, Friedensbewegung – Bundeswehr etc.). Diese Konferenz hat Vertreter aus multinationalen Unternehmen, Ministerien, internationaler Einrichtungen und Engagierte aus der Umwelt- , Entwicklungs- und Friedenspolitik zusammengeführt.